Diese Arbeit beschäftigt sich mit Rudolf Steiner und Martin Buber, welche beide spirituell begabte Autoren sind, die in ihren Büchern die Schau der geistigen Realitäten als ein für den geistigen Heilungsprozess wesentliches Element darstellen. Beide beschreiten unterschiedliche Wege: Martin Buber sieht in der gottesfürchtigen präreflexiven Beziehung zu Gott das wesentliche Mittel, das zu einem gesundheitsfördernden Selbstverständnis beiträgt. Rudolf Steiner hingegen sieht in der reflexiven Bewusstseinsanalyse den Weg zu geistiger Kraft.
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Wir leben in einer Zeit, in der die Herrschaft des Geldes und der materialen Bedürfnisse den Menschen oftmals krank machen und in eine geistige Sackgasse führen. Die Befriedigung materieller Bedürfnisse alleine können Gesundheit nicht garantieren. Angesichts dieser Tatsache ist die Heilung des Geistes durch Blick auf die geistige Wirklichkeit das Anliegen vieler spirituell begabter Autoren. Der Mensch muss aus seiner Alltagswelt herausgerissen werden und zu einer geistigen Kraft kommen - durch eine Selbstbesinnung. Dies durch den Blick auf die Realitäten des Geistes, die den Menschen heilen, durch ihre Wirkung in der Welt, in der der Mensch durch seine Handlungen eingreift und ein Teil derselben ist. Rudolf Steiner (1861-1925) ist einer dieser Autoren, die zu einer Selbstbesinnung aufrufen. Steiner zeigt einen Weg auf zur authentischen Lebensführung und zur Heilung durch die Regenerierung geistiger Kräfte.
„Anknüpfend an Johann Gottlieb Fichte sprach er [Rudolf Steiner] darin [d.h. in seinem Buch Theosophie ] von einem „geistigen Auge“, das es ermögliche, neben der gewohnten physischen Welt noch eine seelische und eine geistige Welt wahrzunehmen und zu erforschen. Außerdem beschreibt Steiner die Idee von der Wiederverkörperung des Geistes (Reinkarnation, „wiederholte Erdenleben“) und des Schicksals (Karma). Während traditionelle Esoteriker die okkulten Erkenntnisse als über ein Lehrer-Schüler-Verhältnis vermittelte „Einweihung“ ansahen, wollte Steiner zu einer selbstbestimmten Erkenntnisleistung anleiten. Diese Anleitungen vertiefte er in der für die Zeitschrift „Luzifer-Gnosis“ verfassten Aufsatzserie Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten? (1904/05).[58] In: Rudolf Steiner - Wikipedia.
Obwohl es also eigentlich nur (a) die mit den Sinnen wahrgenommene Welt gibt und (b) das Denken (als Inhalte ordnende Instanz) auch als seiend angenommen werden muss, so gibt es dennoch einen Zugang zu geistigen Realitäten, der weder Teil der sinnlichen Welt ist, noch in unserem Ordnungsmechanismus dieser Welt für unsere eigenen Zwecke aufgeht. Dieser Zugang kann durch Reflexion (Bewusstseinsanalyse) verstanden werden. Anthroposophie, insbesondere die Anthroposophie Steiners, bedeutet für den zeitgenössischen Religionsforscher Helmut Zander eben eine Weltanschauung mit einer geistigen Dimension:
„Die ganze Welt verstehen: Das war es, was Rudolf Steiner wollte. Und die ganze Welt, das war für Steiner eben nicht nur die materielle, die dingliche Welt, die man sehen, betreten, begreifen und vermessen kann, sondern er glaubte auch an eine geistige Dimension, eine höhere, übersinnliche Welt - in die Eingeweihte mit besonderen Fähigkeiten Einsicht erlangen können.“ In: Dittrich, M: 2019. Rudolf Steiner, Waldorf-Pädagogik und Anthroposophie - „Da steckt massiv Religion drin“ auf deutschlandfunk.de, 6. November 2019.
Der Zugang zu geistigen Welten kann jedoch alternativ durch den Glauben (Gottesfürchtigkeit) gewonnen werden. Das ist Martin Bubers (1878-1965) Weg. Steiner wählt hingegen den ersten Weg, d.h. Einsicht durch besondere Fähigkeiten. Martin Buber, mit Verzicht auf die Hilfestellung durch reflektierte Bewusstseinsanalyse, wählte den letzteren Weg.
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Wie verschieden auch die Wege Steiners und Bubers sein mögen, so kann man doch vermuten, dass Martin Bubers Intention seiner Ich-Du- Metaphysik (dargelegt in seinem Welterfolg Ich und Du, Erstauflage 1923) eben sehr ähnlich der Erziehung hin zum Leben aus dem Geiste ist. Das ewige Du, Gott, bietet Halt für das Leben in der Welt. Es bietet eine praktische Lebenshilfe in einem Diesseits, das nun einmal durchgehend von Gewalt und Ungerechtigkeit geprägt ist. Der Halt, der das Geistige bietet, ist von großem Wert für die Lebenspraxis. Nach dem zweiten Weltkrieg war Buber eine wichtige Stütze, die es Vielen ermöglichte weiterzuleben, obwohl es absurd geworden war „weiterzumachen“, angesichts der Anschuldigungen durch die Sieger und der Entwertung allen Lebens durch die missliche geopolitische Lage, die noch zu den sehr schweren Lebensumständen in Mitteleuropa hinzukamen.
