Vor dem Hintergrund einer sich im Sinne zunehmender Multikulturalität und -Religiosität wandelnden Gesellschaft ist die Erwartung gegenüber einer Weiterentwicklung religiöser Bildung hin zu einer interreligiösen Bildung weit verbreitet und bezieht sich sowohl auf das Schulfach Religion als auch auf jegliche anderen Formen religiöser Bildung. Die heutigen Vorrausetzungen verweisen auf die neue pädagogische Aufgabe, die herkömmliche Bildung und Erziehung, die sich nur auf die der eigenen Herkunft entsprechenden Religion bezieht, zu erweitern. Neben den zunehmenden Pluralisierungstendenzen ist auch aus (religions-)pädagogischer Sicht ein gemeinsames Lernen unausweichlich. Es sei unerlässlich, den Umgang mit der Andersartigkeit des Anderen zu erlernen und eine grenzübergreifende Verständigung einzuüben.
Obwohl Schulklassen eine sehr große Vielfalt der Schüler*innen aufweisen, versuchen Schulen diese Verschiedenheit oftmals zu verringern. In Anlehnung an Prengel muss in der Schule im Gegensatz zur gesellschaftlich-kulturellen Vielfalt weiterhin von einer „Monokultur“ gesprochen werden. An Regelschulen hat der Unterricht oftmals den Charakter einer Mittelschichtinstitution, die auf weiße, mitteleuropäische Schüler*innen zugeschnitten ist. Der konfessionelle Religionsunterricht hat sich in seiner Vergangenheit dieser Praxis ohne Einschränkung angeschlossen.
Mit diesem Einstieg darüber, wie in einer pluralistischen Gesellschaft ein Leitbild religiöser Erziehung begründet wird, ist der Religionsunterricht an der Schule ein interessantes Studienobjekt für die Frage, wie Schule unter Berücksichtigung einer Pädagogik der Vielfalt religiöser Pluralität begegnen sollte. Um dieser Frage nachzugehen, soll im Anschluss an die Einleitung das Konzept der Pädagogik der Vielfalt (PdV) nach der Erziehungswissenschaftlerin Annedore Prengel vorgestellt werden. Im Folgenden werden zwei Interreligiöse Bildungsansätze vorgestellt, bevor dann im zweiten Hauptteil beurteilt werden soll, ob die Gedanken des neueren Konzepts der „Kultur- und Religionssensiblen Bildung“ den Kerngedanken der PdV Rechnung tragen.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
1.1 Persönlicher Bezug und Relevanz des Themas – Problemskizze
1.2 Religionsunterricht in Deutschland
1.2.1 Gesellschaftliche Rahmenbedingungen
1.2.2 Kirchliche & schulische Rahmenbedingungen
1.3 Fragestellung & Vorgehensweise
2 Der Weg zu einem inklusiven Religionsunterricht
2.1 Anerkennung nach Annedore Prengel – Pädagogik der Vielfalt
2.1.1 Inklusive und interkulturelle Pädagogik
2.1.2 Was ist Vielfalt? - Gleichheit und Verschiedenheit
2.1.3 Kernpunkte der PdV
2.1.4 Vorrausetzung von PdV
2.2 Interkulturelle und interreligiöse Bildungsansätze
2.2.1 Hamburg: Religionsunterricht für alle
2.2.2 Baden-Württemberg: konfessionell-kooperativer Religionsunterricht
2.3 Zwischenfazit
3 Kultur- und religionssensible Bildung (KuRs.B)
4 Fazit & Ausblick
5 Literaturverzeichnis
6 Anhang
1 Einleitung
1.1 Persönlicher Bezug und Relevanz des Themas – Problemskizze
