Der utopische Inselroman ist bis heute von beträchtlichem Reiz für Autoren, denen daran gelegen ist, in pädagogischer oder kritischer Absicht ihren Lesern eine Gesellschaft im Modell vorzuführen, bzw. die Entstehung arbeitsteiliger Gesellschaften literarisch zu illustrieren. Und so hat dieses Genre eine Fülle von Werken hervorgebracht, allein Erhard Reckwitz listet im Anhang seiner diesbezüglichen gattungsgeschichtlichen Arbeit 63 Primärquellen auf und beschränkt sich dabei nur auf eine kleine Auswahl. Dies war insbesondere zur Zeit der europäischen Aufklärung und der von ihr inspirierten literarischen Werke der Fall.
Waren utopische Schriften – nicht selten in literarischem Gewand – auch seit Thomas Morus` „Utopia“ bekannt, so war es dennoch vor allem Daniel Defoe, der mit seinem 1719 erschienenen Roman „The Life and Strange Surprising Adventures of Robinson Crusoe of York, Mariner“ dem Genre einen Namen gab und zahlreiche Bearbeitungen, Adaptionen und Gegenentwürfe anregte. Jürgen Fohrmann verweist allein für das 18. Jahrhundert außerhalb Englands auf 38 verschiedene Ausgaben des Defoeschen Originals, 5 niederländische, 20 französische und 17 deutsche sowie 2 französische und zwei deutsche Bearbeitungen, was also insgesamt für einen durchschlagenden Erfolg spricht.
In der vorliegenden Arbeit versuche ich, die historisch-sozialen Beweggründe für die Popularität der Robinsonaden zu untersuchen. „Robinsons Geschichte ist die Geschichte des Menschen und seiner fortschreitenden Kultur im Kleinen“7, schrieb etwa Rousseau und umriss dabei den Kern des Interesses sowohl der zeitgenössischen pädagogischen Literatur wie auch der politischen Ökonomie an dem Stoff. Dass es hierbei vor allem um die Schaffung der materiellen Kultur und die Erörterung von Grundannahmen der politischen Ökonomie geht, wird deutlich, wenn man versucht, das Robinson-Motiv mit Defoe als idealisierte Wirtschaftsgeschichte zu lesen. Aber auch als Raum für eine radikale und mit gesellschaftsverändernder Absicht formulierte literarische Kritik der bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse eignet sich die Inselutopie, etwa bei Morelly, aber auch bei Wezel, der mit seiner Adaption des Stoffes gewissermaßen einen Anti-Defoe verfasste.
Inhaltsverzeichnis
1. Die Robinsonade als literarisches Genre und politische Streitschrift
2. Defoes Robinson: Apologie der bürgerlichen Existenz
3. Die kapitalistische Entwicklung in England
3.1. Exkurs: Die englische Seefahrt und die kapitalistische Modernisierung
4. Die französische Inselutopie zwischen Antifeudalismus, Kapitalismuskritik und Versöhnung
5. Frankreich zwischen Merkantilismus, Refeudalisierung und bürgerlicher Revolution
6. Deutschland in den Fesseln von Feudalismus, despotischer Kleinstaaterei und ökonomischer Rückständigkeit
7. Die deutsche Robinson-Rezeption: Campe und Wezel
8. Abgrenzungen und Definitionen: Robinsonade, Utopie und Staatsroman
9. Resümee
Literatur
1. Die Robinsonade als literarisches Genre und politische Streitschrift
Der utopische Inselroman ist bis heute von beträchtlichem Reiz für Autoren, denen daran gelegen ist, in pädagogischer oder kritischer Absicht ihren Lesern eine Gesellschaft im Modell vorzuführen, bzw. die Entstehung arbeitsteiliger Gesellschaften literarisch zu illustrieren. Und so hat dieses Genre eine Fülle von Werken hervorgebracht, allein Erhard Reckwitz listet im Anhang seiner diesbezüglichen gattungsgeschichtlichen Arbeit 63 Primärquellen auf und beschränkt sich dabei nur auf eine kleine Auswahl. Dies war insbesondere zur Zeit der europäischen Aufklärung und der von ihr inspirierten literarischen Werke der Fall. Oder, wie Wolfgang Biesterfeld es ausdrückt:
„Kaum ein Jahrhundert in der Geschichte der Utopie bietet eine solche Menge von Texten der Utopie wie das 18. Jahrhundert, eine solche Vielfalt ihrer Formen, eine so weitgehende Überschneidung von Epochen und Geistesströmungen.“[1]
