Die Arbeit setzt sich mit dem Thema Bildungsungleichheit aufgrund von Migration auseinander. Das Phänomen Migration als Herausforderung für die schulische Bildung nimmt an Aktualität nicht ab und hat somit einen großen Stellenwert in der Pädagogik sowie im schulischen Alltag inne. Faktoren wie ungünstige wirtschaftliche Veränderungen, soziale Bedingungen oder Kriege bewegen Menschen dazu, aus ihren Heimatländern zu fliehen, um ein besseres Leben führen zu können. Diese Menschen müssen durch das Aufnahmeland integriert werden, was durch Einbürgerung, soziale Sicherung oder auch mit dem Zugang zum Bildungs- und Arbeitsmarkt geschehen kann.
Wichtig für die jungen Menschen, Kinder und Jugendlichen im schulpflichtigen Alter ist, dass sie Zugang zum Bildungssystem erhalten, um die nötigen Kompetenzen zu erwerben, die sie auf ein Leben in der Gesellschaft und ein weiteres Lernen in Ausbildung bzw. Beruf vorbereiten und somit Anschluss in der Gesellschaft zu finden.
Das Interesse, sich mit der Verbindung von Migration und Bildung zu beschäftigen, ist mit meiner persönlichen Lebens- und Berufserfahrung durch die sozialpädagogische Arbeit im Kontext Schule und Beruf begründet. In der täglichen Arbeit sind wir mit vielfältigen Fragestellungen, Aufgaben und Problemlagen von Menschen unterschiedlicher Herkunft konfrontiert, die eine besondere Sensibilität im Zusammenhang mit schulischem Erfolg und Bildungschancen erfordern.
Die verlangte Integration in die bestehende Gesellschaft, Probleme bei der persönlichen Identitätsfindung oder Sozialisationsprobleme in der Schule stellen diese jungen Menschen immer wieder vor große Herausforderungen. Jeder Mensch verfügt in seiner Einzigartigkeit über individuelle Erfahrungen des Lebens und seiner Kultur, die (in einem neuen Land mit seinen spezifischen Gesellschaftsstrukturen) bereichernd wirken können und Bildungschancen bieten.
Inhaltsverzeichnis
Abstract
1 Einleitung + Fragestellung
2 Migration
2.1 Definition Migration
2.2 Tendenz der demographischen Entwicklung der Migration in Deutschland
2.3 Rechtliche Grundlagen am Beispiel von Fluchtmigration
2.4 Motive und Hintergründe der Migration
2.5 Phasen der Migration
3 Theoretische Erklärungsansätze nach Hans Thiersch und Pierre Bourdieu
3.1 Entstehung der Lebensweltorientierung nach Hans Thiersch
3.1.2 Konzept der Lebensweltorientierung nach Thiersch
3.1.3 DasSelbstverständnis der Lebensweltorientierung und ihre Handlungsmaxime
3.1.4 Kritik in Bezug auf Lebensweltorientierung
3.1.5 Auswirkungen der Migration auf die Lebenswelten der Betroffenen
3.1.6 Theoretische Grundlage - Ein Ansatz nach
3.2 Der theoretische Erklärungsansatz für Bildungsdisparitäten nach Pierre Bourdieu
3.2.1 Der Habitus
3.2.2 Der Kapitalbegriff
3.2.2 Ökonomisches Kapital
3.2.3 Soziales Kapital
3.2.4 Kulturelles Kapital
3.2.5 Das symbolische Kapital
3.3 Milieuanalyse und Bildungsungleichheiten
3.4 Der Habitus zwischen sozialer Position und Bildungserfolg (Riegel)
4 Bildungsungleichheit
4.1 Bildungsungleichheiten durch mangelnde Chancengerechtigkeit?
4.2 Chancengleichheit & Chancengerechtigkeit
4.2.1 Chancengleichheit als Disziplinierung
4.2.2 Chancengleichheit als Illusion?
5 Schichtenspezifische Bildungsungleichheit im deutschen Bildungssystem
5.1 Bildungsungleichheiten in der Kindertagesstätte
5.2 Bildungsungleichheit in der Grundschule
5.3 Bildungsungleichheit in der Sekundarstufe
5.4 Soziale Auslese durch das Schulsystem
5.5 Bildungsungleichheit im Übergang von der Schule in Ausbildung
6 Die Ressource Schulsozialarbeit für die Lebensbewältigung der Schüler
6.1 Historische Entwicklung der Schulsozialarbeit
6.2 Zum Auftrag der Schulsozialarbeit
6.3 Der Bildungsbegriff in der Schulsozialarbeit
6.4 Begründung und Relevanz lebensweltorientierter Schulsozialarbeit im Lebensraum Schule
6.4.1 Relevante Strukturmaximen lebensweltorientierter Schulsozialarbeit
6.4.2 Chancen und Grenzen der Einflussnahme lebensweltorientierterSchulsozialarbeit angesichts einer lebensweltorientierte Schulentwicklung
