Ziel dieser Arbeit soll es sein, die steuerstrafrechtlichen Konsequenzen herauszuarbeiten, die das Mitwirken an einem Umsatzsteuerkarussell für die beteiligten Personen mit sich bringt.
Hierzu werden zunächst die Gründe für die Betrugsanfälligkeit des deutschen Umsatzsteuersystems dargestellt. Im Anschluss sollen die Grundzüge von Umsatzsteuerkarussellgeschäften erläutert werden, gefolgt von einer Analyse der Funktionsweise eines solchen Karussells sowie der Rolle der darin verwickelten Akteure. Daneben werden auch die praktischen Schwierigkeiten bei der Bekämpfung des Umsatzsteuerbetrugs beleuchtet.
Nach einer steuerrechtlichen Würdigung dieser Betrugsform sollen schließlich die steuerstrafrechtlichen Aspekte aufgezeigt werden, die für die Beteiligten an einem Umsatzsteuerkarussell relevant werden können und wie die Mitwirkenden ggf. über die Vorschriften der Haftung zur Verantwortung gezogen werden können. Die Arbeit endet mit einer zusammenfassenden Schlussbetrachtung und einem besorgten Blick in die Zukunft.
Gliederung
A. Ausarbeitung
I. Einleitung
II. Betrugsanfälligkeit des Umsatzsteuersystems
III. Das Umsatzsteuerkarussell und seine Beteiligten
1. Charakteristik von Karussellgeschäften
a) Begriff
b) Grundproblem
c) Bevorzugte Waren
d) Erscheinungsformen
e) Ziele
2. Mechanismus des Umsatzsteuerkarussells
3. Die Beteiligten und ihre Funktion
a) Missing Trader
b) Buffer
c) Distributor
d) Initiator
IV. Steuerrechtliche Beurteilung
1. Versagung des Vorsteuerabzugs
2. Versagung der Steuerfreiheit bei innergemeinschaftlichen Lieferungen
3. Versagung des Vorsteuerabzugs und der Steuerbefreiung bei Beteiligung an einer Steuerhinterziehung gem. § 25f UStG
4. Unternehmereigenschaft des Missing Traders
V. Steuerstraf- und bußgeldrechtliche Konsequenzen für die Beteiligten 25 1. Steuerhinterziehung, § 370 AO
a) Einfache Steuerhinterziehung nach § 370 Abs. 1 Nr. 1 und 2 AO
aa) Täterschaft
(1) Leistender
(2) Leistungsempfänger
bb) Teilnahme
b) Regelbeispiele des § 370 Abs. 3 AO
aa) Steuerverkürzung großen Ausmaßes und Erlangung ungerechtfertigter Steuervorteile, § 370 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 AO
bb) Bandenmäßige Begehung einer Steuerhinterziehung, § 370 Abs. 3 2 Nr. 5 AO
c) Kompensationsverbot nach § 370 Abs. 4 S. 3 AO
2. Leichtfertige Steuerverkürzung, § 378 AO
3. Umsatzsteuerliche Sondertatbestände
a) Schädigung des Umsatzsteueraufkommens, § 26a Abs. 1 UStG
b) Gewerbs- und bandenmäßige Schädigung des Umsatzsteueraufkommens, § 26c UStG
4. Konkurrenzverhältnis des § 370 AO zu den Straftatbeständen aus dem StGB
a) Abgrenzung zur Bildung einer kriminellen Vereinigung, § 129 Abs. 1 StGB
b) Abgrenzung zum Betrug, § 263 StGB
5. Strafzumessung bei der Steuerhinterziehung
a) Strafrahmen
b) Strafmaß
aa) „Verschuldete Auswirkungen der Tat“ i.S.d. § 46 Abs. 2 S. 2 StGB 62 bb) Merkmal des „großen Ausmaßes“, § 370 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 AO
c) Drei-Stufen-Modell des BGH
d) Indizwirkung der Stufen
e) Konkretisierung der Rechtsprechung
VI. Haftung des Steuerhinterziehers nach § 71 AO
VII. Schlussbetrachtung
B. Literaturverzeichnis
A. Ausarbeitung
I. Einleitung
Seit nunmehr über 100 Jahren wird in Deutschland Umsatzsteuer erhoben.1 Neben der Lohnsteuer stellt sie inzwischen eine der wichtigsten Einnahmequellen des deutschen Fiskus dar.2
Im Jahr 2021 verzeichnete der deutsche Fiskus Steuereinnahmen von insgesamt 833,2 Milliarden Euro.3 Die Einnahmen aus der Umsatzsteuer einschließlich der Einfuhrumsatzsteuer beliefen sich auf 250,8 Milliarden Euro und deckten damit fast ein Drittel des gesamten Steueraufkommens der Bundesrepublik.4
Die Einnahmen aus der Umsatzsteuer dienen - neben der Finanzierung der inneren Sicherheit und der Infrastruktur - der Aufrechterhaltung des Sozialwesens, der Bildung und der Erfüllung vieler weiterer staatlicher Aufga- ben.5
Um diesen Aufgaben gerecht werden zu können, erfordert es das Gebot der Steuergerechtigkeit, dass jeder Staatsbürger nach seiner individuellen Leistungsfähigkeit einen angemessenen Beitrag zum Steueraufkommen des Staates leistet.6 Wer sich dieser Leistungspflicht auf illegale Weise entzieht, beraubt die Gemeinschaft ihrer finanziellen Grundlagen und macht sich strafbar.7
Besonders attraktiv ist mit der Einführung des EU-Binnenmarktes zum 01.01.1993 die Hinterziehung von Umsatzsteuern geworden.8 Seither ist der organisierte und bandenmäßige Betrug im Bereich grenzüberschreitender Umsatzsteuern9 zu einer ernstzunehmenden Gefahr für das Umsatzsteueraufkommen der Bundesrepublik Deutschland sowie aller Mitgliedsstaaten der Europäischen Union angewachsen.10 Die Öffnung der innereuropäischen Grenzen brachte zwar Erleichterungen im Reiseverkehr, führte aber gleichzeitig zu einem enormen Anstieg von Steuerausfällen durch Umsatzsteuerhinterziehungen.11
Umsatzsteuerhinterziehung kann in den vielfältigsten Erscheinungsformen auftreten.12 Diese reichen von der unterlassenen Erklärung und/oder der Nichtentrichtung der geschuldeten Steuer über den unberechtigten Vorsteuerabzug hin zu sog. Umsatzsteuerkarussellen, welche sich durch ein betrügerisches Zusammenwirken mehrerer Beteiligter innerhalb eines Handelskreislaufs auszeichnen.13
Die durch Umsatzsteuerkarusselle verursachten Steuerausfälle schädigen die Volkswirtschaft Jahr für Jahr in einem Ausmaß, das sich allenfalls schätzen lässt.14
Schätzungen der EU-Kommission zufolge belaufen sich die durch Karussell- und Kettengeschäfte verursachten Steuerausfälle auf beachtliche 50 Milliarden Eurojährlich.15 Allein der deutsche Steuerzahler wird jedes Jahr um etwa fünf bis 14 Milliarden Euro betrogen.16
Die Bekämpfung organisierter Steuerhinterziehung liegt daher im Interesse aller ehrlichen Steuerbürger.17 Fehlende zwischenstaatliche Kooperation und die Unfähigkeit der Mitgliedsstaaten, sich auf eine gemeinsame Steuerpolitik zu einigen, kosten die Allgemeinheit jedoch jährlich immer noch mehrere Milliarden Euro.18
Die nicht abgeführte und so eingesparte Umsatzsteuer ermöglicht es den Beteiligten dieser Karusselle, ihre Waren auf dem Markt zu unschlagbar günstigen Preisen anzubieten, was zu enormen Wettbewerbsverzerrungen führt.19 Durch die Unterwanderung der marktwirtschaftlichen Grundlagen ganzer Branchen, werden ehrliche Mitbewerber vom Markt gedrängt20 und in den Ruin getrieben.21 Daraus wird deutlich: Die Hinterziehung von Steuern ist kein Kavaliersdelikt.22
Ziel dieser Arbeit soll es sein, die steuerstrafrechtlichen Konsequenzen herauszuarbeiten, die das Mitwirken an einem Umsatzsteuerkarussell für die beteiligten Personen mit sich bringt.
