Die Ausarbeitung handelt vom klassischen Bildungsbegriff von Wolfgang Klafki. Um die Kernaspekte seines Bildungsverständnisses auszuarbeiten, wird Bezug auf seinen Artikel "Die Bedeutung der klassischen Bildungstheorien für ein zeitgemäßes Konzept allgemeiner Bildung" genommen. Daran anknüpfend erfolgt im nächsten Schritt eine nähere Erläuterung der Kategoriale Bildung Klafkis. Anschließend wird auf der Basis der Lektüre "Nicht Gedanken, sondern Denken lernen" von Immanuel Kant eine Einordnung der Didaktik Kants in den Bildungsgedanken Klafkis vorgenommen. An dieser Stelle wird zudem der Vergleich zwischen Immanuel Kant und Georg Wilhelm Friedrich Hegel versucht. Grundlage hierfür ist neben der oben genannten Lektüre das Privatgutachten Hegels für den König Immanuel Niethammer. Dieses trägt den Titel "Gedanken in den Kopf bekommen".
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Das Bildungskonzept Klafkis
2.1. Bedeutung der Geschichte
2.2 Übergreifende Charakteristika der klassischen Bildungstheorien
2.2.1 Bildung als Befähigung zur vernünftigen Selbstbestimmung
2.2.2 Bildung als Subjektentwicklung im Medium objektiv- allgemeiner Inhaltlichkeit
2.2.3 Individualität und Gemeinschaftlichkeit im klassischen Bildungsbegriff
2.2.4 Die moralische, kognitive, ästhetische und praktische Dimension von Bildung
2.3 Die Theorie Kategorialer Bildung
2.4 Materiale Bildung
2.4.1 Bildungstheoretischer Objektivismus
2.4.2 Die Bildungstheorie des Klassischen.
2.5 Die Formale Bildung
2.5.1 Die funktionale Bildung
2.5.2 Die methodische Bildung
2.6 Resümee
3. Die Didaktiken Kants und Hegels und deren Einordnung in die Kategoriale Bildung von Wolfgang Klafki
3.1 Das Bildungsverständnis Klafkis
3.2 Das Bildungsverständnis Hegels
3.3 Gegenüberstellung der Bildungsverständnisse und ihre Einordnung in die Kategoriale Bildung
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Meine Ausarbeitung handelt vom klassischen Bildungsbegriff von Wolfgang Klafki. Um die Kernaspekte seines Bildungsverständnisses auszuarbeiten, nehme ich Bezug auf seinen Artikel „Die Bedeutung der klassischen Bildungstheorien für ein zeitgemäßes Konzept allgemeiner Bildung.“ Daran möchte ich im nächsten Schritt anknüpfen und die Kategoriale Bildung Klafkis näher erläutern. Anschließend erfolgt auf der Basis der Lektüre „Nicht Gedanken, sondern denken lernen von Immanuel Kant eine Einordnung der Didaktik Kants in den Bildungsgedanken Klafkis. An dieser Stelle werde ich zudem einen Vergleich zwischen Immanuel Kant und Georg Wilhelm Friedrich Hegel versuchen. Grundlage hierfür wird neben der oben genannten Lektüre, das Privatgutachten Hegels für den König Immanuel Niethammer sein. Dieses trägt den Titel „Gedanken in den Kopf bekommen“. Insofern ich weitere Quellen zitiere, werden diese explizit im Text kenntlich gemacht.
