Für eine Hinführung zum Thema wird die emotionale und soziale Entwicklung im Kindes- und Jugendalter sowie deren Zusammenhang und die Entstehung von Störungen im emotional-sozialen Entwicklungsverlauf erläutert. Daran anschließend wird der für den schulischen Bereich verwendete Begriff des emotionalen und sozialen Förderbedarfs konkretisiert und damit auf die Beschulung dieses SchülerInnenklientel eingegangen.
Im zweiten Kapitel wird die Geschichte der Beschulung von "schwierigen" Kindern und Jugendlichen rekonstruiert, um ein historiografisches Bewusstsein für die Pädagogik bei Verhaltensstörungen und damit eine Vorstellung des Ursprungs gegenwärtiger Beschulungsmöglichkeiten zu erlangen. Daraus ergibt sich gegebenenfalls die Frage nach dem "Besonderen" in der Beschulung dieser SchülerInnen oder aber, warum für diese ein separierender Förderort als notwendig angesehen wird.
Die geschichtliche Rekonstruktion und heutigen Beschulungsmöglichkeiten führen zu den derzeit bestehenden Unterschieden in der Beschulung dieser SchülerInnen in den sechzehn deutschen Bundesländern. Dabei wird jeweils in einem rechtlichen Teil vorrangig auf die Schulgesetze und sonderpädagogischen Verordnungen sowie Angaben der Ministerien zum Feststellungsverfahren, dem Wahlrecht der Erziehungsberechtigten, der inklusiven oder separierenden Beschulung und auf Besonderheiten eingegangen. In einem weiteren, praktischen Teil, werden dann vergangene und aktuelle Zahlen zu den Beschulungsorten ausgewertet. Anhand dieser Auswertungen und der rechtlichen Gegebenheiten wird versucht, die Gründe für die jeweilige Entwicklung und die derzeitig hohen oder niedrigen Zahlen zu den SchülerInnen mit Förderbedarf in der emotional-sozialen Entwicklung an den allgemeinbildenden oder Förderschulen zu ermitteln. Außerdem wird mithilfe aktueller Vorausberechnungen der Kultusministerkonferenz eine Prognose der weiteren Entwicklungen in den Ländern abgebildet.
Im letzten Kapitel erfolgt eine knappe Zusammenfassung der im vorherigen Kapitel vorgestellten Unterschiede in der Beschulung von SchülerInnen mit emotional-sozialem Förderbedarf in den Bundesländern. Außerdem wird anhand der einzelnen Entwicklungsprognosen der Bundesländer eine voraussichtliche Exklusionsquote für Deutschland vorgestellt und eine abschließende Stellungnahme vorgenommen.
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
1. Kinder und Jugendliche mit Störungen in der emotional-sozialen Entwicklung
1.1 Emotional-soziale Entwicklung
1.2 Emotional-soziale Entwicklungsstörungen
1.3 Emotional-sozialer Förderbedarf
2. Beschulung von Kindern und Jugendlichen mit emotional-sozialem Förderbedarf
2.1 Geschichtliche Entwicklung
2.2 Gegenwärtige Beschulungsmöglichkeiten
2.2.1 Inkludierende Beschulung
2.2.2 Integrierende Beschulung
2.2.3 Separierende Beschulung
2.3 Besonderer Bildungs- und Erziehungsauftrag
3. Unterschiede in der Beschulung von SchülerInnen mit emotional-sozialem Förderbedarf in den Bundesländern
3.1 Baden-Württemberg
3.1.1 Rechtliche Lage
3.1.2 Praktische Umsetzung
3.2 Bayern
3.2.1 Rechtliche Lage
3.2.2 Praktische Umsetzung
3.3 Berlin
3.3.1 Rechtliche Lage
3.3.2 Praktische Umsetzung
3.4 Brandenburg
3.4.1 Rechtliche Lage
3.4.2 Praktische Umsetzung
3.5 Bremen
3.5.1 Rechtliche Lage
3.5.2 Praktische Umsetzung
3.6 Hamburg
3.6.1 Rechtliche Lage
3.6.2 Praktische Umsetzung
3.7 Hessen
3.7.1 Rechtliche Lage
3.7.2 Praktische Umsetzung
3.8 Mecklenburg-Vorpommern
3.8.1 Rechtliche Lage
3.8.2 Praktische Umsetzung
3.9 Niedersachsen
3.9.1 Rechtliche Lage
3.9.2 Praktische Umsetzung
3.10 Nordrhein-Westfalen
3.10.1 Rechtliche Lage
3.10.2 Praktische Umsetzung
3.11 Rheinland-Pfalz
3.11.1 Rechtliche Lage
3.11.2 Praktische Umsetzung
3.12 Saarland
3.12.1 Rechtliche Lage
3.12.2 Praktische Umsetzung
3.13 Sachsen
3.13.1 Rechtliche Lage
3.13.2 Praktische Umsetzung
3.14 Sachsen-Anhalt
3.14.1 Rechtliche Lage
3.14.2 Praktische Umsetzung
3.15 Schleswig-Holstein
3.15.1 Rechtliche Lage
3.15.2 Praktische Umsetzung
3.16 Thüringen
3.16.1 Rechtliche Lage
3.16.2 Praktische Umsetzung
4. Fazit und Ausblick
Literaturverzeichnis
Einleitung
Eine erste Idee zu dieser Arbeit entwickelte sich während Praktika an einer Schule für den Förderschwerpunkt emotional-soziale Entwicklung in Niedersachsen und einer Schule in Bremen. Die Andersartigkeit der dortigen Schulstrukturen im Vergleich zum bayerischen Schulsystem erweckte erstmals mein Interesse für die Diversität der Bildungssysteme unserer Länder. Für den Wunsch nach weiteren Praktika und Hospitationen in Hamburg und Schleswig- Holstein, werde ich meinen Wohnsitz in diesem Jahr nach Niedersachsen verlegen, um weitere praktische Erfahrungen zu den Unterschieden in der Beschulung emotional-sozial förderbedürftiger SchülerInnen zu sammeln. Mein persönliches Interesse führte also zu Recherchen über die Unterrichtsmöglichkeiten für SchülerInnen mit einem solchen Förderbedarf in den Bundesländern, welche sich als sehr mühsam herausstellten. Nicht nur das die Transparenz der Ministerien im Umgang mit Informationen zur Beschulung dieser