Warum wird Musik "trauriger" und die Generation Z "depressiv"? Ein Erklärungsversuch zur Interpretation der Musikentwicklung englischsprachiger Musik seit den 50ern.
Spiegelt die Veränderung der in Musik ausgedrückten Emotionen tieferliegende gesellschaftliche Veränderungen wider? Mithilfe der Analyse verschiedener Studien und einer beispielhaften Liedanalyse soll untersucht werden, weshalb die englischsprachige Musik (welche den Großteil der momentan populären Musik darstellt) zunehmend einen Hang zur Melancholie und negativen Emotionen aufweist, und warum v. a. traurige Musik so anziehend auf die Zuhörer wirkt.
Hier wird besonders im Bereich der Psychologie geforscht und wie bereits erwähnt wird die Methodik der Liedanalyse angewandt. Es soll im Zuge dessen nicht nur beantwortet werden, ob eine gesellschaftliche Veränderung widergespiegelt wird, sondern auch, was genau diese Veränderung sein könnte und warum sie ausgerechnet jetzt auftritt. Außerdem werden folgende Fragen aufgeworfen und untersucht: Haben die spezifischen Entwicklungen der Musik eine negative Auswirkung auf den Rezipienten? Werden negative Emotionen heute grundsätzlich öfters thematisiert? Was sagt das über unsere Gesellschaft aus? Eine Möglichkeit, um diese Fragen zu beantworten ist, eine der ältesten Ausdrucksweisen von Emotionen zu untersuchen: die Musik.
Inhalt
1. Einleitung
2. Emotionale Entwicklung englischsprachiger Musik seit 50 Jahren
3. Die Musik der negativen Emotionen
a. Definition und Eigenschaften
b. Psychologische Wirkung und Anziehungskraft von trauriger Musik
4. Beispiel “Guns For Hands”
5. Mögliche Gründe für den Erfolg trauriger Musik
6. Fazit
7. Anhang
8. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Musik verändert sich ständig. Seit Jahrhunderten durchläuft sie aus unterschiedlichsten Gründen verschiedene, epochenabhängige und vor allem einzigartige Veränderungen. Somit durchlief sie auch noch nie eine Veränderung, welche den heutigen Verhältnissen bzw. denen der letzten ca. 50 Jahre entspricht. Jede der vergangenen Musikepochen hatte ihre eigenen Merkmale, welche oft durch Veränderungen in der Gesellschaft geprägt wurden. Häufig sollte sogar die Musik selbst diese Veränderungen ausdrücken. Da sich in den letzten 50 Jahren sowohl die Musik, als auch die Gesellschaft verändert haben, ist ein Zusammenhang dieser beiden Faktoren anzunehmen und soll hier einer näheren Untersuchung unterzogen werden. Mich persönlich interessiert daran, was diese Veränderungen über unsere Gesellschaft aussagen, vor allem, da die Zielgruppe populärer Musik immer stärker von jüngeren Generationen geprägt ist. Es lässt sich nach heutigem Forschungsstand eine Entwicklung feststellen, dass Musik in den letzten 50 Jahren trauriger geworden ist, was vermutlich bei der Beantwortung der Leitfrage eine essenzielle Rolle spielt. Das Thema der Seminararbeit soll sich an der folgenden Fragestellung orientieren: Spiegelt die Veränderung der in Musik ausgedrückten Emotionen tieferliegende gesellschaftliche Veränderungen wider? Hierbei sollten auch andere Entwicklungen berücksichtigt werden, z. B., dass die Musik nachweislich auch "partyähnlicher” geworden ist. Mithilfe der Analyse verschiedener Studien und einer beispielhaften Liedanalyse soll untersucht werden, weshalb die englischsprachige Musik (welche den Großteil der momentan populären Musik darstellt) zunehmend einen Hang zur Melancholie und negativen Emotionen aufweist, und warum v. a. traurige Musik so anziehend auf die Zuhörer wirkt. Hier wird besonders im Bereich der Psychologie geforscht und wie bereits erwähnt wird die Methodik der Liedanalyse angewandt. Es soll im Zuge dessen nicht nur beantwortet werden, ob eine gesellschaftliche Veränderung widergespiegelt wird, sondern auch, was genau diese Veränderung sein könnte und warum sie ausgerechnet jetzt auftritt. Außerdem werden folgende Fragen aufgeworfen und untersucht: Haben die spezifischen Entwicklungen der Musik eine negative Auswirkung auf den Rezipienten? Werden negative Emotionen heute grundsätzlich öfters thematisiert? Was sagt das über unsere Gesellschaft aus? Eine Möglichkeit um diese Fragen zu beantworten ist, eine der ältesten Ausdrucksweisen von Emotionen zu untersuchen: die Musik.
