Während eines Praktikums an einer Grundschule sollten eine Mitstudentin und ich hospitieren, wurden aber von der Schulleitung gefragt, ob wir nicht eine Vertretungsstunde in Mathe übernehmen könnten. Wir dachten uns etwas aus, stellten aber fest, dass die Schüler mit unseren Aufgaben unterfordert waren.
Es war sehr unruhig in der Klasse und ich bat immer wieder um Ruhe. Die Klasse wurde immer unruhiger, zwei Schüler liefen durch den Raum und viele quasselten, bis sich ein Schüler vor die Füße meiner Mitstudentin auf seine Knie warf und sie anfauchte und miaute. Sie stand ganz perplex da, worauf ich hinging, schimpfte und ihn am Arm packte und wieder auf seinen Platz setzte. Einige Schüler grienten, andere machten weiter ihre Aufgaben. Als die Schulglocke wenig später läutete lief der besagte Schüler noch einmal durch den ganzen Klassenraum, schrie laut und rannte dann nach draußen.
Als die Schulglocke läutete hatte ich aber schon aufgegeben. Weil ich die Klasse nie wieder haben würde, war es mir in dem Moment dann egal und ich verzichtete auf weitere Zurechtweisungen.
Später im Auto bedankte sich die Mitstudentin bei mir, dass ich sie aus dieser Situation befreit hatte.
Inhalt
Rekonstruktion und selbst geleitete Reflexion
1. Beschreibung der Situation
2. Was hat die Situation für mich zum Fall gemacht?
3. Beschreibung der Situation aus Sicht einer anderen am Konflikt beteiligten Situation
4. Erneute subjektive Reflexion Theoretische Reflexion
5. Welche im Seminar besprochenen theoretischen Folien helfen mir, den Fall zu verstehen?
6. Welche Möglichkeiten gibt es, einen solchen Konflikt frühzeitig wahrzunehmen? Welche Präventionsmaßnahmen kann ich entwickeln?
7. Welche Alternativen sehe ich zu meinem damaligen Handeln?
Rekonstruktion und selbst geleitete Reflexion
1. Beschreibung der Situation
Der Konflikt ereignete sich in einer zweiten Klasse in der Grundschule X., als ich vor zwei Jahren mein Praktikum machte. Wir- eine Mitstudentin und ich- sollten an dem Tag eigentlich nur hospitieren, wurden aber von der Schulleitung gefragt, ob wir nicht eine Vertretungsstunde in Mathe machen könnten. Wir dachten uns noch schnell etwas aus, was wir dann mit den Schülern machten, stellten dann aber fest, dass sie unterfordert waren.
Es war sehr unruhig in der Klasse und ich bat immer wieder um Ruhe. Die Klasse wurde immer unruhiger, zwei Schüler liefen durch den Raum und viele quasselten, bis sich ein Schüler vor die Füße meiner Mitstudentin auf seine Knie warf und sie anfauchte und miaute. Sie stand ganz perplex da, worauf ich hinging, schimpfte und ihn am Arm packte und wieder auf seinen Platz setzte. Einige Schüler grienten, andere machten weiter ihre Aufgaben. Als die Schulglocke wenig später läutete lief der besagte Schüler noch einmal durch den ganzen Klassenraum, schrie laut und „peste“ dann nach draußen.
Als die Schulglocke läutete hatte ich aber schon aufgegeben, weil ich die Klasse nie wieder haben würde, war es mir in dem Moment dann egal und ich verzichtete auf weitere Zurechtweisungen.
Später im Auto bedankte sich die Mitstudentin bei mir, dass ich sie aus dieser Situation befreit hatte.
2. Was hat die Situation für mich zum Fall gemacht?
Es gibt zwei Konflikte, die ich mit dem erläuterten Fall hatte und habe.
a) Ich war mir in dem Moment, als der Schüler auf die Knie fiel nicht sicher, ob ich überhaupt eingreifen soll, was an der Beziehung zu meiner Mitstudentin lag. Ich hatte schon öfter mit ihr zusammen etwas gemacht und musste feststellen, dass immer ich diejenige war, die den Part übernahm, die Schüler zurecht zu weisen. Auf der einen Seite ist meine Stimme lauter (sie redet sehr leise und sehr hoch) und ich habe auch nicht die Hemmung in Befehlen mit Kindern zu sprechen. Ich war immer im Zwiespalt sie irgendwie zu überrumpeln, weil sie einen sehr zarten Eindruck macht, was man von mir nicht behaupten kann. Ich war mir nicht sicher, ob ich sie schon wieder aus dieser Situation befreien sollte. Ich schwankte hin und her zwischen dem Gefühl sie endlich auch mal allein das Problem lösen zu lassen, da sie es später als Lehrerin auch müsse, und der Verantwortung, die ich der Klasse gegenüber hatte – wir standen zu zweit dort!.
b) Der Konflikt mit dem Schüler. Offensichtlich wollte er provozieren. Ich bin mir nicht sicher, ob es gut war, ihn am Arm zu packen und ich bin mir nicht sicher, ob ich vielleicht vorher etwas zur Prävention hätte tun können. Die Schüler merkten offensichtlich, dass wir beide mit der Situation überfordert waren und Neulinge waren, die man austesten musste. Sie dachten: Wie weit kann man gehen, um sie zu reizen?
3. Beschreibung der Situation aus Sicht einer anderen am Konflikt beteiligten Person
Nach den oben angeführten Konfliktherden liegt die Energie des Konfliktes eher bei a. Trotzdem möchte ich mich hier in den Schüler hineinversetzen, weil ich denke, dass Konflikt b in Hinsicht auf die theoretische Reflexion ergiebiger sein wird. Ich habe das diffuse Gefühl, dass beide Konflikte ein ähnliches Ursprungsproblem haben.
