Die vorliegende Arbeit ist ein kurzer Essay zur Erklärung von Benatars Antinatalismus. In dem Kapitel "Why coming into existence is always a harm" seines Buches "Better Never to Have Been: The Harm of Coming Into Existence" stellt Benatar die These auf, dass Nicht-Existenz gegenüber Existenz stets vorzuziehen wäre. Das heißt, dass darin in die Existenz gebracht zu werden immer ein Schaden besteht. Benatar richtet sich mit dieser These gezielt gegen die – seiner Ansicht nach – weit verbreitete und akzeptierte Auffassung, dass in Existenz gebracht zu werden einen Vorteil darstelle. Vorweg scheint es mir unumgänglich, eine Sache in Hinblick auf Benatars Argument klarzustellen: Benatar spricht natürlich nicht davon, dass die Beendigung einer Existenz der Existenz vorzuziehen wäre, sondern es geht im tatsächlich um die Vermeidung von Existenz. Das heißt, dass man gar nicht erst in die Existenz gebracht werden würde.
Zu Benatar’s Better Never To Have Been
In dem Kapitel „Why coming into existence is always a harm“ seines Buches Better Never to Have Been: The Harm of Coming Into Existence stellt Benatar die These auf, dass NichtExistenz gegenüber Existenz stets vorzuziehen wäre. Das heißt, dass darin in die Existenz gebracht zu werden immer ein Schaden besteht. Benatar richtet sich mit dieser These gezielt gegen die - seiner Ansicht nach - weit verbreitete und akzeptierte Auffassung, dass in Existenz gebracht zu werden einen Vorteil darstelle. (Vgl. Benatar 2006, 28)
Vorweg scheint es mir unumägnglich eine Sache in Hinblick auf Benatars Argument klarzustellen: Benatar spricht natürlich nicht davon, dass die Beendigung einer Existenz der Existenz vorzuziehen wäre, sondern es geht im tatsächlich um die Vermeidung von Existenz. (Vgl. Ebd., 44) Das heißt, dass man gar nicht erst in die Existenz gebracht werden würde.
Benatar versucht nun für seine These zu argumentieren, indem er mehrere Behauptungen aufstellt, deren Befürwortung die meisten sich wohl intuitiv anschließen würden. Erstens behauptet Benatar, dass jedes Leben sowohl Leid als auch Glück enthält. Zweitens gibt er an, dass Leid schlecht und Glück gut ist. Drittens geht Benatar davon aus, dass nur „existers“ Leid und Glück erfahren können. Wer nicht existiert, kann weder Leid und Glück erleben. (Vgl. Ebd., 29)
Viertens geht er davon aus, dass es nicht notwendig ist, dass Leid im Leben überwiegt, um behaupten zu können, dass die Erfahrung von Leid schlecht ist. Mit dieser letzten Behauptung stärkt Benatar sein Argument gegenüber einer Vielzahl von Gegenargumente, da diese bedeutet, dass selbst wenn man nur ein kleines Leid für eine Sekunde in einem ansonsten ausschließlich glücklichen Leben erfährt, man dennoch leidet und dies schlecht ist.
Ausgehend von diesen vier Präsuppositionen entwickelt Benatar sein Argument, das lautet wie folgt:
P1: Die Anwesenheit von Glück ist gut.
P2: Die Anwesenheit von Leid ist schlecht.
P3: Die Abwesenheit von Leid ist gut.
P4: Die Abwesenheit von Glück ist nicht schlecht.
C1: Die Situation, in der es kein Leid - also nichts Schlechtes - gibt, ist vorzuziehen, weil es relevanter ist, Schlechtes zu vermeiden als Gutes hervorzubringen. Das heißt, dass die Nicht-Existenz der Existenz vorzuziehen ist. (Vgl. Benatar 2006, 30)
Nun, was genau bedeutet dieses Argument?