2. Emotionale Entwicklung englischsprachiger Musik seit 50 Jahren
Die englischsprachige Studie “The Minor fall, the Major lift: inferring emotional valence of musical chords through lyrics” von Artemy Kolchinsky, Nakul Dhande, Kengjeun Park und Yong-Yeol Ahn wurde 2017 von der “Royal Society Open Science” veröffentlicht und befasst sich mit der Valenz von Musikakkorden (Valenz ist hierbei der psychologische Begriff für positive und negative Werte (Wertigkeit)). Diese Studie bildet eine Basis für die weitere Untersuchung des Themas und soll im Folgenden mit Fokus auf die Leitfrage betrachtet werden.
Die Studie erforscht die Assoziation zwischen Akkorden und Liedtexten; basierend auf der Annahme, dass der emotionale Inhalt von Akkorden in den dazugehörigen Wörtern reflektiert wird, werden die Verbindungen von Songtext und Akkordkategorien analysiert. Dabei werden auch Muster beachtet, die im Zusammenhang mit unterschiedlichen Musikgenres, den historischen Zeiträumen und geographischen Gebieten auftreten können. Die Ergebnisse der Studie bestätigen die Theorie, dass es eine Verbindung zwischen Dur-Akkorden und positiven Werten gibt. Die Valenz von Wörtern und Wortgruppen wird mithilfe der “sentiment analysis”- Methode beschrieben. Dabei steht 0,0 für den traurigsten Wert und 9,0 für den glücklichsten Wert. Analysiert wurde ein Datensatz von Gitarrentabulaturen, da diese sowohl Songtexte, als auch die dazugehörigen Akkorde enthalten.1
Es werden sowohl Dur- als auch Moll-Akkorde und ihre jeweiligen Wörter zusammengetragen. Mithilfe der “sentiment-analysis" und weiteren Methoden wird in den Ergebnissen der Studie die Valenz der Akkorde und der emotionale Inhalt der Lieder in verschiedenen Genres, Zeiträumen und Regionen präsentiert. Wichtig für das Beantworten der Leitfrage ist hierbei vor allem der Zeitraum sowie die Deutung der Ergebnisse: in Kapitel 3.3 der Studie, “Era”, heißt es gleich im zweiten Satz: “We find that valence has steadily decreased since the 1950s”. Das bedeutet also: seit den 1950er Jahren nahm die Höhe der emotionalen Valenz stetig ab, d. h. es wurden immer weniger glückliche Wörter verwendet. Jedoch heißt es im selben Kapitel auch, dass dieser Trend kürzlich eine Umkehrung durchlief: Liedtexte in den 2010er Jahren haben eine höhere Valenz als in den 2000er Jahren.2 Im Folgenden soll dies an einer Grafik der Studie (“Figure 5 (a), mean valence of lyrics by artist era”) genauer erklärt werden, welche auch im Anhang zu finden ist.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthaltenGrafik 1: Figure 5. (a) Mean valence of lyrics by artist era.2
Zunächst muss eine formale und inhaltliche Analyse erfolgen. Das Thema des Diagramms der oben genannten Studie der Royal Society Open Science ist die historische Entwicklung der Valenz von Liedtexten über einen Zeitraum von 1950 bis 2010. Hierbei zeigt die y-Achse die Höhe der Werte und die x-Achse den Zeitraum, welcher in Jahrzehnte eingeteilt ist. Beide Größen sowie die Art der Größenangaben wurden bereits zuvor definiert. Die Kernaussagen kommen am Ende der Studie zum Ausdruck: von den 1950er Jahren bis 2010 hat sich die Stimmung der Musik “verschlechtert”, die Musik ist also trauriger geworden. Dieses Phänomen erreicht seinen Extrempunkt bzw. Tiefpunkt im Jahr 2000. Von dort an ist eine Aufwärtsbewegung erkennbar.3 Diese Erkenntnisse bestätigen die These, dass englischsprachige Musik seit den 1950er trauriger geworden ist. Entwicklungen für die Jahre nach 2010 sind hier nicht ersichtlich. Des Weiteren ist bei dieser Statistik zu beachten, dass der niedrigste Wert der y-Achse