Kinder und Jugendlichen sehr unterschiedlich ausfällt, auch die Schulgesetze und Verordnungen unterscheiden sich beträchtlich. Eine ausführliche Internet- und Literaturrecherche ergab, dass hauptsächlich Quellen zur Inklusionslage in den Bundesländern und damit verbunden den sonderpädagogischen Förderschwerpunkten als zusammengefasste Domäne vorliegen. Zwar gibt es etliche Literatur zur Pädagogik bei Verhaltensstörungen, keine aber befasst sich spezifisch mit den deutschlandweit unterschiedlichen Beschulungsmöglichkeiten dieses SchülerInnenklientel. Da mir nur wenige, eher inklusionsorientierte Quellen zur Verfügung standen und manche Länder kaum oder keine separierende Beschulung an Förderschulen mehr anbieten, entschied ich mich dazu, die Fragestellung nach den Unterschieden in der Förderbeschulung von SchülerInnen mit emotional-sozialem Förderbedarf nicht nur auf Förderschulen zu beschränken, sondern auch einen Blick auf die Inklusion dieser SchülerInnen zu werfen und die Frage nach den „ Unterschieden in der Beschulung von Schülerinnen mit emotional-sozialem Förderbedarf in den Bundesländern“ auszuweiten. Für die Recherche zu diesem Thema beschränkte ich mich hauptsächlich auf die Schulgesetze, Verordnungen und Angaben der Ministerien, da diese im Gegensatz zu den Empfehlungen der Kultusministerkonferenz einen rechtsverbindlichen Charakter aufweisen.
Für eine Hinführung zum Thema wird im ersten Kapitel die emotionale und soziale Entwicklung im Kindes- und Jugendalter sowie deren Zusammenhang und die Entstehung von Störungen im emotional-sozialen Entwicklungsverlauf erläutert. Daran anschließend wird der für den schulischen Bereich verwendete Begriff des Emotionalen und Sozialen Förderbedarfs konkretisiert und damit auf die Beschulung dieses SchülerInnenklientel eingegangen.
Im zweiten Kapitel wird die Geschichte der Beschulung von .schwierigen' Kindern und Jugendlichen rekonstruiert, um ein historiografisches Bewusstsein für die Pädagogik bei Verhaltensstörungen und damit eine Vorstellung des Ursprungs gegenwärtiger Beschulungsmöglichkeiten zu erlangen. Daraus ergibt sich gegebenenfalls die Frage nach dem .Besonderen' in der Beschulung dieser SchülerInnen oder aber, warum für diese ein separierender Förderort als notwendig angesehen wurde bzw. wird.
Die geschichtliche Rekonstruktion und heutigen Beschulungsmöglichkeiten führen im dritten Kapitel zu den derzeit bestehenden Unterschieden in der Beschulung dieser SchülerInnen in den sechzehn deutschen Bundesländern. Dabei wird jeweils in einem rechtlichen Teil vorrangig auf die Schulgesetze und sonderpädagogischen Verordnungen sowie Angaben der Ministerien zum Feststellungsverfahren, dem Wahlrecht der Erziehungsberechtigten, der inklusiven oder separierenden Beschulung und auf Besonderheiten eingegangen. In einem weiteren, praktischen Teil, werden dann vergangene und aktuelle Zahlen zu den Beschulungsorten ausgewertet. Anhand dieser Auswertungen und der rechtlichen Gegebenheiten wird versucht, die Gründe für die jeweilige Entwicklung und die derzeitig hohen oder niedrigen Zahlen zu den SchülerInnen mit Förderbedarf in der emotional-sozialen Entwicklung an den allgemeinbildenden oder Förderschulen zu ermitteln. Außerdem wird mithilfe aktueller Vorausberechnungen der Kultusministerkonferenz eine Prognose der weiteren Entwicklungen in den Ländern abgebildet.
Im vierten und letzten Kapitel erfolgt eine knappe Zusammenfassung der im vorherigen Kapitel vorgestellten Unterschiede in der Beschulung von SchülerInnen mit emotional-sozialem Förderbedarf in den Bundesländern. Außerdem wird anhand der einzelnen Entwicklungsprognosen der Bundesländer eine voraussichtliche Exklusionsquote für Deutschland vorgestellt und eine abschließende Stellungnahme vorgenommen.
1. Kinder und Jugendliche mit Störungen in der emotional-sozialen Entwicklung
1.1 Emotional-soziale Entwicklung
Die emotionale und soziale Entwicklung hängen eng miteinander zusammen. Im Säuglings- und Kleinkindalter werden Emotionen als Signale an die soziale Umwelt gesendet, welche darauf reagiert. Im weiteren Entwicklungsverlauf versuchen Kinder die Emotionen ihrer sozialen Umwelt zu verstehen und angemessen darauf zu reagieren. Hinzu kommt die Entstehung selbstbezogener Emotionen und damit einhergehend die emotionale Selbstregulation. Das Temperament entwickelt sich in Auseinandersetzung genetischer und sozialer Einflüsse und die Bindung zu anderen Menschen beeinflusst die Entwicklung des Selbst. In der frühen Kindheit spielen Beziehungen zu Gleichaltrigen eine große Rolle für die Emotionsentwicklung. Zudem wirkt sich die Erziehung zunehmend auf die emotionale und soziale Entwicklung aus. In der mittleren Kindheit entfaltet sich das Selbstkonzept in Abhängigkeit von äußeren Einflüssen auf das Selbstwertgefühl und in der Adoleszenz verändern sich Selbstkonzept und Selbstwertgefühl mit den steigenden Anforderungen der Umwelt. Emotionen entwickeln sich also in Wechselwirkung zur sozialen Umwelt, weswegen hier von einer emotional-sozialen Entwicklung die Rede ist.
