Die Vorliegende Masterarbeit befasst mit den Analogien der vernetzten Fabrik und der vernetzten Mobilität. Vor dem Hintergrund der steigenden Anforderungen und individualisierten Mobilität werden nach neuen Mobilitätslösungen gesucht. Automobilhersteller, die einst sich im Bereich der Entwicklung und Produktion von Automobilen konzentriert haben, werden immer mehr zu Mobilitätsdienstleistern.
Die Kompetenzen der Automobilhersteller im Bereich vernetzter Fabrik sollen in dieser Arbeit auf die vernetzte Mobilität transferiert werden. Dabei werden Manufacturing-Execution- und Cyber-Physical-Systems als Grundlage für die Verarbeitung von Echtzeitdaten definiert, welches die Voraussetzung für Vernetzung ist. Aus dieser Grundlage heraus wird ein generisches Ebenenmodell entwickelt, das mittels Experteninterviews validiert wird. Dieses Modell zeigt die Analogien zwischen vernetzter Fabrik und vernetzter Mobilität auf.
Aus der qualitativen und empirischen Untersuchung geht hervor, dass im Betrachtungsfeld von Echtzeitdatenmanagement Analogien zwischen der vernetzten Fabrik und vernetzten Mobilität existieren. Dabei haben sich technische Analogien innerhalb der einzelnen Ebenen herausgestellt, während hinsichtlich der Rahmenbedingungen durchaus Diskrepanzen vorhanden sind.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
1.1. Problemdefinition und Motivation
1.2. Ziel der Arbeit
1.3. Vorgehensweise und Methodik
2. Begriffliche Abgrenzung und Beschreibung des Betrachtungsgegenstandes
2.1. Vernetzte Mobilität und deren Anforderungen
2.1.1. Digitale Transformation in der Mobilität
2.1.2. Entwicklung des Vernetzungsgrades von Automobilen
2.1.3. Vernetzung als Grad der Intelligenz
2.1.4. Systemanforderungen an die vernetzte Mo b i l i tät
2.2. Prinzipien von Manufacturing-Execution-Systems
2.2.1. Einführung in den Aufbau von Unternehmen
2.2.2. Theoretische Grundlagen
2.2.3. Cyber-Physical-Systems
2.2.4. MES und CPS als Enabler für Echtzeitdatenmanagement
3. Technologietransfer und Modellentwicklung zur Darstellung der MES-Prinzipien in der vernetzten Mobilität
3.1. Mobilität
3.2. Ebenenmodell zur vernetzten Mobilität
3.2.1. Ebene 1: Das Auto der Zukunft als CPS
3.2.2. Ebene 2: Analogie aus der MES-Definition aus der Fertigung
3.2.3. Ebene 3: Die Leitstand-Ebene
3.2.4. Die Rolle der Cloud
3.3. Generisches Modell - Anwendbarkeit MES in der vernetzten Mobilität
3.3.1. Grundlagender Modellentwicklung
3.3.2. Modellerzeugung
4.Methodenauswahl und Validierung des generischen Modells
4.1.Methodenauswahl
4.2.Wissensformen und Anwendung auf das Themengebiet
4.3.Auswahl der Experten
4.4.Ziel der Befragung
4.5.Erstellung des Interviewleitfadens
4.6.Qualitative Inhaltsanalyse - Transkription der Interviews
4.7.Bewertung der Analogien zwischen den Ebenen-Modellen
4.7.1.Eindrücke und Erkenntnisse zur MES und CPS
4.7.2.Eindrücke und Erkenntnisse zur vernetzten Mobilität
4.7.3 Eindrücke und Erkenntnisse zum Generischen Ebenenmodell und Analogien zur Referenzarchitektur
5.Fazit und Ausblick
6.Literaturverzeichnis
7.Tabellenverzeichnis
8. Abbildungsverzeichnis
9. Abkürzungsverzeichnis
10. Anhang
10.1. Experteninterview - Interviewleitfaden
10.2. Qualitative Inhaltsanalyse - Transkription der Interviews
Widmung /Danksagung
An dieser Stelle möchte ich all jenen danken, die durch ihre fachliche und persönliche Kompetenz und Unterstützung zum Gelingen dieser Masterarbeit beigetragen haben.
Mein aufrichtiger Dank geht an Herrn FH-Prof. DDipl.-Ing. Dr. techn. Lukas Möltner für die fachliche Betreuung der Abschlussarbeit.
Weiterhin bedanke ich mich beim IWT-Bodensee für die Möglichkeit, die Masterarbeit in ihrem Institut anzusiedeln, und Frau Herbers und Herr Pietsch für ihre Hilfsbereitschaft und Kompetenzen in den Bereichen Mobilitätslösungen und wissenschaftliches Arbeiten.
Zudem möchte ich mich bei den ausgewählten Experten für Ihre Bereitschaft zur Durchführung meiner Interviews bedanken.
Mein besonderer Dank gilt meiner Familie, insbesondere meiner Frau, die mich während meines Studiums und der Masterarbeit unterstützt hat.
Abschließend möchte ich mich auch bei meinen zuverlässigen Korrekturlesern bedanken, die die schnelle und qualifizierte Korrektur meiner Arbeit übernommen und so einen wichtigen Beitrag zum Gelingen meiner Arbeit geleistet haben.
Kurzfassung
Die Vorliegende Masterarbeit befasst mit den Analogien der vernetzten Fabrik und der vernetzten Mobilität. Vor dem Hintergrund der steigenden Anforderungen und individualisierten Mobilität werden nach neuen Mobilitätslösungen gesucht. Automobilhersteller, die einst sich im Bereich der Entwicklung und Produktion von Automobilen konzentriert haben, werden immer mehr zu Mobilitätsdienstleistern.
Die Kompetenzen der Automobilhersteller im Bereich vernetzter Fabrik sollen in dieser Arbeit auf die vernetzte Mobilität transferiert werden. Dabei werden Manufacturing-Execution- und Cyber-Physical-Systems als Grundlage für die Verarbeitung von Echtzeitdaten definiert, welches die Voraussetzung für Vernetzung ist. Aus dieser Grundlage heraus wird ein generisches Ebenenmodell entwickelt, das mittels Experteninterviews validiert wird. Dieses Modell zeigt die Analogien zwischen vernetzter Fabrik und vernetzter Mobilität auf.
Aus der qualitativen und empirischen Untersuchung geht hervor, dass im Betrachtungsfeld von Echtzeitdatenmanagement Analogien zwischen der vernetzten Fabrik und vernetzten Mobilität existieren. Dabei haben sich technische Analogien innerhalb der einzelnen Ebenen herausgestellt, während hinsichtlich der Rahmenbedingungen durchaus Diskrepanzen vorhanden sind.
Abstract
The following paper is dealing with analogies between connected factories and connected mobility. Due to the rising challenges of customized mobility, research and industry are searching for new mobility solutions. In the past, automotive industry built high competencies in developing, producing and selling cars. Over recent years the car producers have become more and more to mobility provider.
This paper aims to transfer the competencies of the automotive industry in the field of connected factories to connected mobility. The basis is built by Manufacturing-Execution-Systems and Cyber-Physical-Systems for understanding the processing of real-time-data which is the biggest enabler of connectivity. Based on these findings, this paper develops a generic plane model which is going to be validated by expert interviews.
Based on the theoretical part und the empirical study it appears that within the observation field of real-time data management there are analogies between connected factories and connected mobility. On that step many technical similarities in the certain levels where turned out. However, the study shows mismatches regarding the framework conditions.
1. Einleitung
1.1.Problemdefinition und Motivation
„Vision Zero“ lautet die Maxime vieler Forscher und Unternehmen (Rammler, 2015). Diese Maxime beschreibt die Mission, im Straßenverkehr die Unfallzahlen und damit die Zahl der Verkehrstoten zu senken bis hin zur kompletten Vermeidung von Verkehrstoten. Außerdem zielt diese Maxime darauf ab, die Emissionen im Straßenverkehr zu reduzieren; mit der Aussicht, die Emissionszahlen ebenfalls komplett zu eliminieren. Wir reden hier also von einer neuen Mobilität ohne Unfälle, Tote und Emissionen. Auch die Europäische Union zielt bis zum Jahre 2050 europaweit darauf ab, dass „nahezu niemand“ mehr sein Leben wegen Verkehrsunfällen verliert. 90 % aller Verkehrsunfälle verursacht der Mensch und ist somit hauptverantwortlich für jährlich etwa 1,25 Millionen Verkehrstote weltweit (Neuwirth, 2020). Das übergeordnete Ziel ist also eine nachhaltige Mobilität, um Kosten, Emissionen und Verkehrstote zu reduzieren, mit Einsparpotenzial von 15 Milliarden Euro und 6,2 Millionen Tonnen CO [2] (DIHK, 2020).
