Die Arbeit befasst sich intensiv und umfassend mit der Entwicklung des Objektivitätsideals in der deutschen Presse. Ausgehend von den sprachlichen Wurzeln des Begriffs Parteilichkeit wird die Herausbildung des Versuch unparteiischer Berichterstattung beleuchtet. Auf die Geschichte und Karriere des fachwissenschaftlichen Terminus Parteilichkeit wird dabei ebenso eingeganen wie auf die Realität der Berichterstattung, die den Objektivitätsanspruch nur selten vollständig einzulösen vermag.
Inhalt
1. Einleitung und Konzeption
2. Begriffsentwicklung Partei / Parteilichkeit
2.1 Die vorwissenschaftlichen Wurzeln des Begriffs Partei
2.2 Begriffsgeschichte und Analyse `Parteilichkeit´
2.3 Parteilichkeit im Journalismus
3. Objektivität im Journalismus
3.1 Ein Eingrenzungsversuch von Objektivität
3.2 Historische Entwicklung des Objektivitätsideals
3.2.1 Objektivität im deutschsprachigen Journalismus vom 16. bis zum 19. Jahrhundert
3.2.2 Objektivitätsnorm im US-Amerikanischen Journalismus
3.2.3 Objektivität im deutschsprachigen Journalismus des 20. Jahrhunderts
3.3 Journalistische Objektivität
3.4 Unparteilichkeit und Objektivität
4. Fazit
1. Einleitung und Konzeption
Im Januar 2001 reichte es dem Kanzler: Diese Art der Berichterstattung sei eine gezielte Kampagne gegen seine Regierung. Es gebe eine Reihe von Leuten, die „diesen Verlag politisch einsetzen wollen“[1], frotzelte Schröder. Adressat der harschen Kritik war die BILD-Zeitung, der eine „Schmuddelkampagne“ zugunsten der Christdemokraten vorgeworfen wurde nachdem sie genüsslich über die angeblichen Terrorkarrieren von Außenminister Fischer und Umweltminister Trittin berichtet hatte. Wenig später konterte der Verlag: Nicht Springer fahre eine Kampagne gegen Schröder, sondern Schröder gegen Springer. Der Kanzler wolle damit nur „von den Fehlern und Problemen der Regierung ablenken“[2] und „mit dem Böllerschuss auf unseren Verlag unabhängige Journalisten einschüchtern und mundtot machen“[3], die Kanzler-Attacke sei ein „Angriff auf die Pressefreiheit“[4]. Den Vorwurf, parteilich zu sein, wolle man sich auf nicht gefallen lassen.
Einseitige Berichterstattung, Parteipresse, Parteilichkeit: Was all diesen Vorwürfen gemeinsam ist, ist die Kritik journalistischer Einseitigkeit und damit der Parteilichkeit, die einer objektiven Betrachtung entgegen steht. Doch was bedeutet es, für eine Sache Partei zu nehmen und warum wird dies gerade bei Journalisten kritisiert? Woher stammen die Begriffe und warum haben sie einen derart großen Einfluss sowohl in der Umgangssprache als auch in der kommunikationswissenschaftlichen Fachsprache? Diese Fragen werde ich im Rahmen der Hausarbeit versuchen, zu beantworten.
Das Erkenntnisinteresse erstreckt sich dabei ebenso auf den Einfluss der vorwissenschaftlichen Ursprungsbedeutungen auf die heutige Kommunikations-wissenschaft wie auf die Entwicklung des Objektivitätsideals der Presse. Ziel dieser Hausarbeit ist es deshalb auch, den Objektivitätsbegriff einzugrenzen, ihn deutlich zu machen und ihn dem Begriff der Unparteilichkeit gegenüber zu stellen.
Eine Analyse sollte mit der Klärung der Begriffe beginnen. Deshalb werde ich zuerst die Entwicklung der essentiellen Termini „Partei“ und „Parteilichkeit“ darstellen und auf Unterschiede und Gemeinsamkeiten zur heutigen Verwendung eingehen.