1.2 Emotional-soziale Entwicklungsstörungen
Wie in allen Entwicklungsverläufen (sprachlich, motorisch, kognitiv etc.) kann es auch im Verlauf der emotional-sozialen Entwicklung zu verschiedenen Störungen kommen. Diese entstehen allerdings nicht immer durch einseitig definierbare Ursachen; genetische Dispositionen, organische Mechanismen, biografische Ereignisse, Entwicklungsverläufe und Lernerfahrungen spielen ebenso eine Rolle wie sozio-kulturelle Verhältnisse, das Umfeld, die Familie, Freunde und Medien. Das Zusammenspiel all dieser Bedingungen führt letztlich auch zu einer Vielzahl an Erklärungsmöglichkeiten (siehe hierzu: Myschker/Stein 2018, Stein 2019). Die Vielfältigkeit der Ursachen von emotional-sozialen Entwicklungsstörungen äußert sich auch in einer Vielfältigkeit der Erscheinungsformen. Grob können diese nach Myschker und Stein in vier Gruppen eingeteilt werden:
Externalisierende Verhaltensstörungen, internalisierende Verhaltensstörungen, unreifes und altersinadäquates Verhalten und delinquentes Verhalten (2018, 63). Trotz der unterschiedlichen Entstehungsursachen und Erscheinungsformen waren Myschker, Stein, Bach und Seitz bestrebt, alle Formen emotionalsozialer Entwicklungsstörungen in einer Definition zusammenzufassen. STEIN verknüpfte diese Definitionsversuche zu folgender Beschreibung:
„Verhaltensstörungen sind Störungen im Person-Umwelt-Bezug. Sie treten in sozialen Systemen auf und äußern sich bei Kindern und Jugendlichen in Form von Verhaltensauffälligkeiten als Beeinträchtigungen des Verhaltens und Erlebens, welche problematische Folgen für die betroffene Person selbst und / oder ihr Umfeld nach sich ziehen. Dabei bedürfen überdauernde, verfestigte Verhaltensauffälligkeiten besonderer pädagogischer und gegebenenfalls auch therapeutischer Unterstützungsmaßnahmen“ (2019, 12).
Die Begriffe Verhaltensstörung und Verhaltensauffälligkeit stehen hier für die Ausprägung einer emotional-sozialen Entwicklungsstörung. Andere Begriffe wie entwicklungsgestört, erziehungsschwierig, neurotisch, psychopathisch, schwererziehbar oder verwahrlost beziehen sich nur auf einzelne Bereiche, sind veraltet, zu vage oder irreführend und werden nur in Kapitel 2.1 zur geschichtlichen Rekonstruktion der Beschulung dieser Kinder und Jugendlichen verwendet.
1.3 Emotional-sozialer Förderbedarf
Bei Kindern und Jugendlichen mit einer solch emotional-sozialen Entwicklungsstörung und daraus resultierenden Verhaltensstörungen ergibt sich häufig ein besonderer Bedarf an Förderung in der emotionalen und sozialen Entwicklung. Im schulischen Kontext ist damit der sonderpädagogische Förderbedarf in der emotional-sozialen Entwicklung gemeint. Dieser ist immer dann anzunehmen, wenn Kinder und Jugendliche „in ihren Bildungs-, Lern- und Entwicklungsmöglichkeiten so eingeschränkt sind, dass sie im Unterricht der allgemeinen Schule auch mit Hilfe anderer Dienste nicht hinreichend gefördert werden können“ (KMK 2000, 10). Aufgrund dieses Bedarfs reichen übliche pädagogische Maßnahmen häufig nicht aus und ein Rückgriff auf alternative Erziehungs- und Unterrichtsangebote muss erfolgen. Für diese Alternativen stehen eine Vielzahl an Förderformen wie etwa spezielle didaktische Modelle, Konzepte und Unterrichtsprinzipien ebenso wie Förderformen zur Verfügung. Die Entscheidung für spezifische Förderformen oder -orte sollte sich dabei immer an der bestmöglichen Förderung der Heranwachsenden orientieren, mehr dazu in Kapitel 2.2.
2. Beschulung von Kindern und Jugendlichen mit emotional-sozialem Förderbedarf
2.1 Geschichtliche Entwicklung
Die Geschichte verhaltensauffälliger Kinder und Jugendlicher beginnt nicht zu einem bestimmten Zeitpunkt: „Kinder und Jugendliche, deren Verhaltensweisen die Umwelt als unerwünscht und störend empfindet und die sich selbst in ihrer Lebensgestaltung und Entwicklung beeinträchtigen, hat es in allen Kulturen und zu allen Zeiten gegeben“ (Myschker/Stein 2018, 19). Die Geschichte zur Beschulung solcher Kinder und Jugendlichen hingegen beginnt zu einem bestimmten Zeitpunkt, nur lässt sich dieser kaum rekonstruieren, da einerseits der Zugang zu geeignetem Quellenmaterial (Heimarchive, kirchliche Archive etc.) erschwert ist (Schmidt 1996, 4). Andererseits die Beschulung verhaltensauffälliger Kinder und Jugendlicher eher beiläufig „[...] in übergeordneten Institutionen, wie z.B. den Waisen- und Rettungshäusern, den Erziehungsheimen etc. [begann]. Eigenständige Schulen für Erziehungsschwierige entstehen erst nach dem 2. Weltkrieg“ (ebd., 21).
Myschker und stein nennen in ihrem historischen Überblick über Einrichtungen für Kinder und Jugendliche mit Verhaltensstörungen zwar schon eine Fürsorge um verwaiste und verwahrloste Heranwachsende durch christliche Ordensleute während der abendländischen Kultur und Mitte des 16. Jahrhunderts auch in Waisenhäusern, aber ohne spezifische Ausrichtung (2018, 20f.).
