Das 1779 von Lessing fertig gestellte und veröffentlichte Stück „Nathan der Weise“ wird seit nahezu drei Jahrhunderten als Träger einer „Botschaft der Toleranz“ (Monika Fick) verstanden und interpretiert. Die berühmte Regieanweisung am Schluss lässt den Vorhang über eine „allseitige Umarmung“ (Lessing) fallen und pflanzte sich als Stück der Versöhnung in die Köpfe der Leser bzw. der Zuschauer. Liest man Lessings „dramatisches Gedicht“ aber genau, kann ebenso gut ein unruhiges Gefühl im Leser zurück bleiben. Die „stumme Umarmung“ scheint nicht recht zu der Handlung zu passen, die die Figuren (und Zuschauer) doch zum Jubeln anregen müsste. Da finden sich Familienmitglieder wieder und die Umarmung bleibt stumm?
Die Regieanweisungen des Dramenschlusses waren mir Inspiration, den Text noch einmal zu untersuchen und zwar unter der Fragestellung: Hat das Stück noch eine andere Komponente, die über den in der Forschung unbestrittenen Sieg der Humanität über menschliche Vorurteile hinausgeht? Versteht sich das Schlusstableau auf einer tieferen Ebene doch auch als (versteckte) Gesellschaftskritik? Und wenn ja, worin besteht die Kritik? Und wenn sie sich versteckt präsentiert, warum ist sie nicht so offen formuliert, wie alle anderen kritischen Momente im Stück? Liest sich, unter dem ernsthaften Ton dieses Endes, das ganze Drama nicht sogar um einen Ton weniger harmonisch und ist dafür insgesamt eine Spur kritischer zu verstehen als es gemeinhin interpretiert wird?
Ausgangspunkt der Überlegung ist die Beobachtung, dass die Figur Nathan laut Text kein Mitglied der von ihm zusammen geführten Familie ist und er laut Regieanweisung im Stück, auch aus der Umarmung ausgeschlossen bleiben müsste. Auch wenn die klassische Theater-Inszenierung Nathan in der Mitte der Menschen gesehen hat, bleibt Nathan nicht in Wirklichkeit symbolträchtig am Rand der Bühne alleine stehen? Ist Nathan am Ende nicht nur weise sondern auch Waise? Und ist letzteres sogar zu einem Teil die Konsequenz des ersten?
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Textimmanent: keine Umarmung für Nathan
- Regieanweisungen
- Sprache
- Form und Inhalt
- Dramatischer Spannungsbogen
- Über die Textgrenze: Motivation des Schriftstellers
- Lessing als Anwalt des Judentums
- Lessings eigenes Umfeld
- Lessing als Mensch
- Abschluss und Ausblick
- Literaturverzeichnis
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Hausarbeit analysiert Lessings „Nathan der Weise" unter der Fragestellung, ob das Stück neben der Botschaft der Toleranz auch eine versteckte Gesellschaftskritik beinhaltet. Die Arbeit untersucht die Regieanweisungen des Dramas, insbesondere die Schlusszene, um herauszufinden, ob Nathan, der Protagonist, trotz der scheinbaren Versöhnung am Ende des Stücks symbolisch am Rande der Bühne steht und somit als „Waise" interpretiert werden kann.
- Analyse der Regieanweisungen im Hinblick auf die Positionierung Nathans in der Schlusszene
- Interpretation der „stummen Umarmung" als Ausdruck von gesellschaftlicher Distanz
- Untersuchung der möglichen Intention Lessings, eine versteckte Kritik in das Stück einzubauen
- Bedeutung der Figur Nathans als Repräsentant des Außenseiters
- Analyse der sprachlichen und dramaturgischen Elemente, die auf eine kritische Ebene des Stücks hinweisen
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung stellt die Forschungsfrage und den Ausgangspunkt der Analyse dar. Sie beleuchtet die traditionelle Interpretation von „Nathan der Weise" als Stück der Toleranz und stellt die These auf, dass das Stück auch eine kritische Ebene beinhaltet.
Das Kapitel „Textimmanent: keine Umarmung für Nathan" analysiert die Regieanweisungen des Dramas im Detail. Es wird gezeigt, dass Nathan in der Schlusszene räumlich von der Familie getrennt bleibt und somit symbolisch am Rande der Bühne steht.
Das Kapitel „Über die Textgrenze: Motivation des Schriftstellers" untersucht die möglichen Beweggründe Lessings, eine versteckte Kritik in das Stück einzubauen. Es werden Lessings eigene Erfahrungen mit Vorurteilen und Diskriminierung sowie seine Rolle als Anwalt des Judentums beleuchtet.
Schlüsselwörter
Die Schlüsselwörter und Schwerpunktthemen des Textes umfassen „Nathan der Weise", „Toleranz", „Gesellschaftskritik", „Regieanweisungen", „Schlusszene", „Nathan", „Waise", „Umarmung", „Familie", „Außenseiter", „Lessing", „Judentum", „Vorurteile", „Diskriminierung".
- Citar trabajo
- Ariela Sager (Autor), 2006, Ist Nathan der Weise Waise?, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/132131
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