Begriffsgeschichte und ursprüngliche Bedeutung bilden so das Grundgerüst für eine weitergehende wissenschaftliche Auseinandersetzung, die sich primär auf den entgegengesetzten Begriff der Unparteilichkeit konzentriert und an dem auch die Entwicklung des Objektivitätsideals im Journalismus nachvollzogen werden soll. Das Hauptaugenmerk liegt auf dem deutschen Sprachraum und den frühen Zeitungen, die USA werden als Vergleich herangezogen. Schließlich werden verschiedene Ansätze der journalistischen Objektivität dargestellt. Selbstverständlich gilt es bei all dem das anfangs formulierte Erkenntnisinteresse – also den Einfluss der kommunikativen Begriffswurzeln - nicht außer Acht zu lassen. Um die Resultate und Überlegungen dezidiert darstellen zu können, werde ich am Ende der Hausarbeit nochmals versuchen zu zeigen, welche Wirkung die vorwissenschaftlichen Ursprungsbedeutungen bis heute auf die Verwendung der Begriffe haben und inwieweit die Ursprungsbedeutungen für die Kommunikationswissenschaft relevant sind. Das vorletzte Kapitel beschäftigt sich deshalb mit der Unterscheidung der Begriffe Unparteilichkeit und Objektivität. Am Ende werde ich in einem Fazit die wesentlichen Punkte nochmals überblicksartig zusammenfassen.
2. Begriffsentwicklung Partei / Parteilichkeit
2.1 Die vorwissenschaftlichen Wurzeln des Begriffs Partei
Betrachtet man den Begriff `Partei´, denkt man wohl zuerst an CDU und SPD, an Wahlkampf und Kanzlerkandidaten. Unter einer Partei in diesem modernen Sinne versteht man den „organisierten Zusammenschluss von Bürgern mit gemeinsamen sozialen Interessen und polit. Vorstellungen über die Gestaltung der staatl., gesellschaftl. und wirtsch. Ordnung mit dem Ziel der Übernahme, der Behauptung bzw. der Kontrolle der Reg. des Staats“.[5] Doch diese von Demokratie und Parlamentarismus inspirierte politische Dimension des Wortes ist nur ein Teil der Bedeutungen. Denn der Begriff ´Partei` reicht historisch zurück bis in eine Zeit, in der das heutige `Parteiensystem´ nicht vorstellbar war. Nur so ist auch die umfassende Anwendung des Terminus Partei in den verschiedensten Bereichen erklärbar: vor Gericht stehen sich Parteien gegenüber, in der Wirtschaft schließen Parteien Verträge, Parteien stellen sich zur Wahl und sind Mieter von Wohnungen, Behörden laden zum Parteienverkehr, es gibt Parteiensysteme und Systemparteien, Parteigänger, Parteifreunde, Parteigegner...
Doch was ist das Verbindende des so verschiedenartig Verwendung findenden Begriffs? `Partei´ ist im Allgemeinen „eine Gruppe von Personen, die sich zusammenschließen, um gemeinsame Interessen und Zwecke zu verfolgen.“[6] Eine Partei lässt sich somit auch als Gruppe von Gleichgesinnten verstehen, die im Gegensatz zu anders Gesinnten steht. Dies erscheint insbesondere dann nachvollziehbar, wenn man die Begriffsgeschichte näher beleuchtet.
