In der vorliegenden Arbeit wird der Frage nachgegangen, warum institutionelle Diskriminierung gegenüber SuS mit Migrationshintergrund im deutschen Schulsystem vor allem an den Übergangsschwellen der Primarstufe (Einschulung, Umschulung sowie Übergang an die weiterführenden Schulen) geschieht und welche Mechanismen dabei greifen. Außerdem wird die Hypothese aufgestellt, dass an den genannten Übergangsschwellen eine gravierende Ungleichbehandlung stattfindet, die den weiteren Verlauf der Schul- und Lebenslaufbahn der SuS mit Migrationshintergrund maßgeblich beeinflusst und vorgibt.
Demzufolge ist das Ziel der vorliegenden Arbeit, die komplexen und nur schwer messbaren Mechanismen der institutionellen Diskriminierung an den Übergangsstufen der Primarstufe aufzudecken und darzulegen, sodass die Eingangshypothese in Form eines aktuellen Befunds über die Ungleichbehandlung von SuS mit Migrationshintergrund sowie dem Versuch einer Erklärung hierfür bestätigt werden kann. Darüber hinaus wird aus dieser Arbeit erhofft, dass darauf aufbauend ein besseres Verständnis für diese Thematik aufgebaut werden kann, sodass der Blick der LehramtsanwärterInnen hinsichtlich ihrer zukünftigen Arbeit an der Institution Schule dahingehend geschult werden kann und sie somit zu einer Reflektion bzw. Auseinandersetzung mit diesem Thema angeregt werden.
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
1. Einleitung
2. Diskriminierung
2.1 Begriffsklärung
2.2 Diskriminierungsformen
2.3 Diskriminierungsebenen
3. Institutionelle Diskriminierung
3.1 Begriffsklärung
3.2 Direkte und indirekte institutionelle Diskriminierung
4. Schwellen institutioneller Diskriminierung im Primarbereich
4.1 Einschulung
4.2 Umschulung
4.3 Übergang zur Sekundarstufe
5. Mechanismen und Erklärungsansätze
5.1 Schuleinzugsbezirke
5.2 Sprachkompetenz
5.3 Ethnische Herkunft
5.4 Soziale Herkunft
6. Zusammenfassung und Fazit
7. Literaturverzeichnis
7.1 Internetverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1 : Typen diskriminierenden Verhaltens
Abbildung 2 : Entscheidungsmuster Schulkindergarten zum Spracherwerb
Abbildung 3 : Entscheidungsmuster Separate Vorbereitungs-Klassen Spracherwerb
Abbildung 4: Entscheidungsmuster fehlende Kindergartenzeiten
Abbildung 5: Entscheidungsmuster Sprachdefizite
Abbildung 6 : Entscheidungsmuster kulturelle Segregation/mangelnde Integration
Abbildung 7: Entscheidungsmuster Überalterung an der Grundschule
Abbildung 8 : Entscheidungsmuster Überweisung aus A-, F- und V-Klassen
Abbildung 9 : Entscheidungsmuster latente Sprachdefizite
Abbildung 10: Entscheidungsmuster zweite Fremdsprache
Abbildung 11: Entscheidungsmuster elterliche Lernbedingungen
Abbildung 12: Entscheidungsmuster Mitarbeit der Eltern
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Diskriminierungsformen
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1. Einleitung
„Niemand darf wegen seines Geschlechts, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden [...]“ (Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Artikel 3, Absatz 3).
Im Grundgesetz der deutschen Bundesrepublik steht der Grundsatz der Gleichbehandlung geschrieben, welcher gleichermaßen die SuS, vor Diskriminierungen auf der Schulebene bzw. durch deren VertreterInnen, schützen sollte. Nachdem die EU zunächst die Antidiskriminierungsgesetze bestimmt hat (vgl. EU 2000; EU 2000b; ECRI 2002; zit. n. Gomolla 2010, S.61), wurden auf Druck der EU hin in Deutschland erst mit dem AGG im Jahr 2006 auch die juristischen Grundlagen geschaffen, um Betroffene umfassender vor Diskriminierungserfahrungen schützen sowie auch ein rechtliches Vorgehen dagegen möglich machen zu können (vgl. Foitzik 2019, S.12). Ein Blick auf die Realität des Schulalltags zeigt allerdings sehr schnell, dass die Gleichbehandlung aller SuS trotz der Gesetzeslage noch immer ein weit entferntes Idealbild darstellt. Vor allem für nicht deutsche SuS, sogenannte SuS mit Migrationshintergrund, scheint der Weg der Schullaufbahn von Anfang an mit großen Stolpersteinen bepflastert zu sein. Einen der Hauptuntersuchungsgegenstände dieser Arbeit stellt die von Gomolla und Radtke (2009) zum Thema der institutionellen Diskriminierung durchgeführte und auf die Grundschule konzentrierte Fallstudie dar, die in den 1990er Jahren an Bielefelder Schulen durchgeführt worden ist (vgl. Gomolla 2010a, S.91).
In der vorliegenden Arbeit wird daher der Frage nachgegangen, warum institutionelle Diskriminierung gegenüber SuS mit Migrationshintergrund im deutschen Schulsystem vor allem an den Übergangsschwellen der Primarstufe (Einschulung, Umschulung sowie Übergang an die weiterführenden Schulen) geschieht und welche Mechanismen dabei greifen. Außerdem wird die Hypothese aufgestellt, dass an den genannten Übergangsschwellen eine gravierende Ungleichbehandlung stattfindet, die den weiteren Verlauf der Schul- und Lebenslaufbahn der SuS mit Migrationshintergrund maßgeblich beeinflusst und vorgibt. Demzufolge ist das Ziel der vorliegenden Arbeit, die komplexen und nur schwer messbaren Mechanismen der institutionellen Diskriminierung an den Übergangsstufen der Primarstufe aufzudecken und darzulegen, sodass die Eingangshypothese in Form eines aktuellen Befunds über die Ungleichbehandlung von SuS mit Migrationshintergrund sowie dem Versuch einer Erklärung hierfür bestätigt werden kann. Darüber hinaus wird aus dieser Arbeit erhofft, dass darauf aufbauend ein besseres Verständnis für diese Thematik aufgebaut werden kann, sodass der Blick der LehramtsanwärterInnen hinsichtlich ihrer zukünftigen Arbeit an der Institution Schule dahingehend geschult werden kann und sie somit zu einer Reflektion bzw. Auseinandersetzung mit diesem Thema angeregt werden.
