Unser Blick auf Tragik/Tragödie und Komik/Komödie ist von der Reflexion der antiken Philosophie des 4. Jhs. v. Chr. entscheidend geprägt. Ohne Kenntnis der hier gelegten Fundamente und die Abgrenzung dieser deskriptiven Theorien von der theatralen Praxis des 5. Jhs. wird daher die Auseinandersetzung mit tragischen und komischen Elementen im antiken Drama oberflächlich bleiben. Schon die Unkenntnis oder doch nur spekulative Annahme hinsichtlich der Herkunft der Begriffe »Tragödie« und »Komödie« macht deutlich, wie weit sich Platon und Aristoteles von den eigentlichen Ursprüngen entfernt haben, die auch für uns fast völlig im Dunkeln liegen. Daß Tragödie und Komödie ursprünglich keine poetologischen/ästhetischen Begriffe sind, ist dagegen mit einiger Sicherheit anzunehmen.
Was im 5. Jh. tragisch, was komisch ist, unterliegt konkreten historischen Voraussetzungen und Gegebenheiten und kann keinesfalls verallgemeinert werden. Dabei ist noch nicht einmal mit Sicherheit festzustellen, ob ein solcher Diskurs im 5. Jh. überhaupt bestanden hat oder sich erst im 4. Jh. mit der Verbreitung der philosophischen Schulen ausbreitete. Die Trennung Tragik–Komik ist, wie sich im antiken Drama zeigt, mitnichten zwingend. Komische Elemente finden sich bereits in den Tragödien des Aischylos, so in der Orestie. Die Trennung Tragödie – Komödie bedeutet nicht zugleich Trennung von Elementen tragischer und/oder komischer Wirkung!
Die Zuweisung komischer Handlungselemente zur niedrigen Form der Komödie, ebenso wie die tragischer Elemente zur erhabenen Gattung der Tragödie kommen erst in deskriptiven Reflexionen zur Poetik des Dramas und seiner Wirkung zum Tragen. Während der ›klassischen Periode‹ sind Komik und Tragik sowohl Elemente der Komödie als auch der Tragödie – wenngleich in je unterschiedlichem Maße und verschiedener Funktion. Die Affekte Jammer und Schrecken, bzw. Lachen sind nicht selbstreferentiell (bezüglich der Reinigung von der schädlichen Wirkung ebendieser Affekte), sie sind aber auch nicht lediglich dramaturgische Effekte der Spannungssteigerung/-lösung. Im 5. Jh. bleiben sie eingebunden in den kultischen Zusammenhang der Theateraufführungen. Die Institution ›Tragödie‹, respektive ›Komödie‹ hat ihren Grund in der gemeinschaftsstiftenden Funktion für die Polis. Lachen/Jammer, bzw. Schrecken sind hier kaum als ästhetische Phänomene angesehen worden.
Im Folgenden wird eine Funktionsbestimmung von Komik und Tragik im Drama des 5. vorchristlichen Jhs. vorgenommen.
