Inwiefern werden misogyne Frauenbilder innerhalb der Querdenker-Bewegung auf Telegram verbreitet?
Ziel der vorliegenden Abschlussarbeit war es, empirisch fundierte Erkenntnisse über frauenfeindliche Tendenzen in der Protestbewegung der Querdenker:innen zu gewinnen. Zu diesem Zweck werden mithilfe einer qualitativen Inhaltsanalyse die Kommunikationsinhalte in ausgewählten Telegram-Kanälen und -Gruppen untersucht, die der deutschsprachigen Querdenker-Szene angehören.
Die Abschlussarbeit vermittelt zunächst einen Überblick über die zentralen theoretischen Erkenntnisse zu dem Phänomen Misogynie. Ausgehend von dieser Erörterung arbeitet der Forschungsbericht eine eigene Definition von Frauenfeindlichkeit heraus und diskutiert dann unterschiedliche Erscheinungsformen von Misogynie in gegenwärtigen Diskursen sowie den Zusammenhang mit anderen Ideologien und zugrundeliegenden Denkmustern. Anschließend widmet sich diese Arbeit der Entstehung und Zusammensetzung der Querdenker-Bewegung aus diversen gesellschaftlichen Milieus, bevor die Bedeutung der Plattform Telegram für die Bewegung illustriert wird. Nach dem Theorieteil wird das methodische Vorgehen in der Studie begründet, beschrieben und reflektiert. Daran anknüpfend werden die Ergebnisse der qualitativen Inhaltsanalyse präsentiert. Zuletzt folgt eine Diskussion über misogyne Frauenbilder in der Querdenker-Bewegung und eine Einordnung der Erkenntnisse in den bestehenden Forschungstand, bevor diese Arbeit mit einem Kapitel über die Limitationen und möglichen Anschlussstudien an dieses Forschungsprojekt endet.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung und Relevanzbegründung
2. Theoretischer Hintergrund
2.1 Misogynie
2.1.1 Eine Definition der Misogynie
2.1.2 Facetten von Misogynie in gegenwärtigen Diskursen
2.1.3 Misogynie in digitalen Kommunikationsräumen
2.1.4 Misogyne Rollenbilder in gesellschaftlichen Milieus
2.2 Die Querdenker-Bewegung
2.2.1 Entstehung und Entwicklung der Protestbewegung
2.2.2 Zusammensetzung der Bewegung: Querdenken als Bindeglied zwischen
diversen Milieus
2.2.3 Querdenker:innen und Frauenfeindlichkeit?
2.3 Die Rolle der Plattform Telegram in der Querdenker-Bewegung
2.4 Ziel der Forschungsarbeit
3. Methodik
3.1 Begründung der methodischen Vorgehensweise und Gütekriterien
3.2 Auswahl der Stichprobe
3.3 Operationalisierung
3.4 Durchführung der qualitativen Inhaltsanalyse
3.5 Ethische Reflexion der Studie
4. Ergebnisse
4.1 Die Darstellung von Misogynie in der Querdenker-Szene: Aufwertung und Abwertung
4.2 Hintergründe der kommunizierten Misogynie: Ursprung und Kontext
4.3 Gewalt gegen Frauen: unzulässig oder legitimiert
4.4 Frauen und Berufstätigkeit: Politikerin oder nichts
4.5 Das Idealbild der Frau als Partnerin und Mutter
4.6 Die (Un-)Gleichberechtigung von Frau und Mann
5. Diskussion
5.1 Interpretation und Einordnung in den Forschungsstand
5.2 Limitationen und mögliche Anschlussstudien
6. Ausblick
7. Literaturverzeichnis
8. Anhang
8.1 Kategoriensystem
8.2 Kodierleitfaden
Feminism came to me slowly.
The ember born in the way my parents raised me and ignited when I entered the workforce and realized professionalism didn't stop men from encouraging me to sit on their laps. It grew when the topic of my love life became more fascinating than my brain.
You aren't married? Who will take care of you? Don't you want to have kids?
It erupted when I realized that my life as a young woman was riddled with moments of sexism that went unnoticed until I awoke to the realities of everyday interactions. Unsolicited hands on my body. Drinks tainted.
Laughing faces against my chest. Worth reduced to a number shouted by a bunch of frat boys. My self-love contaminated by the possibility that a man might not find me attractive.
Being afraid to say no - prude.
Being afraid to say yes - whore.
I am not longer blind to these moments, and I will continue to highlight their existence until the world sees.
L.E. Bowman - The Evolution of a Girl
Diese Arbeit widme ich Anna, Laura, Alex, Valérie und meinen Eltern, die mich stets unterstützt haben und ohne die ich es nie bis hierher geschafft hätte.
Danke für alles.
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Ausgewählte Telegram-Gruppen und Kanäle der Querdenker-Bewegung
Tabelle 2: Verwendete Begriffe für die Stichwortsuche auf Telegram
1. Einleitung und Relevanzbegründung
„Die Löwin versucht nicht der Löwe zu sein“ - das Zitat im Titel dieser Arbeit stammt aus einem Text, der sich in den sozialen Medien (Frei -Denker- System, 2020, o.S.) und auf privaten Blogs (Seelenreading Sabine Scharping, 2021, o.S.) im Internet verbreitet. Die Löwin und der Löwe symbolisieren darin Frauen und Männern. Ohne bildhafte Umschreibung würde der Satz somit wie folgt lauten: Die Frau versucht nicht der Mann zu sein. Mit dieser Umformulierung wird klar, dass der verbreitete Text weit weniger harmlos ist, als er auf den ersten Blick scheint. Denn diese Aussage verweist die Frau auf einen ihr angeblich inhärenten Platz und verdeutlicht, dass sie kein Anrecht auf die Rolle hat, die dem Mann zusteht - in der Familie, im Berufsleben und in der Gesellschaft. Der Text ist darüber hinaus ein ideales Beispiel für eine subtile Form der Misogynie. Anders als die weit verbreitete Auffassung ist Misogynie nicht mit offener Feindseligkeit gegen Frauen gleichzusetzen und kann in sehr unterschiedlichen Erscheinungsformen auftreten (Manne, 2019, S. 72). Misogynie wird zwar in dieser Arbeit synonym mit dem Begriff Frauenfeindlichkeit gebraucht. Dennoch stellt sich die Frage, welche Einstellungen, Aussagen und Handlungen als feindlich gegenüber Frauen eingeordnet werden können.
Das einleitende Zitat veranschaulicht, dass frauenfeindliche Inhalte mitunter so subtil kommuniziert werden, dass sie ohne eine kritische Reflexion als positive Äußerungen über Frauen wahrgenommen werden können. Misogynie zeigt sich bereits darin, wie Frauen in einer Gesellschaft in Beziehung zu Männern gesetzt werden (Geier, 2020, S. 16). „Die Menschheit ist männlich, und der Mann definiert die Frau nicht als solche, sondern im Vergleich zu sich selbst: sie wird nicht als autonomes Wesen angesehen. [... ] Sie wird mit Bezug auf den Mann determiniert und differenziert, er aber nicht mit Bezug auf sie. Sie ist das Unwesentliche gegenüber dem Wesentlichen. Er ist das Subjekt, er ist das Absolute: sie ist das Andere“ (Beauvoir, 1992, S. 12). Diese vorherrschende Ideologie einer Ungleichheit der Geschlechter (Manne, 2019, S. 145) und die männliche Hegemonie in patriarchal geprägten Gesellschaften (Scholz, 2004, S. 41) sind die Wurzel miso- gyner Frauenbilder. Mit diesem erweiterten Verständnis des Phänomenbereichs kann Misogynie wie ein abstraktes theoretisches Konstrukt erscheinen. Deshalb sollte zu Beginn dieser Arbeit betont werden, dass das Fortbestehen von Misogynie reale, negative Konsequenzen für Frauen hat und zahllose Aspekte ihres Lebens betrifft: ihre finanzielle Situation, ihre medizinische Versorgung, ihre beruflichen Chancen, ihre Rolle in der Familie, ihre Sicherheit bis hin zu ihrer Selbstbestimmung und ihrer Möglichkeit, sich frei zu entfalten. Der Widerstand gegen das Festhalten an misogynen Frauenbildern und frauenfeindlichen Strukturen ist demzufolge eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe von hoher Priorität. Als Teil der Gesellschaft obliegt es auch der Wissenschaft, Verantwortung zu übernehmen und einen Beitrag zu leisten.
Effektive, nachhaltige Lösungen sollten auf der Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnisse entwickelt werden. Erforderlich ist eine möglichst genaue Kenntnis der Misogynie, ihren zugrundeliegenden Denkmustern, ihren Mechanismen und Auswirkungen, aber auch ihren Ausprägungen in öffentlichen und privaten Diskursen. Diese Studie soll ebenfalls an der Erforschung der Frauenfeindlichkeit mitwirken und im Rahmen eines integrativen Ansatzes die vielfältigen Erscheinungsformen von Misogynie in digitalen Kommunikationsräumen untersuchen. Der Fokus dieser Arbeit liegt somit spezifisch auf Online-Misogynie. Das Internet und insbesondere soziale Medien ermöglichen aufgrund ihrer Offenheit die Verbreitung frauenfeindlicher Botschaften an ein großes Publikum (Amadeu Antonio Stiftung, 2021, S. 38; Drüeke & Zobl, 2016, S. 51). Da Nutzer:innen mit einfachen Mitteln ihre Identität verbergen und anonym kommunizieren können (Jane, 2014, S. 560; Rogers, 2020, S. 216), bietet sich ihnen im Internet die Gelegenheit, misogyne Ansichten ohne Furcht vor Konsequenzen wie einer Strafverfolgung oder sozialen Sanktionen zu äußern. Daher kann vermutet werden, dass sich insbesondere in der Online-Kommunikation eine große Bandbreite an frauenfeindlichen Inhalten findet, die im Rahmen einer Studie analysiert werden kann. Als spezifischer Forschungsgegenstand für diese Arbeit wurden die digitalen Kommunikationsräume einer Bewegung gewählt, die soziale Medien zumindest teilweise bereits für die Verbreitung radikaler Inhalte nutzt (Holzer, 2021, S. 152; Pantenburg et al., 2021, S. 29).