Hierzu werden zunächst die Gründe für die Betrugsanfälligkeit des deutschen Umsatzsteuersystems dargestellt. Im Anschluss sollen die Grundzüge von Umsatzsteuerkarussellgeschäften erläutert werden, gefolgt von einer Analyse der Funktionsweise eines solchen Karussells sowie der Rolle der darin verwickelten Akteure. Daneben werden auch die praktischen Schwierigkeiten bei der Bekämpfung des Umsatzsteuerbetrugs beleuchtet.
Nach einer steuerrechtlichen Würdigung dieser Betrugsform sollen schließlich die steuerstrafrechtlichen Aspekte aufgezeigt werden, die für die Beteiligten an einem Umsatzsteuerkarussell relevant werden können und wie die Mitwirkenden ggf. über die Vorschriften der Haftung zur Verantwortung gezogen werden können. Die Arbeit endet mit einer zusammenfassenden Schlussbetrachtung und einem besorgten Blick in die Zukunft.
II. Betrugsanfälligkeit des Umsatzsteuersystems
Das gemeinsame MwSt-System der EU-Mitgliedsstaaten beruht gem. Art. 1 Abs. 2 MwStSystRL auf dem Grundsatz, dass auf Gegenstände und Dienstleistungen, ungeachtet der Zahl der Umsätze, die auf den vor der Besteuerungsstufe liegenden Produktions- und Vertriebsstufen bewirkt wurden, eine allgemeine, zum Preis der Gegenstände und Dienstleistungen genau proportionale Verbrauchsteuer anzuwenden ist.
Den Vorgaben des Unionsrechts folgend, hat der deutsche Gesetzgeber die Umsatzsteuer als Allphasen-Netto-Umsatzsteuer mit Vorsteuerabzug aus- gestaltet.23
Dieses System zeichnet sich durch die wirtschaftliche Neutralität der Umsatzsteuer in einer Unternehmerkette aus, in der lediglich der Endverbraucher mit Umsatzsteuer belastet werden soll.24 In der Praxis wäre die Erhebung der Steuer beim Konsumenten jedoch kaum realisierbar.25 Deshalb wird als Schuldner der Umsatzsteuer der Unternehmer herangezogen, der eine Ware liefert oder eine Leistung erbringt.26 Der Unternehmer ist gem. § 150 Abs. 1 S. 3 AO i. V. m. § 18 Abs. 1 S. 1 und Abs. 3 S. 1 UStG verpflichtet, die von ihm geschuldete Umsatzsteuer anzumelden und zum Fälligkeitszeitpunkt an das Finanzamt abzuführen.27
Die Neutralität der Umsatzsteuer wird dadurch gewährleistet, dass der vom leistenden Unternehmer in Rechnung gestellten und an den Fiskus abzuführenden Umsatzsteuer ein Vorsteuerabzugsrecht auf Seiten des Leistungsempfängers gegenübersteht.28
Damit das System nicht ins Wanken gerät, ist der Staat darauf angewiesen, dass die geschuldeten Steuern auch tatsächlich entrichtet werden.29 Denn auch dann, wenn der leistende Unternehmer seine Umsatzsteuer nicht abführt, werden die korrespondierenden Vorsteuern des Leistungsempfängers an Letzteren ausgezahlt.30 Dies führt zu der misslichen Situation, dass Gelder erstattet werden, die nie vereinnahmt wurden, wodurch Haushaltsausfälle erheblichen Ausmaßes verursacht werden.31
Das Allphasensteuersystem, nach dem der Leistungsempfänger auf jeder Umsatzstufe eine Rechnung mit offenem Steuerausweis erhält, ermöglicht Vorsteuererschleichungen immer dann, wenn der Leistende die geschuldete Umsatzsteuer nicht an den Fiskus entrichtet, der Leistungsempfänger sich diese aber als Vorsteuer erstatten lässt.32 Die Betrugsanfälligkeit dieses Systems haben in den vergangenen Jahren vor allem die sog. Umsatzsteuerkarussellgeschäfte deutlich gemacht.33
Seitdem im Zuge der europäischen Harmonisierung zum 01.01.1993 die Grenzkontrollen zwischen den Mitgliedsstaaten weggefallen sind,34 gelten die umsatzsteuerlichen Regelungen zum europäischen Binnenmarkt, welche auf dem Bestimmungslandprinzip aufbauen.35
Danach sind grenzüberschreitende, innergemeinschaftliche Lieferungen zwischen Unternehmern im Mitgliedsstaat des liefernden Unternehmers gem. §§ 4 Nr. 1 lit. b, 6a UStG von der Umsatzsteuer befreit, wohingegen der Empfänger der Lieferung diese als innergemeinschaftlichen Erwerb nach §§ 1 Abs. 1 Nr. 5, 1a UStG in seinem eigenen Mitgliedsstaat (dem Bestimmungsland) zu besteuern hat.36 Gleichzeitig kann er diese Erwerbsteuer als Vorsteuer abziehen, vgl. § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 UStG.37
Diese Regelung wurde ursprünglich nur als provisorische Lösung konzipiert und sollte ab 1997 durch das Ursprungslandprinzip abgelöst wer- den.38
Das Ursprungslandprinzip kennt weder eine steuerfreie innergemeinschaftliche Lieferung noch einen steuerpflichtigen innergemeinschaftlichen Erwerb.39 Jedoch kann der Empfänger der Ware die ihm in Rechnung gestellte Erwerbsteuer in seinem Mitgliedsstaat als Vorsteuer geltend ma- chen.40
Obwohl die anfänglichen Befürchtungen der Europäischen Kommission, nach denen das Bestimmungslandprinzip den Umsatzsteuerbetrug erleichtern werde, inzwischen durch vielerlei Erfahrungen aus der Praxis bestätigt wurden, ist ein Übergang zum Ursprungslandprinzip immer noch nicht in Sicht.41
Durch die Öffnung der Grenzen, das Bestimmungslandprinzip, die Allphasen- Netto-Umsatzsteuer mit Vorsteuerabzug sowie ein überwiegend auf Vertrauen basierendes und weitgehend automatisiertes Umsatzsteuersystem wurde illegalen steuerlichen Gestaltungsmaßnahmen vielgestaltigster Art Tür und Tor geöffnet.42
III. Das Umsatzsteuerkarussell und seine Beteiligten
Im Folgenden soll - nach einer generellen Charakterisierung des Umsatzsteuerkarussellgeschäfts - auf deren Mechanismus und die Funktion seiner Akteure eingegangen werden.