Die Arbeit ist in fünf Teile gegliedert. Die ersten beiden Teile dienen dazu, zunächst eine grundsätzliche Begriffsklärung für die theoretischen Grundlagen zu schaffen. Der dritte Teil soll einen kompakten Einblick in das zentrale Thema der Arbeit, der institutionellen Diskriminierung, gewähren. Im vierten Kapitel werden die drei wesentlichen Übergangschwellen in der Grundschule näher vorgestellt und erläutert. Auf die vorherigen Kapitel aufbauend wird dann im fünften Teil die sukzessive Darstellung der greifenden Mechanismen der institutionellen Diskriminierung sowie deren Erläuterung im Mittelpunkt stehen. Im folgenden Kapitel des theoretischen Teils wird zunächst versucht, den komplexen Begriff der Diskriminierung näher zu bestimmen, um daraufhin die spezifische Ebene der institutionellen Diskriminierung besser durchleuchten zu können. Die beiden vorangehenden Kapitel sollen eine erste Grundlage für die darauffolgende Darstellung der einschneidenden Übergangsschwellen der Einschulung, der Umschulung auf die Sonderschule und den Übergang zur weiterführenden Schule, an denen institutionelle Diskriminierung in der Primarstufe besonders stattfindet, schaffen. Hierbei werden die einzelnen Übergangschwellen näher beleuchtet und ausgewählte Entscheidungs- und Begründungsmuster der AkteurInnen auf der institutionellen Ebene anhand von Fallbeispielen der Untersuchung von Gomolla und Radtke (2009) näher expliziert. Im fünften Teil stehen die Mechanismen, die an den zuvor genannten Übergangschwellen stattfinden und greifen, im Fokus. Darüber hinaus werden einige der bisher wissenschaftlich erarbeiteten Erklärungsansätze für eben diese Mechanismen kategorisch aufgezählt und dargestellt. Im Anschluss daran soll im Fazit zur Beantwortung der einleitenden Frage und These hingeführt und die zentralen Aspekte der Arbeit zusammengefasst werden, worauf ein abschließender Ausblick folgt.
Von der Bemühung in der Arbeit unbedingt stets die männliche sowie die weibliche Form zu verwenden, wurde in ein paar Fällen aus Gründen der besseren Lesbarkeit abgesehen. Auch in diesen Fällen sind immer alle Geschlechter gemeint und dementsprechend ist die weibliche Form mitzudenken.
2. Diskriminierung
2.1 Begriffsklärung
Das Verb diskriminieren stammt aus dem Lateinischen (discriminare) und bedeutet wortwörtlich trennen oder absondern. Spricht man im heutigen Alltagskontext von Diskriminierung bzw. der Ausübung des Diskriminierens, ist eine benachteiligende Handlung oder ein abwertendes Sprechen gemeint, das aus negativen Gefühlen oder Vorurteilen gründet (vgl. Scherr 2017, S.40).
Das AGG, das am 14. August 2006 verabschiedet worden ist, hat das Ziel, Menschen vor Ungleichbehandlungen aufgrund der Rasse bzw. ethnischen Herkunft, des Alters, der Religion oder Weltanschauung, des Geschlechts, der sexuellen Identität oder einer Behinderung zu schützen (vgl. Antidiskriminierungsstelle des Bundes 2019a, S.6). Mittels dieses Gesetzes wurde eine rechtliche Grundlage geschaffen, um sowohl im privaten als auch im institutionellen bzw. beruflichen Bereich juristisch gegen Diskriminierungen vorgehen zu können. Die Ungleichbehandlung eines Menschen aufgrund einer der zuvor genannten Merkmale ist nach diesem Gesetz maßgeblich unzulässig. Diese rechtlichen Grundlagen gelten gleichermaßen für den Bereich der Bildung (vgl. Antidiskriminierungsstelle des Bundes 2019a, S.67). Nichtsdestotrotz kann aus der rechtlichen Verständnisgrundlage von Diskriminierung keine adäquate Handlungsanleitung für den pädagogischen Alltag gefolgert werden. Diese Auffassung von Diskriminierung allein schafft es nicht herauszustellen, weshalb Menschen diskriminierende Verhaltensmuster aufweisen und durch welche Mechanismen Institutionen Diskriminierungspraxen kultivieren. Des Weiteren wird ebenso kein Einblick in die Diskriminierungserfahrungen gewährt, welchen die Menschen dauerhaft ausgesetzt sind (vgl. Foitzik 2019, 13).
Ebenfalls die sozialpsychologischen Konzepte der Diskriminierung können diese nicht ausreichend beschreiben. Sie konzentrieren sich vorrangig auf die Stereotypen- und Vorurteilsbildung durch Individuen und Gruppen, die zu einem ausgrenzenden Verhalten führen sowie deren Relation mit Charakterstrukturen und familialen Erziehungsstilen. Auch hier wird der gesellschaftsstrukturellen Verankerung des Diskriminierungsbegriffs zu wenig Beachtung geschenkt (vgl. Scherr 2017, S.40; Foitzik 2019, S.13).