6.4.3 Herausforderungen lebensweltorientierter Schulsozialarbeit
7 Aktuelle Herausforderungen - Schulsozialarbeit im Rahmen gesellschaftlicher Entwicklungen
7.1 Herausforderungen für die pädagogische Praxis am Lernort Schule
7.2 Diversität und Heterogenität im Kontext Schule
7.3 Heterogenitätskategorie "Schulische Leistungen"
7.4 Bourdieu Magnetfeld Schule
7.5 Mögliche Strategienfür den Abbau von Bildungsbenachteiligung
7.5.1 Gelingende Integration ins Schulsystem
7.5.2 Kooperationen innerhalb multiprofessioneller Teams
7.5.3 Was bedeutet multiprofessionelles Arbeiten im Magnetfeld Schulsozialarbeit?
7.5.4 Interkulturelle Sensibilität als Bestandteil pädagogischer Grundhaltung
8 Individuelle Fördermöglichkeiten zur Verminderung von Bildungsungleichheit
8.1 Lesekompetenzförderung
8.2 Lernförderung im Rahmen des Bildungs- und Teilhabepakets
8.3 Bildungsaspirationen und Erwartungen der Eltern sowie Jugendlichen
9 Interkulturelle Schulentwicklung in der Migrationsgesellschaft
10 Strukturelle Voraussetzungen interkultureller Schulentwicklung
11 Inklusion
12 Ausblick: Ethnische Differenzierung oder Selbstexklusion
15 Fazit
Literaturverzeichnis
Abstract
Seit den Neuzuwanderung ab 2015 hat sich erneut die Aufmerksamkeit der Bildungsforschung in Deutschland auf Lernende aus Familien, die hier nicht altansässig, sondern zugewandert sind, gerichtet. So sind die Bildungslaufbahnen von Jugendlichen mit Migrationshintergrund häufig durch geringere Bildungsabschlüsse oder schulische Misserfolge geprägt. Programme, wie die PISA-Studie haben darauf aufmerksam gemacht, dass migrationsbedingte sprachliche und kulturelle Heterogenität in der Schülerschaft nicht als Problem einer zu vernachlässigenden Randgruppe, sondern als Grundproblem von Erziehung und Bildung zu sehen ist. Ergebnisse empirischer Studien zeigen, dass Zukunftsperspektiven zu einem wesentlichen Teil durch den niedrigen sozioökonomischen Status geprägt sind, den ihre Familien innehaben. Mit der vorliegenden Abschlussarbeit sollen in einem theoriegeleiteten Kontext die Hintergründe für migrationsbezogene Bildungsbenachteiligung untersucht werden. Kurzgefasst bezieht sich das Forschungsinteresse auf die Bildungsungleichheiten aufgrund von Migration, wobei sich der Fokus auf die Bildungsinstitution Schule richtet. Vor dem Hintergrund einer immer heterogener werdenden Schülerschaft schließt die Ausarbeitung mit der Darstellung von potentiellen Maßnahmen ab, die im Schulalltag unterstützen und Bildungsungleichheiten entgegenwirken können.
Since the recent immigration from around 2015, educational research in Germany has again focused broad attention on learners from families who are not resident here, but who have immigrated. Educational careers of young people with a migration background are often characterized by lower educational qualifications or school failures. Programs like the PISA study have drawn attention to the fact that migration-related linguistic and cultural heterogeneity in the student body should not be viewed as a problem of a marginal group that can be neglected, but as a basic problem of upbringing and education. The results of empirical studies show that future prospects are largely influenced by the low socio-economic status that their families have. This thesis intends to examine the background to migration-related educational disadvantage in a theory-based context. The research interest relates to educational inequalities due to migration, with the focus on schools as an educational institution. Against the background of an increasingly heterogeneous student body, the elaboration concludes with the presentation of potential measures that can support everyday school life and counteract educational inequalities.
1 Einleitung + Fragestellung
Das Phänomen Migration als Herausforderung für die schulische Bildung nimmt an Aktualität nicht ab und hält somit einen großen Stellenwert in der Pädagogik sowie im schulischen Alltag inne.
Faktoren wie ungünstige wirtschaftliche Veränderungen, soziale Bedingungen oder Kriege bewegen Menschen dazu, aus ihren Heimatländern fliehen, um ein besseres Leben führen zu können. Diese Menschen müssen durch das Aufnahmeland integriert werden, was durch Einbürgerung, soziale Sicherung oder auch mit dem Zugang zum Bildungs- und Arbeitsmarkt geschehen kann.
Wichtig für die jungen Menschen, Kinder und Jugendliche im schulpflichtigen Alter ist, dass sie Zugang zum Bildungssystem erhalten, um die nötigen Kompetenzen zu erwerben, die sie auf ein Leben in der Gesellschaft und ein weiteres Lernen in Ausbildung bzw. Beruf vorbereiten und somit Anschluss in der Gesellschaft zu finden.
Das Interesse, sich mit der Verbindung von Migration und Bildung zu beschäftigen, ist mit meiner persönlichen Lebens- und Berufserfahrung durch die sozialpädagogische Arbeit im Kontext Schule und Beruf begründet. In der täglichen Arbeit sind wir mit vielfältigen Fragestellungen, Aufgaben und Problemlagen von Menschen unterschiedlicher Herkunft konfrontiert, die eine besondere Sensibilität im Zusammenhang mit schulischem Erfolg und Bildungschancen erfordern. Die verlangte Integration in die bestehende Gesellschaft, Probleme bei der persönlichen Identitätsfindung oder Sozialisationsprobleme in der Schule stellen diese jungen Menschen immer wieder vor große Herausforderungen.
Jeder Mensch verfügt in seiner Einzigartigkeit über individuelle Erfahrungen des Lebens und seiner Kultur, die (in einem neuen Land mit seinen spezifischen Gesellschaftsstrukturen) bereichernd wirken können und Bildungschancen bieten.
Um sich in der vorliegenden Masterthesis der Beantwortung der Forschungsfrage zu nähern, ob Kinder und Jugendliche an deutschen Schulen von Bildungsbenachteiligung betroffen sind, bin ich zunächst auf die Migrationsrealität insbesondere derjenigen Kinder und Jugendlichen (alternativ im weiteren Verlauf der Arbeit auch "Schüler") mit Migrationshintergrund eingegangen und habe sie näher beschrieben.
Zuerst wäre mit der Definition des Migrationsbegriffes unter Punkt zwei einerseits der soziale Hintergrund als Benachteiligungsfaktor anzugeben, da ein Großteil dieser zugewanderten Schülerpopulation aus sozial schwächeren Verhältnissen stammt. Weiterhin wäre die Bedeutung von Zuwanderung nach Deutschland erwähnenswert, ohne die in naher Zukunft Teile des gesellschaftlichen Lebens nicht mehr am Laufen gehalten werden können. Politische und rechtliche Rahmenbedingungen beeinflussen die Bildungsarbeit hinsichtlich ihrer Umsetzbarkeit und Zugangschancen für die beteiligten Schüler. Im Anschluss an die Motive und Hintergründe, wieso es Menschen in andere Länder zieht, werden die Phasen von Migration näher beleuchtet.
