Diese Forschungsarbeit verfolgt die Ziele, einerseits einen Beitrag zur Aufklärung über den selektiven Mutismus im Kindesalter zu leisten und andererseits pädagogischen Fachkräften Anregungen für die pädagogische Praxis in Kindertageseinrichtungen im Umgang mit selektiv mutistischen Kindern an die Hand zu geben. Deshalb setzt sich die Arbeit mit den Forschungsfragen auseinander, was das Störungsbild des selektiven Mutismus kennzeichnet und wie Kinder mit selektivem Mutismus in Kindertageseinrichtungen gefördert werden können.
Die Fähigkeit zur verbalen Kommunikation wird schon früh in Kindertageseinrichtungen vorausgesetzt. Was eigentlich ganz selbstverständlich klingt, ist jedoch für Kinder mit selektivem Mutismus oft nicht möglich. Selektiver Mutismus stellt ein noch relativ unbekanntes und selten verbreitetes Störungsbild dar, welches den Angst- und Verhaltensstörungen zugeordnet wird. Kinder mit selektivem Mutismus sind trotz intakter Hör- und Sprechfähigkeit nicht dazu in der Lage, sich innerhalb bestimmter Situationen oder gegenüber bestimmten Personen verbal zu äußern.
Pädagogische Fachkräfte können einen wesentlichen Beitrag zur Früherkennung von selektiv mutistischen Störungen leisten und dazu beitragen, dass diagnostische und therapeutische Maßnahmen frühzeitig eingeleitet werden. Aber auch der Ort der Kindertagesstätte selbst kann zu einem Ort der Förderung selektiv mutistischer Kinder und der Begleitung und Beratung ihrer Eltern werden, wenn pädagogische Fachkräfte dazu bereit sind, neue pädagogische Wege zu gehen und sich auf andere Formen der Kommunikation einzulassen.
Inhaltsverzeichnis
I. Einleitung
II. Hauptteil
1. Einführung in das Störungsbild des selektiven Mutismus
1.1 Definition und Symptomatik
1.2 Diagnostische Kriterien, Komorbiditäten und differentialdiagnostische Abgrenzung
1.3 Epidemiologie und Verlauf
2. Auswirkungen von selektivem Mutismus
2.1 Auswirkungen auf die betroffenen Kinder
2.2 Auswirkungen auf das familiäre Umfeld
2.3 Auswirkungen auf institutioneller Ebene
3. Therapeutische Ansätze
4. Selektiv mutistische Kinder in Kindertageseinrichtungen
4.1 Baustein pädagogische Fachkraft
4.2 Baustein Methodenvielfalt
4.3 Baustein professionelle Haltung, Team und Aus-, Fort- und Weiterbildung
4.4 Baustein Atmosphäre und Raumgestaltung
4.5 Baustein Elternarbeit
4.6 Baustein interdisziplinäre Zusammenarbeit
4.7 Zwischenfazit
III. Schlussteil
Literaturverzeichnis
I. Einleitung
Orte, wo sich Kinder aufhalten, sind geprägt von Geräuschen, Bewegung und Leben- digkeit. Gerade Kindertageseinrichtungen sind Orte der Kommunikation und des sozia- len Austauschs. Hier wird gelacht und geweint, auch mal geschrien oder diskutiert und vor allem ganz viel gemeinsam getobt. Die verbale Kommunikation ist aus dem Kin- dergartenalltag nicht wegzudenken und bildet einen wesentlichen Grundpfeiler, damit die Prozesse und Strukturen in der Kita funktionieren. Dies beginnt schon bei den Kin- dern untereinander, die in der Kita tagtäglich, zum Beispiel innerhalb von Spiel- oder Konfliktsituationen, in den sozialen Austausch treten oder bei den pädagogischen Fach- kräften, welche durch verbale Absprachen den Alltag in den Kindergartengruppen ko- ordinieren und ihre Aufgabenbereiche untereinander aufteilen. Auch Elternarbeit baut maßgeblich auf verbaler Kommunikation auf und beinhaltet beispielsweise tägliche Tür- und Angelgespräche zwischen Eltern und pädagogischen Fachkräften. Aber vor allem Kinder sind im Kita-Alltag darauf angewiesen, ihre Wünsche, Sorgen, Anliegen und Bedürfnisse verbal zu äußern, damit die pädagogischen Fachkräfte darauf reagieren und die Kinder angemessen unterstützen können. Somit trägt der verbale Austausch zwischen pädagogischen Fachkräften und Kindern ganz maßgeblich dazu bei, dass sich Kinder in der Kita wahrgenommen und wohl fühlen.