nicht gleich Null ist, d. h. die Werte beginnen erst bei 6. Dies bedeutet, dass die Bewegung der wellenförmigen Kurve nur minimal erscheinen würde, wenn die Zählung der Werte bei Null beginnen würde. Die Studie kommt zu dem Schluss, dass während die Dur-Akkorde im gleichen Maß verwendet wurden, die Verwendung von Moll-Akkorden stetig gewachsen ist. Des Weiteren wird angemerkt, dass das Genre am Meisten Einfluss auf Veränderungen in der Valenz hat, daraufhin folgt der Faktor Zeitraum und dann schließlich die Region. Aus diesem Grund sind für weitere Analysen vor allem die Faktoren Genre und Zeitraum interessant.4
Eine Studie der Cambridge University Press beschäftigt sich mit der kulturellen Entwicklung emotionalen Ausdrucks innerhalb der letzten 50 Jahre basierend auf einer Analyse von Songtexten. Auch hier wird ausschließlich Bezug auf englischsprachige Lieder genommen, welche ebenfalls unter Zuhilfenahme der sentiment analysis analysiert werden. Die Autoren stellen letztendlich einen Anstieg negativer und einen Rückgang positiver Songtexte in den letzten 50 Jahren in der populären Musik fest und führen dies auf eine kulturelle Werteveränderung zurück. Hierbei wird betont, dass sich diese Aussage nicht nur auf Popmusik, sondern tatsächlich auf populäre Musik aus verschiedenen Genres bezieht. Die Untersuchung von Musiktrends wird auch als Möglichkeit gesehen, weitreichende gesellschaftliche Veränderungen zu messen.5 Ein Beispiel hierfür ist die Verwendung der Wörter love und hate von 1965 bis 2015: während die Häufigkeit der Verwendung des Begriffs “love” sich mehr als halbierte, wurde das Wort “hate” 24-mal häufiger verwendet.6 Die Studie stellt ebenfalls fest, dass das Messen von Parametern wie Prestige, Erfolg oder Inhalt keinen Effekt auf diese Ergebnisse hat, was beweist, dass bei der Veränderung von Musiktrends andere Faktoren wichtiger sein könnten.7 Möglicherweise ist der Anstieg von Negativität bzw. der Rückgang von Positivität auch auf willkürliche Schwankungen zurückzuführen, da die beobachteten Muster auf einer Vielfalt von spezifischen Ursachen basieren könnten.8
Die These, dass die Negativität von populären Songs bzw. deren Liedtexten immer stärker zunimmt, zeigt auch eine Studie der American Psychological Association, in der auch auf den Bezug zwischen Veränderungen in der Musiklandschaft und kulturellen Veränderungen eingegangen wird: die Veränderung eines kulturellen Produktes, nämlich der Wortwahl in populären Songtexten, ist abhängig von kulturellen Veränderungen. In der Studie wurden die populärsten Songs von 1980 bis 2007 linguistisch analysiert. Die Ergebnisse demonstrierten, dass Veränderungen in der Wortwahl psychologische Veränderungen widerspiegeln. Auch diese Studie kam zu dem Schluss, dass die Verwendung von Wörtern, die mit Selbstfokussierung und antisozialem Verhalten assoziiert werden stark zunahm, während Wörter mit Assoziationen zu sozialer Interaktion und positiven Emotionen weniger verwendet wurden. Diese Erkenntnisse könnten dabei helfen, die kulturellen, bzw. soziologischen Veränderungen in psychologischen Prozessen besser zu verstehen.9
Eine weitere Studie der Royal Society Open Science analysierte 500 000 Songs, die im Vereinigten Königreich zwischen 1985 und 2015 veröffentlicht wurden. Die Autoren entdeckten verschiedene multidekadische Trends, darunter auch einen starken Abwärtstrend von Glücksgefühlen, sowie einen leichteren Trend für negative Gefühle wie Trauer. Dennoch scheinen erfolgreiche Songs sich vor allem durch ihre einzigartige Dynamik auszuzeichnen: trotz der traurigen Texte zeigt sich in der Dynamik und Instrumentierung der Songs eine Tendenz zum Glücklichen und wird als ”partyähnlich” bzw. “tanzbar” und “elektronisch” beschrieben. Die Mehrheit der Songs weist also eine wichtige, kontrastreiche Eigenschaft auf: obwohl ein Song "partyähnlich” ist, werden im Songtext ernste Themen behandelt.10