Das Wort ist vom lateinischen `pars´ im frühen Mittelalter ins Französische, Italienische und Deutsche übernommen worden.[7] `Pars´ wurde vorwiegend als eine Abtrennung vom Ganzen verstanden. Entsprechend variierten die Bedeutungen zwischen Teil, Stück, Anteil, Zugeteiltes[8] ; schon früh trat auch die Verwendung für einen Beteiligten in einem Kampfe (die Abteilung) oder für den Gegner in einem Rechtsstreit hinzu.[9] Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass sich die juristischen Begrifflichkeiten abgesehen von Ausdifferenzierungen bis heute kaum verändert haben. Man denke nur an die lateinische Redewendung „audiatur et altera pars“. Noch heute gehört das Gebot „die andere Seite zu hören“ zu den wichtigsten Rechtsgrundsätzen und spielt auch im Journalismus eine entscheidende Rolle.
Der Begriff `pars´ wurde aber nicht nur im gerichtlichen Sinne gebraucht, sondern konnte sogar ein Körper- bzw. Geschlechts teil umschreiben. Auf diesen Umstand ist womöglich auch die politische Dimension des Terminus zurückführen. Im Versuch, die dissentierenden populares nach Rom zurück zu locken, verwendete ein römischer Konsul ein Gleichnis von Leib und Gliedern des Staates - also den Körper teilen des Staates. Er nutzte dabei den Begriff `pars´, um Teilelemente der Gesellschaft zu kennzeichnen, die mit dem großen Ganzen in Konflikt standen.[10] Diesem Umstand, sei es zu verdanken, so das Historische Wörterbuch der Philosophie, dass der Begriff fortan im Politischen eine Verwendung fand, die bereits stark an die aktuelle Wortbedeutung erinnert. Gleichwohl blieb der Begriff lange Zeit mit einer negativen Konnotation behaftet, da der Terminus zum Kennzeichnen von Gesellschaftskonflikten zwischen Volk und Senat genutzt wurde. Sie standen sich als gegensätzliche `partes´ gegenüber.7 So formulierte der römische Geschichtsschreiber Sallust: „Ich meine, die Bürgerschaft zerfällt in zwei Parteien, in Senat und Volk“8. Der römische Dichter Cicero kam dem heutigen Sprachgebrauch noch näher. Er bezog „partes“ bereits auf miteinander kämpfende Politikergruppen im Senat9,10. In der Geschichtswissenschaft hielt sich bis ins 19. Jahrhundert hinein die Überzeugung, dass an eben diesem Ringen konkurrierender Interessen um die Macht – also dem „Parteiengeist“ – die römische Republik zugrunde gegangen sei.
Der Begriff und die intendierte negative Konnotation, die sich auf Konflikte, auf Kampf und Gegensätze bezieht, wurde mit Ausbreitung des römischen Reiches und der lateinischen Sprache auch in andere Regionen Europas transportiert – in England ist seitdem die Bezeichnung `party´ geläufig und sein französisches Gegenstück fand das lateinische Wort als `parti´, einem substantivierten Partizip von altfranzösisch `partir´ (teilen). Das Mittelhochdeutsche entlehnte etwa im 13. Jahrhundert das Wort aus dem Altfranzösischen und wandelte die Schreibweise in `part´ bzw. `partie´. Nach und nach bildete sich aber auch die Bezeichnung partey´ bzw. `parthey´ heraus, worin die inhaltliche Aufspaltung des Begriffs formal deutlich wird. Die Wörter `part´ bzw. `partie´ übernahmen die unverfänglichen lateinischen Ursprungsbedeutung von `Teil´, `teilen´ (man beachte etwa Zusammensetzungen wie Gesichtspartie) bzw. „im allgemeinen eine abtheilung von zusammengehörenden personen oder sachen“[12]. So ist es kaum verwunderlich, dass von einer gewissen „anzahl von thieren derselben art“[13] und von „einerlei gegenständen“[14] als `partie´ gesprochen wird. Überraschender ist vielmehr, dass `partie´ auch die Begriff war, mit dem man „personen, die zu einerlei verrichtung, zu einem bestimmten zwecke beisammen sind“[15], bezeichnete. Dazu zählten etwa die zu einer Jagdgesellschaft gehörigen Personen, oder eine im Kriegswesen vom Hauptheer getrennt operierende Streifschar.[16] Diese Verwendung von `partie´ hat sich bis in den heutigen Sprachgebrauch gehalten. Personen, die zu einem bestimmten Zwecke zusammen sind, unternehmen vielleicht eine Landpartie, oder spielen gemeinsam eine Partie Schach. Trotz gemeinsamer Wurzeln hat sich die Sprache heute dahingehend differenziert, dass zwischen Partei und Partie deutlich unterschieden wird. Das Wort `Partie´ betont dabei meiner Ansicht nach das Gemeinsame innerhalb eines abgespaltenen Teils, während die `Partei´ eher auf Gegensätze, Konflikte und Interessen zwischen den Teilen eingeht.