Die Fähigkeit zur verbalen Kommunikation wird daher schon früh in Kindertagesein- richtungen vorausgesetzt. Was eigentlich ganz selbstverständlich klingt, ist jedoch für Kinder mit selektivem Mutismus oft nicht möglich. Selektiver Mutismus stellt ein noch relativ unbekanntes und selten verbreitetes Störungsbild dar, welches den Angst- und Verhaltensstörungen zugeordnet wird. Kinder mit selektivem Mutismus sind trotz intak- ter Hör- und Sprechfähigkeit nicht dazu in der Lage, sich innerhalb bestimmten Situati- onen oder gegenüber bestimmten Personen verbal zu äußern. Oft treten die Symptome des selektiven Mutismus erstmals beim Eintritt in die Kindertagesstätte auf und gehen für die betroffenen Kinder und deren Familien mit einem großen Leidensdruck einher. Pädagogische Fachkräfte können einen wesentlichen Beitrag zur Früherkennung von selektiv mutistischen Störungen leisten und dazu beitragen, dass diagnostische und the- rapeutische Maßnahmen frühzeitig eingeleitet werden. Aber auch der Ort der Kinderta- gesstätte selbst kann zu einem Ort der Förderung selektiv mutistischer Kinder und der Begleitung und Beratung ihrer Eltern werden, wenn pädagogische Fachkräfte dazu be- reit sind, neue pädagogische Wege zu gehen und sich auf andere Formen der Kommu- nikation einzulassen.
Eine Voraussetzung hierfür stellt jedoch dar, dass pädagogische Fachkräfte über das Störungsbild des selektiven Mutismus aufgeklärt sind und über entsprechendes Fach- wissen verfügen, das ihr Handeln in der pädagogischen Praxis unterfüttert. Studien zei- gen jedoch, dass pädagogischen Fachkräften das Störungsbild oft gar nicht bekannt ist und sie daher das Schweigen selektiv mutistischer Kinder falsch interpretieren (vgl. Bahr 2015, S. 47-48). Diese Forschungsarbeit verfolgt daher die Ziele, einerseits einen Beitrag zur Aufklärung über den selektiven Mutismus im Kindesalter zu leisten und andererseits pädagogischen Fachkräften Anregungen für die pädagogische Praxis in Kindertageseinrichtungen im Umgang mit selektiv mutistischen Kindern an die Hand zu geben. Deshalb setzt sich die Arbeit mit den Forschungsfragen auseinander, was das Störungsbild des selektiven Mutismus kennzeichnet und wie Kinder mit selektivem Mutismus in Kindertageseinrichtungen gefördert werden können.
Der Arbeit liegt die Hypothese zugrunde, dass durch Aus-, Fort- und Weiterbildungsan- gebote zum selektiven Mutismus das Fachwissen sowie die Handlungssicherheit im Umgang mit selektiv mutistischen Kindern in Kindertagesstätten erhöht werden können. Im Rahmen der Forschungsarbeit wird weiterhin die Hypothese vertreten, dass eine Förderung von selektiv mutistischen Kindern in Kindertageseinrichtungen von einem Wechselspiel unterschiedlicher Faktoren, wie Aus-, Fort- und Weiterbildungsangeboten, Elternarbeit, interdisziplinärer Zusammenarbeit und methodischer Vielfalt, abhängig ist.
Die Forschungsfragen wurden mithilfe einer inhaltsanalytischen Analyse der einschlä-
gigen Forschungsliteratur und auf Basis eines hermeneutischen Reflexionsprozesses
untersucht. Besonders hervorzuheben sind im deutschsprachigen Raum die literarischen
Werke von Reiner Bahr, Ornella Garbani Ballnik, Sigrun Schmidt-Traub und Nitza
Katz-Bernstein, welche wichtige Themenfelder im Bereich des selektiven Mutismus
aufgreifen und Basiswerke für diese Forschungsarbeit dargestellt haben. Der erste Teil der Arbeit setzt sich mit der Frage auseinander, was das Störungsbild des selektiven Mutismus kennzeichnet. Da die Forschungsarbeit ihren Schwerpunkt auf Kinder mit selektivem Mutismus in Kindertageseinrichtungen legt, konzentriert sich der erste Teil der Arbeit auch maßgeblich auf Kinder dieser Altersspanne, obwohl das Stö- rungsbild in seltenen Fällen auch noch im Schul-, Jugend- oder Erwachsenenalter auf- treten kann. Im Rahmen des Einführungskapitels wird zuerst den Fragen nachgegangen, wie sich eine selektiv mutistische Störung definieren lässt und welche Symptome das Störungsbild kennzeichnen. Neben dem prägnantesten Symptom des Schweigens, wer- den hier auch weitere Ausprägungen selektiv mutistischer Kinder, wie eine starre Gestik und Mimik, genannt. Auch finden in diesem Abschnitt eine Abgrenzung zwischen selektivem und totalem Mutismus sowie eine Abgrenzung zur Schüchternheit statt. Im anschließenden Unterkapitel wird der selektive Mutismus anhand der diagnostischen Kriterien der ICD-10 (Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme) und des DSM-V (Diagnostischer und statistischer Leitfaden psychischer Störungen) von anderen psychischen