Eine solche lässt sich erstmals in dem 1596 in Amsterdam gegründeten Zuchthaus erkennen. Vorerst als reines Zuchthaus für erwachsene Bettler, Landstreicher und Diebe, wurden aus einer Notwendigkeit heraus Abteilungen für Jungen und Mädchen angegliedert, deren Erziehungsberechtigte sie zur „korrektiven Erziehung“ dort abgaben (Schmidt 1990, 39). Erziehungsmittel waren neben harter Arbeit und strenger Zucht auch Seelsorge und Unterricht (Myschker/Stein 2018, 24) vor allem im Lesen, Schreiben und im Katechismus (Schmidt 1990, 41). Von Amsterdam aus „[...] breitet[e] sich diese Form der Behandlung gesellschaftlich abweichender Menschen rasch aus“ (ebd., 35) und fand durch damalige hansestädtische Verbindungen Einzug in Bremen, Lübeck, Hamburg, Danzig, und von dort aus in ganz Deutschland.
Ende des 17. Jahrhunderts verbreitete sich der Pietismus in Deutschland, wodurch sich eine andere Umgangsform mit schwierigen Kindern und Jugendlichen herausbildete. So gründete der Pietist Philipp Jacob Spener 1679 das erste Verbesserungshaus in Frankfurt für ,missratene‘ Personen (ebd., 44) und August Hermann Francke 1695 die Halleschen Anstalten mit einer reinen Ausrichtung auf ,missratene' Jugendliche (ebd., 45). In beiden Einrichtungen fand Schule statt, insbesondere bei Francke sehr differenziert und begabungsorientiert, nach dem Prinzip der Durchlässigkeit (ebd., 49). Auch ist die „Forderung nach ständiger Beobachtung und fortlaufender gezielter Erziehungsplanung und Intervention, wie sie für die heutige Sonderschule für Erziehungshilfe erhoben wird, [...] hier in erstaunlicher Weise vorausgedacht worden“ (ebd., 50).
Ende des 18. Jahrhunderts, fand eine neue Art der Beschulung für arme, verwahrloste und schwererziehbare Heranwachsende in sogenannten Spinn-, Strick- und Industrieschulen Einzug in Deutschland, mit dem Ziel der „[...] Erziehung zum industriösen Menschen“ (ebd., 51). Zur etwa selben Zeit trat neben diesem ökonomischen Denken eine ganz andere Sichtweise hervor. Der Pädagoge Johann Heinrich Pestalozzi wendete sich als einer der ersten den schwierigen Kindern aus einer humanistischen Perspektive zu und stellte sie und ihre Bedürfnisse in den Mittelpunkt erzieherischer Handlungen. Damit prägte er nicht nur die Behandlung, Beschulung und Erziehung schwieriger Kinder und Jugendlicher seiner Zeit, sondern bereitet den Weg zur uns heute bekannten Pädagogik bei Verhaltensstörungen (ebd., 64f.).
Ab 1814 entstanden mehrere christlich geprägte Einrichtungen, die sich schwierigen Heranwachsenden in einer Pestalozzischen Weise annahmen. Eine erste war der von Johannes Falk gegründete Lutherhof als Klink mit Klinikschule in Weimar (ebd., 82). Darauf folgten weitere bis hin zum Rauhen Haus bei Hamburg. Mit diesem von Johann Hinrich Wichern im Jahr 1833 eröffnete Heim für „verwahrloste“ Jungen und Mädchen, „[...] kommt die Vielfalt verschiedener Prägungen der einzelnen Rettungshäuser zu einer gewissen Zusammenfassung und Systematisierung. Die Familien-, Schul-, Arbeit- und Gemeindeerziehung werden von ihm als die vier Säulen einer geordneten Rettungshauspädagogik formuliert und im Rauhen Haus umgesetzt“ (ebd., 186).
Zum Ende des 19. Jahrhunderts hin, entwickelte sich die wissenschaftliche Psychologie und Psychopathologie dahingehend, problematisches Verhalten erstmals systematisch verstehen, anstatt nur behandeln zu wollen (Mysch- ker/Stein 2018, 32). Damit fanden zunehmend therapeutisch-psychologische Verfahren Eingang in die Beschulung schwieriger Kinder und Jugendlicher, so auch bei dem Pädagogen und Begründer der 1890 in Jena gegründeten So- phienhohe, Johannes Trüper: „Differenzierung“, „Lebensnähe“, „Anschaulichkeit“, „Selbsttätigkeit“, „Flexibilität“, „Individualisierung“, „kleine Klassen“, „außerunterrichtliche therapeutische Hilfe“, „[...] um eine nahtlose kindbezogene Integration in einen Gesamtheilplan“ zu ermöglichen, statt „[...] isolierte Übungspläne für einen einzelnen defizitären Bereich [...] anzuwenden“ (Schmidt 1990, 156f.). Dies kann einerseits eine Fortsetzung, andererseits eine durch neue psychologische Erkenntnisse weiterentwickelte Rettungshausarbeit darstellen. Doch damit war die Sophienhöhe ihrer Zeit voraus. Andere Heim-, Anstalts-, Rettungshaus- und Klinikschulen steckten noch in einer Art Orientierungsphase, in der an Altem festgehalten werden wollte, aber ebenso das Interesse für Neues bestand. Nach und nach fanden die wissenschaftlichen Erkenntnisse der Psychologie aber in immer mehr Schulkonzepten Eingang.
Für Msychker und Stein beginnt die Geschichte der schulischen Institutionen für verhaltensauffällige Schülerinnen in den 1920er Jahren mit den ersten, speziell für dieses Klientel eingerichteten Beobachtungs- und Erziehungsklassen (2018, 26). Die oben dargestellte geschichtliche Rekonstruktion beschreibt Schule als Teil von Sozialdisziplinierung und religiöser Umerziehung, als ein Element von Heim- und Arbeitserziehung, bis hin zu Unterricht in Rettungshäusern, Anstalten und Kliniken. Bei keinen dieser Institutionen stand die schulische Erziehung im Mittelpunkt der Bemühungen. Dennoch waren und sind sie der Ursprung aller Bestrebungen, diesen Kindern und Jugendlichen Bildung zukommen zu lassen und sie damit als Teil der Gesellschaft anzuerkennen.