Um die weltweiten Todeszahlen von Verkehrsopfer zu reduzieren, werden neue Mobilitätskonzepte benötigt. Diese Arbeit greift die vernetzte Mobilität als Teilbereich neuer Mobilitätsformen auf. Automobilhersteller können dabei helfen, die Vernetzung der Mobilität schneller auf die Straßen zu bringen. Das ist allen Automobilhersteller bekannt, weshalb die bislang traditionellen Produzenten der Autos sich heute immer mehr zu Mobilitätsdienstleitern entwickeln. Auch Ex-Daimler-Chef Zetsche bekräftigte diesen Trend mit der Aussage: „Wir sind kein Autohersteller mehr“ (Dahlmann, 2015).
Die Kompetenzen der Automobilhersteller im Beriech vernetzter Fabrik sind wichtig, um Transferdenken zu gewährleisten und die vernetzte Mobilität schneller auf die Straßen zu bringen. Manufacturing-ExecutionSystems (MES) sind der Schlüssel zur vernetzten Fabrik (Gillhuber, 2019). Das Ebenenmodell von MES soll dabei helfen, den Aufbau von Produktionsunternehmen und die Funktionen zur Verarbeitung von Echtzeitdaten in der Fertigung zu verstehen.
Die Studie wird sich auf die Untersuchung der Themenbereiche Manufacturing-Execution-Systems und vernetzte Mobilität fokussieren und dabei der Frage, „ Inwiefern Automobilhersteller ihre Erfahrungen hinsichtlich Echtzeitdatenmanagement aus der vernetzten Fabrik in die vernetzte Mobilität übertragen können und inwieweit Analogien zwischen der vernetzten Fabrik und der vernetzten Mobilität herrschen “, auf den Grund gehen.
1.2. Ziel der Arbeit
Das Ziel der Arbeit ist es, die Themen „vernetzte Fabrik“ und „vernetzte Mobilität“ im Hinblick auf Analogien darzustellen. Bei der vernetzten Fabrik wird auf das MES eingegangen, was die Verarbeitung von Echtzeitdaten ermöglicht. Mittels des Ebenenmodells von MES werden Analogien zwischen der vernetzten Fabrik und der vernetzten Mobilität herausgestellt. Dabei wird aus den theoretischen Erkenntnissen im Bereich MES und den Anforderungen der vernetzten Mobilität ein generisches Ebenenmodell entwickelt, das ähnlich wie bei der MES-Architektur das Ebenverständnis der vernetzten Mobilität vereinfachen soll.
Mit der Darstellung des generischen Modells zielt diese Arbeit darauf ab, insbesondere für die Automobilhersteller ein technisches Ebenenmodell für die vernetzte Mobilität zur Verfügung zu stellen, um daraus Anwendungen abzuleiten, die der übergeordneten Vision „Vernetzte Mobilität“ dienen soll e n .
1.3. Vorgehensweise und Methodik
Zur Untersuchung des Forschungsbereiches wird die vorliegende Arbeit in drei Hauptabschnitte unterteilt. Diese Abschnitte beschreiben die Kombination aus einer Literaturanalyse, der Modellentwicklung und der Validierung des generischen Modells mittels leitfadengestützter Experteninterviews.
Der theoretische Teil dieser Arbeit beinhaltet in Kapitel 2 die Aufbereitung der Thematiken „vernetzte Mobilität“, „Manufacturing-Execution-Systems“ und „Cyber-Physical-Systems“ (CPS). Des Weiteren wird in Kapitel 3 aus den hervorgehenden Erkenntnissen ein generisches Ebenmodell entwickelt. Die Entwicklung des Modells und die damit einhergehende Transferleistung erfolgt mithilfe der Auswahl repräsentativer, qualitativer Literatur. Die Auswahl der Literatur unterliegt folgenden Themenbereichen: Manufacturing-ExecutionSystems, Cyber-Physical-Systems, Industrie 4.0, vernetzte Mobilität und Literatur zu Modelentwicklungen.
Zur weiteren Vorgehensweise und Validierung des Ebenenmodells wählt der Autor ein qualitatives Forschungsdesign. Für die Erreichung der Ziele, wie sie in Kapitel 1.2 deklariert wurden, werden Untersuchungen des Forschungsgebiets anwendungsbasiert durchgeführt. Da in dieser Arbeit nicht auf die gewünschte Tiefe des Forschungsbereiches eingegangen werden kann, wurde ein quantitativer Ansatz als nicht zielführend gesehen. (Mayring, 2016, S.42)
Im Rahmen der Aufarbeitung dieser Thematik anhand dieses qualitativen, empirischen Forschungsansatzes kann auf Erkenntnisse und Rückschlüsse hinsichtlich der Analogien zwischen vernetzter Fabrik und vernetzter Mobilität eingegangen werden.
Das generische Modell aus Kapitel 3 wird im nächsten Schritt mithilfe von Experteninterviews validiert und Verbesserungsvorschläge werden von den Experten erfragt. Die Expertenauswahl wurde nach dem The- menbereich MES innerhalb der Automobilhersteller getroffen. Somit werden beide Funktionen abgedeckt: die Expertise im Bereich MES und das Anwendungsgebiet vernetzte Mobilität. Basierend auf den Experteninterviews werden Verbesserungsvorschläge in das generische Modell eingearbeitet und durch Literatur belegt. Nach der Bewertung der Aussagen und Erkenntnisse aus den Experteninterviews entsteht ein weiterentwickeltes, validiertes Ebenenmodell im Vergleich im Vergleich zum Zustand des generischen Modells aus Kapitel 3.
2. Begriffliche Abgrenzung und Beschreibung des Betrachtungsgegenstandes
2.1. Vernetzte Mobilität und deren Anforderungen
Die Vernetzte Mobilität ist einer der größten Megatrends im Bereich neuer Mobilitätskonzepte. Unter anderem sind Themen wie autonomes Fahren, Elektromobilität und Safety weitere Forschungsgebiete in der Automobilindustrie (Holland, 2019, S. 3; Bratzel, 2016, S. 8-9). Das Ziel dieser Arbeit ist es, dem Begriff vernetzte Mobilität Deutung zu geben und zu veranschaulichen, welche Anforderungen diesem Arbeitsbereich gesetzt werden. Denn die wissenschaftliche Fragestellung dieser Arbeit ist es, zu klären, inwieweit Manufacturing-Execution-Systems und Cyber-Physical Systems die Anforderungen der vernetzten Mobilität abdecken können.
Hier werden unter anderem die Ziele und Visionen der Automobilhersteller hinsichtlich des vernetzten Fahrens aufgezeigt. Diese Roadmap soll den aktuellen Stand der Technik darstellen und bereits einen Ausblick darauf vermitteln, wie dieser Megatrend sich entwickeln wird. Anschließend wird dargestellt, wie Vernetzung und „Intelligenz“ zusammenhängen. Es liegt auf der Hand, dass Komponenten, in unserem Fall Fahrzeuge, umso „intelligenter“ werden, je vernetzter sie untereinander werden. Abschließend möchte ich die Systemanforderungen an das vernetzte Fahren aufzeigen. Hier geht es darum, Systemarchitekten zu beschreiben und daraus ein Ebenenmodell herzuleiten, wie wir es beim Themengebiet MES im Kapitel 2.2 sehen werden. Dies ist notwendig, um die Frage der Analogie zwischen den beiden Hauptthemen Vernetzte Mobilität und MES/CPS mit Grundlagen und theoretischem Wissen zu untermauern.