Störungen differentialdia- gnostisch abgegrenzt und mögliche Komorbiditäten, wie Angststörungen, werden auf- geführt. Das Unterkapitel endet mit der Unterscheidung von Torey L. Hayden, der se- lektiv mutistische Kinder je nach Ursache der Störung in vier Gruppen aufteilt. Im nächsten Unterkapitel werden die Epidemiologie und der Verlauf von selektiv mutisti- schen Störungen konkretisiert. Das Kapitel zeigt, dass das seltene Störungsbild des se- lektiven Mutismus häufig in Übergangsphasen, wie im Rahmen der Eingewöhnung in Kindertagesstätten oder beim Übergang in die Grundschule, erstmalig auftritt und die Heilungschancen umso größer sind, desto früher eine Diagnostik und Therapie in die Wege geleitet werden. Innerhalb des letzten Unterkapitels zur Ätiologie werden die Ur- sachen von selektiv mutistischen Störungen thematisiert. Anhand des bio-psycho- sozialen Modells wird hier die Entstehung und Aufrechterhaltung von selektiv mutisti- schen Störungen anhand der drei Faktoren Genetik, Psychologie und Umwelt untersucht und ein Wechselspiel aller drei Faktoren als ursächlich für den selektiven Mutismus angenommen.Die Auswirkungen von selektiv mutistischen Störungen stehen im anschließenden Kapi- tel im Mittelpunkt. Zunächst werden die Auswirkungen auf die betroffenen Kinder er- läutert und sowohl unmittelbare Folgen, wie sozialer Rückzug oder erhöhtes Stressemp- finden, sowie potenzielle langfristige Folgen, wie die mangelnde Entwicklung von sozi- alen und kommunikativen Fähigkeiten, schulischer und/oder beruflicher Misserfolg oder die Gefahr der Entwicklung weiterer psychischer Erkrankungen, genannt. Ein be- sonderer Schwerpunkt wird hier im Hinblick auf die Thematik der Forschungsarbeit auf die Auswirkungen auf betroffene Kinder in Kindertageseinrichtungen gelegt. Das zwei- te Unterkapitel setzt sich mit der Frage auseinander, wie sich die selektiv mutistische Störung eines Kindes auf seine Familie und insbesondere auf seine Eltern auswirkt. Hier werden unter anderem die ambivalenten Gefühle angesprochen, die Eltern und/oder Geschwisterkinder im Umgang mit dem selektiv mutistischen Kind entwickeln sowie der Druck von außen, welcher auf die Familie ausgeübt wird und deren Leidensdruck verstärkt. Aber auch die Auswirkungen von selektiv mutistischen Kindern in institutio- nellen Einrichtungen, insbesondere in Kindertageseinrichtungen, werden in diesem Ka- pitel genannt. Das anschließende Kapitel präzisiert die therapeutischen Ansätze, die zur Behandlung von selektivem Mutismus eingesetzt werden. Dieses Kapitel hat eine be- sondere Relevanz, da Fördermaßnahmen in Kindertagesstätten meist allein nicht ausrei- chen, damit ein Kind seine selektiv mutistische Störung überwinden kann. Neben der kognitiven Verhaltenstherapie finden hier auch Ansätze wie eine medikamentöse Be- handlung oder die Familietherapie Erwähnung.
Die zweite Forschungsfrage, wie selektiv mutistische Kinder in Kindertageseinrichtun- gen gefördert werden können, wird innerhalb des folgenden Kapitels umfassend beant- wortet. Es wird innerhalb von sechs Unterkapiteln verdeutlicht, dass mehrere Faktoren - im Rahmen der Forschungsarbeit Bausteine genannt - die Förderung von Kindern mit selektivem Mutismus in Kindertagesstätten ausmachen und nur durch ein Wechselspiel aller Bausteine eine optimale Förderung gelingen kann. Im ersten Unterkapitel zum Baustein pädagogische Fachkraft wird der Umgang der pädagogischen Fachkraft mit dem selektiv mutistischen Kind sowie der Beziehungs- und Vertrauensaufbau zwischen beiden konkretisiert. Es wird verdeutlicht, dass die pädagogische Fachkraft eine Balan- ce zwischen Achtung und gleichzeitiger Forderung finden muss, um dem Kind einer- seits zu vermitteln, dass es wertgeschätzt wird, wie es ist und um es andererseits dazu zu motivieren, sich weiterzuentwickeln und die Kommunikation auszubauen. Außerdem wird in diesem Kapitel auch auf den Umgang der pädagogischen Fachkraft mit dem selektiv mutistischen Kind im Kontext der restlichen Kindergartengruppe eingegangen. Konkrete methodische Anregungen für die pädagogische Praxis, wie der Einsatz von Bewegung zur Auflockerung und Entkrampfung oder der Einsatz von Musik und Kunst zum emotionalen Ausdruck, werden im nächsten Unterkapitel unter dem Baustein Me- thodenvielfalt präzisiert. Innerhalb des Kapitels zum Baustein professionelle Haltung, Team und Aus-, Fort- und Weiterbildung werden Problemfelder angesprochen, die ent- stehen können, wenn pädagogischen Fachkräften das Störungsbild des selektiven Mu- tismus nicht bekannt