Die überwiegend im deutschsprachigen Raum angesiedelte Querdenker-Bewegung entstand im Jahr 2020 während der weltweiten Ausbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 (Holzer et al., 2021, S. 7). Anhänger:innen der Protestbewegung teilen eine Ablehnung der staatlichen Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie, die vor allem zu Beginn von erheblichen Einschränkungen des privaten und öffentlichen Lebens bestimmt waren (Nachtwey et al., 2020, S. 51). Verbunden über diese ablehnende Haltung und gemeinsame Ziele sammelten sich in der Querdenker-Bewegung Menschen mit unterschiedlichen Weltanschauungen aus diversen gesellschaftlichen Milieus (Pantenburg et al., 2021, S. 37). Die Szene ist nicht nur geprägt von Anhänger:innen mit politisch rechten oder rechtsextremen Überzeugungen, sondern auch von Personen mit esoterischen oder verschwörungstheoretischen Ansichten (Frei & Nachtwey, 2022, S. 25; Holzer et al., 2021, S. 17; Nachtwey et al., 2020, S. 33). Gerade aufgrund dieser heterogenen Zusammensetzung eröffnet sich mit der Bewegung ein interessantes Forschungsfeld. Während die Verbindung zwischen frauenfeindlichen Vorstellungen und einer rechtsextremen sowie rassistischen Ideologie bereits Gegenstand einiger Forschungsprojekte war (Anderson, 2014; Geier, 2020; Höcker et al., 2020; Pohl, 2015; Sanders et al., 2019), wurde Misogynie kaum im Kontext anderer gesellschaftlicher Milieus betrachtet. Eine Erhebung in der Querdenker-Szene kann die Verbreitung misogyner Frauenbilder im Zusammenhang mit den diversen Weltanschauungen untersuchen, die sich in dieser aktuellen sozialen Bewegung bündeln.
Das Forschungsinteresse für eine Studie über Misogynie in der Protestbewegung gründet sich allerdings auch auf der pragmatischen Feststellung, dass dieser thematische Fokus eine Lücke im Wissensstand darstellt. Bisher ging keine Forschungsarbeit der Frage nach, inwiefern Querdenker:innen frauenfeindliche Inhalte kommunizieren. Investigative Jour- nalist:innen der Süddeutschen Zeitung stießen allerdings bei einer umfangreichen Datenanalyse von Nachrichten in Telegram-Kanälen der Querdenker-Bewegung auf erste Indizien, die auf eine Verbreitung misogyner Frauenbilder innerhalb dieser Szene hinweisen (Ebitsch & Kruse, 2021, o.S.). Die vorliegende Forschungsarbeit will dieser Vermutung nachgehen und empirisch fundierte Erkenntnisse über frauenfeindliche Tendenzen in der Protestbewegung gewinnen. Zu diesem Zweck werden mithilfe einer qualitativen Inhaltsanalyse die Kommunikationsinhalte in ausgewählten Telegram-Kanälen und -Gruppen untersucht, die der deutschsprachigen Querdenker-Szene angehören. Die konkrete Forschungsfrage, die dieser Studie zugrunde liegt, lautet daher wie folgt:
Inwiefern werden misogyne Frauenbilder innerhalb der Querdenker-Bewegung auf Telegram verbreitet?
Der nachfolgende Forschungsbericht vermittelt zunächst einen Überblick über die zentralen theoretischen Erkenntnisse zu dem Phänomen Misogynie. Ausgehend von dieser Erörterung arbeitet der Text eine eigene Definition von Frauenfeindlichkeit heraus und diskutiert dann unterschiedliche Erscheinungsformen von Misogynie in gegenwärtigen Diskursen sowie den Zusammenhang mit anderen Ideologien und zugrundeliegenden Denkmustern. Anschließend widmet sich diese Arbeit der Entstehung und Zusammensetzung der Querdenker-Bewegung aus diversen gesellschaftlichen Milieus, bevor die Bedeutung der Plattform Telegram für die Bewegung illustriert wird. Nach dem Theorieteil wird das methodische Vorgehen in der Studie begründet, beschrieben und reflektiert. Daran anknüpfend werden die Ergebnisse der qualitativen Inhaltsanalyse präsentiert. Zuletzt folgt eine Diskussion über misogyne Frauenbilder in der Querdenker-Bewegung und eine Einordnung der Erkenntnisse in den bestehenden Forschungstand, bevor diese Arbeit mit einem Kapitel über die Limitationen und möglichen Anschlussstudien an dieses Forschungsprojekt endet.
2. Theoretischer Hintergrund
Die nachfolgende Reflexion des theoretischen Wissensstandes gliedert sich in drei übergeordnete Themengebiete. Zuerst setzt sich der Text eingehend mit dem Phänomen der Misogynie und ihren Ausprägungsformen in Bezug auf die Lebensrealität von Frauen auseinander. Anschließend folgt eine Analyse der Entwicklung und Zusammensetzung der Querdenker-Bewegung, bevor abschließend die Rolle der Plattform Telegram als Kommunikationsraum für die potenzielle Verbreitung misogyner Frauenbilder in der Querdenker-Szene diskutiert wird.
2.1 Misogynie
Dieses Kapitel bündelt Erkenntnisse aus vorangegangenen wissenschaftlichen Veröffentlichungen zum Thema Frauenfeindlichkeit, um darauf aufbauend ein eigenes Verständnis von Misogynie für diese Studie zu etablieren. Entscheidend für dieses Verständnis ist die Erörterung der Ursachen für und die Logik hinter Frauenfeindlichkeit. Anschließend daran widmet sich der Text den unterschiedlichen Facetten und Formen, die Misogynie annehmen kann, sowie den Konsequenzen für die Lebensrealität von Frauen. Zuletzt folgt eine Betrachtung der gesellschaftlichen Milieus, in denen bisherige Forschungsarbeiten die Verbreitung misogyner Frauenbilder beobachten konnten.
2.1.1 Eine Definition der Misogynie
Das Konstrukt Misogynie zu definieren ist mit erheblich mehr Schwierigkeiten verbunden, als man aufgrund seiner Bedeutung in gegenwärtigen wissenschaftlichen und auch gesellschaftlichen Diskursen annehmen würde. Ursache dafür ist zum einen das inkonsistente Interesse der Forschung an der Thematik. Nach den 1960er und 1970er Jahren war die Anzahl der Publikationen zu Frauenfeindlichkeit stark abgeflacht (Geier, 2020, S. 2). Erst seit wenigen Jahren ist Misogynie wieder erkennbar in den Fokus wissenschaftlicher Forschung gerückt. Aktuelle Veröffentlichungen verzichten allerdings des Öfteren auf eine klare Definition des Konstrukts (z.B. Drakett et al., 2018; Easter, 2018; Jane, 2014; Koulouris, 2018). In gewisser Weise wird damit vorausgesetzt, dass Forschende bereits über ein einheitliches Verständnis von Misogynie verfügen, obwohl bisher kein Konsens bezüglich einer Definition vorliegt. Zudem ist fraglich, ob eine Einigung auf eine kongruente Definition überhaupt möglich oder sinnvoll ist. Diverse wissenschaftliche Disziplinen beleuchten inzwischen das Phänomen Misogynie, neben der Kommunikationswissenschaft auch die Soziologie, Psychologie, Philosophie und der Forschungsbereich Gender Studies. Diese Interdisziplinarität führt zu einer vielseitigen Betrachtungsweise der Misogynie und ihrer Erscheinungsformen. Der nachfolgende Abschnitt greift einige dieser unterschiedlichen Auffassungen von Misogynie auf, um eine zumindest für diese Forschungsarbeit geltenden Definition des Konstrukts zu erarbeiten.
Nach wie vor weit verbreitet ist ein Verständnis von Misogynie als „krankhafte[r] Hass von Männern gegenüber Frauen [...]; verallgemeinert bezeichnet der Begriff Frauenfeindlichkeit bzw. Verachtung gegenüber Frauen“ (Feldmann & Schülting, 2013, S. 529). Misogynie findet nach dieser Betrachtungsweise insbesondere auf der Charakterebene von Individuen statt, kann sich aber auch „in spezifischen Verhaltensweisen“ (Helduser, 2002, S. 271) ausdrücken. Diese Auffassung von Misogynie wird in der Forschung inzwischen allerdings als zu einschränkend empfunden und reicht nicht aus, um die Tragweite und die Auswirkungen von Misogynie in einer Gesellschaft zu verstehen und zu erklären (Manne, 2019, S. 56). Geier (2020, S. 4-5) argumentiert, dass die Auffassung von Misogynie als Eigenschaft von Einzelpersonen das Problem individualisiert und auf einige seltene Extremfälle abzielt, in denen Männer Frauen aufgrund ihres Geschlechts verachten1. Um das Phänomen Misogynie vollständig zu begreifen, muss der Kontext berücksichtigt werden. Dazu zählen die gesellschaftlichen Strukturen, in denen Misogynie stattfindet, ebenso wie die historische Entwicklung der Frauenfeindlichkeit und die gegenwärtige Darstellung misogyner Frauenbilder in den Medien (Geier, 2020, S. 5). Pohl (2019, S. 488-490) charakterisiert Misogynie als Ergebnis sowohl aktiver Täter als auch bestimmter Strukturen innerhalb patriarchal ausgerichteter Gesellschaften. Dieser Aspekt ändert das Verständnis von Misogynie grundlegend.
Frauenfeindlichkeit ist somit eine zentrale Manifestation einer patriarchalen Ideologie, die die Unterdrückung von Frauen fördert und männliche Privilegien bewahrt (Manne, 2019, S. 78). Feindlichkeit entsteht gegenüber Frauen, die als Bedrohung für das Patriarchat gelten und daher kontrolliert, bestraft oder verurteilt werden müssen (Manne, 2019, S. 79). Auch Deutschland ist trotz aller Fortschritte in Bezug auf die Gleichberechtigung nach wie vor eine patriarchal strukturierte Gesellschaft (Amadeu Antonio Stiftung, 2021, S. 12). Das Vorliegen struktureller Frauenfeindlichkeit impliziert, dass Formen von Misogynie innerhalb dieser Gesellschaften normalisiert sind und auch unterbewusst von Menschen reproduziert werden, die Frauen nicht absichtlich unterdrücken oder abwerten (Geier, 2020, S. 6). Diese Personen müssen zudem nicht männlich sein. Frauen können ebenfalls frauenfeindlich denken oder handeln, wenn sie in patriarchalen Strukturen sozialisiert wurden und daher misogyne Denkmuster internalisierten (Geier, 2020, S. 4).