Der Mensch muss nun einmal an Dinge glauben, so Steiner und Buber, die seine Fassungskraft übersteigen, sonst verfehlt er das Menschsein als einzigartige Chance des Seins. Das ist zunächst eine anthropologische Aussage, also eine Aussage über das Wesen des Menschen, insbesondere über die Zweiheit der Welt, in der Menschen als solche leben müssen. Einerseits findet sich menschliches Leben in der Ich-Es-Welt (der Welt des Erfassbaren und Begreifbaren), andererseits jedoch ebenso in der Ich-Du-Welt (der Welt der geistigen Wesenheiten, die niemals erfasst und begriffen werden können). Der übermächtig gewordenen Eswelt, dem „Alp“, steht im Grundwort Ich-Es ein Ich gegenüber, das sich in der Situation des „Alps“ nicht behaupten kann. Das Es- Ich ist für Buber ein „Gespenst“, die scheinbare Substanz, das scheinbare Gegenüber der Eswelt. Es ist ein kausal Bedingtes, ähnlich den Dingen in der Welt begreifbar. Das eigentliche Ich entsteht erst aus der Beziehung zu einem Gegenüber, einem Du. Letztlich natürlich aus dem Gott Gegenüberstehen - als Kreatur, Geschöpf. Es ist Teil des Grundwortes Ich-Du. Im „wirklichen“ Ich des Menschen, das der menschlichen „Person“ zueigen ist, ergänzen sich die beiden Grundworte [also Ich-Du und Ich-Es] zu menschlichem Leben.
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Der Mensch muss in der Beziehung zu dem ihm Transzendenten leben, sonst fehlt ihm der Halt in der Existenz. Darin stimmen Buber und Steiner überein. Die menschliche Existenz muss aus diesem Selbstverständnis sich erfassen können. Dadurch besteht zugleich die Möglichkeit der geistigen Heilung. Mit dem Durchdenken der spirituellen Philosophien beginnt bereits der Heilungsprozess. Die Heilung besteht darin, dass der Mensch, sich selbst verstehend, den geistigen Dingen zuwendet, das ihm begegnende Du, ein ihm transzendentes Du, wertschätzt und in der Verbundenheit mit Gott, dem Buberschen Ewigen Du, lebt - und zwar in der diesseitigen Welt. Zur Heilung notwendig ist das Selbstverständnis des Menschen in seiner Gesamtheit (ein Erfassen des ganzen Menschen) - und das Verständnis der Unreduzierbarkeit des Blicks auf die geistigen Realitäten.
Steiners und Bubers Denkwege sind auch sehr unterschiedlich, schon in ihrem anfänglichen Ansatz. Während Buber das Bewusstsein der präreflexiven Beziehung in den Mittelpunkt der heilenden Mittel stellt und Reflexion oder die Eigenständigkeit des rationalen Gedankens aus dem Wesentlichen für diesen Heilungsprozess ausschließt, baut Steiner auf eine selbstreflexive Bewußtseinsstruktur, auf die Selbsterkenntnis von Subjektivität, die Stabilität des Menschseins in der Welt herstellt. Wir müssen jedoch erkennen, dass sowohl die im Gebet fassbare präreflexive Beziehung zu Gott, wie auch die geistige Kraft der Subjektivität des Selbstbewusstseins Schritte sind, die in die richtige Richtung führen und uns zu einem gesunden Selbstverständnis führen können.
Literatur:
Martin Buber - AnthroWiki
Rudolf Steiner - Wikipedia
Bourel, Dominique: 2015. Martin Buber: Sentinelle de lhumanité, Albin Michel, ISBN 978-2-226-33218-9. deutsch von Horst Brühmann: Martin Buber. Was es heißt, ein Mensch zu sein, Biografie. Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2017, ISBN 978-3-579-085371.
Danner, Helmut [u.a]: 1985. Zum Menschen erziehen: Pestalozzi, Steiner, Buber. Frankfurt, Berlin, München: Diesterweg, (Themen der Pädagogik).
Dittrich, M: 2019. Rudolf Steiner, Waldorf-Pädagogik und Anthroposophie - „Da steckt massiv Religion drin“ auf deutschlandfunk.de, 6. November 2019.
Doubrawa, Erhard, Frank-M. Staemmler (Hrsg.): 2003. Heilende Beziehung - Dialogische Gestalttherapie. Peter Hammer, 2003, ISBN 3-87294820-2.
Hoffmann, D. M., Albert Vinzens, Nana Badenberg, Stephan Widmer (Hrsg.): 2021. Rudolf Steiner 18611925. Eine Bildbiographie. Rudolf Steiner Verlag, Basel, ISBN 978-3-7274-5336-6.
Kiersch, J.: 2021. „Über den Begriff der Bewusstseinsseele bei Rudolf Steiner.“Steiner Studies. Internationale Zeitschrift für kritische SteinerForschung, 2, p.40.
DOI: http://doi.org/10.12857/STS.951000240-7 [Über den Begriff der Bewusstseinsseele bei Rudolf Steiner (Steiner Studies) (https://www.steiner-studies.org/articles/10.12857/STS.951000240-7/ ).]
Wehr, Gerhard: 1987. Rudolf Steiner. Leben - Erkenntnis - Kulturimpuls. Kösel, München, ISBN 3466-34159-0.
Zander, Helmut: 2016. Rudolf Steiner. Die Biografie.
Piper Verlag, München, ISBN 978-3-492-31025-3.
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- Arbeit zitieren
- Dr. Aaron Fellbaum (Autor:in), 1993, Heilung durch den Blick auf die geistigen Realitäten. Nach Rudolf Steiner und Martin Buber, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1319901
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