Im Seminar „Bildungsprozesse und Anerkennung“ habe ich ein breites Verständnis zu den verschiedenen Modellen von Anerkennung aufbauen können. Besonders in Erinnerung ist mir dabei das Konzept der Pädagogik der Vielfalt von Annedore Prengel hängen geblieben, welches sich durch die Anerkennung von Gleichheit und von Differenz auszeichnet. Dabei geht es um die Entwicklung und das Nutzen der Einzigartigkeit bzw. Verschiedenheit jedes Menschen als Ressource. In meiner Schulzeit habe ich den evangelischen Religionsunterricht besucht und viel über meinen Glauben gelernt. Auch der Austausch mit anderen Gläubigen war für mich immer sehr bereichernd. Aber eine dialogische Begegnung mit Menschen anderer Religionszugehörigkeiten hatte ich das erste Mal zu Beginn meines Studiums. Dort habe ich viel über andere Religionen gelernt und das erste Mal festgestellt, dass auch viele Gemeinsamkeiten existieren. Allerdings bin ich gelegentlich auch in Fettnäpfchen getreten und habe mich pauschalisiert und vorurteilsbehaftet in Gesprächen mit Andersgläubigen ausgedrückt. Auch ich musste viele Vorurteile über meinen Glauben hinnehmen. Ich habe sachliche, wertschätzende, aber auch etliche unsachliche und verständnislose Diskussionen und Gespräche erlebt. Gerne möchte ich später das Fach Religion unterrichten, das auch die Möglichkeit eines sachlich-dialogischen Austausches mit einer religiös-heterogenen Gruppe bereitstellt und Schüler*innen befähigt, religiösen Menschen mit Anerkennung, Toleranz und Respekt zu begegnen.
Vor dem Hintergrund einer sich im Sinne zunehmender Multikulturalität und -Religiosität wandelnden Gesellschaft ist die Erwartung gegenüber einer Weiterentwicklung religiöser Bildung hin zu einer interreligiösen Bildung weit verbreitet und bezieht sich sowohl auf das Schulfach Religion als auch auf jegliche anderen Formen religiöser Bildung. Die heutigen Vorrausetzungen verweisen auf die neue pädagogische Aufgabe, die herkömmliche Bildung und Erziehung, die sich nur auf die der eigenen Herkunft entsprechenden Religion bezieht, zu erweitern. Erst durch entsprechende vorbereitende pädagogische Maßnahmen von Kindheit an, lässt sich das Ziel eines durch Frieden, Toleranz, Anerkennung und vom wechselseitigen Respekt geprägten Zusammenlebens erreichen (vgl. Schweitzer 2022: S. 6). Doch nicht allein zunehmende Pluralisierungstendenzen sind Grund für ein Lernen in heterogenen Gruppen.
Besonders aus (religions-)pädagogischer Sicht sei ein gemeinsames Lernen unausweichlich. Es sei unerlässlich, den Umgang mit der Andersartigkeit des Anderen zu erlernen und eine grenzübergreifende Verständigung einzuüben. Möglich wäre dies in einer Lerngruppe, in der Diversität existiert und praktisch erfahren und erlernt wird. Durch eine Gemeinschaft der Verschiedenen kommt es zu einem Kompetenzerwerb. Schüler*innen eignen sich beispielsweise Handlungssicherheit im Umgang mit Verschiedenheit an, bauen Berührungsängste gegenüber dem Fremden ab, erwerben eine wertschätzende Haltung gegenüber Menschen unterschiedlicher geistig-weltanschaulicher Prägung und bauen ein Verständnis für unvertraute Religionen und Glaubensformen auf (vgl. Müller-Friese, Schweiker 2013: S. 38).
Obwohl Schulklassen eine sehr große Vielfalt der Schüler*innen aufweisen, versuchen Schulen diese Verschiedenheit oftmals zu verringern. In Anlehnung an Prengel muss in der Schule im Gegensatz zur gesellschaftlich-kulturellen Vielfalt weiterhin von einer „ Monokultur “ (vgl. Prengel 2019: S. 86) gesprochen werden. An Regelschulen hat der Unterricht oftmals den Charakter einer Mittelschichtinstitution, die auf weiße, mitteleuropäische Schüler*innen zugeschnitten ist. Der konfessionelle Religionsunterricht hat sich in seiner Vergangenheit dieser Praxis ohne Einschränkung angeschlossen (vgl. Müller-Friese, Schweiker 2013: S. 39).