Wie sich im Verlauf dieser Arbeit zeigen wird, hilft diese ausgedehnte Betrachtungsweise von Misogynie, Wirkmechanismen hinter Frauenfeindlichkeit sowie Verbindungen zu anderen gesellschaftlichen Phänomenen besser zu begreifen. Andererseits erschwert dies die Abgrenzung von Misogynie zu ähnlichen theoretischen Konstrukten wie dem Sexismus (Manne, 2019, S. 16; Sanders et al., 2019, S. 41). Zur Vereinfachung betrachteten Forschende Misogynie häufig als überwiegend individuelle Haltung einer Person, während Sexismus eher auf einer gesellschaftlichen Meta-Ebene angesiedelt war (Geier, 2020, S. 7). Sexismus wird definiert als die „Unterdrückung und Marginalisierung einer Person oder einer Gruppe aufgrund ihres Geschlechts“ (Metz-Göckel, 2002, S. 357) und erfüllt somit weniger einen kontrollierenden als vielmehr diskriminierenden Zweck im Patriarchat.
Kate Manne unterscheidet Sexismus auf ähnliche Weise von Misogynie. Ihrer Auffassung nach ist Sexismus das „Rechtfertigungsorgan einer patriarchalischen Ordnung durch eine Ideologie [...], deren allgemeine Funktion darin besteht, patriarchalische Sozialbeziehungen zu rationalisieren und zu rechtfertigen“ (Manne, 2019, S. 144). Diese Ideologie leitet aus naturgegebenen Unterschieden zwischen den biologischen Geschlechtern eine gesellschaftliche Ungleichstellung ab (Manne, 2019, S. 145). Da Männlichkeit als höherwertig eingestuft wird, folgt daraus eine Herabsetzung von Weiblichkeit (Manne, 2019, S. 145). Sexistische Vorstellungen weisen Frauen und Männern angeblich rechtmäßige Positionen innerhalb der Gesellschaft zu und legitimieren diese über die biologische Ge- schlechterzugehörigkeit (Manne, 2019, S. 144). Die individuellen Positionen basieren dabei auf heteronormativen Rollenzuschreibungen. Heteronormative Vorstellungen sehen heterosexuelle Beziehungen und traditionelle, bürgerliche Familienkonstruktionen als Norm an, während andere Lebensweisen abgelehnt werden (Lang & Peters, 2018, S. 1718).
In Abgrenzung dazu definiert Manne Misogynie als „Exekutivorgan einer patriarchalischen Ordnung [...], das die allgemeine Funktion hat, dessen herrschende Ideologien zu kontrollieren und durchzusetzen“ (Manne, 2019, S. 144). Misogynie dient somit der Unterdrückung von Frauen zu dem Zweck, dass sie geschlechterspezifische Normen und Erwartungen des Patriarchats einhalten und die männliche Vorherrschaft bewahrt bleibt (Manne, 2019, S. 57). Die männliche Hegemonie auf Basis einer hierarchischen Zweigeschlechtlichkeit bedeutet nicht nur eine Privilegierung von Männern, sondern die „geistige und moralische Vorherrschaft von männlichen Wert- und Ordnungssystemen, Verhaltenslogiken und Kommunikationsstilen etc.“ (Scholz, 2004, S. 41).
Sexismus und Misogynie sind folglich in der Theorie unterscheidbar und theoretisch betrachtet besteht die Möglichkeit, dass beide getrennt voneinander auftreten (Manne, 2019, S. 159-161). In der Praxis sind beide Bestandteile eines patriarchalen Systems und eng ineinander verzahnt. Zudem verfolgen sowohl Sexismus als auch Misogynie dasselbe Ziel, mit denselben Konsequenzen für die Lebensrealität von Frauen: Patriarchale Strukturen innerhalb einer Gesellschaft sollen bewahrt oder wiederhergestellt werden, selbst wenn dieser Prozess Frauen benachteiligt und unterdrückt (Manne, 2019, S. 146). Für eine empirische Untersuchung von Misogynie ist eine exakte Abgrenzung daher weniger zentral als innerhalb einer abstrakten, theoretischen Auseinandersetzung mit der Thematik. Ebendies gilt für das Phänomen Antifeminismus, welches eine Gegenreaktion auf weibliche Emanzipation, Gleichstellungsbestrebungen und Feminismus darstellt (Maurer, 2019, S. 83-86). Das Konstrukt kann zwar in der Theorie klarer von Misogynie abgegrenzt werden als Sexismus, praktisch sind alle drei Phänomene jedoch eng verzahnt. Eine Studie zur Erfassung antifeministischer Ressentiments in der deutschen Bevölkerung stellte eine hohe Binnenkorrelation zwischen Antifeminismus und Sexismus im Messinstrument fest (Höcker et al., 2020, S. 261). Die Autor:innen schließen daher auf „massive Überschneidungen“ (Höcker et al., 2020, S. 261) dieser Einstellungen.
Ideologisch ähnelt Antifeminismus auch der Misogynie. Eine antifeministische Denkweise enthält geschlechterspezifische Rollenbilder (Sanders et al., 2019, S. 29-30) und verteidigt vehement ein heteronormatives Weltbild sowie männliche Privilegien in der Gesellschaft (Höcker et al., 2020, S. 252).
Aufgrund dieser starken Verbindung stellt sich die Frage, ob eine klare Unterscheidung dieser Phänomene wirklich notwendig ist im Rahmen einer empirischen Forschungsarbeit zu Frauenfeindlichkeit in bestimmten Kommunikationsräumen. Der entscheidende Faktor ist die Unterdrückung und Ungleichbehandlung von Frauen. Diese resultieren nicht allein aus Misogynie, die die Einhaltung patriarchaler Normen und Erwartungen kontrolliert und etwaige Abweichungen sanktioniert. Auch antifeministische Äußerungen, die einer Emanzipation und Gleichstellung der Geschlechter im Weg stehen, fördern diese Problematik. Ebenso ein Teil davon ist Sexismus, der auf der Basis heteronormativer Ge- schlechtervorstellungen eine Diskriminierung von Frauen rechtfertigt. Da diese Arbeit auf eine Erforschung kommunizierter Frauenfeindlichkeit in all ihren Facetten abzielt, kann keine der zahlreichen Definitionen aus der bestehenden Forschungsliteratur als Grundlage für die Studie gewählt werden. Stattdessen wurde ein eigenes Verständnis entwickelt, welches alle bisher gewonnenen Erkenntnisse zusammenfasst. Misogynie wird daher im Rahmen dieser Arbeit wie folgt aufgefasst:
In dieser Forschungsarbeit wird Misogynie definiert als die Ungleichbehandlung und Unterdrückung von Frauen in patriarchal geprägten Gesellschaften. Als misogyn gelten alle Einstellungen, Äußerungen und Handlungen, die Frauen im Rahmen eines binären Ge- schlechterkonzepts hierarchisch unter Männern positionieren und damit eine männliche Vorherrschaft in der Gesellschaft rechtfertigen und bewahren. Misogyne Vorstellungen reproduzieren heteronormative Rollenbilder, vermitteln patriarchale Normen und Erwartungen an Frauen und begrenzen so deren Handlungs- und Entfaltungsraum.
Nachdem das Konstrukt theoretisch definiert ist, illustriert das nachfolgende Unterkapitel, wie Misogynie real vermittelt wird. Erläutert wird, welche Formen Misogynie annehmen kann, welche misogynen Narrative kursieren und welche Botschaften sowie Handlungen konkret patriarchale Ideologien reproduzieren.
2.1.2 Facetten von Misogynie in gegenwärtigen Diskursen
Frauenfeindlichkeit beginnt nicht erst mit Frauenhass, Gewalt gegen Frauen oder Femi- ziden (Geier, 2020, S. 15). Frauenfeindlichkeit wird vor allem verbal kommuniziert. Misogyne Aussagen finden sich in vielen Bereichen des gesellschaftlichen Zusammenlebens. Sie existieren im Internet, in medialen Darstellungen, in Musik und Kunst, im Berufsleben ebenso wie in der Schule, in Familien und Freundschaften (Höcker et al., 2020, S. 250). Diese Bandbreite spiegelt sich wider in den vielfältigen Mechanismen und Methoden, über die Misogynie ausgedrückt werden kann. Frauenfeindlichkeit wird mitunter „herablassend, mansplainend, moralisierend, vorwurfsvoll, strafend, mundtot machend, höhnisch, satirisch, sexualisierend, herabsetzend, karikaturistisch, ausbeuterisch, auslöschend und dezidierte Gleichgültigkeit bekundend“ (Manne, 2019, S. 72) vermittelt. Diese beispielhafte Auflistung Mannes zeigt, dass sich Misogynie nicht auf direkte, offensichtliche Anfeindungen beschränkt. Eine Form subtiler alltäglicher Frauenfeindlichkeit ist Gleichgültigkeit oder die Ausgrenzung aus dem sozialen Gefüge, die aufgrund des ausgeprägten Gemeinschaftssinns von Menschen ebenfalls ein wirksames Kontrollinstrument darstellen (Manne, 2019, S. 152). Auch eine generelle Marginalisierung des Weiblichen in gesellschaftlichen Diskursen ist eine Form der Misogynie (Höcker et al., 2020, S. 253-254). Indem Frauen nur in bestimmten Kontexten Erwähnung finden, beispielsweise als Opfer männlicher Akteure, während weibliche Ansichten oder Leistungen nicht thematisiert werden, wird die Vorstellung einer Ungleichstellung der Geschlechter reproduziert und das Patriarchat gestärkt (Keul, 2020, S. 12-14).