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
1. Tragik und Komik – Mythos und Poetik
1.1. Das Lachen der Götter oder Das »Homerische Gelächter«
1.2. Dionysos und die Dionysien
1.3. Komödie – Tragödie
1.4. Lachen als Verkehrung: Das Satyrspiel
1.5. Das reinigende Lachen/ Die tragische Katharsis
1.6. Schein und Sein – Das Problem der Unzulänglichkeit menschlicher Erkenntnis
1.7. Die Reflexion des Problems in der Philosophie des 4. Jhs
2. Die Helena des Euripides
2.1. Palintonos Harmonia: Komik oder Tragik
2.2. Stoff der Helena
2.3. Besonderheiten der Handlung
2.4. Die Figuren
2.4.1. Rollentausch
2.4.2. Geschlechtertausch
2.4.3. Marginale Tragik: Die Theonoe-Figur
2.5. Der tragische Grund der Komik
2.6. Odyssee-Parodie
2.7. Lachen über Troja – die politische Dimension der Helena
2.8. Ausblick: Euripides als Vater der mittleren/neuen Komödie
Literatur
Einleitung
Unser Blick auf Tragik/Tragödie und Komik/Komödie ist von der Reflexion der antiken Philosophie des 4. Jhs. v. Chr. entscheidend geprägt. Ohne Kenntnis der hier gelegten Fundamente und die Abgrenzung dieser deskriptiven Theorien von der theatralen Praxis des 5. Jhs. wird daher die Auseinandersetzung mit tragischen und komischen Elementen im antiken Drama oberflächlich bleiben. Schon die Unkenntnis oder doch nur spekulative Annahme hinsichtlich der Herkunft der Begriffe »Tragödie« und »Komödie« macht deutlich, wie weit sich Platon und Aristoteles von den eigentlichen Ursprüngen entfernt haben, die auch für uns fast völlig im Dunkeln liegen. Daß Tragödie und Komödie ursprünglich keine poetologischen/ ästhetischen Begriffe sind, ist dagegen mit einiger Sicherheit anzunehmen.
Was letztendlich im 5. Jh. tragisch, was komisch ist, unterliegt konkreten historischen Voraussetzungen und Gegebenheiten und kann keinesfalls verallgemeinert werden. Dabei ist noch nicht einmal mit Sicherheit festzustellen, ob ein solcher Diskurs im 5. Jh. überhaupt bestanden hat oder sich erst im 4. Jh. mit der Verbreitung der philosophischen Schulen ausbreitete. Die Trennung Tragik – Komik ist, wie sich im antiken Drama zeigt, mitnichten zwingend. Komische Elemente finden sich bereits in den Tragödien des Aischylos, so in der Orestie, wo sie – trotz Happy-End – nicht zum Tragen kommen. Die Trennung Tragödie – Komödie bedeutet nicht zugleich Trennung von Elementen tragischer und/ oder komischer Wirkung!
Die Zuweisung komischer Handlungselemente zur niedrigen Form der Komödie, ebenso wie die tragischer Elemente zur erhabenen Gattung der Tragödie kommen erst in deskriptiven Reflexionen zur Poetik des Dramas und seiner Wirkung zum Tragen. Während der ›klassischen Periode‹ sind Komik und Tragik sowohl Elemente der Komödie als auch der Tragödie – wenngleich in je unterschiedlichem Maße und verschiedener Funktion. Die Affekte Jammer und Schrecken, bzw. Lachen sind nicht selbstreferentiell (bezüglich der Reinigung von der schädlichen Wirkung ebendieser Affekte), sie sind aber auch nicht lediglich dramaturgische Effekte der Spannungssteigerung/ -lösung. Im 5. Jh. bleiben sie vielmehr eingebunden in den kultischen Zusammenhang der Theateraufführungen. Die Institution ›Tragödie‹, respektive ›Komödie‹ hat ihren Grund in der gemeinschaftsstiftenden Funktion für die Polis. Lachen/ Jammer, bzw. Schrecken sind hier kaum als ästhetische Phänomene angesehen worden.
Im 5. Jh. v. Chr. ist Oralität (obschon in abnehmendem Maße) noch das dominante Mittel der Kommunikation, sie ist prinzipiell dynamisch und läßt normative Regeln sowie feste Gattungsbegriffe für die Poetik kaum zu. Zudem ist der Bereich Ästhetik – Empirie noch nicht in dem Maße voneinander getrennt, wie das zum Ausgang des 5. und insbesondere im Verlauf des 4. Jhs. der Fall sein wird.
Im Folgenden wird der Versuch unternommen, zu zeigen, daß Komik und Tragik im 5. Jh. v. Chr. weder einen starren Gegensatz bilden, noch mit Gattungsbegrifflichkeiten zusammenfallen und schon gar keiner ethisch-moralischen Wertung unterliegen, wie sie sich in der Folgezeit, insbesondere unter dem Einfluß Platons und Aristoteles’, ausbilden.