1.2 Religionsunterricht in Deutschland
In Deutschland hat kein Unterrichtsfach eine rechtlich vergleichbare Stellung wie der Religionsunterricht (RU). Der RU ist im Grundgesetz (GG) vom 23. Mai 1949 als „ordentliches Lehrfach“ für alle Schulen in öffentlicher Trägerschaft festgeschrieben (Art. 7.3 GG) und wird unter staatlicher Aufsicht in inhaltlicher Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften als evangelischer, katholischer, jüdischer oder islamischer RU erteilt und verantwortet. Für alle Schüler*innen besteht allgemein die Möglichkeit, wesentliche persönliche Sinnfragen aufzugreifen, Handlungsorientierung zu gewinnen und rechtlichen Gebrauch von ihrer Glaubens- und Gewissensfreiheit zu machen (vgl. Kirchenamt der EKD 2014: S. 38ff.). Der zur Neutralität verpflichtet freiheitliche Rechtsstaat bringt gleichzeitig zum Ausdruck, dass religiöse Überzeugungen auch für die Gestaltung eines friedlichen, funktionierenden Gemeinwesens bedeutsam sind (vgl. Kothmann 2016: S. 1).
Aus politischer Sicht kommt dem Religionsunterricht die besondere Funktion einer ethisch-zivilisierenden und informierenden Bildung zu. Seine Wichtigkeit erfährt der RU, weil religiös motivierte Konflikte deutlich machen, dass Religion keine Privatangelegenheit ist. Bildungspolitisch ist der Beitrag zu einem solidarischen Miteinander daher ein notwendiger Gegenstand schulischer Bildung (vgl. Kothmann 2013: S. 12).
1.2.1 Gesellschaftliche Rahmenbedingungen
Nicht zuletzt lassen neben den religiös-kulturellen Pluralisierungstendenzen (z.B. verstärktes Aufkommen des Islam) auch der gesellschaftlich zunehmende Bedeutungsverlust der Kirchen und die steigende Pluralisierung von Lebensstilen den schulischen RU in seiner konfessionsgetrennten Form begründungspflichtig werden. Die Relevanz des Faches betreffend sprechen die eher geringen Abmeldungen vom RU stets für eine relativ hohe Akzeptanz bei Schüler*innen und den Eltern (vgl. Kirchenamt der EKD 2014: S. 27).
Doch mit Blick auf die zunehmende Zahl von Konfessionslosen bzw. Kirchendistanzierten (ca. 30 %) und die religiös-kulturelle Pluralisierung stellt sich die Frage nach der Zukunft des konfessionellen RU. Denn in vergangener Zeit haben sich in Deutschland verschiedene Praxen des RU entwickelt und in Europa (z.B. in England und Schweden) empfehlen sich multireligiöse Formate als zukunfts- und pluralitätsfähiger (vgl. Kothmann 2013: S. 3f.).
1.2.2 Kirchliche & schulische Rahmenbedingungen
Im Jahr 1994 bezieht die Evangelische Kirche Deutschlands (EKD) zum konfessionsbezogen Lernen Stellung. Dabei begrüßt die Kirche zwar die zu erwartende umfassende Pluralisierung Deutschlands, weist aber auf das potentielle Risiko hin, „ daß die eigene Auffassung konturlos wird “ (Evangelische Kirche Deutschlands 1994: S. 26). Aus diesem Grund plädiert die Kirche für einen nach Konfessionen getrennten Unterricht, der sich jeweils den eigenen Perspektiven auf Sinn- und Lebensfragen, Gott, den Menschen und die Welt widme und Schüler*innen bei ihrer Identitätsbildung unterstützt. Durch ein erfolgsversprechendes Wechselspiel zwischen Identität und Verständigung solle der Dialogfähigkeit in der religiös-pluralen Gesellschaft genüge getan werden (vgl. Evangelische Kirche Deutschlands 1994: S. 40).