2.1.1. Digitale Transformation in der Mobilität
Der Begriff vernetzte Mobilität skizziert einen Megatrend. Es ist das Resultat der digitalen Transformation. Denn die vernetzte Mobilität ist das Resultat der digitalen Transformation. Ebenfalls ist es ein Megatrend, der in aller Munde ist und uns in jeder Situation begegnet. Sei es beim Konsumverhalten, in allen Bereichen des Privatlebens, in der Arbeitswelt und zuletzt auch in der Art, wie wir uns fortbewegen. Immer mehr traditionelle Automobilhersteller wenden sich dem Trend zu, auch Mobilitätsdienstleistungen anzubieten. Das Fahrzeug an sich zu produzieren, ist zwar nach wie vor die Kernkompetenz, jedoch werden immer mehr Know-how und Ressourcen in den Fachbereich der vernetzten und autonomen Mobilität gesteckt (Schiller & Wagner, 2015). Dies hat durchaus seine Begründung. Denn der Markt für die vernetzte Mobilität soll laut Expertenmeinung bis Ende 2020 um 45 % steigen. Für 2025 wird prognostiziert, dass drei Viertel aller Neufahrzeuge vernetzungsfähig sein werden (Schnurr & von Saldern, 2020). Dass diese Revolution das Marktgleichgewicht fundamental ändert, sieht man auch daran, dass branchenfremde Player wie Google und Tesla bereits nachweislich bewiesen haben, dass dieser Megatrend nicht nur im Munde geführt wird, sondern sich auch auf den Straßen findet. (Holland, 2019, S. 3)
Das volle Potenzial der vernetzten Mobilität ist nur nutzbar, wenn es auf einer soliden Grundlage im Bereich von Big Data und Analytics fußt. Ohne diese Grundlage kann keine Basis geschaffen werden, um die Vernetzung der Fahrzeuge in den Markt einzuführen. Daher wird in dieser Arbeit auch gezeigt, welche Kompetenzen Automobilhersteller erwerben können, die bereits aus dem hausinternen Shop-Floor bezüglich Echtzeitdaten und Generierung von Wissen gewonnen wurden. (Connected Transportation, 2016, S. 2)
Die Digitalisierung („digitization“) ist ein Schlüsselthema in allen Unternehmen, meistens angetrieben durch die Angst, nicht mehr wettbewerbsfähig zu blieben oder den Anschluss an die neuen Technologien zu verlieren. Denn keiner möchte dastehen wie Nokia oder Kodak. (Winkelhake, 2017, S. 1) Der Begriff Digitalisierung beschreibt zunächst die Übertragung von analogen Informationen auf ein digitales Medium jeglicher Art. Man spricht hierbei auch vom „digital twin“. Die Definition reicht aber weiter und meint, Digitalisierung sei die Übertragung des Menschen und seiner Lebenswelten und Arbeitswelten auf eine digitale Ebene. Das bedeutet, dass der Mensch in seinem Tun die lokale Offline-Welt durchbrechen will und ein Wesen sein möchte, das universell präsent, vernetzt und jederzeit erreichbar ist. Er versteht sich als Individu-um in der immer gegenwärtigen Welt oder Sphäre der Digital Community. (Keuper et al., 2013, S. 5)
Als Tim O'Reilly im Jahre 2004 versuchte, im Rahmen eines Brainstormings Sessions zu identifizieren und aufzustellen, welche Kompetenzen Firmen innehatten, die den Crash der New Economy überlebt haben, kamen folgende Punkte heraus:
- Nutzung des Web als Plattform
- Einbeziehung der kollektiven Intelligenz der Nutzer: Der Kunde ist nicht mehr Konsument, sondern auch Produzent; auch genannt „Prosument“. Er übernimmt aktive Rollen in der Wertschöpfungskette, „ob als Produzent von neuen Inhalten oder im Vertrieb durch Weiterempfehlung“.
- Zugang zu Daten und deren Weiterentwicklung: Herrschaft über Datenbestände ist in der OnlineWelt der wichtigste Produktionsfaktor. Dazu zählen persönliche, geografische und terminliche Datenbestände. (O'Reilly, 2009)
Diese Erkenntnisse zeigen deutlich auf, wie die Digitalisierung heute noch präsent ist und noch weiterhin aufrechterhalten wird. Denn schon vor 16 Jahren sprach man von Plattformen, Big Data und den Konsumenten als Produzent. Es folgte die nächste Stufe: nämlich raus aus der textuellen Welt hin zum audiovisuellen Bereich mit Videos und Musik. Ein weiterer Fortschritt ist die sogenannte Entfesselung des Internets vom Computer. Diese Entfesselung brachte letzten Endes die Vernetzung ins tägliche Leben. Also geht es im Kern darum, die digitalen Ökosysteme und die technischen Geräte untereinander und mit uns per Datenübertragung kommunizieren oder synchronisieren zu lassen. Dazu gehört unter anderem auch „Connected (to) Car“ und „Connected (to) infrastucture“ (Keuper et al., 2013, S. 9).
Eine Konkretisierung des oben Genannten ist notwendig mit Blick auf Digitalisierung der Mobilität, also im Kontext von „connected car“. Wie schon oben erwähnt, beschreibt die Digitalisierung die Vernetzung des Fahrzeugs innerhalb seiner Komponenten und mit der Umwelt Unter der Vernetzung versteht man die Kommunikation und Synchronisation der Fahrzeugen untereinander (Car-to-Car-Kommunikation) oder mit der Infrastruktur, etwa mit Ampelanlagen oder dem Verkehrsleitsystem (Car-to-Infrastructure). In diesem Zusammenhang der vernetzten Mobilität fallen meisten die Begriffe Car-to-X-Kommunikation (C2X): die Kommunikation mit allen erdenklichen vernetzbaren Medien. Dazu gehören Smartphones, Tablets, SmartHome etc. Die Technologie ermöglicht es, in Sekundenbruchteilen Verkehrsinformationen zu gewinnen, entweder durch vorausfahrende Fahrzeuge oder von Verkehrsleitsystemen. Die Vernetzung hat vor allem ein Ziel: die Verkehrssicherheit auf das maximal Mögliche zu steigern. C2X-Kommunikationen können nämlich in kurzer Zeit über Gefahrensituationen wie Unfälle, Glatteis, Pannenfahrzeuge oder Stauenden innerhalb der Route mitteilen, selbst wenn diese noch nicht einmal in Sichtweite sind. Das Auto könnte somit selbstständig auf diese Situationen reagieren und ggf. bremsen oder die Spur wechseln. Daten, die aufgrund von Witterung wie Schnee, Nebel oder verschmutzte Fahrbahn nicht aufgenommen werden können, können problemlos durch die C2X-Kommunikation ergänzt werden. Nicht nur im Bereich der Sicherheit. Auch die Zeitersparnis wird durch die Vernetzung erhöht. Die intelligente Vernetzung ersetzt die Suche nach freien Parkplätzen, indem per Knopfdruck das Auto durch Echtzeitdaten, die vom Parkhaus generiert werden, zu einem freien Parkplatz gelotst und geparkt wird. Man erkennt also die Verschmelzung der Bereiche Telekommunikation und Informatik. Der neue Begriff Telematik wird für die Zukunft des Automobils und des gesamten Verkehrs von hoher Bedeutung sein, denn diese bietet mehr Sicherheit, Ressourcenschutz, Mobilität jederzeit und Wachstum. (VDA, S. 19)
Wir stellen also fest, dass die digitale Transformation das Auto zu einem intelligenten und vernetzten Medium macht, das mit seiner Umgebung interagieren und Entscheidungen treffen kann. Man spricht in der Technik von CPS. Dazu mehr in Kapitel 2.2.3. Nun gilt es die stufenweise Entwicklung dieser Transformation aufzuzeigen, um besser eingrenzen zu können, welchen Bereich der Autor bedenkt, mithilfe von MES- Technologien abzudecken.
2.1.2. Entwicklung des Vernetzungsgrades von Automobilen
Die digitale Transformation bringt also einige Veränderungen im Alltag, aber auch insbesondere auf dem Gebiet der Mobilität. Dieses Kapitel soll aufzeigen, wie Veränderung in Bereich der Mobilität aussieht und wohin die Reise gehen soll. Hierbei hilft die internationale Norm SAE J3016. Diese Norm klassifiziert und definiert im Allgemeinen Begriffe für straßengebundene Kraftfahrzeuge in Bezug zum autonomen Fahren. (SAE International, 2016, S. 1) Diese Norm unterteilt die Vision des autonomen/vernetzten Fahrens in sechs Stufen. In diesem Stufenmodell werden aufgezeigt, wie zum einen durch die Technologieerweiterung Kraftfahrzeuge ihren autonomen Charakter erhalten und zum anderen der Anteil des Einflusses des Fahrers auf das Fahrzeug und dessen Umgebung sinkt.
