Mit diesem im September 2022 erschienenen Buch scheint die Autorin meine neue Hypothese zunächst vollauf zu bestätigen: Etwas prinzipiell Gutes schlägt, z.B. durch Überstrapazierung des Selbsterhaltungstriebs, in etwas Böses um, das jedoch seinerseits durch etwas Gutes überwunden werden kann.
Nur ist bei Ulrike Herrmann das ursprünglich "Gute" der Kapitalismus, und zwar u.a. deshalb, weil er sich „segensreich“ ausgewirkt habe, so z.B. dadurch, dass er die Massenarmut beseitigt, die Lebenserwartung von ca. 40 auf 80 Jahre verdoppelt, technischen Fortschritt befördert hat usw. Die Selbsterhaltung dieses Systems besteht allerdings darin, dass das Kapital durch ständiges Wirtschaftswachstum andauernd Mehrwert und Profitmaximierung erzeugt. Die Überstrapazierung: Genau dieser Mechanismus des Kapitals zerstört Umwelt und Klima und damit die Lebensgrundlagen der Menschen und somit auch ihres Wirtschaftens.
Klaus Robra Rezension zu: Ulrike Herrmann: Das Ende des Kapitalismus
Mit diesem im September 2022 bei Kiepenheuer & Witsch in Köln erschienenen Buch (Untertitel: Warum Wachstum und Klimaschutz nicht vereinbar sind – und wie wir in Zukunft leben werden, 341 Seiten) scheint die Autorin meine neue Hypothese zunächst vollauf zu bestätigen: Etwas prinzipiell Gutes schlägt, z.B. durch Überstrapazierung des Selbsterhaltungstriebs, in etwas Böses um, das jedoch seinerseits durch etwas Gutes überwunden werden kann.1 Nur: Bei Ulrike Herrmann ist das ursprünglich „Gute“ der Kapitalismus, und zwar u.a. deshalb, weil er sich „segensreich“ ausgewirkt habe, so z.B. dadurch, dass er die Massenarmut beseitigt, die Lebenserwartung von ca. 40 auf 80 Jahre verdoppelt, technischen Fortschritt befördert hat usw.2 Die Selbsterhaltung dieses Systems besteht allerdings darin, dass das Kapital durch ständiges Wirtschaftswachstum andauernd Mehrwert und Profitmaximierung erzeugt oder, wie U. Herrmann feststellt:
„Wachstum kann nur entstehen, wenn Kredite aufgenommen werden – aber genau diese Darlehen lassen sich anschließend nur zurückzahlen, wenn es weiteres Wachstum gibt. Es ist kein Zufall, dass der Kapitalismus gleichzeitig eine Geldwirtschaft ist. Er wird durch Kredite angetrieben.“ (a.a.O. S. 88)
Die Überstrapazierung: Genau dieser Mechanismus des Kapitals zerstört Umwelt und Klima und damit die Lebensgrundlagen der Menschen und somit auch ihres Wirtschaftens, wozu die Autorin bemerkt:
„Der Kapitalismus folgt also der Logik der Krebszelle. Er muss unaufhörlich wachsen und zerstört damit erst seine Umwelt – und dann sich selbst.“ (a.a.O. S. 96)
Daher fordert U. Herrmann, dieses System durch ein anderes, besseres zu erset-zen, das sie u.a. „grünes Schrumpfen“ oder auch „klimaneutrale, rationierte Kreislaufwirtschaft“ oder „Überlebenswirtschaft“ nennt (S. 203 ff.); worin, gemäß dem „Vorbild“ der britischen Kriegswirtschaft ab 1939, die Privatwirtschaft weiterbesteht, während der Staat, in einer Art „privater Planwirtschaft“, die Produktion organisiert, d.h. vor allem die Verteilung und Vergabe von Roh-stoffen, Krediten und Arbeitskräften (S. 237 ff.). Ein Modell, das die Autorin ausdrücklich nicht nur vom totalitären „Sowjet“-System, sondern auch gegen jede Art von Ökosozialismus abgrenzt, zumal auch dieser auf die unsinnige Abschaffung des Eigentums hinauslaufe:
„Ein Ökosozialismus ist also nicht gemeint. Die Geschichte hat gezeigt, dass staatliche Planung nicht funktioniert, wenn sie zugleich fast das gesamte Eigentum abschafft.“ (S. 255)
Meine Kritik: Die Autorin will angeblich den Kapitalismus abschaffen, behauptet aber, sie sei keine Kritikerin des Kapitalismus.[3 ] Schon damit widerspricht sie sich jedoch selbst. Denn zweifellos kritisiert sie den Kapitalismus, indem sie – zu Recht – dessen fatale Folgen für die Lebensgrundlagen der Menschheit anpran-gert. Ein solches System ist aber nicht im Grunde „segensreich“ oder gar gut, son-dern bösartig. Folgerichtig konstatiert U. Herrmann: „Klimaschutz ist nur mög-lich, wenn wir den Kapitalismus abschaffen.“ (S. 11) Und sie hat wohl auch Recht, wenn sie erklärt, dass dieses Ziel mit dem sogenannten „grünen Wachs-tum“ schon aus Kostengründen nicht erreichbar ist (ebd. bzw. S. 115 ff.).
Unverständlich bleibt jedoch, dass U. Herrmann behauptet, sie sei keine Kritikerin des Kapitalismus und sich dabei sogar auf Marx und Engels (!) beruft. Beide hätten den Kapitalismus keineswegs abgelehnt, sondern dessen Prinzip ‚Wachstum um jeden Preis‘ sogar gutgeheißen, weil dieses Wachstum dazu führen würde, dass es „bei der kommunistischen Revolution möglichst viel zu verteilen gäbe“ (S. 22). Wobei U. Herrmann völlig den grundsätzlich anti-kapitalistischen Tenor der Marxschen Theorie verkennt. Marx kritisiert immer wieder den kapitalistischen Wachstums- und Waren-Fetischismus bzw. die Profitgier, die ständig zu Ausbeutung, Unterdrückung, Entfremdung, Verelendung und Verschärfung der sozialen Gegensätze und Konflikte innerhalb der Klassen-Gesellschaft führen. Daher fordern Marx und Engels – u.a. unter Berufung auf Babeuf – eine letzte proletarische Revolution, um eine klassenlose Gesellschaft zu errichten; was bisher bekanntlich nicht gelungen ist.
Dass U. Herrmann diese Zusammenhänge nicht erwähnt, ist umso weniger ver-ständlich, als sie einige Teilaspekte dieser Kritik durchaus anerkennt, z.B. sogar die Tatsache, dass auch Deutschland, eines der reichsten Länder der Welt, nach wie vor eine Klassengesellschaft beherbergt:
„Deutschland ist eine Klassengesellschaft, obwohl viele Bundesbürger glauben, sie würden in einer >nivellierten Mittelstandsgesellschaft< leben.“ (a.a.O. S. 26)
Konsequenzen für eine notwendige umfassende Kapitalismuskritik zieht die Autorin aus dieser Erkenntnis aber ebenso wenig wie kurz zuvor aus ihrem Hinweis auf die nach wie vor „extrem große“ Ungleichheit in der Welt, in der sie anscheinend lediglich eine Schattenseite des Kapitalismus sieht (ebd.).