Bildung wird als sozialer Prozess angesehen. Kompetenzen und Fertigkeiten, bekannte Formen der sozialen Praxis und unser alltagspraktisches Wissen eignen wir uns im Rahmen von informellen Bildungsprozessen an. Alltagsbildung bringt somit eine „lebensweltliche Grundbildung“ hervor, welche von der jeweils sozialen Lebenswelt und dem Herkunftsmilieu abhängig ist. Unterschiede zwischen den Herkunftsmilieus bringen gleichzeitig Unterschiede in den Bildungserfahrungen hervor, die wiederum zu Bildungsungleichheiten führen können. Die Alltagsbildung gilt somit als das „eigentliche Schlüssel- und Zukunftsproblem in Sachen Bildung“. Nicht formelle, curriculumsbezogene Bildungsformen, sondern „die bislang unbeachteten Formen der Alltagsbildung erzeugen die eigentliche Kluft zwischen den sozialen Schichten und Milieus, zwischen den Bildungsgewinnern und den Bildungsverlierern“ (Rauschenbach 2007).
Bildung ist für Thiersch „die Auseinandersetzung des Menschen mit der Welt, in der er seine Lebensgestalt findet“ (Thiersch). Der Fokus auf soziale Bildung verdeutlicht, dass „Welt“ nicht als starres Ganzes gesehen werden soll, sondern vielseitig sozial konstituiert, in Lebenswelten unterteilt und mit unterschiedlichen sozialen Chancen versehen ist. Lebensweltliche Alltagsbildung ist in ihrer Umsetzung auf die jeweiligen Lebensbedingungen der Herkunftskontexte oder Milieus angewiesen. Da Lebenslagen differieren, können basale Bildungsprozesse zu Heterogenität, Diversität und Ungleichheit führen. Mit den in Kapitel drei vorgestellten theoretischen Erklärungsansätzen der Lebensweltorientierung von Hans Thiersch sowie der Kapitaltheorie mit dem Begriff des Habitus nach Pierre Bourdieu haben sich passende Modelle gefunden, eine Verbindung zwischen der Hinwendung zu den realen Lebensbedingungen der Adressaten herzustellen, in der es einen akzeptierenden Umgang mit deren lebensweltlicher Praxis gibt sowie der Herkunftsabhängigkeit und den daraus resultierenden Folgen für die individuelle Bildungsteilhabe und spätere Zukunftsgestaltung.
In Kapitel vier erfolgt die Definition der Bildungsungleichheiten. Hierbei findet eine Auseinandersetzung mit der Frage statt, ob Chancengleichheit und Chancengerechtigkeit zu mehr Bildungsgerechtigkeit beitragen können.
Dem deutschen Schulsystem legt das Leistungsprinzip zugrunde. Wenngleich auch bestätigt ist, dass schulischer Erfolg nicht allein von der individuellen Leistung abhängt, sondern überwiegend durch die soziale und ethnische Herkunft geprägt wird, herrscht an den Schulen dennoch ein leistungsbezogenes Bewertungssystem. Dieses entfaltet seine Wirkung vor allem an den Übergängen im Schulsystem und beeinträchtigen dort jene Schüler, die in einer wenig privilegierten sozialen Umwelt leben.
Somit stellt sich die Frage, ob die formale Chancengleichheit, bei der gleiche Qualifikationen mit gleichen Aussichten auf Erfolg honoriert sein müssten, zu Bildungsgerechtigkeit beitragen kann. Diesem gegenüber steht der Begriff der Chancengerechtigkeit, der von Leistungsergebnissen ausgeht, die unabhängig sind vom sozialen Hintergrund. Chancengerechtigkeit folgt der Idee der Anerkennung von Menschen in ihrer Vielfalt und bedeutet, dass alle Menschen unabhängig von ihrer Herkunft die Möglichkeit bekommen, Chancen auf ihre Weise zu verwerten.
Auf die schichtspezifischen Ungleichheiten wird in Kapitel fünf eingegangen. Die Frühe Bildung ist hierbei besonders wichtig, um Kindern Fähigkeiten zu vermitteln, die für den späteren Erfolg in der Schule und im Leben relevant sind. Was die Kita bei der Unterstützung der Entwicklung der Kinder leisten kann, ist somit eng verknüpft mit der Frage, welcher Einfluss in der Gesellschaft aufgebaut werden kann, um Disparitäten in der kindlichen Entwicklung entgegenzuwirken. Von einem Besuch in der Betreuungseinrichtung scheinen nämlich insbesondere diejenigen Kinder zu profitieren, die schon einen Entwicklungsvorsprung aufweisen und/oder zusätzlich durch die vorhandenen Ressourcen des Elternhauses auch zu Hause gut gefördert werden. Mit dem ersten Übergang in die Grundschule sind somit bereits erste Bildungsunterschiede zwischen den Kindern sichtbar, deren Angleichung besondere Anstrengungen verlangen und oftmals gar nicht aufholbar sind. Jedoch hängen die schichtspezifischen Unterschiede nicht automatisch mit einem Kita-Besuch im jungen Alter ab, es werden hier jedoch die Weichen für einen erfolgreichen Start ins Schulleben gestellt. In Kapitel fünf wird der Frage nachgegangen, wie sich das Phänomen Bildungsungleichheit durch die gesamte Schullaufbahn zieht und welche Konsequenzen es für die Schüler bis zum Eintritt in ihr Berufsleben nach sich zieht.
Um den Blick auf die eigene Profession zu lenken, wird sich in Kapitel sechs mit der Ressource der Schulsozialarbeit näher befasst, womit in Kapitel sieben übergegangen wird, zu den aktuellen Herausforderungen und möglichen Handlungsstrategien für den Abbau von Bildungsbenachteiligung.
Heterogenität im Schulsystem ist und bleibt ein aktuelles Thema und stellt eine der zentralen Herausforderungen für alle Beteiligten dar. Das Verhältnis von Gleich und Fremd ist immer ein Teil der Alltagswelt und damit auch stets ein Thema von Bildung, woraus sich die Frage nach dem richtigen Umgang mit den soziokulturellen Herkunftsmilieus der Schüler ergibt. Heterogenität spielt eine besondere Rolle, sei es in Fragen des Schulsystems, der Schulentwicklung oder der Unterrichtsgestaltung. Aber auch in Bezug auf soziale Ungleichheit kommt dem Umgang mit Heterogenität eine wichtige Bedeutung zu. Dabei wandelt sich die Perspektive grundlegend: Wurde dem Schulsystem lange Zeit vorgeworfen, homogen ausgerichtet zu sein, findet die Forderung nach der Anerkennung von Unterschieden zunehmend mehr Bedeutung. Die Forderungen nach einem Ausbau inklusiver Schulen verstärkt diese Entwicklung, die über längere Sicht zu einer Neuausrichtung führen wird. Somit wird deutlich, dass in der Auseinandersetzung mit Heterogenität nicht nur der Blick auf Defizite gelenkt wird, sondern in ihm auch Chancen gesehen werden sollen.
