Anhand der "Diggers" bzw. "True Levellers" wird ein radikaler Diskurs im Rahmen des englischen Bürgerkriegs aufgezeigt. Die Kernthese lautet, dass erst der Zusammenbruch der staatlichen Gewalt nach dem Tod bzw. Sieg über Karl I. eine solche Radikalität ermöglichte. Dazu werden einige wichtige Elemente des englischen Bürgerkriegs bzw. der englischen Revolution kurz dargestellt, um am Schluss die Frage in den Raum zu stellen, inwieweit agrarkommunistische, utopische Konzeptionen auch in weiteren Kontexten entstehen können.
Poor English Israelites: Politischer Radikalismus im England des 17. Jh.
Wie alt ist Kapitalismuskritik? Älter als der Kapitalismus selbst, könnte meinen, wer sich mit den Diggers, einer radikalen agrar(kommunistischen) Gruppe im englischen Bürgerkrieg beschäftigt. Diese vertraten lange vor dem 19. Jh. und den sozialistischen Theoretikern Ideen gemeinschaftlichen Eigentums unter vollständiger Ablehnung des Privateigentums, und zwar mit kommunistisch/anarchistischen Implikationen. Die Diggers gingen weiter als die Verteidiger des „Common Land“, also des Gemeindeeigentums, da sie dieses als einzig gültige Besitzform anerkannten. Die im Anschluss aufgeworfene Frage soll sein, ob dieses vielleicht ein bei „Commoners“, also grob gesprochen Mitgliedern der Nicht-Elite, weiter als gemeinhin angenommener Gedanke war, ob also das Privateigentum wirklich so weithin akzeptiert war.
Diese Gedankenansätze zum politischen Radikalismus sind in das Umfeld des englischen Bürgerkrieges eingebettet, der in einem kurzen Abriss über dessen historiographische Bewertung widergegeben ist. Insofern die folgende Beschreibung des englischen Bürgerkriegs länger ist als die Vorstellung der Diggers selbst, so ist dies durchaus beabsichtigt, da hier der These Christopher Hills gefolgt wird, wonach überhaupt erst im englischen Bürgerkrieg genügend Stützpfeiler der sozialen Ordnung eingerissen waren, um Diskurse wie jene der Diggers zuzulassen. Es geht also nicht minder um die Rahmenbedingungen, unter denen Levellers und Diggers agierten, als um deren Gedankengut selbst.
I
Kunstvoll wurde von Historikern der Whig-Tradition die englische Identität auf Grundlage evolutionärer Entwicklung hin zur parlamentarischen Monarchie durch moderate Schritte konstruiert. Der Marxist Christopher Hill stellte ab den 1940er Jahren diese Sichtweise in Frage und versuchte, den englischen Bürgerkrieg als bürgerliche Revolution im marxistischen Sinne zu interpretieren. Aus ideologischen Gründen wählte er daher den Begriff der englischen Revolution. Diese fruchtbare Provokation führte zu einer weitgehenden Neuinterpretation der englischen 1640er Jahre, die den Whigs ihr liebgewonnenes Bild der natürlichen, moderaten Evolution Englands mit ihnen selbst als Zentralakteur streitig machte, Hill aber auch dazu zwang, seine Sichtweise zu differenzieren. In seinen folgenden Arbeiten konzentrierte er sich immer stärker auf den Puritanismus als Konfession mit sozialem Sprengpotenzial[1] und ordnete die Kämpfe des 17. Jh. in England nicht mehr verkürzt als reinen Klassenkonflikt im marxistischen Sinne ein.
Seine Kernthese verschob sich nun in die Richtung, in der uns heute fremd wirkenden Prädestinationslehre ein revolutionäres Element zu sehen. Kurz gesagt ist der Gedankengang der Folgende: ein König kann kein König von Gottes Gnaden mehr sein, wenn eine auserwählte Gruppe Protestanten mit Heiligkeits- und Erlösungsanspruch auftritt. Wer sich als Teil einer Gemeinschaft der Heiligen, der Auserwählten, begreift, ist nicht mehr in der Rolle eines Befehlsempfängers. Damit ist die Prädestination in ihrer Sprengwirkung nicht minder revolutionär als Luthers „Predigertum aller Gläubigen“. Die skizzierten politischen Wirkungen ihrer Lehren mag nicht im Sinne Calvins bzw. Luthers gewesen sein, jedoch sind deren politische Absichten unerheblich, wenn es um die mögliche Rezeption ihrer Lehren geht.
Einen Schritt weiter gedacht, ist der Arminianismus, der die Prädestinationslehre ablehnte, eine logische Antwort der Krone. In der Lithurgie tendenziell (und spätestens in der Person Karls II. mehr oder minder offen) katholisch, trachtete der Arminianismus, auf noch bestehende religiöse Prägungen und Konservatismen der englischen Bevölkerung zurückgreifen zu können und wichtige Neuerungen der Reformation zurückzunehmen. Die priesterfixierte Abendmahlszeremonie und autoritäre Kirchenverfassung der Arminianer, die eine Stärkung der Bischöfe (anstelle einer synodalen Ordnung) vorsah, war dementsprechend die logische Konsequenz der Parole, die Karls Vorgänger Jakob I. ausgegeben hatte: „No bishop, no king“. Wer den Bischof in Frage stellte, stellte damit auch den König in Frage. Jakob hatte damit lediglich den kirchenverfassungsrechtlichen Gestaltungsanspruch der Puritaner zurückgewiesen, den Kern der Machtfrage aber erkannt.
Das gesellschaftliche und kirchliche Reformprogramm der Puritaner stellte nach Hill Autorität in Frage und stand in Gefahr, scheinbar naturgegebene Grundsätze in Frage zu stellen. Nicht umsonst ätzte eine arminianische Kritik an den radikalen puritanischen Neuerungen im Bürgerkrieg mit den Worten: „When women preach and cobblers pray, the fiends in hell make holiday.“ (Wenn Frauen predigen und Schuster [vor]beten, ist das der höllischen Dämonen Fete).
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[1] Während Weber sich auf die protestantische Arbeitsethik konzentrierte und diese als Entstehungsbedingung für den Kapitalismus als wirtschaftliche Ordnung sah, leistete Hill, wenn auch Webers Annahmen inzwischen teilrevidiert sind, den nicht minder bemerkenswerten Beitrag, den Puritanismus als politische Entstehungsgrundlage des Kapitalismus zu analysieren.
- Arbeit zitieren
- Nicholas Williams (Autor:in), 2009, Poor English Israelites: Politischer Radikalismus im England des 17. Jahrhunderts, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/131362
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