Demgegenüber stellt der Diskriminierungsbegriff als soziales Phänomen laut Foitzik im wörtlichen Sinn „das Unterscheiden von Personengruppen, spezifischer: ein Unterscheiden, das Gruppen zu Gruppen macht, Hierarchien zwischen Gruppe herstellt und begründet und damit Menschen ausgrenzt und/oder benachteiligt“ (Foitzik 2019, S. 12) dar. Sowohl Foitzik als auch Scherr betonen außerdem, dass die diskriminierenden Handlungsweisen in der sozial- wissenschaftlichen Diskussion nicht vorrangig vom Individuum ausgehen, sondern ein tief in die Strukturen der Gesellschaft verankertes Phänomen erfassen. Im Fokus dieser Betrachtungsweise stehen diejenigen Strukturen, die kulturelle, politische und sozioökonomische Ungleichbehandlung bzw. Privilegierung hervorbringen. Der Mensch wird in diesem Kontext als handlungsfähiges Subjekt angesehen, das sich zu den Lebens- und zugeteilten Machtverhältnissen in denen es sich bewegt, verhältnismäßig in Relation setzt und aktiv agiert (vgl. Foitzik 2019, S.12; Scherr 2017, S.40). Die Entstehung diskriminierender Wirkungsweisen wird „einerseits durch die Verweigerung eines Rechtes, einer Dienstleistung oder einer Sache und andererseits durch das Bestreiten des gleichen Wertes der diskriminierenden Person“ (Erben 2009, S.38; zit. n. Jenessen et al. 2013, S.18; zit. n. Gomolla 2016, S.73) verursacht.
Heutzutage sind vor allem Minderheiten, die anhand verschiedener Merkmale detektiert werden, Zielscheibe von Diskriminierungshandlungen. Vor allem Religion, Sprache, Nationalität und Hautfarbe sind die Merkmale, anhand derer im aktuellen Kontext ein Unterschied zwischen betroffenen MigrantInnen in den Europäischen Staaten hergestellt wird (vgl. Gomolla/Radtke 2009, S. 16). In der sozialwissenschaftlichen Diskriminierungsforschung wird zwischen verschiedenen Diskriminierungsformen und -ebenen unterschieden, die im Folgenden näher elaboriert werden.
2.2 Diskriminierungsformen
Grundsätzlich wird zwischen den beiden Grundformen der unmittelbaren, d.h. der direkten Diskriminierung und der mittelbaren, d.h. der indirekten Diskriminierung unterschieden. Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes beschreibt die unmittelbare Diskriminierung als eine Form der Diskriminierung, in der die betroffene Person aufgrund eines eigentlich gesetzlich geschützten Merkmals wie z.B. der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder des Alters, eine schlechtere Behandlung als eine direkte Vergleichsperson erlebt (vgl. Antidiskriminierungsstelle des Bundes 2019b, S.9; Antidiskriminierungsstelle des Bundes 2019a, S.8). Als Beispiel hierfür können schulische Bewertungssituationen aufgeführt werden, in denen SuS mit Migrationshintergrund trotz gleicher Leistungen eine schlechtere Schulnote erhalten als ihre MitschülerInnen ohne Migrationshintergrund (vgl. ebd., S.9).
Unter der mittelbaren Diskriminierung verstehen die Autoren Situationen, in denen Regelungen, Vorschriften und Verhaltensweisen, die vermeintlich neutral wirken sollen, durch ihre Allgemeingültigkeit dennoch bestimmte Personengruppen sehr stark benachteiligen (vgl. Antidiskriminierungsstelle des Bundes 2019b, S.9; Antidiskriminierungsstelle des Bundes 2019a, S.8.). Als Beispiel hierfür wird das Trageverbot jeglicher Kopfbedeckungen im Schulunterricht aufgeführt. Trotz der Allgemeingültigkeit dieses Verbotes sind indessen hauptsäch- 4 lich muslimische oder jüdische Mitschülerinnen betroffen, die aus religiösen Gründen in der Regel eine Kopfbedeckung bzw. eine Kippa tragen (vgl. ebd., S.9).
2.3 Diskriminierungsebenen
Die Ungleichbehandlung bestimmter Personengruppen bewegt sich dennoch nicht nur auf den zuvor erwähnten Diskriminierungsformen, sondern findet darüber hinaus auf unterschiedlichen, miteinander interagierenden Diskriminierungsebenen statt. in der allgemeinen Literatur sowie im sozialwissenschaftlichen und juristischen Diskurs wird grundsätzlich zwischen den drei Ebenen der individuellen, der strukturellen und der institutionellen Diskriminierung differenziert. Diese Abgrenzungen sollen dabei helfen, analytische Unterscheidungen treffen zu können. So können Diskriminierungsinhalte wie Strukturen, Praktiken, Motive und Folgen prägnant dargestellt und theoretisch fundiert erklärt werden (vgl. Gomolla 2016, S.74-75). Gomolla betont in diesem Zuge, dass die verschiedenen Ebenen, die in der Theorie unterschieden werden in der Realität in ihrer „Reinform“ (Dovidio et. Al 2010; zit. n. Gomolla 2016, S.75) nur selten vorkommen (vgl. ebd., S.75). Durch die interaktion der Ebenen sind diese analytisch nicht immer eindeutig voneinander zu trennen, da sie sich zum Teil wechselseitig bedingen und ineinandergreifen (vgl. Antidiskriminierungsstelle des Bundes 2019b, S.10; Hormel/Scherr 2005, S.28).
Unter der individuellen Diskriminierung wird die Ungleichbehandlung verstanden, die sich auf das Verhalten zwischen Individuen bezieht. In diesem Kontext werden einzelne Personen aufgrund einer sozial gewählten Zuschreibung der Andersartigkeit bzw. bestimmter Vorurteile ausgegrenzt oder abgewertet (vgl. Antidiskriminierungsstelle des Bundes 2019b, S.10; Hormel/Scherr 2005, S.27). Ein Beispiel für die individuelle Diskriminierung ist ein Schüler mit homosexuellen Eltern, dessen Lehrerin ihn immer wieder dazu auffordert davon zu erzählen, inwiefern seine Familie anders als eine „normale“ Familie ist (vgl. Antidiskriminierungsstelle des Bundes 2019b, S.10).