Deutlich wird dies beim bereits angesprochenen rechtlichen Begriffsumfeld. `Partei´ wurde in seiner Bedeutung als „Gegner in einem Rechtsstreit“ direkt aus dem Lateinischen übernommen und hat die Bedeutung bis heute gewahrt. „Partei ist derjenige, von dem oder gegen den bei Gericht Rechtschutz begehrt wird; das sind je nach Verfahrensart Kläger und Beklagte, Antragssteller und Antragsgegner, Gläubiger oder Schuldner.“[17] Insbesondere die Interessengebundenheit einer Partei fällt bei der juristischen Verwendung ins Auge. So gibt es die Zusammensetzungen „Parteivernahme“ (im Gegensatz zur unabhängigen Zeugenvernahme) oder auch die „Parteifähigkeit“. (Parteifähig ist der, der es vermag, seine Interessen vor Gericht wahrzunehmen.[18] ). Aus dieser juristischen Interpretation der Partei mag auch der wirtschaftliche Terminus stammen. Zwei Personen, die einen Vertrag miteinander schließen, wurden und werden als kontrahierende Parteien bezeichnet[19]. In diesem Sinne wurden selbst die Ehe, die Heirat und die zu heiratende Person in Bezug auf ihre Vermögensverhältnisse als Parteien gesehen, wovon noch heute die Redewendung „jmd. ist eine gute Partie“ zeugt. Inwieweit die Eheparteien sich als kontrahierende Vertragsschließende oder „als abtheilung von zusammengehörenden personen“ verstanden, kann allerdings nicht vollends geklärt werden. Ebenso konnte ich nicht ableiten, warum in diesem Zusammenhang der Begriff `Partie´ genutzt wird, zu vermuten ist, dass die einzelnen Ehepartner als Teil eines größeren Ganzen gesehen wurden.
Ausgehend von diesem familiären Hintergrund darf auch spekuliert werden, dass der Begriff `Mietpartei´ eng mit dem Verständnis einer parthey als Personenverbindung zusammen hängt. Der Begriff Mietpartei hat seine Wurzeln eventuell im Zusammenleben verschiedener Eheparteien unter einem Dach. Allerdings ist hier natürlich auch auf den rechtlichen Aspekt der vertragsschließenden Parteien einzugehen – den Mietparteien ist gemeinsam, dass sie einen Mietvertrag geschlossen haben und somit in gemeinsame Gegenposition zum Vermieter treten.
Neben diesen verschiedenen Einzelbedeutungen, blieb die `parthey´ aber auch immer eng an den römischen Politikbegriff gebunden. Als `parthey´ wurde „eine gesamtheit gleichgesinnter personen und die von ihnen vertretene richtung in religiösen, politischen, socialen oder wissenschaftlichen dingen im gegensatze zu anders gesinnten und im kampfe mit denselben“[20] verstanden. Dieser Kampf wurde jedoch nicht wie heute als fruchtbare Auseinandersetzung verschiedener Interessen verstanden, sondern bis ins 19. Jahrhundert vielfach als Egoismus einzelner Teile (Part) gegenüber dem Ganzen. Noch 1843 definierte etwa der Historiker Rosenkranz `Partei´ als „die selbstbewusste Einseitigkeit, welche das praktische Verhalten des Gemeinwesens bei seinen Gliedern in der Ungleichheit und dem aus ihr entstehenden Konflikt der Bedürfnisse hervorruft“.[21] In dieser Logik scheint es nur folgerichtig, dass der Begriff meist negativ, diskriminierend verwendet wurde. Erst an der Wende zum 20. Jahrhundert, also mit der langsamen Anerkennung der Regeln der Demokratie und der Installation parlamentarischer Repräsentativsysteme, erlangte der Begriff Partei eine wertneutrale Bedeutung.