3. Die Musik der negativen Emotionen
a. Definition und Eigenschaften
Der Begriff “Emotionen” beschreibt laut dem Lecturio Magazin (Expertenmagazin u. a. für Medizin u. Jura) eine “subjektive bedeutsame menschliche Reaktion auf einen physikalischen Reiz. Situationen, Handlungen oder konkrete Objekte können individuell eine negative oder positive Bedeutung haben” (der physikalische Reiz ist hier das Wahrnehmen von Musik).11 In diesem Sinne sollen die Formen der negativen Emotionen, die in dieser Analyse betrachtet werden, genauer eingegrenzt werden. Zu ”negativen Emotionen” zählen Angst, Aggressivität, Wut, Hass, Trauer, Depressivität, Schuldgefühle, Schmerz, Apathie sowie diesen Begriffen untergeordnete Emotionen (genannte Emotionen können auch miteinander verbunden auftreten). Die Auswahl dieser Kriterien basiert auf den in den Studien analysierten Parametern (s. Kap. 2) sowie auf einem Artikel des Lecturio Magazins.11
Die Musik der negativen Emotionen umfasst definitorisch also jede Art der Musik, welche diese Emotionen in irgendeiner Form, also in Text oder Instrumentierung, verarbeitet. Diese Definition ist unabhängig von Genre, Zeitraum der Veröffentlichung oder vom Komponisten eines Liedes. Auch mögliche Wiedersprüche oder Kontraste zwischen Instrumentierung und Songtext sind möglich. Vor allem ist jedoch zu beachten, dass Musik von jedem Individuum unterschiedlich wahrgenommen wird, auch wenn die überlieferte Grundstimmung in einem Lied im Kern meist von jedem ähnlich aufgenommen wird. Somit kann Musik – wie viele Formen der Kunst - nur subjektiv wahrgenommen und bewertet werden. Daher lässt sich ein Lied nicht immer eindeutig als traurig definieren, jedoch sollen die oben genannten Kriterien eine Richtlinie darstellen.
Bevor genauer auf die Wirkung von trauriger Musik eingegangen wird, sollen zuerst die Psychologie der Traurigkeit sowie die durch Musik ausgelösten Emotionen kurz erläutert werden. Das Psychologielexikon Psylex definiert den Begriff Traurigkeit als emotionalen Schmerz, welcher häufig in Verbindung bzw. auf Grund von Gefühlen der Benachteiligung, des Verlusts, der Verzweiflung, der Hilflosigkeit usw. auftritt.12 Die Wirkung von Musik im Allgemeinen ist sehr kulturspezifisch, was eine Erfassung von generellen Grundemotionen, die durch Musik ausgelöst werden können, erschwert. Dennoch lässt sich das subjektive Wahrnehmen von Musik kulturübergreifend in dreizehn Grundempfindungen einteilen, die in jedem Kulturraum beobachtet wurden. Dazu gehören ästhetische Empfindungen, Heiterkeit und Freude, erotische Gefühlsregungen, Entspannung und Verträumtheit, Traurigkeit, Triumphgefühle, Angst, Nervosität, Verärgerung, Trotz und antreibende Empfindungen, also Motivation.13
b. Psychologische Wirkung und Anziehungskraft von trauriger Musik
Auch wenn im vorangehenden Kapitel festgestellt wurde, dass Musik verschiedene negative Emotionen hervorrufen kann, soll in der folgenden Untersuchung v. a. eine dieser Empfindungen genauer beleuchtet werden: die Traurigkeit. Dieser Begriff wurde bereits definiert und stand auch bei den Ergebnissen der zuvor erläuterten Studien im Vordergrund. Hier sollen v. a. zwei grundlegende Fragen erörtert werden: welche Wirkungen hat traurige Musik? Warum hören Menschen überhaupt traurige Musik?