Es spricht einiges dafür, dass dies kein Zufall ist und auch die erstaunliche Konjunktur der Robinsonade, der Kerngestalt der literarischen Utopie jener Zeit, als Reflex der bürgerlichen Gesellschaft in einer bestimmten Phase ihrer Entwicklung und der Entfaltung der kapitalistischen Produktionsweise begriffen werden kann.[2]
Waren utopische Schriften – nicht selten in literarischem Gewand – auch seit Thomas Morus` „Utopia“ bekannt, so war es dennoch vor allem Daniel Defoe, der mit seinem 1719 erschienenen Roman „The Life and Strange Surprising Adventures of Robinson Crusoe of York, Mariner“ dem Genre einen Namen gab und zahlreiche Bearbeitungen, Adaptionen und Gegenentwürfe anregte. Jürgen Fohrmann verweist allein für das 18. Jahrhundert außerhalb Englands auf 38 verschiedene Ausgaben des Defoeschen Originals, 5 niederländische, 20 französische und 17 deutsche sowie 2 französische und zwei deutsche Bearbeitungen, was also insgesamt für einen durchschlagenden Erfolg spricht.[3] Jener Roman kann als durchaus prototypisch angesehen werden, zumal zwar bereits seit der Mitte des 17. Jahrhunderts Bücher erschienen waren, die das Inselmotiv in Form literarischer Reiseberichte aufgriffen, jedoch ohne den für Defoes Roman und dessen Nachdichtungen charakteristischen Bezug auf die Gestaltungskräfte menschlicher Gesellschaft.
„Die Frage nach den im Menschen angelegten Fähigkeiten zur Daseinsbewältigung, die Gründe für seinen Erfolg, Tendenzen, die sein Scheitern andeuten, die Frage nach dem Wert oder Unwert von Zivilisation und Gesellschaft, die bewußte vergleichende Stellungnahme zur Heimat und zur Insel – alles dies findet sich in diesen frühen Inselexistenzen nicht oder nur sehr ansatzweise.“[4]
Daher geht Reckwitz davon aus, dass bei der Entstehung einer literarischen Gattung in aller Regel ein bestimmter historischer Prototyp Pate stand, und schreibt diese Rolle Defoes „Robinson Crusoe“ zu, auch wenn er an anderer Stelle zugleich darauf hinweist, dass es höchst problematisch sei, den Begriff der „Gattung“ auf die literarische Robinsonade anzuwenden, da er für die Inselutopie nach Defoe zwar seit über 100 Jahren konventionalisiert sei, dafür aber „jede Objektivationsbasis in Form von anwendbaren Gattungsregeln“[5], sprich: gemeinsame Kriterien, die auf alle dazu gezählten Werke mehr oder weniger zutreffen, fehlten. Fohrmann widerspricht dem implizit, indem er versucht, eine Gattungsdefinition entlang der zum Tragen kommenden Diskurse zu skizzieren.[6]
Dennoch schreibe ich in der vorliegenden Arbeit vorsichtiger vom „Genre“ und versuche, die historisch-sozialen Beweggründe für dessen Popularität zu untersuchen. „Robinsons Geschichte ist die Geschichte des Menschen und seiner fortschreitenden Kultur im Kleinen“[7], schrieb etwa Rousseau und umriss dabei den Kern des Interesses sowohl der zeitgenössischen pädagogischen Literatur wie auch der politischen Ökonomie an dem Stoff. Dass es hierbei vor allem um die Schaffung der materiellen Kultur und die Erörterung von Grundannahmen der politischen Ökonomie geht, wird deutlich, wenn man versucht, das Robinson-Motiv mit Defoe als idealisierte Wirtschaftsgeschichte zu lesen. Aber auch als Raum für die literarische Kritik der bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse eignet sich die Inselutopie, etwa bei Morelly, aber auch bei Wezel, der mit seiner Adaption des Stoffes gewissermaßen einen Anti-Defoe verfasste.
Die Robinsonade als frühe Variante des bürgerlichen Romans griff im 18. und 19. Jahrhundert ein soziales Bedürfnis auf, was ihren Erfolg, aber auch die große Zahl der diesem Genre zuzuordnenden Werke erklärt. Im Gefolge Defoes erschienen in den ersten 30 Jahren nach dessen Publikation 9 englische, 10 niederländische und 6 französische Robinsonaden, während in Deutschland allein für das 18. Jahrhundert von mindestens 128 Werken dieses Typs auszugehen ist.[8] Damit jedoch endet die Flut (oder richtiger: die Folge von wiederkehrenden Publikationswellen) nicht: Fuhrmann entnimmt H. Ulrichs Bibliographie aus dem Jahr 1898 die immer noch erstaunliche Zahl von 131 im 19. Jahrhundert erschienenen Werken, größtenteils aus Deutschland und Frankreich.