1926 wurden die erste speziellen Fördereinrichtung für Kinder und Jugendliche mit Verhaltensstörungen in der Schweiz gegründet: die sogenannten Beobachtungsklassen. Diesem Modell folgend, forderte der Berliner Schulrat Arno Fuchs 1927 auf der heilpädagogischen Woche in Berlin separierende Erziehungsklassen (E-Klassen) für Schwererziehbare:
„Zwischen der Normalschule einerseits und der Fürsorgeanstalt und dem Psychopathenheim [...] andererseits [...] fehlt eine Einrichtung für die Schwererziehbaren, die im Verband der ersteren nicht länger ertragen werden können und der Fürsorgeerziehung anheimfallen werden, wenn nicht rechtzeitig der Versuch unternommen wird, sie durch eine ihrer Eigenart angepaßte und darum anders geartete Erziehung zu beeinflussen“ (Fuchs 1972, 39 zitiert nach Schmidt 1996, 176).
Die ersten drei E-Klassen wurden 1928 in Berlin errichtet und wuchsen bis zum Jahr 1930 auf neun (ebd., 181).
Die Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 führte zu einem Ausbaustopp und einer Auflösung aller bestehenden E-Klassen sowie einer Verteilung der Schülerinnen in Hilfsschulen1 oder Fürsorgeerziehungsanstalten (ebd., 184, 212, 222). Zusammengefasst wurden all diese heilpädagogischen Schularten unter dem Begriff ,Sonderschule‘ (ebd., 222). Sonderschule und „Sondererziehung bzw. -pädagogik hatten sich von nun an „[...] in den Dienst völkischer Ideologie zu stellen“ (ebd., 185), in welcher verhaltensauffällige Kinder und Jugendliche als minderwertig und pädagogisch nicht beeinflussbar galten (Müller 2014, 224). Hilfsschulen wurden zum „Sammelbecken für weniger leistungsfähige Kinder“ (Brill 2011, 58), die durch das Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses von 1933 mit „Entlastung, Brauchbar-machung [und] Erbhygiene“ beauftragt wurden (ebd., 11).
Nach dem Zweiten Weltkrieg 1945 entstanden zwei unterschiedliche Entwicklungslinien; die west- und die ostdeutsche (Myschker/Stein 2018, 27ff.). im Westen wurde die Beschulung in Heimen fortgeführt oder wiederaufgenommen. Zudem wurden in einigen Bundesländern der BRD Sonderklassen, anfangs für kriegsgeschädigte, später auch für erziehungsschwierige Kinder und Jugendliche eingerichtet. In Bremen wurden diese Sonderklassen 1954 erstmalig in einem gemeinsamen Schulgebäude untergebracht und zur eigenständigen Schule mit dem Namen: Schule für Verhaltensgestörte (Willmann 2007, 16f.). Unter differierenden Bezeichnungen, beispielsweise Sonderschule für Erziehungsschwierige, für Verhaltensgestörte, für Erziehungshilfe etc. findet diese Bremer Schulform auch in anderen Bundesländern Eingang. Erst als sich der Deutsche Bildungsrat 1973 erstmals für eine integrative Beschulung verhaltensgestörter Kinder aussprach und damit unterschiedliche integrative Maßnahmen und Schulversuche entstanden, kam der Ausbau zum vorübergehenden Erliegen (Schmidt 1996, 238ff.).
Ganz anders dagegen in der DDR; dort „bestand insgesamt eine sehr begrenzte rehabilitationspädagogische Arbeit, da nur wenige Menschen von Sonderschulen wissen sollten“ (Myschker/Stein 2018, 29). Erst 1965 entstanden erste schulische Sondereinrichtungen und Spezialkinderheime für Schwererziehbare. innerhalb dieser galt der Einsatz korrektiv-erzieherischer Methoden mit dem Ziel einer Rückschulung nach drei bis vier Jahren. Für besonders erziehungsschwierige Jugendliche entstanden zusätzlich Jugendwerkhöfe, in welchen sie „in erheblichem Maße der Willkür, verschiedenen Misshandlungen sowie generellem Machtmissbrauch durch Erwachsene ausgesetzt“ waren (ebd., 30).
Die seit den 70er Jahren anhaltenden Diskussionen um die Integration erziehungsschwieriger Kinder und Jugendlicher sowie der Ausbaustopp dieser Schulen in den 70er Jahren (Schmidt 1996, 238) führten nicht dazu, dass mit der Wiedervereinigung 1990 ein flächendeckendes, integratives Schulsystem implementiert wurde, ganz im Gegenteil. Der Ausbau dieser Schulen schritt fort, nun eben auch in den östlichen Bundesländern (Müller 2014, 225). Selbst die Förderschulbesuchsquote stieg trotz der integrativen Schulversuche weiter an (ebd.). Grund hierfür kann die schwierige integrierbarkeit gerade dieser Kinder und Jugendlichen sein, die nach Ahrbeck aufgrund einer besonderen Lerngeschichte und einer „inneren Notwendigkeit“ oft keine andere Wahl haben als mit ihrem Verhalten zu zeigen, dass etwas nicht stimmt (2011, 23).
Von Zuchthäusern über Verbesserungsanstalten für die missratene Jugend, industrieschulen und Rettungshäusern, bis hin zu Erziehungsklassen und Schulen zur Erziehungshilfe; die Geschichte der Pädagogik bei Verhaltensstörungen begann vor über vierhundert Jahren und findet auch heute noch kein Ende. Die Entwicklung der Pädagogik verhaltensauffälliger Schülerinnen verläuft nicht deutschlandweit in eine Richtung. Durch die Bildungshoheit der Länder hat sich ein sehr differenziertes Sonder- und Förderschulwesen in den Bundesländern herausgebildet. Dabei hat Deutschland 2009 das Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen der UNBehindertenrechtskonvention anerkannt und damit der Umsetzung eines bundesweit integrativen (engl. inclusive) Bildungssystems zugestimmt.