Von struktureller Diskriminierung wird gesprochen, wenn die Ungleichverteilung von Ressourcen in einer gesellschaftlichen Struktur, bestimmte Personengruppen benachteiligen. Diese Strukturen sind vor allem in ökonomischen und politischen Strukturen verankert (vgl. Antidiskriminierungsstelle des Bundes 2019b, S.10; Hormel/Scherr 2005, S.28). Dieser Fall liegt beispielweise dann vor, wenn die Gesellschaftsstruktur dazu führt, dass Bildungseinrichtungen in einem bestimmten Stadtteil eine vergleichsweise geringe Qualität aufweisen und sich in dieser Umgebung vor allem sozial schwache oder Familien mit Migrationshintergrund befinden. Durch diese Ungleichverteilung der Bildungsressourcen werden primär eben diese Familien benachteiligt (vgl. Antidiskriminierungsstelle des Bundes 2019 b, S.10).
Im Zusammenhang mit der strukturellen Diskriminierung spricht man häufig auch von der institutionellen Diskriminierung. Dies erklärt sich daraus, dass die strukturelle Diskriminierung Praktiken der institutionellen Diskriminierung, d.h. Verfahrensweisen, die durch organisationsspezifische oder juristische Erwartungsstrukturen legitimiert werden, beinhaltet (vgl. Hormel/Scherr 2005, S.28). Da der Schwerpunkt dieser Arbeit auf der institutionellen Diskriminierungsebene liegt, die im deutschen Kontext sowohl rechtlich als auch politisch zunehmend an Relevanz dazugewonnen hat, wird diese im nachfolgenden Kapitel ausführlich erläutert (vgl. Gomolla 2016, S.74).
Hormel und Scherr haben im Folgenden eine tabellarische Übersicht über Formen struktureller, institutioneller und interaktioneller Diskriminierung zusammengefasst:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Diskurse und Ideologien als übergreifender Rahmen, der Begründungen und Rechtfertigungen für diskriminierende Strukturen und Praktiken bereitstellt
Tabelle 1: Diskriminierungsformen nach Hormel/Scherr
Quelle: Eigene Darstellung in Anlehnung an Hormel/Scherr 2005, S. 27
Des Weiteren fügen Hormel und Scherr in diesem Zusammenhang hinzu, dass die Diskriminierung als Gruppenpraxis in Kombination mit der individuellen Diskriminierung als interaktionelle Diskriminierung beschrieben werden kann. Die Grundlage der interaktionellen Diskriminierung gründet sowohl aus Vorurteilen und Deutungsmustern als auch aus benachteiligenden Absichten, die ohne eine bewusste Absicht zu Diskriminierungen führen können (vgl. Hormel/Scherr 2005, S.28).
3. Institutionelle Diskriminierung
3.1 Begriffsklärung
In den folgenden beiden Unterkapiteln wird einleitend der theoretische Bereich der institutionellen Diskriminierung vorgestellt, sodass im Anschluss daran ein besseres Verständnis für ihre Wirkungsweise im deutschen Schulsystem exemplifiziert werden kann. Hierbei wird im ersten Unterkapitel eine Annäherung an eine Definition sowie die Geschichte der Entstehung des Begriffes bzw. der Auffassung der institutionellen Diskriminierung thematisiert. Im Anschluss daran folgt im zweiten Unterkapitel eine Unterscheidung der Formen der direkten und indirekten institutionellen Diskriminierung nach Feagin und Booher Feagin (1986).
Unter institutioneller Diskriminierung versteht man „Praktiken der Herabsetzung, Benachteiligung und Ausgrenzung von sozialen Gruppen und ihnen angehörigen Personen auf der Ebene von Organisationen und der in ihnen tätigen Professionen [...]“ (Gomolla 2017, S.134). Der Begriff der institutionellen Diskriminierung hebt dabei hauptsächlich auf anonyme Handlungen von organisatorischer, berufskultureller oder gesellschaftlicher Natur ab, die zu benachteiligenden Wirkungen führen können. Die besagte Anonymität gelingt hierbei insofern, als dass die beteiligten Akteure die Existenz von Rassismus und Sexismus in ihren Praktiken leugnen und sich dabei selbst aus der Verantwortung der daraus resultierenden Folgen ziehen können (vgl. Gomolla/Radtke 2009, S.43). Die Perspektive der institutionellen Diskriminierung zielt in einer analytischen Abgrenzung von einer historischsozialstrukturellen sowie von einer individuumsbezogenen Anschauung von Rassismus und anderen Diskriminierungsformen auf „dauerhafte Benachteiligungen sozialer Gruppen, die auf überindividuelle Sachverhalte wie Normen, Regeln und Routinen sowie auf kollektiv verfügbare Begründungen zurückgeführt werden“ (Hasse und Schmidt 2012, S.883; zit. n.
Gomolla 2017, S.134) ab. In der Annahme, dass institutionelle Diskriminierungsmechanismen in keiner Abhängigkeit zu individuellen Stereotypen stehen oder mittels negativer Intentionen wirken und bestehen können, liegt das zentrale theoretische Moment. Darüber hinaus können sie aber auch nicht grundlegend als Ergebnis benachteiligender Handlungen und Einstellungen vorurteilsbehafteter Personen beschrieben werden. Ergänzend hebt Gomolla außerdem hervor, dass selbst wohlwollendes Handeln in institutionelle Diskriminierung münden kann, indem eher subtile und indirekte Mechanismen greifen. Diese werden hier meist weder von den Akteuren noch von den Betroffenen selbst bemerkt, da sie aus alltäglichen und kultivierten Praktiken der Institutionen resultieren (vgl. ebd., S.134). Ein besonders heikles Problem stellt hierbei die Zuweisung der subjektiven Mitverantwortung für Ungleichbehandlungen dar (vgl. Henry 2010, S.327; zit. n. Gomolla 2017, S.134). Aufgabe der Forschung sei es außerdem, eben diese Form der Diskriminierung näher zu untersuchen, die nicht offensichtlich bzw. nicht auf eine mutmaßlich böswillige Entscheidung oder ein abweichendes Verhalten der handelnden Akteure der Organisationen zurückzuführen ist (vgl. Gomolla/Radtke 2009, S.25).