ist. Überforderung, Ohnmacht oder Wut sind häufige Folgen, wenn die pädagogische Fachkraft das Verhalten des Kindes falsch interpretiert. Daher wird an dieser Stelle die Bedeutung umfassender Aus-, Fort- und Weiterbildungsange- bote zum Themenfeld selektiver Mutismus thematisiert - auch die Relevanz der Ent- wicklung einer professionellen Haltung und des Austauschs im Team werden hier ver- deutlicht. Das anschließende Unterkapitel setzt sich mit dem Baustein Atmosphäre und Raumgestaltung auseinander und bezieht sich dabei auf die Thesen von Ulrike Lüdtke, welche untersucht hat, welche Merkmale eine förderliche pädagogische Atmosphäre ausmachen. Innerhalb des Bausteins Elternarbeit wird die Bedeutung des Austauschs zwischen pädagogischen Fachkräften und den Eltern selektiv mutistischer Kinder für deren Entwicklung veranschaulicht. Gerade da selektiv mutistische Kinder oft zwei Sei- ten haben und sich im Elternhaus ganz anders verhalten als in der Kindertageseinrich- tung, bildet der Austausch eine wichtige Grundlage für die pädagogische Arbeit. Aber auch pädagogische Fachkräfte stehen vor der Aufgabe, die Eltern selektiv mutistischer Kinder zu beraten, sie bei der Hilfesuche zu unterstützen und ihnen gerade in der Anfangsphase nach der Diagnose Orientierung zu geben. Der letzte Baustein befasst sich mit der interdisziplinären Zusammenarbeit. Pädagogische Fachkräfte nehmen oft eine Schlüsselrolle ein, den Prozess der Diagnostik und Therapie von selektiv mutistischen Kindern anzuregen. Aber auch ihre Einbindung in den therapeutischen Prozess trägt dazu bei, dass Therapieabsprachen und -ziele in den Alltag in der Kindertagesstätte transferiert werden können. Das abschließende Zwischenfazit fasst die Ergebnisse des Kapitels zur Förderung selektiv mutistischer Kinder in Kindertageseinrichtungen nochmals zusammen und setzt sich kritisch mit der Frage nach den Zielen und dem Erfolg von Fördermaßnahmen auseinander. Der anschließende Schlussteil beendet die Forschungsarbeit - er gibt einen Überblick über die wichtigsten Forschungsergebnisse und weist auf noch offen gebliebene Fragen und weiteren Forschungsbedarf hin.
II. Hauptteil
1. Einführung in das Störungsbild des selektiven Mutismus
Selektiver Mutismus stellt eine noch relativ unbekannte Störung dar, die meist im Kin- desalter auftritt und für die betroffenen Kinder und deren Familien weitreichende Aus- wirkungen nach sich zieht. In Deutschland liegen bisher nur wenige Studienerkenntnis- se zum selektiven Mutismus vor, aus welchen teils unterschiedliche Ergebnisse hervorgehen. (vgl. Hoppe 2020, S. 51) Das Einführungskapitel dient der Aufklärung über das Störungsbild des selektiven Mutismus, um darauf aufbauend im weiteren Verlauf der Arbeit zu untersuchen, wie eine Förderung von selektiv mutistischen Kindern in Kindertageseinrichtungen gelingen kann. Obwohl viele Kinder und Jugendliche auch noch im Schulalter vom selektiven Mutismus betroffen sind, liegt der Schwerpunkt dieser Arbeit auf selektiv mutistischen Kindern in Kindertagesstätten, wo das Störungsbild oft erstmalig auftritt.
1.1 Definition und Symptomatik
Der Begriff Mutismus stammt aus dem Lateinischen („mutus“ = stumm). In der Fachli- teratur wird zwischen zwei Formen des Mutismus unterschieden - dem selektiven Mu- tismus und dem totalen Mutismus. Diese Unterscheidung geht ursprünglich auf Tramer (1934) zurück. In der einschlägigen Fachliteratur wird manchmal auch vom elektiven anstelle des selektiven Mutismus gesprochenen - dieser Begriff wird jedoch im Rahmen dieser Forschungsarbeit bewusst nicht verwendet, weil er eine freiwillige Wahl zum Schweigen unterstellt. Das Schweigen selektiv mutistischer Personen geht aber auf ein aktuelles Unvermögen zurück und nicht auf die freie Wahl des/der Betroffenen. (vgl. Schwenck & Gestthaler 2017, S.72) Auch konzentriert sich die Arbeit auf selektiven Mutismus im Kindesalter und legt hier ihren Fokus, auch wenn die Störung ebenfalls noch im Erwachsenenalter auftreten kann, was jedoch selten vorkommt. Während Kin- der, welche vom totalen Mutismus betroffen sind, unabhängig von den äußeren Rah- menbedingungen in allen Situationen und gegenüber allen Personen schweigen und ganz verstummen, zeichnen sich vom selektiven Mutismus betroffene Kinder durch ein partielles, situationsabhängiges Nichtsprechen aus. (vgl. Bahr 2006, S. 19-20 / vgl. Bahr 2015, S. 15 / vgl. Tramer 1934, S. 32 / vgl. Schmidt-Traub 2019, S. 13)