2. Das Bildungskonzept Klafkis
2.1. Bedeutung der Geschichte
Klafkis Meinung nach müsse die Entwicklung einer zeitgemäßen und zukunftsorientierten kritischen Didaktik, bisher gewonnene bildungstheoretische Erkenntnisse mitberücksichtigen und dürfe das bereits erreichte Problemniveau/Reflexionsniveau nicht unterschreiten (vgl. S.16). Deswegen berücksichtigt Klafki für seine Entwicklung einer zeitgemäßen Bildungskonzeption allgemeiner Bildung das klassische Bildungsverständnis von zahlreichen Autoren, die der Epoche der Spätaufklärung, des philosophisch- pädagogischem Idealismus, der Klassik und des Neuhumanismus zuzuordnen sind (vgl. S.15). In dieser spannungsreichen Phase wird der Bildungsbegriff bezüglich einer pädagogischen Reflexion von zahlreichen bekannten Autoren stark ausdifferenziert. Zu nennen sind: Lessing, Wieland, Herder, Fichte, Schiller, Humboldt, Pestalozzi und nicht zu vergessen Hegel und Kant. (vgl. S.15)
Die Ausdifferenzierung des Bildungsbegriffs erfolgt in dieser Phase allerdings noch nicht im Sinne einer eigenständigen Disziplin, sondern viel mehr kontextgebunden an „geschichts-, kultur-, kunst- und staatsphilosophische sowie anthropologische Erörterungen“ (S.15). Dass Klafki eine historische Begrenzung auf die bildungstheoretischen Denker vornimmt, rechtfertigt er u.a. damit, dass die bis in die Antike zurückreichenden Denker wie Cicero, Platon und Sokrates in deren Bildungskonzeptionen bereits Berücksichtigung finden. Zum anderen argumentiert er mit der Abgeschlossenheit voraufklärerischer Epochen. Die Epoche der Aufklärung gilt hingegen als nicht abgeschlossen. Das bedeutet, dass wir immer noch in ihr stehen. Der Aufklärungsgedanke hat in der Französischen Revolution ihren Ursprung, in der die bürgerliche Gesellschaft um die Ablösung der Feudalherrschaft kämpfte. Damit verbunden waren Momente der Durchsetzung um republikanische Forderungen, die Absicherung von Bürgerrechten und Bürgerfreiheiten. Die Basis für weiterreichende Forderungen für Demokratisierungsprozesse war somit gelegt. Gleichzeitig wurden erste Tendenzen der technisch-industriellen Entwicklung und ihre Folgen für die Gesellschaft sichtbar. Eine weitere wichtige Bestimmung der bürgerlichen Gesellschaft zeigte sich in der voranschreitenden Säkularisierung, womit eine Entwicklung des religiösen und moralischen Selbstverständnisses einherging. Das soll nicht heißen, dass „Religionsfeindlichkeit die notwendige Konsequenz“ gewesen wäre (S.18). Jedoch musste sich die Religion ab dieser Zeit zumindest u.a. vernunftbasiert rechtfertigen (Vgl. S.17f.). All diese Momente führen in ihrem Zusammenspiel letztlich zu einer neuen Selbstinterpretation des Menschen als Vernunftwesen. Da die klassischen Bildungstheorien als Antwort und Reaktion auf die bürgerliche Situation entwickelt wurden und auf die Möglichkeiten und Gefährdungen des bürgerlichen Subjekts hinweisen sollen, ist es laut Klafki für unsere Gegenwart aussichtsreich und notwendig, sich diese kritisch zu vergegenwärtigen. Trotzdem sei eine schlichte Übernahme und Anwendung für die Gewinnung einer zeitgemäßen Didaktik nicht ausreichend. (Vgl. S.18)
„Selbst wenn der Ertrag einer kritischen Wiedervergegenwärtigung jenes geistigen Erbes reich sein sollte, müßten wir ihn selbstständig und konstruktiv in eine neue Konzeption hinein übersetzen, die der pädagogischen Verantwortung vor den Aufgaben und Möglichkeiten unserer Zeit gerecht wird. “ (S. 18)
Damit ist Klafkis Verständnis von Bildung geprägt von einem Geschichts- und Fortschrittsoptimismus geprägt und flexibel in seiner Anpassung gegenüber gesellschaftlichen und pädagogischen Veränderungen.
2.2 Übergreifende Charakteristika der klassischen Bildungstheorien
Wenn Klafki die Charakteristika und die Zusammenhänge der klassischen Bildungstheorien verschiedenster Autoren hervorhebt, dann ist das als Ergebnis einer vergleichenden Interpretation zu verstehen und nicht als Wiedergabe von Aussagen einzelner Autoren. Insgesamt hat er aus grundlegenden Texten der wichtigsten und bekanntesten Bildungstheoretiker vier Momente von Bildung herausgearbeitet. Diese sind Bildung als Befähigung zur vernünftigen Selbstbestimmung, Bildung als Subjektentwicklung im Medium objektiv- allgemeiner Inhaltlichkeit, das Spannungsverhältnis von Individualität und Gemeinschaftlichkeit und die moralische, kognitive, ästhetische und praktische Dimension von Bildung. Diese werde ich im Folgenden erläutern.