Für die Soziale Arbeit als ein mittlerweile zentrales Aufgabenfeld besteht die Möglichkeit der sozialen Gestaltungsarbeit des sozialen Miteinanders, sowohl innerhalb des Schulsystems in der multiprofessionellen Kooperation, als auch in der ganzheitlich betrachteten Arbeit mit den Schülern um den Erwerb von sozialen Kompetenzen und Fähigkeiten zu fördern.
In Kapitel acht wird auf eine Auswahl an individuellen Fördermöglichkeiten für die Schüler eingegangen. Das zum 1. Januar 2011 eingeführte Bildungs- und Teilhabepaket stellt ein Instrument der Familien- und Sozialpolitik dar. Im Mittelpunkt steht die gezielte Förderung und Unterstützung der Bildung und Teilhabe von Kindern und Jugendlichen aus Familien, die Grundsicherung erhalten, Kinderzuschlag oder Wohngeld beziehen. Durch die Leistungen des Bildungs- und Teilhabepakets sollen diese Kinder und Jugendlichen mehr Möglichkeiten erhalten, an Bildungs- und Förderangeboten sowie am schulischen, sozialen und kulturellen Leben teilnehmen zu können. Das Bildungs- und Teilhabepaket will genau da Chancen auf Teilhabe eröffnen, wo diese Kinder und Jugendlichen sonst aufgrund des geringen Einkommens ihrer Familien in besonderer Weise von Ausschluss bedroht wären.
Mit der Sprachförderung wird ein Instrument der individuellen Förderung aufgezählt. Zwischen milieubezogener Selbstbildung, Bildungsaspirationen der Eltern und gesellschaftlichen Anforderungen an Bildung zeichnen sich unterschiedliche Optionen ab. Öffentlicher Bildung ist durchaus in der Lage, familiäre Bildungsbenachteiligungen zu kompensieren oder zu verhindern. Ein Beispiel dafür ist der Spracherwerb. Die möglichst früh ansetzende Chance einer individuell angepassten und fachlich reflektierten Sprachförderung gilt besonders in benachteiligten Milieus als förderlich für den Spracherwerb.
Die Kapitel neun und zehn befassen sich mit der interkulturellen Schulentwicklung sowie deren strukturelle Voraussetzungen. Die gesellschaftliche Relevanz der interkulturellen Schulöffnung in Deutschland ergibt sich aus der schon eingangs erwähnten stetig zunehmenden Diversifizierung der Schülerschaft. Unter dem Begriff „Schulentwicklung“ versteht die Bildungs- und Erziehungswissenschaft die kontinuierliche Veränderungsstrategie der Bildungsinstitutionen, die auf verschiedenen Ebenen im Rahmen eines Prozesses entwickelt und angepasst werden muss. Die einzelnen Schulen müssen lernen, pädagogisches Handeln und organisatorische Strukturen im Rahmen des Schulentwicklungsprozesses zu verändern und weiter zu entwickeln.
Um (Bildungs-)Benachteiligung zu verhindern, muss vermieden werden, Schülern mit Migrationshintergrund offen zu vermitteln, dass sie zu einer Sondergruppe gehören, die für die Schulgemeinschaft eine besondere Situation und Belastung darstellt. Ständige subjektive Benachteiligungserfahrungen können zur Selbstexklusion führen, wenn Integrationsbemühungen keine Anerkennung erfahren.
Die Arbeit endet in einem Fazit, in dem die gewonnen Ergebnisse und Erkenntnisse im Hinblick auf die Zielfragen dieser Arbeit resümiert werden.
Zur besseren Lesbarkeit wird in der vorliegenden Arbeit auf die gleichzeitige Verwendung von männlicher und weiblicher Sprachformen verzichtet. Es wird das generische Maskulinum verwendet, wobei beide Geschlechter gleichermaßen gemeint sind
2 Migration
2.1 Definition Migration
Um auf die Thematik und die Fragestellung ausführlich einzugehen, die in der Einleitung formuliert wurden, ist es in erster Linie relevant, den Begriff der Migration zu definieren und sich mit der Frage zu befassen, welche Individuen unter dem Begriff „Migranten“ zu verstehen sind. Aufgrund der Tatsache, dass es in der Literatur verschiedene Definitionen gibt, die u. a. heterogene Aspekte beinhalten, werden einige Definitionen herausgefiltert und erläutert:
Der Ausdruck „Migration“ stammt von den lateinischen Wörtern „migrare“ (auswandern) sowie „migratio“ (die Auswanderung) und wird als „jeder Wechsel des Hauptwohnsitzes einer Person“ (Wagner 1989: 26) illustriert und kann sowohl im Inneren eines Staates als auch international verlaufen (vgl. ebd.).
„Eine Person hat einen Migrationshintergrund, wenn sie selbst oder mindestens ein Elternteil nicht mit deutscher Staatsangehörigkeit geboren wurde. Im Einzelnen umfasst diese Definition zugewanderte und nicht zugewanderte Ausländerinnen und Ausländer, zugewanderte und nicht zugewanderte Eingebürgerte, (Spät-) Aussiedlerinnen und (Spät-) Aussiedler sowie die als Deutsche geborenen Nachkommen dieser Gruppen. Die Vertriebenen des Zweiten Weltkrieges haben (gemäß Bundesvertriebenengesetz) einen gesonderten Status; sie und ihre Nachkommen zählen daher nicht zur Bevölkerung mit Migrationshintergrund“ (Statistisches Bundesamt 2021: o. A.).