Fereidooni betont darüber hinaus, dass die institutionelle Diskriminierung im Unterschied zur direkten Diskriminierung vor allem eine Komplexität in ihren Wirkungs- und Entstehungsformen aufweist, die auf die zuvor erwähnten, nicht intendierten bzw. nicht mutmaßlich böswilligen Ungleichbehandlungen zurückzuführen ist (vgl. Gomolla/Radtke 2007, S.25; zit. n. Fer- eidooni 2011, S.23). Außerdem geht die Ungleichbehandlung bei der institutionellen Diskriminierung im Gegensatz zur direkten Diskriminierung von einem Netzwerk von Organisationen bzw. Institutionen aus. Deren kultivierte Praktiken kumulieren sich in der Rechtsprechung, in der Wirtschaft oder in der Erziehung und rufen als Folge dessen ethnische oder rassistische Ungleichbehandlungen hervor. Da von systeminhärenten Strukturen ausgegangen wird, die durch organisationsinterne Prozesse von Institutionen in Erscheinung treten, wird die institutionelle Diskriminierung auch als versteckte Diskriminierung bezeichnet. Auch Fereidooni akzentuiert, dass die Bekämpfung der institutionellen Diskriminierung aus genau diesen Umständen eine viel komplexere Aufgabe darstellt, als die Behebung von direkter und offener Ungleichbehandlung. Als letzten Unterscheidungspunkt der institutionellen Diskriminierung zur direkten Diskriminierung nennt Fereidooni die Gleichbehandlung der Gesellschaftsmitglieder trotz ungleicher Voraussetzungen, die eben genau dann ihre negativen Auswirkungen entfalten kann (vgl. Fereidooni 2011, S.24).
In der Forschung wird der Begriff der institutionellen Diskriminierung bewusst vom Vorurteilsansatz abgegrenzt und versteht Rassismus und Sexismus als genuine, d.h. echte Sozialprozesse. Die Grundannahme hierbei ist, dass Diskriminierungen größtenteils in zentralen Gesellschaftsinstitutionen wie z.B. in Beschäftigungs- und Bildungssystemen als normale Alltagsaktivitäten in Erscheinung treten (vgl. Gomolla 2015, S.196). Laut Raimund Hasse und Lucia Schmidt (2012) bezieht sich der Begriff ,institutionell’ auf zwei wesentlich differierende Aspekte:
1. dreht es sich um den systematischen und permanenten Charakter bedingter Diskriminierungen unter Angehörigen verschiedenartiger sozialer Gruppen, was so viel heißt wie „regelmäßige und typische, nicht im Einzelfall begründete und statistisch erwartbare Sachverhalte“ (Hasse/Schmidt 2012, S.885; zit. n. Gomolla 2015, S.196) wie beispielsweise die relativ niedrigen Beteiligungsquoten von Mitgliedern spezifischer sozialer Gruppen im Beschäftigungs- oder Bildungssystem;
2. zweitens geht es darum aufzuzeigen, „dass und wie diese durch Institutionen hervorgebracht werden“ (Hasse/Schmidt 2012, S.886; zit. n. Gomolla 2015, S.196).
Die Untersuchung der Wirkungsweisen der institutionellen Diskriminierung findet auf den Ebenen des professionellen Handelns der Fachkräfte sowie auf den Ebenen der Organisationen, in denen diese tätig sind statt. Gomolla betont des Weiteren, dass im Falle der Untersuchung nicht davon ausgegangen wird, dass die Akteure in diesem Kontext absichtlich oder aufgrund von Stereotypen diskriminierend handeln (vgl. Gomolla 2015, S.196). Seit Beginn der 2000er Jahre wird diesem Themenbereich vor allem in Schulleistungsstudien wie PISA oder IGLU eine größere Beachtung geschenkt. Der Fokus der Studien zielt in erster Linie auf die soziale und die ethnische Herkunft sowie das Geschlechts ab, da die Schulerfolge vor allem in diesen Bereichen ein starkes Gefälle aufgewiesen haben (vgl. Gomolla 2015, S.193). Als auslösende Begründungsmuster für den Misserfolg in der Schule werden zum Beispiel oftmals die Bildungsentscheidungen der Eltern und der familiale Hintergrund der SuS oder deren individuelle Eigenschaften in Betracht gezogen (vgl. ebd., S.193; Gomolla 2010a, S.92). Währenddessen der Blick hierbei vor allem auf individuelle und personelle Eigenschaften der SuS mit Migrationshintergrund gerichtet ist, wird die Schule selbst als sozialer und institutioneller Ort, an dem soziale Ungleichbehandlungen stattfinden, nur selten in den Blick gerückt. Ebenfalls anhand der kompensatorischen Maßnahmen, die vor allem im Bereich der Sprachförderung bzw. individuellen Förderung der SuS liegen und als Zusatzmaßnahmen angeboten werden, kann schnell aufgezeigt werden, dass Veränderungen auf der Prozessebene der Institution selbst nur selten bis gar nicht stattfinden (vgl. Gomolla 2015, S.193).
