Diese Arbeit beschäftigt sich mit der Turmvision des Heiligen Benedikts (Greg. Dial. 2, 35).
Gregor der Große verfasst mit seinen Historia Religiosa eine Sammlung von Heiligenlegenden (Hagiographien) aus dem italienischen Raum. Dabei lassen sich, wie zu zeigen sein wird, verschiedene Parallelen zu einem der bekanntesten Vertreter der oströmischen Asketenbewegung finden: Simeon, dem Säulenheiligen.
In dieser Arbeit möchte ich diese Parallelen unter der Fragestellung herausarbeiten, inwieweit Simeon das literarische Vorbild von Benedikt von Nursia gewesen sein kann. Dabei möchte ich zunächst einen Überblick über die Gattungsgeschichte der Hagiographie und das Leben Simeons geben. Den Schwerpunkt dieser Arbeit bildet dann die Analyse der Turmvision, die insbesondere in Hinblick auf die verwendete Symbolik und deren literarische Tradition untersucht werden soll. Anschließend soll ein Vergleich der Ergebnisse der Textinterpretation mit dem Leben Simeons (nach Theodoret von Cyrus) signifikante Parallelen aufzeigen und schließlich die Frage klären, inwieweit Simeon als literarisches Vorbild für Benedikt gedient haben könnte.
Inhaltsverzeichnis
1. Inhaltsverzeichnis
2. Einleitung
3. Gattungsgeschichte
4. Beispiel oström. Hagiographie: Simeon Stylites
5. Textauszug und Übersetzung
5.1 Textauszug
5.2 Übersetzung
6. Interpretation der Szene
7. Vergleich mit der Simeonsvita
8. Zusammenfassung
9. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Diese Arbeit beschäftigt sich mit der Turmvision des Heiligen Benedikts (Greg. Dial. 2, 35).
Gregor der Große verfasst mit seinen Historia Religiosa eine Sammlung von Heiligenlegenden (Hagiographien) aus dem italienischen Raum. Dabei lassen sich, wie zu zeigen sein wird, verschiedene Parallelen zu einem der bekanntesten Vertreter der oströmischen Asketenbewegung finden: Simeon, dem Säulenheiligen.
In dieser Arbeit möchte ich diese Parallelen unter der Fragestellung herausarbeiten, inwieweit Simeon das literarische Vorbild von Benedikt gewesen sein kann. Dabei möchte ich zunächst einen Überblick über die Gattungsgeschichte der Hagiographie und das Leben Simeons geben. Den Schwerpunkt dieser Arbeit bildet dann die Analyse der Turmvision, die insbesondere in Hinblick auf die verwendete Symbolik und deren literarische Tradition untersucht werden soll. Anschließend soll ein Vergleich der Ergebnisse der Textinterpretation mit dem Leben Simeons (nach Theodoret von Cyrus) signifikante Parallelen aufzeigen und schließlich die Frage klären, inwieweit Simeon als literarisches Vorbild für Benedikt gedient haben könnte.
2. Gattungsgeschichte
In diesem Abschnitt möchte ich die Entwicklung der Hagiographie als literarische Gattung, sowie ihren Weg nach Rom beschreiben und dann die zentralen Topoi aufzeigen, unter denen sich diese Gattung fassen lässt.