Eine Studie der Frontiers in Psychology zeigt, dass ungewohnte traurige Musik starke emotionale Reaktionen bei den Hörern hervorrufen kann. Diese Reaktionen lassen sich anhand von drei zugrunde liegenden Faktoren charakterisieren: Entspannende Traurigkeit, bewegende Traurigkeit und nervöse Traurigkeit. entspannende Traurigkeit war in den Experimenten durch gefühlte und wahrgenommene Friedlichkeit und positive Valenz gekennzeichnet, während nervöse Traurigkeit mit gefühlter Angst, wahrgenommener Beängstigung und negativer Valenz verbunden war. Bewegte Traurigkeit hingegen erfasst eine intensivere Erfahrung, die Gefühle von Traurigkeit und Bewegtheit sowie Sympathie beinhaltet. Des Weiteren bestätigten die Autoren, dass Individuen, die mehr nervöse Traurigkeit empfinden, tatsächlich einen negativeren emotionalen Zustand erleben, da sie ihr Glücksgefühl geringer bewerten. Dies ist jedoch nicht der Fall bei denjenigen, die mehr bewegte Traurigkeit erleben. Die Art der Empfindung resultiert aus dem gehörten Lied und aus bestimmten Persönlichkeitseigenschaften der Hörer. Vor allem die bewegende Traurigkeit ist sowohl für das Erleben intensiver Gefühle durch Musik, als auch für den Genuss trauriger Musik verantwortlich.14 Diese Ergebnisse führen zu der Annahme, dass das Hören von trauriger Musik nicht automatisch einen negativen emotionalen Zustand auslöst, denn dies passiert nur im Falle der nervösen Traurigkeit. Wenn aber bewegende oder auch entspannende Traurigkeit auftreten, können positive Gefühle empfunden werden.
Die University of Toronto stellt fest, dass besonders Individuen mit viel Empathie oder auch Offenheit für neue Erfahrungen sowie introvertierte Menschen und Personen mit einer hohen “Absorptionsfähigkeit” Gefallen an traurig klingender Musik haben. Außerdem treten sogenannte Stimmungskongruenzeffekte auf, wenn Individuen sich in einer traurigen Stimmung befinden: sie haben einen erhöhten Gefallen an melancholischer Musik und nehmen auch negative Emotionen in eigentlich neutraler Musik wahr. Weitere Zielgruppen für traurige Musik sind Menschen mit klinischen Depressionen, da Musik mit negativer Valenz ihren chronischen Stimmungszustand am besten beschreibt. Folglich wählen Individuen in trauriger Stimmung kaum fröhliche Musik, da diese nicht mit ihren Gefühlen übereinstimmt. Hier wird also festgestellt, dass Personen, die bereits traurig sind, eher traurige Musik wählen. Zudem kommt die Studie zu dem Schluss, dass traurig klingende Stücke oft auch als schön wahrgenommen und empfunden werden. Besonders interessant ist die Erkenntnis, dass traurige Musik die entsprechende Stimmung sogar verbessern kann. Denn in ästhetischen Kontexten werden negative Affekte gehemmt, so dass es angenehm ist, jegliche Emotionen zu erfahren.15 Eine japanische Studie begründet dies damit, dass die Emotion Traurigkeit in der Gesellschaft zwar für eine unangenehme Emotion gehalten wird, doch wenn diese Emotion durch Musik und andere ästhetische Eindrücke hervorgerufen wird, kann sie auch als angenehm empfunden werden. Denn die durch Kunst hervorgerufene Melancholie ist keine reale Bedrohung für das Wohlergehen einer Person, anders als die Traurigkeit im realen Alltagsleben. Da somit auch das Genießen negativer Emotionen möglich ist, hilft traurige Musik den Menschen möglicherweise, im Alltag mit unangenehmen Emotionen umzugehen.16 Da so bedrohliche Szenarien mental ohne reales Erleben durchgespielt werden können, wird eine problemlösende Haltung gefördert und ein sicherer Ort für das hypothetische Testen möglicher Entscheidungen geboten.17
Während die negativen Empfindungen häufig auf persönliche negative Erfahrungen und Erinnerungen zurückzuführen sind, die durch die negativen Emotionen der Musik neu ausgelöst werden, beziehen sich die positiven Emotionen meist auf die Eigenschaften und Besonderheiten der Musik. Die eigenen Emotionen werden vom Hörer also als negativ, die Kunst selbst jedoch als positiv bewertet. Musik hat also eine generell positive Auswirkung auf die Empfindung des Hörers.18
