Als Folge aus ihrer steigenden Relevanz strebt die Rehabilitationsforschung eine Evidenzsteigerung in der Rehabilitation an. Im Hinblick auf eine mögliche Optimierung der somatischen Rehabilitation scheint es sinnvoll, psychologische Interventionen als einen Schwerpunkt des biopsychosozialen Modells auf ihren Einsatz und ihre Wirksamkeit hin zu untersuchen. Das Ziel der vorliegenden Arbeit ist die Eruierung des Potenzials psychologischer Interventionen zur Steigerung eines nachhaltigen Therapieerfolges der Gesamtmaßnahme.
Diesbezüglich geht die Arbeit folgenden Fragen nach: Wie werden psychologische Interventionen im Rahmen einer somatischen Rehabilitation eingesetzt? Was ist der aktuelle Forschungsstand hinsichtlich der Evidenz einzelner psychologischer Interventionen in der somatischen Rehabilitation? Die zu prüfende Hypothese lautet: Wenn evidenzbasierte psychologische Interventionen mit gleicher Gewichtung wie somatische Interventionen in der Rehabilitation somatischer Erkrankungen angewendet werden, steigert dies die Nachhaltigkeit des Therapieerfolges.
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
1 Kausalität psychologischer Interventionen und somatischer Rehabilitation
1.1 Problemstellung und Relevanz
1.2 Fragestellung und Zielsetzung
1.3 Vorgehensweise und Aufbau der Arbeit
2 Krankheitsverständnis der Rehabilitation
3 Methodenbeschreibung
4 Forschungsstand aus Perspektive der Fragestellung
4.1 Beschreibung der Studien
4.2 Übersicht der Ergebnisse
5 Kritische Auseinandersetzung mit dem Forschungsstand
5.1 Diskussion der Ergebnisse
5.2 Beurteilung der Ergebnis-Qualität
5.3 Reflexion der Übersichtsarbeit
6 Schlussfolgerung und Ausblick
Anhang
Literaturverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: ICF und das biopsychosoziale Modell
Abbildung 2: Übersicht Rehabilitation
Abbildung 3: Prozess der systematischen Literaturrecherche
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Datenbanken und Suchterme
Tabelle 2: Ergebnisse
Tabelle 3: Qualitätskriterien
Tabelle 4: Ausgeschlossene Datensätze
Tabelle 5: Zusätzlich eingeschlossene Studien aus Referenzrecherche
Abkürzungsverzeichnis
ACS Akutes Koronarsyndrom (engl. acute coronary syndrom)
Am J Gastroenterol The American Journal of Gastroenterology
Am J Psychiatry American Journal of Psychiatry
Appl Psychophysiol Biofeedback Applied Psychophysiology and Biofeedback
Asian Pac J Trop Med Asian Pacific Journal of Tropical Medicine
BMC Musculoskelet Disord BMC Musculoskeletal Disorders
B J Psych The British Journal of Psychiatry
CLBP Chronisches Lumbalsyndrom (engl. chronic low back pain)
Clin Rehabil Clinical Rehabilitation
Dtsch Arztebl Int Deutsches Ärzteblatt International
Dtsch Arztebl Deutsches Ärzteblatt
EAET Emotional Awareness and Expression Therapy
EORTC QLQ-C30 European Organization for Research and Treatment of Cancer Quality of Life Questionnaire
GKV Gesetzliche Krankenversicherung
GRV Gesetzliche Rentenversicherung
HADS Hospital Anxiety and Depression Scale
IBS Reizdarmsyndrom (engl. irritable bowel syndrome)
IBS-D Diarrhöisch-dominantes Reizdarmsyndrom (engl. irritable bowel syndrome with diarrhea)
IBS-QOL IBS Quality of Life
IBS-SSS IBS Symptom Severity Scale
ICF Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (engl. International Classification of Functioning, Disability and Health)
Int J Behav Med International Society of Behavioral Medicine
Int J Stroke International Journal of Stroke
IRISS Intervention for those Recently Informed of their Seropositive Status
J Pain Journal of Pain
J Posit Psychol The Journal of Positive Psychology
KVT Kognitive Verhaltenstherapie
MBCT Achtsamkeitsbasierte kognitive Therapie (engl. mindfulness-based cognitive therapie)
MBSCT Achtsamkeitsbasierte Selbstmitgefühls-Therapie (engl. mindfulness-based self-compassion therapie)
MBSCT-SH Selbsthilfe-MBSCT (engl. MBSCT-self-help)
MBSR Achtsamkeitsbasierte Stressreduktion (engl. mindfulness-based stress reduction)
Neurogastroenterol Motil Journal of Neurogastroenterology and Motility
Pain Med Pain Medicine
Psychother Psychosom Med Psychol Psychotherapie Psychosomatik Medizinische Psychologie
Rev Port Cardiol Revista Portuguesa de Cardiologia
Scand J Med Sci Sports Scandinavian Journal of Medicine & Science in Sports
SCL-90 Symptomcheckliste-90
SF-36 Short Form Gesundheitsfragebogen 36
SGB IX Sozialgesetzbuch neuntes Buch
STAI Stai-Trait Anxiety Inventory
WHO Weltgesundheitsorganisation (engl. World Health Organization)
World J Clin Cases World Journal of Clinical Case
Z Gastroenterol Zeitschrift für Gastroenterologie
1 Kausalität psychologischer Interventionen und somatischer Rehabilitation
Ziel der Rehabilitation somatischer Erkrankungen ist ein verbesserter Umgang mit der Krankheit, die Wiederherstellung der Funktionsfähigkeit bzw. das Verzögern des Krankheitsgeschehens sowie die Sicherung der Aktivität und Teilhabe der Rehabilitierenden (vgl. Wolf-Kühn, Morfeld, 2016, S. 3; Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation, 2006, S. 7). Dabei basiert eine ganzheitliche, multidisziplinäre Rehabilitation auf dem biopsychosozialen Modell nach George L. Engel (vgl. Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation, 2006, S. 25 ff.). Die Interventionen einer Rehabilitation lassen sich in die Bereiche Somatik, Edukation, Psychologie und Sozialmedizin einteilen (vgl. Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation, 2015, S. 30 f.).