Die christliche Tradition kennt zwei Heiligentypen: Die Märtyrer und die Asketen[1]. Menschen, die, ganz wie viele Apostel, für ihren Glauben großes Leid auf sich nahmen und besonders während der Christenverfolgung einen harten Tod aufrecht ertrugen, konnten sich den Weg ins Paradies sichern und posthume Berühmtheit erlangen. Viele wurden später heilig gesprochen. Ihre Geschichten wurden z.B. in den sog. Märtyrerakten (acta martyrum[2]) gesammelt. Nach dem Toleranzedikt (313 n.Chr.) fiel aber jede Möglichkeit weg, auf diesem Weg heilig zu werden. Die Aufmerksamkeit richtete sich daher nach Osten, auf die Asketenbewegung in Ägypten oder Syrien, die durch besonders harte Glaubenspraxis dort bereits über eine enorme Popularität verfügten. Dabei ist die Askese (askesis) als „religiöses Training“ zu übersetzen, beschriebt aber zumeist besonders enthaltsame Lebensweise. Als solche war sie dem spätantiken Publikum durch die Moralphilosophie z.B. der Stoa geläufig. Gefördert durch die Apokalyptik des Spätjudentums[3] gewann die Askese als religiöse Praxis im römischen Osten große Beliebtheit. Es entstand eine asketisch-monastische Kultur, durch die sich das Mönchtum als Lebensform von Ägypten über Palästina im sämtlichen römischen Osten ausbreitete und mit den jeweiligen regionalen Formen verschmolz[4]. Das hier näher betrachtete syrische Mönchtum entstand aus der vormonastischen Askese unabhängig von der ägyptischen Entwicklung[5]. Die Geschichten herausragender Asketen wurden aufgezeichnet und schnell entwickelte sich die Hagiographie als Kunstform und literarische Gattung. Der Erfolg vieler Heiligenlegenden im ganzen römischen Reich veranlasste eine ganze Reihe von Schriftstellern, hagiographische Schriften zu verfassen. So verfasste der Syrer Theodoret in seinen Historia Religiosa unter anderem auch eine Vita des Simeon, auf die sich diese Arbeit hauptsächlich stützen wird. Wie alle Schriften, die das frühe Christentum hervorbrachte, entwickelte sich diese Gattung zunächst auch in griechischer Sprache - im römischen Osten geläufiger als Latein. Abermals – wie auch bei der Entwicklung paganer Literatur - war der römische Westen gezwungen, griechische Formen zu übernehmen. Bischof Athanasios aus Alexandria war der erste, der eine Heiligenlegende in lateinischer Sprache verfasste[6]. Auch Gregor der Große verfasst in seinen 4 Büchern Dialogi eine Sammlung italienischer Wundersagen und Heiligenlegenden, wobei sich das zweite Buch ausschließlich dem Leben des Heiligen Benedikts widmet (Vita Benedicti). Nur wenige hatten sich vorher in Italien an diese Gattung gewagt. Gregor möchte beweisen, dass „auch ‚sein Italien‘ Gottesmänner und Wundertäter besitzt“[7].
Die Heiligenlegenden erfüllten zwei Funktionen: imitatio und admiratio[8]. Sie sollen zur Nachahmung einladen und/oder einen ins Staunen versetzen. Gregor trennt zwischen diesen beiden Funktionen. Die Schwachen sollen sich laut Gregor von Nachahmung fernhalten („infirmis veneranda, non imitanda“, Dial.IV, Kap. 1). Während sich die Märtyrergeschichten meist auf das Lebensende konzentrierten, rückte bei den Hagiographen das Lebensganze in den Mittelpunkt. Insofern sind hagiograpische immer biographische Schriften. Sie sind zumeist den in der Bibel beschriebenen Viten der Engel oder Apostel nachempfunden (vita apostolica, vita evangelica). Sie beginnen mit Kindheit und Jugend, die aber nur kurz beschrieben werden. Der eigentliche Weg des Heiligen beginnt mit der conversio, der Bekehrung[9]. Dies ist das Schlüsselmoment, das einen Menschen dazu bewegt, sein bisheriges Leben, das auch durch Sünden geprägt sein kann, aufzugeben und sich fortan mit ganzer Kraft Gott zu widmen. Hierzu bedarf es meist eines Bruches mit Heimat und Familie, der als anachorese bezeichnet wird. Es folgt die ausführliche Beschreibung eines mehrstufigen Glaubensweges, der meist als Aufstieg beschrieben wird. Hier wird der patristische Begriff[10] der anagogé als innerer und – topographisch nachgezeichnet – äußerer Aufstieg dargestellt. Als Glaubensweg bezeichne ich