SAE beginnt mit Level 0. In diesem Level ist der Fahrer der alleinige Bediener und der Entscheider über das Fahrzeug und dessen Verhalten und Bewegung. Darunter fällt sowohl die Längsführung, also das GasGeben und Bremsen, und die Querführung, also die Lenkung des Fahrzeugs. Man nennt diese Ebene auch „driver only“, was bedeutet, dass es in dieser Ebene kein aktiv eingreifendes Fahrzeugsystem existiert. (SAE International, 2016, S. 1)
Bei Level 1 nimmt zum ersten Mal der Unterstützungsanteil durch Assistenzsysteme zu. Denn das System kann eine der beiden oben genannten Führungen, also Längsführung oder Querführung übernehmen, wobei der Fahrer dauerhaft die jeweils andere ausführt. Ein Beispiel dazu wäre die Sicherung der Stabilität des Fahrzeugs durch das elektronische Stabilitätsprogramm ESP. (SAE International, 2016, S. 1)
In Level 2 kann das System bei bestimmten Anwendungsfällen die Quer- und Längsführung simultan übernehmen. Der Fahrer muss jedoch das Fahrzeug durchgehend und dauerhaft überwachen und jederzeit in der Lage sein, die Steuerung wieder zu übernehmen. Während des teilweisen autonomen Fahrens überwacht der Fahrer am Steuer bestimmte Situationen des Fahrzeugs. Ein Beispiel wäre hier der Stauassistent. Wichtiges Detail auch für diese Arbeit ist, dass auf dem bisherigen Level 0-2 die Vernetzung noch keine Rolle spielt. Auf dieser Ebene spricht man vom teil-automatisiertem Fahren. (Holland, 2019, S. 64-66) (SAE International, 2016, S. 1)
Level 3 ermöglicht nun, dass der Fahrer den Verkehr und das Fahrzeug im Anwendungsfall nicht mehr überwachen muss, aber bei Aufforderung durch das System nach einer gewissen Reaktionszeit die Fahreraufgabe wieder übernehmen muss. Das Fahrzeug als solches übernimmt eine bestimmte, komplette Fahraufgabe. Beispielsweise spricht man hier von der autonomen Parkfunktion. Hierbei ist kontinuierliche Überwachung und Beobachtung des Fahrzeugs durch den Fahrer notwendig. Auf diesem Level kommen zum ersten Mal die Anwendung und Abhängigkeit von Daten ins Spiel, die jenseits der fahrzeugeigenen Sensoren über die Vernetzung des Fahrzeugs gesammelt werden. Diese hoch-automatisierte Ebene erkennt Systemgrenzen und fordert den Fahrer bei Bedarf auf, das Fahren nach einer ausreichenden Zeitreserve zu übernehmen. (Holland, 2019, S. 64-66) Die Relevanz dieser Arbeit grenzt sich auf dieser Ebene ein und führt weiter zu den nächsten Ebenen.
Auf Level 4 ist das System in der Lage, im spezifischen Anwendungsfall auf jegliche Situation vollautomatisch zu reagieren, auch wenn der Fahrer der Aufforderung zur Steuerübernahme nicht nachkommt. Die Fahraufgabe kann durch das Fahrzeug in bestimmten Situationen autonom durchgeführt werden. Hierzu zählt die Quer- und Längsführung auf der Autobahn bis zu einer oberen Geschwindigkeitsgrenze. Auf diesem vollautomatisierten Level wird eine Überwachung durch den Fahrer nicht benötigt. (Holland, 2019, S. 64-66)
Das autonome Fahren hat auf Level 5 seinen vollen Reifegrad erreicht. Auf dieser Ebene der fahrerlosen Mobilität kann das System die Fahraufgabe vollständig und in jeder Situation automatisiert übernehmen, sodass vom Start bis zum Ziel kein Fahrer erforderlich ist (VDA, S. 14-15). Die Anwesenheit eines Fahrers ist bei der gesamten Fahraufgabe nicht notwendig, da das Fahrzeug die Fahraufgabe vollständig übernimmt. (Hilgendorf et al., 2015, S. 101-120; Winkelhake, 2017, S. 101)
Es zeigt also, dass sich die Mobilität und ihre Technologien im ständigen Wandel befinden. Audi und Tesla beantworten die Frage nach der aktuellen Lage und Stand der Technik. Im Falle von Tesla reden wir von Level 2. Auch wenn Tesla ursprünglich von Level 5 gesprochen hat, ist die Technik lange nicht ausgereift genug, um dies zu behaupten, denn der Fahrer dient hier noch als Fallback. Audi kündigte im Jahre 2018 an, dass das im neuen A8 verbaute Assistenzsystem des Level 3 dem autonomen Fahren gerecht werden soll. Das Fahren soll hier auf Autobahnen und Bundesstraßen bei zähfließendem Verkehr das Fahrzeug übernehmen, sodass der Fahrer sich tatsächlich anderen Aktivitäten widmen kann und nicht kontinuierlich den Verkehr beobachten und überwachen muss. (Floemer, 2017; Lambert, 2017) Auch die Forschung und Entwicklung fokussiert sich auf die Automatisierungsgrade des teil-, hoch-, und voll-atomisierten Fahrens. (VDA, S. 14-15)
In der Abbildung 1 wurden die Zusammenhänge und Anteile zwischen dem manuellen Eingriff und der Übernahme durch Automatisierungssysteme dargestellt. Dabei werden die jeweiligen Levels mit dem Anteil an „Fahrer“ und dem Anteil des „Automatisierungsgrades“ dargestellt. Außerdem wird der Stand der Technik in der Abbildung kenntlich gemacht.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1 Automatisierungsgrade des autonomen Fahrens, eigene Darstellung in Anlehnung an (VDA, S. 15)
2.1.3. Vernetzung als Grad der Intelligenz
In diesem Kapitel widmen wir uns der Frage, ob die man die Vernetzung von Automobilen und CPS gleichgestalten kann. Da wir davon ausgehen, dass die CPS, die wir aus dem Shop-Floor kennen und in den kommenden Kapiteln näher betrachten können, eine Analogie zu den Automobilen im Verkehr darstellen, müssen wir die Frage klären, wie die Vernetzung hierbei aussieht und ob diese gleichgültig sowohl in der Fertigung als auch im Verkehr ist. Nur so können wir der Frage nachgehen, inwieweit MES-Technologien das Echtzeitdatenmanagement im Verkehr abdecken können.
Wir haben in 2.1.2 die Frage nach der Beziehung zwischen dem Fahrer und dem Fahrzeug hinsichtlich des autonomen und vernetzten Fahrens geklärt und erfahren, dass also der Anteil des manuellen Eingriffs sinkt und der Anteil der intelligenten und/oder autonomen Steuerung steigt, je weiter das Automatisierungsniveau steigt. Nun wollen wir aber das Fahrzeug als intelligentes und vernetztes Objekt anschauen. Hier geht es darum, genau wie oben eine Skala zu entwickeln, die das Aktivitätsniveau von Objekten im Allgemeinen, und in unserem Fall von Fahrzeugen, beschreiben soll. Daraus wird abgeleitet, dass die Vernetzung von Automobilen und CPS aus der Fertigung die gleichen Eigenschaften innehaben.
Herzog und Schildhauer (2009) bedienen sich in Ihrem Ansatz, die Intelligenz und Vernetzung an Objekten messbar zu machen, nicht, wie man es bei Menschen üblicherweise kennt, der IQ-Test, sondern der Begriff- lichkeiten und Definitionen. Dabei unterscheiden sie analog zum Automatisierungsgrad von Fahrzeugen in der Abbildung 1 zwischen sechs verschiedenen Aktivitätsniveaus und Definitionen. (Herzog & Schildhauer, 2009)
Die erste Ebene ist die passive Ebene. Sie ist die niedrigste aller Stufen hinsichtlich der Intelligenz und Vernetzung. Diese Ebene beschreibt jene Objekte, die in jeder Hinsicht von außen bewegt, gesteuert oder geändert werden müssen, um eine Wirkung zu erzielen. Analog zum Automatisierungsgrad, welcher als „driver only“ bezeichnet wird, beschreibt also diese Ebene die ganzheitliche Übernahme der Kontrolle über das jeweilige „Ding“ durch den Bediener. Von Vernetzung und Intelligenz ist auf dieser Ebene in keiner Hinsicht die Rede.
Die nächste Ebene ist die aktive Ebene. Hier werden Tätigkeiten, die der Bediener ursprünglich selber übernommen hatte, teilweise an das Objekt übergeben und können seitens des Objektes selbstständig ausgeführt werden. Die Handlungen sind also nicht mehr durchgehend fremdgesteuert. Man erkennt in dieser Ebene Analogien zum Automatisierungsgrad in der vernetzten Mobilität. Denn auf der Stufe 1 werden ebenfalls zum ersten Mal Aufgaben an das Auto übergeben und dieses assistiert von nun an. So sieht man also: Die Steigerung hin zur nächsten Ebene ist sowohl im Automatisierungsgrad von Automobilen und als auch in der Vernetzung von CPS/Objekten analog.
Die nächste Ebene nennt sich reaktiv. Hier sind zum ersten Mal Rückkopplungen für einfache und primitive Anpassungen zu beobachten. Die CPS/Objekte gewinnen nun erste reaktionsfähige Eigenschaften. Hier fängt die Sensorunterstützung an und das Objekt kann nun die Umgebung wahrnehmen und darauf reagieren. Die Analogie zum Automatisierungsgrad bei Automobilen ist auch hier wieder vorhanden. Denn auf der nächsten Ebene, der teilautomatisierten Ebene, ist der Fahrer noch in der Beobachterrolle, muss aber nicht die gleiche Reaktionsfähigkeit aufweisen wie in den darunterliegenden Ebenen. Denn diese Aufgabe übernimmt auf Stufe 2 größtenteils die Technik.