Im wissenschaftlichen Kontext wurde der Begriff „Migrationshintergrund“ von Ursula Boos-Nünning geprägt und höchstwahrscheinlich erstmalig im 10. Kinder- und Jugendbericht (DJI 1998) etabliert. Das Hauptaugenmerk der Idee lag darin, den mit Stigma und Ressentiments behafteten Ausdruck „Ausländer“ damit wertfrei zu substituieren und ebenso die deutschen Staatsbürger mit einer familiären Migrationsbiografie einzubinden (z. B. Aussiedler) (vgl. El Mafaalani2017: 467).
Um den Ausdruck Migration expliziter zu illustrieren, sind die Parameter Dauer sowie Ursache ebenso ausschlaggebend (vgl. Razum/Reeske/Spallek 2011: 13), denn diese haben grundlegende Auswirkungen auf den Lebensprozess von Einwanderern und führen zu sozialen Veränderungen. Im Hinblick dessen werden räumliche Bewegungen wie Urlaub in einem anderen Gebiet, Reisen sowie Hin- und Herfahren zwischen Zuhause und Arbeitsort nicht grundlegend als Migration identifiziert (vgl. Oltmer2016: 9f.).
Ferner kann Migration das Passieren politisch-regionaler Grenzen bedeuten, sodass Raumbewegungen binnen eines Staates ebenso als Migration bezeichnet werden, da diese die Beteiligten mit wirtschaftlichen, kulturellen sowie sozialen Umstellungen konfrontieren und daher eine Veränderung gegenüber dem Herkunftsort darstellen und bestimmte Effekte für Lebensprozesse erzeugen (vgl. ebd.), die später noch erläutert werden.
Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung definiert den Begriff „Migration“ wie folgt:
„Menschen, die auf der Suche nach besseren Lebensperspektiven aus eigenem Antrieb ihre Heimat verlassen, nennt man Migrantinnen und Migranten. Sie wandern aus, um vorübergehend oder für immer an einem anderen Ort zu leben. Menschen, die weder über ein reguläres Visum noch über einen legalen Aufenthaltsstatus verfügen, um in ein Land einzureisen beziehungsweise dort zu bleiben, gelten als irreguläre Migrantinnen und Migranten. Das Völkerrecht zieht eine klare Trennlinie zwischen Migranten und Flüchtlingen. Migrantinnen und Migranten fallen nicht unter das internationale Flüchtlingsschutzsystem“ (ebd. 2021: o. S.).
Aufgrund der Tatsache, dass Migranten ebenso als „Ausländer“ erfasst werden, ist auch diese Begriffsdefinition notwendig. Zu Ausländern gehören laut dem Statischen Bundesamt sämtliche Personen, „die nicht Deutsche im Sinne des Art. 116 Abs. 1 GG sind, d. h. nicht die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen. Zu ihnen gehören auch die Staatenlosen und die Personen mit ungeklärter Staatsangehörigkeit. Deutsche, die zugleich eine fremde Staatsangehörigkeit besitzen, gehören nicht zu den Ausländerinnen und Ausländern. Hat eine Person mehrere ausländische Staatsangehörigkeiten, wird sie in der Bevölkerungsfortschreibung mit der ersten Staatsangehörigkeit ausgewiesen“ (ebd. 2021: o. A.).
Die einzelnen Definitionen illustrieren, wie heterogen die Migrantengruppe ist, welche Personengruppen der Bevölkerung damit verbunden sind und welche Herausforderungen sich dadurch ergeben können. Hierfür ist es allerdings von Bedeutung, einen näheren Blick auf die demographische Entwicklung der Migration in Deutschland zu werfen.
2.2 Tendenz der demographischen Entwicklung der Migration in Deutschland
Betrachtet wird in erster Linie die Tendenz der demographischen Entwicklung in Deutschland hinsichtlich der Migration, um analog die Bevölkerungskonstellation, die sozialen und strukturellen Veränderungen im Zusammenhang mit der Migration und die daraus resultierenden Folgen zu verstehen. Höpflinger (2012) illustriert das Phänomen der Migrationsbewegungen als einen signifikanten demographischen Parameter, welcher die regionale Bevölkerungsentwicklung definiert und die Größe sowie Struktur der Bevölkerung je nach Ein- und Auswanderung prägt. Bei Zuwanderung steigt die Zahl der jungen Menschen an, bei der Auswanderung die derälteren (vgl. ebd.: 120).
Oltmer (2016) thematisiert in seinen Auszügen auch die Veränderungen, die durch Migration hervorgerufen werden. Viele Beispiele werden die Annahme unterstützen, „inwieweit Arbeits-, Bildungs- oder Umsiedlungsmigration, Flucht, Vertreibung oder Abschiebung die Bevölkerungszusammensetzung, die Arbeitsmarktstruktur oder die kulturelle und religiöse Orientierung beeinflusst“ (ebd.: 7), allerdings geht er nicht auf genaue Zahlen ein, die diese Hypothese unterstützen. Welche Konsequenzen die Migration im Einzelnen auf die Betroffenen hat, wird im späteren Verlauf thematisiert.
Assion (2005) stellt fest, dass die Zahl der Nachkommen deutscher Abstammung letztmalig im Jahr 1982 höher war, als die der Verstorbenen. Die Geburtenrate in Deutschland ist rückläufig und wird in den nächsten 40 Jahren weiter sinken. Daraus wird ein beispielsloser Alterungsprozess mit einem sehr hohen Durchschnittsalter in Gang gesetzt werden, der immense gesellschaftspolitische Folgen nach sich ziehen wird (vgl. ebd.: 1). Dies beschreibt die Relevanz des Zuzugs aus anderen Ländern.
Die Annahmen von Assion (2005) werden auch von dem Statistischen Bundesamt unterstützt. Bis Ende 2020 haben nach vorläufigen Schätzungen des Statistischen Bundesamtes (Destatis) 83,2 Millionen Menschen in Deutschland gelebt. Angesichts des Rückgangs der Nettozuwanderung sowie der Zunahme der Sterberate, kann die Zahl der Geburten leicht unter dem Vorjahr liegen, außerdem ist die Bevölkerung erstmals seit 2011 nicht mehr gewachsen. In den 30 Jahren nach der Wiedervereinigung Deutschlands hat die Bevölkerung mit Ausnahme der Jahre 1998 und 2003, bis 2010 stark zugenommen. Das Bevölkerungswachstum ist jedoch ausschließlich auf die Zunahme der Nettozuwanderung zurückzuführen, d.h. die Zahl der Zuwanderer übersteigt die Zahl der Auswanderer. Ohne diesen Zuwanderungssaldo wäre die Bevölkerungsquote seit 1972 zurückgegangen, da seitdem jährlich mehr Sterbefälle als Geburten zu verzeichnen sind (vgl. ebd.: o. A.).