David Huron von der Ohio State University erklärt allerdings, dass melancholische Musik auch zu echter Traurigkeit führen kann, jedoch begleitet von einem erhöhten Prolaktinspiegel. Dieses Hormon tritt in Verbindung mit Komfort und Trost, sowie mit Fürsorge und sozialen Bindungen auf und wird u. a. in Trauerphasen freigesetzt. Das könnte die positive Wirkung trauriger Musik sowie den Emotionswiderspruch erklären. Auch Huron bestätigt die Aussage, dass beim Hören melancholischer Musik gemischte Gefühle ausgelöst werden. Anscheinend gleichen sich die negativen Emotionen wie Traurigkeit mit diesen positiven Empfindungen (ausgelöst durch Prolaktin) aus.19 Zu den durch traurige Musik ausgelösten positiven Emotionen wird hauptsächlich Nostalgie gezählt.20 Diese Empfindung wird mit einer starken sozialen Bindung, Kontinuität des Selbst und gesunden Möglichkeiten der Stressbewältigung in Verbindung gebracht. Positive Erinnerungen z. B. an frühere Errungenschaften, können letztendlich auch die Stimmung des Individuums verbessern. Das verstärkte Gefühl der sozialen Verbundenheit ist essenziell, um einer Verschlechterung des emotionalen Zustands entgegenzuwirken; denn wird Traurigkeit allein durchlebt, kann sie sich zu Hilflosigkeit oder Hoffnungslosigkeit entwickeln. Das Ausleben von Traurigkeit kann nur bei der kognitiven Verarbeitung negativer Emotionen helfen, wenn die entsprechenden persönlichen und sozialen Ressourcen zur Verfügung stehen.17
Es können also sowohl positive als auch negative Emotionen durch traurige Musik ausgelöst werden, die sich gegenseitig ausgleichen, so dass der Zuhörer seinen emotionalen Zustand besser regulieren kann. Dies geschieht durch ein Gefühl der sozialen Verbundenheit und durch das Ausleben der Emotionen in einem sicheren Umfeld.
[...]
1 Artemy Kolchinsky, Kengjeun Park, Yong-Yeol Ahn; 2017, Kap. 1. Introduction
2 Artemy Kolchinsky, Kengjeun Park, Yong-Yeol Ahn; 2017, Kap. 3.3 Era
3 Artemy Kolchinsky, Kengjeun Park, Yong-Yeol Ahn; 2017, Kap. 4. Discussion
4 Artemy Kolchinsky, Kengjeun Park, Yong-Yeol Ahn; 2017, Kap. 3.5 Model Comparison
5 Charlotte O. Brand, Alberto Acerbi und Alex Mesoudi; 2019, S. 1
6 Charlotte O. Brand, Alberto Acerbi und Alex Mesoudi; 2019, S. 3/ Grafik 2: Figure 1. (siehe Anhang)
7 Zum Beispiel müssten beim Parameter Prestige auch Faktoren wie der Einfluss von Plattenfirmen, die Medienaufmerksamkeit außerhalb der Charts und der Aufwand für Musikpromotion einbezogen werden. Charlotte O. Brand, Alberto Acerbi und Alex Mesoudi; 2019, S.8-10
8 Charlotte O. Brand, Alberto Acerbi und Alex Mesoudi; 2019, S. 10
9 C. Nathan DeWall, Richard S. Pond Jr., W. Keith Campbell und Jean M. Twenge; 2011, “Abstract”
10 Myra Interiano 2018, S.1: ”For example, there is a clear downward trend in ‘happiness’ and ‘brightness’, as well as a slight upward trend in ‘sadness’. Furthermore, songs are becoming less ‘male’. Interestingly, successful songs exhibit their own distinct dynamics. In particular, they tend to be ‘happier’, more ‘party-like’, less ‘relaxed’ and more ‘female’ than most.” Siehe auch: Grafik 3
11 Lecturio Magazin, ”Emotionen in der medizinischen Psychologie und Soziologie” 2020
12 Hrsg. Christian Hilscher, 2015 ”Warum genießen wir es, traurige Musik zu hören?”
13 Hrsg. Christian Hilscher ”Musik und die Emotionen” 2020
14 Tuomas Eerola, und Hannu Kautiaine 2016, Kap. 4. Discussion
15 Swathi Swaminathan, E. Glenn Schellenberg, 2015, S. 194
16 Ai Kawakami, Kiyoshi Furukawa, Kentaro Katahir und Kazuo Okanoya 2013, S.1-2
17 Krystine I. Batcho Ph.D. 2015
18 Sandra Garrido, 2017, Results
19 David Huron, 2011, S.146
20 Liila Taruffi, Stefan Koelsch, 2014, S. 1
- Citation du texte
- Anonyme,, 2021, Musik und gesellschaftlicher Wandel. Spiegeln in Musik ausgedrückten Emotionen gesellschaftliche Veränderungen wider?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1316353
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