Es ist im Grunde ein Theorie-Defizit, das noch deutlicher in der Art und Weise zu Tage tritt, in der U. Herrmann zu erklären versucht, „warum der globale Süden kaum aufholt“ – einen Missstand, den sie im Wesentlichen auf den technologi-schen Rückstand der armen gegenüber den reichen Ländern zurückführt. Der „globale Süden“ verfüge eben nicht über das Kapital, das notwendig sei, um diesen Rückstand auszugleichen. („Die Löhne sind so niedrig, dass es sich nicht lohnt, in Technik zu investieren. Aber weil die Produktivität nicht steigt, bleiben die Länder arm und die Löhne niedrig.“ A.a.O. S. 62) Dabei räumt die Autorin ein, dass dies nicht zuletzt an kapitalistischer Ausbeutung und unfairem Handel liegt, mit dem „schockierenden“ Ergebnis, dass „der arme Süden finanziert den reichen Norden, obwohl es umgekehrt sein müsste“. Trotzdem weist sie die u.a hierauf fußende umfassende Kritik am globalisierten neoliberalen Kapitalismus zurück, und zwar u.a. dadurch, dass sie diese Kritik auf den Vorwurf reduziert, die Industrieländer verdankten ihren Reichtum der Tatsache, dass „sie den Rest der Welt zu billigen Rohstofflieferanten degradieren konnten“, was „als ökonomische Analyse unzutreffend“ sei (a.a.O. S. 69).
Gravierend kommt hinzu, dass U. Herrmann sich mit den zahlreichen Kritikern des globalisierten Kapitalismus allenfalls sporadisch beschäftigt, während sie die darauf fußenden alternativen Konzepte völlig ignoriert.
Obwohl nicht zu leugnen ist, dass z.B. demokratische, (öko-)sozialistische Alternativ-Konzepte und -Modelle weiterhin zu diskutieren sind, so nicht zuletzt auch im Anschluss an den französischen Projet Socialiste (1980-83) und das jugoslawische Modell der Arbeiterselbstverwaltung. – Unserer Zeit gemäß gilt es darüber hinaus, spezielle Vorschläge zur allgemeinen gesellschaftlichen, kulturel-len und politischen Emanzipation, zu direkter Demokratie, Marktsozialismus, neuer digitaler Planung, möglichst genossenschaftlicher Organisation der Produk-tion usw. aufzuarbeiten – was man bei U. Herrmann vergeblich sucht.
Fazit: Mit U. Herrmanns Ergebnis „Abschaffung des Kapitalismus“ bin ich durch-aus einverstanden, ebenso mit ihrer Begründung angesichts der Bedrohung der gesamten Menschheit durch die Klima- und Umwelt-Krisen und -Katastrophen. Aber: Auch diese sind Teile bzw. heutige Ausprägungen dessen, was Marx „die Dauerkrise des Kapitalismus“ genannt hat, eine Krise, die sich nicht durch eine bloße „grüne Kreislaufwirtschaft“ nach dem „Vorbild“ britischer Kriegswirtschaft lösen lässt. Dies mag ein möglicher Neuansatz neben und mit anderen sein. Darüber hinaus aber bedarf es umfangreicher neuer Konzepte, die ich andernorts[4 ] ausführlich dargestellt habe. Und: Demokratischer Ökosozialismus bedeutet keineswegs zwangsläufig Enteignung oder gar totalitäre Staats- und Plan-wirtschaft! Vielmehr kann er zumindest als Vorstufe dessen gelten, was Marx das Reich der Freiheit nannte.
[...]
1 Näheres hierzu in: K. Robra: Gut und Böse. Das Gute als Ursprung und Überwindung des Bösen – oder umgekehrt? Eine neue Hypothese, München (GRIN-Verlag) 2022, S. 24 ff.
2 Vgl. Herrmann 2022 a.a.O. S. 19 ff.
3 a.a.O. S. 11 sowie in zahlreichen Interviews und sonstigen Verlautbarungen seit Ende September 2022
4 z.B. in: K. Robra: Sind die Diktatur des Proletariats und die Bürokratie das Ende des Sozialismus? Die Frage nach Auswegen aus den Sackgassen, München (GRIN-Verlag), https://www.grin.com/document/1032082, S. 112 ff.)
- Arbeit zitieren
- Dr. Klaus Robra (Autor:in), 2022, Rezension zu Ulrike Herrmanns "Das Ende des Kapitalismus", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1314596
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