Die Amme in der Antike und bei Euripides: Ist sie altruistische Helferin oder skrupellose Intrigantin? Diese Frage soll in dieser Hausarbeit beantwortet werden.
In der Antike differenziert man bei dem Begriff der Amme zwischen der nährenden und der pflegenden. Im historisch-etymologischen Wörterbuch der deutschen Sprache ist zusätzlich von der Mutter oder der Großmutter die Rede, was ihre nährende bzw. pflegende Rolle unterstreicht. Die hohe Bedeutungsdichte der Amme resultiert aus den unterschiedlichen Aufgaben, die einer Amme zukommt. Zum einen gibt es die Stillamme, wobei zwischen der Amme unterschieden wird, die in der Stillzeit für das Kind verantwortlich ist, und derjenigen, die sich nach dem Absetzen des Stillens um das Kind kümmert. Die Bedeutung der Mutter unterstreicht den familiären Status der Amme. Daneben umfasst dieser Begriff auch die Aktivität als Hebamme, die besonders von älteren, erfahreneren Ammen ausgeübt wurde.
Inhaltsverzeichnis
1. Funktion der Amme
I. Etymologie
II. Dienerfiguren bei Euripides
III. Die Amme im Hippolytos
2. Intrigantin oder Helferin?
Bibliografie
Euripides‘ Hippolytos – Die Amme als skrupellose Intrigantin?1
1. Funktion der Amme
I. Etymologie
In der Antike differenziert man bei dem Begriff der Amme zwischen der nährenden und der pflegenden.2 Im historisch-etymologischen Wörterbuch der deutschen Sprache ist zusätzlich von der Mutter oder der Großmutter die Rede, was ihre nährende bzw. pflegende Rolle unterstreicht.3 Die hohe Bedeutungsdichte der Amme resultiert aus den unterschiedlichen Aufgaben, die einer Amme zukommt. Zum einen gibt es die Stillamme, wobei zwischen der Amme unterschieden wird, die in der Stillzeit für das Kind verantwortlich ist, und derjenigen, die sich nach dem Absetzen des Stillens um das Kind kümmert. Die Bedeutung der Mutter unterstreicht den familiären Status der Amme. Daneben umfasst dieser Begriff auch die Aktivität als Hebamme, die besonders von älteren, erfahreneren Ammen ausgeübt wurde.4
In der antiken Gesellschaft habe es schon immer Kindererzieher gegeben. Beispielsweise gehört zu ihren Aufgaben, den neugeborenen Säugling zu stillen und das Heranwachsen des Kindes zu verfolgen.5 Je nach der privilegierten Situation des Haushaltes war auch nur eine Amme für mehrere Kinder verantwortlich. Dabei differierte die männliche von der weiblichen Erziehung, da die Jungen ab einem gewissen Alter zu einem männlichen Erzieher kamen und die Mädchen bei der Amme blieben. Dies zeige die Dichotomie des antiken Haushaltes an, die in einen männlichen und einen weiblichen Bereich geteilt wurde.6 Bei der Amme wurden sie mit den Aufgaben einer Hausfrau vertraut, wobei der Amme weitere Funktionen zukamen. Sie fungiert zudem als Begleiterin des Mädchens, wenn öffentlich aufgetreten wurde. Da die Amme in enger Vertrautheit zu dem Kind stand, wurde sie oft nach der Heirat des Mädchens in den neuen Haushalt integriert. Damit galt sie als fester Bestandteil eines antiken Haushaltes, weil sie neben der Betreuung der Kinder auch für die Organisation des Haushaltes und für die Vermittlung weiblicher Tätigkeiten wichtig war.7
Die Amme breitete sich bis in die klassische Zeit immer weiter aus, wobei sie zuvor in aristokratischen Gesellschaften nur auf privilegierte Bevölkerungsgruppen begrenzt war. Ammen galten im Laufe der Zeit als die bürgerliche Norm, jedoch wurde an ihnen kritisiert, dass durch das Stillen auch die schlechten Eigenschaften der Ammen auf das Kind übertragen werden könnten. Auch durch die Erziehung ist die Übertragung solcher Eigenschaften möglich.8 Dennoch standen Ammen grundsätzlich höher als Sklaven, was dadurch bedingt sein könnte, dass sie integraler Bestandteil des Haushaltes waren. Auf sie wurden unbequeme elterliche Pflichten übertragen, wobei sie durch den täglichen Kontakt eng mit der Familie verbunden waren.9