Neben einer Marginalisierung ist auch die Idealisierung bestimmter Frauen eine Form der Misogynie in patriarchalen Gesellschaften. Diese wirkt zwar harmlos und wird von vielen Frauen sogar positiv wahrgenommen (Anderson, 2014, S. 110-111; Pohl, 2019, S. VII). Dennoch erfüllt sie eine Kontrollfunktion. Für die Aufrechterhaltung des Patriarchats müssen nicht alle Frauen ausgegrenzt oder angefeindet werden, nur bestimmte Gruppen. Patriarchale Denkmuster unterscheiden dafür zwischen guten und schlechten Frauen (Manne, 2019, S. 146). Gute Frauen, die patriarchale Normen und Erwartungen an sie erfüllen, werden idealisiert und damit aufgewertet (Manne, 2019, S. 133). Schlechte Frauen, die von den ihnen zugewiesenen Rollen in der Gesellschaft abweichen, werden bestraft und dadurch abgewertet (Manne, 2019, S. 133). Sowohl Abwertung als auch Aufwertung sind ein Ausdruck von Misogynie, die das patriarchale System so mittels Zuckerbrot und Peitsche erhält. Beide Formen begrenzen weibliche Handlungsräume und verhindern eine individuelle Entfaltung von Frauen, frei von patriarchalen Rollenbildern, mit klar definierten, geschlechterspezifischen Normen und Erwartungen (Geier, 2020, S. 14). An diesem Punkt stellt sich die Frage, welche Normen und Erwartungen patriarchale Ideologien an die Geschlechter stellen. Kate Manne abstrahiert diese auf eine Dynamik von Geben und Nehmen. Ihr zufolge existiert in patriarchalen Gesellschaften eine Anspruchshaltung an Frauen (Manne, 2019, S. 184). Sie, die Gebenden, schulden Männern und der Gesellschaft bestimmte soziale und moralische Güter und Dienstleistungen (Manne, 2019, S. 184). Zu den vermeintlich weiblichen Pflichten zählt das Bereitstellen von „Aufmerksamkeit, Zuneigung, Bewunderung“ (Manne, 2019, S. 217), „Respekt, Liebe, Akzeptanz, Hege und Pflege, Geborgenheit, Sicherheit und Zuflucht, [...] Güte, Mitgefühl, moralische Zuwendung, Fürsorge, Anteilnahme und Trost“ (Manne, 2019, S. 184). Diese Pflichten bestimmen die Rolle jeder Frau in ihrem Familien- und Berufsleben sowie ihren Platz in der Gesellschaft. Verweigert sie die Erfüllung oder stellt ihrerseits Ansprüche, folgt die Bestrafung (Manne, 2019, S. 190-191). Ansprüche zu stellen ist der patriarchalen Ideologie zufolge ein Anrecht der Männer. Ihm, dem Nehmenden, stehen vermeintlich männliche Privilegien wie „Macht, Prestige, öffentliche Anerkennung, Rang, Reputation, Ehre, Ansehen, Respekt, Geld“ (Manne, 2019, S. 217) sowie „gesellschaftliche Führungspositionen, Autorität [und] Einfluss“ (Manne, 2019, S. 193) zu. Misogynie tritt insbesondere dann auf, wenn Frauen männlich konnotierte Privilegien einfordern (Manne, 2019, S. 194). Dieses Konzept von Geben und Nehmen scheint sehr abstrakt zu sein, bietet allerdings eine schlüssige Erklärung für viele misogyne Narrative in gegenwärtigen Diskursen. Einige dieser Narrative werden nachfolgend in Themenkomplexen gegliedert dargestellt.
Zahlreiche misogyne Vorstellungen betreffen das Berufsleben von Frauen. Falls eine Frau einen Beruf ausübt, sollte er zu ihrer patriarchal vorgegebenen Rolle als Gebende passen. Ein Beispiel hierfür wären Pflegeberufe oder Berufsfelder, die der Kindererziehung gewidmet sind. Spitzenpositionen, die mit Macht und einem hohen Gehalt verbunden sind, sind Männern vorbehalten und dürfen nicht von Frauen okkupiert werden. Insbesondere Politikerinnen sind daher häufig das Ziel misogyner Angriffe (Manne, 2019, S. 181). Diese stehen in der Öffentlichkeit und erhalten entsprechend viel Aufmerksamkeit, haben einen gewissen Einfluss und arbeiten in einer besonders männlich besetzten Domäne der Gesellschaft (Manne, 2019, S. 181). Frauen in politischen Spitzenpositionen werden allerdings leichter geduldet, wenn sie konservativen oder rechten Parteien angehören, da sie dann häufig heteronormative Rollenbilder reproduzieren und damit patriarchale Strukturen stützen (Manne, 2019, S. 196). Dennoch werden diese Frauen lediglich geduldet, nicht respektiert oder willkommen geheißen.
Nach traditionellen Geschlechtervorstellungen ist die ideale Rolle einer Frau die der Hausfrau und Mutter. Hier kann sie die Normen und Erwartungen des Patriarchats bestmöglich erfüllen, indem sie sich liebevoll um ihre Familie und das Zuhause kümmert. Das zeigt sich insbesondere in der gesellschaftlich verbreiteten Auffassung, wer für die Sorgearbeit verantwortlich ist. Ein Vater, der einen Großteil der Sorgearbeit für seine Kinder leistet, erhält mitunter sogar einen Preis, während die Auszeichnung einer Mutter für dieselbe Leistung lächerlich wirkt (Geier, 2020, S. 24-25). Diese doppelten Standards offenbaren eindrücklich, dass eine Gleichstellung der Geschlechter noch nicht erreicht ist (Geier, 2020, S. 25). Gleichzeitig thematisieren misogyne Narrative eine angebliche finanzielle und rechtliche Benachteiligung der Männer in Scheidungsfällen, ermöglicht durch einen feministischen Umbruch in der Gesellschaft (Pohl, 2015, S. 39). Dieser privilegiere Frauen strukturell und erlaubt es diesen, Männer finanziell auszubeuten und zusätzlich das alleinige Sorgerecht für gemeinsame Kinder zu erlangen (Pohl, 2015, S. 3940).
Misogyne Vorstellungen kursieren zudem im Kontext von Gewalt gegen Frauen. Weit verbreitet in patriarchalen Gesellschaften ist das Victim Blaming, das Opfern aufgrund ihres Verhaltens oder Auftretens eine Mitschuld an den Übergriffen zuweist (Geier, 2020, S. 18). Dieser Mechanismus basiert auf der Illusion, dass Frauen Gewalterfahrungen verhindern könnten, wenn sie sich korrekt verhalten würden (Geier, 2020, S. 18). Gewalt erscheint als gerechtfertigte Strafe für Frauen, die sich außerhalb ihres erlaubten Handlungsraums bewegen und gegen Normen verstoßen (Anderson, 2014, S. 123). Einige Männer drohen gezielt mit sexualisierter Gewalt, um Frauen einzuschüchtern und damit ihr Verhalten zu kontrollieren (Sanders et al., 2019, S. 90). Diese Verbreitung misogyner Botschaften, insbesondere mit Bezug auf Gewalt gegen Frauen, birgt ein reales Bedrohungspotenzial (Pohl, 2015, S. 43). Aus frauenfeindlichen Aussagen kann frauenfeindliche Gewalt entstehen.
Gewalt gegen Frauen zeigt sich nicht nur in Partnerschaften oder sexualisierten Übergriffen durch Fremde, sondern in extremen Fällen auch in Amoktaten männlicher Akteure (Pohl, 2015, S. 43). Als prägnantes Beispiel kann der Amokläufer Mark Lépine angeführt werden, der im Jahr 1989 in Montreal 14 Frauen tötete (Pohl, 2015, S. 44). Lépine kennzeichnete eine tiefgehende Feindseligkeit gegenüber allen Frauen, die nicht seinen patriarchal geprägten Rollenvorstellungen entsprachen (Pohl, 2015, S. 44). Als Motivation für seine Amoktat gilt insbesondere sein Hass auf Karrierefrauen und Feministinnen, da diese angeblich einen Wandel in der Gesellschaft herbeiführen und traditionell männliche Privilegien unberechtigterweise für sich beanspruchen würden (Pohl, 2015, S. 44). Diese Mutmaßung über eine Bedrohung der Männlichkeit findet sich häufiger in misogyn geprägten Diskursen und offenbart eine verzerrte Wahrnehmung der Realität, die teilweise verschwörungstheoretische Grundzüge annehmen kann (Pohl, 2015, S. 42). Das Narrativ einer „Krise der Männlichkeit“ (Pohl, 2015, S. 37) ist eine Überreaktion auf einen beginnenden feministisch geprägten Wandel in der Gesellschaft und steigert sich zu einer Feindseligkeit gegenüber allem, was als weiblich identifiziert wird (Pohl, 2015, S. 42). Vertreter inszenieren sich als eine inzwischen diskriminierte Minderheit (Sanders et al., 2019, S. 42) und als Opfer einer Umstrukturierung der Gesellschaft in allen Bereichen - von der Politik über das Bildungswesen bis zum Fußball - zum Vorteil der Femi- nist:innen (Pohl, 2015, S. 39). Die Etablierung des ,Feminats‘ bedrohe und zerstöre die männliche Identität (Pohl, 2015, S. 40). Befürchtet wird eine Verweiblichung der Männer. Die Rolle des Mannes würde sich normalerweise aus genetisch vorbestimmten Eigenschaften ergeben (Pohl, 2015, S. 41-42). Eine Abkehr von dieser Rolle würde somit gegen die Natur laufen und erfordere daher eine Männerbewegung, die sich für die Widerherstellung der traditionellen heteronormativen Rollenverteilung in der Gesellschaft einsetzt (Pohl, 2015, S. 40).
Hier zeigt sich, dass patriarchale Denkmuster auch Männern eine feste Rolle im Sozialgefüge zuweisen (Manne, 2019, S. 133). Von diesen werden männlich konnotierte Eigenschaften wie Ehrgeiz, Aggressivität und Intelligenz erwartet (Koulouris, 2018, S. 753). Zeigen Männer stattdessen Verhaltensweisen, die als weiblich wahrgenommen und daher per se negativ betrachtet werden, erfolgt ebenfalls eine Abwertung (Koulouris, 2018, S. 751). Insbesondere Männer, die feministische Positionen vertreten und somit scheinbar mit dem Feind kollaborieren, erleben Anfeindungen (Koulouris, 2018, S. 751). Dennoch muss betont werden, dass die verbalen Angriffe weit unter dem Niveau bleiben, dem Frauen ausgesetzt sind (Koulouris, 2018, S. 751). Allein die Zugehörigkeit zum männlichen Geschlecht stellt alle Männer über Frauen und garantiert ihnen gewisse Privilegien, auch wenn sie für den vermeintlichen Verrat am eigenen Geschlecht angegriffen werden (Koulouris, 2018, S. 751). Die Erkenntnis, dass ein heteronormatives Rollenbild und patriarchale Strukturen nicht nur Frauen schaden, kann wichtig sein für ein gesellschaftliches Umdenken. Konsequenzen für Frauen sind dennoch gravierender und häufiger, deshalb fokussiert sich diese Arbeit auf misogyne Botschaften gegen Frauen. Da diese, wie bereits festgestellt, ein Teil öffentlicher und privater Diskurse sind, verbreiten sich frauenfeindliche Aussagen auch in digitaler Kommunikation im Internet. Das nächste Unterkapitel beleuchtet daher spezifisch Online-Misogynie.