Unter dem Titel „Evangelischer Religionsunterricht als Beitrag zu einer pluralitätsfähigen Schule“ bezieht die EKD im Jahr 2014 erneut Stellung zum RU und unterstreicht die Auffassung für einen konfessionell kooperativen, dialogisch ausgerichteten RU (vgl. Kirchenamt der EKD 2014: S. 14). Die EKD macht deutlich, dass dieser Unterricht Schüler*innen unter Berücksichtigung ihrer eigenen Lebenserfahrungen „eine Auseinandersetzung mit dem christlichen Glauben, seinen biblischen Grundlagen und ethischen Konsequenzen [ermöglicht]. In all dem wird erwartet, dass sich auch ein Verständnis für Menschen entwickelt, die nicht-christlichen Religionen oder keiner Religion angehören. (...) Die im Religionsunterricht ermöglichte religiöse Orientierung stellt eine Voraussetzung auch für Pluralitätsfähigkeit dar“ (Kirchenamt der EKD 2014: S. 55), die „ohne Vertrautheit mit verschiedenen Religionen und Weltanschauungen nicht denkbar ist“ (Kirchenamt der EKD 2014: S. 67).
Hierbei wird ein evangelisches Glaubensverständnis herausgearbeitet, dem grundlegende Haltungen (z.B. Offenheit und Toleranz) angehören und das aus kirchlicher Perspektive darauf verweist, dass ein pluralitätsfähiger und identitätsbildender RU Elemente konfessioneller Bindung und dialogischer Offenheit brauche (vgl. Schweitzer 2015: S. 10; Kothmann 2013: S. 11). Angesichts dieser zunehmenden religiös-weltanschaulichen Vielfalt erwächst für den Religionsunterricht - und zwar im Blick auf die Schule insgesamt - die neue Aufgabe:
„als ein Ort verstanden und ausgestaltet werden, an dem die in der eigenen Schule vorhandene (...) Vielfalt reflexiv aufgenommen und eingeholt werden kann. Im Religionsunterricht können verschiedene Arten und Weisen, mit dieser Vielfalt umzugehen, ausdrücklich thematisiert werden “ (Kirchenamt der EKD 2014: S. 103).
1.3 Fragestellung & Vorgehensweise
Mit diesem Einstieg darüber, wie in einer pluralistischen Gesellschaft ein Leitbild religiöser Erziehung begründet wird, ist der Religionsunterricht an der Schule ein interessantes Studienobjekt für die Frage, wie Schule unter Berücksichtigung einer Pädagogik der Vielfalt religiöser Pluralität begegnen sollte. Um dieser Frage nachzugehen, soll im Anschluss an die Einleitung das Konzept der Pädagogik der Vielfalt (PdV) nach der Erziehungswissenschaftlerin Annedore Prengel vorgestellt werden. Im Folgenden werden zwei Interreligiöse Bildungsansätze vorgestellt, bevor dann im zweiten Hauptteil beurteilt werden soll, ob die Gedanken des neueren Konzepts der „Kultur- und Religionssensiblen Bildung“ den Kerngedanken der PdV Rechnung tragen.
2 Der Weg zu einem inklusiven Religionsunterricht
2.1 Anerkennung nach Annedore Prengel – Pädagogik der Vielfalt
Der Begriff „Pädagogik der Vielfalt“ und das dahinterstehende Konzept wurden von Annedore Prengel maßgeblich beeinflusst. In der ersten Auflage ihres 1993 veröffentlichten Buch „Pädagogik der Vielfalt“ bezieht sie sich vorwiegend auf drei Kategorien: Geschlecht (feministische Pädagogik), Behinderung (Integrationspädagogik) und Kulturalität (interkulturelle Pädagogik – antirassistische Bildungsarbeit) (vgl. Prengel 2019: S. 2). Auf die letztgenannte Kategorie soll kurz etwas näher eingegangen werden.
2.1.1 Inklusive und interkulturelle Pädagogik
Das Ziel der inklusiven Pädagogik bestehe darin, jegliche Heterogenitätsdimensionen einzubeziehen. Zu dieser Fülle an Dimensionen gehören unter anderem „ Ability/Leistung, Gender und sexuelle Orientierung, Kultur/Ethnizität, Aufenthaltsstatus und Religion sowie die sozioökonomische Lebenslage “ (Prengel 2013a: S. 33).