II. Dienerfiguren bei Euripides
Bei Euripides spielen die Sklaven in Dienerrollen eine wichtige Rolle, da sie in enger Verbundenheit zu ihrem Herren stehen und ihn begleiten. Sie sind Nebenfiguren, weil es ihnen durch ihre Unterordnung an Selbstständigkeit mangelt. Diese treten bei Euripides zentraler auf und erhalten teilweise längere Rollen, wie beispielsweise die Amme.10 Durch die vermehrte Einbindung in das Geschehen erhalten die Dienerfiguren einen erweiterten Aufgabenbereich. Sie erkennen und artikulieren den seelischen Zustand ihres Herren: Es sind „hilflose, schwankende, von Verzweiflung getriebene oder mit eigenen Leidenschaften ringende Menschen“11. Sie lenken ihren Herren in ihren internen Prozessen, wie Gedanken und Entscheidungen, da sie als Vertraute den geeigneten Zugang dazu finden. Beispielsweise ist Phaidra in ihrer Krankheit der Handlungsfähigkeit beraubt, weshalb die Amme ihr zusprechen und sie damit lenken kann.12 Somit erhalten Dienerfiguren einen größeren Handlungsskopus, aber dennoch lässt Euripides sie nicht weiter hervortreten, indem sie persönliche Dinge über sich preisgeben. Der persönliche Charakter der Dienerfiguren bleibt weiterhin im Hintergrund, sodass die Zuschauenden auf die Haupthandlung fokussiert bleiben.13
Die Gemeinsamkeit der Diener liegt darin, dass ihr Handeln auf die Hilfe oder die Rettung der Herrschaft ausgelegt ist. Dazu sind ihnen alle Mittel recht: Von der Selbstaufopferung bis hin zu rücksichtslosen Handlungen gegen die Moral wird alles für das putative Glück des Herren verwendet. Während der Herr schwankend und unentschlossen ist, kann die Dienerfigur zu jeglichem Handeln bereit sein. Da die Art zu denken von Dienern oftmals einfach gestrickt ist, treiben sie die Handlung voran.14 Dies ist jedoch nur möglich, weil sie eng verbunden mit dem Haus des Herren sind. Das Fundament aller Handlungen beruht auf der Verbundenheit, womit die Treue und Bereitschaft einhergeht. Insbesondere wenn das Fortbestehen der Familie gefährdet ist, entwickeln die Dienerfiguren das Bedürfnis, den Herren und das Haus retten zu wollen, worin sich die enge Vertrautheit manifestiert. Dabei kreist sich bei ihnen alles um die Rettung des Herren, weshalb sie sich für das Überleben des Geschlechtes einsetzen, auch wenn es gegen die Wünsche und Vorstellungen des eigenen Herren geht.15
So ist bei Euripides nicht von Sklaven die Rede, sondern von Dienern und Vertrauten, da sie in dieser engen Verbundenheit stehen. Neben Phaidra beispielsweise findet sich die Amme, die sie von Kindheit an begleitet und aufgezogen hat. Auch nach ihrer Verheiratung ist sie ihre Vertraute geblieben und ist in Konfliktsituationen ihre erste Ansprechpartnerin, weil sie sie am besten kennt und das Problem am besten beurteilen kann.16
III. Die Amme im Hippolytos
Da das Stück Hippolytos verändert wurde, haben auch die Rollen teilweise einen neuen Stellenwert eingenommen. So auch die Amme: Ihre Rolle wurde stärker betont, indem sie handlungsleitend die Intrige vorantreibt. Dass sie die Handlung mit ihren Aktivitäten vorantreibt, geschieht in zwei Stufen. Zuerst bricht sie das Schweigen Phaidras und bringt ihre Krankheit in Erfahrung. Als nächstes agiert sie als Kupplerin und möchte Phaidra davon überzeugen, sich der Leidenschaft hinzugeben. Jedoch wünscht sich Phaidra den Tod, was die Intrige weiter fördert. Zudem rückt