hier den Weg, den der Gläubige auf seiner Suche nach Gott zurücklegt. Dies bezeichnet die gesamte Biographie seit der conversio des Gläubigen. Dabei kann die Art und Weise, auf die ein Heiliger zu Gott gelangen will, durchaus unterschiedlich sein. Die oströmischen Heiligen führte dieser Weg dabei aber meistens in die Einsamkeit der Wüste (Eremitage). Auf diesem Glaubensweg warten Versuchungen, die ihn von diesem Weg abbringen wollen – wie Frauenerscheinungen -, und Prüfungen, die ihn, d.h. seinen Glauben herausfordern, wie Krankheiten oder Hunger. Heiligenlegenden und Wundergeschichten sind überdies eng miteinander verknüpft, denn der Heilige verfügt immer auch über Wunderkraft. Sein Vermögen Wunderheilungen oder Naturwunder zu bewirken, wie z.B. Unfruchtbaren zur Schwangerschaft zu verhelfen, beschert dem Heiligen oftmals einen regelrechten Ansturm von Hilfesuchenden. Auch hellseherische Fähigkeiten und Visionen begegnen dem Heiligen in der hagiographischen Literatur fast immer. Ein charakteristisches Motiv ist auch die Wunderwirkung nach dem Tode, die meist von Reliquien oder den durch den Heiligen besuchten Orten ausgeht
In diesem Kapitel habe ich dargelegt, dass die Heiligenlegende als literarische Gattung aus dem römischen Osten stammt und sich in griechischer Sprache entwickelte. Die vorliegende Vita Benedicti ist also Teil eines Rezeptionsprozesses, bei dem auch die gängigen hagiographischen Topoi, wie die anagogé, anachorese, conversio oder askesis Eingang in die lateinische Heiligenerzählung fanden.
3. Beispiel oström. Hagiographie: Simeon Stylites
In diesem Abschnitt nun möchte ich mit dem Säulenheiligen Simeon d.Ä. ein Musterbeispiel eines oströmischen Heiligen vorstellen. Es wird zu prüfen sein, inwieweit gerade dieser Heilige Vorbild für die Vita Benedicti gewesen sein konnte.
Über das Leben des Simeon stehen uns drei Viten zur Verfügung, allerdings keine Primärquellen. Neben der hier in Auszügen zitierten Vita des Theodoret von Cyrus, gibt es eine syrische Vita (vermutlich von seinen Schülern) und die Simeon-Vita des Antonios (verm. aus Antiochia). Dabei ist die syrische Vita ziemlich kurz nach dem Tod des Simeon, die Vita des Theodoret aber noch zu seinen Lebzeiten, ca. 15 Jahre vor seinem Tod[11], verfasst worden.
Die Arbeit soll sich dabei hauptsächlich auf die Vita des Theodoret stützen, da diese die größte Rezeptionsgeschichte aufweist.
Simeon wurde um das Jahr 386 in Sisan (Nordsyrien) als Sohn einer finanziell gut versorgten, christlichen Familie geboren. In seiner Kindheit und Jugend hütete er die väterliche Schafherde. Als er beim Besuch eines Klosters im Umland einen Vers der Bergpredigt hörte[12], fühlte er sich berufen, sein Leben der Suche nach Gott zu widmen. Er verbrachte zwei Jahre bei einigen Asketen innerhalb seines Dorfes. Nach zwei Jahren trat er in Teleda der Klostergemeinschaft des Eusebios bei und verbrachte dort 10 Jahre[13]. Doch wegen seiner extremen Art der Askese, die deutlich das Maß seiner Brüder überstieg, geriet er in Konflikt mit Ihnen. Er verließ das Kloster und fand am Berg eine trockene Zisterne, in die er sich herabließ um zu beten. Nach 5 Tagen wurde er von zwei ausgesandten Brüdern noch einmal dazu bewegt, zurück ins Kloster zu kommen, dort blieb er jedoch nicht lange. Er begab sich nach Telanissos und ließ sich dort für drei Jahre in eine Hütte einschließen. Hier fastete er 40 Tage ohne die kleinste Unterbrechung und ohne die beigestellte Notration an Broten anzurühren. Danach begab er sich auf einen Berg und kettete sich an einen Felsen an. Schon zu dieser Zeit genoss er eine hohe Popularität, die ihm auch viele Besucher bescherte. Das war nach Theodoret der Grund dafür, dass er – „über das belästigende der Sache unwillig[14] “, beschloss, auf eine Säule zu steigen. In drei Stufen wuchs die Säule schließlich (unter der Hilfe römischer Baumeister) auf eine Höhe von zweiundzwanzig Ellen. Dort stand er auf eine ca. 2x2m großen Plattform und „wünscht zum Himmel aufzufliegen und von diesem irdischen Getriebe sich zu lösen“[15].