1. Tragik und Komik – Mythos und Poetik
1.1. Das Lachen der Götter oder Das »Homerische Gelächter«
Der Einfluß der homerischen Epen auf die Entwicklung der Tragödie ist unbestreitbar und offenbar bereits früh erkannt worden. Bereits Xenophanes (um 580 – 470 v. Chr.) spricht – wenngleich kritisch – von dem großen Einfluß der homerischen Epen auf die griechische Geisteswelt[1].
In seiner kritischen Auseinandersetzung mit der Dichtkunst in der Politeia nimmt Platon kaum eine differenzierte Trennung zwischen Tragödie und Epos vor und nennt Homer mehrfach ›Lehrer‹, ›Ahnherr‹ und ›Wegweiser‹ der tragischen Dichter[2]. Für Aristoteles schließlich, der in seiner Poetik das Epos erst nach Abhandlung der Tragödie näher beschreibt, sind Odyssee und Ilias archetypische Modelle der Tragödie. Immer wieder weist er auf die Parallelen von Epos und Tragödie hin. Während aber Platon den Sizilier Epicharm (den Aristoteles neben den Megarern auch noch nennt[3]) als »Ahnherrn der Komödie«[4] bezeichnet, sieht Aristoteles in Homer sowohl den »Vater der Tragödie«[5], als auch den »Vater der Komödie«[6]. Dabei bezieht er sich allerdings nicht auf eines der großen Epen, sondern auf den Margites. Dennoch ist er der Meinung, daß die Wirkung der Odyssee eher mit der Wirkung der Komödie übereinstimme, denn mit der der Tragödie[7]. Selbst Aristoteles räumt also ein, daß sich Tragik und Komik in gewisser Weise vermischen lassen (aber besser nicht vermischt werden sollten![8]). Im 24. Kapitel der Poetik schreibt er:
Denn von seinen beiden Dichtungen ist die eine, die Ilias, so zusammengefügt, daß sie einfach und von schwerem Leid (pathetikós) erfüllt ist, die andere, die Odyssee, so, daß sie kompliziert (denn sie ist als Ganze Wiedererkennung) und auf Charakterstellung (ethikón) bedacht ist.[9]
Aristoteles’ Differenzierung der beiden Epen mit Hilfe der Begriffe pathós und ethós sowie der Verweis auf die ›komische Wirkung‹ der Odyssee gegenüber der heroischen Ilias, ist sicherlich angemessen. Die ausführlichen Schilderungen des Alltagslebens und der ›kleinen Leute‹ in der Odyssee, die Anlage des Helden als ›schlauer Überlister‹ sowie das Happy-End haben den Stoff nicht allein für das – von komischen Elementen lebende – Satyrspiel des 5. Jahrhunderts v. Chr. zu einer ergiebigen Fundgrube gemacht[10]. Und daß auch die Anagnorisis nicht allein tragisches Mittel sein muß, wird am Beispiel Euripides’ noch ausführlich gezeigt werden.
Die knappe Darstellung der Beurteilung Homers als (ein) ›Vater von Tragödie und Komödie‹ ließe sich an unzähligen Beispielen belegen. An dieser Stelle soll paradigmatisch nur ein Motiv Homers aufgegriffen werden, das mir jedoch geeignet scheint, die Ambivalenz des Komischen knapp zu skizzieren. Es geht um das sprichwörtlich gewordene »Lachen der Götter« oder das »Homerische Gelächter«.