es Phaidra in ein besseres Licht, als wenn sie sich dem Hippolytos hingäbe, wenn man dem Ehrgedanken der Antike folgt. Hose zufolge verwickelt die Amme mithilfe des Überzeugens und anderen Mitteln, die ihr zur Verfügung stehen, ihre Herrin in die Intrige und kann ihren Willen durchsetzen. Phaidra kann nicht sofort ihren Todeswunsch umsetzen, sondern erst nachdem die Amme entscheidende Handlungen vollzogen hat.17 So entwickelt sich die Intrige nicht durch die normwidrige Liebe Phaidras, sondern vielmehr durch die Handlungen der Amme, die für ihre Herrin Lösungswege sucht.18
2. Intrigantin oder Helferin?
Es soll gezeigt werden, dass die Amme allein an der Rettung ihrer Herrin Phaidra interessiert ist und nicht von intriganten Verhaltensmustern geleitet wird. Vielmehr deutet der Text darauf hin, dass Phaidra dazu prädestiniert ist, eine Intrigantin zu sein, wobei die Planung hier noch nicht stattfindet, jedoch wird deutlich, dass sie die euripideischen Anforderungen eines Intriganten erfüllt. Durch ihre enge Verbundenheit zueinander gelingt es der Amme in der zu untersuchenden Szene, die Handlung zu leiten und ihren Willen durchzusetzen, den sie allerdings zum Wohl ihrer Herrin durchführt.
Um das zu untermauern, wird die Textstelle ab dem Gespräch zwischen der Amme und Phaidra bis zum Handlungsentschluss der Amme, Hippolytos über Phaidras Gesinnung zu berichten, genauer untersucht im Hinblick darauf, ob die Amme die Intrige bewusst fördert oder ob ihre eigentliche Intention ist, ihrer Herrin Phaidra zu helfen. Die Textstelle wurde gewählt, weil sie die Motive und Absichten der Amme widerspiegelt und Hinweise für die Bewertung über die Stellung der Amme bezüglich der Intrige liefert.
Dazu ziehe ich die Definition einer euripideischen Intrige (griech.: μηχάνημα (Mechanema)) nach Solmsen heran, wonach geprüft werden kann, ob die Merkmale auf die Amme zutreffen:
„Ein euripideisches μηχάνημα dürfen wir charakterisieren als die berechnende, listige Wahl und Anwendung geeigneter Mittel zu egoistisch erstrebten Zwecken. Das τέλος steht fest […] Ethische Bedenken sind offenbar bei solchen μηχανήματα ausgeschaltet, das καλόν existiert für sie nicht. Die eigene σωτηρία und εύτυχία oder aber das Verderben des Gegners ist das Ziel; dazu gilt es den Weg zu finden und […] den, gegen den sich das μηχάνημα richtet, über Motiv und Ziele zu täuschen. “19
Dabei dominieren egoistische oder private Absichten.20 Zunächst wird die Beziehung zwischen der Amme und Phaidra untersucht, um nachvollziehen zu können, ob sie gute Absichten gegenüber ihrer Herrin hegt. Selbst die Amme als vertrauteste Person ahnt nicht, was ihrer Herrin widerfahren ist und weiß nicht, was sie gegen ihre Krankheit tun kann: „Was soll ich für dich tun? Was nicht tun?“ (V. 177) Im Weiteren manifestiert sich ihre Hilflosigkeit auch in der Bemerkung: „Besser krank sein als Kranke pflegen!“ (V. 186). Damit markiert die Amme ihr Bewusstsein über die privilegierte Position Phaidras und dass sie hierarchisch unter ihr steht. Als Phaidra damit beginnt, irrsinnige und merkwürdige Wünsche auszusprechen (vgl. V. 208—231), sorgt sich ihre Amme in Anaphern um sie (vgl. V.223ff.), was ihre Besorgnis unterstreicht. Schließlich ahnt sie, dass eine Göttin ihr den Sinn verwirrt haben muss: „Das erfordert viel Wahrsagekunst, zu ergründen, / wer von den Göttern dich aus der Bahn wirft / und dir die Sinne verwirrt, mein Kind.“ (V. 236ff.) Das Bewusstsein dafür kennzeichnet an dieser Stelle, dass die Amme in Erwägung zieht, dass die Krankheit Phaidras nicht selbstverschuldet ist, sondern durch einen Gott verursacht.