2.2 Gegenwärtige Beschulungsmöglichkeiten
Das für Schülerinnen mit emotional-sozialem Förderbedarf verschiedene Förderformen und Förderorte zur Verfügung stehen, wurde schon in Kapitel 1.3 angedeutet. Folgend wird eine knappe Einführung in die Unterschiede der Förderorte vorgenommen, um dann im dritten Kapitel die unterschiedlichen Förderorte der Bundesländer zu konkretisieren. Nach den Empfehlungen der Kultusministerkonferenz zum Förderschwerpunkt emotionale und soziale Entwicklung, sollen „Schülerinnen und Schüler mit Sonderpädagogischem Förderbedarf im Bereich des emotionalen Erlebens und sozialen Handelns [...] allgemeine Schulen [besuchen], wenn dort die notwendigen personellen, räumlichen und sächlichen Voraussetzungen gegeben sind oder geschaffen werden können“ (KMK 2000, 21).
2.2.1 Inkludierende Beschulung
Damit diese Voraussetzungen erfüllt werden, soll die sonderpädagogische Förderung von Schülerinnen mit emotional-sozialem Förderbedarf im gemeinsamen Unterricht durch die „Zusammenarbeit von sonderpädagogischen Lehrkräften mit Lehrkräften der allgemeinen Schule“ erfolgen (KMK 2000, 21). Außerdem sollen emotional-sozial förderliche Unterrichtssituationen geschaffen, flexible Unterrichtsorganisationen ermöglicht, eine tragfähige Schüler-LehrerBeziehung aufgebaut, erweiterte Raumangebote hergestellt, individuelle Lernangebote gemacht werden (ebd., 22). Für die Umsetzung all dieser unterstützenden Bedingungen im inklusiven Unterricht wurden und werden erzieherische Hilfen installiert. REISER unterschiedet hierbei zwischen den integrierten und den ambulanten erzieherischen Hilfen:
Integrative erzieherische Hilfen sind Maßnahmen, Angebote oder Personen, die fest im Schulalltag und der Schulorganisation der allgemeinbildenden Schulen eingebunden sind und damit diesen Schulen „im günstigsten Fall ohne [...] fallbezogene Legitimation“ zur Verfügung stehen (2007, 71f.). Gemeint sind damit vor allem spezialisierte Fachkräfte wie beispielsweise Sonderpädagogen, Schulpsychologen, Beratungslehrer und Therapeuten mit ihren jeweiligen professionellen Kompetenzen, die der Regelschule angehören und sich der Förderung emotional-sozial entwicklungsgefährdeter SchülerInnen an dieser Schule annehmen.
Ambulante bzw. mobile erzieherische Hilfen dagegen sind nicht an derjenigen Schule angegliedert, welche die Unterstützung bedarf, sondern gehören zu anderen Einrichtungen (ebd., 71). Sie werden konsultiert, wenn die eigenen regelschulpädagogischen Maßnahmen nicht mehr ausreichen und keine integrierten Hilfen zur Verfügung stehen. Die Hinzuziehung von solch „externen Professionellen“ ist aber immer auch an einzelfallbezogenen Legitimationen gebunden und bedarf damit einer nachweislichen Berechtigung (ebd.).
2.2.2 Integrierende Beschulung
Sind die personellen, räumlichen und sächlichen Voraussetzungen für die inklusive Beschulung eines Schülers oder einer Schülerin mit emotional-sozialem Förderbedarf an der zuständigen allgemeinbildenden Schule nicht gegeben oder nicht einrichtbar, können durch die Kooperation zwischen Förder- und Regelschule integrierende Formen der Beschulung geschaffen werden. Das Kultusministerium empfiehlt hierzu beispielsweise die temporäre Förderung eines Förderschülers bzw. einer Förderschülerin in einem oder mehreren Fächern in der Klasse einer allgemeinen Schule oder Probeunterricht im Rahmen von Überlegungen zur Rückschulung. Außerdem können gemeinsame Klassenfahrten und Projekte sowie gegenseitige Einzelfallhilfe zwischen Lehrkräften oder Schülerinnen zur „Förderung des sozialen Handelns und emotionalen Erlebens aller Schülerinnen und Schüler“ beitragen (KMK 2000, 25). Manche Bundesländer haben solch kooperative Unterrichtsformen auch in ihren Schulgesetzen aufgegriffen, worauf aber im dritten Kapitel noch näher eingegangen wird.
2.2.3 Separierende Beschulung
Werden die oben genannten Voraussetzungen für eine inklusive Beschulung von SchülerInnen mit Förderbedarf in der emotional-sozialen Entwicklung nicht erfüllt, bieten die meisten Bundesländer eine separierende Beschulung an einer dem Förderbedarf des Schülers, der Schülerin entsprechenden Förderschule oder Förderzentrum an. Dabei arbeiten diese Schulen häufig mit alternativen Unterrichts- und Erziehungsmethoden wie speziellen didaktischen Konzepten und Unterrichtsprinzipien und sind in Netzwerken aus unterschiedlichen rehabilitativen Einrichtungen eingebunden (Stein 2019, 167f.).
Daneben kann eine solch separierende Beschulung auch in sonderpädagogischen Förderzentren mit mehreren Förderschwerpunkten stattfinden. Die Ausrichtung dieser Zentren unterscheidet sich allerdings je nach Bundesland (KMK 2000, 26), wodurch hier keine für alle Förderzentren geltenden Aussagen getroffen werden können. Haben SchülerInnen die Regelschulzeit absolviert, können sie wie alle anderen Jugendlichen in eine Ausbildung wechseln. Allerdings gestaltet sich der Übergang von SchülerInnen mit Verhaltensauffälligkeiten in die Berufstätigkeit häufig schwierig, weshalb auch hier einige Bundesländer Sonderberufsschulen bereitstellen (Willmann 2007, 35). Daneben gibt es besondere Einrichtungen, die für berufsvorbereitende und - begleitende Maßnahmen zuständig sind: die Berufsbildungswerke (BBW) und die Berufsausbildungen in außerbetrieblichen Einrichtungen (BaE) (Stein 2019, 178). Neben diesen drei rein (aus-)bildungsbezogenen Institutionen separierender Beschulung nennt Willmann noch drei weitere „non-kategoriale“ Bildungsorte für junge Menschen, in denen ein sonderpädagogischer Förderbedarf in der emotional-sozialen Entwicklung zwar keine Voraussetzung darstellt, die Zahl dieses Schülerinnenklientel aber signifikant hoch ist: Heimschulen, Klinikschulen und Gefängnisschulen (2007, 23).