2.2.1 Bildung als Befähigung zur vernünftigen Selbstbestimmung
Der erste Moment von Bildung wird als Befähigung des Menschen zur vernünftigen Selbstbestimmung verstanden. Dafür ist es unabdingbar, sich von fremdbestimmten Einflüssen zu lösen. Im Kontext der Zeit betrachtet, meint dies v.a. auch die Befreiung aus gesellschaftlichen Zwängen und den hierarchischen Strukturen der Feudalherrschaft. Zudem war es hierfür nötig, sich selbst als Subjekt zu begreifen, das zur vernünftigen Selbstbestimmung fähig ist. Die Emanzipation von Fremdbestimmung kann also auch bedeuten, sich von seinen inneren Trieben, Wünschen Zwängen und bisherigen Vorstellungen zu emanzipieren, wenn sie nicht in Einklang mit der Vernunft zu bringen sind. Klafki nimmt an dieser Stelle Rückgriff auf Kant. Denn dieser formulierte diesen Moment von Bildung passend: „Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes, ohne die Leitung eines anderen zu bedienen.“ (Vgl. S.19) Das bedeutet, dass durch vernünftiges Selberdenkender Selbertun eine Möglichkeit aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit besteht. Dafür muss sich der Mensch als freies Wesen von heteronomen Einflüssen, obgleich sie in ihm selbst oder außerhalb liegen, distanzieren und darf sich nicht länger von diesen „leiten“ lassen. Folglich ist Bildung einerseits Ausdruck, anderseits Weg der Selbstbestimmungsfähigkeit. Die Vollzugsform ist hierbei Selbsttätigkeit. Laut Klafki sind daher zentrale Begriffe dieses Moments: Autonomie, Vernunft, Mündigkeit und Selbsttätigkeit (Vgl. S.18).
2.2.2 Bildung als Subjektentwicklung im Medium objektiv- allgemeiner Inhaltlichkeit
Würde man nun keine weiteren Momente im Bildungsverständnis berücksichtigen, könnte man fälschlicherweise ableiten, dass das Selbstbestimmungsprinzip subjektivistisch gemeint sei. Allerdings berücksichtigt Klafki in seiner Konzeption eine zweite Gruppe von Bestimmungen: Die zentralen Begriffe sind hier „Humanität, Menschheit und Menschlichkeit, Welt, Objektivität, Allgemeines.“ (S. 21) Die Bestimmungen werden zusammenfassend auch als Objektivation bezeichnet. Sie beinhalten die Möglichkeiten menschlicher Selbstbestimmung, die Entwicklung menschlicher Vernunft und Freiheit. Aber auch deren Gegenstück, welches Klafki als „Widerparte“ bezeichnet. (S.21) Daraus leite ich negative Bestimmungen wie Unterdrückung, Zwang, Gefangenschaft und Heteronomie ab, die somit nicht zur Bildung im Sinne von Humanität und Frieden bilden würden. Klafki zählt zu diesen Objektionen beispielsweise Erkenntnisse über die Natur und die menschliche Welt, politische Verfassungen und Aktionen, sittliche Ordnungen und Normsysteme, sittliches Handeln sowie Sinndeutungen der menschlichen Existenz in Philosophien, Religionen und Weltanschauungen, aber auch zivilisatorische Errungenschaften der Bedürfnisbefriedigung (S.21).Nach Klafki gilt diese Objektivation im Menschen zunächst noch nicht als angelegt, sondern muss mit der ersten Gruppe von Bestimmungen vermittelt werden. Außerdem 3 müssen sie als „immer wieder neu zu vermittelnde gedacht werden.“ (S.21) Damit ist gemeint, dass das Subjekt nur in Aneignungs- und Auseinandersetzungsprozessen mit einer Objektivität bzw. Inhaltlichkeit zu Vernünftigkeit, Selbstbestimmungsfähigkeit, Freiheit des Denkens und Handels gelangen kann.