Die enge Beziehung der beiden wird zudem dadurch evident, dass Phaidra sie „Mütterchen“ (V. 243) nennt. Diese Übersetzung unterstreicht das enge Verhältnis und betont zusätzlich, dass die Amme in der Lage ist, ihr die Worte zu entlocken: „Schwer lastet der Kopfschmuck; / nimm ihn mir ab, lass die Locken frei fallen über die Schultern!“ (V. 201f.). Daraufhin ist sie metaphorisch auch in der Lage, Phaidra wieder zu verhüllen, nachdem sie darum bittet: „[V]erhülle mir wieder das Haupt, / denn ich schäme mich dessen, was ich gesagt.“ (V. 243f.) Bereitwillig findet sich die Amme ein: „Ich verhülle es ja.“ (V. 250) Die Verhüllungs-Metaphorik ist deshalb interessant, weil sie darauf hinweist, dass die Amme diejenige Person ist, die in der Macht steht, Phaidras Geheimnis entweder zu verhüllen oder aber zu enthüllen.
Ein weiterer Hinweis auf die enge Vertrautheit wird durch die Betonung des Alters der Amme gegeben: „Vieles lehrt mich mein langes Leben“ (V. 252). Ihr höheres Alter wird dadurch unterstrichen, dass sie vom Chor als „Greisin“ (V. 267) angesprochen wird, was allgemeinhin eine alte und gebrechliche Frau bezeichnet. Dabei erkennt sie durch ihre lange Lebenserfahrung das Liebesproblem, unter dem ihre Herrin leidet (vgl. V. 258ff.) und rät ihr zum Maßhalten (vgl. V. 264f.). Auf die Frage des Chores, bestehend aus trozenischen Frauen, worunter Phaidra denn leide, kann die Amme keine Antwort geben, weil Phaidra ihr Schweigen hält (vgl. V. 267—271). Die Chorführerin will wissen, ob ein Gott sie geschädigt habe oder ob sie einfach nur sterben wolle, wobei die Amme dazu fähig ist, eine Prognose über die Lebensaussichten Phaidras zu geben: „Ja, sterben – nichts nimmt sie zu sich, so dass sie sterben wird.“ (V. 277)
Zudem ist die Amme bestrebt, der Chorführerin zu zeigen, wie gut sie zu ihrer Herrin ist (vgl. V. 285ff.). Sie vollzieht einen wirksamen Kurswechsel und spricht nochmals gut auf Phaidra ein: „und ich geb auf die Art, mit der ich ungeziemend dich begleitet hab, / und will zu einer andern, bessern Überlegung kommen.“ (V. 291f.) Dabei lässt sie Phaidra die Optionen offen, ihr Schweigen zu brechen, wenn es nur Frauen erfahren dürfen, oder aber sich dem Arzt zu übergeben, wenn es auch Männer wissen dürfen (vgl. V. 293—296). Als Phaidra immer noch schweigt, greift die Amme zu jenem Handwerk, das das Überleben ihres Geschlechts sichern soll: „Stirbst du, verrätst du deine eignen Söhne, die / dann ausgeschlossen sind vom väterlichen Erbe“ (V. 305—309). Sie erwähnt den Namen „Hippolytos“ und trifft damit den wunden Punkt. Somit erweist sich die Amme als die einzige, die das Vermögen hat, das Geheimnis ihrer Herrin zu entlocken. Dass sie dieses Wissen allerdings nicht zu niederen Absichten nutzen will, wenn auch doch tut, soll im Folgenden deutlich werden.