2.1.3 Misogynie in digitalen Kommunikationsräumen
Die Offenheit des Internets ermöglicht Akteur:innen die Verbreitung frauenfeindlicher Vorstellungen an ein großes Publikum (Drüeke & Zobl, 2016, S. 51). Vor allem soziale Medien sind Kommunikationsräume, die den Austausch misogyner Positionen erleichtern (Amadeu Antonio Stiftung, 2021, S. 38). Während feindselige Kommunikation im Internet stetig zunahm, zeigt eine Metaanalyse wissenschaftlicher Literatur allerdings, dass die Forschung zu der Thematik im selben Zeitraum zurückging (Jane, 2015, S. 66). Insbesondere das Ausmaß und die Konsequenzen geschlechterspezifischer Anfeindungen im Internet erkannten Forscher:innen lange Zeit nicht (Jane, 2015, S. 66). An dieser Stelle muss angemerkt werden, dass besagte Literaturanalyse im Jahr 2015 veröffentlicht wurde und seither vermehrt Publikationen zum Thema Misogynie generell und mit Fokus speziell auf digitale Kommunikation erschienen sind (z.B. Dickel & Evolvi, 2022; Döring & Mohseni, 2019; Easter, 2018; Koulouris, 2018; Sorce, 2018; Sundén & Paasonen, 2018). Nachfolgend werden Erkenntnisse aus diesen Forschungsarbeiten diskutiert. Ein Fokus liegt auf den neuen Darstellungsmöglichkeiten für misogyne Botschaften.
Eine empirische Studie über Memes stellte fest, dass diese ebenfalls ein heteronormatives Rollenbild transportieren und das häusliche Umfeld als idealer Platz für eine Frau hervorgehoben wird (Drakett et al., 2018, S. 120-121). Berufstätige Frauen, insbesondere in höheren Positionen, werden kritisiert und geächtet. Gleichzeitig prangern einige Memes nicht berufstätige Hausfrauen aufgrund ihrer finanziellen Abhängigkeit von einem männlichen Versorger an (Drakett et al., 2018, S. 120-121). Diese widersprüchlichen Botschaften verdeutlichen vor allem, dass Frauen in diesen Diskursen nicht gewinnen können. Sie erfahren Anfeindung, wenn sie die traditionelle Rolle einer Hausfrau nicht erfüllen, und werden gleichermaßen herabgesetzt, wenn sie es doch tun (Drakett et al., 2018, S. 120121). Diese Botschaften vermitteln Frauen die Gewissheit, dass jede Frau zu jeder Zeit für jegliches Verhalten im Internet abgewertet werden kann. Ein effektives Instrument, um frauenfeindliche Narrative sowohl in Online- als auch Face-to-face-Kommunikation möglichst weit zu verbreiten, ist Humor.
Die Verwendung von Humor trägt dazu bei, Misogynie im Alltag zu normalisieren (Dra- kett et al., 2018, S. 112). Dabei äußern Personen frauenfeindliche Aussagen und relativieren diese im selben Atemzug, indem sie sie als Form von Humor und damit als harmlos einstufen (Gill, 2007, S. 159). Ein populäres Beispiel sind Vergewaltigungsdrohungen, die als Witze getarnt und dadurch verharmlost werden (Drakett et al., 2018, S. 110). Aber auch Misogynie, die über vermeintlich humorvolle Botschaften kommuniziert wird, trägt zur Unterdrückung von Frauen in patriarchalen Gesellschaften bei. Der Humor basiert auf der Vorstellung, dass Frauen Männern von Natur aus unterlegen sind, und richtet sich gegen das gesamte weibliche Geschlecht oder gegen bestimmte Frauentypen (Shifman & Lemish, 2010, S. 872). Aus natürlichen und universellen Unterschieden zwischen Männern und Frauen leitet Humor eine Benachteiligung innerhalb einer künstlichen Hierarchie der Geschlechter ab, Gleichstellung wird nicht thematisiert (Shifman & Lemish, 2010, S. 886). Das häufige Abheben auf dieses Narrativ der natürlichen Ungleichheit reproduziert sexistische Ideologien, verfestigt Stereotype und normalisiert diese innerhalb des gesellschaftlichen Diskurses (Shifman & Lemish, 2010, S. 887). Zudem kann Humor als Disziplinarmaßnahme eingesetzt werden, um Individuen zu verhöhnen, die von gesellschaftlichen Normen und Erwartungen abweichen (Billig, 2005, S. 202-203).
Forschungsarbeiten mit Fokus auf frauenfeindlichem Humor im Internet stellten fest, dass dieser oftmals stereotype Darstellungen geschlechterspezifischer Eigenschaften und Verhaltensweisen verwendet (Shifman & Lemish, 2010, S. 883). Häufig werden Gegensätze betont, indem Frauen beispielsweise als emotional, Männer als emotionslos oder Frauen als unselbstständig, Männer als unabhängig charakterisiert werden (Shifman & Lemish, 2010, S. 883). Frauen werden dabei mit negativen Adjektiven in Verbindung gebracht, während Männer oft das Gegenteil davon darstellen (Drakett et al., 2018, S. 118). Humor im Internet assoziiert Weiblichkeit mit Oberflächlichkeit, Schwatzhaftigkeit, Nörgeln, einem komplizierten Charakter (Shifman & Lemish, 2010, S. 885), Irrationalität, Unentschlossenheit oder Promiskuität (Drakett et al., 2018, S. 118). Eine interessante Ausnahme stellt die Intelligenz dar. Frauen werden teilweise weniger intelligent, aber auch teilweise klüger als Männer porträtiert (Shifman & Lemish, 2010, S. 884). Die quantitative Studie, die diese Erkenntnis ans Licht brachte, ordnete diese jedoch nicht in den Kontext ein. Aus der Textstelle im Anhang wird ersichtlich, dass die Intelligenz von Frauen ebenfalls als negative Eigenschaft verstanden wird, da sie sich über Hinterlist und die Fähigkeit zur Manipulation ausdrückt (Shifman & Lemish, 2010, S. 891).
Diese Zuweisung geschlechterspezifischer Eigenschaften und Verhaltensweisen, sowohl in Memes (Drakett et al., 2018, S. 118) als auch in anderen Darstellungsformen im Internet (Jane, 2014, S. 560; Shifman & Lemish, 2010, S. 885), reproduziert altbekannte frauenfeindliche Vorstellungen. Auch Beziehungen zwischen Männern und Frauen werden thematisiert und bieten eine Vorlage für misogynen Humor. In Übereinstimmung mit heteronormativen Geschlechterrollen zeigen vermeintlich humorvolle Darstellungen Frauen als unerwünschte Anhängsel von Männern, die nicht für sich selbst sorgen können (Shifman & Lemish, 2010, S. 884). In heterosexuellen Beziehungen seien Frauen der naive und passive Part, während Männer die aktive Rolle übernehmen (Drakett et al., 2018, S. 116). Zudem verbreiten sich über Memes Narrative aus der Pick-Up-Artists Szene, die Frauen als Preis oder Objekt ansehen, welches mittels Manipulation und Tricks erobert und zu sexuellen Beziehungen überredet werden muss (Drakett et al., 2018, S. 117). Aus dieser Szene verbreitet sich ebenfalls sexistischer Humor über unerwünschte Schwangerschaften und Abtreibungen (Drakett et al., 2018, S. 117-118). Zudem wird Frauen vorgeworfen, ihr äußeres Erscheinungsbild und Sex gezielt gegen Männer einzusetzen, um sich dadurch Vorteile zu verschaffen (Shifman & Lemish, 2010, S. 884).
Frauenfeindliche Darstellungen thematisieren allerdings auch die Beziehungen zwischen Frauen und unterstellen in diesem Kontext eine grundsätzliche Feindseligkeit (Drakett et al., 2018, S. 118). Die „patriarchal ideology of women as enemies“ (Hawthorne & Klein, 1999, S. 5) wird als internalisierte Misogynie häufig auch von Frauen übernommen. Sie charakterisiert Frauen als eifersüchtig und rachsüchtig, selbst ihrem eigenen Geschlecht gegenüber (Drakett et al., 2018, S. 119). Insgesamt verharmlost Humor im Internet misogyne Einstellungen und verbreitet diese mehr oder weniger subtil an eine große Anzahl an Rezipient:innen (Drakett et al., 2018, S. 123). Die Online-Kommunikation reproduziert altbewährte, heteronormative Rollenbilder, verspottet feministische Gleichstellungsbestrebungen und thematisiert auch Gewalt gegen Frauen bis hin zu Vergewaltigungsdrohungen in vermeintlich humorvollen Aussagen (Drakett et al., 2018, S. 121123).
Da Verfasser:innen im Internet kaum zu identifizieren sind, beschränkt sich Online-Misogynie jedoch nicht auf subtile Botschaften, sondern enthält teilweise extrem frauenfeindliche Angriffe gegenüber unerwünschten Frauen oder Frauentypen (Jane, 2014, S. 560). Mitunter werden diese Angriffe gezielt initiiert, um einzelne Frauen zu bestrafen oder zu bedrohen (Jane, 2014, S. 560). Diese Angriffe sind keine Einzelfälle sondern finden immer wieder nach demselben Muster statt (Jane, 2014, S. 566). Jane, die sich in vielen Publikationen mit feindseliger Kommunikation in digitalen Räumen auseinandersetzt, beschreibt Misogynie sogar als spezifisches Merkmal von Online-Diskursen (Jane, 2015, S. 65). Das Ausmaß hochgradig frauenfeindlicher Aussagen im Internet scheint zuzunehmen, ebenso wie die Heftigkeit der Angriffe auf Frauen (Jane, 2014, S. 567). Extrem boshafte und vulgäre Online-Misogynie, die weit über gesellschaftlich akzeptierte und normalisierte Frauenfeindlichkeit hinaus geht, findet allerdings kaum Beachtung in der wissenschaftlichen Forschung (Jane, 2014, S. 558). Diese Vermeidung ist durchaus verständlich, da eine Auseinandersetzung mit dieser Form der Misogynie auch Forscher:innen emotional stark belasten kann, ermöglicht aber ein Fortbestehen dieses Phänomens abseits jeglicher (wissenschaftlicher) Aufmerksamkeit (Jane, 2014, S. 558). Dies steht im Widerspruch zur Lebensrealität von Frauen.