Indem ich mich mit einem Gegenstand auseinandersetze, mache ich mir diesen zu eigen. Dies impliziert meiner Meinung nach, eine Wechselseitigkeit zwischen Subjekt und Objekt, dass in einem gleichberechtigten, sich gegenseitig bedingenden Verhältnis zueinander zu stehen scheint. Denn das Subjekt kann sich nur selbst bilden, wenn Objektionen vorhanden sind. Wenn es nichts zu erschließen gibt, dann kann ich mich daran nicht bilden. Gleichzeitig ergeben sich für das Subjekt durch seine Selbstbildung und Erschließung der Welt, Möglichkeiten in dieses Erschlossene auch aktiv einzuwirken und dieses zu verändern. Des Weiteren entscheidend ist dabei, die Überzeugung fast aller Bildungstheoretiker unseres Betrachtungszeitraums, dass die zu gewinnende Bildung als Möglichkeit und Anspruch nicht nur einer bestimmten privilegierten Klasse oder Elite vorbehalten wurde, sondern sie nun zur allgemeinen Bildung im Sinne von Bildung für alle erklärt wird. (Vgl. S.21)
Auch wenn diese Grundforderung noch nicht geschlechterübergreifend, sondern lediglich die männlichen Bürger mitdachte, kann man diesen klassischen Bildungsgedanken doch als zukunftsweisend und fortschrittlich bezeichnen. Ein weiteres Merkmal, dass sich in fast allen Gedanken der Bildungstheoretiker finden lässt, ist deren Betrachtungsweise, die „Menschheitsgeschichte als Prozeß der Freisetzung des Menschen zur Selbstbestimmung, zur Versöhnung von Geistigkeit und Naturhaftigkeit“ zu verstehen, so Klafki. Die Theoretiker waren sich dabei einig, dass der Humanisierungsprozess noch bevorstand, er aber sowieso nicht abschließbar sei (Vgl. S.22). Mit der "Versöhnung von Geistigkeit und Naturhaftigkeit" ist im Endeffekt gemeint, unsere Vernunft mit unserer Natur, das heißt unseren Trieben, Emotionen und menschlichen Bedürfnissen in Einklang zu bringen, und zwar so, dass Letztere unter die Kontrolle der Vernunft zu bringen sind, um das Ideal der Humanität erreichen zu können. Also um letztlich zu wahrer Bildung gelangen zu können.
Damit ist das Bildungsverständnis der Klassiker normativ, an einem metaphysischen Ideal der Humanität orientiert, welches endgültig nie erreicht werden kann. Bildung ist, wie ich bereits sagte, nicht nur Anspruch, sondern immer auch Weg. Da es das Subjekt ist, dass sich bildet, kann abgeleitet werden, dass auch der Selbstwerdungsprozess dynamisch ist und das Subjekt sich gemäß seiner sich stetig wandelnden Umwelt und Inhaltlichkeit fortwährend bildet. Damit begreift Klafki Bildung als lebenslangen Prozess. Unter Humanität versteht Klafki eine Existenz in „wechselseitig anerkannter, damit aber immer auch begrenzte Freiheit“, sowie „Gerechtigkeit, kritische Toleranz, kulturelle Vielfalt, Abbau von Herrschaft und Entwicklung von Friedfertigkeit, mitmenschliche Begegnung, Erfahrung von Glück und vernunftgeleitete Selbstbestimmung.“ (S.23) An einer anderen Stelle beschreibt Klafki, dass sich die Auseinandersetzung mit historischen Objektivationen am humanitären Fortschritt orientieren sollen. Sie dienen also nicht zur historisierenden Rückwendung (Vgl. S.25). Aus diesen Bestimmungen von Bildung, ergeben sich Konsequenzen für den Bildungsauftrag. Inhalte der Bildung müssen folglich so ausgewählt werden, dass sie den Möglichkeiten und Aufgaben einer Existenz in Humanität gerecht werden und sich der Bildende diese für diesen zweckfreien Wert erschließen kann. Da lebenslanges Lernen bzw. Bilden nicht nur im institutionellen Rahmen stattfindet, also nicht kontextgebunden ist, ist die Frage nach zu bildenden Inhalten prinzipiell umfassender. Sie betrifft aber auch Lehrplanvorschläge. Diese kann im Rahmen meiner Ausarbeitung jedoch nicht abschließend geklärt werden.