Die interkulturelle Pädagogik verweist darauf, dass sie Bezug zu Angehörigen verschiedener Kulturen hat, jedoch bisher unreflektiert Werte und Normen der dominanten Kultur zusammen mit der entsprechenden Höherwertigkeitsvorstellungen weitergegeben werden (vgl. Prengel 2019: S. 19). Insofern steht interkulturelle Erziehung vor der Aufgabe, Menschen zum respektvollen, wechselseitigen Kennenlernen zu befähigen. Zielführend bei der Suche nach Verbindungswegen zwischen verschiedenen Kulturen seien dabei das Bewusstwerden der eigenen Kultur einerseits und das Wahrnehmen anderer Kulturen andererseits (vgl. Prengel 2019: S. 91). Im Vordergrund steht dabei das Abbauen von hierarchischen Strukturen. Für einen professionellen Umgang mit der Vielfalt im Schulbereich fordert Prengel eine Didaktik für heterogene Lerngruppen, die all jene Menschen in ihren unterschiedlichen Lebenslagen gerecht wird (vgl. Prengel 2019: S. 1).
2.1.2 Was ist Vielfalt? - Gleichheit und Verschiedenheit
Das Kernanliegen der PdV ist die Gleichberechtigung der Verschiedenen. Für eine Schule der Vielfalt seien sowohl die Akzeptanz von Individualität als auch die Aufgeschlossenheit gegenüber Unterschiedlichkeit, die weder als besser geschweige denn als schlechter zu bewerten ist, von besonderer Bedeutung. Die inklusive Pädagogik ist um eine neue Definition des Verhältnisses von Gleichheit und Verschiedenheit bemüht, arbeitet daran , „dass demokratische Gleichheitsprinzip ohne den Zwang zur Angleichung gelten zu lassen und Freiheit für Vielfalt ohne den Drang zur Hierarchiebildung wertzuschätzen.“ (Prengel 2010: S. 6). Erst dann werden polarisierende Pauschalisierungen vermeiden und kann ein Beitrag zur „ zur Entfaltung kulturellen Reichtums und zum Respekt vor Individualität in der Erziehung “ (Prengel 2019: S. 4) geleistet werden. Für Prengel sind die Begriffe Gleichheit und Verschiedenheit untrennbar miteinander verbunden. Gleich sind Schüler*innen aus Sicht der inklusiven Pädagogik hinsichtlich ihrer Grundbedürfnisse (z.B. Nahrung, Bildung, grundlegende Rechte). Verschieden sind alle Schüler*innen hinsichtlich ihrer einzigartigen Individualität (z.B. wie Alter, kultureller Hintergrund, Geschlecht, sexuelle Orientierung, Herkunft, ökonomischen Lebensbedingungen) (vgl. Prengel 2010: S.2f.).
2.1.3 Kernpunkte der PdV
Die PdV sieht jeden Menschen als Einzigartigkeit und somit als Bereicherung. Prengel versteht diese Unterschiedlichkeit der Menschen als Ressource und ermutigt dazu, diese Vielfalt an Biografien nicht als Problem, sondern als Reichtum zu betrachten. Für eine PdV braucht es ebenso eine ermutigende, akzeptierende, antidiskriminierende, emanzipatorische Haltung, wie unterstützende Strukturen, chancengerechte und anregende Lernumgebungen in der Schule (vgl. IMST-Handreichungen 2014: S. 4). Dafür formuliert Prengel 17 Thesen, die, unter Berücksichtigung der von Axel Honneth dargelegten drei Dimensionen von Anerkennung, auf pädagogische Kontexte zugeschnitten sind. Ihre Thesen seien als Diskussionsbeitrag zu verstehen. Sie erheben nicht den Anspruch auf Widerspruchsfreiheit und lassen viele Fragen unbeantwortet, leisten aber eine Reflexionsarbeit, um diese offenen Fragen aufzuarbeiten (vgl. Prengel 2019: S. 205). Im Folgenden soll lediglich auf ein paar ausgewählte zentrale Prinzipien und didaktischen Elemente Bezug genommen werden:
Ihre erste These „ Selbstachtung und Anerkennung der Anderen “ soll in der PdV als Lernziel für Lehrkräfte und Schüler*innen gelten und besagt, dass Anerkennung der Anderen mit der Selbstanerkennung anfängt. Über den Weg der Selbstreflexion gelingt die Anerkennung der Persönlichkeit, die wiederum „ Selbstachtung, liebevolle Selbstwahrnehmung, Fähigkeit zur Artikulation der eigenen Erfahrung und des eigenen Willens und zum Handeln im eigenen Interesse bewirken. “ (Prengel 2019: S. 195). Durch den Blick auf die eigene Besonderheit werden auch die Fähigkeit und das Interesse an der Besonderheit der Anderen geweckt.