Insbesondere junge Frauen werden im Internet objektiviert und hypersexualisiert (Anderson, 2014, S. 13), und zur selben Zeit für die ihnen unterstellte Promiskuität angegriffen (Jane, 2014, S. 560). Extreme Online-Misogynie richtet sich zudem gegen feministische Frauen, die sich öffentlich gegen patriarchale Strukturen und die Unterdrückung weiblicher Personen aussprechen (Jane, 2014, S. 561-562). Auf diese Auflehnung und das Verstoßen gegen patriarchale Normen und Erwartungen folgt oftmals eine Bestrafung durch die Internetgemeinschaft, die von Beleidigungen bis zu Vergewaltigungs- und Morddrohungen reichen kann (Jane, 2014, S. 565-566). Wissenschaftliche Publikationen dokumentieren zahlreiche Fälle von Angriffen auf Frauen in digitalen Räumen (Jane, 2014; Jane, 2017; Manne, 2019). Jane (2015, S. 72) argumentiert, dass misogyne Angriffe inzwischen so weit verbreitet sind, dass sie als normaler Teil der Diskurse wahrgenommen werden und Frauen bereits mit diesen rechnen, wenn sie aktiv teilnehmen an digitaler Kommunikation. Das Internet bietet Akteur:innen somit zwar neue Möglichkeiten, diverse frauenfeindliche Narrative zu verbreiten. Allerdings basieren diese offline wie online auf denselben patriarchalisch geprägten, heteronormativen Geschlechtervorstellun- gen.
Zu Beginn dieses Berichts wurde herausgearbeitet, dass Frauenfeindlichkeit ein Ergebnis patriarchal strukturierter Gesellschaften ist und damit auch als gesellschaftliches Problem betrachtet werden muss. Dennoch existieren Akteur:innen innerhalb dieser Gesellschaften, die die Misogynie umsetzen. Das nachfolgende Kapitel arbeitet heraus, in welchen gesellschaftlichen Milieus heteronormative Rollenbilder vorherrschen und welche Weltanschauungen Menschen vertreten, die sich frauenfeindlich äußern und handeln.
2.1.4 Misogyne Rollenbilder in gesellschaftlichen Milieus
Wissenschaftliche Forschung fokussiert sich stark auf Antifeminismus und Frauenfeindlichkeit innerhalb politisch rechter und autoritärer Gruppierungen. Eine intensive Betrachtung misogyner Tendenzen in rechten Milieus scheint gerechtfertigt, da diese Problematik nach rechtsextremistischen Attentaten immer wieder auf drastische Art und Weise in die öffentliche Wahrnehmung eindringt. In seinem Beitrag zu den Beweggründen hinter Frauenfeindlichkeit nutzt Pohl (2015, S. 45) den Attentäter von Oslo und Ut0ya als Exempel, zu dessen zentralen Motiven für seine Taten neben Rassismus ein ausgeprägter Frauenhass und die vermeintliche Bedrohung des männlichen Geschlechts gehörten. Andere Forscher:innen nehmen Bezug auf die Attentate von Toronto (Geier, 2020, S. 1), Christchurch (Sanders et al., 2019, S. 114-115) oder Hanau in Deutschland (Geier, 2020, S. 1), um eine Verbindung zwischen den Phänomenen Misogynie und Rechtsextremismus aufzuzeigen. Der Attentäter von Halle demonstrierte in seinem Manifest neben seiner frauenverachtenden und rechtsextremistischen Gesinnung zusätzlich verschwörungstheoretische Denkmuster (Keul, 2020, S. 7-8). Diese Attentate sind für sich genommen erschreckende und tragische Ereignisse, aber sie offenbaren auch ein übergeordnetes Muster und zeigen die Gewaltbereitschaft eines Milieus, das Rechtsextremismus und Rassismus mit Frauenfeindlichkeit verbindet. Zwar wird nicht jeder Mensch mit einer politisch rechten Orientierung Gewalttaten verüben. Aber misogyne Vorstellungen finden sich gehäuft bei Menschen, die mit den Positionen konservativer und rechter Parteien übereinstimmen (Höcker et al., 2020, S. 268-269). Der verbindende Faktor sind Gemeinsamkeiten in der Ideologie hinter Rassismus und Frauenfeindlichkeit (Pohl, 2015, S. 45; Shaw, 2014, S. 273).
Beide Phänomene basieren auf einem Hierarchiedenken, das bestimmte Menschen ausgrenzt und abwertet (Manne, 2019, S. 120). Begründet wird die Rangfolge über naturgegebene Unterschiede zwischen verschiedenen Gruppen. Eine Gruppe, zu der sich Ak- teur:innen selbst zugehörig fühlen, wird als überlegen angesehen und als Ideal gesetzt, während alles davon Abweichende untergeordnet und anschließend angefeindet wird (Pohl, 2019, S. 301-302). Innerhalb einer rassistischen und frauenfeindlichen Weltanschauung werden weiße, einer vermeintlich übergeordneten Nationalität angehörige, cisgeschlechtliche Männer mit heteronormative, patriarchalisch geprägten Rollenvorstellungen bezüglich Familien- und Gesellschaftsstrukturen als Ideal betrachtet (Amadeu Antonio Stiftung, 2021, S. 9; Pohl, 2019, S. 301-302). Eine Pluralisierung der Gesellschaft und der Geschlechterrollen wird abgelehnt (Höcker et al., 2020, S. 276). Sowohl die Gleichstellungsbestrebungen von Frauen als auch die Abschaffung einer Diskriminierung von Minderheiten nehmen Menschen mit einer frauenfeindlichen sowie rechten Gesinnung als Bedrohung der natürlichen Ordnung wahr, die Gegenwehr erfordert (Höcker et al., 2020, S. 252). Das Narrativ einer Krise der Männlichkeit wird oft erweitert um eine Krise der weißen Männlichkeit (Pohl, 2015, S. 45). Misogynie trifft daher oftmals verstärkt Frauen, die gleichzeitig einer ethnischen oder religiösen Minderheit angehören (Manne, 2019, S. 200). Auch transgender Frauen werden stark misogyn angefeindet, da sie die Vorstellung eines binären Geschlechterkonzepts stören, welches fest verankert ist in ausgrenzenden Ideologien (Anderson, 2014, S. 126).
Während sich inzwischen einige Forschungsarbeiten diesem Zusammenhang zwischen Rechtsradikalismus sowie Rassismus und Frauenfeindlichkeit widmen, werden andere Milieus kaum auf misogyne Tendenzen untersucht. Geier (2020, S. 11) erwähnt einen potenziellen Widerstand gegen die Gleichstellung von Mann und Frau aus dem liberalen und linken Spektrum, geht jedoch nicht näher auf diesen Aspekt ein. Prinzipiell zeigt sich eine selektive Betrachtung durch die Wissenschaft. Bislang scheint die Relevanz zu fehlen, die Vermittlung frauenfeindlicher Vorstellungen in anderen Milieus zu studieren. Allerdings sind misogyne Positionen in Deutschland weiter verbreitet als politisch rechte Überzeugungen oder Rechtsradikalismus (Höcker et al., 2020, S. 277). Eine Studie, die sich frauenfeindlichen Ressentiments innerhalb der deutschen Bevölkerung widmet, kommt zu dem Schluss, dass Misogynie zwar Teil eines rechtsradikalen Weltbilds ist, jedoch nicht als exklusive Überzeugung von Rechtspopulist:innen eingeordnet werden kann (Höcker et al., 2020, S. 276-278). In Deutschland stimmt etwa jede dritte Person zumindest einer antifeministischen Aussage zu (Höcker et al., 2020, S. 262). Etwa ein Fünftel der Bevölkerung besitzt ein geschlossen antifeministisches Weltbild, jede vierte Person ein geschlossen sexistisches Weltbild (Höcker et al., 2020, S. 262).
Frauenfeindlichkeit ist insgesamt kein Phänomen aus der rechtsradikalen Szene, sondern wird auch in der Mitte der Bevölkerung akzeptiert und verbreitet. Allerdings bietet Misogynie einen Anknüpfungspunkt zu radikaleren, autoritären und antidemokratischen Milieus (Höcker et al., 2020, S. 278). Rechtspopulistische und rechtsextreme Bewegungen nutzen die breite Akzeptanz normalisierter misogyner Positionen, um ein bürgerliches Publikum für sich einzunehmen (Amadeu Antonio Stiftung, 2021, S. 6; Höcker et al., 2020, S. 272-273). Die Bewegung, die im Rahmen dieser Forschungsarbeit erstmalig auf die Existenz misogyner Frauenbilder untersucht werden soll, verortet sich zumindest selbst ebenfalls in der Mitte der Gesellschaft (Frei & Nachtwey, 2022, S. 15-16).
2.2 Die Querdenker-Bewegung
Dieses Kapitel fasst die Entstehung und Entwicklung der Querdenker-Bewegung zusammen und beleuchtet anschließend die verschiedenen Milieus, aus denen die Anhänger:in- nen der Bewegung stammen. Zudem werden die jeweiligen Beweggründe für eine Teilnahme an der Protestbewegung erläutert und ideologische Parallelen zwischen den unterschiedlichen Milieus aufgezeigt. Den Abschluss des Kapitels bildet eine Diskussion zu der Frage, ob sich in der Querdenker-Szene frauenfeindliche Vorstellungen verbreiten.