Zu Beginn der 1960er-Jahre erfuhr die Zu- bzw. Abwanderung von ausländischen Menschen angesichts der Anwerbung von Gastarbeitern eine außerordentliche Signifikanz (vgl. Statistisches Bundesamt 2021: 22f.). Um die Thematik zeitlich einzugrenzen, wird der Fokus auf die Migrationsbewegungen nach dem zweiten Weltkrieg gelegt. Die folgende Tabelle lässt einen kurzen Überblick hinsichtlich der Phasen der Migrationsgeschichte nach 1945 zu:
Basis der Wanderungsstatistiken des Statistischen Bundesamtes sind die An- und Abmeldungen, die im Zuge eines Wohnungswechsels in der jeweiligen Meldebehörde anzugehen sind.
Tabelle 1. Wanderungscharakteristika (Geis 2005: 55)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Deutschland wird vor allem seit den 1960er Jahren das Ziel von Gastarbeitern. Sie gelten als Zuwanderer der ersten Generation und zählen als Pioniere, da sie als erste ihren Ruhestand in Deutschland verbringen. Obwohl viele von ihnen mit dem Gesundheitssystem nicht vertraut sind, bleiben sie aufgrund der gewährleisteten Gesundheitsversorgung in Deutschland, während andere ständig zwischen ihrem Heimatland und Deutschland pendeln (vgl. Beck 2001: 5).
Das Jahr 2016 war durch eine äußerst hohe, grenzüberschreitende Zuwanderung nach Deutschland gekennzeichnet. Diese Tendenz schreitet zudem fort, wenn auch in einem gemäßigten Verhältnis. Wie in den Vorjahren sind zufolge der Angaben des Statistischen Bundesamtes auch 2019 umgerechnet 1,6 Millionen Menschen nach Deutschland eingewandert. Angesichts dessen waren darunter mehr als 86,4 % ausländische Personen (1,3 Millionen Menschen). Im Gegensatz dazu, sind etwa 1,2 Millionen Menschen aus Deutschland ausgewandert. Bei den Fortzügen zählt die Rate der ausländischen Menschen 78,1 % (circa 961.000 Personen). Im Hinblick dessen hat sich für das Jahr 2019 ein positiver Gesamtwanderungssaldo von umgerechnet 327.000 Wanderungsfällen eingestellt, wodurch der Wanderungssaldo der ausländischen Mitbürger bei 385.000 liegt. Für deutsche Staatsangehörige beläuft sich der Wanderungssaldo mit etwa 58.000 Personen negativ (vgl. Bundesamt für Migration und Flüchtlinge 2020: 23f.).
Im Jahr 2019 lebten laut den Angaben des Statistischen Bundesamtes etwa 83,2 Millionen Menschen in Deutschland, deutscher sowie ausländischer Staatsangehörigkeit, mit und ohne Migrationshintergrund (vgl. ebd.: 1). Ein Viertel davon hatte einen Migrationshintergrund (vgl. ebd.: 9), etwas mehr als die Hälfte dieser sind mittlerweile deutsche Staatsbürger (11,1 Millionen), welches insgesamt 52,4% der Bevölkerung mit Migrationshintergrund entspricht, während ausländische Staatsbürger 47,6% der Bevölkerung mit Migrationshintergrund ausmachen (10,1 Mio.) (vgl. ebd.: 11).
2.3 Rechtliche Grundlagen am Beispiel von Fluchtmigration
Aufgrund der Tatsache, dass nicht jeder Einwanderer freiwillig nach Deutschland einreist, sondern viele einen Asylantrag stellen, um sich eine bessere Zukunft in Deutschland aufzubauen, nimmt der rechtliche Status der Eingewanderten im Hinblick der Bildungspolitik eine signifikante Rolle ein. Daher erfolgt nun eine kurze Darstellung hinsichtlich der Asylpolitik und die damit zusammenhängenden rechtlichen Grundlagen.
Seit Juli 2013 bildet die Europäische Union einen weltweit einzigartigen Staatenbund von derzeit 28 Mitgliedsstaaten. Im Fokus der Bestrebungen im Hinblick eines gemeinsamen Europas stehen ferner eine gemeinsame Asylpolitik, sowie ein kollektives europäisches Asylsystem. Im Jahr 2019 wurden in die EU-Staaten insgesamt 721.485 Asylanträge registriert. Gegenüber dem Vorjahr ist dies ein Anstieg von 11,4 % (647.500 Asylanträge). Das wichtigste und primäre Hauptzielland für die analogen Antragsteller war im Jahr 2019, wie in den Vorjahren auch, u. a. Deutschland mit 165.685 Asylanträgen respektive 22,4% (vgl. Bundesamt für Migration und Flüchtlinge 2020: 40ff.).
Die Dublin- und EURODAC-Verordnungen stellen gesetzliche Regelungen der Europäischen Union auf, welche umgehend für alle Mitgliedsstaaten gelten. Das Dublin-Verfahren ist ein Zuständigkeitsbestimmungsverfahren, in dem festgestellt wird, welches europäische Land für die Begutachtung von Anträgen auf internationalen Schutz von Drittstaatsangehörigen verantwortlich ist. Mit der Implementierung von EURODAC (Fingerabdruckvergleich) wurde ein fundamentales Medium zur Förderung des Dublin-Prozesses etabliert. Mit EURODAC kann identifiziert werden, ob ein Antragsteller in Deutschland, oder eine sich illegal in Deutschland aufhaltende Person, ursprünglich in einem anderweitigen Mitgliedstaat internationalen Schutz beantragt hat (vgl. ebd.).