2.2.3 Individualität und Gemeinschaftlichkeit im klassischen Bildungsbegriff
Das dritte Moment lasst sich nun ableiten aus der dialektischen Beziehung zwischen der Selbstbestimmungsfähigkeit und einer objektiv- allgemeinen Inhaltlichkeit: Die Individualität und Gemeinschaftlichkeit. Ein zentraler Aspekt bildet hier die Sprache bzw. Sprachlichkeit, die von vielen Bildungstheoretikern als „Wesensmerkmal der menschlichen Existenz in der Vielzahl unterschiedlicher Sprachen“ gesehen wird (S.26). Das Grundelement der Sprache ist Kommunikation, also wechselseitige Mitteilung, Dies impliziert, dass die Individualitätsbildung auf die „Vermittlung mit seiner polaren Entsprechung“ angewiesen ist. Folglich ist die Herausbildung von Individualität eines Subjekts im Bildungsprozess nicht isoliert von den anderen Subjekten bzw. Individuen, sprich von der Gesellschaft, möglich. Individualität wird entsprechend nicht als individualistisch oder selbstbezogen verstanden. Vielmehr ist die Beziehung des Individuellen zum Allgemeinen, zum anderen charakteristisches Merkmal. Wichtig in diesem Austausch und in der Kommunikation zwischen mehreren Personen ist die gegenseitige Anerkennung und der gegenseitige Respekt. (Vgl. 26.f) Daraus leite ich ab, dass die Freiheit eines jeden Menschen, dort enden muss, wo die eines anderen beginnt. Somit kann man das dialektische Verhältnis zwischen Individuum und Gesellschaftlichkeit auch als Spannungsverhältnis beschreiben. Klafki beschreibt des Weiteren eine Allegorie, nämlich dass sich dieser Moment von „Individualität und Gemeinschaftlichkeit“ auch auf einen größeren Zusammenhang übertragen ließe. Im Übertragenen Sinne kann man Nationen, Kulturen und Völker also als Individualitäten interpretieren, die alle als einzigartige Ausprägung möglicher Humanität verstanden werden können.
Dabei hat jede Kollektivindividualität in ihrem menschheitsgeschichtlichen Prozess spezifische Möglichkeiten und Perspektiven, aber auch Begrenzungen und Verfehlungen gezeigt. Mit Letzterem sind u.a. Unterdrückung von Menschen, Kriege, kolonialistische Ausbeutung, Vernichtung anderer Nationen, Kulturen und Völker gemeint. Angesichts dieser Verfehlungen des Bildungsziels, besteht der Anspruch als gebildetes Individuum darin, sich den „humanitären Aufgaben unserer Zeit bewußt zu werden.“ Gemäß Kant, den Klafki zitiert, sei „der ewige Frieden keine leere Idee, sondern eine Aufgabe.“ (Kant 1968, Bd. VIII, S. 386) Wechselseitiger Austausch und wechselseitige Anerkennung zwischen Individuen dient letztlich der Beförderung der Humanität (Vgl. 27f.).
2.2.4 Die moralische, kognitive, ästhetische und praktische Dimension von Bildung
Die letzte Grundbestimmung des klassischen Bildungsverständnisses meint hier allgemeine Bildung im Sinne einer umfassenden Bildung. Die Bildungstheoretiker der Klassik stimmen in den folgenden drei Hauptdimensionen miteinander überein: in der moralischen, in der Dimension des Erkennens bzw. des Denkens und in der ästhetischen Dimension. Die moralische Vernunft bezieht sich hierbei auf die Selbstbestimmungsfähigkeit des Menschen, eigene vernunftbasierte moralische Entscheidungen treffen zu können und zudem fähig bzw. bereit zu sein, gemäß dieser zu handeln. Die Dimension des Erkennens bzw. Denkens ergab sich für die Theoretiker auf der Basis des Grundgedankens der Aufklärung, „Habe Mut dich deines eigenen Verstandes zu bedienen.“, welches Kant postulierte. An dieser Stelle ist es wichtig, sich der Unterscheidung der Begriffe „Verstand“ und „Vernunft“ bewusst zu sein, die ebenfalls Kant entspringt und an der Klafki festhielt: Als Verstand kann man die Form von Rationalität beschreiben, die unaufhörlich Wissen und Erkenntnis produziert, ohne dies im Hinblick auf ihre Verwendung oder Umsetzung hin, zu reflektieren. Es ist demnach theoretisch technisch zu beliebigen Zwecken umsetzbar. Klafki bezeichnet sie daher auch als „instrumentelle Rationalität“. Die Vernunft hingegen meint allerdings eine reflexive Form der Rationalität, die auf Basis der Verstandeskenntnisse, nach einer vernunftbasierten Begründung der Verwendung und Umsetzung des Wissens sucht. Dabei wird die Verwendung dieses Wissens im Hinblick auf ihre Ziele und Folgen kritisch reflektiert und beurteilt. (Vgl. S 31)
Für das Bildungsverständnis der Klassiker bedeutet Vernunft also die instrumentelle Rationalität im Hinblick auf eine humane Existenz in Frieden unter Berücksichtigung ihrer Möglichkeiten und Grenzen zu reflektieren. Die Dimension des Ästhetisch berücksichtigt die spezifischen Sinn- und Freiheitserfahrungen im Sinne einer ganzheitlichen und umfassenden Bildung. Dabei umfasst dieses Verständnis nicht nur den Bereich der Künste, Theater, Literatur, Musik usw., sondern auch die ästhetischen Erfahrungen und Wahrnehmungen des Alltags, z.B. den eigenen Kleidungsstil, die Wohnraumgestaltung, Spiele, Feste und den Tanz.