Unabhängig davon sind zahlreiche Komposita von Partei noch immer mit der langen negativen Tradition des Parteienbegriffs besetzt. Im vorwissenschaftlichen Sprachgebrauch wird etwa die Zusammensetzung `Parteiengeist´ noch immer rein negativ verstanden. Auch die Worte `Parteigänger´, das `parteiisch sein´ oder das `Partei ergreifen´ transportieren mitunter einen pejorativen Klang. Ganz ähnlich verhält es sich mit dem Begriff der Parteilichkeit, der vielfach als Vorwurf an Medien und Journalisten gerichtet wird.
2.2 Begriffsgeschichte und –analyse Parteilichkeit
Das Wort Parteilichkeit besteht aus den drei Bestandteilen „Partei“, „lich“ und „keit“. Der Bestandteil „lich“ dient der Adjektiv- bzw. der Adverbbildung und wurde im alt- und mittelhochdeutschen als eigenständiges Wort gebraucht. Lich, ahd. lih hatte dabei die Bedeutung von `Leib´ oder `Körper´. Wird es wie bei `Parteilichkeit´ in Zusammensetzung verwendet, weist es auf die im Grundwort enthaltene Intention hin und verstärkt diese. Bei der Nachsilbe –keit verhält es sich ganz ähnlich. Sie geht zurück auf das gotische Wort haidus, das ursprünglich ebenfalls als Substantiv in der Bedeutung von Wesen, Beschaffenheit, Rang oder Stand gebraucht wurde. Mit der Entwicklung der Sprache wurde haidus nach und nach zu einer Nachsilbe, die der Abstraktbildung dient. Die Silben –lich- und –keit- verstärken also die im Grundwort Partei enthaltene negative Bedeutung und abstrahieren gleichzeitig den Begriff. Damit wird deutlich, warum in Grimms Wörterbuch für den Begriff zwei negative Umschreibungen aufgeführt werden. Zum einen bedeutet Parteilichkeit danach „die spaltung in parteien, die uneinigkeit“[22], zum anderen „die einseitige parteinahme, das parteilichsein und eine parteiliche handlung“[23].
Die oben skizzierte Bedeutung des Wortes Partei hat sich somit in `Parteilichkeit´ noch verschärft. Doch während sich der Begriff Partei wie dargestellt von seinem pejorativen Gebrauch lösen konnte, haftet der Zusammensetzung in der Umgangssprache noch immer der „Vorwurfscharakter“ an. So definiert Meyers Konversationslexikon Parteilichkeit als „die einseitige Parteinahme, rücksichtslose, meist tadelnswerte Hinneigung zu einer Partei und ihrem Interesse, im Gegensatz zur Unparteilichkeit, die für ein Gründe und Gegengründe abwägendes Urteil notwenig ist“.