P1 und P2 beschäftigen sich offensichtlich mit der Existenz. Sobald ich existiere, erfahre ich sowohl Glück als auch Leid in meinem Leben. Die Erfahrung des Glücks ist gut, wohingegen die des Leids schlecht ist. Unabhängig davon wie viel Glück oder Leid mir Zeit meines Lebens widerfährt, zweifelsohne werde ich beides erleben, solange ich existiere. (Vgl. Benatar 2006, 29)
Wenn ich jedoch nicht existiere, dann kann ich weder Glück noch Leid erfahren. Darum geht es Benatar in P3 und P4, um die Situation der Nicht-Existenz. Kein Leid zu empfinden, wäre offensichtlich ein Vorteil für mich und somit gut. Dagegen kein Glück zu erfahren, wäre kein Verlust für mich, wenn ich nicht existieren würde, da ich es ja nicht genießen könnte. Somit wäre die Abwesenheit von Glück nach Benatar neutral.
Daraus folgt letztendlich für Benatar, dass die Nicht-Existenz ein zu bevorzugender Zustand gegenüber dem der Existenz wäre, da Leid vermieden werden würde ohne, dass ein Verzicht oder Verlust stattfinden würde.
Nachdem ich das Argument mehrfach gelesen und letztlich (hoffentlich) verstanden hatte, schien es mir kontraintuitiv - was Benatar ja auch einräumt zu Beginn seines Kapitels - und dennoch nahezu unantastbar. Diese von mir empfundene Unwiderlegbarkeit des Arguments verstärkte sich nur als ich Benatar weiterlas, denn er spricht in seinem Text all jene Gegenargumente an, die mir selbst in den Sinn gekommen wären und zeigt weshalb diese seinem Argument nichts anhaben können. Zu diesen Gegenargumenten oder Einwänden, wie Benatar sie nennt, komme ich nun.
Der erste Einwand, den Benatar ausräumt, richtet sich gegen seine dritte Prämisse (P3), die besagt, dass die Abwesenheit von Leid gut ist, selbst wenn dieses Gute von niemandem genossen werden kann. (Vgl. Benatar 2006, 30) Man könnte hier nun einwenden, dass P3 Teil eines Szenarios ist, indem die Person nicht existieren würde und man somit keine Aussagen über eine existierende Person treffen könnte. Benatar wendet jedoch ein, dass man sehr wohl etwas über eine kontrafaktische Situation sagen könne, in der eine Person, die tatsächlich existiert, nie existiert hätte. Beurteilt an den Interessen einer existierenden Person, wäre die 2 Abwesenheit von Leid als gut zu erachten, selbst, wenn sie dann niemals existiert hätte. (Vgl. Benatar 2006, 31) Das bedeutet also, dass die Bewertung von der Abwesenheit von Leid in Hinblick auf die potentiellen Interessen einer Person getroffen wird. (Vgl. Ebd., 30)
Ein zweiter Einwand, den wir im Laufe der Übungseinheit besprochen haben, lässt sich hier ebenso gut anführen. Und zwar, dass man keinerlei Aussagen über potenzielle Nicht-Existenz treffen könne. Dieser Einwand lässt sich jedoch sehr schnell ausräumen, da er sich als „Gläserne Kanone“ entpuppt. Wenn man nämlich behaupten würde, dass man keine Aussagen über negative Potentialität treffen könne, dann wäre es sehr schwer zu argumentieren, dass man überhaupt über Potentialität sprechen könne.