Bei der proaktiven Ebene reden wir nun von vorausschauenden Eigenschaften der Dinge. Analog zu Automobilen wird ein autonomes Agieren auf dieser Ebene nur gewährleistet, wenn Echtzeitdaten zur Verfügung stehen. Dadurch können Objekte in diesem Sinne und Automobile im analogen Sinne vorausschauend agie- ren, bevor ein Vorfall oder Hindernis auftritt. Zum ersten Mal wird Gebrauch von Daten anderer ebenfalls vernetzter Dinge gemacht. Auch auf dieser Ebene scheint die Analogie hinsichtlich der Eigenschaft und Entwicklung des Vernetzungscharakters sowohl bei Automobilen als hochautomatische Systeme als auch bei CPS/Dingen gleichermaßen voranzuschreiten.
Diese Eigenschaft leitet technisch auf die darauffolgende Ebene hin, nämlich die kooperative Ebene. Hier ist zum ersten Mal von verteilten Systemen die Rede, die sich mit wechselseitiger Abstimmung koordinieren. Die Autonomie von Fahrzeugen erreicht in der analogen Darstellung vom vorherigen Kapitel ebenfalls ihren höchsten Reifegrad. Kooperativ heißt nun, dass der Bediener des jeweiligen Objekts nun komplett außen vor ist, und jegliche Kooperation nun nicht mehr mit dem Bediener, sondern mit allen vernetzten Ebenen, die sich innerhalb des Systems befinden, stattfindet.
Die letzte Ebene ist sowohl bei den Automobilen als auch bei Objekten bislang nur von menschlichen Teams und hybriden soziotechnischen Konstellationen erreicht. Diese Ebene wird transaktiv genannt. Nicht einmal die Forschung ist noch auf dieser Ebene angekommen, geschweige denn die Technik. Sie gilt nämlich als das höchste Niveau, auf dem intelligente Assoziationen mit reflexiver Kapazität auf Eigen-, Fremd-, und Gesamtaktion hin ausgestattet sind. Eine individuelle oder kollektive künstliche Intelligenz auf diesem Niveau wurde bisher nur in fiktiven Schreckensszenarien gezeichnet. (Herzog & Schildhauer, 2009, S. 24-25)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2 Objektbezogene Stufen der Vernetzung und Intelligenz, eigene Darstellung in Anlehnung an (Herzog & Schildhauer, 2009, S. 24-25)
Das Grad der Vernetzung scheint laut (Herzog & Schildhauer, 2009) und VDAs analog zu sein. Nicht nur die Anzahl der Ebenen ist identisch, auch der Inhalt und Definition der jeweiligen Ebenen sind bezogen auf den Kontext analog. Damit wäre die Frage nach der Äquivalenz der Vernetzung von Objekten auf der einen Seite und von Automobilen auf der anderen Seite geklärt. Wir können also laut den dargestellten Herleitungen der Vernetzung sagen, dass die Einheiten in der Fertigung (CPS) und der im Straßenverkehr notwendigen Hilfsmittel (Ampel, Straßenschilder, etc.) im Hinblick auf den Grad der Vernetzung eine Analogie aufweisen.
2.1.4. Systemanforderungen an die vernetzte Mobilität
Da die Frage der Vernetzung auf beiden Seiten geklärt ist, sowohl hinsichtlich der Fertigung als auch in Bezug auf den Verkehr, möchten wir nun die Anforderungen untersuchen, die an die vernetzte Mobilität gestellt werden. Dazu haben wir bereits den Begriff der Vernetzung im vorgegangenen Kapitel näher erläutert. Zusammenfassend können wir sagen, dass Vernetzung die Fähigkeit ist, Informationen oder Daten aufzunehmen, die zu verarbeiten und situationsbedingt anzuwenden. (Sesink, S. 13)
Im Kontext der vernetzten Mobilität ist ein vernetztes Fahrzeug daher ein eingebettetes System oder eine mehrschichtige Plattform, das/die mit kabellosem Netzwerkzugang ausgestattet ist und das fahrzeuginterne Netz mit den externen Netzen verbindet. Dies geschieht mithilfe von Daten. Nicht umsonst gelten vernetzte Fahrzeuge als die zweitgrößten Produzenten von Daten in der Welt des Internets der Dinge. Daher ist die erste und wichtigste Anforderung die Aggregation und Verarbeitung von enorm hohen Mengen an Echtzeitdaten, welche aus den Sensoren, Kameras oder Lidar-Systeme gewonnen werden. Das folgende Beispiel zeigt auf, dass die Verarbeitung von Echtzeitdaten nicht nur eine Anforderung an die vernetzte Mobilität ist, sondern auch eine große Herausforderung. Angenommen, es gab 60 Millionen vernetzte Fahrzeuge im Jahr 2015 und jedes dieser Fahrzeuge konnte 5 GB Daten pro Stunde generieren und wurde durchschnittlich vier Stunden am Tag gefahren, dann ergibt das eine jährliche Datenmenge aus Fahrzeugen von etwa 438 Exabytes. (Connected Transportation, 2016, S. 2) Das vernetzte Fahrzeug erlaubt es, unterschiedliche Informationen zwischen dem Fahrzeug und dessen Umgebung mittels WIFI, Bluetooth oder GPS auszutauschen. Die Verbindung des Fahrzeugs mit dem Internet wird durch Transmitter oder Receiver im Fahrzeug oder mithilfe Dritter, wie Smartphones, ermöglicht. (Berdigh & Yassini, 2017, S. 2; Bauer, 2011, S. 38) Diese Definition zeigt also auf, dass das vernetzte Auto als Entity und die vernetzte Mobilität als ganzes System als Plattform verstanden wird, die kontinuierlich Echtzeitdaten austauscht und zur Verfügung stellt.
Dabei muss zwischen der Vernetzung mit dem Fahrzeugumfeld und der Vernetzung mit dem Internet unterschieden werden. Beim Ersteren dienen Sensoren als Vehicle für die Gewinnung von Informationen aus dem direkten Umfeld des Fahrzeugs. Umfeldinformationen können Außentemperatur sein oder Daten dazu, ob noch genug Haftung zwischen Reifen und Straße vorhanden ist, ob draußen Nebel herrscht oder Dunkelheit oder ob vor, hinter oder neben dem Auto Hindernisse existieren, die der Fahrer selbst nicht erkennen könnte. Weiterhin können vernetzte Fahrzeuge auch mit der Umwelt kommunizieren. Das können ebenfalls Fahrzeuge sein, aber auch andere Teile innerhalb der Verkehrsinfrastruktur. Ein Beispiel wären Informationen über die Geschwindigkeit, Ampelphasen oder variable Verkehrsschilder, die ausgetauscht werden, um Vorhersagen abzuleiten und Unfälle an Kreuzungen zu vermeiden. Aber auch optimale Reisegeschwindigkeiten zum Durchqueren von Innenstädten können ermittelt werden. Die technische Grundlage für diese Vernetzung liegt in der W-LAN und Mobilfunkkommunikation. Der W-LAN Standard 802.11p, der 2011 von der IEEE offiziell verabschiedet wurde, baut ebendiese Kommunikation zwischen allerlei Verkehrselementen auf. (Bauer, 2011, S. 38)
Darüber hinaus gibt es noch die Vernetzung mit dem Internet. Hier können verschiedenste Services angeboten werden, indem Informationen aus dem Internet dem Fahrer zugänglich gemacht werden. Der größte Benefit dieser Vernetzung sind OAU. Over the air updates ermöglichen es ohne größere Werkstattaufenthalte, Defizite und Bugs im Fahrzeug mittels Softwareupdates, die über das Internet angeboten werden, im Fahrzeug zu installieren und somit neue Features oder verbesserte Features zu erlangen. Hierbei entstehen Begriffe wie IT-Frontend und IT-Backend. Die Frontend ist der Bereich, den der Fahrer nutzt und wo er alle Informationen angeboten bekommt. Diese Informationen stammen jedoch aus einem für den Fahrer nicht sichtbaren Bereich: dem Backend. Hier werden Daten aufgenommen und aufbereitet, die dann spezifisch dem Fahrer zur Verfügung gestellt werden. (Bauer, 2011, S. 39) Aber dazu mehr in den Modellentwicklungen in Kapitel drei. Dort wird zunächst die Dateninfrastruktur von vernetzten Fahrzeugen dargestellt.
In den folgenden Tabellen werden Beispiele aufgezeigt, die IVIS- und ADAS-Services anbieten; also Invehicle Information Systems und Advanced Driver Assistance Systems:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tabelle 1 Charakteristiken von IVIS Services, eigene Darstellung in Anlehnung an (Szmelter, 2017, S. 241)
Nun wird ADAS Services in der Quer- und Längsführung dargestellt:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tabelle 3 ADAS Quer- und Längsführung, eigene Darstellung in Anlehnung an (Szmelter, 2017, S. 242)
Wir sehen also, dass die Vernetzung der Mobilität nicht ein Gesamtpaket ist, das man zu einem gewissen Entwicklungsstadium erhält, sondern vielmehr werden Teiltechnologien in die Serie überführt, die reif genug sind, um sich im Verkehr zu behaupten. Die vernetzte Mobilität ist demnach ein Weg mit dem Ziel der totalen Vernetzung mit nahezu allem, was internetfähig ist.