Zunächst schätzt die Amme die Situation falsch ein: „Siehst du? Du bist vernünftig und willst, trotz Vernunft, / nicht deinen Kindern nützen und dein Leben retten.“ (V. 313f.) Phaidra bekräftigt, dass „ein andrer Sturm des Schicksals“ (V. 315) sie heimsuche. In vier Fragen versucht die Amme Phaidra auf die Spur zu kommen: „Du trägst doch, liebe Tochter, deine Hände rein von Blut?“ (V. 316). Die Wahl des Wortes der „Tochter“ bekräftigt deren enges Verhältnis und verrät, dass die Amme – und nur die Amme – dem Geheimnis auf die Spur kommen kann. Phaidras „Inneres ist schuldbefleckt“ (V. 317). Schließlich folgt darauf die zweite Frage, ob dies „durch [einen] Schadenzauber eines Feinds“ (V. 318) bedingt wäre. Phaidra hält dagegen, dass es sogar ein „Freund“ (V. 319) sei, der sie zerstöre. Die dritte Frage der Amme wendet sich an ihren Ehemann Theseus, und ob dieser sich an ihr vergangen hätte (vgl. V. 320), was Phaidra ebenfalls abstreitet. Die vierte und letzte Frage zwingt die Amme auf ihre Knie: „Was ist dann dieses Schreckliche, das dich zu sterben drängt?“ (V. 322). Diese Szene verdeutlich die Abhängigkeit der Amme an ihre Herrin, weil sie ohne Phaidra keine Bedeutung hätte: „Auch ich wird ohne dich verloren sein.“ (V. 324). Damit wird die große Abhängigkeit der Amme gegenüber ihrer Herrin deutlich, denn das Verhältnis, das sie zu ihr pflegt, ist gleichzeitig auch ihre Existenzgrundlage. Diese tiefgehende Abhängigkeit wird auch physisch erkenntlich, wenn die Amme sich an ihre Herrin klammert und nicht mehr loslassen will (vgl. V. 326), als Phaidra sie bittet, sich ihren „Fehltritt“ (V. 323) des Suizids zu erlauben.