Kernaufgaben psychologischer Interventionen sind die Unterstützung der Rehabilitierenden durch Psychoedukation, Beratung und Gesundheitsförderung (vgl. Wolf-Kühn, Morfeld, 2016, S. 51). Psychoedukation wird hier verstanden als systematische Maßnahme zur Aufklärung über eine Erkrankung sowie zur Förderung des Krankheitsverständnisses, des selbstverantwortlichen Umgangs mit der Krankheit und ihrer Verarbeitung. Diese Interventionen dienen der Steigerung der Adhärenz, der Veränderung dysfunktionaler Verhaltensmuster und zur Entwicklung von Bewältigungsstrategien (vgl. Wolf-Kühn, Morfeld, 2016, S. 50). Gleichzeitig sollen Komorbiditäten erkannt werden. Der Umgang mit sozialen Konflikten, Problemen mit der Sexualität und finanziellen Sorgen soll geschult werden (vgl. Wolf-Kühn, Morfeld, 2016, S. 55). Bei vorliegender psychischer Komorbidität werden psychotherapeutische Maßnahmen ergriffen (vgl. Wolf-Kühn, Morfeld, 2016, S. 59).
1.1 Problemstellung und Relevanz
Ein häufiger Grund für eine somatische Rehabilitation sind chronische Erkrankungen (vgl. Schmid-Ott et al., 2015, S. 47). Diese stellen oft sowohl eine physische als auch eine psychische Belastung für die Betroffenen dar (vgl. Wilz, Meichsner, 2012, S. 1125 ff.; Schmid-Ott et al., 2015, S. 51) und können die Lebensqualität der Betroffenen beeinträchtigen (vgl. Robert Koch-Institut, 2015, S. 490). Der Alltag der chronisch Erkrankten mit seinen Routinen verändert sich durch körperliche Einschränkungen, einen ungewissen Krankheitsverlauf oder eine etwaige Lebensbedrohung. Für eine adäquate Krankheitsbewältigung sind zahlreiche Herausforderungen zu meistern. Bspw. müssen Bewältigungsstrategien entwickelt, soziale Rollen angepasst, Verlusterfahrung verarbeitet, die eigene Identität rekonstruiert oder der Lebensunterhalt gesichert werden (vgl. Wingenfeld, 2009, S. 91 ff.). Die Behandlung erfordert eine Assimilation bestehender Verhaltensmuster. Diese Beeinträchtigung des vertrauten Lebenskonzeptes kann das psychische Gleichgewicht stören und zu Unsicherheit, Hoffnungslosigkeit, Selbstzweifeln und Angst führen. Die Bewältigung der Situation ist erforderlich, um psychische Komorbiditäten wie eine Depression oder Angststörung zu verhindern (vgl. Wolf-Kühn, Morfeld, 2016, S. 33 f.).
Die Lebenserwartung der Frauen in Deutschland beträgt derzeit ca. 83 Jahre, die der Männer ca. 78 Jahre. Im Jahr 2060 ist eine Lebenserwartung von 89 Jahren bei Frauen und 85 Jahren bei Männern zu erwarten – was einen Anstieg der Anzahl der über 67-Jährigen um nahezu 5 Mio. bedeutet (vgl. Statistisches Bundesamt, 2019, S. 4 ff.). Folglich wird sich die Risikogruppe für chronische Erkrankungen signifikant vergrößern. Die zunehmende Anzahl von Patientinnen und Patienten aufgrund des steigenden Lebensalters der Bevölkerung bei längerer Erwerbstätigkeit und zunehmender chronischer Multimorbidität bedingt eine Steigerung der Relevanz der Rehabilitation (vgl. Robert Koch-Institut, 2015, S. 498). Jährlich werden über 1,5 Mio. Rehabilitationsleistungen deutschlandweit in Anspruch genommen (vgl. Swart, 2014, S. 176 f.). Die Inanspruchnahme einer Anschlussrehabilitation durch erwerbsfähige Versicherte lag im Jahr 2020 bei über 326 Tsd. (vgl. Deutsche Rentenversicherung Bund, 2021, o. S.). Finanziert werden diese durch die Gesetzliche Rentenversicherung (GRV), die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV), die Bundesagentur für Arbeit und die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (vgl. Swart, 2014, S. 176 f.). Die Ausgaben der GRV für Rehabilitationsleistungen steigen seit 2006 und betrugen im Jahr 2018 6,76 Mrd. Euro (vgl. Deutsche Rentenversicherung Bund, 2019, S. 75). Die Anzahl der Rehabilitationen zu Lasten der GKV betrug im Jahr 2019 fast 754 Tsd. (vgl. Gesundheitsberichterstattung, 2019, o. S.).
Die häufigsten chronischen Erkrankungen in Deutschland im Erwachsenenalter sind koronare Herzkrankheiten, Krebs, psychische Störungen, Diabetes, muskuloskelettale Erkrankungen, Asthma und die chronisch-obstruktive Bronchitis (vgl. Robert Koch-Institut, 2015, S. 464). Im fortgeschrittenen Alter kommen Schlaganfälle und Demenz hinzu (vgl. Wolf-Kühn, Morfeld, 2016, S. 15). Sie prägen die Mortalität in Deutschland (vgl. Robert Koch-Institut, 2015, S. 489). In der Europäischen Region der Weltgesundheitsorga-nisation (WHO) gehen 86 Prozent der Todesfälle und 77 Prozent der Krankheitslast auf chronische Erkrankungen zurück. Für die Gesundheitssysteme stellen sie eine finanzielle Herausforderung dar (vgl. Sonnenmoser, 2009, S. A-2080 f.).
1.2 Fragestellung und Zielsetzung
Als Folge aus ihrer steigenden Relevanz, strebt die Rehabilitationsforschung eine Evidenzsteigerung in der Rehabilitation an (vgl. Robert Koch-Institut, 2015, S. 321 f.). Im Hinblick auf eine mögliche Optimierung der somatischen Rehabilitation scheint es sinnvoll, psychologische Interventionen als einen Schwerpunkt des biopsychosozialen Modells auf ihren Einsatz und ihre Wirksamkeit hin zu untersuchen. Das Ziel der vorliegenden Arbeit ist die Eruierung des Potenzials psychologischer Interventionen zur Steigerung eines nachhaltigen Therapieerfolges der Gesamtmaßnahme. Diesbezüglich geht die Arbeit folgenden Fragen nach:
- Wie werden psychologische Interventionen im Rahmen einer somatischen Rehabilitation eingesetzt?
- Was ist der aktuelle Forschungsstand hinsichtlich der Evidenz einzelner psychologischer Interventionen in der somatischen Rehabilitation?
Die zu prüfende Hypothese lautet: Wenn evidenzbasierte psychologische Interventionen mit gleicher Gewichtung wie somatische Interventionen in der Rehabilitation somatischer Erkrankungen angewendet werden, steigert dies die Nachhaltigkeit des Therapieerfolges.
1.3 Vorgehensweise und Aufbau der Arbeit
Zum Verständnis der theoretischen Grundlagen aus differenten Perspektiven wurde eine Hintergrundrecherche in den Datenbanken von Hogrefe, Medhochzwei, Statista, WISO, ScienceOpen, EBSCO Discovery Service und dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte durchgeführt. Ergänzend wurden relevante Sachverhalte u. a. auf den Internetseiten des Robert Koch-Institutes, der Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation und der Deutschen Rentenversicherung Bund recherchiert. Die ermittelten Hintergrundinformationen werden zusammenfasst dargestellt.