2.3 Besonderer Bildungs- und Erziehungsauftrag
Mit der Debatte um die verschiedenen Förderformen und -orte auf der einen und dem Auftrag nach Inklusion auf der anderen Seite, stellt sich die Frage, was die Beschulung von Kindern und Jugendlichen mit Auffälligkeiten und Störungen in der emotional-sozialen Entwicklung so .besonders' macht. Nach der Empfehlung der Kultusministerkonferenz zielt schulische Bildung und Erziehung in diesem Förderschwerpunkt „neben dem Erwerb von Wissen und der Entwicklung von Fähigkeiten und Fertigkeiten insbesondere auf den Aufbau und die Festigung von positiven Einstellungen und Werthaltungen“ ab (KMK 2000, 13f.). Hierfür ist eine „spezifische Gestaltung der Erziehungs- und Unterrichtsangebote notwendig“ (ebd., 14), welche in einer Regelschule eben nur unter bestimmten Voraussetzungen (vlg. ebd., 21) umsetzbar sind. Allerdings unterscheiden sich diese Voraussetzungen ebenso wie die Umsetzungen in den Bundesländern teilweise erheblich, weswegen im Folgenden näher auf diese Unterschiede eingegangen wird.
3. Unterschiede in der Beschulung von Schülerinnen mit emotional-sozialem Förderbedarf in den Bundesländern
In Deutschland ist das Schulsystem aufgrund der föderalen Struktur Ländersache und damit in jedem Bundesland durch eigene Gesetze und Verordnungen geregelt. Zwar wurde mit der Einrichtung der Kultusministerkonferenz der Versuch unternommen, eine bundesweite Koordination des Bildungswesens herzustellen, diese kann allerdings lediglich Empfehlungen, wie die schon mehrmals zitierten .Empfehlungen zum Förderschwerpunkt emotionale und soziale Entwicklung von 2000‘, und keine rechtsverbindlichen Bestimmungen erlassen (Willmann 2007, 19). Aus diesem Grund wird sich in den folgenden Ausführungen insbesondere auf die Gesetze und Verordnungen, sowie die Angaben der Ministerien bezogen. Es sei schon vorab darauf hingewiesen, dass nicht jedes Bundesland ausführliche Informationen zur Beschulung von Schülerinnen mit emotional-sozialem Förderbedarf (folgend: esF) oder Schulen zur emotional-sozialen Entwicklung (folgend: esE) bereitstellt, womit - dass sei hier einmal angemerkt - das Recht auf Informationsfreiheit enorm beschränkt wird. In diesen Fällen werden die Informationsdefizite durch Gesetze, Verordnungen und Angaben der jeweiligen Ministerien zur sonderpädagogischen Förderung im Allgemeinen ersetzt. Andere Bundesländer wiederum stellen eine Vielzahl an detaillierten Informationen zur Beschulung von Schülerinnen mit esF bereit, sodass hier eine subjektive Auswahl getroffen werden muss. Diese Arbeit verfolgt damit nicht das Ziel einer vollständigen Darstellung der unterschiedlichen Beschulungsmöglichkeiten für Schülerinnen mit Verhaltensstörungen bzw. - auffälligkeiten in den verschiedenen Bundesländern. Sie soll lediglich einen Einblick in die unterschiedliche Ausgestaltung dieser Möglichkeiten geben, vor allem aber dafür sensibilisieren, dass mit dem deutschen Schulsystem nicht in allen Fällen das eine Schulsystem gemeint ist. Im Hinblick auf die sonderpädagogische Förderung trifft das in besonderem Maße zu, denn hier stößt die Bildungshoheit der Länder auf das vom Bund unterzeichnete Übereinkommen zur Umsetzung eines integrativen (engl. inclusive) Bildungssystems. Daraus resultiert eine ungleiche Umsetzung von Integration / Inklusion in den Ländern, die von der Abschaffung der Förderschulen über die Einrichtung von Schwerpunkt-/ Profilschulen bis hin zur Eröffnung neuer Förderschulen führt(e).
Die nachfolgenden Ausführungen befassen sich ausschließlich mit eben dieser Ungleichheit der organisatorischen Gestaltung, ohne dabei ausführlich auf die Heterogenität inhaltlicher Aspekte von Schulen zur esE einzugehen. Des Weiteren wird es keine näheren Beschreibungen zu den erwähnten Heim-, Klinik-, oder Gefängnisschulen geben ebenso wenig wie zu den integrativen oder ambulanten Unterstützungssystemen wie den mobilen sonderpädagogischen Diensten (folgend: MSD) oder speziellen Beratungs- und Diagnostikeinrichtungen. Zudem wird keine Unterscheidung zwischen den öffentlichen und den Schulen in freier Trägerschaft vorgenommen. Zwar folgen die letztgenannten meist eigenen Privatschulgesetzen, welche - bezogen auf die schulischen Organisationsstrukturen - den regulären Schulgesetzen in aller Regel sehr ähnlich sind, doch die zusätzliche Differenzierung zwischen diesen und den Schulen in öffentlicher Trägerschaft würde vermutlich den begrenzten Rahmen dieser Arbeit überschreiten. Auch auf den Förderschwerpunkt der Autismus-Spektrum-Störung und die - in manchen Bundesländern gesonderte - Beschulung wird im Rahmen dieser Arbeit kein Bezug genommen. Abschließend sei noch erwähnt, dass aus Gründen der Einheitlichkeit für statistische Daten nahezu ausschließlich auf Angaben des Statistischen Bundesamtes (folgend: Destatis) und der Kultusministerkonferenz (folgend: KMK) zurückgegriffen wurde.