1. Charakteristik von Karussellgeschäften
Beim Karussellbetrug handelt es sich um eine Form der Steuerhinterziehung, die auf die Nichtabführung der gesetzlich geschuldeten Umsatzsteuer und die unberechtigte Geltendmachung von Vorsteuerbeträgen gerichtet ist.43
a) Begriff
Der Begriff des Umsatzsteuerkarussells oder Umsatzsteuerkarussellbetrugs wurde vom Gesetzgeber nicht definiert.44 Auch ein entsprechender Straftatbestand, der diese Form der Steuerhinterziehung normiert, fehlt.45 Von einem Umsatzsteuerkarussell ist in der Regel dann die Rede, wenn mehrere Unternehmer zum Zwecke des Vorsteuerabzugs grenzüberschreitende Lieferketten innerhalb der EU aufbauen, die vereinnahmte Umsatzsteuer aber entweder gar nicht erst anmelden, zumindest aber nicht abfüh- ren.46 Anfang und Ende der Warenbewegung befinden sich dabei meist im selben Mitgliedsstaat.47
Da sich die gehandelten Waren im Kreis bewegen, hat sich für diese Form des Betrugs der metaphorische Begriff des Umsatzsteuerkarussells etab- liert.48
Diese Bezeichnung trifft jedoch nicht ganz zu.49 Denn als Umsatzsteuerkarussell werden Betrugsformen verschiedenster Art bezeichnet, denen allesamt lediglich die Nichtabführung der geschuldeten Umsatzsteuer gemeinsam ist.50 Bezeichnender wäre daher der Ausdruck „betrügerische Leistungskette“.51
b) Grundproblem
Das Grundproblem beim Karussellbetrug ist die Nichtentrichtung der geschuldeten Umsatzsteuer durch den Leistenden.52 Das eigentliche Schadensereignis für den Fiskus tritt aber erst dadurch ein, dass sich der Leistungsempfänger aus diesem Umsatz nach § 15 Abs. 1 UStG die Vorsteuer vom Finanzamt zurückholt - unabhängig davon, ob der Leistende die Umsatzsteuer zuvor entrichtet hat oder nicht.53 Dieser Vorsteuererstattung steht dann keine Umsatzsteuerzahlung gegenüber.54
Verursacht wird der Steuerausfall durch einen (Schein-)Unternehmer, welcher innerhalb kürzester Zeit sehr hohe Umsatzsteuervolumina generiert und anschließend untertaucht, sodass der Steueranspruch regelmäßig untergeht.55 Der verantwortliche Händler wird deshalb als Missing Trader bezeichnet.56
Sinnvoll erschiene es daher, beim Versuch, den staatlichen Steueranspruch zu sichern, beim Missing Trader anzusetzen.57 In der finanzgerichtlichen Praxis erfolgt der Ansatz jedoch bei einem meist gutgläubigen Leistungsempfänger, welcher sich seinen Anspruch auf einen Vorsteuerabzug erst mühsam erstreiten muss.58
Erschwert wird die Aufdeckung von Umsatzsteuerkarussellen durch ein hochprofessionelles und konspiratives Zusammenwirken der Beteiligten.59 Meist verfügen die Täter nicht nur über fundierte steuerliche Fachkenntnisse, sondern auch über Insiderwissen hinsichtlich des Aufbaus der Finanzverwaltung sowie deren Organisation.60
Unter Ausnutzung der föderalen Struktur der Bundesrepublik mit ihren unterschiedlich organisierten Länderverwaltungen, werden die involvierten Unternehmen auf mehrere Bundesländer verteilt, um möglichst lange unentdeckt agieren zu können.61
Ist ein Beteiligter des Karussells aufgeflogen, wird dieser so schnell wie möglich durch einen noch unauffälligen Akteuer ersetzt.62
Durch den Einsatz in sich verflochtener, komplizierter Gesellschaftsstrukturen und die Auslagerung beteiligter Firmen ins Ausland, werden die tatsächlichen Abläufe des Karussells gezielt verschleiert und dessen Aufdeckung zusätzlich erschwert.63
Die Entdeckung und nicht zuletzt die Beweisführung in Fällen von Karussellgeschäften ist daher in der Praxis mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden und erfordert eine unmittelbare Reaktion auf Seiten der Finanzbehörden.64 Eine effektive Zusammenarbeit der Strafverfolgungsorgane - auch über die deutschen Grenzen hinaus65 - ist dafür unerlässlich.66
c) Bevorzugte Waren
Zu den bevorzugten Waren, die das Umsatzsteuerkarussell durchlaufen, gehören vor allem kleine, hochpreisige Wirtschaftsgüter,67 die sich leicht und in großen Mengen transportieren lassen, wie elektronische Bauteile oder Elektrogeräte (z.B. Handys, Speicherchips, etc.).68
Aber auch Luxuslimousinen69 und Waren mit hohem Handelsvolumen70 wie Buntmetalle71 und Schrott72 sind unter den gehandelten Waren zu finden.