In diesem Kapitel haben wir nun alle Anforderungen dargestellt, die die vernetzte Mobilität benötigt. Diese sind zusammengefasst hier noch mal aufgelistet:
- Die Existenz von Cyber-Physical-Systems, um Daten aufnehmen zu können. Diese CPS sind mit Sensoren, Lidartechnologien etc. ausgestattet, um das Umfeld zu erkennen und mit Zahlen und Informationen zu quantifizieren.
- Damit gehen die Echtzeitdaten einher. CPS generieren Echtzeitdaten. Diese sind der Schlüssel, um die Vernetzung auf den Straßen zu ermöglichen.
- Eine IT-Frontend, um dem Endnutzer, in diesem Fall dem Fahrer, Informationen, Hinweise und Warnungen zu übermitteln. Somit ist die IT-Frontend die direkte Schnittstelle zum Fahrer.
- Eine IT-Backend. Hier findet die gesamte Bearbeitung von Daten und Informationen statt. Die von den CPS gewonnen Daten werden hier aufbereitet, verarbeitet und für den Fahrer nutzbar gemacht.
- Internetverbindung, um alle Systemelemente im Verkehr miteinander zu vernetzen. Diese kann mittels W-LAN - oder Mobilfunktechnologien geschehen.
Können diese Anforderungen aus der vernetzten Mobilität durch MES und CPS System abgedeckt werden? Dazu müssen wir uns ebendiese Themengebiete näher anschauen und klarstellen, was die Vernetzung in der Fertigung ausmacht.
2.2. Prinzipien von Manufacturing-Execution-Systems
Das Ziel dieses Kapitels ist es klarzustellen, was Manufacturing-Execution-Systems sind, wie sie aufgebaut sind und welche Funktionalitäten aus dem MES-Bereich für diese Arbeit infrage kommen. Wir werden uns hierbei Definitionen für MES erarbeiten. Anschließend werden Definitionen aufgegriffen, die spezifisch in dieser Arbeit verwendet werden, sodass wir dann die hierarchische Positionierung des MES-Ebenenmodells innerhalb der Fertigung darstellen können. Wir werden uns außerdem die Frage stellen, wie Unternehmen aufgebaut sind. Damit erhalten wir, neben den theoretischen Definitionen von MES, auch die Einordnung von Produktionssystemen in Unternehmen und kennen somit seine Systemgrenzen und Relevanz.
Außerdem werden wir uns anschauen, was Cyber-Physical-Systems sind, was sie im Hinblick auf die Ver- netzbarkeit von Dingen mitbringen. Denn es ist wichtig, den grundsätzlichen MES-Gedanken zu verstehen. Nur so wird ermöglicht, diese Analogien auf die vernetzte Mobilität aufzubauen und zu verstehen, wie Automobilhersteller ihr Know-how aus dem Fertigungsmanagement mittels Echtzeitdaten auf die vernetzte Mobilität transferieren können.
Am Ende dieses Kapitels werden wir das Ebenenmodell von MES anschauen. Dabei gehen wir auf die unterschiedlichen Ebenen der Softwarearchitektur ein und machen uns ein Bild von Zusammenhängen innerhalb dieser Ebene, wobei wir auf das Thema von Echtzeitdaten genauer eingehen werden.
So wollen wir am Ende den Begriff MES und seine Funktionalitäten verstehen und daraus die Anwendbarkeit von MES auf die vernetzte Mobilität ableiten. Denn MES beantwortet die Frage nach der steigenden Komplexität in der Fertigung. Nicht nur in der Fertigung, sondern u.a. auch auf dem Gebiet der Mobilität und speziell in der vernetzten Mobilität gewinnt die Frage nach der Bewältigung der herrschenden Komplexität an Bedeutung.
2.2.1. Einführung in den Aufbau von Unternehmen
Ein Unternehmen wird als Einheit beschrieben, die wirtschaftliche, finanzielle und rechtliche Eigenschaften hat. Sie hat das Ziel, mithilfe von Produkten oder Dienstleistungen Gewinne zu erzielen. (Haric, 2019) Wir wollen uns in diesem Kapitel auf Produktionsunternehmen beschränken. Sie haben unterschiedliche Geschäftsprozesse, welche in den Produktentstehungsprozess und in den Auftragsabwicklungsprozess unterteilt werden können.
Der Produktentstehungsprozess beginnt mit der Produktplanung, wo neue Produkte definiert werden, die der Markt bedienen soll. Danach werden diese Produkte in der Entwicklungsphase entwickelt. Man kann sich an dieser Stelle an unterschiedlichen Entwicklungsmodellen orientieren. Ist das Produkt fertig entwickelt, werden Vorbereitungen getroffen, um diese Produkte zu fertigen. So werden in der Arbeitsvorbereitungsphase alle möglichen Ressourcen bereitgestellt. Es folgt die Fertigung oder Produktion. In dieser Phase werden die Produkte gefertigt. Unter dem Begriff Produktion werden alle Vorgänge und Arbeitsschritte zusammengefasst, wo mithilfe von Sachgütern und Dienstleistungen wiederum andere Sachgüter und Dienstleistungen hergestellt werden. (Fandel, 2005; Westkämper & Zahn, 2009) Nach der Fertigung folgt die Serviceplanung, wo alle Dienstleistungen in Richtung Kunden geplant und gesteuert werden. (Dombrowski & Mielke, 2015, S. 3)
Der Auftragsabwicklungsprozess schneidet in vertikaler Weise den Fertigungsprozess. Wie in der Abbildung 4 zu erkennen ist, fängt der Auftragsabwicklungsprozess mit einer Marktforschung an.
In der darauffolgenden Ebene befindet sich die Produktionsplanung. Hier befindet sich jener Bereich der Auftragsabwicklung, wo die gesamte Produktionslinie hinsichtlich der Ressourcenplanung der Maschinen überdacht wird, sowie die dazugehörige Layoutplanung. Hier findet auch die Primärbedarfsplanung statt, bei der abgestimmt wird, in welcher Menge und in welchem Planungszeitraum die Produkte hergestellt werden. (Christoph Siepermann, 2018)
Sind die Mengen und Hilfsgüter für die Produktion der Produkte definiert, geht es weiter in den Einkauf. Die Abteilung für den Einkauf ist dafür zuständig, Produkte und Hilfsgüter zur richtigen Zeit an der richtigen Stelle zur Verfügung zu stellen. Hier werden alle Tätigkeiten zusammengefasst, die der Versorgung des Unternehmens mit jeglichen Gütern und Dienstleitungen dienen. Dazu gehört auch die Lieferantenentwicklung und Make-or-Buy-Entscheidung, also die Entscheidung darüber, die Fertigungstiefe zu erweitern oder zu senken. Der Geschäftsprozess Einkauf wird auch als Beschaffung betitelt und wird unterstützt durch das Supply-Chain-Management. (Krieger, 2018)
Es folgt die eigentliche Fertigung der Güter. Ich möchte hier noch einmal auf die Definition von Günter Fan- del zurückgehen, der die Produktion als Vorgänge beschreibt, „bei denen mit Hilfe von von Sachgütern und Dienstleistungen andere Sachgüter und Dienstleistungen hergestellt werden“. (Fandel, 2005) Wir werden uns in dieser Arbeit auf ebendiesen Geschäftsprozess konzentrieren, da er der Bestandteil des MES ist. Oder andersherum gesagt: MES agiert genau in diesem Geschäftsprozess in der Auftragsabwicklung. Aber davor möchte ich noch die letzten beiden Geschäftsprozesse benennen und erläutern.