Selektiver Mutismus kann dementsprechend als „ein dauerhaftes, wiederkehrendes Schweigen in bestimmten Situationen (…) und gegenüber bestimmten Personen“ ver- standen werden, obwohl die betroffenen Kinder dazu in der Lage sind zu sprechen und dies in vertrauten Situationen oder gegenüber vertrauten Personen auch tun (Bahr 2015, S. 14). Die Fähigkeit zum Sprechen ist somit bei selektiv mutistischen Kindern situati- onsabhängig gehemmt. Häufig sprechen selektiv mutistische Kinder nur im engsten Familien- und Verwandtenkreis aber nicht mit Personen außerhalb der Familie. Im El- ternhaus sprechen selektiv mutistische Kinder fast immer, auch wenn das Kind manch- mal auch im eigenen zu Hause schweigen kann, beispielsweise wenn Besuch ins Eltern- haus kommt. (vgl. Ballnik 2009, S. 15-16 / vgl. Kiby 2015, S. 4 / vgl. Bahr 2015, S. 15)
Schlussfolgernd verwenden selektiv mutistische Kinder trotz intakter Hör- und Sprech- fähigkeit verbale Sprache in bestimmten Situationen nicht (vgl. Wendtland 2011, S. 68). Als Störungsbild im Kindes- und Jugendalter fällt selektiver Mutismus oftmals bei der Aufnahme im Kindergarten oder der Grundschule auf, wenn die Kinder erstmalig eine Institution ohne die Begleitung ihre engsten Bezugspersonen besuchen. Viele Kinder verhalten sich in der Eingewöhnungsphase in der Kita und Schule zurückhaltend und zeigen erst einmal Verunsicherung und eventuell auch Sprechverweigerung. Hält dieses Verhalten jedoch über einen langen Zeitraum an, auch wenn sich Vertrautheit mit der neuen Situation eingestellt hat, kann eine selektiv mutistische Störung vorliegen. (vgl. Bahr 2015, S. 14-15 / vgl. von Suchodoletz 2013, S. 61) Oft zeigt sich selektiv mutisti- sches Verhalten neben dem Schweigen durch Erstarren, einen ausdruckslosen und un- durchdringlichen Gesichtsausdruck bei Ansprache und das Abwenden und Ausweichen von Blickkontakt. Manche selektiv mutistischen Kinder geben in bestimmten Situatio- nen oder gegenüber bestimmten Personen gar keine lautlichen Äußerungen von sich und können in diesen Situationen nichts essen und nicht zur Toilette gehen. Insgesamt zei- gen selektiv mutistische Kinder außerhalb ihrer vertrauten Wohnumgebung ein ängst- lich-vermeidendes Verhalten häufig verknüpft mit einer großen Willensstärke. Im Kita- oder Schulalltag werden die Verhaltensweisen selektiv mutistischer Kinder zunächst häufig als Trotz oder Schüchternheit interpretiert, mit der Annahme, dass diese nicht auf Dauer aufrechterhalten werden. (vgl. Schmidt-Traub 2019, S. 18 / vgl. Ballnik 2009, S. 16 / vgl. von Suchodoletz 2013, S. 61 / vgl. Lempp 2016, S. 28) Beim selektiven Mu- tismus handelt es sich jedoch „um eine psycho-soziale Phobie, d.h. eine emotional be- dingte Hemmung bzw. Angst vor sprachlicher Kommunikation“, welche nicht so ein- fach überwunden werden kann und in der Regel über einen längeren Zeitraum andauert (A. & M. Sendera 2011, S. 140). Damit ist selektiver Mutismus eindeutig von Schüch- ternheit abzugrenzen, welche meistens abnimmt, wenn Kinder Vertrauen zu Personen gewonnen haben und sich in neuen Situationen eingelebt haben. Lempp definiert die Abgrenzung zur Schüchternheit zudem durch das Auftreten der Symptome für mindes- tens vier Wochen (vgl. Lempp 2016, S. 28). Kiby grenzt die selektiv mutistische Stö- rung von Schüchternheit ebenfalls durch das Symptom des andauernden Schweigens ab, schließt jedoch nicht aus, dass nicht auch ein schüchterndes Kind von einer Sozialpho- bie betroffen sein kann (vgl. Kiby 2015, S. 31). Auch Bahr hat sich mit der Unterschei- dung von Schüchternheit und selektivem Mutismus auseinandergesetzt und beschreibt diese „als zwei qualitativ verschiedene Phänomene“ (Bahr 2015, S. 52). Zwar weisen selektiv mutistische Kinder meistens auch das Symptom der Schüchternheit auf, jedoch sind nicht alle schüchternen Kinder selektiv mutistisch. Schüchternheit definiert Bahr als ein Persönlichkeitsmerkmal, welches nicht zwangsläufig mit Schweigen in bestimm- ten Situationen einhergeht, während es sich beim selektiven Mutismus um ein psychiat- risches Störungsbild handelt. Laut Bahr ist Schüchternheit zudem wesentlich einfacher zu überwinden als eine selektiv mutistische Störung. Jedoch können sowohl starke Schüchternheit als auch selektiver Mutismus ähnliche Folgen haben, wie zum Beispiel sozialen Rückzug und Isolation. (vgl. Bahr 2015, S. 52-54)
1.2 Diagnostische Kriterien, Komorbiditäten und differentialdiagnostische Abgrenzung
