Das Erdbeben, das Kleist zum Gegenstand seiner Erzählung „Das Erdbeben in Chili” macht, fand im Jahr 1647 tatsächlich statt. Allerdings weicht Kleist in seiner Darstellung in einigen Punkten von den historischen Ereignissen in Santiago ab. Beispielsweise verlegt er das Beben von der Nacht auf den Tag.
Zudem bleibt Kleist in der Beschreibung der Stadt eher vage, so dass der Schauplatz der Katastrophe beinahe austauschbar wirkt.
Dies legt die Vermutung nahe, Kleist beziehe sich weniger auf die Katastrophe in Chile als vielmehr auf jenes Erdbeben in Lissabon, das 1755 nicht nur die Erde, sondern auch das Welt- und Gottesbild des 18. Jahrhunderts erschütterte. Der Glaube an einen guten Schöpfer und eine sinnvolle Weltordnung wurde dadurch massiv in Zweifel gezogen. So wurde das vor allem von Leibniz vertretene Konzept der prästabilierten Harmonie, dem zu Folge unsere von Gott geschaffene Welt die beste aller möglichen Welten sei unter anderem von Voltaire in seinem „Poème sur le désastre de Lisbonne“ in Frage gestellt. Kant hingegen betont die Ambivalenz des Erdbebens, während Rousseau die Zivilisation für die Katastrophe verantwortlich macht, womit nur einige Thesen des philosophischen Diskurses angedeutet werden sollen.
Auch Kleists Erzählung kann unter anderem als Reaktion auf den Theodizeediskurs des 18. Jahrhunderts betrachtet werden.
Im Folgenden soll das Motiv der Theodizee in der Erzählung näher untersucht werden. Dabei soll zunächst auf die unterschiedliche Sichtweise der Figuren, auf die Verwendung religiöser Motive und schließlich die Uninterpretierbarkeit Gottes und der Welt eingegangen werden. Am Ende wird dem Modell der göttlichen Vorsehung das Prinzip des Zufalls entgegengestellt.
Inhaltsverzeichnis
- Das Erdbeben in Lissabon und die darauffolgende Diskussion
- Das Theodizee-Motiv in Kleists „Erdbeben in Chili”
- Die verschiedenen Deutungen des Erdbebens
- Die Errettung der Liebenden
- Das Strafgericht Gottes
- Die ironische Verkehrung religiöser Motive
- Die Uninterpretierbarkeit Gottes und der Welt
- Die verschiedenen Deutungen des Erdbebens
- Ausblick: Der Zufall als alternatives Handlungsmodell
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit untersucht das Theodizee-Motiv in Kleists Erzählung „Das Erdbeben in Chili“ im Kontext des philosophischen Diskurses des 18. Jahrhunderts, ausgelöst durch das Erdbeben von Lissabon. Sie analysiert die verschiedenen Deutungen des Erdbebens innerhalb der Erzählung und beleuchtet die Ambivalenz des göttlichen Eingreifens.
- Die unterschiedlichen Interpretationen des Erdbebens durch die Figuren
- Die Verwendung und ironische Verkehrung religiöser Motive
- Die Frage nach der Uninterpretierbarkeit göttlichen Handelns und der Welt
- Der Vergleich des göttlichen Vorsehungsglaubens mit dem Zufallsprinzip
- Der Einfluss des Lissabonner Erdbebens auf den Theodizeediskurs und Kleists Erzählung
Zusammenfassung der Kapitel
Das Erdbeben in Lissabon und die darauffolgende Diskussion: Dieses Kapitel etabliert den historischen und philosophischen Kontext von Kleists Erzählung. Es verortet das Erdbeben in Chile innerhalb der Debatte um das Erdbeben von Lissabon 1755, das den Glauben an eine gütige und sinnvolle Weltordnung erschütterte. Der Text referiert auf die unterschiedlichen Reaktionen von bedeutenden Denkern wie Leibniz, Voltaire, Kant und Rousseau auf diese Katastrophe, und deutet an, wie Kleists Erzählung als Reaktion auf diesen Diskurs verstanden werden kann. Das Kapitel hebt die Abweichungen Kleists von den historischen Ereignissen hervor und legt nahe, dass der Fokus weniger auf dem spezifischen chilenischen Beben als vielmehr auf den damit verbundenen theologischen Fragen liegt.