In diesem Zusammenhang spielt der Gott Hephaistos eine zentrale Rolle. An dieser Stelle ist kein Platz, das umfangreiche und ambivalente Oeuvre des überaus dynamischen Gottes hinreichend darzustellen. Es sei hier nur auf seine Funktion für das »Lachen der Götter« hingewiesen. Als meisterlicher Handwerker und Erbauer der olympischen Paläste, zog er – so der Mythos – aufgrund seiner häßlichen Gestalt immer wieder den Zorn und das Gespött der Götter auf sich.[11] Das Gelächter der Götter über den von seiner Gemahlin Aphrodite betrogenen Gott gilt neben dem entblößten Ares vor allem dem gehörnten Ehemann, der sich dem Spott durch List und handwerkliches Können freilich selbst ausgeliefert hat[12]. Paradigmatisch ist auch die Szene am Ende des ersten Gesanges der Ilias: hier schafft es Hephaistos, den Streit der Götter in ein schallendes Gelächter[13] aufzulösen, das freilich ein Lachen über ihn, seine häßliche Gestalt und sein ebenso unbeholfenes wie geschäftiges Gebaren ist[14]. Zugleich jedoch bewirkt das Lachen eine Katharsis, die den Streit der Götter in ein Festmahl und die eheliche Vereinigung des obersten Götterpaares[15] ausklingen läßt. Der Streit löst sich zwangsläufig in Wohlgefallen auf. Der Kampf der Götter wird zum Spiel mit glücklichem Ausgang[16] – zur ›Komödie‹. Der Grund dieser ›Komödie‹ jedoch ist durchaus tragisch: der Krieg um Troja vernichtet nahezu die gesamte Elite Griechenlands. Hephaistos, der die anderen Götter zum Lachen bringt, indem er selbst verlacht wird, ist »die Umschlagstelle der wechselseitigen Bedingtheit von heiterem Götterleben und tödlich ernstem menschlichem Handeln.«[17] Nicht durch kluge Rede also setzt Hephaistos die Widersprüche unter den Göttern außer Kraft. Allein seine Erscheinung hebt den Affekt des Zorns im noch stärkeren Affekt des Gelächters auf. Hier zeigt sich das »Homerische Gelächter« in seiner ganzen Ambivalenz: die Fähigkeit, Anlaß zum Lachen zu geben und somit Konflikte zu lösen, geht Hand in Hand mit der Negation der eigenen Gestalt, die das Objekt des Lachens darstellt.
1.2. Dionysos und die Dionysien
Das wichtigste Fest der attischen Polis waren die Großen Dionysien[18] zu Ehren des Dionysos, der zugleich der Gott des Theaters, der Masken und des Weines, des Rausches und des Wahnsinns war. Im alten Kult kam ihm zudem noch die Rolle des Vermittlers zwischen empirischer Welt und Jenseits zu. Er galt als Zerstörer der Haushalte und als Garant für die Fruchtbarkeit. Als »epidemischer« Gott waren seine ebenso zahlreichen wie unterschiedlichen Epiphanien gebunden an die unterschiedlichsten Rituale. Der umherstreifende Gott verkörperte als »Form ewigen Wandels«[19] die Dynamik allen Werdens und mußte schon deshalb den großen Philosophen des Seins suspekt sein. Als Erscheinung des Fremden sicherte er zugleich die Ordnung des Bestehenden. In der Einholung des Gottesbildes anläßlich der Städtischen Dionysien zeigt sich dieses zivilisierende Element. Der Kommos ermöglicht zugleich ein karnevalistisches Ausagieren von sozialen Widersprüchen.
Dionysos oder Bakchos (der noch viele andere Namen trug) ist alles andere als ein gewöhnlicher Gott. Er ist in jeglicher Hinsicht ambivalent. Als Gott der Maske und Verwandlung verkörpert er die Grundaporie aller Darstellung im Theater: die Ambivalenz zwischen Sein und Schein. Das beginnt mit seinem Gottsein. Man dachte sich Dionysos nicht mit den anderen »neuen« Göttern auf dem Olymp bei Zeus, Hera, Apollon und Co., Homer nennt ihn kaum, der aristokratischen Gesellschaft der Ilias und Odyssee mußte er suspekt sein. Die zahlreichen Mythen, die sich um Gestalt und Herkunft des Dionysos ranken, veranschaulichen lebhaft, wie sich der Weingott einen Platz unter den Göttern und seine Anerkennung durch die Menschen erst sichern mußte. Dieser Prozeß spiegelt sich nicht zuletzt in den Kulten wieder.[20] Erst Solon (oder Peisistratos)[21] integrierte den ländlichen Kult des Dionysos in den offiziellen Götterdienst der Polis und erhob ihn somit zum wichtigsten Gott Attikas überhaupt.