Innerhalb der ICD-10 wird der (s)elektive Mutismus den Verhaltens- und emotionalen Störungen zu Beginn der Kindheit und Jugend zugeordnet und als eine Störung definiert, „die durch eine deutliche emotional bedingte Selektivität des Sprechens charakterisiert ist“ (World Health Organization 2019, ICD-10 F 94.0 / vgl. Ballnik 2009, S. 15). Das Kind spricht in einigen Situationen, in anderen, definierbaren Situationen wiederum nicht. Betroffene Kinder zeigen laut ICD-10 oft ebenfalls Merkmale wie Sozialangst, Rückzug, besondere Empfindsamkeit oder Widerstand. Als Voraussetzung für die Di- agnosestellung werden altersgemäße sprachliche Fähigkeiten sowie ein altersgemäßes Sprachverständnis beschrieben - außerdem sollten die Symptome für eine Diagnosestel- lung bereits mindestens einen Monat anhalten. (vgl. World Health Organization 2019, ICD-10 F 94.0) Sowohl innerhalb der ICD-10 als auch innerhalb des DSM-V wird ver- deutlicht, dass das Schweigen in bestimmten Situationen oder gegenüber bestimmten Personen nicht darauf zurück zu führen ist, dass das Kind über mangelnde Kenntnisse der Sprache verfügt oder das betroffene Kind sich in der Sprache nicht wohl fühlt (vgl. World Health Organization 2019, ICD-10 F 94.0 / vgl. American Psychiatric Associati- on 2018, S. 265). Darauf aufbauend zeichnen sich selektiv mutistische Kinder nach dem DSM-V durch die „andauernde Unfähigkeit, in bestimmten Situationen zu sprechen, wobei in anderen Situationen wiederum normale Sprechfähigkeit besteht“ aus. (Ameri- can Psychiatric Association 2018, S. 265) Selektiver Mutismus lässt sich nach DSM-V als eine soziale Angst- und Verhaltensstörung charakterisieren, welche mit Versagens- angst und Verhaltenshemmung einhergeht. Auch innerhalb des DSM-V stellt es eine Voraussetzung für die Diagnosestellung dar, dass die Störung mindestens vier Wochen andauert - zudem werden soziale Ängstlichkeit, eine Störung des Sozialverhaltens mit aufsässigem Verhalten, eine depressive Symptomatik sowie Regulationstörungen von Schlaf, Essen, Ausscheidungsfunktion oder Verhaltenskontrolle als häufig parallel auf- tretende Symptomatiken erwähnt. Obwohl sowohl innerhalb des DSM-V als auch in- nerhalb der ICD-10 ein Zeitraum von vier Wochen für die Diagnosestellung angegeben wird, wird die Diagnose in der Praxis oftmals erst nach sechs Monaten gestellt. (vgl. American Psychiatric Association 2018, S. 264 / vgl. Schmidt-Traub 2019, S. 20 / vgl. Goodman, Scott & Rothenberger 2007, S. 175)
Ausschlusskriterien für eine selektiv mutistische Störung sind nach ICD-10 und DSM-V das Vorliegen tiefgreifender Entwicklungsverzögerungen und -störungen, Psychosen, Autismus wie auch fehlende sprachliche Fähigkeiten. Auch bei mangelnden Deutsch- kenntnissen oder entwicklungsbedingten Sprach- und Sprechstörungen liegt kein selek- tiver Mutismus vor. (vgl. Schmidt-Traub 2019, S. 19) Im Gegensatz zu autistischen Kindern ist die nonverbale Kommunikation bei Kindern mit selektivem Mutismus meist nicht eingeschränkt, außerdem beteiligen sich selektiv mutistische Kinder an Gruppen- aktivitäten in Betreuungs- oder Bildungseinrichtungen und zeigen Reaktionen auf Auf- forderungen, wozu autistische Kinder meistens nicht in der Lage sind. (vgl. von Sucho- doletz 2013, S. 61). Zudem ist der selektive Mutismus von Kommunikations- und Ent- wicklungsstörungen abzugrenzen, denn bei diesen Störungen treten die sprachlichen Einschränkungen jederzeit auf und sind nicht auf bestimmte Situationen beschränkt (vgl. Kersten 2019, S. 11).
Selektiver Mutismus geht oftmals mit verschiedenen Komorbiditäten einher. Am häu- figsten sind Kinder mit selektivem Mutismus auch von Angststörungen betroffen, be- sonders oft von sozialen Phobien. (vgl. Lauth-Lebens & Adornetto 2018, S. 437) Lauth- Lebens & Adornetto sowie Katz-Bernstein vertreten zudem die Annahme, dass Ent- wicklungsstörungen der Sprache, wie Artikulationstörungen oder Sprachentwicklungstörungen, oft parallel zu einer selektiv mutistischen Störung auftreten - die WHO dementiert jedoch diese Annahme, bestätigt aber dahingegen das häufige, komorbide Auftreten von sozial-emotionalen Störungen (vgl. Lauth-Lebens & Adornetto 2018, S. 438 / vgl. Katz-Bernstein 2015, S.18-19 / World Health Organization 2015, S. 379). Steinhausen benennt außerdem Depressionen, Schlafstörungen, Hyperaktivität, Tics und Zwänge als Störungsbilder, welche Kinder mit selektivem Mutismus gelegentlich entwickeln (vgl. Steinhausen 2019, S. 192-193). Ist ein Kind von mehreren Störungen gleichzeitig betroffen, kann das zu einer Verstärkung der Symptome des selektiven Mutismus führen sowie das Risiko des Auftretens weiterer Angststörungen oder somatischer Erkrankungen erhöhen (vgl. Ströhle, Gensichen & Domschke 2018, S. 612-613).