2.2.1 Entstehung und Entwicklung der Protestbewegung
Die Querdenker-Bewegung entstand im Jahr 2020 als Reaktion auf staatliche Einschränkungen des privaten und öffentlichen Lebens, welche die unkontrollierte Ausbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 eindämmen sollten (Frei & Nachtwey, 2022, S. 6). Zu den Einschränkungen zählten Kontaktbeschränkungen, die Einführung einer Pflicht zum Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes sowie die Schließungen von Gastronomie, Kultur-, Freizeit- und Bildungseinrichtungen (Holzer et al., 2021, S. 7). Allerdings war und ist die Corona-Pandemie nicht nur eine Gesundheitskrise, sondern hatte darüber hinaus erhebliche soziale, psychologische und ökonomische Konsequenzen für die Menschen in Deutschland (Holzer et al., 2021, S. 7). Bereits im Frühjahr 2020 protestierten Personen, die die Beschränkungen als ungerechtfertigten Eingriff des Staates in die Autonomie der Bürgerinnen wahrnahmen, wöchentlich bei sogenannten ,Hygiene-Demos‘ (Frei & Nachtwey, 2022, S. 6). Eine Protestgruppe aus Stuttgart in Baden-Württemberg äußerte ihre Ansichten erstmals unter der Bezeichnung ,Querdenken‘, bald darauf bildeten sich zahlreiche regionale Ableger (Holzer, 2021, S. 125).
In kurzer Zeit schloss sich eine große Anzahl an Menschen aus unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen zu einem losen Netzwerk zusammen, um gemeinsam Protestaktionen zu organisieren und umzusetzen (Holzer et al., 2021, S. 12). Eine rasche Professionalisierung der Bewegung ermöglichte die deutschlandweite Ausbreitung (Holzer et al., 2021, S. 13; Speit, 2021, S. 10). Inzwischen steht der Begriff ,Querdenker:in‘ synonym für Personen, die jegliche Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie ablehnen (Holzer, 2021, S. 125). Anders als vorhergehende soziale Bewegungen zielt die Querdenker-Bewegung nicht auf einen grundsätzlichen Wandel in gesellschaftlichen Strukturen ab, sondern fordert ein Wiedereinsetzen individueller Freiheiten, die als bedroht oder ausgehebelt wahrgenommen werden (Holzer et al., 2021, S. 11). Um dieses Anliegen umzusetzen, forcierten zudem einige Querdenker:innen eine Institutionalisierung der Bewegung und strebten in die Politik. Die Partei dieBasis (Basisdemokratische Partei Deutschland) vertrat die Interessen der Querdenker:innen bei der Bundestagswahl 2021 und erreichte 1,4 Prozent der Zweitstimmen (Bundeswahlleiter, 2022, o.S.).
Wie bereits angedeutet, setzt sich die Querdenker-Bewegung aus Mitgliedern diverser Bevölkerungsgruppen zusammen. Das nachfolgende Kapitel analysiert, welche Milieus in der Bewegung vertreten sind und welche Motive die jeweiligen Akteur:innen zu einer Ablehnung der Corona-Maßnahmen motivieren.
2.2.2 Zusammensetzung der Bewegung: Querdenken als Bindeglied zwischen diversen Milieus
Im Gegensatz zu anderen sozialen Bewegungen kennzeichnet die Protestbewegung der Querdenker:innen eine stark heterogene Zusammensetzung (Nachtwey et al., 2020, S. 51). An Demonstrationen nehmen Personen aus diversen Milieus teil, die eine geteilte Haltung zur Corona-Pandemie und eingeführten Gegenmaßnahmen verbindet (Nachtwey et al., 2020, S. 51). Das gemeinsame Ziel ist nicht nur eine Abschaffung einzelner Maßnahmen, sondern ein grundsätzlicher Widerstand gegen jegliche Einschränkung der individuellen Freiheit wie die der wahrgenommenen Zensur freier Meinungsäußerung in Deutschland (Frei & Nachtwey, 2022, S. 10). Ein wesentliches Verbindungselement innerhalb der Querdenker-Bewegung ist das fehlende Vertrauen in Eliten (Nachtwey et al., 2020, S. 12-14). Dies zeigt sich in Zweifeln an der Objektivität der Berichterstattung etablierter Medien (Nachtwey et al., 2020, S. 12) ebenso wie an der Aufrichtigkeit politischer Institutionen und ihrer Vertreter:innen (Nachtwey et al., 2020, S. 14-15). Ebenso herrscht unter den Querdenker:innen eine erhebliche Skepsis gegenüber der Wissenschaft und deren Erkenntnissen sowie Errungenschaften wie den Impfstoffen gegen das SARS- CoV-2-Virus (Schließler et al., 2020, S. 300).
Dieses Misstrauen gegenüber den Eliten und ihrer Beurteilung der Corona-Pandemie vereint Personen aus sehr unterschiedlichen Milieus in der Querdenker-Bewegung (Pantenburg et al., 2021, S. 37). Zusätzlich fördert die Ablehnung bestehender Leitfiguren ein Zuwenden zu alternativen Autoritäten und den einfachen Erklärungen, die diese für aktuelle Geschehnisse und Entwicklungen bieten (Holzer et al., 2021, S. 18-19). Autoritäten aus der Querdenker-Szene verbreiteten bereits zu Beginn der Pandemie vermeintlich eindeutige Wahrheiten und Informationen, die auf binären Logiken aufgebaut sind (Pantenburg et al., 2021, S. 52). Zur selben Zeit stützten sich politische Entscheidungen und die Berichterstattung etablierter Medien auf wissenschaftlich fundierte Hypothesen, die allerdings im Einklang mit dem spezifischen Erkenntnisprozess in der Wissenschaft immer wieder korrigiert werden mussten (Pantenburg et al., 2021, S. 43). Wird dieser Prozess als Zeichen für mangelnde Kompetenz wahrgenommen, wenden sich Menschen oftmals alternativen Wissensquellen und den dort kommunizierten widerspruchsfreien Wahrheiten zu (Pantenburg et al., 2021, S. 43). Innerhalb der Querdenker-Szene dominiert die Deutung der Corona-Pandemie als globale Verschwörung durch ein Konglomerat aus politischen, ökonomischen und gesellschaftlichen Eliten (Schließler et al., 2020, S. 303). Diese Überzeugung korreliert einer aktuellen Studie zufolge mit Ansichten aus diversen Milieus in Deutschland (Schließler et al., 2020, S. 303). Die nachfolgenden Absätze beleuchten die unterschiedlichen Strömungen, die in der Querdenker-Bewegung vertreten sind, genauer.
Allerdings muss vorweggenommen werden, dass die wissenschaftliche Erforschung der Querdenker-Bewegung für Forscher:innen durchaus Hindernisse mit sich bringt. Die skeptische Haltung gegenüber der Wissenschaft erschwert Studien, die mittels Befragungen Erkenntnisse über Teilnehmende von Querdenker-Demonstrationen oder über Mitglieder in zugehörigen Gruppen im Internet gewinnen möchten (Frei & Nachtwey, 2022, S. 65-66). Insbesondere radikale Akteur:innen verweigern eine Teilnahme und warnen darüber hinaus andere Personen vor der vermeintlichen Registrierung von Widerständ- ler:innen unter dem Deckmantel wissenschaftlicher Forschung (Nachtwey et al., 2020, S. 59). Gemäßigte Querdenker:innen geben Forschenden zwar bereitwilliger Auskunft, allerdings des Öfteren mit der Intention, Befragungsergebnisse zu verzerren und die Bewegung gezielt in ein positiveres Licht zu rücken (Nachtwey et al., 2020, S. 4-5). Diese Forschungsprojekte lieferten dennoch wichtige Erkenntnisse über die Zusammensetzung der Bewegung, auch wenn Limitationen im Hinterkopf behalten werden sollten.
Ein Teil der Querdenker:innen wird anhand gewonnener Informationen dem esoterischen Milieu zugeordnet (Nachtwey et al., 2020, S. 33). Eine eindeutige Definition der Esoterik und notwendiger Bestandteile dieser Weltanschauung hat sich in der wissenschaftlichen Theorie bisher allerdings nicht durchgesetzt (Schließler et al., 2020, S. 285). Unter diesem Begriff werden diverse Philosophien, Lebensmodelle und Praktiken zusammengefasst (Schließler et al., 2020, S. 285). Als zentrales Element der Esoterik beschreibt Stuckrad (2005, S. 88-89) die Behauptung, Zugang zu Wissen zu haben, welches anderen Deutungen der Realität überlegen ist. Der Zugriff auf dieses Wissen kann über Bücher, spezifische Rituale oder individuelle Erfahrungen erfolgen (Schließler et al., 2020, S. 286). Menschen mit esoterischen Ansichten glauben häufig an die Natur als beseeltes Wesen, welches den Menschen den Rückweg zu einem glückseligen Urzustand weist (Schließler et al., 2020, S. 287). In der Vorstellung von Esoteriker:innen wird diese Rückkehr allerdings durch eine chaotische Epoche ähnlich einer Apokalypse eingeleitet (Schließler et al., 2020, S. 287). Beispielsweise könnte eine globale Krise mit weitreichenden Folgen für die Gesellschaft von Esoteriker:innen als die apokalyptische Phase vor Beginn einer neuen, besseren Epoche wahrgenommen werden.
Innerhalb der deutschen Bevölkerung ist Esoterik einer aktuellen Studie zufolge sehr weit verbreitet, etwa die Hälfte der Befragten stimmte esoterischen Aussagen zu (Schließler et al., 2020, S. 288). Allerdings wurde die Ausprägung der esoterischen Weltanschauung nicht differenziert und mit lediglich zwei Items abgefragt, die zudem sehr allgemein gehalten wurden (Schließler et al., 2020, S. 286-287). Daher kann vermutet werden, dass die Studie auch schwach entwickelte esoterische Überzeugungen erfasst. In der Querdenker-Bewegung sind esoterische Vorstellungen indessen stark vertreten und dienen Quer- denker:innen als Grundlage, um die Allgemeinmedizin und herkömmliche Behandlungsmöglichkeiten infrage zu stellen (Frei & Nachtwey, 2022, S. 25). Stattdessen dominiert in der Szene ein Vertrauen in alternative Heilmethoden und die natürlichen Selbstheilungskräfte des Körpers, um das Corona-Virus gegebenenfalls abzuwehren (Koos, 2021, S. 82; Nachtwey et al., 2020, S. 33-34). Auch spirituell anmutenden Erzählungen, die Querdenker:innen gegenüber Forschenden äußern, sowie das vehemente Hervorheben der Natur als hohes Gut können als esoterisch bewertet werden (Nachtwey et al., 2020, S. 35).