Doch erschöpfte sich die Funktion der Feste nicht im Gotteskult und in der Verehrung. Ihre Funktion war geradezu konstitutiv für das Selbstverständnis des attischen Bürgertums, dessen Identität sich erst im Brennpunkt zwischen Fest und Alltag herauszubilden schien (zumal Götterdienst bei den Griechen des 5. Jh. nie losgelöst von den übrigen Bereichen sozialen und gesellschaftlichen Lebens existierte[22]). Die Feste dienten dem Selbsterleben der Gemeinschaft. Differenzen, Gegensätze und Konflikte des Alltags traten für diesen Zeitraum zurück hinter die Erfahrung der Zusammengehörigkeit der Bürgerschaft. Sie entschärften materielle Spannungen, da reiche Bürger in die Ausstattung investierten (leiturgia), »sie entlasteten, indem sie die Ordnung und Disziplinierung des Alltags außer Kraft setzten und deren weiteres Funktionieren erleichterten«[23], sie hatten Ventilfunktion, indem sie Kritik, Spott und Ausgelassenheit beförderten. Der Rausch des Festes – als Gegenentwurf zum Alltag– ist als kultivierte bzw. kanalisierte Entgrenzung zu verstehen, als institutionalisierter Ausbruch aus der Alltagswelt, der zwangsläufig immer wieder in diesen zu münden hat. Christian Meier behauptet, das Fest sei für den Alltag ebenso wichtig, wie der Alltag für das Fest, daß also beide einander wechselseitig bedingen. Demnach entstünde die »spezielle Balance, welche das Politische braucht, in der Öffentlichkeit des Festes immer neu.«[24] Im Fest erlebte sich die Bürgerschaft ganz unmittelbar selbst und gewann aus der Distanz zum Alltag zugleich eine konstruktiv-kritische Haltung gegenüber diesem. Der Zusammenhalt der Polisgemeinschaft mußte ja stets neu erzeugt werden. Der daraus erwachsende Bedarf an Selbstvergewisserung konnte gerade auch im Fest befriedigt werden: im Kontakt mit den Göttern, unter deren Schutz. Auch hier spielte Politik eine herausragende Rolle. Nur eben auf einer anderen Ebene. »Je größer die Erfolge, der Reichtum, die Macht der Stadt, um so mehr war sie den Göttern schuldig; an Opfern, an Anteilen aus der Beute, aber auch an Festen. Dem Nehmen mußte ein Geben korrespondieren.«[25] Dasselbe galt für die Anstrengungen der Polisbürger für die Stadt, die im Fest einen mentalen und materiellen Ausgleich erfuhren. Darin verstärkte sich die Rolle der Stadt für den Einzelnen; darin »erfüllte sich ihre Öffentlichkeit.«[26]
Dies wiederum gilt insbesondere für die Theateraufführungen im Rahmen der Dionysien. Unter der Schirmherrschaft des Gottes fanden während der Städtischen Dionysien neben den Dithyrambenwettbewerben (seit ca. 509) die Agone um die Meisterschaft in Tragödie (für 534 erstmalig belegt) und Komödie (seit 486) statt. Während die Tragödie Themen des hic et nunc am Mythos durchspielte und in der Distanz[27] die Gegenwart verständlich zu machen suchte, projizierte die Komödie aktuelle Probleme des politischen[28] Alltags in eine Welt der entfesselten Phantasie und war also der Versuch, »zusammenzuhalten, was sonst in tausend Teilchen zersplitterte«[29]. Der Dithyrambos stellte den Gott auch inhaltlich ins Zentrum.