Laut Hormel kristallisierten die Interpretationen der ersten PISA-Studie heraus, dass durch „Leistung gedeckte Ungleichheiten“ (Baumert/Schümer 2001, S. 358; zit. n. Hormel 2010, S.178) einen wesentlichen Bestandteil der Ungleichbehandlungen von SuS mit Migrationshintergrund darstellten. Diese sogenannten Ungleichheiten wurden zum einen von den Sprachdefiziten der Kinder mit Migrationshintergrund in der Verkehrssprache Deutsch hergeleitet und zum anderen auf schichtspezifische Ungleichbehandlungen zurückgeführt (vgl. Baumert/Schümer 2002, S. 168; zit. n. Hormel 2010, S.178). Darüber hinaus stellte sich mit den im Jahr 2001 erhobenen Daten der IGLU-Studie die Frage heraus, inwieweit über die vorangestellten Erkenntnisse der PISA-Studie hinaus auch eine ansetzende Diskriminierungspraxis als Effekt des Migrationshintergrundes in Betracht gezogen werden muss (vgl. Hormel 2010, S.178-179). Hormel akzentuiert in diesem Kontext außerdem, dass die Sekundarschulempfehlungen am Ende der Grundschulzeit nicht nur in einem starken Zusammenhang mit dem Merkmal der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Sozialschicht, sondern ebenfalls in großer Abhängigkeit zu dem Merkmal ,Migrationshintergrund’ stehen (vgl. Bos et al. 2004, S. 211ff.; zit. n. Hormel 2010, S. 179). Emmerich, Hormel und Jording merken außerdem an, dass in diesem Kontext und in Reaktion auf den damaligen PISA-Schock neben den geflüchteten Kindern und Jugendlichen ebenfalls die inländischen Kinder und Jugendlichen mit einem so genannten Migrationshintergrund eine Risikogruppe der Bildungsbenachteiligung im deutschen Bildungssystem darstellen (vgl. Emmerich/Hormel/Jording 2016, S. 124).
Die Schulleistungsstudien führten zu einem wissenschaftlichen Paradigmenwechsel, der die Aufmerksamkeit weg von den individuellen Eigenschaften der SuS, ihrem familiären Hintergrund oder von der Kultur, in der sie sich bewegen, hin zu den Barrieren der Institution, die den MigrantInnen die Bildungschancen und -erfolge so sehr erschweren, lenkte. Unter institutionellen Barrieren versteht Gomolla zum einen das gesamte Spektrum an Strategien, Arbeitsweisen, Programmen und Strukturen, die in der Schulpolitik angewandt werden, und zum anderen die Rahmenbedingungen, die im breiteren sozialen und politischen Kontext von schulischem Handeln zu deutlich erkennbaren Ungleichbehandlungen führen. Sie ergänzt außerdem, dass der Sichtwechsel vom vermeintlich mit Defiziten ausgestatteten Individuum zu den strukturellen Problemen der Schule ein sehr wichtiger Schritt ist, um die Bekämpfung der Ungleichbehandlungen und Ausgrenzungen der SuS mit Migrationshintergrund voranzutreiben (vgl. Gomolla 2010a, S.87). Da der Begriff der institutionellen Diskriminierung im deutschen Raum bisher wenig Tradition hat, muss auf die angelsächsische Forschung, die sich mit diesem Bereich schon ausführlicher beschäftigt hat, zurückgegriffen werden (vgl. Gomolla 2010b, S.61). Historisch betrachtet, ist die Entstehung des Ausdrucks der institutionellen Diskriminierung vor allem auf die Debatten über den institutionellen Rassismus der 1960er Jahre in den USA zurückzuführen. Die dadurch entstandenen Bürgerrechtsbewegungen, die bald darauf auch von sozialen Bewegungen wie zum Beispiel der Homosexuellen- oder Frauenrechtsbewegung gefolgt worden sind, gaben der ganzen Debatte den nötigen Anstoß (vgl. Gomolla 2017, S. 134). Aus dieser politischen Protestbewegung heraus entwickelten sich zur Mitte der 1960er Jahre hin regelrecht radikalisierende Kampagnen der Bürgerrechtsbewegungen wie die Black Power- sowie die Black Consciousness Bewegungen. Mit den unzähligen Demonstrationen der schwarzen „communities“ sowie weiterer engagierter Bürgerrechtsaktivistinnen, die vor allem in den nordamerikanischen Großstädten stattfanden, wurde deren Enttäuschung und Unzufriedenheit bezüglich der weiterhin andauernden rassistischen Unterdrückung Raum zum Ausdruck gebracht (vgl. Gomolla/Radtke 2009, S.40).
Aus diesem politischen Protest heraus entwickelte sich neues Gedankengut, das für ein Umdenken bzw. Neu-Denken des Diskriminierungsverstehens verantwortlich war. Hierbei spielten drei Erklärungslinien eine wesentliche Rolle, die vor allem der organisationellen sowie der sozialen Ebene eine große Signifikanz zuschrieben. Bei den drei Erklärungslinien handelt es sich um die ,Interessentheorie’, die Theorie des ,internen Kolonialismus’ sowie um den Ansatz des ,institutionellen Rassismus’. Diese werden im Folgenden kurz erläutert (vgl. ebd., S.40).