d) Erscheinungsformen
Umsatzsteuerkarusselle können in den unterschiedlichsten Varianten auftreten.73 Meist wird mit tatsächlich existierenden Waren gehandelt.74 Zwingend ist dies jedoch nicht.75 So treten auch Fälle auf, in denen Rechnungen über Lieferungen ausgestellt werden, die es gar nicht gibt.76 Über reale oder fiktive Lieferungen wird der Warenkreislauf schließlich geschlossen.77 Ein solches „echtes“ Umsatzsteuerkarussell setzt jedoch ein kollusives Zusammenwirken sämtlicher Beteiligter voraus.78 Die erhöhte Entdeckungsgefahr, bedingt durch die vielen Mitwisser und die quotale Aufteilung der Beute unter den Beteiligten, machen diese Form des Karussellbetrugs unattraktiv.79
Als praktikabler hat sich die Form des sog. „unechten“ Umsatzsteuerkarussells erwiesen, in dem sich kein geschlossener Warenkreislauf findet und an dem nur wenige Personen wissentlich beteiligt sind.80 Die Waren werden nur einmalig durch eine Lieferkette bewegt und am Ende abver- kauft.81 Deshalb wird in diesen Fällen nur von Umsatzsteuerketten gesprochen.82
In der steuer- bzw. steuerstrafrechtlichen Behandlung ergeben sich zum klassischen Umsatzsteuerkarussell aber keine Unterschiede,83 sodass nachfolgend nur auf das „echte“ Umsatzsteuerkarussell eingegangen wird.
e) Ziele
Die Betreiber eines Umsatzsteuerkarussells verfolgen meist zwei Ziele: Zum einen sollen Wettbewerbsvorteile durch verbilligt gehandelte Waren erlangt werden.84 Die geschieht durch die Zwischenschaltung des Missing Traders, der die Umsatzsteuer beim Weiterverkauf der Ware im Inland nicht ans Finanzamt abführt.85 Die dadurch „eingesparte“ Umsatzsteuer wird bei der Preiskalkulation berücksichtigt, sodass die Ware auf dem Markt günstiger angeboten werden kann als von der Konkurrenz.86 Durch diese Vorgehensweise werden den Beteiligten äußerst lukrative Gewinnmargen ermöglicht.87
Zum anderen soll der Missing Trader die von seinem Abnehmer erhaltene Umsatzsteuer entgegennehmen und sich damit ins Ausland absetzen.88 Die größten Gewinne lassen sich dabei erzielen, wenn weder die aus der Einfuhr noch die aus der Weiterlieferung der Ware geschuldete Umsatzsteuer an den Fiskus entrichtet wird.89
2. Mechanismus des Umsatzsteuerkarussells
Meist funktionieren Umsatzsteuerkarusselle nach folgendem System:90
Im Rahmen einer Lieferkette verkauft ein inländischer Unternehmer Waren an einen Unternehmer in einem EU- Mitgliedsstaat.91 Als innergemeinschaftliche Lieferung ist dieser Verkauf im Inland gem. § 4 Nr. 1b i.V. m. § 6a UStG von der Umsatzsteuer befreit.92 Über einen oder mehrere Unternehmer in diesem Mitgliedsstaat wird die Ware zurück ins Inland geliefert.93
Erster Abnehmer hinter der Grenze ist ein (Schein-)Unternehmer, der sog. Missing Trader.94 Der innergemeinschaftliche Erwerb des Missing Traders unterliegt nach § 1 Abs. 1 Nr. 5 i.V.m. § 1a UStG der Umsatzsteuer.95 Gleichzeitig kann er sich diese gem. § 15 Abs. 1 Nr. 3 UStG als Vorsteuer wieder zurückholen, sodass der Erwerb für ihn in Summe keine steuerliche Auswirkung entfaltet.96
Würde sich die Lieferkette auf das Inland beschränken, läge eine steuerpflichtige Lieferung gem. §§ 1 Abs. 1 Nr. 1, 3 Abs. 1, 13 Abs. 1 Nr. 1 lit. a) UStG vor, für die der Händler zusätzlich zum Nettoeinkaufspreis Umsatzsteuer an den Leistenden zu zahlen hätte.97 Damit wäre zum einen sein Kapitaleinsatz höher98 und sein Gewinn niedriger,99 zum anderen bestünde die Gefahr, dass ihm der Vorsteuerabzug seitens des Finanzamts verwehrt würde.100 Die inländische Variante ist somit wesentlich unattraktiver als diejenige mit Auslandsbezug.101 Nicht gering zu schätzen ist dabei außerdem die Tatsache, dass ein nationaler Informationsaustausch zwischen den Behörden schneller von statten geht als ein grenzüberschreitender, wodurch die Entdeckungsgefahr wesentlich höher wäre.102
Da die Ware für den Missing Trader beim grenzüberschreitenden Umsatzsteuerkarussell per saldo umsatzsteuerfrei ist, kann er den von ihm bezahlten Nettopreis als Bruttopreis behandeln und weiter verrechnen.103 Dies ermöglicht ihm, die Ware mit einem geringen Gewinnaufschlag an den nächsten Unternehmer in der Kette, den sog. Buffer I, weiterzuverkau- fen.104 Eine Vorgehensweise, von der auch alle anderen Unternehmer in der Lieferkette profitieren.105
Der Buffer holt sich die in der Rechnung des Missing Traders ausgewiesene Umsatzsteuer als Vorsteuer wieder vom Finanzamt zurück.106
Der Missing Trader hingegen führt die Umsatzsteuer, die er dem Fiskus schuldet, planmäßig nicht ab,107 sondern taucht unter,108 sobald seine Aufgabe - mehrere Rechnungen meist über Millionenbeträge auszustellen - erfüllt ist.109
Der Buffer I veräußert die Ware an den Buffer II.110 Dieser nimmt einen Preisaufschlag vor, der - zusammen mit dem vorherigen Aufschlag - noch unterhalb des Betrags der nicht abgeführten Umsatzsteuer des Missing Traders liegt.111 Nachdem sich der Buffer II die Vorsteuer vom Finanzamt zurückgeholt hat, veräußert er die Ware an den Distributor,112 den ursprünglichen Unternehmer in der Kette.113 Dieser setzt sie erneut steuerfrei in den Mitgliedsstaat ab, aus dem sie gekommen ist und macht den Vorsteuerabzug aus der Rechnung des Buffer II geltend.114