Das Theodizee-Motiv in Kleists „Erdbeben in Chili”: Dieser zentrale Teil der Arbeit befasst sich mit den verschiedenen Interpretationen des Erdbebens innerhalb der Erzählung selbst. Er untersucht, wie die Hauptfiguren, Jeronimo und Josephe, das Ereignis wahrnehmen und deuten. Während zunächst eine positive Deutung im Sinne göttlicher Rettung und Bestrafung der Bösen im Vordergrund steht, werden die Ambivalenzen und die letztliche Uninterpretierbarkeit des Geschehens herausgearbeitet. Die Analyse konzentriert sich auf die schwingenden Gottesbilder der Figuren und wie diese mit der Realität der Katastrophe und dem Leid der vielen Unschuldigen in Einklang gebracht werden sollen (oder nicht).
Schlüsselwörter
Theodizee, Erdbeben von Lissabon, Erdbeben in Chili, Heinrich von Kleist, göttliche Vorsehung, Zufall, religiöse Motive, Ironie, Ambivalenz, Gottesbild, Interpretation, philosophischer Diskurs, 18. Jahrhundert.
Häufig gestellte Fragen zu Kleists „Das Erdbeben in Chili“
Was ist der Gegenstand dieser Arbeit?
Diese Arbeit analysiert das Theodizee-Motiv in Heinrich von Kleists Erzählung „Das Erdbeben in Chili“. Sie untersucht die verschiedenen Deutungen des Erdbebens innerhalb der Erzählung und beleuchtet die Ambivalenz des göttlichen Eingreifens im Kontext des philosophischen Diskurses des 18. Jahrhunderts, ausgelöst durch das Erdbeben von Lissabon.
Welche Themen werden behandelt?
Die Arbeit behandelt folgende Themenschwerpunkte: unterschiedliche Interpretationen des Erdbebens durch die Figuren; die Verwendung und ironische Verkehrung religiöser Motive; die Uninterpretierbarkeit göttlichen Handelns und der Welt; ein Vergleich des göttlichen Vorsehungsglaubens mit dem Zufallsprinzip; und den Einfluss des Lissabonner Erdbebens auf den Theodizeediskurs und Kleists Erzählung.
Wie ist die Arbeit strukturiert?
Die Arbeit gliedert sich in Kapitel, die das Erdbeben von Lissabon und die darauffolgende Diskussion, das Theodizee-Motiv in Kleists Erzählung und einen Ausblick auf den Zufall als alternatives Handlungsmodell behandeln. Sie beinhaltet ein Inhaltsverzeichnis, eine Zusammenfassung der Kapitel, die Zielsetzung und Themenschwerpunkte sowie Schlüsselwörter.
Welche Rolle spielt das Erdbeben von Lissabon?
Das Erdbeben von Lissabon 1755 bildet den historischen und philosophischen Kontext für Kleists Erzählung. Die Arbeit verortet „Das Erdbeben in Chili“ innerhalb der Debatte um dieses Ereignis, das den Glauben an eine gütige und sinnvolle Weltordnung erschütterte, und referiert auf die Reaktionen von Denkern wie Leibniz, Voltaire, Kant und Rousseau.
Wie werden die verschiedenen Deutungen des Erdbebens analysiert?
Die Analyse konzentriert sich auf die unterschiedlichen Interpretationen des Erdbebens durch die Figuren Jeronimo und Josephe. Es wird untersucht, wie sie das Ereignis wahrnehmen und deuten, von anfänglich positiven Deutungen (göttliche Rettung und Bestrafung) bis hin zur Herausarbeitung der Ambivalenzen und der letztlichen Uninterpretierbarkeit des Geschehens.
Welche Schlüsselwörter beschreiben die Arbeit?
Schlüsselwörter sind: Theodizee, Erdbeben von Lissabon, Erdbeben in Chili, Heinrich von Kleist, göttliche Vorsehung, Zufall, religiöse Motive, Ironie, Ambivalenz, Gottesbild, Interpretation, philosophischer Diskurs, 18. Jahrhundert.
Was ist der Ausblick der Arbeit?
Der Ausblick der Arbeit betrachtet den Zufall als alternatives Handlungsmodell im Vergleich zum Glauben an die göttliche Vorsehung, um die Ambivalenzen und die Uninterpretierbarkeit der Ereignisse in Kleists Erzählung weiter zu beleuchten.
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- Anonym (Autor), 2001, Das Theodizee-Motiv in Kleists Erzählung "Das Erdbeben in Chili", Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/131175