Dabei hatten diese zahlreichen Varianten des Themas nicht gerade den Ruf, hochwertige Literatur zu sein. Vor allem in Deutschland, wo das zahlenmäßig nicht eben große lesende Publikum mit besonders vielen Robinsonen beglückt wurde, schrieben Rezensenten in der Regel eher verächtlich von den „elenden Robinsonaden“, seufzte einer etwa:
„Abermahlen ein neuer Robinson, weilen es gewiß noch daran fehlet. Die Welt ist kaum ein wenig wiederum beruhiget worden von den vielen Robinsons, damit man sie überhäuffet...“[9]
Im Gegensatz zum davon deutlich abgegrenzten Original Defoes galten die meisten Robinsonaden also (mit Ausnahme derjenigen Campes, Schnabels und einer Handvoll weiterer Werke) als zweit- und drittklassige Literatur, Trash sozusagen, der etwa bei Buchauktionen im Gegensatz zur üblichen Praxis meist ohne Besitzerangabe versteigert wurde, wie Fohrmann in seiner eindrücklichen Darstellung der Entwicklung von Alphabetisierung, Buchmarkt und Leseverhalten im Deutschland des 18. Jahrhunderts anmerkt.[10] Bevor die Robinsonade schließlich ab Ende des 18. Jahrhunderts in den Bereich der Kinder- und Jugendliteratur rutschte, befand sie sich in einem Spannungsfeld, in dessen Zentrum das erwachte Selbstbewusstsein des Bürgertums stand, das nach Romanen verlangte, die „das vernünftig-tugendorientierte Leben des bürgerlichen Privatbereiches vorbildhaft schilderte(n)“[11], einem Bedürfnis, dem das Buch Defoes entsprechen mochte und wohl auch noch der penetrant pädagogisierende Robinson Campes, die meisten anderen Genrebeispiele jedoch eher nicht, spiegelten sie doch zu beträchtlichen Teilen eher den kaum eingestandenen Wunsch nach Ausbruch aus dem bürgerlichen Normenkorsett, Abenteuer und durchaus auch einer gewissen Exotik wider.
2. Defoes Robinson: Apologie der bürgerlichen Existenz
Für Defoe war das Robinson-Motiv in erster Linie eine Möglichkeit, die konstituierenden Prinzipien der bürgerlichen Gesellschaft unter den Verfremdungsbedingungen der Inselexistenz zu bestätigen. Diese Prinzipien waren für ihn Besitzakkumulation, Arbeit und Privateigentum. Robinson wurde hier zum Sinnbild der aufklärerischen Vorstellung, nach der der „natürliche“ Mensch in jedem Stadium bereits besitzender Bürger ist, Privateigentum also eine natürliche Grundeigenschaft des Menschen sei. Diese Vorstellung ist geprägt von einem englischen Bürgertum, das bereits im vollen Selbstbewusstsein seiner ökonomischen und politischen Macht steht und nicht mehr gezwungen ist, gegen feudale Fesseln anzugehen. Manfred Wojcik skizziert dieses ideologische Motiv wie folgt:
„Defoes Robinson ist das in der künstlerischen Phantasie gestaltete Bild des Individuums des 18. Jahrhunderts, des Produkts 'einerseits der Auflösung der feudalen Gesellschaftsformen und der in diesem Prozeß emporwachsenden modernen bürgerlichen Gesellschaft, andererseits der seit dem 16. Jahrhundert neuentwickelten Produktivkräfte und seine Inselexistenz demzufolge ästhetischer Reflex sowohl der bis zu dieser Zeit entwickelten gesellschaftlichen Verhältnisse, der bürgerlichen Stufe des historischen Prozesses der Vereinzelung und Individuation als auch des auf dieser Stufe erreichten Reifegrades des individuellen Menschen, seines Selbstbewußtseins und Selbstvertrauens, seiner Eigenschaften, Vermögen, Fähigkeiten und produktiven Kräfte.“[12]
Manche heutige Versuche, Defoes nathropoligische und nationalökonomische Weltsicht zu sichten, entbehren nicht einer gewissen unfreiwilligen Komik. So gibt es da z.B. die Dissertation eines Peter J.E. Malborn, der „die volkswirtschaftliche Realität und ihre Wahrnehmung durch Daniel Defoe“ untersucht und, nachdem er gerade noch im Kapitel zuvor in einem Exkurs (dessen Aufhänger die Marxsche Robinson-Rezeption in MEW 23 ist) Marx „erledigt“ hat, im Schlusswort seiner Arbeit schwer empört feststellt:
„Defoe vertritt in seinen nichtfiktionalen Werken wie in seinen Romanen eine materialistische Konzeption, die er in alle Bereiche der zwischenmenschlichen Beziehungen ausdehnt. Damit reduziert er fast die gesamte menschliche Existenz auf das was er unter dem Begriff Kaufmann versteht. Dabei macht er auch vor der Religion nicht halt und setzt Menschen, die religiöse Ehrfurcht besitzen, zu Trotteln herab (...). Religion und damit verbundene Wertvorstellungen wie Nächstenliebe oder Sündenvergebung werden in die Randzonen des Lebens gedrängt.(...) Defoe ersetzt also in seinen Werken Liebe durch Sex, Ehrfurcht durch Lächerlichkeit und Treue durch materiell motivierten Opportunismus.“[13]
Dies ist natürlich ein schwerwiegendes Missverständnis, das dem lebenslangen Presbyterianer, Whig und religösen Dissenter Unrecht tut, den Hans-Jörg Tidick in seiner Untersuchung der ökonomischen, politischen und literarischen Positionsbestimmungen Defoes als einen „der führenden Ideologen des Kleinbürgertums während des ersten Drittels des 18. Jahrhunderts“[14] charakterisiert.. Und gerade, wenn man den „Robinson Crusoe“ herausgreift, so ist die Gesamtstruktur des Romans eingebettet in „das Streben, das eigene Leben innerhalb eines größeren, religiös fundierten Sinngefüges zu begreifen“[15]. Das hindert Robinson jedoch nicht daran, sich in diesem Rahmen in erster Linie dem Gewinnstreben hinzugeben, das etwa Dieter Petzold in seiner Interpretation als zentrales Motiv seiner Rastlosigkeit annimmt. Hierbei begibt der Protagonist sich jedoch in einen nur schwer lösbaren Widerspruch. Da er sich seiner wirklichen Motivation für die zahlreichen Reisen nicht bewusst sei, könne er davon auch nicht sprechen. So bestimme das gesellschaftliche Sein letztlich weniger sein Bewusstsein, als vielmehr sein Unterbewusstsein. Seinem kaufmännischen Wagemut verdanke Robinson sein Vermögen, zugleich jedoch müsse ihm dieser vor dem Hintergrund der von seinem Vater vertretenen ökonomischen Lehre als Torheit und aus Sicht der calvinistischen Ethik seine Abenteuerlist als Sünde erscheinen.[16] So scheint auch gelegentlich ein Ansatz von schlechtem Gewissen bei Robinson durch, was allerdings nichts daran ändert, dass die Kombination von Gewinnstreben und Entdeckergeist zu seiner Zeit und den kolonialen Aspirationen ihrer herrschenden Klassen gehörte. Ohnehin ist das nur halb Ausgesprochene oder als Selbstverständlichkeit Übersehene in Defoes Roman deutlich präsent und wohl auch charakteristisch für das Bewusstsein des Autors selbst.
„In Wirklichkeit gründet ja der wirtschaftliche Erfolg, den Robinson gelegentlich Gottes gütiger Fügung zuschreibt (...), und der zugleich auf der Tüchtigkeit seines Helden zu basieren scheint, auf der Ausbeutung von Arbeitskräften (Sklaven) und der Ausnützung von Handelsmonopolen. Davon ist in 'Robinson Crusoe' natürlich niemals die Rede. Robinson sieht seine Gewinne als legitimen Lohn für seine risikoreiche Tätigkeit als Überseekaufmann.“[17]
Dieses elegante Umschiffen der profanen Ausbeutungsverhältnisse trug sicherlich zur Beliebtheit des Romans bei, wie auch Petzold vermutet. Er bestätige offenbar den weitverbreiteten Glauben (um nicht zu sagen: das Wunschdenken) dass auch und gerade in einer kapitalistischen Gesellschaft wirtschaftlicher Erfolg das Resultat von Tüchtigkeit und göttlichem Wohlwollen sei und damit ein eigenes Verdienst und nicht etwa auf Ausbeutung basiere.[18] Hinzu komme, dass Defoe in seinem Roman ein interessantes Kunststück fertigbringe, das wiederum auf die Widersprüchlichkeit des bürgerlichen Bewusstseins seiner Zeit verweist, nämlich
„zu zeigen, dass Ungehorsam gegenüber den Autoritäten Sünde ist und automatisch Bestrafung nach sich zieht und gleichzeitig, daß sie die Grundlage, ja die Voraussetzung für ein interessantes und erfolgreiches Leben darstellt, ohne daß der Widerspruch sofort sichtbar würde. Auf diese Weise gelingt es, Tendenzen einer repressiven Moral mit typisch bürgerlichen (wenn nicht gar allgemein menschlichen) Wunschphantasien zu verbinden. So kann das Buch den Zögling wie den Erzieher gleichermaßen befriedigen.“[19]