Zur Beantwortung der Forschungsfragen wird als Forschungsdesign die systematische Übersichtsarbeit eingesetzt. Diese Methode ermöglicht die Erfassung des aktuellen Forschungsstandes und die Beurteilung von Forschungsergebnissen und Therapieeffekten zur Überprüfung der aufgestellten Hypothese (vgl. Ressing et al., 2009, S. 456 ff.). Die Methode wird detailliert beschrieben, was eine für die Gütekriterien notwendige Transparenz und Nachvollziehbarkeit gewährleistet.
Zur Abbildung der aktuellen Studienlage werden die Ergebnisse der strukturierten Recherche analysiert, zusammengefasst dargestellt, diskutiert und bewertet. Die gewonnenen Erkenntnisse werden erläutert, um Anregungen für weitere empirische Forschungen zu geben und letztendlich die Versorgung von Rehabilitierenden zu optimieren. Der vorliegenden Ausarbeitung liegt der Leitfaden zur formalen Gestaltung von Seminar- und Abschlussarbeiten der FOM Hochschule für Oekonomie & Management vom Mai 2021 zugrunde.
2 Krankheitsverständnis der Rehabilitation
Die Grundlage für eine Rehabilitation ist im neunten Buch des Sozialgesetzbuches (SGB IX) verankert. Dort sind die Regelungen für Menschen mit Behinderungen und von Behinderung bedrohte Menschen und somit für Menschen mit einer chronischen Erkrankung enthalten. Die Fassung von 2019 des §4 Absatz 1 Satz 1–4 SGB IX definiert die Leistungen zur medizinischen Rehabilitation, zur Teilhabe am Arbeitsleben und am gesellschaftlichen Leben sowie unterhaltssichernde und ergänzende Leistungen zusammenfassend als Leistungen zur Teilhabe. Gemäß der Internationalen Klassifikation der Funktionalität, Behinderung und Gesundheit (ICF) sollen Leistungen zur Teilhabe die negativen Folgen einer Erkrankung auf den Ebenen der Körperfunktion, Körperstruktur sowie die Beeinträchtigung von Aktivitäten und Teilhabe verringern (vgl. Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation, 2006, S. 7).
Die Rehabilitation stellt einen personenzentrierten Prozess dar, „with treatment tailored to the individual patient’s needs and, importantly, personalized monitoring of changes associated with intervention, with further changes in goals and actions if needed“ (Wade, 2020, S. 571). Dieser Prozess basiert auf einer holistischen Sichtweise (vgl. Wolf-Kühn, Morfeld, 2016, S. 55). Als Messinstrument für die Belastung von Rehabilitierenden hat sich die gesundheitsbezogene Lebensqualität etabliert, welche sich aus dem subjektiven körperlichen, psychischen und sozialen Wohlbefinden zusammensetzt (vgl. Bullinger, 1997, S. 76 ff.). Daraus und aus der ICF resultierend basiert eine Rehabilitation auf dem biopsychosozialen Modell (vgl. Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation, 2006, S. 26 f.).
Das biopsychosoziale Modell nach George L. Engel ist ein wissenschaftliches Modell, welches entwickelt wurde, um die fehlende Dimension des biomedizinischen Modells zu ergänzen (vgl. Engel, 1977, S. 130). Das biomedizinische Modell geht von einem dichotomen Verhältnis von Krankheit und Gesundheit aus. Demnach ist Krankheit eine Abweichung des Normalen. Der Fokus der biomedizinischen Sichtweise liegt auf dieser Abweichung, nicht auf der betroffenen Person. Diese ist lediglich Träger der Erkrankung (vgl. Franke, 2012, S. 133 ff.). Das biopsychosoziale Modell hingegen verfolgt einen integrativen Ansatz. Engel versteht den Menschen als komplexes System, welches aus Subsystemen, wie z. B. dem Nervensystem, besteht. Er ist aber auch Teil eines größeren Systems, dem sozialen System. „Um eine Grundlage für das Verständnis der Krankheitsdeterminanten und für rationale Behandlungs- und Versorgungsmuster zu schaffen, muss ein medizinisches Modell auch den Patienten, den sozialen Kontext, in dem er lebt, und das komplementäre System, das die Gesellschaft für den Umgang mit den Krankheitsfolgen geschaffen hat, berücksichtigen.“ (Engel, 1977, S. 132). Demnach versteht das bio-psychosoziale Modell Krankheit nicht als isoliertes körperliches Phänomen, sondern als Störung der Interaktion von biologischen, psychischen und sozialen Faktoren. Biologische Einflüsse auf die Gesundheit einer Person sind bspw. genetische Prädispositionen, Ernährung oder Bewegung. Psychologische Einflüsse sind z. B. kognitive Muster, Wertvorstellungen und erlernte Ängste. Rollenmodelle der Gesellschaft, der sozioökonomische Status, soziale Unterstützung sowie die Arbeits- und Wohnverhältnisse sind Beispiele für soziale Expositionen (vgl. Engel, 1980, S. 536 ff.). Demnach sind für die Ätiologie und den Verlauf von Erkrankungen primär die dynamischen Wechselwirkungen der Einflussfaktoren determinierend (vgl. Engel, 1977, S. 132).
Da das biopsychosoziale Modell das Fundament der ICF darstellt, lassen sich die Wechselwirkungen der Komponenten der ICF – Körperfunktionen und -strukturen, Aktivität sowie Teilhabe – mit dessen Verständnis von Gesundheit und Krankheit in Verbindung bringen. In Abbildung 1 ist die Beziehung der ICF-Komponenten zu den Faktoren des biopsychosozialen Modells dargestellt. Dabei entspricht der Gesundheitszustand den bio-logischen Faktoren, die Umweltfaktoren entsprechen den sozialen Faktoren und die personenbezogenen Faktoren den psychologischen Faktoren.
Abbildung 1: ICF und das biopsychosoziale Modell
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: In Anlehnung an WHO, 2001, S. 18
Eine Rehabilitation kann stationär, teilstationär oder ambulant erfolgen (vgl. Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation, 2006, S. 33 ff.). Je nach Art der Erkrankung und ihrer Folgen bedarf es einer bestimmten Fachrichtung mit einer entsprechenden medizinisch-technischen Ausstattung des Anbieters (vgl. Schmid-Ott et al., 2015, S. 54). Die Regeldauer einer stationären Rehabilitation in der Somatik beträgt drei Wochen (vgl. Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation, 2006, S. 34). Ambulante Rehabilitationsleistungen werden mit 20 Tagen, die Rehabilitation von Kindern unter 14 Jahren mit vier bis sechs Wochen angesetzt. Die Maßnahmen können bei medizinischer Notwendigkeit verlängert werden (vgl. Bundesministerium für Gesundheit, 2020, o. S.).