Weil den hohen Vorsteuererstattungen der Abnehmer keine Umsatzsteuerzahllasten seitens des liefernden Unternehmers gegenüberstehen, ist das Risiko, entdeckt zu werden, entsprechend hoch.115
Lohnend ist ein Karussellgeschäft daher nur, wenn innerhalb kürzester Zeit möglichst große Mengen an Waren mit hohem Umsatzsteuervolumen im Karussell umgesetzt werden können.116
Um von den Steuerbehörden möglichst lange unentdeckt zu bleiben, ist ein gut organisiertes System unerlässlich.117 Die Lieferketten, durch die die Waren geschleust werden, werden daher bereits im Voraus geplant.118 Oft erreicht die Handelsware nie einen Endverbraucher, sondern wird ins EU-Ausland zurückverkauft, um das Karussell von Neuem zu durchlau- fen.119 Dabei werden die gehandelten Wirtschaftsgüter mit jedem Verkauf günstiger und können am Ende mit einem lukrativen Gewinnaufschlag, aber dennoch zu einem konkurrenzlos günstigen Preis aus dem Karussell heraus verkauft werden.120
3. Die Beteiligten und ihre Funktion
Für ein funktionierendes Umsatzsteuerkarussell bedarf es typischerweise mindestens dreier Akteure in mindestens zwei verschiedenen EU-Mitgliedsstaaten, welche über eine gemeinsame Leistungskette verbunden sind.121 Diese sind der Missing Trader, ein oder mehrere Buffer, der Distributor und ggf. ein Initiator.122 Dabei kann sowohl die Anzahl der Beteiligten als auch deren Stellung und Funktion innerhalb des Karussells differieren.123
a) Missing Trader
Damit das Karussell funktioniert, bedarf es mindestens eines Glieds in der Lieferkette, das seinen steuerlichen Pflichten nicht nachkommt.124 Dieses Glied ist unter der Bezeichnung Missing Trader bekannt.125 Der Name steht einerseits für das Untertauchen des Händlers, bevor ihm die Behörden auf die Schliche kommen, andererseits beschreibt er den Ausfall der geschuldeten Steuern.126
Aufgabe des Missing Traders ist es, die in seiner Rechnung ausgewiesene Umsatzsteuer nicht zu erklären oder zumindest nicht an das Finanzamt abzuführen, um hierdurch den übrigen Mitspielern die beabsichtigten Steuervorteile zu verschaffen.127
Als Missing Trader werden meist mittellose oder sehr einkommensschwache Personen eingesetzt.128 Gefragt sind Personen, die bereit sind, erhebliche Risiken auf sich zu nehmen und beim Auffliegen der Betrugsmaschinerie möglichst schnell unterzutauchen.129 Häufig werden Arbeitslose, Drogensüchtige, Obdachlose oder Kleinkriminelle als Missing Trader re- krutiert.130 Unter Beschönigung der strafrechtlichen Folgen und dem Versprechen auf eine großzügige Entlohnung durch die Hintermänner131 lassen sich diese Personen bereitwillig zu Strohmännern machen, die mittels gefälschter Papiere GmbHs anmelden, um die aus dem Ausland eingeführten Waren ohne Abführung der anfallenden Umsatzsteuer verbilligt wei- terzuverkaufen.132 Bei diesen GmbHs handelt es sich in der Regel um Scheinfirmen, für die häufig nur eine Büro-Service-Adresse existiert.133 Zwar steht das Vorliegen einer Steuerhinterziehung bei diesen Händlern außer Frage, die Verwirklichung des Steueranspruchs ist jedoch meist erfolglos,134 da der Missing Trader - falls er nicht rechtzeitig untertauchen kann - ohnehin über keinerlei nennenswertes Vermögen verfügt.135
Der Vertriebsweg des Missing Traders wird meist durch den Initiator oder Distributor vorbestimmt.136 Sowohl Zulieferer und Abnehmer wie auch Preise und Konditionen stehen bereits fest.137 Auf diese Weise können ganze Lieferketten vorausgeplant sein.138
Im Regelfall ist der Missing Trader über die Gesamtstruktur des Karussells nicht informiert.139 Die tatsächlichen wirtschaftlichen Entscheidungsträger agieren im Hintergrund und treten nicht offen im Geschäftsverkehr auf, sodass sie nur sehr schwer zu ermitteln sind.140
b) Buffer
Der Buffer (= Puffer) dient als Zwischenhändler141 der Verschleierung des Schwindels.142 Für ein funktionierendes Umsatzsteuerkarussell ist er aber nicht unbedingt erforderlich.143 In der Lieferkette steht der Buffer zwischen dem Missing Trader und dem Distributor.144
Er macht den Vorsteuerabzug aus der Rechnung des Missing Traders geltend und verwirklicht dadurch den maßgeblichen Nutzen aus dem Karus- sell.145 Ggf. können weitere unwissende oder nicht in den Plan eingeweihte Unternehmen als Buffer hinzugezogen werden, um die Betrügereien noch besser zu vertuschen.146
Buffer verhalten sich steuerlich unauffällig.147 Sie verfügen über ordnungsgemäße Rechnungen,148 erklären hohe Umsätze, aber auch hohe Vorsteuern.149 Die daraus resultierende, relativ geringe Umsatzsteuerzahllast wird anstandslos entrichtet.150 Sie erfüllen ihre Erklärungspflichten und vermeiden Steuerrückstände, um die Geschäfte im Karussell möglichst lange unentdeckt weiterführen zu können.151
Je mehr Buffer zwischengeschaltet werden, desto schwieriger wird die Aufdeckung eines Umsatzsteuerkarussells.152
Beim Buffer handelt es sich regelmäßig einen Unternehmer i.S.d. § 2 Abs. 1 UStG, sodass das Risiko einer Vorsteuerversagung durch das Finanzamt für den nachfolgenden Distributor möglichst geringgehalten wird.153
Zum Teil ist der erste Buffer in das Karussell und die Preismanipulationen eingeweiht.154 Typischerweise hat er jedoch keine Ahnung von seiner Einbindung in das System.155
c) Distributor
Am Ende der inländischen Lieferkette steht der Distributor,156 also der Verteiler.157 Bei ihm handelt es sich ebenfalls um einen Unternehmer i.S.d. § 2 Abs. 1 UStG.158