Nun hat die ganze Sache nur einen Haken: Defoes Schilderung des wagemutigen kaufmännischen Abenteuers ist zu diesem Zeitpunkt bereits ein Anachronismus. Expeditionsfahrten in ferne Länder, koloniale Expansion und interkontinental reisendes Glücksrittertum war in England, wie in allen überseeisch engagierten europäischen Staaten, längst nicht mehr die Angelegenheit individueller gottesfürchtiger Abenteurer sondern das Tätigkeitsfeld organisierter und staatlich begünstigter Handelskompanien, deren Geschäftsrisiko wie auch die beträchtlichen Gewinnaussichten sich auf zahlreiche Investoren verlagert hatte, so etwa der niederländische Ostindienkompanie, der englischen East India Company (die zu dieser Zeit bereits im Begriff war, ihre Fühler nach Indien auszustrecken und bereits wenige Jahrzehnte später mit dem Sieg in der Schlacht bei Plassey ihren entscheidenden Durchbruch bei der kolonialen Eroberung des Subkontinents erzielen sollte) oder etwa die gleichgelagerten Gesellschaften der konkurrierenden Franzosen. Der Mangel an Kapital, das für solche raumgreifenden Unternehmungen benötigt wurde, führte notwendigerweise zu dieser Verlagerung weg von glücksuchenden kleinbürgerlichen Einzelunternehmern hin zu den finanzstarken Gesellschaften mit Förderern und Profiteuren in Großbürgertum und Hochadel. Und so ist Defoes Roman einerseits eine Gedankenspielerei, die von den realen ökonomischen Verhältnissen der Zeit bereits weitgehend entrückt war, zugleich aber auch die selbstbewusste Behauptung eines Anspruchs des bürgerlichen Besitzindividualismus gegenüber einer ökonomischen Realität, in der das Kapital bereits in organisierterer Weise agiert und die Existenz des einzelnen Kleinbürgers als Kaufmann in dieser Machtkonstellation unterzugehen droht. So erklärt sich denn auch der Widerspruch zwischen einer einerseits angestrebten moralischen, ökonomischen und gottgefälligen Lebensführung, dem andererseits zumindest gedanklich noch verfolgten weltumgreifenden Abenteuer des Handels und der kolonialen Besitzakkumulation. Diese Widersprüchlichkeit, die sich im „Robinson Crusoe“ widerspiegelt, ist, bei aller Selbstverständlichkeit, mit der Robinson agiert, in Besitz, nimmt und akkumuliert und mit der Defoe den Bourgeois als den gleichsam natürlichen Menschen ausmalt, Ausdruck einer nicht unbeträchtlichen Verunsicherung des Kleinbürgers, der – hin und hergerissen zwischen der Furcht vor dem Ruin und der Hoffnung auf wirtschaftlichen Aufstieg – auf der Suche nach dem Rezept für ein erfolgversprechendes Leben ist, um der sozialen Deklassierung zu entgehen.
[...]
[1] Biesterfeld 1982, S. 53
[2] Vgl. Wojcik 1979, S. 6
[3] Fohrmann 1981, S. 20
[4] Reckwitz 1976, S. 23
[5] Reckwitz 1976, S. 12
[6] Fohrmann 1981, S. 175 ff
[7] Zitiert bei: Reckwitz 1976, S. 1
[8] Fohrmann 1981, S. 20 f
[9] So zu lesen in den Franckfurtischen Gelehrten Zeitungen 1745, zitiert in: Fohrmann 1981, S. 4
[10] Fohrmann 1981, S. 26 ff
[11] Haas 1977, S. 91
[12] Wojcik 1979, S. 7
[13] Malborn 1999, S. 133 (Ich konnte es mir nicht verkneifen, dieses Dokument der Bigotterie eines promovierenden Wirtschaftswissenschaftlers dem Vergessen im Magazin der Deutschen Bibliothek zu entreißen.)
[14] Tidick1983, S. 78
[15] Petzold 1982, S.68
[16] Vgl. Petzold 1982, S. 73
[17] Petzold 1982, S. 74
[18] Vgl. Petzold 1982, S. 75
[19] Petzold 1982, S. 75f
- Citation du texte
- Lutz Getzschmann (Auteur), 2008, Arbeitsteilung, Privateigentum und Staat in der literarischen Inselutopie des 18. Jahrhunderts, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/133077
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