Zu den Aufgaben des Bundesamtes gehört die Durchführung des DublinVerfahrens gemäß der am 19. Juli 2013 in Kraft getretenen Verordnung (EU) Nr. 604/2013 (Dublin Hl-Verordnung). Dies erstreckt sich auf alle seit dem 1. Januar 2014 eingereichten Anträge auf internationalen Schutz. Rechtsgrundlagen für dieses Zuständigkeitsbestimmungsverfahren waren ursprünglich Artikel 28 ff. des Schengener Durchführungsübereinkommens (SDÜ) vom 26. März 1995, das am 1. September 1997 durch das Dubliner Übereinkommen (DÜ) ersetzt wurde. Seitdem gilt die Verordnung (EG) Nr. 343/2003 (Dublin-Il-Verordnung) für Anträge auf internationalen Schutz ab dem 1. September2003 (vgl. ebd.).
Das Dublin-Verfahren verfolgt das Ziel, jeden gestellten Antrag auf internationalen Schutz im „Dublin-Gebiet“ lediglich einmal pro Mitgliedstaat zu begutachten und den zuständigen Staat, als gemäß den in dieser Verordnung bestimmten Kennzeichen, festzulegen. Diese Verordnung gilt sogleich in allen Staaten der Europäischen Union und in den assoziierten Ländern Norwegen, Schweiz sowie Lichtenstein (vgl. ebd.).
Neben dem Dublin-Verfahren stellt das weltweite Asyl- und Flüchtlingsabkommen eine wichtige Grundlage für Migranten dar. Der fundamentale Auftrag des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR ist in den internationalen Schutz von Flüchtlingen sowie anderen gefährdeten Menschen begründet. Die Vereinten Nationen sollen indessen gewährleisten, dass die Menschenrechte von Flüchtlingen anerkannt werden. Im Rahmen dessen sollen die Betroffenen berechtigt sein, Asyl zu suchen und nicht gezwungen werden, in dem Gebiet zurückzureisen, in dem sie verfolgt werden. Ein zusätzlicher Auftrag des UNHCR ist die Ermittlung permanenter Unterkunftsmöglichkeiten für Flüchtlinge, respektive die Förderung ihrer Rückkehr in ihre Heimat und bei Bedarf die Unterstützung bei der Neuansiedlung (vgl. ebd.).
Nach Artikel 16a GG genießen politisch Verfolgte in der Bundesrepublik Deutschland Asyl, ebenso haben Personen, die aus Gründen der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) von 1951 geflohen sind, Anspruch auf Flüchtlingsschutz. Bei Bürgerkrieg, drohender Todesstrafe, Folter oder unmenschlicher Behandlung ist ein zusätzlicher Schutz gewährleistet. In extremen Armutssituationen oder anderen Notlagen, wie beispielsweise medizinischen Extremsituationen, kann die Abschiebung im Einzelfall untersagt werden (vgl. Bundesamt für Migration und Flüchtlinge 2020: 30).
Für die Abwicklung eines Asylverfahrens ist in Deutschland das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) zuständig, für die Unterkunft sowie soziale Versorgung der Asylsuchenden sorgen die einzelnen Bundesländer (vgl. BMI 2020: o. A.).
Die Anerkennungsprozedur für Asylsuchende ist grundsätzlich im deutschen Asylgesetz (AsylG) festgelegt. Darüber hinaus werden die Vorschriften des sog. Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) eingesetzt, vorzugsweise die Dublin-Verordnung, die EURODAC- Verordnung, das Asylverfahrens-Gesetz, sowie die Aufnahme- und die Qualifikations-Richtlinien (vgl. ebd.).
Asylsuchende werden unverzüglich nach ihrer Einreise respektive beim Erstkontakt mit einer zur Anmeldung autorisierten Behörde wie Bundespolizei, Landespolizei, Aufnahmeinstitution, BAMF oder Ausländerbehörde registriert. Unter der Voraussetzung, dass sie das 14. Lebensjahr beendet haben, erfolgt die Registrierung ihrer Fingerabdrücke. Die analogen Angaben werden daraufhin in der national zugänglichen Datenbasis erfasst (vgl. ebd.).
Nachdem die Betroffenen die zuständigen Aufnahmeeinrichtung erreicht haben, wird ein offizieller Asylantrag in der befugten Außenstelle des BAMF gestellt. Vorher wird eruiert, ob Deutschland in Anbetracht der DublinVerordnung für die Abwicklung des Asylverfahrens berechtigt ist. Wenn Indizien für die Verantwortlichkeit eines anderen Mitgliedslandes bestehen, muss der Betroffene dem Mitgliedsstaat übergeben werden, der für das Asylverfahren autorisiert ist. Im andern Fall wird dem Asylverfahren in Deutschland stattgegeben (vgl. ebd.).
Parallel zum Grundrecht auf Asyl, entsprechend Artikel 16a Grundgesetz, gibt es laut den Anordnungen der Qualifikations-Richtlinie, des AsylG und des AufenthG drei zusätzliche Schutzformen: „Flüchtlingsschutz gemäß § 3 AsylG, subsidiären Schutz gemäß § 4 AsylG und Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 und Abs. 7 AufenthG“ (ebd.). Sind weder Asyl noch Flüchtlingsschutz realisierbar, eruiert das BAMF im Asylprozess, ob subsidiärer Schutz laut § 4 AsylG genehmigt wird, oder ein Deportationsverbot besteht (vgl. ebd.).
Im Anschluss ihrer Anerkennung erlangen die Schutzsuchenden eine befristete Aufenthaltsgenehmigung und ihnen werden die gleichen Rechte zugestanden wie den deutschen Staatsbürgern. Demnach haben sie Anspruch auf Erziehungsgeld, Eingliederungsbeihilfen, Kindergeld, Sozialhilfe, Sprachförderung und sonstige Integrationshilfen. Wird allerdings der Asylantrag versagt, sind die Betroffenen angewiesen das Land umgehend zu verlassen (vgl. ebd.).
Am 1. Januar 2020 wurde das Gesetz hinsichtlich Duldung bei Ausbildung sowie Beschäftigung verabschiedet, welche Ausländern, die eine Duldung haben und eine anerkannte Berufsausbildung absolvieren oder durch eine Beschäftigung ihren Lebensunterhalt selbst sichern und gut integriert sind, unter gewissen Bedingungen einen befristeten Aufenthaltsstatus durch eine langfristige Duldung gewähren. Dies setzt allerdings voraus, dass die Identität des Betroffenen durch analoge Belege nachgewiesen ist. Nach der Ausbildungs- oder Beschäftigungsduldung kann unter bestimmten Bedingungen die Aufenthaltserlaubnis zuerkannt werden (vgl. ebd.).