Die Erkenntnis, dass es in vielen Disziplinen und insbesondere den Wissenschaften der Unparteilichkeit bedarf, reicht bis in die Antike zurück.[24] Unparteilichkeit galt als das Mittel, um Wirklichkeit und Wahrheit abzubilden bzw. zu Tage zu fördern. Nun könnte eingewendet werden, dass etwa im Mittelalter durchaus eine parteiliche Sicht der Dinge vorherrschte. Nun liegt es aber in der Natur der Sache, dass, wann immer sich ein parteilicher Standpunkt durchsetzt, man diesen wohl kaum als „parteilichen“, sondern eben als „richtigen“ Standpunkt kennzeichnen wird und dies insbesondere, wenn man bedenkt, dass das Wort `parteilich´ fast schon als Schimpfwort benutzt wurde. Allerdings wird in solchen parteiischen Zeiten wohl auch weniger von Unparteilichkeit gesprochen. Vor allem vom Humanismus bis zur Aufklärung wurde auf das antike Unparteilichkeitsgebot rekurriert. Der Historiker Wachsmuth zeichnete zum Beispiel 1820 das humanistische Bild des unparteilichen Historikers: „Entwunden allen Banden der Nationalität, ... allen Lockungen und Ansichten der Parthei, des Standes, aller Befangenheit durch Glauben, frei von Vorurtheilen und von Affekten, ... von Leidenschaften bildet er ein Werk für die Ewigkeit.“[25]
Wenngleich Unparteilichkeit bis heute ein essentielles Mittel wissenschaftlichen Arbeitens ist[26], wird seit der Mitte des 19. Jahrhunderts – also etwa auch in der Zeit als der Begriff Partei einem Bedeutungswandel unterlag – intensiver über die Einlösbarkeit der geforderten Unparteilichkeit diskutiert.[27] Zum Vergleich sei wiederum ein Historiker zitiert:, wiederum Historiker: „Freilich müssen“, schrieb 1844 A. Schmidt, „... in der Wissenschaft wie in der Politik Parteien walten, weil ohne sie nirgend Leben und Entwicklung ist. Aber diese geistigen Besonderheiten müssen sich zu einem höheren Ganzen zusammenfassen, ... denn erst aus dem Zusammenwirken vieler Richtungen bildet sich die Gesammtstärke der Wahrheit.“[28]
So ist es auch nachvollziehbar, dass der bislang pejorativ genutzte Begriff der Parteilichkeit, wenn auch nicht vollständig „rehabilitiert“, so doch ab der Mitte des 19. Jahrhunderts zunehmend wertneutraler benutzt wurde. So werden in der Wissenschaft heute Parteilichkeit und Objektivität nicht mehr zwangsläufig als Gegensätze, sondern zusehends als Spannungsverhältnis verstanden. Mit `Parteilichkeit´ ist dabei aber zwangsläufig keine dogmatische Perspektivenverengung in allen Bereichen des Lebens gemeint, wie es der in der Deutschen Demokratischen Republik genutzte Begriff nahe legt[29], sondern als Ausdruck für eine nach außen deutliche Standortgebundenheit, Perspektivität und Selektivität.
In der Umgangssprache bleibt der Terminus jedoch negativ besetzt. Dabei ist allerdings zu bedenken, dass Parteilichkeit eine Notwendigkeit ist, sobald in der Gesellschaft verschiedene Interessen aufeinander prallen und kann in diesem Zusammenhang verstanden werden als „die bewusste oder unbewusste, manifeste oder latente, theoretische wie praktische Parteinahme zugunsten von bestimmten Personen oder Personengruppen, polit. oder gesellschaftlichen Organisationen, Ideologien oder Zwecken, die überall da eintritt, wo in einer (gruppenmäßig) differenzierten Gesellschaft Interessenverhältnisse vorhanden sind ...“.[30] Parteilichkeit ist damit Voraussetzung zur Einordnung und zur Artikulation von Meinungen. Sie ist also trotz der negativen umgangssprachlichen Nutzung nicht zwangsläufig auch inhaltlich negativ zu bewerten. Zu Recht wird Parteilichkeit dagegen immer dann kritisiert, wenn notwendige Unabhängigkeit verletzt wird – etwa bei einem Gerichtsverfahren, bei Ausschreibungen für Aufträge, bei Wettkampfentscheidungen und zumindest teilweise auch im Journalismus.