Hayden (1980) unterscheidet selektiv mutistische Kinder in vier Gruppen (vgl. Schöler & Welling 2007, S. 365-366):
1. Symbiotischer Mutismus: Die Kinder, welche Hayden dieser Gruppe zuordnet, zeichnen sich dadurch aus, dass sie eine sehr enge, nahezu symbiotische Bindung zu ihrer Hauptbezugsperson innehaben, welche von Haydem meist als dominant cha- rakterisiert wurde. Deshalb waren diese Kinder in ihrer außerfamiliären Entwick- lung gehemmt und litten häufig unter Trennungsängsten.
2. Sprechangst-Mutismus: Kinder dieser Gruppe nutzen oft nonverbale Kommunikati- onsformen, da sie Angst vor ihrer Stimme haben oder befürchten, im verbalen Dia- log etwas Unpassendes zu sagen. Diese Kinder waren häufig auch von sozialer Angst betroffen und zeigten entsprechende Symptome.
3. Reaktiver Mutismus: Kinder, die dieser Gruppe angehören, zeigen selektiv mutisti- sches Verhalten in Folge eines vorherigen traumatischen Erlebnisses oder einer posttraumatischen Belastungsstörung. Solche Kinder verhielten sich oft depressiv und zurückgezogen.
4. Passiv-aggressiver Mutismus: Diese Kinder setzen selektiv mutistisches Verhalten ein, um ihre Ablehnung oder Missbilligung gegenüber ihrer Umgebung auszudrü- cken.
Diese Klassifikation von Hayden wurde immer wieder als wenig tragfähig kritisiert, allerdings widerspricht sie der Annahme, dass selektiver Mutismus ausschließlich als ein Teilsymptom oder als eine Unterkategorie der sozialen Angststörung zu verstehen ist und liefert damit auch heute noch wichtige Ansatzpunkte für den wissenschaftlichen Diskurs (vgl. Schöler & Welling 2007, S. 366).
1.3 Epidemiologie und Verlauf
Selektiver Mutismus zählt zu den eher seltenen Störungen im Kindes- und Jugendalter, welcher zumeist bei Kindern im Alter zwischen vier und acht Jahren auftritt. Damit liegt der Beginn der Störung häufig im Vor- und Grundschulalter. (vgl. Lempp 2016, S. 28 / vgl. Steinhausen 2019, S. 192) Hung, Spencer und Dronamraju gehen dahingegen davon aus, dass sich die ersten Symptome bei selektiv mutistischen Kindern bereits im Alter von drei bis fünf Jahren manifestieren (vgl. Hung, Spencer & Dronamraju 2012, S. 222). Zur Diagnosestellung kommt es jedoch häufig erst nach der Einschulung, weil hier die Störung nochmals besonders auffällt und zu Problemen bei der Leistungsbewer- tung führt. Zuvor vertreten viele Eltern und Pädagogen noch die Annahme, dass sich die Symptome des selektiven Mutismus verwachsen. (vgl. Goodmann, Scott & Rothenber- ger 2007, S. 175) Oft entsteht eine selektiv mutistische Störung im Rahmen der Kon- frontation mit einer neuen, unbekannten Situation, wie zum Beispiel dem Eintritt in den Kindergarten oder die Grundschule (vgl. Schöler & Welling 2007, S. 359). Auf Basis dieser Angaben zum Beginn einer selektiv mutistischen Störung unterscheidet Katz- Bernstein den Frühmutismus (ab 3,4 Jahren) und den Spätmutismus (ab 5,5 Jahren) (vgl. Katz-Bernstein 2015, S. 29).
Es finden sich unterschiedliche Angaben zur Prävalenz in der einschlägigen For- schungsliteratur, da der selektive Mutismus bei epidemiologischen Untersuchungen zu psychischen Erkrankungen im Kindes- und Jugendalter in der Vergangenheit kaum Be- rücksichtigung gefunden hat oder das Störungsbild unklar operationalisiert wurde (vgl. Kersten 2019, S. 12 / vgl. Schöler & Welling 2007, S. 359). Die statistische Prävalenz liegt je nach Quelle zwischen 1 und 7 Kindern mit selektivem Mutismus pro 1000 Kin- dern. Mit zunehmendem Alter wird das Auftreten des Störungsbildes immer unwahr- scheinlicher. (vgl. von Suchodoletz 2013, S. 62 / vgl. Bahr 2015, S. 15) Es ist davon auszugehen, dass die tatsächliche Prävalenz etwas höher ist, da manche Kinder bloß als schüchtern eingestuft werden, welche tatsächlich an einem selektiven Mutismus leiden (vgl. Hung, Spencer & Dronamraju 2012, S. 223). Kinder mit Migrationshintergrund, zweisprachig aufwachsende Kinder sowie Kinder aus kulturell isolierten Familien sind von einem erhöhten Risiko betroffen, an einer selektiv mutistischen Störung zu erkran- ken (vgl. Lempp 2016, S. 28). Zudem sind Mädchen etwas häufiger betroffen als Jun- gen (1,5 bis 2,5 zu 1) (vgl. von Suchodoletz 2013, S. 62).