3.1 Baden-Württemberg
3.3.1 Rechtliche Lage
Nach dem Baden-Württembergischen Schulgesetz (SchG) findet „die sonderpädagogische Beratung, Unterstützung und Bildung [...] in den allgemeinen Schulen statt, soweit Schüler mit Anspruch auf ein sonderpädagogisches Bildungsangebot kein sonderpädagogisches Bildungs- und Beratungszentrum besuchen [SBBZ]“ (§ 15 Abs. 2).
Alles über Anspruchsfeststellung, Verfahren und Schulaufnahme ist in der Verordnung über sonderpädagogische Bildungsangebote (SBA-VO) festgelegt und nachfolgend zusammengefasst. Danach leitet die Schulaufsichtsbehörde das Feststellungsverfahren ein, falls ihr konkrete Hinweise auf einen sonderpädagogischen Förderbedarf vorliegen (§ 6 Abs. 1 SBA-VO) und beauftragt eine Lehrkraft für Sonderpädagogik mit der sonderpädagogischen Diagnostik (ebd., Abs. 2). Auf Grundlage dieser Diagnostik stellt die Schulaufsichtsbehörde fest, ob ein Anspruch auf ein sonderpädagogisches Bildungsangebot besteht, und legt den Förderschwerpunkt fest (ebd., § 7 Abs. 1). Außerdem ermittelt die Behörde, ob der festgestellte Förderbedarf eine Internatsunterbringung umfassen würde (ebd., Abs. 2). Anschließend haben die Erziehungsberechtigten das Recht zu entscheiden, welchen Bildungsort sie für ihr Kind wünschen (ebd., § 12 Abs. 1).
Entscheiden sie sich für ein inklusives Bildungsangebot, führt die Schulaufsichtsbehörde eine Bildungswegekonferenz durch in der erörtert wird, welche Schule, unter Berücksichtigung der personellen und sächlichen Voraussetzungen, das beste Bildungsangebot für den Schüler oder die Schülerin bereitstellt (ebd., § 15 Abs. 1). Falls mit der sonderpädagogischen Förderung ein zieldifferenter Unterricht verbunden ist, ist das inklusive Bildungsangebot grundsätzlich gruppenbezogen anzulegen und damit SchülerInnen einer Schule zuzuweisen, die aufgrund bestehender Beschulung oder aber mehrerer Beschulungsaufnahmen des entsprechenden Förderbedarfs die geeigneten Voraussetzungen für eine angemessene, differenzierte Beschulung bereitstellen oder einrichten kann (ebd.). Offen bleibt, ob SchülerInnen mit esF nach dieser Verordnung auch in die Gruppe der zieldifferent lernenden SchülerInnen fallen, da auf sie speziell einzugehen ist. Sicher ist jedoch, dass eine gruppenweise ,Inklusion‘ viel eher standortgebunden integriert als inkludiert.
In Zusammenarbeit der allgemeinen Schule mit den SBBZ und der Schulaufsichtsbehörde, können zudem kooperative Organisationsformen, sogenannte Außenklasse an allgemeinen Schulen eingerichtet werden, um so einen gemeinsamen Unterricht mit einer Partnerklasse der jeweils anderen Schule vor Ort zu ermöglichen (§ 15 Abs. 6 SchG).
Entscheiden sich die Erziehungsberechtigten dagegen für die Beschulung des Kindes oder Jugendlichen in einem SBBZ, ist diejenige zuständig, die im Schulbezirk des Wohnaufenthalts des Kindes liegt (ebd., § 76 Abs. 2). Ist im zuständigen Schulbezirk kein SBBZ für den esF eingerichtet, dürfen die Erziehungsberechtigten oder die Schulaufsichtsbehörde eine adäquate Schule auswählen (ebd., Abs. 3). In Baden-Württemberg besteht zudem die Möglichkeit, ein SBBZ zur esE mit Heimunterbringung zu wählen (ebd., § 101).
3.3.2 Praktische Umsetzung
Im Schuljahr 2020/21 wurden von 14.225 SchülerInnen mit esF nach wie vor 8.511 (59,83 %) in SBBZ zur esE beschult (Destatis 2010-2021). Im Jahr 2010/11 waren die Zahlen fast identisch: von 11.741 SchülerInnen mit esF wurden 7.125 (60,68 %) an entsprechenden Förderschulen beschult (ebd.). Damit ist die Zahl der SchülerInnen mit esF die eine Förderschule zur esE besuchen seit 2010/11 nur um 0,85 % gesunken. Diese Stagnation könnte mit der Tatsache zusammenhängen, dass das Inklusionsangebot in Baden-Württemberg gruppenbezogen organisiert ist. Damit stehen die Erziehungsberechtigten vor der Entscheidung einer inklusiven Beschulung mit möglicherweise langen Fahrtwegen zu einem dieser Standorte, an denen gruppenweise inkludiert wird oder aber die Beschulung an einem SBBZ, welche flächendeckend häufiger vertreten sind (Steinmetz/Wrase/Helbig/Döttinger 2021, 134). Zusammengefasst verfolgt Baden-Württemberg also eine eher restriktive Strategie bei der Gestaltung der Angebotsstruktur inklusiver Beschulung und beschneidet das Recht auf Inklusion durch das nur an bestimmten Schulen bestehende Inklusionsangebot. Ob dies Schülerinnen mit esF ebenso betrifft, kann weder durch das SchG, die SBA-VO oder das Ministerium belegt werden und bedarf ministe- rialer Auskünfte. Nach aktuellen Vorausberechnungen der Kultusministerkonferenz vom November 2021 werden die Zahlen der Förderschülerinnen in Baden- Württemberg bis 2030 aber noch um 10,04 % ansteigen (KMK 2021,74*).
[...]
1 Schule für Kinder und Jugendliche mit Lernbeeinträchtigungen, gegr. 1881 in Braunschweig (Möckel 2014, 217).
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- Anónimo,, 2022, Unterschiede in der Beschulung von SchülerInnen mit emotional-sozialem Förderbedarf in den Bundesländern, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1331389
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