Selbst auf der Säule stehend emfing er die Pilger und erteilte ihnen seinen Segen oder Ratschlag. Zeitweilig soll er bis zu 200 Schüler um sich versammelt haben[16]. Von den weltlichen Getrieben ließ sich Simeon immer weniger beirren. Hochrangigen Stammesvertretern, die um seinen Segen zankten, drohte er kurzerhand mit den Hunden.
Während seines Fastens, das er immer weiter perfektionierte, widmete er sich dem kontinuierlichen Gebet und zwar dies zunehmend im Stehen (stasis[17]), welches er nur durch Kniefälle (Proskynesen) unterbrach. Er ließ sich sogar an einen Pfahl auf seiner Plattform anbinden, wenn seine Kräfte zu schwinden drohten. Im Laufe der 40 Jahre, die er insgesamt an diesem Ort und zum großen Teil auf der Säule verbrachte, musste er jedoch immer seltener auf diesen Trick zurückgreifen, „sondern stand frei die vierzig Tage, ohne Nahrung zu nehmen, nur „gekräftigt von seinem Eifer und von der göttlichen Gnade“[18]. Verschiede Wunder sind von ihm überliefert, insbesondere verschiedene Wunderheilungen (healing miracles)[19], aber auch Prophezeiungen und Visionen. Die syrische Vita berichtet auch von Lichterscheinungen nach jeder „Prüfung seines Willens (Krankheit, Versuchung). Zum Ende seines Lebens soll er dann dauerhaft „lichterfüllt“ gewesen sein (radiant, shining, light filled[20] ). Simeon starb am 02. September 459.
Das Kloster und die Ruine seiner Säule sind auch heute noch beliebte Wallfahrtsorte bei Qal´at Sim´an. Sein wesentlich bedeutsameres Vermächtnis ist aber in den Scharen von Säulenheiligen zu sehen, die sich durch dieselbe, ausgefallene Glaubenspraxis noch bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts in seine Nachfolge stellten. Die Tatsache, dass noch im Jahr 525 ein gewisser Wulflacius in der Nähe von Trier von der Kirche daran gehindert werden musste, in der Tradition Simeons eine Säule zu besteigen[21], belegt die weite Verbreitung seines Rufes.
Das Leben des Simeon zeigt einerseits, welche extremen Formen die Glaubenspraxis der nordsyrischen Asketen annehmen konnte, andererseits ist Simeon gerade hierdurch als Idealtypus des östlichen Heiligen zu betrachten. Seine Vita ist ein ideales Beispiel für eine östliche Heiligenerzählung.
4. Textauszug und Übersetzung
Im Folgenden möchte ich die Beschreibung von Benedikt exemplarisch anhand einer Szene vorstellen. Es handelt sich dabei um die Turmvision, die Benedikt kurz vor Ende seines Lebens erfährt. Der lateinische Text entstammt der Textausgabe der Salzburger Äbtekonferenz, Greg.Dial. 2,35,1(Mitte)-3, eigene Zeilenzählung.
[...]
[1] Fuhrmann 1994, S. 222.
[2] Fuhrmann 1994, S. 223.
[3] Frank 1993, S. 2.
[4] Frank 1993, S. 28.
[5] Ebd.
[6] Fuhrmann 1994, S. 224.
[7] Steidle 1971, S. 187.
[8] Fuhrmann 1994, S. 224.
[9] Gregor d.G. 1995, S. 46.
[10] ebd.
[11] Beyer 2006, S. 58.
[12] Theodoret Hist.Rel.26,3.
[13] Theodoret Hist.Rel.26,5.
[14] Theodoret Hist.Rel.26,13.
[15] Theodoret Hist.Rel.26,13.
[16] Theodoret Hist.Rel.26,8.
[17] Ashbrook 1988, S. 376.
[18] Theodoret Hist.Rel.26,10.
[19] Ashbrook 1988, S. 380.
[20] Ashbrook 1988, S. 384.
[21] Zander 2003, S. 282 f.
- Arbeit zitieren
- Matthias Deters (Autor:in), 2008, Benedikt von Nursia – Nachfolger von Simeon Stylites?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/133325
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