Das „Kennenlernen der Anderen“ und sich neugierig auf andere einlassen ist der Schlüssel für ein erfolgreiches Miteinander und benötigt daher im Unterricht den entsprechenden Raum. „ Solche Gemeinsamkeit setzt sich zusammen durch den Kontakt zwischen den Verschiedenen, sie wird nicht erreicht durch Angleichung der Verschiedenen aneinander oder an eine übergeordnete Vorgabe. “ (Prengel 2019: S. 196).
Dazu gehört auch die Entwicklung und das Nutzen von Verschiedenheit im gemeinsamen Spielen, lernen, helfen und in der Gemeinschaft von Verschiedenen, wodurch Beziehungen entwickelt werden. Lehrkräfte seien daher verantwortlich für eine Atmosphäre der Akzeptanz der Verschiedenheit. Denn ansonsten besteht die Gefahr, dass „ die „ mächtigen Traditionen des Rassismus “ Entwicklungsprozesse hemmen (Prengel 2019: S. 196).
In der vierten These „ Kollektivität: Gemeinsamkeit zwischen Menschen mit ähnlichen Erfahrungen“ betont Prengel, dass das Verhältnis von Selbstachtung und Anerkennung der Anderen auch in Bezug auf Einzelne mit denselben Erfahrungen innerhalb derselben Gruppe gelte. Im Dialog mit Verschiedenen ist es möglich, dass sich Einzelne in ihrem Erleben wiedererkennen. Dieses Wiedererkennen erschließt neue Dimensionen, weshalb auch die Anerkennung kollektiver Verschiedenheit zwischen Gruppen einen Platz in der PdV haben sollte. Eine Differenzierung, die zur dauerhaften Separation Einzelner innerhalb einer Gruppe führen, müssen vermieden werden. Schüler*innen sollte der Raum geboten werden, zu zeigen wer sie sind und um sich zu entwickeln bzw. zu verändern (vgl. Prengel 2019: S. 197f.).
In der achten und neunten These spricht sich Prengel dafür aus, „ Keine Definitionen “ und „ Keine Leitbilder “ zu verwenden, denn die PdV unterstreicht die „Unbestimmbarkeit der Menschen“. Weder eine PdV noch Erwachsene bzw. Pädagog*innen sollen den Ist-Zustand, oder den Soll-Zustand eines Kindes bestimmen. Die PdV lehnt Definitionen, z.B. was ein Christ oder eine Muslimin sei (vgl. Prengel 2019: S. 200), und Leitbilder, die kulturelle Zugehörigkeiten vorzeichnen, ab. Lehrer*innen sollten Kinder bei ihrer eigenen rechtmäßigen Lebensgestaltung unterstützen, zur eigenständigen Lebensplanung anleiten und tragen für geeignete Identifikationsmöglichkeiten Sorge (vgl. Prengel 2019: S. 200f.).
In These 13. spricht sich Prengel eine „ Didaktik des offenen Unterrichts “ aus, die stets am Problem der Abstimmung zwischen dem Entwicklungsstand der Schüler*innen und den inhaltlichen-methodischen Angeboten der Pädagogik arbeitet. Nur bei einem offenen Lernangebot, das der Verschiedenheit der Kinder Rechnung trägt, kann jedem Kind eine angemessene Unterstützung der Lernprozesse geboten werden (vgl. Prengel 2019: S. 202).