Oftmals haben betroffene Kinder schon im Voraus der Diagnose eines selektiven Mu- tismus ein sozial ängstliches Verhalten gezeigt, leise gesprochen und sich zurückgezo- gen, bis es irgendwann dazu kommt, dass die Kinder in bestimmten Situationen ganz verstummen (vgl. Rogoll, Petzold & Ströhle 2018, S. 594-595). Zu Beginn der Störung ist die Emissionsrate relativ hoch, mit Eintritt ins Schulalter nimmt sie jedoch ab. Eine selektiv mutistische Störung kann zwischen mehreren Monaten bis mehrere Jahre an- dauern - im Durchschnitt hält eine selektiv mutistische Störung fünf bis sechs Jahre an und endet meist spätestens in der Pubertät. (vgl. Bahr 2015, S. 15 / vgl. von Suchodoletz 2013, S. 61-62) Das Risiko der Chronifizierung der Störung macht die Behandlungsbe- dürftigkeit deutlich. Es ist davon auszugehen, dass die Symptomatik sich ohne Behand- lung tendenziell verschlechtert und die Personen, mit denen das Kind spricht, mit zu- nehmendem Verlauf der Störung abnehmen. Auch sind soziale Isolation und schulische Leistungseinbußen typische Folgen des selektiven Mutismus. Auch wenn die Störung überwunden wird, bleibt die Neigung zur sozialen Angst, Sprechscheu und Isolation bei etwa einem Drittel der Betroffenen lebenslang bestehen. Eine bessere Prognose ist ge- geben, wenn der selektive Mutismus früh entsteht, die Symptome möglichst leicht aus- geprägt sind und die Störung frühzeitig erkannt und behandelt wird. ( vgl. Schöler & Welling 2007, S. 359 / vgl. Wischnewski & Ströhle 2016, S. 197 / vgl. Rogoll, Petzold & Ströhle 2018, S. 593 )
1.4 Ätiologie
In der wissenschaftlichen Diskussion um die Faktoren, welche die Entstehung der selek- tiv mutistischen Störung bedingen und zu deren Aufrechterhaltung beitragen, existieren unterschiedliche Ansätze, die im Folgenden vorgestellt werden. In der Fachliteratur wird von einer „polyätiologische(n) Herkunft“ des selektiven Mutismus ausgegangen - das heißt, dass mehrere Ursachen und Faktoren als für die Entstehung ursächlich ange- nommen werden (Bahr 2006, S. 29). Nach dem bio-psycho-sozialen Modell, welches als Grundlage für die folgenden Ausführungen dient, entstehen psychische Erkrankun- gen aus einem Wechselspiel von biologischen, psychologischen und sozialen Faktoren (vgl. Wälte 2013, S. 76).
Studienergebnisse stellten eine familiäre Häufung von Personen mit selektiv mutisti- scher Störung fest und schlussfolgerten daher, dass genetische Einflussfaktoren eine Rolle bei der Entstehung von selektivem Mutismus spielen. Allerdings wurde gleichzei- tig der Bedarf konkreterer Forschung in diesem Bereich festgestellt. (vgl. Lauth-Lebens & Adornetto 2018, S. 442 / vgl. Remschmidt, Poller, Herpertz-Dahlmann, Hennighau- sen & Gutenbrunner 2001, S. 288 ff.) Jedoch werden diese Ergebnisse zur Vererbbar- keit der selektiv mutistischen Störung nicht von allen Autoren gestützt. Steinhausen benennt zum Beispiel nur eine „familiäre Häufung von Schweigsamkeit“, was wieder- um nicht zwangsläufig auf genetische Faktoren zurückzuführen ist, sondern auch durch soziale Faktoren, wie das Nachahmen bestimmter Verhaltensweisen, bedingt sein kann (Steinhausen 2019, S. 194 / vgl. Kersten 2019, S. 15 / vgl. Bahr 2006, S. 30). Schmidt- Traub stützt dahingegen die Annahme einer genetischen Komponente, welche dazu führt, dass bestimmte Menschen mit einem „ängstlich-scheuen Temperament“ geboren werden (17 bis 20 Prozent der Kinder eines Jahrgangs) (Schmidt-Traub 2019, S. 34). Solche Menschen weisen nach der Autorin eine höhere Bereitschaft auf, Angst zu erle- ben und sind im Alltag tendenziell ängstlicher, schreckhafter, empfindsamer und ge- hemmter als gleichaltrige Personen. Jedoch führt ein ängstlich-scheues Temperament nach Schmidt-Traub nicht zwangsläufig zu der Entstehung einer Angststörung oder ei- nes selektiven Mutismus. (vgl. Schmidt-Traub 2019, S. 35) Auch die Amerikanische Psychiatrische Gesellschaft stellt Parallelen zwischen der Entstehung einer selektiv mutistischen Störung und der Entstehung anderer Angststörungen fest. Zudem wird gerade im Rahmen wissenschaftlicher Untersuchungen erforscht, ob eine Genmutation im Zusammenhang mit der Entstehung des selektiven Mutismus stehen kann. (vgl. sammenhang mit der Entstehung des selektiven Mutismus stehen kann. (vgl. AmericanPsychiatric Association 2018, S. 266ff. / Stein et al. 2011, S. 828-830)
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- Citation du texte
- Anna-Lena Hübl (Auteur), 2021, Förderung selektiv mutistischer Kinder in Kindertageseinrichtungen. Merkmale der Störung und pädagogische Ansätze, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1331154
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