Des Weiteren gibt Benatar an, dass man wohl einen Einwand gegen die Asymmetrie gegen P3 und P4 erheben könnte, da diese kontraintuitiv scheinen mag und man ihr gegenüber skeptisch sein könnte. Doch auch hierauf ist er vorbereitet und führt einige andere Asymmetrien an, die zeigen, dass seiner Asymmetrie eine starke Erklärungskraft zu eigen ist. Benatar möchte also zeigen, dass die Asymmetrie zwischen P3 und P4 eine gute Erklärung für andere Asymmetrien bietet, die wohl weniger kontraintuitiv erscheinen. (Vgl. Ebd., 31)
Eine dieser Asymmetrien ist die Ansicht, dass es negative Pflicht besteht die Existenz leidender Personen zu verhindern, es jedoch keine positive Pflicht gibt glückliche Personen in die Existenz zu bringen, da man gemeinhin annimmt, dass es gut ist Leid zu verhindern. (Vgl. Ebd., 32)
Eine weitere Asymmetrie besteht darin, dass man kinderlos zu bleiben mit dem potenziellen Leid dieser Kinder begründen kann, man jedoch nicht aus dem Grund Kinder zeugen würde, weil diese einen Vorteil durch ihre Existenz hätten. (Vgl. Ebd., 34) Man kann beispielsweise aufgrund von Armut oder anderen schlechten Lebensumständen entscheiden kinderlos zu bleiben. Doch würde kaum jemand als Grund für den Kinderwunsch angeben, dass er dem potenziellen Kind Glück bescheren möchte.
Die dritte Asymmetrie besteht in Hinblick auf das Bereuen entweder Kinder gezeugt zu haben oder kinderlos geblieben zu sein. Benatar gibt an, dass es durchaus möglich ist, zu bereuen, dass man Kinder bekommen hat, wenn das Leben dieser Kinder leidvoll ist. Dagegen kann man Kinderlosigkeit zwar bereuen, aber wohl kaum aus dem Grund, dass man das potenzielle Kind um sein Glück gebracht hätte. (Vgl. Ebd., 34)
Die letzte Asymmetrie besteht darin, dass wir die Unbelebtheit anderer Planeten nicht bereuen würden, wohl aber, wenn diese Planeten von leidenden Wesen bevölkert wären. (Vgl. Ebd., 35) Diese scheint mir die schwächste der vier Asymmetrien zu sein, und wohl auch jene gegen die man am besten Einspruch erheben könnte, da es zumindest häufig nicht so scheint als würde das Leiden weit entfernter Bevölkerungen tatsächlich bereut werden. Den ersten drei asymmetrischen Annahmen hingegen würden wohl doch die meisten intuitiv zustimmen.
Ein weiterer Einwand besteht darin, dass man behaupten könnte, dass es so etwas wie ein „leidfreies“ Leben gebe, welches dann ja doch der Nicht-Existenz vorzuziehen wäre. Hier merkt Benatar an, dass ein solches Leben weder Leid noch einen Vorteil darstellen würde, und somit Nicht-Existenz und Existenz gleichgestellt wären. (Vgl. Benatar 2006, 29) Jedoch gibt er auch an, dass diese potenzielle Existenz in einer rein hypothetischen, kontrafaktischen Annahme besteht, da kein Leben vollkommen frei von Leid ist.
Ich möchte mich nun noch einem letzten Einwand gegenüber Benatars These widmen, und zwar könnte man versuchen eine Gewichtung zwischen Leid und Glück zu etablieren, und im Zuge dessen behaupten, dass Existenz dann besser wäre als Nicht-Existenz, wenn das Glück gegenüber dem Leid in einem Leben überwiegt.
Benatar stellt jedoch sogleich klar, dass von seinem Argument jedes Leben betroffen ist, indem auch nur eine einzige Minute des Leids zu finden ist: Eine Leben, das auch nur einen Augenblick des Leids enthält, ist schlechter als überhaupt kein Leben. (Vgl. Ebd., 48) Es geht Benatar nicht darum aufzuzeigen, dass es vermeintlich mehr Leid als Glück gäbe und NichtExistenz deswegen vorzuziehen wäre. Sondern es geht ihm viel mehr darum zu zeigen, dass in einem Leben sowohl Leid als auch Glück erfahren werden - ganz unabhängig davon in welchem Verhältnis - und daraus folgt für Benatar, dass Nicht-Existenz stets vorzuziehen ist. Es reicht also vollkommen aus, dass man den kürzesten Moment des kleinsten Leides erfährt, damit Benatars Argument weiterhin gültig ist.