Der Vertrieb, auch Absatz genannt, beschreibt den Verkauf von Waren. Er ist somit der Kanal zum Kunden und gestaltet den Verkauf kontinuierlich. Hier werden Kundenbeziehungen aufgebaut und bereits existierende verbessert. (Kenning, 2018b)
Abgeschlossen wird die Auftragsabwicklung mit dem After Sales Service. Auch Kundendienst genannt, behandelt dieser Bereich beispielsweise Reklamationen aus dem Feld oder Wartungs- und Reparaturdienste. (Kenning, 2018a). In der Abbildung 4 sieht man das Zusammenspiel des Entwicklungsprozesses und der Auftragsabwicklung. Diese Abbildung basiert auf dem IFU-Referenzmodell.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 4: Ganzheitliche Produktionssysteme (Dombrowski & Mielke, 2015, S. 3)
Wir haben nun gesehen, wie der Fabrikbetrieb von produzierenden Unternehmen aufgebaut ist. Nun wird auf die Anforderungen auf von Fabriken eingegangen, um besser zu belegen, warum die Anwendung von MES in Unternehmen so notwendig ist. Die Fabrik der Zukunft hat zum einen die Anforderung, ständig die Qualität aufrechtzuerhalten bzw. zu verbessern. Auf der anderen Seite müssen die Kosten gesenkt und die Zeit verkürzt werden, wie zum Beispiel die Durchlaufzeit. Und zuletzt müssen Fabriken ihre Flexibilität erhöhen. Dazu zählt die Termintreue und Lieferfähigkeit auch bei Lieferengpässen. Diese Anforderungen stehen jedoch in einem Polylemma. Das heißt, es können nicht alle Anforderungen gleichzeitig proportional erhöht oder verbessert werden. Dieses Polylemma wurde in Abbildung 5 bildlich dargestellt. Damit der Verlust eines KPIs bei der Erhöhung des entgegensetzten KPIs nicht drastisch hoch ist, müssen neue Maßnahmen ergriffen werden. Man braucht also neue Lösungen mit dem Ziel, die Transparenz innerhalb des Produktionsprozesses zu erhöhen. (Dombrowski & Mielke, 2015, S. 2)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 5 Anforderungen an die Fabrik und das Polylemma (eigene Darstellung, in Anlehnung an (Dombrowski & Mielke, 2015, S. 2)
Neben den Anforderungen, die Unternehmen stemmen müssen, gibt es auch Herausforderungen, denen sich Unternehmen stellen müssen, um Ihre Wettbewerbsfähigkeit aufrechtzuerhalten. Diese Herausforderungen sind meistens aus der Umwelt motiviert und beeinflussen unmittelbar das Unternehmern und dessen internen Prozesse und Ressourcen.
Diese Herausforderungen können in vier Kategorien unterteilt werden: Die erste Kategorie bezüglich der Einflüsse der Umfeldentwicklungen auf die Unternehmen ist die Politik. Dazu zählen die Währungs- und Kreditpolitik, Ein- und Ausfuhrsteuerung, Europapolitik und die Internationalisierung. Die zweite Herausforderung ist die Naturwissenschaft und die Technik. Technik, Verfahren und Werkstoffe entwickeln sich kontinuierlich. Es ergeben sich dadurch neue Anwendungsmöglichkeiten für diese Verfahren. Die dritte Herausforderung ist die Gesellschaft. Die Gesellschaft ändert sich. Es entstehen immer kleinere Familien. Die Arbeitszeiten verkürzen sich, während die Einkommen steigen. Die Ausbildungsstände erhöhen, sich wodurch auch die Partizipation steigt. Die vierte und letzte Herausforderung ist der Markt. Während die ersten drei Herausforderungen einen direkten Einfluss auf das Unternehmen haben, beeinflusst der Markt die Unternehmen indirekt. Im Markt herrscht eine steigende Dynamik der Nachfrageentwicklung. Die Produktlebenszyklen verkürzen sich, während die Produktvarianten sich vermehren ja, fast individuell an die Kundenwünsche angepasst werden. Der Preis- und Termindruck steigt und gleichzeitig steigt die Anzahl der schärferen Konkurrenten. (Steuernagel, 2017)
Alle genannten Herausforderungen werden auch in der PEST-Analyse von Steuernagel zusammengefasst und haben eines gemeinsam: Sie werden immer komplexer. Das heißt, das Umfeld der Unternehmen wird immer komplexer und komplizierter. Nun stellt sich die Frage, wie Unternehmen diese steigende Komplexität im Umfeld angehen können. Um diese Frage zu beantworten, müssen wir, auch wenn es aus der Physik und Mathematik stammt, das Aschby'sche Gesetz anschauen. Dieses Gesetz besagt Folgendes: „Der externen Komplexität der Systemumwelt kann nur mit einer ebenso ausgeprägten internen Systemkomplexität begegnet werden“ (Ashby, 2015). Das heißt, ein Unternehmen kann der äußeren Komplexität nur entgegenwirken, wenn die internen Prozesse, Strukturen, Produkte, Technik und Organisation genauso komplex gestaltet sind. Dabei kann die Komplexität des Marktes eingeteilt werden in Produkt, das heißt Funktionalität, Vielfalt und Preis, in Flexibilität, das heißt Mengen,- Varianten,- und Terminflexibilität und in den Wandel, das heißt Energiewende, Individualisierung, neue Märkte und erweiterte Wertschöpfung. Nachfolgend, in der Abbildung 6 wird diese beidseitige externe und interne Komplexität und dargestellt. Ein System ist umso komplizierter, je mehr Elemente sich in diesem System befinden, wobei ein System umso komplexer ist, je häufiger Wechselwirkungen zwischen den Elementen existieren. (Stefan, 2018)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 6 Externe und interne Komplexität von Unternehmen (eigene Darstellung in Anlehnung an (Ashby, 2015))
Wir sehen also: Die Unternehmen haben auf der einen Seite die Aufgabe, Anforderungen zu erfüllen, welche oben beschrieben wurden, und gleichzeitig der immer stärker werdende Komplexität und Kompliziertheit im Unternehmensumfeld mit ebenso komplexen und komplizierten unternehmensinternen Prozessen, Strukturen und mit - für diese Arbeit ganz wichtig - IT entgegenzuwirken. Die Industrie hat dabei das MES entwickelt, um genau diesen Anforderungen zu entsprechen. Im Nachgang gehen wir auf die Definition von MES ein.
2.2.2. Theoretische Grundlagen
Wie im obigen Kapitel dargestellt, stehen Unternehmen vor neuen Herausforderungen, die sie mit neuen Ansätzen stemmen müssen. Die externe Komplexität und steigende Digitalisierung von Produkten zwingen die Unternehmen ebenfalls, ihre Prozesse mit IT-Systemen zu unterstützen, um weiterhin wettbewerbsfähig zu bleiben. In der Vergangenheit konzentrierten sich Unternehmen auf Geschäftsprozessunterstützung insbesondere in administrativen und dispositiven Bereichen. Hier fangen starke Standardisierungen der Prozesse statt. So dauerte es nicht lange, bis diese Prozesse mittels Informationstechnologie unterstützt und vorangetrieben wurden. Man gelangte so in die Produktionsprozesse und überlegte sich Anwendungsmög- lichkeiten. Es etablierten sich Produktionsplanungs- und Steuerungssysteme, die die Produktionsprozesse unterstützen sollten. Für die aber immer komplexer werdenden Produktionsprozesse, die gleichzeitig auf spontane Änderungen mit einem hohen Grad an Flexibilität reagieren müssen, hat sich diese Systeme über die Zeit als weniger geeignet herausgestellt, da sie der geforderten Flexibilität nicht gerecht werden konnten. Außerdem muss die neue Softwarelösung an bereits vorhandene Prozesse andocken und die Prozesse ab diesem Zeitpunkt unterstützen. (Louis, 2009, S. 1-2)
Die Erarbeitung einer passgenauen Lösung führte letztendlich zu einem Anwendungssystem, das eine integrative Basis für eine flexible Unterstützung der Produktionsprozesse anbietet. (Louis, 2009, S. 16; Schneider, 2000) Es wird mit Begriff Manufacturing-Execution-System (MES) zusammengefasst.