Phaidra gibt eine Vorwarnung, dass der Grund ihres Leidens sehr schlimm für die Amme sein würde (vgl. V. 327). In der Antwort der Amme zeigt sich erneut ihre starke Abhängigkeit zu ihrer Herrin, denn was „gäb’s denn Schlimmeres für mich, als wenn du scheitertest?“ (V. 328). Phaidra gibt zu, dass es ihr Tod sein würde (vgl. V. 329), aber dass „die Sache [ihr] Ehre ein[trage]“ (V. 329). Hier wird deutlich, dass das größte Unglück, das der Amme widerfahren könnte, das Scheitern ihrer Herrin wäre. Ihre Antwort deutet darauf hin, dass sie nicht aus egoistischen oder gar intriganten Gründen für ihre Herrin da ist, weil sie sich allein auf ihre Herrin fokussiert: „Und dann verbirgst du sie, wo doch, worum ich bitte, für dich [Hervorhebung des Verfassers] nützlich ist?“ (V. 330). Auch sie ist daran interessiert, die Ehre ihrer Herrin zu erhöhen: „Wirst du nicht, wenn du sprichst, in größrer Ehre stehn?“ (V. 332), weil der Erfolg Phaidras im Umkehrschluss ihr größtes Glück bedeutet. Daraufhin will Phaidra das Gespräch unterbrechen (vgl. V. 333), was die Amme nicht zulässt, wobei hier ihre Beziehung weiter charakterisiert wird: „Ich werde sie [die Gabe, die sie der Amme schuldet] dir geben; denn ich scheue deine Hand, die Ehrfurcht weckt.“ (V. 335). Sie scheut ihre ehrfürchtige Hand, was bedeutet, dass sie ihre Amme in keiner hochachtungsvollen, zu respektierenden Position sehen möchte, und um das zu unterbinden, will sie ihr „die Gabe“ (V. 334) geben.21 Daraufhin verifiziert Phaidra, dass sie verliebt ist, indem die Amme den Namen errät: „Hippolytos“ (V. 352), woraufhin sie sehr emotional reagiert. Sie wendet sich zum Chor und klagt darüber, dass sie das Leben so nicht mehr ertragen kann: „Lebt wohl, ich bin nicht mehr!“ (V. 357). Ihre Klage bezieht sich darauf, dass selbst wenn man tugendhaft lebt, dann wird man „gleichwohl zum Übel“ (V. 359) gezogen. Sie betont die Macht der Kypris und geht sofort davon aus, dass sie der wahre Urheber dieser Intrige ist (vgl. V. 359ff.).
Dabei ist nicht die Amme, die eine Intrige spinnt, sondern vielmehr zeigt sich, dass Phaidra dazu prädestiniert ist, eine Gegenintrige zu spinnen, weil sie ihr vorangegangenes, wohldurchdachtes Handeln darlegt: Zuerst wollte sie darüber schweigen und es geheim halten (vgl. V. 394), danach wollte sie mit ihrem Leid klarkommen, was ihr nicht gelungen ist, weshalb sie in einem dritten Schritt sterben wollte (vgl. V. 398ff.) Sie gibt ihre größte Angst bekannt, die ihre eigene Amme später verwirklichen wird (vgl. ab V. 419: die Angst, die sie in den Tod treibt, ist die Enthüllung ihrer Krankheit und damit die Schande über ihre Familie, und die Amme führt sie unbewusst mit ihrem Handeln in diesen Tod). Später zeigt sich, dass Phaidra dazu in der Lage ist, diesen Plan zu vervollständigen, indem sie als einen vierten Schritt einen Brief zu ihrem Suizid beilegt (vgl. V. 728ff.).
Die Amme aber erkennt, dass ihre Herrin in ihrer Liebessehnsucht keine Schuld trägt, weil eine Göttin dieses Schicksal über sie verhängt hat (vgl. V. 437f.). Sie rationalisiert die internen Prozesse ihrer Herrin (vgl. ab V. 439). Die Amme bespricht die große Macht der Kypris und findet es sogar plausibel, dass es Phaidra nun so geht: „Nur du erträgst dies nicht? Dann hätte unter Sonderrechten dich / dein Vater zeugen müssen oder unter andrer Götter Befehlsgewalt, wenn du dich nicht in diese Ordnung schicken willst.“ (V. 459ff.) Sie rät ihr, die Sache zu ignorieren und führt ihr weitere Beispiele auf, dass manchmal über Dinge hinweggeblickt werden muss, um weiterleben zu können: „Verborgen sei, was hässlich ist.“ (V. 466) Die Rationalisierungen der Amme bestätigen, dass sie eine gute Absicht gegenüber ihrer Herrin hegt, weil sie nur das Beste für sie will. Selbst wenn die Annahme der göttlichen Intrige nicht der Wahrheit entsprechen würde, ist es denkbar, dass sie dennoch diese Plausibilisierungen auftragen würde, um das beste aufseiten Phaidras aus der Situation zu erwirken. Das spricht für die rettende Absicht der Amme.