Allein die Einrichtung der Dionysien beweist, daß die Athener des 5. Jahrhunderts durchaus in der Lage waren, Tragik und Komik auch institutionell in einen Zusammenhang zu bringen. Was den Philosophen des 4. Jahrhunderts als gattungsmäßig problematisch erscheint, war im Rahmen der Dramaturgie eines mehrtägigen Festes immerhin möglich.
Gegen Ende des 5. Jahrhunderts wird die herausragende Funktion des Theaters – als Ort der Tradierung und Erneuerung von Wissen – zunehmend von den philosophischen Schulen übernommen. Der Übergang von oraler Kultur[30] zu schriftlicher Gelehrsamkeit ist nicht aufzuhalten. Die Reinstallation der klassischen Tragödie, wie sie Dionysos in Aristophanes’ Fröschen mit der Erlösung Aischylos aus dem Hades bezweckt, muß an der gesellschaftlichen und sozialen Realität der Gegenwart des 5. Jhs. v. Chr. scheitern. Dionysos wird sich, ähnlich Orpheus, auf dem Weg aus der Unterwelt sehnsüchtig umgedreht haben, so daß ihm Aischylos nunmehr endgültig verloren ging …
1.3. Komödie – Tragödie
Während die unterschiedlichen Dramen-/ Spielformen im Rahmen des Festes aufgehoben sind und nebeneinander akzeptiert werden, scheint doch eine klare Trennlinie zwischen den dramatischen ›Gattungen‹ vor allem der Tragödie und der Komödie zu verlaufen. Lange vor Ciceros »est in tragoedia comicum vitiosum et in comoedia turpe tragicum«[31] setzt die Bemerkung Sokrates’ in Platons Symposion und die (Nicht-)Reaktion der Vertreter beider ›Gattungen‹ (Agathon und Aristophanes) stillschweigend voraus, daß diese Trennung als bis dato allgemeingültig anerkannt wird.[32] Dasselbe gilt für die Spezialisierung von Autoren[33] und Schauspielern[34] auf jeweils eine der dramatischen ›Gattungen‹. Tatsächlich scheint die Trennung von Produzenten der Tragödie und Komödie absolut gewesen zu sein, in jedem Fall fehlen Zeugnisse, die das Gegenteil belegen würden. Dennoch wissen wir aus den Komödien des Aristophanes, daß die Komödie nicht selten auf die Tragödie ihrer Zeit Bezug nahm.[35] Auch ist trotz dieser faktischen Trennung noch nichts über die Vermischung komischer und tragischer Elemente in der jeweiligen ›Gattung‹ ausgesagt.
Wenngleich die antike Dramentheorie eine nachträgliche Verfestigung gängiger Spieltypen zu einer regelrechten ›Poetik‹ vornimmt und somit historisch konkrete Tatsachen verwischt oder uminterpretiert, müssen wir doch davon ausgehen, daß Tragödie und Komödie, schon aufgrund ihrer unterschiedlichen Genealogie, gewachsene Eigenarten besitzen, die eine solche Trennung einleuchtend erscheinen lassen. Zumal die überlieferten Zeugnisse antiker Dramatik die deskriptive Theorie durchaus zu bestätigen scheinen. Demnach unterscheiden sich Tragödie und Komödie in vier wesentlichen Hauptpunkten voneinander[36]:
1) moralische/ ethische Qualität und/ oder soziale Position der Helden
2) Stoffe sowie Qualität und dramatische Struktur der Handlungen