Die grundliegende Idee hinter der ,Interessentheorie’ stellt die nicht auf Vorurteilen basierte Motivation, die hinter der Ungleichbehandlung liegt, dar. Stattdessen liegt die Motivation in dem vernünftig nachvollziehbaren Bedürfnis, eigene Macht und Vorrechte zu verteidigen, d.h. Privilegien abzusichern (vgl. Gomolla/Radtke 2009, S.41). Die sogenannten „vested interests“ (Dittrich 1991, S. 43f; zit. n. Gomolla/Radtke 2009, S.41) rückten bei der Forschung als Ursache von Feindlichkeit und Ungleichbehandlungen in den Fokus. Rassismus wurde nun als ein Ausdruck einer bestimmten Form von Herrschaft sowie als das Bemühen bestimmt, diese zu bewahren. Als Beispiel können hier die „WASPs („White Anglo-Saxon Protestants“)“ sowie die weißen Zuwanderer für die Facharbeiterpositionen, die „PIGS („Polish, Italians, Greeks and Slowaks“)“, genannt werden, die aufgrund des „equal rights movement“ (Dittrich 1991, S. 43f; zit. n. Gomolla/Radtke 2009, S.41) Angst um ihre Positionen haben mussten. Blumer hingegen wies diese Mutmaßungen streng zurück, indem er ,Rasse’ als soziale Konstruktion bezeichnete und den Ursprung von rassistischem Verhalten nicht in Stereotypen sah. Er fasste die Rationalisierung rassistischer Handlungen sowie Verhaltensweisen, die im Nachgang stattfanden, vielmehr als eine Art Maskierung der Majoritätengruppe auf. Blumer identifizierte den Ursprung von Rassismus vielmehr im gesellschaftlichen Gesamtzusammenhang. Er betonte zudem, dass die rassistische Forschung sich weg vom Individuum hin zu einem kollektiven Definitionsbegriff wenden müsse, der die wechselseitige Konstruktion von ,rassischen’ Gruppen beinhaltet. Um überhaupt rassistisch agieren zu können, seien Menschen zunächst dazu forciert andere und sich selbst als Angehörige einer Gruppe zu detektieren. Williams begutachtete die Kolonialexpansion der Europäer als Entstehungsursache der rassischen Ungleichbehandlungen in den USA (vgl. Gomolla/Radkte 2009, S.41). In seiner Analyse zum gegebenen Sachverhalt stellte Williams darüber hinaus die These auf, dass rassistisch behaftete Ideologien der Rechtfertigung von Privilegien der weißen Majoritätengruppe dienen. Ebenfalls Wellman definierte Rassismus auf eine ähnliche Weise als eine Art rationales Instrument im Wettstreit um die Ressourcenknappheit. Er akzentuierte außerdem den dynamischen Charakter, den die amerikanische Gesellschaft als maßgebliches Organisationsprinzip in Form einer rassischen Stratifizierung besitzt. Für ihn stellten die Ungleichbehandlungen nicht nur eine temporäre Barriere, sondern einen dauerhaften Verteidigungsprozess einer bestimmten Interessengemeinschaft zum Nachteil anderer, dar. Er beschrieb beispielsweise das Verhalten von Weißen, die ohne dass sie Stereotype gegenüber Schwarzen pflegten, einen bestimmten Status Quo aufrechterhalten wollten, um sich ihre Vorteile zu sichern als das soziale Gesetz der Trägheit. Dieses führte dazu, dass ein von den Schwarzen ersehnter institutioneller Wandel verhindert wurde (vgl. ebd., S.42).
Neben der ,Interessentheorie’ begründet die Theorie des ,internen Kolonialismus’ das Diskriminierungsverstehen auf eine sehr ähnliche Art und Weise: Die rassischen Minoritäten werden hierbei als interne Kolonien des amerikanischen Kapitalismus angesehen. Der Ursprung dieser Ungleichbehandlung liegt ebenfalls in der europäischen Kolonisation, die auch in diesem Erklärungsansatz die Lebenschancen entlang rassischer Trennlinien bestimmt sieht. Historisch gesehen liegt in kolonialisierten Gesellschaften die Betonung auf der Institutionalisierung der ungleichmäßigen Distribution und Überprüfung von politischen sowie ökonomischen Ressourcen. Diese wurde einst durch Gewalt durchgesetzt und wird gegenwärtig durch Gesetzmäßigkeiten sowie formlose Mechanismen fortgeführt. Laut Blauner wird Rassismus somit zu einer Struktureigenschaft des Systems, das anstatt eines an Individuen gebundenes, nicht subjektives, ein ,objektives Phänomen’ abbildet, das sich in sozialen Hierarchien sowie Strukturen der Herrschaft zeigt (vgl. Gomolla/Radtke 2009, S.42).
Bereits in den 1960er Jahren wurde die Begriffskombination ,institutioneller Rassismus’ erstmals von S. Carmichael und C. V. Hamilton, zwei der einflussreichsten Theoretiker der Black-Power Bewegung (Williams 1985), verwendet (vgl. Gomolla/Radtke 2009, S.43). In der Studie „Black Power“ (Carmichael/Hamilton 1967; zit. n. Gomolla/Radtke 2009, S.43) transformierten die beiden Autoren einen politischen Kampfbegriff aus scharfen soziologischen Analysen. Neben einer Analyse zur der Aufrechterhaltung der schwarzen Ghettos und der rassischen Ungleichheit in den USA, unterscheiden die beiden zum einen zwischen individuellem und offenem Rassismus und zum anderen zwischen institutionellem und verdecktem Rassismus. Dem ersten Fall ordneten die Autoren beispielweise ein direktes individuelles Handeln durch Bombenanschläge einer kleinen Gruppe weißer Terroristen auf ,schwarze’ Kirchen zu. Unter dem zweiten Fall verstanden sie jene Unterlassungen und Handlungen, in denen ,Schwarze’ in einer ungleichbehandelnden Situation festgehalten werden, in denen weder individuelle Handlungen oder Einstellungen, sondern nur die kultivierten gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse maßgeblich seien. Durch eben diese Verhältnisse sei die Unter- Scheidung dieser Formen von Ungleichbehandlungen besonders schwer zu ermitteln (vgl. Gomolla/Radtke 2009, S.44). Carmichael und Hamilton regten eine Diskussion an, in Folge derer sich eine Vielzahl von AutorInnen weiter mit dem institutionellen Rassismus auseinandersetzten. Die Feststellung, dass rassistische Politiken und individuell rassistische Handlungen unbeabsichtigt entstehen können und die Akteure im Nachgang die Möglichkeit haben, diese als ungewollt oder absichtsvoll verkaufen zu können, war zentral für die neue Argumentationslinie (vgl. Knowles/Prewitt 1969; zit. n. Gomolla/Radtke 2009, S.44). Laut der AutorInnen