Aufgrund der neuen Annahme, dass ihr Geisteszustand nicht Phaidras Schuld ist, gibt die Amme ihr folgenden Rat: Sie soll glücklich sein, wenn doch das Gute in ihr überwiegt als das Schlechte. Sie soll sich von ihrem Hochmut lösen, dass sie „stärker als die Götter sei“ (V. 475) und ihre Krankheit auf eine „gute Weise“ (V. 477) bezwingen. Dafür habe sie „Beschwörungslieder […] und Zaubersprüche“ (V. 478), um dem entgegenzuwirken. Auch die Chorführerin stimmt diesem Rat als „den nützlicheren Rat“ (V. 482) zu. Das Schweigen soll laut der Amme gebrochen und das Geheimnis enthüllt werden (vgl. V. 490ff.). Sie betont, dass sie auch nur so weit geht, weil „jetzt jedoch [...] Großes auf dem Spiel [steht]“ (V. 496), und zwar „die Rettung deines [Phaidras] Lebens“ (V. 497) und entzieht sich einer Schuld, indem sie hervorhebt, dass dieses Ziel „gewiss […] nicht tadelnswert ist“ (ebd.). Sie müsste nicht so weit gehen, wenn sie doch „eine Frau [wäre], die ihre Leidenschaft beherrscht“ (V. 494), aber da sie dazu nicht imstande ist, soll es dem entsprechenden Mann gesagt werden. Der Antrieb der μηχανήματα sind in den Tragödien der 30er und 20er Jahre sowohl Ausdruck leidenschaftlicher Exzitation als auch Aufgebrachtheit, aber dahinter kann auch der Wunsch nach Vergeltung oder Eifersucht stehen.22 An dieser Stelle im Text kristallisiert sich Phaidras fehlende Beherrschung ihrer Leidenschaften heraus, was sie als mögliche Intrigantin markiert. Oft sind es Frauen bei Euripides, die Intrigen spinnen, da er es anstrebe, verschiedene Handlungen unter unterschiedlichen Gesichtspunkten zu beleuchten, wobei für ihn die μηχανήματα etwas Weibliches gewesen sei.23
Obwohl Phaidra mit dieser Entscheidung der Amme nicht übereinstimmt, betont die Amme, dass es für sie „besser als das Edle und das Schöne“ (V. 500) sei. Sie möchte das Überleben des Geschlechts sichern, weshalb sie sich nicht um Phaidras Ruf bekümmert, sondern allein um ihre Rettung: „Die Tat, wenn wirklich sie sich retten wird, steht höher als / dein Ruf, auf den du stolz bist – und zu Tode kommst!“ (V. 501f.) Somit stellt die Amme das Überleben Phaidras über ihren Ruf und ihre Ehre. „[B]ei den Göttern“ (V. 503) bittet Phaidra darum, es nicht weiterzuerzählen und erklärt, dass es ihre Angst ist, dass die Amme das Schweigen gegenüber Hippolytos brechen könnte. Phaidra weiß, dass Absicht der Amme nachvollziehbar ist, aber dennoch schädlich für ihre Ehre und damit für ihre Familie (vgl. V. 503f.) Die Amme aber wiederholt, dass sie auf sie hören soll und erwähnt ein „Zaubermittel / für Liebessehnsucht“ (V. 509f.), das sie hätte. Dabei möchte sie ihre Herrin nicht in ihr Schaffen und Tun einweihen; sie will sich gänzlich um sie kümmern: „du sollst dir helfen lassen und nicht lernen wollen, Kind!“ (V. 517). Selbst Phaidra fürchtet, dass sie sich „als allzu schlau“ (V. 518) entpuppt. Sie übernimmt die Verantwortung und will ihrer Herrin helfen, indem sie das „schön in Ordnung bringen“ (V. 521) wird. Hier wird deutlich, dass sie einander nicht übereinstimmen und die Amme die Handlung leitet, weil Phaidra nichts machen kann, als nur ihre Angst zu äußern.