Benatars These - so pessimistisch sie anfangs scheinen mag - spricht sich zwar gegen das In- die-Existenz-gebracht-werden aus,jedoch täte man Benatar, meiner Ansicht nach, Unrecht, wenn man behaupten würde, dass sein Ansatz kategorisch Lebens verneinend ist. Benatar geht zwar davon aus, dass Nicht-Existenz aufgrund des Schadensvermeidungsprinzips für ein Individuum vorzuziehen wäre, doch er behauptet nicht, dass Existenz an sich schlecht ist. Existenz ist nur schlechter als Nicht-Existenz. Dennoch erfährt man als existierende Person Glück, was ein Vorteil der Existenz und ganz eindeutig gut ist. (Vgl. Ebd., 44) Es ist gut, dass man als existierende Person sein Glück genießt. (Vgl. Ebd., 44) Wenn man also bereits existiert, dann soll man das Leben, laut Benatar, auch genießen können.
Meiner Ansicht nach hat Benatar im Zuge der Vorstellung seines Arguments alle möglichen Gegenargumente angeführt und glaubhaft widerlegt. Er hat sein eigenes Argument so stark gemacht, dass ich es als nahezu unangreifbar ansehe. Die Prämissen sind intuitiv klar nachvollziehbar und annehmbar. P4 (Die Abwesenheit von Glück ist nicht schlecht.) ist die einzige Prämissen, die man meiner Ansicht nach versuchen könnte anzugreifen, doch auch diesen Versuch erstickt Benatar sogleich. Wenn man nun aber die Prämissen annimmt, dann folgt die Konklusion logisch aus diesen, und ist somit auch äußerst schwer angreifbar.
Ich gehe davon aus, dass der leichteste Weg Benatar zu widersprechen darin besteht, dass man die Implikaturen seiner These widerspricht. Man könnte Benatars Argument also durchaus gelten lassen, dann jedoch der Implikatur widersprechen, dass man keine Kinder zeugen sollte. Auch wenn man Benatar auf einer individuellen Ebene zustimmt, dass es besser für das einzelne Kind wäre, wenn es nicht existieren würde, so könnte man doch auf der Ebene des Allgemeinwohls argumentieren, dass die Existenz einer bestimmten Person besser für die Gesellschaft ist als deren Nicht-Existenz. Man könnte beispielsweise annehmen, dass es bestimmte Personen gibt oder geben wird, denen es bestimmt ist zum gesellschaftlichen Wohl stark beizutragen. Selbst, wenn die Existenz für ein solches Individuum schlechter wäre als die Nicht-Existenz, so wäre deren Nicht-Existenz womöglich schlechter für die Gesellschaft beziehungsweise die Menschheit. Diesem Einwand liegen klarerweise einige Präsuppositionen zugrunde, die es zu prüfen gelten würde. Darüber hinaus ist dieser Einwand natürlich keinen Falls geeignet um das eigentliche Argument Benatars zu widerlegen oder anzugreifen. Er wendet sich bloß gegen eine bestimmte Implikatur.
Wie wahrscheinlich bereits bemerkbar war, bin ich Benatars These gegenüber durchaus affirmativ gestimmt. Die These alleine, so kontraintuitiv sie zuerst erscheinen mag, wird durch seine Argumentation so klar und intuitiv, dass man sie, meiner Ansicht nach, willentlich missverstehen müsste, um ihr zu widersprechen.
Quelle: Benatar, David (2006): „Why coming into existence is always a harm“ in: Better Never to Have Been: The Harm of Coming Into Existence. Oxford University Press, S. 28-49.
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- Katrin Simon (Autor), 2020, Benatars Antinatalismus in seinem Werk "Better Never to Have Been: The Harm of Coming Into Existence", Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1316249