Die Interventionen einer Rehabilitation haben die Verbesserung, Erhaltung oder Wiederherstellung der Funktionsfähigkeit in Alltag und Beruf als Ziel. Bei Berufstätigen soll primär die Leistungs- und Arbeitsfähigkeit erhalten werden. Bei Menschen im fortgeschrittenen Alter ist das Ziel die Erhaltung der Mobilität und der selbstbestimmten Alltagsbewältigung sowie die Verhinderung von Pflegebedürftigkeit (vgl. Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation, 2006, S. 7).
Ein Rehabilitationsteam besteht aus interdisziplinären Fachkräften. Sie stammen u. a. aus den Bereichen der Physiotherapie, Ergotherapie, Psychologie, Medizin und den Ernährungswissenschaften. Sie sind miteinander vernetzt und arbeiten fachübergreifend daran, die Lebensqualität der Patienten zu erhöhen (vgl. Wolf-Kühn, Morfeld, 2016, S. 51). Bei primär somatischen Erkrankungen liegt der psychologische Fokus in der Diagnostik psychischer Komorbiditäten. In der Behandlung steht der Umgang mit Konflikten und die Bewältigung von Problemen im Mittelpunkt (vgl. Wolf-Kühn, Morfeld, 2016, S. 55). Psychologische Interventionen in der somatischen Rehabilitation sind bspw. Psychoedukation und Beratung als Einzel- oder Gruppenangebot (vgl. Wolf-Kühn, Morfeld, 2016, S. 59). In Abbildung 2 ist der Vorgang der Rehabilitation modellhaft zusammengefasst.
Abbildung 2: Übersicht Rehabilitation
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Wade, 2020, S. 580
3 Methodenbeschreibung
Die vorliegende systematische Übersichtsarbeit ist eine Form der Literaturarbeit und ein wissenschaftliches Verfahren der Sekundärforschung (vgl. Döring, Bortz, 2016, S. 186 f.). Auf Basis einer strukturierten Literaturrecherche setzt sie sich kritisch mit dem aktuellen Forschungsstand bezüglich der Evidenz psychologischer Interventionen in der somatischen Rehabilitation auseinander. Dabei geht die Arbeit theoretisch deduktiv vor. Vorhandene Studienergebnisse werden kumuliert und aus Perspektive der Fragestellung beurteilt. Die quantitative Betrachtung der Interventionen lässt Rückschlüsse auf ihre aktuelle Gewichtung vor dem Hintergrund des biopsychosozialen Modells zu. Somit wird die aufgestellte Hypothese überprüft und potenzieller weiterer Forschungsbedarf aufgedeckt. Die Ergebnisse der Übersichtsarbeit lassen sich bei Bedarf empirisch prüfen (vgl. Döring, Bortz, 2016, S. 187).
Die Literaturrecherche wurde im Zeitraum vom 19. Januar 2021 bis zum 11. Februar 2021 durchgeführt. Durchsucht wurden die wissenschaftlich und medizinisch orientierten Literaturdatenbanken PubMed, Cochrane Library, MEDLINE, EBSCO Discovery Service, LIVIVO, REHABDATA und ScienceDirect. Außerdem wurde das Archiv der medizinischen Fachzeitschrift The Lancet und Google Scholar genutzt. Die Suche beschränkte sich auf Datensätze, die nach dem 1. Januar 2010 veröffentlicht wurden. Damit sollten möglicherweise überholte Forschungsergebnisse ausgeschlossen und gleichzeitig eine hinreichende Trefferquote sichergestellt werden. Es wurde keine Selektion aufgrund der Sprache oder des Landes der Literatur vorgenommen, um das Ergebnis der Übersichtsarbeit nicht zu verzerren.
Als Suchterme wurden „((psychological intervention) OR (psychologische Intervention) AND/OR (multidisciplinary rehabilitation) OR (interdisziplinäre Rehabilitation)), ((psychosocial) AND/OR (support) AND/OR (health) OR (Gesundheitsförderung)) sowie ((biopsychosocial model) OR (biopsychosoziales Modell) AND/OR (rehabilitation) OR (Rehabilitation) AND/OR (psychological intervention) OR (psychologische Intervention))“ verwendet. Die Suchterme wurden auf Basis der deutschen Schlagworte „psychologischer Interventionen“, „biopsychosozialen“ und „Rehabilitation“ aus dem Titel der Arbeit entwickelt. Sie vertreten die relevanten inhaltlichen Faktoren des bearbeiteten Themas. Die hierzu äquivalenten englischen Suchbegriffe wurden mit eingearbeitet, da internationale wissenschaftliche Studien meist in englischer Sprache verfasst sind. Im Rahmen eines iterativen Vorgehens wurde nach einem ersten Suchdurchlauf auf Basis der englischen Begriffe rückwärtsgerichtet „Gesundheitsförderung“ zusätzlich in einen Suchterm aufgenommen. Verbunden sind die einzelnen Begriffe mittels der Boole‘schen Operatoren OR oder AND/OR. Eine Übersicht der Datenbanken inklusive der verwendeten Suchterme und der Anzahl der Ergebnisse ist in Tabelle 1 abgebildet.
Die Recherche mit den finalen Suchtermen in PubMed ergab dem Titel nach 26 Ergebnisse, in der Cochrane Library zehn Ergebnisse, in MEDLINE 30 Ergebnisse, in EBSCO Discovery Service keine Ergebnisse, in LIVIVO neun Ergebnisse, in REHABDATA keine Ergebnisse und in ScienceDirect drei Ergebnisse. Das Archiv der medizinischen Fachzeitschrift The Lancet lieferte keine und Google Scholar zehn Ergebnisse. Offensichtlich wiederholt auftretende Datensätze in den unterschiedlichen Datenbanken wurden beim zweiten Auffinden ignoriert. Insgesamt wurden 88 Datensätze identifiziert.
Tabelle 1: Datenbanken und Suchterme
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Eigene Darstellung
Berücksichtigung fanden ausschließlich Primärstudien, um den Rahmenbedingungen dieser Arbeit zu entsprechen. Folglich wurden Metaanalysen, Reviews und andere Veröffentlichungsarten ausgeschlossen. Diese dienten jedoch der rückwärtsgerichteten Referenzrecherche zur Ergänzung der identifizierten Datensätze. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung nicht abgeschlossene Studien wurden ausgeschlossen. Ebenso aussortiert wurden Studien mit inhaltlich anders gelagertem Schwerpunkt der Interventionen, wie z. B. alternative medizinische Methoden. Studien bei seltenen Erkrankungen und Fallstudien wurden aufgrund mangelnder Repräsentativität ausgeschlossen.