[...]
[1] zitiert nach: Der Tagesspiegel vom 27.01.2001, Die Mundtotmacher. Der Axel-Springer-Verlag und die Gerhard-Schröder-Regierung beschimpfen einander, S. 35.
[2] ebd.
[3] ebd.
[4] ebd.
[5] Meyers neues Lexikon: in 10 Bänden, Band 7, Mannheim, Leipzig, Wien, Zürich, 1993, S. 337.
[6] Der Duden, Etymologie: Herkunftswörterbuch der deutschen Sprache, Mannheim / Leipzig / Wien / Zürich, 1997, S. 512.
[7] vgl. Ritter, Joachim / Gründer, Karlfried (Hrsg): Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 7, Darmstadt 1974, S. 134.
[8] Grimm, Jacob und Wilhelm: Deutsches Wörterbuch, München 1984, S. 1465ff.
[9] ebd. S. 1466.
[10] vgl. Ritter / Gründer: Historisches Wörterbuch der Philosophie, S. 134.
7 vgl. ebd. S. 134.
8 zitiert nach: ebd. S. 134.
9 vgl. ebd. S. 134.
10 Austauschbar blieb der Begriff `partes´damit aber auch mit ähnlichen Bezeichnungen für Politikergruppen – etwa `factio´ - der Fraktion. In lateinischen Texten soll die Verwendung der Worte `pars´ und `factio´ an keine anderen Regeln als die der rhetorischen Abwechslung gebunden wesen sein. (vgl. Ritter / Gründer: Historisches Wörterbuch der Philosophie, S. 134.)
[12] Grimm, Jacob und Wilhelm: Deutsches Wörterbuch, München 1984, S. 1466.
[13] ebd. S. 1467.
[14] ebd. S. 1467.
[15] ebd. S. 1466.
[16] vgl. ebd. S. 1467.
[17] Creifelds, Carl: Rechtswörterbuch, München 1999, S. 343.
[18] vgl. Gablers Wirtschaftslexikon, Wiesbaden 1988, S. 809.
[19] Grimm, Jacob und Wilhelm: Deutsches Wörterbuch, München 1984, S. 1467.
[20] ebd. S. 1467.
[21] vgl. Ritter / Gründer: Historisches Wörterbuch der Philosophie, S. 135.
[22] Grimm, Jacob und Wilhelm: Deutsches Wörterbuch, S. 1472.
[23] ebd. S. 1472.
[24] vgl. Ritter / Gründer: Historisches Wörterbuch der Philosophie, S. 138.
[25] vgl. ebd. S. 139.
[26] Man denke etwa an das von Max Weber diskutierte Wertfreiheitspostulat bzw. auch den Positivismusstreit.
[27] vgl. Ritter / Gründer: Historisches Wörterbuch der Philosophie, S. 138.
[28] vgl. ebd. S. 141.
[29] Parteilichkeit wurde im Marxismus-Leninismus sowohl als Voraussetzung für die `richtige Erkenntnis` als auch als Pflicht der Bevölkerung verstanden. (vgl. Historisches Wörterbuch der Philosophie, S. 144.) In einem DDR-Wörterbuch findet sich für `parteilich´ deshalb folgende Umschreibung: „bewußt und entschieden für die Sache der Arbeiterklasse, für den Soz. und den gesellschaftlichen Fortschritt Partei ergreifend.“ (Klappenbach, Ruth / Steinitz, Wolfgang (Hrsg.): Wörterbuch der Deutschen Gegenwartssprache, Berlin 1970, S. 2744.)
[30] Kluge, Friedrich: Etymologisches Wörterbuch, Berlin, New York 1999, S. 468.
- Citation du texte
- Henryk Hielscher (Auteur), 2002, Parteilichkeit und Unparteilichkeit im Journalismus, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/13136
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