2.1.4 Vorrausetzung von PdV
Wichtige Voraussetzungen ergeben sich unter anderem auf Institutionelle Ebene, wie z.B. eine fruchtbare Zusammenarbeit mit Eltern und Kooperationen mit vielfältigen öffentlichen Einrichtungen. Wichtig sei weiterhin eine entsprechende Gestaltung der Klassenräume (z.B. Anerkennung aller religiösen Symbole), in denen sich jeder Einzelne in seiner Einzigartigkeit wiederfindet und die Verschiedenheit der Klassengemeinschaft zum Ausdruck kommt.
Auf Ebene der Didaktik gelte das Motto Lernförderung und -begleitung anstelle eines Unterrichts mit homogenen Lerngruppen. Wichtig sei darüber hinaus eine interessenbasierte Orientierung an den Schüler*innen (vgl. IMST-Handreichungen 2014: S. 9). In diesem Zusammenhang sei auf die ReVikoR-Studie verwiesen, in der Schüler*innen den Wunsch artikulierten, nicht nach Konfessionen getrennt unterrichtet zu werden. Eine Trennung hätte aus Sicht vieler Lehrer*innen und Schüler*innen hemmende Auswirkungen auf die Entwicklung von Respekt und Toleranz (vgl. Lüdtke 2020: S. 398). Unterschiedliche Lern- und Arbeitsgruppen (z.B. ein gemischter RU), sollen die Möglichkeit bieten individuelle Sichtweisen einzubringen und zu besprechen, Unterschiede bzw. Widersprüche zu reflektieren und zu tolerieren sowie Gemeinsamkeiten wahrzunehmen (vgl. IMST-Handreichungen 2014: S. 9f.).
Auf der Beziehungsebene betont Prengel, dass „Separation (...) zur Folge [hat], dass Kindern die Möglichkeit genommen wird, gemeinsam mit anderen Kindern aufzuwachsen und mit deren Lebenssituationen vertraut zu werden“ (2010: S: 9). Ein solcher Unterricht laufe damit Gefahr, dass in der Kindheit die kulturell veranlagte Abwehr beispielsweise gegen Andersgläubige, nicht wahrgenommen wird. In Anlehnung an die Entwicklungslogik der Integrationsforscherin Maria Kron bedauert Prengel den Widerspruch, Kinder in ihrer bedeutendsten Entwicklungsphase voneinander zu trennen, und ihnen im Jugend- und Erwachsenenalter eine sich achtende und akzeptieren Haltung abzuverlangen (vgl. Prengel 2013b: S. 11).
2.2 Interkulturelle und interreligiöse Bildungsansätze
Schon seit geraumer Zeit sind interkulturelle und –religiöse Bildungsansätze um die Planung integrativer bzw. inklusiver Unterrichtsmodelle an Schulen bemüht, die den Umgang mit religiöser Vielfalt zu schulen versuchen. Interkulturelles Lernen soll Schüler*innen befähigen friedlich und achtungsvoll mit anderen, ganz frei von ihrer Religionszugehörigkeit oder Kultur, umzugehen. In vielen Fällen gehen die Ansätze des interkulturellen Lernens heute mit der Pädagogik der Vielfalt von Prengel einher (vgl. Heller et al. 2017: S. 38f.).
[...]
- Citation du texte
- Felix Märtin (Auteur), 2022, Inklusiver Religionsunterricht in einer religiös pluralistischen Gesellschaft, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1310105
-
Téléchargez vos propres textes! Gagnez de l'argent et un iPhone X. -
Téléchargez vos propres textes! Gagnez de l'argent et un iPhone X. -
Téléchargez vos propres textes! Gagnez de l'argent et un iPhone X. -
Téléchargez vos propres textes! Gagnez de l'argent et un iPhone X. -
Téléchargez vos propres textes! Gagnez de l'argent et un iPhone X. -
Téléchargez vos propres textes! Gagnez de l'argent et un iPhone X. -
Téléchargez vos propres textes! Gagnez de l'argent et un iPhone X.