Bei der anschließenden Überprüfung der Titel der identifizierten Datensätze wurden sechs Duplikate ausgeschlossen. Darauffolgend wurde die jeweilige Zusammenfassung geprüft. Eine Veröffentlichung wurde ausgeschlossen, weil sie die Intervention in Form einer digitalen Anwendung untersucht und der Fokus auf dem Medium, nicht auf der Intervention liegt. Ein anderer Datensatz wurde ausgeschlossen, weil er keine Primärstudie darstellt. Eine zum Zeitpunkt der Veröffentlichung nicht abgeschlossene Studie wurde ebenfalls eliminiert.
Im nächsten Schritt folgte eine inhaltliche Prüfung der Datensätze anhand der Volltexte. Dabei wurden 70 Datensätze aus den folgenden Gründen ausgeschlossen: 36 der betrachteten Datensätze sind keine Primärstudien. Zwei Studien haben das Setting Arbeitsplatz im Fokus, was eine einseitige Betrachtung der Ergebnisse bedeutet und damit keine Aussagekraft über die generelle Evidenz der Interventionen besitzt. Eine Studie legt den Schwerpunkt ihrer Untersuchung auf Barrieren für die Durchführung von Interventionen, nicht auf deren Resultate. Drei der Studien haben bereits vorhandene, stark ausgeprägte Komorbiditäten im Fokus. Damit sind sie nicht eindeutig der somatischen Rehabilitation zuzuordnen und somit auszuschließen. Eine Studie wurde in Südafrika durchgeführt. Da unklar ist, ob die dortigen Lebensbedingungen mit den europäischen vergleichbar sind und ggf. das Ergebnis verzerrt werden könnte, wurde dieser Datensatz ebenfalls exklu-diert. Sieben Studien liegen trotz entsprechender Sucheinstellungen außerhalb des eingeschlossenen Zeitraumes. Drei Untersuchungen beziehen sich auf das Krankheitsbild der Multiplen Sklerose. Da diese Erkrankung in ihren Symptomen mannigfaltig ist, lässt sich keine generelle Aussage zum Erfolg durchgeführter Interventionen treffen. Aus diesem Grund fanden diese Datensätze keine Berücksichtigung. Eine Studie untersucht alternative medizinische Methoden, die keine psychologischen Interventionen beinhalten. Das Setting Ergotherapie führte aufgrund fehlender psychologischer Intervention zum Ausschluss einer weiteren Studie. Eine Untersuchung bezieht sich auf medizinisches Fachpersonal, nicht auf eine somatische Rehabilitation. Zwei Fallstudien wurden aufgrund mangelnder Repräsentativität ausgeschlossen. Eine Studie bezieht sich auf eine seltene Erkrankung und könnte das Ergebnis als Ausreißer verfälschen. Eine weitere Studie hat eine biomedizinische Schulung untersucht. Eine andere legte den Fokus auf soziale Interventionen. Diese beiden Aspekte des biopsychosozialen Modells sind nicht Bestandteil dieser Arbeit. Eine Studie konzentriert sich auf die ökonomischen Aspekte von Interventionen. Eine Studie untersucht die psychologischen Einflussfaktoren vor und nach einer Verbrennung. Es wurde keine Intervention durchgeführt. Neun Datensätze bestanden die Volltextprüfung.
Bei der rückwärtsgerichteten Durchsuchung der Referenzen ermittelter Reviews und Metaanalysen wurden zwölf relevante Datensätze identifiziert und in die Übersichtsarbeit eingeschlossen, die somit insgesamt 21 Studien umfasst. Der Selektionsprozess der Literatur ist in Abbildung 3 dargestellt. Die ausgeschlossenen Studien mit der jeweiligen Begründung sind in Tabelle 4 und die Ergebnisse der Referenzrecherche in Tabelle 5 im Anhang 1 aufgelistet.
Abbildung 3: Prozess der systematischen Literaturrecherche
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Eigene Darstellung
Die systematische Extraktion relevanter Informationen aus den Publikationen erfolgt auf Basis der Parameter „Krankheit“, „Stichprobe“, „Setting“, „Psychologische Intervention“ und „Evidenz“. Anhand ihres Vergleiches lassen sich Rückschlüsse auf die Wirksamkeit einzelner Maßnahmen in Korrelation mit bestimmten Erkrankungen ziehen. Die Parameter „Krankheit“, „Psychologische Intervention“ und „Evidenz“ dienen der Kategorisierung, um einen Vergleich zu ermöglichen. Das „Setting“ ermöglicht Aussagen über den konkreten Kontext der jeweiligen Maßnahme. Der Parameter „Stichprobe“ dient der qualitativen Überprüfung der Primärstudien und somit der Beurteilung ihrer Aussagekraft. Die Anzahl und das Alter der Teilnehmenden sowie deren Geschlecht werden erfasst und bewertet. Es wird festgehalten, ob eine Kontrollgruppe eingesetzt und die Stichprobe randomisiert wurde. Das Studiendesign der Veröffentlichungen wird danach beurteilt, ob eine statistische Varianzanalyse der Stichprobe erstellt, ein Signifikanztest durchgeführt und die Abhängigkeit der Variablen statistisch untersucht wurde. Zusätzlich wird betrachtet, ob sekundäre Interessen der Verfassenden die Ergebnisse der jeweiligen Untersuchung verzerrt haben könnten. Der Einfluss monetärer Unterstützung auf die Ergebnisse wird geprüft. Als weiteres Kriterium zur Qualitätsbeurteilung dient die Rücklaufquote nach der letzten Datenerhebung. Eine Verblindung von Teilnehmenden und Durchführenden der Interventionen ist in der Regel nicht möglich, da die meisten Interventionen offensichtlich sind. Betrachtet wird aber, ob die Auswertung der erhobenen Daten verblindet stattfand.
4 Forschungsstand aus Perspektive der Fragestellung
Ausgangspunkt zur Betrachtung der aktuellen Forschung sind die Fragen nach dem Einsatz psychologischer Interventionen und ihrer Evidenz im Rahmen einer somatischen Rehabilitation. Entsprechend werden die selektierten Forschungsarbeiten auf Basis der in der Methodenbeschreibung beschriebenen Parameter betrachtet.