Im Anschluss geht die Amme in die Handlung und bewirkt, dass ihre Angst wahr wird, was in Phaidra die Planung zur Gegenintrige aktiviert. Ironischerweise betet die Amme zur „Gebieterin des Meeres, Kypris“ (V. 522) und bittet um ihre Hilfe, obwohl diese Göttin die Intrige erst eingefädelt hat. Hier könnte die Annahme, dass sie sich „als allzu schlau entpupp[]t“ (V. 518) verworfen werden, da im Text klar herausgearbeitet werden konnte, dass sie es mindestens in Erwägung zieht, dass ein Gott oder eine Göttin an der Krankheit Phaidras beteiligt ist, und sich jetzt dennoch an eine beteiligte Göttin wendet, was den Status der Amme wieder unter den der Hauptfiguren senkt. Schließlich ist die Amme auch nur ein „Werkzeug“ der Göttin Kypris, die ihre Intrige in Gang setzt, ohne, dass sie es weiß. Jedoch handelt die Amme im Alleingang, ohne ihre Herrin darüber in Kenntnis gesetzt zu haben, denn der Göttin verrät sie noch, dass sie noch weiteres im Sinne habe, was sie „unsern Freunden drinnen“ (V. 524) mitteilen will.
[...]
1 Im Folgenden wird der Primärtext im Fließtext nach der folgenden Ausgabe zitiert: Euripides: Hippolytos, in: ders.: Ausgewählte Tragödien, hg. von Bernhard Zimmermann und übers. von Ernst Buschor, Bd. 1, Zürich 1996.
2 Vgl. Brandt, Herwig: Die Sklaven in den Rollen von Dienern und Vertrauten bei Euripides, in: Altertumswissenschaftliche Texte und Studien 1, 1973, S. 24.
3 Vgl. Heinrich Löffler (Hg.): Johann Jakob Spreng: Allgemeines deutsches Glossarium. Historisch-etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, Band 1, Basel 2022.
4 Vgl. Schulze, Harald: Ammen und Pädagogen. Sklavinnen und Sklaven als Erzieher in der antiken Kunst und Gesellschaft, Mainz am Rhein, 1998, S. 13.
5 Vgl. ebd., S. 14.
6 Vgl. ebd., S. 17.
7 Vgl. ebd., S. 15.
8 Vgl. Schulze, 1998, S. 15.
9 Vgl. ebd., S. 18.
10 Vgl. Brandt, 1973, S. 7f.
11 Ebd., S. 9.
12 Vgl. ebd.
13 Vgl. ebd., S. 11.
14 Vgl. ebd., S. 14.
15 Vgl. ebd., S. 21f.
16 Vgl. Brandt, 1973, S. 24.
17 Vgl. Schadewaldt, Wolfgang: Die griechische Tragödie. Tübinger Vorlesungen Band 4, Frankfurt am Main 1991, S. 412.
18 Vgl. Hose, Martin: Euripides. Der Dichter der Leidenschaften, München 2008, S. 58.
19 Solmsen, Friedrich: Zur Gestaltung des Intriguenmotivs in den Tragödien des Sophokles und Euripides, in: Philologus 87, 1932, S. 329.
20 Vgl. ebd.
21 Es sei angemerkt, dass sie sich sprachlich oft in einem Mutter-Kind-Verhältnis bewegen: „ärmste Mutter“ (V. 337) und „mein Kind“ (V. 338, 340, 348, 350, 353)
22 Vgl. Solmsen, 1932, S. 331f.
23 Vgl. ebd. S. 332.
- Quote paper
- Anonymous,, 2021, Die Amme bei Euripides' Hippolytos. Altruistische Helferin oder skrupellose Intrigantin?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1325281
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