Schiller, auf den sich Klafki in diesem Zusammenhang bezieht, versteht ästhetische Erfahrungen als Vorbereitung für die Vernunftbestimmung. Z.B. besteht im eigenen ästhetischen Gestalten die Möglichkeit, Erfahrungen seiner naturhaften Antriebe und der Vernünftigkeit zu vereinen und sich als Subjekt durch individuelle Ausdrucksform zu vermitteln. Gleichzeitig ist es eine Möglichkeit an der Subjektivität des anderen teilzunehmen und sie nachempfinden zu lernen. Somit kann man die ästhetische Erfahrung als Mittel zum Zweck verstehen. Der Zweck ist in diesem Fall der „Weg zur Bildung der moralisch-politischen Vernunftfähigkeit.“ (Vgl. S. 34)
2.3 Die Theorie Kategorialer Bildung
Klafki leitete aus seinem kritisch-konstruktiven Bildungsverständnisses die „Theorie Kategorialer Bildung“ ab. Vor allem der zweite Moment „Bildung als Subjektentwicklung im Medium objektiv- allgemeiner Inhaltlichkeit“ lässt sich in seiner Theorie der Kategorialen Bildung eindeutig identifizieren. Da ich das dialektische Verhältnis von Subjekt und Welt an dieser Stelle bereits ausführlich erläutert habe, werde ich im Folgenden nur Wesentliches aufgreifen und ausformulieren, um damit zur Einordnung Kants in die Theorie der Kategorialen Bildung zu kommen. Die Theorie der Kategorialen Bildung integriert zwei wesentliche Aspekte von Bildung. Zum einen die subjektiv-formale Bildung, zum anderen die objektiv-inhaltliche Bildung. Repräsentanten der Formalen Bildungstheorien fokussieren stärker das Subjekt und reflektieren den Bildungsprozess aus der Sicht des sich bildenden Menschen. Sie ist damit subjektiv ausgerichtet. Die Materialen Bildungstheorien zentrieren stärker die Inhaltlichkeit. Das bedeutet Bildung wird hier aus der Sicht des zu vermittelnden Bildungsinhaltes gedacht. Sie ist damit objektiv ausgerichtet. Beide Gruppen werden von Klafki wiederum in zwei weitere Grundformen unterschieden, so Joachim Ebert. (Vgl. Ebert, 1986):
Unter der materialen Bildung ordnet Klafki den bildungstheoretischen „Objektivismus“ und die Bildungstheorie des „Klassischen“ ein. Innerhalb der formalen Bildung unterscheidet Klafki in funktionale und in methodische Bildung.
2.4 Materiale Bildung
2.4.1 Bildungstheoretischer Objektivismus
Aus Perspektive des bildungstheoretische Objektivismus wird das Subjekt als passives Objekt der Informationsaufnahme verstanden, welches im Endeffekt sämtliche Kulturinhalte nur so verinnerlicht, dass diese keine Modifikation erfahren (Vgl. Ebert, 1986). Nach dieser Auffassung ist der sich Bildende nur Informationsempfänger, quasi Mittel zum Zweck der Kulturaneignung. Folglich muss sich der Mensch mit seinen Fähigkeiten, Wünschen und Bedürfnissen diesem Zweck als Kulturträger unterordnen. Die Einseitigkeit der materialen Bildung, die sich ausschließlich an Inhalten orientiert, kritisiert Klafki stark, da der Mensch zum passiven Objekt der Informationsaufnahme gemacht würde und der Mensch der Fülle von Inhalten ausgeliefert sei (Vgl. Ebert, 1986). Daher hat dieser Objektivismus für das Verständnis der materialen Bildung Klafkis keine Relevanz.
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- Quote paper
- Ebru Antil (Author), 2019, Die Theorie der Kategorialen Bildung von Wolfgang Klafki, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1312061
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