Im Folgenden versuche ich einen Perspektivwechsel mit dem Schüler, ich möchte aber vorher noch kurz erwähnen, was ich über ihn zu wissen glaube. Mir wurde erzählt, dass es in der Klasse drei ADS bzw. ADHS- Kinder geben soll und habe ihn als einen ADHS-Fall wahrgenommen. Zudem hat die Klasse in den letzten zwei Jahren viele unterschiedliche Lehrer gehabt, weil zwei krank geworden waren und somit Vertretungslehrer die Klasse unterrichten mussten.
Im Folgenden versetze ich mich nun in die Lage des Schülers:
Ich komme gerade aus der Pause, wir haben ziemlich viel herumgetobt und ich bin aufgedreht. Nach dieser Stunde haben wir Schluss und können nach hause gehen.
Oh, schon wieder eine Vertretungsstunde, da ist schon wieder eine neue Lehrerin (neugierig), ach ne, das sind ja zwei. Die sehen jünger aus als die, die wir sonst haben. Was wollen die mit uns machen? Zahlenschlangen...am Anfang bin ich noch interessiert, das hatten wir noch nie, aber die Aufgaben sind pippi-eier-leicht. Was macht denn Ernie neben mir? Der malt die Schlangen irgendwie anders. Er ist schneller als ich, ach man, immer das gleiche. Draußen fliegt ein Vogel, Julia haut mit dem Stift auf den Tisch, die Lehrerin schimpft. Ich hab keine Lust mehr, ich klau Ernie nen Stift und ärger ihn. Wie der guckt-hihi! Und Robert kaut an seinem Finger. Die Lehrerin schimpft, es ist ziemlich laut und Ernie guckt schon wieder so. Ernie hat ein Katzengesicht. Wie ne Katze mit blauen Augen, fauch. Ich muss immer wieder zu dem gelben Bild an der Wand gucken. Wer hat das noch mal gemalt? Währenddessen streite ich mich mit Katzenernie. Wildes Tier, wie im Zoo, es ist laut. Wieder ein Vogel am Fenster, die Lehrerin ist schon ziemlich böse, ob die wohl noch böser wird? Mal sehen, fauch, ich bin eine Katze, wie Katzenernie! Ein Raubtier, fauch! Starre in ein ratloses Lehrerinnengesicht, mal sehen, oh, was sie jetzt macht? Ist sie böse? Ich spüre einen festen Griff an meinem Arm, die andere Lehrerin schimpft mit mir, aua, meine Ohren. Böses Gesicht. Ich werde auf meinen Stuhl zurückgesetzt. Robert kaut nicht mehr an seinem Finger, er guckt und grinst. Ich will endlich laufen, muss hier noch sitzen, will endlich raus. Vielleicht kann ich ein bisschen mit meinen Füßen wackeln, ohne dass die Lehrerin das sieht
4. Erneute subjektive Reflexion
Ich gehe davon aus, dass der Schüler halb bewusst Grenzen austesten wollte, dass die Situation aber vielleicht auch aus einer Art Spiel heraus entstanden sein könnte. Anscheinend gehe ich auch davon aus, dass er mit der Aufgabe, die er bekommen hat, unterfordert war und sich schnell von anderen Umgebungsreizen ablenken ließ. Das kommt aber auch daher, weil ich den Schüler in den Stereotyp ADHS einordne, ihm zuschreibe, sich nicht gut konzentrieren zu können. Wenn ich mir vorstelle, dass ich mir innerhalb einer Schulstunde so ein Bild von ihm gemacht habe ist das schon ganz schön erschreckend. Ich war mit der Situation überfordert, da auch bei mir viele Reize gleichzeitig eintrafen, die ich so schnell nicht ordnen konnte, hatte das Gefühl mit den Augen und Ohren überall sein zu müssen. Das Wahrnehmen in Stereotypen ist da wahrscheinlich zunächst einmal ganz normal und auch hilfreich. Die Anwesenheit meiner Mitstudentin machte es vermutlich noch schlimmer, weil ich das Gefühl hatte, auf sie auch noch Rücksicht nehmen zu müssen. Die Verantwortung war geteilt, ich wollte sie eigentlich nicht an mich reißen, tat es dann aber in der Situation doch.
Meine Erwartung an mich selber war: „habe alles unter Kontrolle, wenn du alles unter Kontrolle hast, versagst Du nicht“. Dem Problem bin ich schon öfter in meinem Kunststudium begegnet- ständig rationale Kontrolle ins Gefühlschaos zu bringen. Ich könnte mir aber vorstellen, dass sich viele Anfänger zunächst einer Reizüberflutung ausgesetzt sehen und ähnliche Probleme haben wie ich.
Das Problem mit meiner Mitstudentin nehme ich vage als Stärker-Schwächer-Problem wahr. Ich möchte sie nicht übergehen, obwohl mir das leicht passieren könnte, würde ich nicht so darauf achten, dass es mir nicht passiert. Ich bin lauter und forscher als sie und mir ist es schon oft vorgekommen, dass ich die Führung einfach an mich reiße, auch in anderen Situationen. Diese zweite „innere Anweisung“ an mich selbst: „übergehe andere Menschen nicht, lasse sie ausreden, nehme Rücksicht“ ist vermutlich ein Erbe meiner Erziehung und der Stellung als große Schwester zweier kleinerer Geschwister in der Familie.
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- Citation du texte
- Ursula Mock (Auteur), 2006, Selbst- und theoriegeleitete Fallreflexion eines Konfliktes in einer Grundschule, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/131047
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