Seine Aufgabe - die ihn vom Buffer unterscheidet - besteht darin, die Waren im Wege einer steuerfreien innergemeinschaftlichen Lieferung in den Mitgliedsstaat seiner Herkunft zurück zu veräußern.159
Wegen der hohen steuerfreien Ausfuhrlieferungen macht er regelmäßig hohe Vorsteuerabzüge geltend, wodurch es zu enormen UmsatzsteuerÜberschüssen kommt, die ihm vom Finanzamt als Vorsteuern erstattet werden.160 Daher muss er sich in regelmäßigen Abständen Umsatzsteuersonderprüfungen unterwerfen,161 weshalb er sich hinsichtlich seiner eigenen Umsätze stets regelkonform verhält.162
Häufig sind durch den Distributor verschiedene Umsatzsteuerkarusselle miteinander verknüpft.163 So kann es unter Umständen vorkommen, dass er als Ausgangslieferant im EU-Ausland verschiedene Missing Trader in anderen Mitgliedsstaaten beliefert.164
d) Initiator
Neben den genannten Beteiligten ist auch der Initiator als Verantwortlicher zu nennen.165 Aus dem Hintergrund plant er die Gründung oder Übernahme der als Missing Trader fungierenden Gesellschaft, ist für die Einweisung der Verantwortlichen zuständig, vermittelt die Umsätze und legt die Konditionen und Wege der Waren fest.166
Da er nicht als Unternehmer auftritt, treffen ihn in der Regel auch keine Steuererklärungspflichten.167
Dies erschwert nicht nur den Nachweis seiner Beteiligung am Karussell, sondern bereits die Feststellung seiner Identität.168 Denn im Gegensatz zum Missing Trader, dessen Identität sich über die von ihm ausgestellten Rechnungen relativ leicht feststellen lässt, oder zum Buffer, der beim Finanzamt vorstellig wird, um seine Vorsteuern zurückzufordern, tritt der Initiator - wenn es sich bei ihm nicht gleichzeitig um den Distributor handelt - nur über eine äußerst unsichere schriftliche oder mündliche Informationskette in Erscheinung.169
IV. Steuerrechtliche Beurteilung
Nach der sog. Missbrauchsrechtsprechung170 des EuGH kann einem Unternehmer, der von seiner Einbindung in ein Umsatzsteuerkarussell wusste oder wissen hätte müssen, sowohl der Vorsteuerabzug bei Waren- bzw. Leistungsbezug als auch die Steuerbefreiung beim Weiterverkauf der Ware ins Ausland verwehrt werden. Im Umsatzsteuerkarussell wird dies vor allem für den Buffer oder Distributor relevant.
1. Versagung des Vorsteuerabzugs
Nach § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 S. 1 UStG kann ein Unternehmer die gesetzlich geschuldete Steuer für Lieferungen und sonstige Leistungen, die von einem anderen Unternehmer für sein Unternehmen ausgeführt worden sind als Vorsteuer abziehen. Weitere Voraussetzung für den Vorsteuerabzug ist nach S. 2, dass der Unternehmer eine nach den §§ 14, 14a UStG ausgestellte Rechnung besitzt.
Für das Vorliegen der Voraussetzungen des Vorsteuerabzugs kommt es nicht auf den Zeitpunkt der Steueranmeldung an.171 Ein Abzug ist bereits dann zulässig, wenn die Voraussetzungen hierfür bei Ausführung der Lieferung oder sonstigen Leistung vorgelegen haben.172 Die einmal erlangte Berechtigung zum Vorsteuerabzug bleibt auch dann bestehen, wenn der Unternehmer nachträglich von Tatsachen erfährt, aufgrund derer ihm ein Vorsteuerabzug zu verwehren gewesen wäre, wenn er sie bereits beim Bezug der Ware gekannt hätte.173
Auch eine Berichtigungspflicht nach § 153 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AO trifft den Steuerpflichtigen in diesen Fällen nicht.174 Denn der Tatbestand der Anzeige- und Berichtigungspflicht i.S.d. § 153 AO ist nur dann erfüllt, wenn die Voraussetzungen für die Versagung der Vorsteuer bereits bei Warenbezug vorgelegen haben.175
Steht jedoch aufgrund objektiver Umstände fest, dass der Unternehmer zum Zeitpunkt des Leistungsbezuges176 wusste oder wissen hätte müssen, dass er sich mit dem Erwerb an einer Umsatzsteuerhinterziehung beteiligte, ist ihm der Vorsteuerabzug zu versagen.177 Dies gilt beim Umsatzsteuerkarussell nicht nur für den unmittelbar mit dem Missing Trader in einer Lieferbeziehung stehenden Buffer I, sondern auch für die Wareneingänge aller nachfolgenden Buffer.178
Demgegenüber wäre es aber nach der Rechtsprechung des EuGH mit der Vorsteuerabzugsregelung in der Mehrwertsteuersystemrichtlinie nicht vereinbar, einen Steuerpflichtigen durch die Versagung seines Vorsteuerabzugsrechts zu bestrafen, wenn er von seiner Einbindung in eine Lieferkette, die eine Mehrwertsteuerhinterziehung zum Ziel hatte, weder wusste noch wissen konnte.179
Hat ein Wirtschaftsteilnehmer alle Maßnahmen getroffen, die ihm vernünftigerweise zugemutet werden können, um sicherzustellen, dass seine Umsätze nicht Teil einer betrügerischen Leistungskette werden, muss er auf die Rechtmäßigkeit dieser Umsätze vertrauen können dürfen, ohne fürchten zu müssen, für die Zahlung der Steuerschulden anderer Steuerpflichtiger gesamtschuldnerisch in Anspruch genommen zu werden.180 Die Finanzämter dürfen aber nicht generell von einem Steuerpflichtigen, der einen Vorsteuerabzug gelten macht, eine Prüfung verlangen, ob der Rechnungsaussteller tatsächlich Steuerpflichtiger ist, über die gelieferten Gegenstände verfügen konnte und seinen Steuererklärungs- und Zahlungspflichten nachgekommen ist, um sicherzustellen, dass bei diesem keine Anhaltspunkte für eine Steuerhinterziehung gegeben sind.181 Ebenso wenig darf er zur Vorlage entsprechender Unterlagen verpflichtet werden.182 Denn grundsätzlich ist es Aufgabe der Steuerbehörden, die entsprechenden Kontrollen bei Steuerpflichtigen durchzuführen, um betrügerische Handlungen aufzudecken und diese mit Sanktionen zu belegen.183