4.1 Beschreibung der Studien
Die 2017 veröffentlichte Studie von Ana Cláudia Fernandes und ihrem Kollegium untersucht die Wirkung von Psychoedukation auf Personen mit einem akutem Koronarsyndrom (ACS). 36 Frauen und 84 Männer der Koronarstation eines Krankenhauses mit einem mittleren Alter von 63,8 Jahren wurden randomisiert einer Interventions- und einer Kontrollgruppe zugeteilt. Die Vergleichbarkeit der Gruppen wurde mittels t-Test festgestellt. Die Interventionsgruppe nahm an zwei Psychoedukationen in Kleingruppen zu sechs Personen mit einer Dauer von jeweils 75 Minuten teil. Die erste Sitzung bezog sich auf ACS und diesbezügliches Risikoverhalten. Die zweite Sitzung umfasste emotionale Reaktionen auf ACS, die Wirkung von Kognitionen auf den Krankheitsprozess und Bewältigungsstrategien. Die Interventionen erfolgten zwei bis drei Tage nach der Aufnahme im Krankenhaus. Einen Monat nach der Entlassung fand eine zwanzigminütige Folgesitzung statt. Diese diente der Reflexion früherer Ziele und Verpflichtungen, der Identifizierung von Erfolgen und Herausforderungen und der Entwicklung von Verhaltensstrategien. Als Messinstrument für die Wirksamkeit der Interventionen dienten die Fragebögen der portugiesischen Versionen der Hospital Anxiety and Depression Scale (HADS) und das Brief Illness Perception Questionnaire. Die Datenerhebung erfolgte bei der Aufnahme ins Krankenhaus, bei der Entlassung sowie bei Folgeuntersuchungen einen und zwei Monate nach der Entlassung. Bei allen Erhebungen zeigte die Interventionsgruppe im Vergleich zur Kontrollgruppe niedrigere Messwerte für Angst und Depression sowie höhere Werte bei den Krankheitskognitionen. Bei den Nachuntersuchungen ließ sich bei der Kontrollgruppe im Gegensatz zur Interventionsgruppe eine Verschlechterung der psychosozialen Anpassung erkennen. Die Unabhängigkeit der Variablen wurde mit dem Chi2-Test überprüft. Die Rücklaufquote der Fragebögen betrug mit 121 Datensätzen 100 Prozent. Die Verfassenden der Studie stellen eine Evidenz kurzer psychologischer Interventionsprogramme während des Krankenhausaufenthaltes bei ACS für eine anschließende Rehabilitation fest (vgl. Fernandes et al., 2017, S. 641 ff.).
Eine Vergleichsstudie zum Einsatz dialogbasierter Interventionen bei Schlaganfall-Patientinnen und -Patienten konnte weder eine Verbesserung der Lebensqualität noch eine Minderung von Disstress nachweisen (vgl. Bragstad, 2020, S. 1056 ff.). Die Studie wurde von 2014 bis 2017 im Setting des Rehabilitationsdienstes einer norwegischen Gemeinde durchgeführt. 322 Betroffene, 132 Patientinnen und 190 Patienten mit einem Schlaganfall innerhalb der letzten vier Wochen, wurden randomisiert einer Test- und einer Kontrollgruppe zugeteilt. Die Testgruppe erhielt acht individuelle sechzig- bis neunzigminütige dialogbasierte Interventionen in den ersten sechs Monaten nach dem Schlaganfall. Die Sitzungen im Einzelformat dienten der Förderung des psychosozialen Wohlbefindens der Betroffenen, welche den Schwerpunkt der Gespräche bestimmten. Zur Bewertung der Ergebnisse wurde das General Health Questionnaire-28, die Stroke and Aphasia Quality of Life Scale-39g, die Sense of Coherence Scale und das Yale Brown single-item Ques-tionnaire genutzt. Die Daten wurden mittels strukturierter Interviews erhoben. Ein linear gemischtes Modell wurde auf die Primärdaten angewendet und ein t-Test wurde durchgeführt. Das mittlere Alter der Testgruppe betrug 66,8, dass der Kontrollgruppe 65,7 Jahre. Von 182 Teilnehmenden, entsprechend 56,5 Prozent, konnten 12 Monate nach dem Schlaganfall vollständige Datensätze ausgewertet werden. Die Auswertung der Daten erfolgte verblindet. Es konnten keine signifikanten Unterschiede im psychosozialen Wohlbefinden, in der Lebensqualität, dem Kohärenzgefühl oder den depressiven Symptomen der Test- und der Kontrollgruppe festgestellt werden. Finanziell unterstützt wurde die Studie durch das siebte Rahmenprogramm der EU, die Regionale Gesundheitsbehörde Süd-Ost-Norwegen und die Extra Foundation (vgl. Bragstad, 2020, S. 1056 ff.).
Von 2015 bis 2017 führte Vivian Fu mit ihrem Kollegium an sieben Zentren in Neuseeland eine Kontrollgruppenstudie durch. Bei den 400 randomisiert in zwei Test- und eine Kontrollgruppe eingeteilten Personen wurde innerhalb der vorangegangenen 16 Wochen ein Schlaganfall diagnostiziert. Die erste Testgruppe erhielt eine einmalige Gesprächstherapie mit dem Fokus auf Selbstwirksamkeit. Ziel der Therapie waren die Stärkung der Autonomie und Selbstbestimmung, die Förderung der Verbundenheit mit anderen Betroffenen und die Steigerung der Zielstrebigkeit. Die zweite Testgruppe erhielt die identische Gesprächstherapie in Form von zwei Sitzungen in einem Abstand von sechs Wochen. Die Interventionen erfolgten in der häuslichen Umgebung der Teilnehmenden. Die Kontrollgruppe erhielt Aufklärungsmaterialien zu häufigen Problemen und Risikofaktorenmanagement bei einem Schlaganfall. Gemessen wurde die gesundheitsbezogene Lebensqualität der Stichprobe anhand des Short Form Gesundheitsfragebogen 36 (SF-36). Die Selbstauskunft wurde 12 Monate nach dem Schlaganfall elektronisch und telefonisch eingeholt. Die Bewertung der Ergebnisse erfolgte verblindet. Eine Varianzanalyse der Gruppen wurde durchgeführt. Von den Teilnehmenden waren 58,5 Prozent Männer, jeweils 74 bis 85 Männer in einer Gruppe. Von der Stichprobe mit einem mittleren Alter von 72,2 Jahren verstarben zehn Personen und zwei verließen die Studie. Die mit 388 Teilnehmenden verbliebenen 97 Prozent wurden 12 Monate lang beobachtet. Am Ende des Zeitraumes wiesen die Teilnehmenden der Testgruppe einen signifikant höheren Wert der gesundheitsbezogenen Lebensqualität auf als die der Kontrollgruppe. Mit der zweiten Sitzung der Gesprächstherapie erhöhte sich der Wert. Der Zusammenhang der Variablen wurde statistisch geprüft und die Ergebnisse mittels Signifikanztest untermauert. Die Verfassenden der Studie sehen die Verbesserung der gesundheitsbezogenen Lebensqualität und die damit verbundene Unabhängigkeit bei Betroffenen eines Schlaganfalls mittels Gesprächstherapie als erwiesen an (vgl. Fu et al., 2020, S. 954 ff.). Die Studie wurde durch das Health Research Council of New Zealand finanziell bezuschusst. 