3) Stil
4) Wirkung
Hier wird schon deutlich, daß dieses Schema nicht unbedingt in allen Punkten zutreffen muß, wie in vielen Tragödien des Euripides (aber beispielsweise auch in Aischylos’ Eumeniden) der Weg nicht »vom Glück ins Unglück«, sondern zu einem Happy-End führt, während seine Helden oft nicht den Ernst und die Erhabenheit des überlegenen Helden mit sich bringen und ganz alltägliche Fehltritte begehen, so daß die Wirkung auch beim attischen Publikum oft eine komische gewesen sein muß. Die Kritik des Euripides vor der Folie der ayschyleischen Dramatik in Aristophanes’ Fröschen macht deutlich, daß der Komödiendichter ganz ähnliche Argumente für die Charakterisierung Euripides’ ins Feld führt wie später die Philosophen, obwohl es Aristophanes hier nicht im eigentlichen um poetische Qualität als vielmehr um politische Relevanz gegangen sein dürfte. Dennoch bleibt festzuhalten, daß der Begriff Tragödie im 5. Jahrhundert vor allem die ›Institution Tragödie‹ meint, während sich der Gattungsbegriff erst im kommenden Jahrhundert ausprägt. Der Begriff der ›Tragikomödie‹[37] ist also für das Drama der klassischen Periode in jedem Sinne ungeeignet, zumal er in erster Linie als Gattungsbegriff konnotiert ist. Darüber hinaus ist daran zu erinnern, daß jede Tragödientrilogie mit einem Satyrspiel endet, in dem die komischen Elemente immer überwiegen. Das Problem der Vermischung von Tragik und Komik ist zumindest im 5. Jahrhundert bezüglich einer Gattungsnorm unerheblich.
An vielen Stellen im Werk Euripides’ läßt sich zeigen (und ich werde das an entsprechender Stelle tun), daß die Vermischung komischer und tragischer Elemente sogar zu einer Steigerung von Spannung und Wirkung führen kann; ähnliches gilt für die Verwendung von tragischen Elementen in der Komödie. Die Interdependenzwirkung komischer Momente im tragischen Kontext (»comic relief«) kann die tragische Wirkung jedoch auch in einem Lachen aufheben, ist im einzelnen also situationsabhängig und für uns am attischen Zuschauer nicht überprüfbar, da letztendlich die Wirkung der Komik – als die Tragik verstärkendes oder aufhebendes Element – eine Frage der Ethik darstellt und auf moralischen Prä-/Dispositionen des Rezipienten beruht. Zugleich verweist diese Problemstellung auf die »tragische Ironie« (vgl 2.6.). Eine Unterscheidung der komischen Wirkung ließe sich allerdings in folgender Hinsicht treffen:
1) die Figur/ Situation wird explizit als komisch ausgewiesen, wie das beim »Homerischen Gelächter« der Fall ist;
2) die Figur/ Situation bewirkt durch ihre Unangemessenheit/ Unverhältnismäßigkeit/ Irrealität Lachen beim Publikum, ohne im Handlungszusammenhang als Komik ausgewiesen zu sein;
3) Wissensdifferenzen zwischen Publikum und Figur können aber auch dazu führen, daß das Verhalten der Figur im tragischen Sinn als unangemessen erscheint (tragische Ironie, z.B. in Sophokles’ Oidipus);
[...]