Es gibt in der Literatur keine allgemeingültige Definition des Begriffs Manufacturing-Execution-Systems (MES). Daher werde ich mich an verschiedenen Institutionen und Standards orientieren und nacheinander deren Definitionen von MES aufführen. Man kann dabei zwischen branchenspezifischen und branchenunabhängigen Definitionen des Begriffs MES unterscheiden. Im deutschsprachigen Raum hat der Verein Deutscher Ingenieure (VDI) eine branchenunabhängige Definition des MES-Begriffs erstellt. Sie geht aber lediglich auf die Aufgaben und Nutzen von MES ein und verweist dann im Detail auf die Definition ISA-S95. Dabei beschreibt der VDI den Begriff des MES als ein Bindeglied zwischen der übergeordneten ERP-Ebene (Enterprise-Ressource-Planning) und dem Shop-Floor. Dabei ist die Funktion von MES das Datenmanagement, die Entscheidungsunterstützung und die Erstellung von Dokumentation und Auswertung. (Louis, 2009, S. 8)
MESA (Manufacturing Execution System Association) ist die erste Organisation, die sich mit diesem Thema beschäftigt hat, und besitzt deshalb auch die nötige Erfahrung, um über das Thema MES zu berichten. Dabei erstellt MESA eine Auflistung mit 12 Funktionen, die für eine effektive Unterstützung des Fertigungsmanagements notwendig sind:
- Feinplanung: Reihenfolge und zeitliche Optimierung der Aufträge sollen abhängig von Maschinenkapazität abgestimmt werden
- Ressourcen-Management: Verwaltung und Überwachung von Ressourcen
- Monitoring: der Status von Ressourcen
- Dokument-Management: Verwaltung und Verteilung von Produkt-, Prozess-, Konstruktions-, oder Auftragsinformationen wie auch qualitätssichernden Arbeitsanweisungen
- Materialmanagement: Verwalten der Einsatzstoffe und Zwischenprodukte für die Dokumentation und den Materialverbrauch
- Leistungs-Analyse: Vergleichen und Bewerten von Ist-Werten aller Maschinen und Anlagen
- Auftragsmanagement: Steuerung von Arbeitsabläufen und die Verteilung der Arbeit auf Maschine und Person
- Maintenance Management: Die Planung und Durchführung von Maßnahmen, um präventiv die Maschinenlebenszeit zu erhöhen
- Prozess Management: Steuerung und Überwachung des Arbeitsflusses
- Qualitätsmanagement: Produkt- und Prozessabgleich mit dem Ideal
- Datenerfassung: „Visualisieren, aufzeichnen, sammeln und organisieren von Prozessdaten, von Material und Rohstoffen, vom Personalhandling, der Maschinenfunktionen und deren Steuerung“
- Produkt-Entstehung und Verfolgung: Product-Lifecycle Management
Es versteht sich, dass all die genannten Funktionen nur ein Gesamtoptimum erzielen können, wenn sie miteinander kollaborieren. Denn alle Funktionen sind eigenständig nur bedingt flexibel steuerbar; nur die Verknüpfung untereinander sorgt für Effektivität und Effizienz. Deshalb fällt auch oft der Begriff C-MES (Collaborative MES). Das heißt, MES dient nicht nur als Enabler für Automation und Unternehmensmanagement, sondern vielmehr auch als eine „Daten- und Informationsdrehscheibe“. So kann man MES als eine Integrationsplattform eines Unternehmers sehen. (Kletti, 2007, S. 25-26)
Die englische Definition seitens MESA gibt ebenfalls für diese Arbeit eine wichtige Definition von MES wieder: MESA versteht unter MES ein System,
„that deliver information enabling the optimization of production activities from order launch to finished goods. Using current and accurate real-time data, MES guides, responds to, and reports on plant activities as they occur. The resulting rapid response to changing conditions, coupled with a focus on reducing nonvalue added activities, drives effective plant operation and processes.“ (Louis, 2009, S. 8)
In dieser Definition wird klar, dass MES die Aufgabe hat, Echtzeitdaten im gesamten Produktionsprozess bereitzustellen. Eine Beschreibung von MES, das uns in der vernetzten Mobilität begegnen wird. Denn der wichtigste Enabler für vernetzte Mobilität sind Echtzeitdaten, deren Erfassung, Speicherung und Anwendung.
Für eine weitere Definition möchte ich die Instrumentations, Systems, and Automation Society in Erwägung (ISA) ziehen. Die im Jahre 1945 gegründete Non-profit-Organisation verfolgt die Aufgabe, über Trends und Entwicklungen in den Bereichen Automatisierung und Kontrolle der Produktion zu berichten. (Louis, 2009, S. 12) ISA definiert in seinem S95-Standart den Begriff MES. Der S95-Standart hat das Ziel, mittels Referenzmodellen die Integration von unternehmensweiten Planungs- und Logistiksystemen und operativen Pla- nungs- und Steuerungssystemen zu definieren. Sie basiert auf dem Purdue Reference Model (PRM). Das PRM unterteilt das Unternehmen in sechs hierarchische Ebenen oder Levels; beginnend bei Level 0 und endend bei Level 5. Wir werden uns aber lediglich die ersten fünf Ebenen anschauen, da sie im Betrachtungsfokus des CIM-Referenzmodells liegen. Der hierarchisch oberste Level, Level 5, ist die Unternehmensebene und fasst alle Fabriken eines Unternehmens zusammen. Auf dem vierten Level befinden sich die standortweiten Anwendungssysteme des Unternehmens. Ein Level weiter befinden sich die produktionsbezogenen Anwendungssysteme. Auf Level 2 sind dann alle Fertigungszelltypen aufzufinden, wobei die Kontrollstationen sich auf dem ersten Level befinden. Die einzelnen Maschinen und Anlagen befinden sich abschließend auf Level 0. (Louis, 2009, S. 12-13) Das Purdue Reference Model wird in der folgenden Abbildung grafisch dargestellt, auf der die einzelnen Level und deren zugehörige Bestandteile erwähnt werden.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 7 Geltungsbereich des Purdue Reference Model, Ebenen und Level. (Louis, 2009, S. 12-13)
Wie oben erwähnt definiert das PRM die hierarchische Anordnung der Ebenen für den S95-Standard. Im S95-Standard werden die Anwendungssysteme, sei es produktionsbezogen oder standortbezogen, zusammengeführt. Diese Zusammenführung wird in der Abbildung 8 dargestellt.
Level 4 wird auch Business Planning & Logistics genannt. Hier dienen bekannte Systeme wie ERP-Systeme oder Supply Chain Management Systeme als Unterstützung. Der Planungszeitraum beträgt hier Monate, Wochen oder Tage. Hier wird grundlegend die gesamte Unternehmensplanung errichtet. Dazu gehören die Produktion, Materialverwendung und Versand.
Level 3 nennt sich Manufacturing Operations Management und bildet die originäre MES-Ebene. Hier geht es ins Detail und es werden Aufträge geplant, Arbeitspakete geschürt und die Liefertreue gewährleistet. Außerdem findet hier die Optimierung der Produktionsprozesse statt, basierend auf Echtzeitdaten. Der Planungszeitraum beträgt hier Sekunden bis Tage.
Auf Level 1 und 2 liegen alle Automatisierungssysteme, wobei die zweite Ebene eine übergeordnete Überwachung und Kontrollebene darstellt. Diese Kontrollen verlaufen automatisch ab. Level 1 dient als ständiger „Fühler“, der den Status der Fertigungslinien mit den Sollwerten vergleicht.
Zusammen mit Sensorik und Aktuatorik bildet die Ebene 0 den eigentlichen Shop-Floor oder die Produktionsprozesse.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 8 Ebenenmodell des S95-Standards, (Louis, 2009, S. 12-13) (Kletti, 2007, S. 28)
Der S95-Standard stellt also das MES als ein Bindeglied zwischen der ERP (hier Level 4) und den Anwendungssystemarchitekturen dar und integriert die unteren Ebenen in die übergeordnete strategische Ebene „Business Planning & Logistics“ mittels Echtzeitdaten. Die Aussage, dass man MES als eine Integrationsplattform für vorhandene Automatisierungssysteme zu betrachten habe, ist in der praxisnahen Literatur stark vertreten. AMR Research geht sogar so weit und charakterisiert MES als ein Anwendungssystem, das die Produktion mit dem ERP-System von Unternehmen verbindet. (Louis, 2009, S. 15-16; Jiang, 2018, S. 1)
MES ist also, basierend auf den Definitionen des S95-Standards und der MESA, eine Hybrid-Ebene zwischen der strategischen ERP-Ebene und dem operativen Shop-Floor. Sie sorgt für einen einwandfreien Austausch von Informationen zwischen den beiden Ebenen, um bessere Planungen, Forecasts, Liefertreue zu gewährleisten und durchgehend den Status und die Auslastung der Anlagen zu überwachen. MES ist demnach ein Anwendungssystem, das die Steuerung und Kontrolle der Produktion, die Bereitstellung und Verwendung von Echtzeitdaten über den gesamten Produktionsprozess und damit eine schnelle Reaktionsfähigkeit bei Abweichungen unterstützt sowie die Integration der Produktionsprozesse in die betrieblichen ERP-Systemen durch Anbindung der Automatisierungssysteme und die direkte Unterstützung der manuellen Produktionsprozesse ermöglicht. (Louis, 2009, S. 17-18)
In der Abbildung 9 wird versucht, die MES-Ebene strukturell in ein Unternehmen einzubauen. Dabei betrachten wir MES auf Basis der allgemeinen Anforderungen an die IT-Unterstützung durch diese Klassen von Anwendungssystemen. Denn wir wollen uns bei dieser Aufgabe auf diese Eigenschaft des MES konzentrieren. Anwendungssysteme sind Kombinationen eines Softwaresystems (Anwendungssoftware und Basissoftware) und eines Hardwaresystems (Rechner, Server und sonstige technische Einrichtungen). (Louis, 2009, S. 17)
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- Quote paper
- Nuri Köse (Author), 2020, Technologietransfer über die Anwendung Manufacturing-Execution- und Cyber-Physical-Systems in der vernetzten Mobilität, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1329018
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