Der Rechtsprechung des EuGH hat sich auch der BGH184 in seiner Entscheidung vom 11.03.2020 angeschlossen. Danach kann einem Steuerpflichtigen - trotz Vorliegens der materiellen und formellen Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug - das Recht auf den Abzug nur versagt werden, wenn aufgrund der objektiven Gegebenheiten keine Zweifel daran bestehen, dass dieses Recht in missbräuchlicher Weise in Anspruch genommen wird.185 Dies gilt sowohl dann, wenn der Steuerpflichtige selbst Steuern hinterzieht, als auch, wenn er wusste oder hätte wissen müssen, dass er sich mit seinem Erwerb an einem Umsatzsteuerkarussell beteiligte.186 Die die Versagung des Vorsteuerabzugsrechts begründenden Tatsachen sind von den Finanzbehörden festzustellen.187 Neben der missbräuchlichen oder betrügerischen Nichtabführung der Umsatzsteuer müssen für die Annahme einer Umsatzsteuerhinterziehung weitere objektive Anhaltspunkte vorliegen.188 Die Behörden haben zudem objektive Nachweise zu sammeln, die beweisen, dass der Steuerpflichtige von seiner Einbindung in das Umsatzsteuerkarussell wusste oder hätte wissen müssen und dass er es unterlassen hat, alle ihm zumutbaren Maßnahmen zur Verhinderung seiner Beteiligung an diesem Steuerbetrug zu treffen.189
Kann die Finanzverwaltung diese Beweise nicht führen, ist der Vorsteuerabzug im Einklang mit der Missbrauchs-Rechtsprechung des EuGH zu ge- währen.190 Einen „Negativbeweis“ muss der Steuerpflichtige nicht erbrin- 191 gen.191
Nochmals präzisiert hat der EuGH seine Grundsätze mit Beschluss v. 03.09.2020 in der Rechtssache C- 610/19 „Vikingo Fövällalkozö“.192 Darin stellt er klar, dass einem Rechnungsempfänger der Vorsteuerabzug nicht ohne weiteres versagt werden kann, wenn die Leistung tatsächlich bewirkt wurde.193 Vielmehr müsse die rechtsmissbräuchliche Handlung aufgrund objektiver Tatsachen nachgewiesen werden.194
Kann die Verwaltung aber nachweisen, dass die behaupteten Umsätze tatsächlich nicht erbracht wurden, kann dem Rechnungsempfänger der Vorsteuerabzug verwehrt werden.195 Auf seinen vermeintlich guten Glauben kann sich dieser dann nicht mehr berufen.196
Die bloße Tatsache, dass ein Lieferant betrügerisch gehandelt hat, führt dagegen nicht automatisch zum Verlust des Vorsteuerabzugsrechts des Abnehmers.197 Daher ist zu prüfen, ob dieser bei Leistungsbezug in gutem Glauben gehandelt hat.198
[...]
1 BMF, Oktober 2018, S. 15.
2 Ebd.
3 Steuereinnahmen 2021 summieren sich auf 833 Milliarden Euro, in: Statistisches Bundesamt (Destatis), https://www.destatis.de/DE/Themen/Staat/Steuern/Steuereinnahmen/steuereinnah-men.html#:~:text=Innerhalb%20der%20Gemeinschaftsteuern%20wa-ren%20die,(%E2%80%931%2C4%20%25), (zuletzt abgerufen: 16.07.2022).
4 Ebd.
5 BMF, Oktober 2018, S. 15.
6 BMF, Oktober 2021, S. 39.
7 Ebd.
8 OFD Frankfurt/Main, Rundvfg. v. 03.05.2021, S. 4.
9 Ebd.
10 Kemper, NStZ 2006, 593, 593.
11 "Kohlmann/ Schauf, § 370 AO, Rz. 1394.
12 BMF, Oktober 2018, S. 15.
13 Ebd.
14 Kemper, UR 2006, 569, 574.
15 Wie Kriminelle den Bürgern Europas jedes Jahr 50 Milliarden Euro Steuergeld stehlen. Eine europaweite Spurensuche von 63 Journalisten aus 30 Ländern unter Leitung von CORRECTIV, in: Correctiv - Recherchen für die Gesellschaft, 07.05.2019, https://correctiv.org/top-stories/2019/05/06/grand-theft-europe/, (zuletzt abgerufen: 16.07.2022).
16 Ebd.
17 Kemper, NStZ 2006, 593, 593.
18 Wie Kriminelle den Bürgern Europas jedes Jahr 50 Milliarden Euro Steuergeld stehlen. Eine europaweite Spurensuche von 63 Journalisten aus 30 Ländern unter Leitung von CORRECTIV, in: Correctiv - Recherchen für die Gesellschaft, 07.05.2019, https://correctiv.org/top-stories/2019/05/06/grand-theft-europe/, (zuletzt abgerufen: 16.07.2022).
19 BT- Drs 15/1495 v. 03.09.2003, S. 3.
20 Kemper, NStZ 2006, 593, 593.
21 BT- Drs 15/1495 v. 03.09.2003, S. 3.
22 BT-Drs. 17/5067 (neu) v. 16.03.2011, S. 18.
23 Bunjes/ Robisch, UStG, vor § 1, Rn. 17.
24 BT-Drs. 19/22850 v. 25.09.2020, S. 149.
25 Weymüller, BeckOK UStG, vor §1, Rz. 2.
26 Ebd.
27 "BT-Drs. 19/22850 v. 25.09.2020, S. 149 .
28 Ebd.
29 Ebd.
30 Ebd.
31 Ebd.
32 Bunjes/ Robisch, UStG, vor § 1, Rn. 23.
33 Ebd.
34 Ebd., Rn. 26.
35 Weber, UR 2003, 422, 422.
36 Ebd., 422, 422f
37 Ebd., 422, 423.
38 Ebd., 422, 422.
39 Ebd., 422, 423.
40 Ebd.
41 Ebd., 422, 422.
42 Widmann, UR 2002, 465, 466.
43 Slavik-Schulz, S. 42.
44 Klein / Jäger, AO, § 370, Rn, 373.
45 Slavik - Schulz, S. 42.
46 Kohlmann/ Schauf, § 370 AO, Rz. 1396.
47 Ebd.
48 Ebd.
49 Slavik - Schulz, S. 42.
50 Ebd., S. 43.
51 Ebd.
52 Ebd.
53 Ebd.
54 Ebd.
55 Ebd.
56 Ebd.
57 Ebd., S. 44.
58 Ebd.
59 BT- Drs. 19/25819 v. 13.01.2021, S. 1.
60 OFD Frankfurt/Main, Rundvfg. v. 03.05.2021, S. 5.
61 Ebd.
62 Ebd.
63 BT- Drs. 19/25819 v. 13.01.2021, S. 1.
64 OFD Frankfurt/Main, Rundvfg. v. 03.05.2021, S. 5.
65 Gehm, Kriminalistik 2018, 448, 452.
66 OFD Frankfurt/Main, Rundvfg. v. 03.05.2021, S. 5.
67 BT-Drs. 15/1495 v. 03.09.2003, S. 3.
68 Tormöhlen, Rz. 3.
69 Ebd.
70 Klein / Jäger, AO, § 370, Rn, 373.
71 'Tormiihlen, Rz. 3.