Pettmann und Chambers agiert der Rassismus folglich durch „Schlüsselinstitutionen, verstanden als organisierte soziale Arrangements, durch die soziale Güter und Dienste verteilt werden“ (Pettmann/Chambers 1986, S.17; zit. n. Gomolla/Radtke 2009, S.44). In diesem Kontext von institutionellem Rassismus besteht nun der Bezug zum Wohnungs- und Arbeitsmarkt, zum Bildungs- und Ausbildungsbereich, zur Gesundheitsversorgung, zur Gerichtsbarkeit, zur Repräsentation in den Medien sowie zu der politischen Partizipation. Etablierte Gesetze sowie Praktiken und Sitten spezifischer Institutionen gerieten nun in den Fokus der Ursachenuntersuchung der rassistischen Ungleichbehandlung. Währenddessen hier wieder die Effekte im Zentrum der Forschung standen, wurde die Analyse der diskriminierungsverursachenden Mechanismen weiterhin größtenteils vernachlässigt (vgl. Gomolla/Radtke 2009, S.45). Nachdem Williams feststellte, dass einige anfängliche Konzepte des institutionellen Rassismus charakteristische Gemeinsamkeiten aufwiesen, konnte ein völlig neues Verständnis für den Rassismus-Begriff aufgebaut werden: Da Rassismus bis dato nur als falsches Bewusstsein definiert wurde, visierte der neue Begriff nun detaillierter den „gesellschaftlichen Diskurs und die soziale Praxis“ (Miles 1991, S.74; zit. n. Gomolla/Radtke 2009, S.45) an. Im späteren Zusammenhang mit der verstärkten Anstrengung der Gleichstellung von Frauen sowie dem Modell des ,Multikulturalismus’ wurde das Konzept in den 1980er Jahren final politisch und begrifflich zu dem allgemeinen Konzept der institutionellen Diskriminierung ausgeweitet. Dieses Konzept sucht gezielt nach allen bedeutsamen Mustern von Diskriminierung, einschließlich des Geschlechts, des Alters, der sexuellen Orientierung oder der sozialen Schicht (vgl. Gomolla/Radtke 2009, S.46). Laut Hormel wurde der institutionelle Rassismus in den USA als sehr stark politischer Begriff aufgefasst und vor allem durch rassistische Ungleichbehandlungen sowie Vorurteile als Strukturproblem der US- amerikanischen Gesellschaft und ihren Organisationen beschrieben. Hierbei wurde allerdings direkt von konkreten Erscheinungsformen der Ungleichbehandlung aufgrund der ,Ras- se’ auf die Mechanismen bzw. die Diskriminierungsursachen geschlossen. Infolgedessen reagierte der Ansatz der institutionellen Diskriminierung und betonte die Notwendigkeit, dass die Mechanismen gezielter im organisationellen Kontext untersucht bzw. die Routinen und Praktiken aufgedeckt werden müssen, die sich in den Organisationen kultiviert haben und ohne explizite Strukturen von Vorurteilshandlungen zu Ungleichbehandlungen führen. Der Fokus der Forschung richtet sich hierbei auf die Entscheidungen der Organisationsebene, deren Handeln gravierende Auswirkungen auf die Zukunft der Individuen und ihre Teilhabe in der Gesellschaft haben (vgl. Hormel/Riegel 2019, S. 150-151). Mit diesen Erkenntnissen wurde der Grundstein für die weitere Erforschung der institutionellen Diskriminierung gelegt.
3.2 Direkte und indirekte institutionelle Diskriminierung
Nach Feagin und Booher Feagin (1986) unterscheidet man bei der institutionellen Diskriminierung zwischen den Formen der direkten und der indirekten institutionalisierten Diskriminierung. Diese Unterscheidung des Sachverhalts dient der besseren analytischen Trennung des Komplexes, sodass die Wirkungsweisen der institutionellen Diskriminierung besser de- tektiert werden können (vgl. Gomolla 2010, S.90). Die Autoren verstehen unter direkter institutioneller Diskriminierung „regelmäßige, intentionale Handlungen in Organisationen“, die sich zum einen durch formlose Praktiken als eine Art „ungeschriebene Gesetze“ (Gomolla 2010a, S.90) in der Kultur der Organisation als Routine kultiviert haben und zum anderen durch tatsächliche administrative Regulationen ausdrücken, die hochformalisierte Gesetze beinhalten (vgl. ebd., S.90). Beispiele der ersten Variante, der institutionellen Routinen, sind Ungleichbehandlungen beim Zugang auf dem Arbeitsmarkt, die schwierige Lage auf dem Wohnungsmarkt für MigrantInnen, die aufgrund ihres Migrationshintergrunds von vorne herein schlechtere Chancen haben sowie die gezielte Umverteilung der SuS mit Migrationshintergrund im öffentlichen Schulsystem (vgl. Gomolla 2017, S.145). Ein aktuelles Beispiel für die zweite Variante, das auf den ersten Blick weniger auffällig erscheint, ist die Befreiung von der Schulpflicht derjenigen Kinder mit Migrationshintergrund aus den Bildungsgesetzen einiger Bundesländer, deren rechtlicher Aufenthaltsstatus noch aussteht bzw. noch nicht genau definiert ist (vgl. ebd., S.145). Die Mechanismen, die in den zuvor genannten Exempeln greifen, werden im weiteren Verlauf der Arbeit noch vertiefend diskutiert.
Auf Grundlage der Forschung von Gomolla und Radtke versteht Hormel unter dem Phänomen der direkten Diskriminierung sowohl alle Vorgänge, „die Migrantenkinder zu Kandidaten für Sonderbehandlung machen“, als auch die wohl gemeinte „positive Diskriminierung“ der Institution Schule. Diese beabsichtigen die differenzierte Behandlung der SuS im Grunde „in fördernder Absicht“ (Gomolla/Radtke 2002, S.266; zit. n. Hormel 2007, S.121). Dieses Phänomen lässt sich an Vorgängen erkennen, die sich von der Separierung von Kindern mit Migrationshintergrund in Sprachförderklassen über Zurücküberweisungen in den Vorschulbereich bis hin zur SOLB-Überweisung aufgrund diagnostizierter Sprachdefizite erstrecken. Der zuletzt genannte Punkt steht in einem starken Widerspruch zu den rechtlichen Vorgaben. Diese untersagen die Überweisung an eine SOLB aufgrund rein sprachlicher Defizite (vgl. Hormel 2007, S.121).
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- Arbeit zitieren
- Luise J. Bauer (Autor:in), 2020, Institutionelle Diskriminierung in der Grundschule. Formen, Mechanismen und Erklärungsansätze, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1312723
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