Ein Anflug von Esoterik findet sich überdies im Parteiprogramm der Partei dieBasis, welches den „Mensch mit seinen Bedürfnissen als körperlich-seelisch-geistiges Wesen, das in eine soziale Gemeinschaft und in die natürliche Umwelt eingebunden ist“, als Zentrum der Parteiarbeit definiert (dieBasis, 2022, Präambel). Zudem ist „die Achtung vor der Natur und ihr nachhaltiger Schutz [...] ebenfalls fester Bestandteil [ihrer] Politik“ (dieBasis, 2022, Präambel). Zusammenhängend mit diesen esoterischen Überzeugungen zeigt sich in der Querdenker-Bewegung eine Tendenz zum Verschwörungsdenken. Um Verantwortliche sowie Entscheidungen während der Corona-Pandemie zu kritisieren, nutzen Querdenker:innen eine Kombination aus Verschwörungstheorien und esoterischen Vorstellungen (Frei & Nachtwey, 2022, S. 26). Ein Zusammentreffen dieser Ideologien ist schlüssig im Rahmen der Erkenntnis, dass sich die Denkweisen hinter Esoterik und einer Verschwörungsmentalität ähneln (Frei & Nachtwey, 2022, S. 26).
Eine Verschwörungsmentalität kann definiert werden als „die grundlegende Bereitschaft, hinter gesellschaftlichen und politischen Phänomenen ein intendiertes und geheimes Handeln kleiner, mächtiger Gruppen zu vermuten“ (Schließler et al., 2020, S. 287). Bei etwa einem Fünftel der deutschen Bevölkerung findet sich eine starke Ausprägung dieser Mentalität (Schließler et al., 2020, S. 288). Verschwörungstheorien weisen die Verantwortlichkeit für gesellschaftliche Entwicklungen üblicherweise einzelnen Personen oder Gruppen zu und benennen damit eine klare Ursache für abstrakte Prozesse (Schließler et al., 2020, S. 287). Dieses Reduzieren von Komplexität gibt Menschen ein Gefühl von Sicherheit und Kontrolle zurück, welches insbesondere in Krisenzeiten beeinträchtigt sein kann (Nocun & Lamberty, 2020, S. 204). Die Corona-Pandemie und die damit verbundenen tiefgreifenden Veränderungen auf individueller und gesellschaftlicher Ebene lösen bei vielen Menschen ein Gefühl des Kontrollverlusts aus und können verschwörungstheoretisches sowie esoterisches Denken begünstigen (Schließler et al., 2020, S. 298-300).
Beide Ideologien bieten einfache kausale Erklärungen und eine Illusion von Sicherheit innerhalb einer Ausnahmesituation (Koos, 2021, S. 76). Weiterhin verbindet Esoteri- ker:innen und Verschwörungstheoretiker:innen die Überzeugung, Zugang zu geheimem Wissen zu besitzen und eine Wahrheit zu erkennen, die den meisten Menschen verwehrt bleibt (Schließler et al., 2020, S. 295). Sie sind der Auffassung, dass der oberflächliche Anschein trügt und jegliche Ereignisse nicht zufällig geschehen, sondern Teil eines Musters sind und einen übergeordneten Sinn erfüllen (Asprem & Dyrendal, 2015, S. 372373). Während esoterische Anschauungen allerdings tief verwurzelt sind in der deutschen Kultur, erreichen Verschwörungstheorien erst im Zuge der Corona-Pandemie ein großes Publikum (Koos, 2021, S. 76). Insbesondere Thesen der US-amerikanischen QAnon- Gruppe verbreiten sich in den Kommunikationskanälen der deutschen Querdenker-Szene (Koos, 2021, S. 76-77). Diese Entwicklung stufen Forschende als bedenklich ein, da eine Verschwörungsmentalität zusammen mit einem Gefühl von Ohnmacht und politischer Machtlosigkeit zu einer Radikalisierung von Menschen beitragen kann (Schließler et al., 2020, S. 297).
Grundsätzlich sind verschwörungstheoretische Ansichten stärker unter Personen mit einer rechten politischen Ausrichtung verbreitet, jedoch stimmen bereits einige Menschen aus dem mittleren politischen Spektrum Aussagen dieser Art zu (Schließler et al., 2020, S. 289). Aber auch prominente Vertreter aus der Querdenker-Szene wie Ken Jebsen, Jürgen Elsässer oder Samuel Eckert verbreiten sowohl verschwörungstheoretische als auch rechtsradikale Meinungen (Frei & Nachtwey, 2022, S. 10). Mit der Popularität einzelner Querdenker:innen zeigt sich die bereits zuvor beschriebene Idealisierung alternativer Autoritäten, während bestehende Eliten in der Szene skeptisch betrachtet oder abgelehnt werden (Nachtwey et al., 2020, S. 56). Darüber hinaus wird ersichtlich, dass zumindest ein Teil der Querdenker:innen einem rechten Milieu zuzuordnen ist. Zwar lehnen Mitglieder eine Radikalisierung nach eigenen Angaben ab (Koos, 2021, S. 86; dieBasis, 2022, Präambel) und propagieren auf manchen Demonstrationen gezielt Frieden, Freiheit und Liebe (Pantenburg et al., 2021, S. 30). Allerdings fielen bereits im Herbst 2020 die offene Verbreitung nationalsozialistischer Propaganda und rechtsextreme Ausschreitungen im Zusammenhang mit Corona-Protesten auf (Koos, 2021, S. 86; Pantenburg et al., 2021, S. 30).
Angehörige der Bewegung, die zuvor unpolitisch waren oder sich einem politisch linksgrünen Spektrum zuordneten, tendieren inzwischen stark nach rechts (Koos, 2021, S. 8081; Nachtwey et al., 2020, S. 52). Eine Mehrheit betrachtet die AfD als reguläre Partei und bagatellisiert die Präsenz rechtsextremer Symbole und Flaggen auf Kundgebungen der Protestbewegung (Nachtwey et al., 2020, S. 54). In Kommunikationskanälen der Querdenker:innen werden neben der Kritik an staatlichen Maßnahmen und Verschwörungsmythen rechtsextreme Botschaften kommuniziert (Holzer et al., 2021, S. 17). Seit April 2021 wird die Querdenker-Bewegung auch bundesweit vom deutschen Verfassungsschutz beobachtet (Klaus, 2021, o.S.). Das zuständige Bundesamt stuft die Bewegung als Gefährdung für die Demokratie und Sicherheit in Deutschland ein und attestiert der Szene antisemitische Ressentiments sowie Überschneidungen mit dem rechtsextremen Milieu (Bundesamt für Verfassungsschutz, 2022, S. 25). Die Protestbewegung der Querdenker:innen ist daher bereits in ihrem Kern nicht harmlos (Frei & Nachtwey, 2022, S. 15). Zeitgleich bemühen sich unterschiedliche rechtsextremistische und staatsfeindliche Gruppierungen, von außen Einfluss auf die Bewegung zu nehmen und diese für ihre Zwecke zu instrumentalisieren (Frei & Nachtwey, 2022, S. 14-15). Trotz allem ist die Querdenker-Szene keine eindeutig rechte Gruppierung (Nachtwey et al., 2020, S. 54).
Ihre heterogene Zusammensetzung aus unterschiedlichen Milieus ermöglicht die Anschlussfähigkeit an ein breites Publikum (Teune, 2021, S. 331). Aufgrund dieses Zusammenspiels aus inneren und äußeren Faktoren messen Forschende der Querdenker-Bewegung ein beträchtliches Radikalisierungspotenzial bei (Frei & Nachtwey, 2022, S. 15; Holzer et al., 2021, S. 17; Nachtwey et al., 2020, S. 54; Pantenburg et al., 2021, S. 44; Schließler et al., 2020, S. 285). Aktuell besteht daher ein großes Interesse an einer genauen Beobachtung der Querdenker:innen und ihrer weiteren Entwicklung. Zudem wurden einige Facetten der Bewegung bisher nicht wissenschaftlich erforscht. Unter anderem hat sich bisher keine Studie den Frauenbilder gewidmet, welche innerhalb der Querdenker-Szene vorherrschen. Dieser Fragestellung wird die vorliegende Studie im weiteren Verlauf nachgehen.
2.2.3 Querdenker:innen und Frauenfeindlichkeit?
Zunächst muss nochmals betont werden, dass nach bestem Wissen der Autorin keine wissenschaftliche Forschung zu Frauenbildern und geschlechterspezifischen Rollenbildern in der Corona-Protestbewegung existiert. An dieser Stelle befindet sich eine Lücke im theoretischen und empirischen Wissensstand. Allerdings findet sich ein erster Anhaltspunkt in einer frühen Forschungsarbeit zur Querdenker-Bewegung, die im Rahmen einiger Items zu rechtsautoritärem Denken die Zustimmung zu dem heteronormativen Rollenbild einer Frau als Ehepartnerin und Mutter abfragt (Nachtwey et al., 2020, S. 28). Nur etwa 13 Prozent der Befragten signalisieren Zustimmung oder verzichten auf eine Antwort, mehr als die Hälfte wies dieses Frauenbild zurück (Nachtwey et al., 2020, S. 28). Allerdings könnte der hohe Anteil an Frauen in der Stichprobe (Nachtwey et al., 2020, S. 7) das Ergebnis verzerren, da Frauen im Vergleich zu Männern seltener antifeministische Positionen vertreten (Höcker et al., 2020, S. 264). Zusätzliche Limitationen stellen, wie bereits im vorhergehenden Kapitel erläutert, ein potenziell erwünschtes Antwortverhalten sowie die geringe Teilnahme radikalerer Querdenker:innen dar. Des Weiteren fand ein investigatives Rechercheprojekt der Süddeutschen Zeitung widersprechende Indizien vor.
[...]
1 Da sich diese Arbeit mit misogynen Weltanschauungen auseinandersetzt, die häufig von einem Festhalten an einem binären Geschlechterkonzept geprägt sind, wird in dem vorliegenden Text ausschließlich von Frauen und Männern gesprochen. Diese problematische Vorstellung von Zweigeschlechtlichkeit wird lediglich widergegeben, um der Logik misogyner Denkmuster zu folgen und Rezipient:innen diese spezifische Sicht auf die Welt zu vermitteln. Die Darstellung eines binären Geschlechterkonzepts in dieser Arbeit spiegelt in keiner Weise die Haltung der Autorin wider.
- Citar trabajo
- Johanna Pfaller (Autor), 2022, Misogyne Frauenbilder innerhalb der Querdenker-Bewegung auf Telegram, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1326064
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