72 Klein / Jäger, AO, § 370, Rn, 373.
73 Gehm, NJW 2012, 1257,1257.
74 Ebd.
75 Ebd.
76 Ebd.
77 Gehm, ZHW 2017, 60, 63.
78 Schaefer, NJW- Spezial 2007, 231, 231.
79 Ebd.
80 Ebd.
81 Ebd.
82 Gehm, ZHW 2017, 60, 63.
83 Ebd.
84 Klein /Jäger, AO, § 370, Rn. 373.
85 Ebd.
86 Ebd.
87 OFD Frankfurt/Main, Rundvfg. v. 03.05.2021, S. 6.
88 BT-Drs. 15/1495 v. 03. 09. 2003, S. 8.
89 Slavik-Schulz, S. 44.
90 "BT-Drs. 15/1495 v. 03. 09. 2003, S. 8.
91 "Ebd.
92 Ebd.
93 Ebd.
94 Ebd.
95 Slavik- Schulz, S. 45.
96 Ebd.
97 "Ebd.
98 Ebd.
99 "Ebd., S. 46.
100 Ebd., S. 45.
101 Ebd.
102 Ebd.
103 BT-Drs. 15/1495 v. 03. 09. 2003, S. 8.
104 BFH, Beschl. v. 29.11.2004, V B 78/04, wistra 2005, 233, 235.
105 Slavik-Schulz, S. 46.
106 BFH, Beschl. v. 29.11.2004, V B 78/04, wistra 2005, 233, 235.
107 Ebd.
108 EuGH, Urteil v. 12.01.2006, C-354/03, C-355/03 und C-484/03, ECLI:EU:C:2006:16- „Optigen u.a.“, wistra 2006, 177, 177.
109 BT-Drs. 15/1495 v. 03. 09. 2003, S. 8.
110 BFH, Beschl. v. 29.11.2004, V B 78/04, wistra 2005, 233, 235.
111 Ebd.
112 Ebd.
113 BT-Drs. 15/1495 v. 03. 09. 2003, S. 8.
114 BFH, Beschl. v. 29.11.2004, V B 78/04, wistra 2005, 233, 235.
115 Nieuwenhuis, UR 2005, 177, 177.
116 Ebd.
117 Ebd.
118 Ebd.
119 Ebd.
120 'Weber. UR 2003, 422, 427.
121 Slavik-Schulz, S. 44.
122 Ebd.
123 Ebd., S. 46.
124 OFD Frankfurt/Main, Rundvfg. v. 03.05.2021, S. 6.
125 Ebd.
126 Slavik-Schulz, S. 46.
127 Bülte, § 370 AO, Rn. 396.
128 Tormöhlen, Rz. 10.
129 Nieuwenhuis, UR 2005, 177, 177.
130 Tormöhlen, Rz. 10.
131 Nieuwenhuis, UR 2005, 177, 177.
132 Ebd.
133 OFD Frankfurt/Main, Rundvfg. v. 03.05.2021, S. 6.
134 Nieuwenhuis, UR 2005, 177, 177.
135 Hummel, UR 2014, 256, 256.
136 Slavik-Schulz, S. 47.
137 Ebd.
138 Ebd.
139 Ebd.
140 Ebd.
141 Muhler, wistra 2009, 1, 5.
142 OFD Frankfurt/Main, Rundvfg. v. 03.05.2021, S. 6.
143 Gehm, Kriminalistik 2018, 448, 448.
144 Muhler, wistra 2009, 1, 5.
145 Bülte, § 370 AO, Rn. 396.
146 Ebd.
147 OFD Frankfurt/Main, Rundvfg. v. 03.05.2021, S. 6.
148 Nieuwenhuis, UR 2005, 177, 177.
149 OFD Frankfurt/Main, Rundvfg. v. 03.05.2021, S. 6.
150 Ebd.
151 Tormöhlen, Rz. 9.
152 OFD Frankfurt/Main, Rundvfg. v. 03.05.2021, S. 6.
153 Slavik-Schulz, S. 48.
154 Ebd.
155 Ebd.
156 OFD Frankfurt/Main, Rundvfg. v. 03.05.2021, S. 6.
157 Muhler, wistra 2009, 1, 6.
158 Slavik - Schulz, S. 48.
159 Muhler, wistra 2009, 1, 6.
160 OFD Frankfurt/Main, Rundvfg. v. 03.05.2021, S. 6.
161 Ebd.
162 Gehm, NJW 2012, 1257, 1258.
163 Slavik - Schulz, S. 48.
164 Ebd., S. 49.
165 Ebd.
166 Ebd.
167 Ebd.
168 Ebd.
169 Ebd.
170 Bezeichnung für die Rspr. des EuGH zur Bekämpfung von Steuerhinterziehung, Steuerumgehung und Missbrauch der MwStSystRL, zit. nach Slavik-Schluz, S. 89.
171 BGH, Beschl. v. 01.10.2013, 1 StR 312/13, wistra 2014, 141, 142.
172 Ebd.
173 Ebd.
174 Ebd., 141, 143.
175 Ebd.
176 BGH, Beschl. v. 05.02.2014, 1 StR 422/13, wistra 2014, 191, 191.
177 BFH, Urt. v. 19.05.2010, XI R 78/07, UR 2010, 952, 953.
178 Ebd.
179 Sterzinger/ Maunz, UR 2012, 591, 596.
180 EuGH, Urt. v. 11.05.2006, C- 384/04, ECLI:EU:C:2006:309- „Federation of Technological Industries u.a.“, UR 2006, 410, 414.
181 Sterzinger/ Maunz, UR 2012, 591, 598.
182 Ebd.
183 Ebd.
184 BFH, Urt. v. 11.03.2020, XI R 38/18, UR 2020, 764-773.
185 Ebd., 764, 767.
186 Ebd.
187 Ebd.
188 Ebd.
189 Ebd.
190 Ebd. 764, 768.
191 Prätzler, jurisPR-SteuerR 46/2020 Anm. 7.
192 EuGH, Beschl. v. 03.09.2020, C-610/19, ECLI:EU:C:2020:673 - „Vikingo Fovallalkozo“, MwStR 2021, 323-330.
193 Fischer, jurisPR-SteuerR 4/2021 Anm. 6.
194 Ebd.
195 Ebd.
196 Ebd.
197 Ebd.
198 Ebd.
- Arbeit zitieren
- Anonym,, 2022, Die steuerstrafrechtlichen Aspekte der Beteiligung an Umsatzsteuerkarussellgeschäften, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1315505
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