120 Menschen mit akutem Schlaganfall, 58 Frauen und 62 Männer, wurden von Wu et al. randomisiert in eine Test- und Kontrollgruppe eingeteilt. Sie wurden auf klinische Auswirkungen einer Kombination aus einem bereits im Krankenhaus startenden physischen Rehabilitationstrainings mit Gesprächstherapie auf die psychische Gesundheit untersucht. Die Testgruppe mit einem mittleren Alter von 56,1 Jahren erhielt zusätzlich zur Grundversorgung ein Rehabilitationstraining und fünf Mal pro Woche eine zwanzigminütige Gesprächstherapie. Die Teilnehmenden bekamen positive Rückmeldungen und konnten individuelle Fragen stellen. Mentale Blockaden der Teilnehmenden wurden gelöst. Die Adhärenz der Testgruppe wurde durch Vermittlung einer angemessenen Erwartungshaltung und durch Reflexion der Selbstwirksamkeit gesteigert. Ihre Zuversicht wurde gestärkt. Die Familien der Betroffenen wurden hinsichtlich der Unterstützung der täglichen psychologischen Therapie geschult. Die Symptomcheckliste SCL-90 wurde zur Erfassung der subjektiven Beeinträchtigung durch körperliche und psychische Symptome eingesetzt. Die neurologischen Funktionen wurden mittels der European Stroce Scale erfasst. Der Barthel-Index diente zur Ermittlung der Selbstständigkeit. Die Daten wurden am dritten und am einundzwanzigsten Tag des Krankenhausaufenthaltes erhoben. Die Werte der SCL-90 stiegen am dritten Tag bei beiden Gruppen an, die neurologischen Werte zeigten keine Unterschiede zwischen den Gruppen. Nach 21 Tagen nahmen die Werte für Somatisierung, Zwangsvorstellungen, Depression, Angst, Feindseligkeit und psychologische Faktoren in der Testgruppe deutlich stärker ab als in der Kontrollgruppe. 90 Tage nach dem Schlaganfall wies die Testgruppe signifikant bessere Ergebnisse in der Selbstständigkeit auf. Die Werte von allen Teilnehmenden konnten für den gesamten Zeitraum erfasst und ausgewertet werden. Eine Varianzanalyse wurde durchgeführt und die Unabhängigkeit der Variablen sowie die Signifikanz der Ergebnisse wurde statistisch überprüft. Die Verfassenden der 2012 veröffentlichten Studie schließen auf eine signifikante Verbesserung der psychischen Gesundheit, der Funktionalität und Selbstständigkeit von Schlaganfall-Patientinnen und -Patienten durch eine adäquate Therapie in Kombination mit Rehabilitationstraining. Eine solche Therapie könne positive Emotionen und funktionelle Abwehrmechanismen stärken, um Depressionssymptome und neurologische Funktionen zu verbessern (vgl. Wu et al., 2012, S. 914 ff.).
Das Forschungsteam von Addington untersuchte 2020 mögliche Moderatoreffekte im Zusammenhang mit IRISS (Intervention for those Recently Informed of their Seropositive Status) und anderen psychologischen Interventionen für Erwachsene mit kürzlich gestellter HIV-Diagnose. Sie untersuchten den Einfluss des soziodemografischen Status und psychologischer Merkmale der Betroffenen auf die Wirksamkeit der Interventionen . 159 Teilnehmende mit einer HIV-Diagnose innerhalb der letzten 12 Wochen wurden randomisiert einer Test- oder Kontrollgruppe zugeteilt. Das mittlere Alter der Stichprobe betrug 35,6 Jahre. Sie umfasste 144 Männer, elf Frauen und zwei Transgender. Die Testgruppe nahm an IRISS teil, in der acht Fähigkeiten zur Steigerung positiver Emotionen geschult wurden, wie bspw. die Wahrnehmung positiver Ereignisse und Wertschätzung. Die Kontrollgruppe führte mit einem sympathischen Gesprächspartner Dialoge über individuelle Themen wie Lebensgeschichte, Gesundheit und soziale Ressourcen der Teilnehmenden. Beide Interventionen umfassten fünf persönliche und eine telefonische Sitzung. Zur Analyse der Moderatoreffekte wurden Selbstauskünfte zu Beginn und nach der Intervention sowie drei, fünf, zehn und 15 Monate nach der Diagnose eingeholt und analysiert. Die Rücklaufquote betrug mit 114 Personen 79 Prozent. IRISS zeigte bei den meisten Variablen, wie Alter, Herkunft, Bildung und Stress, ähnlich starke Effekte bezüglich positiver Emotionen. Depressionen zeigten einen signifikanten Einfluss auf positive Emotionen. Bei den Auswirkungen von IRISS auf die Einnahme von Antidepressiva zeigten sich Alter, Herkunft, Bildung, Depression und Stress als signifikante Moderatoren. Die meisten anderen Moderatoranalysen, wie bspw. von Optimismus und Lebensereignissen, zeigten keinen Einfluss im Rahmen von IRISS. Das Einkommen wirkte sich auf die negativen Emotionen, Depressionen und auf die positiven Emotionen aus. Die positiven Emotionen der Testgruppe waren stabil. Die der Kontrollgruppe änderten sich bei höherer depressiver Ausgangsbelastung signifikant zum Guten und bei niedriger depressiver Ausgangsbelastung zum schlechten. Das Forschungsteam schließt daraus, dass ein Gespräch mit einem sympathischen Zuhörer für positive Emotionen bei Personen mit einer HIV-Diagnose mit geringen Depressionen schädlich sein kann. So wie bei einer stark depressiven Ausgangsbelastung eine Pharmakotherapie in Kombination mit unterstützendem Zuhören die Steigerung positiver Emotionen bedeuten kann (vgl. Addington et al., 2020, S. 605 ff.). Die Studie wurde finanziell unterstützt durch die National Institutes of Health und das Third Coast Center for AIDS Research.