[1] vgl. H.Diels/ W.Kranz. Die Fragmente der Vorsokratiker. Bd 1. Berlin 1989. Frgm. B 10
[2] vgl. Platon. Der Staat. Buch 3, 4 und 10
[3] Aristoteles. Poetik 1448, 33f
[4] Platon. Theaetet 152e
[5] Aristoteles. Poetik 1448a, 26; 1449b, 9f
[6] ebd. 1448b, 36ff
[7] ebd. 1553a, 30ff
[8] Auch für den späten Platon galt ja, daß Tragödien- und Komödiendichter in einer Person vereint sein müßten, meinte aber mitnichten, daß die Gattungen vermischt werden sollten. Vgl Platon. Symposion 223d
[9] Aristoteles. Poetik 1459b, 13ff
[10] Odysseus ist – wie auch im Kyklops des Euripides - neben Herakles, Sisyphos und den Satyrn selbst der häufigste Held des Satyrspiels der klassischen Periode. Vgl Das griechische Satyrspiel. Krumreich/ Pechstein/ Seidensticker (Hg.), Berlin 2000, 663ff
[11] vgl. Aristoteles. »Das Lächerliche nämlich ist ein mit Hässlichkeit verbundener Fehler, der indes keinen Schmerz und kein Verderben verursacht, wie ja auch die lächerliche Maske hässlich und verzerrt ist, jedoch ohne den Ausdruck von Schmerz.« (Poetik 1449a, 43f)
[12] Homer. Odyssee. 8.Gesang V. 267ff
[13] Homer. Ilias. 1.Gesang V. 599f
[14] Zur komischen Qualität dieser Szene s.a. Seidensticker. Palintonos Harmonia. Göttingen 1982. S 55
[15] Homer. Ilias. 1.Gesang V. 609ff
[16] vgl. Greiner. Die Komödie. Tübingen 1992, 19
[17] ebd. 19
[18] Das andere Große Fest im Zeichen des Gottes Dionysos waren die Lenäen, [...] bei dem die Tragödie eine eher akzidentielle Rolle spielte, während die Komödie im Mittelpunkt stand. Bei diesem weniger repräsentativen Fest, das offensichtlich ältere Wurzeln als die Städtischen Dionysien aufweist und wahrscheinlich näher mit dem alten Kult in Verbindung stand, waren die Athener ›unter sich‹. Die Großen Dionysien lebten ganz wesentlich von der Demonstration athenischer Macht nach außen.
[19] J. Fiebach. Vorlesungen zur Theatergeschichte. Vorlesungsnotat von L. D. Röder. WS 1998/99
[20] So in der Einholung des Gottesbildes aus dem heiligen Hain des Dionysos (Natur) in den Bereich der Stadt (Kultur) anläßlich der Großen Dionysien. Hier zeigt sich vor allem die Notwendigkeit, das Verhältnis der Bürger zum »Fremden«/ »Anderen«/ Vorkulturellen jeweils neu erfahrbar zu machen und den dunklen Bereich des Unbeherrschbaren somit für die Ordnung der Polis zu funktionalisieren.
[21] Ch. Meier. Die politische Kunst der griechischen Tragödie. München 1988, 63f
[22] vgl. J.P. Vernant. Der Mensch der griechischen Antike. Frankfurt, New York 1993, 16ff
[23] ebd. 57
[24] ebd. 10
[25] ebd. 61
[26] ebd. 61
[27] Distanz hier sowohl im zeitlichen Sinne, indem die Handlung in die graue Vorzeit des Mythos oder zurückliegende historische Ereignisse projiziert wird, als auch in ethischer Hinsicht, da mythische Helden und Götter zum Träger dieser Handlung werden (vgl Aristoteles. Poetik 1448a 17f: Charaktere, welche »besser als der Durchschnitt« sind)
[28] politisch im Sinne von »die Polis betreffend«, »die Angelegenheiten aller Bürger betreffend«
[29] E. Canetti. Die Fackel im Ohr. Frankfurt 1982, 55
[30] vgl. auch Ch. Segal. Zuschauer und Zuhörer. In: J.P. Vernant. Der Mensch der griechischen Antike, a.a.O. 219-254
[31] Cicero. De optimo genere oratorum
[32] vgl. Platon: Symposion 223d
[33] vgl. Platon: Staat 395a, 2ff
[34] ebd. 395a, 10
[35] vgl. die zahlreichen Persiflagen auf Euripides in nahezu allen aristophanischen Komödien, insbesondere in den Thesmophoriazusen, bzw. in den Fröschen, wo die Tragödie direkt thematisiert wird.
[36] vgl. auch Seidensticker. Palintonos Harmonia, a.a.O. 17f
[37] ebd. 20ff
- Citar trabajo
- Dr. Levin Röder (Autor), 2000, Palintonos Harmonia, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/132913
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