Im Rahmen einer verhaltensmedizinisch orthopädischen Rehabilitation untersuchte Sandra Korsch mit ihren beiden Kolleginnen die Akzeptanz und Machbarkeit eines kombinierten Schmerzkompetenz- und Depressionspräventionstrainings. Das Studiendesign setzte sich aus drei Teilen zusammen. Der erste Teil der 2015 durchgeführten Studie bestand aus problemzentrierten Interviews mit 26 Rehabilitierenden aufgrund von chronischem Rückenschmerz. Die 18 Frauen und 8 Männer befanden sich drei bis vier Wochen in stationärer Rehabilitation. Ihr mittleres Alter betrug 50,6 Jahre. Jeweils 13 Teilnehmende wurden cluster-block-randomisiert einer Kontroll- bzw. Interventionsgruppe zugeteilt. Die Interventionsgruppe erhielt eine KVT in Form des kombinierten Schmerzkompetenz- und Depressionspräventionstrainings. Die Kontrollgruppe erhielt nur das Schmerzkompetenztraining. Die Interventionsgruppe bestätigte die Akzeptanz und Machbarkeit der KVT. Die Kontrollgruppe bewertete das Schmerzbewältigungstraining im Vergleich insgesamt schlechter und wies einen geringeren Kohärenzsinn auf als die Interventionsgruppe. Als signifikante Einflussgröße auf die Zufriedenheit der Teilnehmenden wurde die Empathie und die Motivation der durchführenden Person identifiziert. Die Interventionsgruppe berichtete über eine bessere Gruppenatmosphäre und eine erhöhte soziale Unterstützung durch die KVT. Der zweite Teil der Studie bestand aus vier Fokusgruppen mit Rehabilitierenden. Diese umfassten 12 Männer und acht Frauen mit einem mittleren Alter von 52,3 Jahren. Zwei der Fokusgruppen erhielten die gleiche Intervention wie die Interventionsgruppe aus dem ersten Teil der Studie. Die anderen zwei bildeten Kontrollgruppen. Die Fokusgruppen mit der Intervention berichteten eine hohe Zufriedenheit und die Machbarkeit wurde als sehr gut bezeichnet. Die Gruppenkohäsion wurde positiv hervorgehoben. Die Fokusgruppen mit Kontrollfunktion berichteten von einer geringen Zufriedenheit aufgrund der mangelnden Einbettung des Trainings in die Klinikroutine. Der Zusammenhalt dieser Gruppen war gering. Der dritte Teil der Untersuchung bestand aus vier Fokusgruppen mit 15 Expertinnen und Experten mit einem mittleren Alter von 40,4 Jahren und einer mittleren Berufserfahrung von elf Jahren. Elf Teilnehmende stammten aus dem Bereich der Psychologie, zwei aus der Medizin und zwei aus der Physiotherapie. Zu ihrem Geschlecht wurden keine Angaben gemacht. Diese Fokusgruppen bestätigten die Akzeptanz der KVT. Bei der Machbarkeit gab es Verbesserungsvorschläge hinsichtlich der Dichte der Trainingsstunden. Eine zusätzliche Stressbewältigung im beruflichen Kontext wurde angeregt. Die Datenerhebung erfolgte mittels qualitativer, leitfadengestützter Einzel- und Fokusgruppeninterviews. Die Daten aller Teilnehmenden konnten ausgewertet werden. Korsch und ihr Team sehen eine vorliegende Evidenz der Durchführung eines zielgruppenspezifischen Schmerzkompetenz- und Depressionspräventionstrainings bei chronischen Rückenschmerzen (vgl. Korsch et al., 2020, S. e9 ff.). Interessenskonflikte oder Subventionen werden nicht deklariert.
Aufbauend auf die Studie von Korsch et al. untersuchten Hampel und ihr Team die Langzeiteffekte eines standardisierten, stationären und multidisziplinären Rehabilitationsprogramms bei chronischem Lumbalsyndrom (CLBP). Im Rahmen einer prospektiven Kontrollgruppenstudie wurden 583 Betroffene cluster-randomisiert in vier Test- und vier Kontrollgruppen aufgeteilt. Die Stichprobe umfasste 242 Frauen und 341 Männer. Die Testgruppen mit einem mittleren Alter von 53,3 Jahren absolvierten vier 75-minütige Schmerzkompetenz- und vier 75-minütige Depressionspräventionstrainings. Die Kontrollgruppen mit einem mittleren Alter von 53,2 Jahren absolvierten ausschließlich die Schmerzkompetenztrainings. Die Studie wurde parallel in vier orthopädischen Rehabilitationskliniken über einen Zeitraum von drei bis vier Wochen durchgeführt. Ein Chi2‑Test und ein t‑Test ergaben keine signifikanten Unterschiede zwischen den Teilnehmenden und den Behandlungsbedingungen der Gruppen. Das medizinische sowie das pflegende Personal der Kliniken war den Zuordnungen gegenüber verblindet. Bei den Therapierenden sowie den Teilnehmenden war eine Verblindung nicht möglich, da Inhalt und Häufigkeit der Interventionen die Gruppen erkennen ließen. Zur Verringerung der Divergenz sollten die Kliniken den Kontrollgruppen unspezifische Behandlungselemente, bspw. Entspannung, anbieten. Anhand einer Protokollanalyse wurden die Effekte der Interventionen auf depressive Symptome, Selbstwirksamkeit und Arbeitsfähigkeit der Teilnehmenden erfasst. Dabei wurden Varianzanalysen aufgrund der Gruppenzuordnung, hohem oder niedrigem Grad der depressiven Symptome und dem Zeitpunkt der Messung durchgeführt und stratifiziert. Die depressive Symptomatik der Teilnehmenden wurde mit der deutschen Version der Center for Epidemiological Studies Depression Scale erhoben. Die Datenerfassung erfolgte vor, direkt im Anschluss sowie sechs und zwölf Monate nach der Rehabilitation. Die Rücklaufquote betrug mit 535 Fragebögen 99,4 Prozent. Das Ergebnis der 2019 veröffentlichten Studie besagt, dass ausschließlich Patientinnen und Patienten mit hoher depressiver Symptomatik langfristig in der Selbstwirksamkeit Verbesserungen aufwiesen. Dies unterstütze wiederum die Wirkung beider Interventionen. Bei den Teilnehmenden der Testgruppen zeigte sich eine langfristige Reduzierung der Arbeitsunfähigkeitstage aufgrund psychischer Belastung. Bei den schmerzinduzierten Arbeitsunfähigkeitstagen wurde kein signifikanter Unterschied zwischen den Test- und Kontrollgruppen festgestellt. Statistische Signifikanztests, Varianz- und Variablenabhängigkeitsanalysen wurden durchgeführt. Die Auswertung erfolgte offen. Die Verfassenden der Studie sehen die Wirksamkeit der Kombination eines kognitiv-behavioralen Managementtrainings für Schmerzen und depressive Symptome zur Behandlung von CLBP bestätigt (vgl. Hampel et al., 2019, o. S.). Finanziell unterstützt wurde die Studie durch die Deutsche Rentenversicherung Bund.
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- Arbeit zitieren
- Anja Schumacher (Autor:in), 2021, Psychologische Interventionen bei somatischen Erkrankungen. Vor dem Hintergrund des biopsychosozialen Ansatzes in der Rehabilitation, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1322099
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