2.4 Motive und Hintergründe der Migration
Im Folgenden wird ein Blick auf die Motive und Hintergründe der Migration geworfen, um zu eruieren, wie sich diese im Einzelnen auf die Migranten auswirken können.
Das Spektrum von Motiven, die Einwanderer dazu zu verleiten, sich ihrer Heimat abzuwenden, umfasst exogene Faktoren, wobei die Fluchtentscheidung auch maßgeblich von der Persönlichkeitsstruktur des Betroffenen beeinflusst wird (vgl. Zimmermann 2003: 175).
Externe Ursachen sind beispielsweise Naturkatastrophen wie Überschwemmungen, Erdbeben oder Vulkanausbrüche. Diese Ereignisse werden nicht von Menschen beeinflusst, aber sie prägen die Lebensgrundlagen auf eine Weise, die ihr Überleben bedroht. Die negativen Auswirkungen menschlicher Aktivitäten auf natürliche Lebensgrundlagen lassen sich an mehreren Beispielen verdeutlichen: Der Mensch verursacht indirekt ökologische Belastungen. Der globale Klimawandel hat aufgrund von Kohlendioxidemissionen zur Wüstenbildung in der Sahelzone geführt. Der immense Verbrauch natürlicher Wasserressourcen (Aralsee in Kasachstan, Jordanien in Israel) beeinträchtigt den natürlichen Wasserkreislauf und hat einen negativen Effekt auf das Ökosystem und die landwirtschaftliche Verfügbarkeit in diesen Gebieten. In diesem Kontext ist auch der Reaktorunfall von Tschernobyl anzumerken, der erhebliche Regionen unbewohnbar machte (vgl. ebd.).
Der medizinische Progress hat die Säuglings- und Kindersterblichkeit in Entwicklungsländern elementar gesenkt und die Lebenserwartung signifikant angehoben. Die Bevölkerung der Entwicklungsländer stieg von 1,68 Milliarden im Jahr 1950 auf über 4 Milliarden im Jahr 1990. Die fortlaufende und hohe Geburtenrate deutet darauf hin, dass sich die Bevölkerung Afrikas bis 2025 verdoppeln wird. In Anbetracht der nicht erneuerbaren Acker- und Weideflächen und des Defizits an verfügbarem Wasser ist das Bevölkerungswachstum höchst alarmierend. Die wirtschaftliche Entwicklung kann aus verschiedenen Gründen nicht mithalten, sodass das wirtschaftliche Fundament zunehmend überfordert ist. Materielle Armut, Bevölkerungsexpansion, Ressourcendefizite und politische Konflikte werden die Zuwanderung in reiche Industrieländer des Nordens unweigerlich beschleunigen (vgl. ebd.).
Grundsätzlich ist auch die ökonomische Konstellation ein elementares Kriterium für die Migration, beispielsweise haben politische Veränderungen in den ehemaligen osteuropäischen Ländern dazu geführt, dass viele Bürger ihren Arbeitsplatz verloren und durch die Auswanderung ihre wirtschaftliche Existenz gesichert haben (vgl. ebd.).
Die Fluchtmotive wegen Bedrohung von Leib und Leben sind offensichtlich menschengemacht: Krieg, Bürgerkrieg, Rassen- und Religionsstreit. Auch die als unzureichend wahrgenommenen politischen Rahmenbedingungen sind an dieser Stelle anzumerken: Menschen, denen ihre Grundrechte entzogen sind, sehen in der Regel den Ausweg nur in der Auswanderung, um ihre persönliche Sicherheit und ihre Menschenrechte zu wahren (vgl. ebd.).
Die Motive zur Migration können vielseitig sein: Die psychischen sowie physischen Belastungsfaktoren der Individuen, aufgrund derer sie ihre Heimat aufgeben, müssen ein Ausmaß annehmen, welches sie dazu verleitet sämtliche Risiken hinzunehmen. Unsicher ist jedoch, welche Dimension die Flucht annimmt, wie lange dieser Prozess dauert und welche Konsequenzen diese mit sich bringt. Vor der Wanderung kann jedoch nicht garantiert werden, dass im Anschluss des Prozesses eine sichere Existenz gewährleistet ist, weshalb die Hoffnung die einzige Motivation darstellt (vgl. Zimmermann 2003: 176 f.).
Im Großen und Ganzen stellt die Entscheidung des Menschen zur Flucht nur in besonderen Fällen das einzige Motiv dar, in der Regel ist dieses jedoch von einem Motivbündel geprägt, sodass nur begrenzt von „dem“ Fluchtmotiv gesprochen werden kann. Infolge der pauschalen Vermischung diverser Motive, führen plakative Bezeichnungen wie „Wirtschaftsflüchtling“ oder „Politischer Flüchtling“ in die Irre (vgl. ebd.).
Der Beschluss zur Flucht ist vorrangig von äußeren Faktoren wie Naturkatastrophen, akute Bedrohung aus politischen, religiösen oder ethnischen Gründen, oder Verlust der ökonomischen Grundlage geprägt. Diese Phänomene gelten als die primäre Triebkraft zur Flucht (vgl. ebd.). Häufig wird in den Industrienationen die Tatsache ausgeblendet, dass sich eine erhebliche Landflucht in diversen Ländern der Welt ereignet. Eine sich extrem entfaltende Landbevölkerung zieht in die Großstädte, um vor einer unzureichenden Gesundheits- und Bildungsvorsorge sowie vor „erodierenden Subsistenzstrukturen“ (Toennes/Döll 1999: 26ff.) zu fliehen, die bedrohliche Ernährungskonstellationen erzeugen. Die kolossalen Elendsviertel in den Großstädten Asiens, Afrikas und Lateinamerikas illustrieren die Folgen dieser Binnenmigration. Andererseits ist auch eine Rückwanderung aus der Stadt in rurale Gebiete zu vermerken, um den Elendsvierteln der Großstädte auszuweichen, da sich die Armut in Kontext mit desolaten Umständen, sowie unzureichende medizinische Fürsorge und eine bedrohliche Ernährungssituation, den Gesundheitsverlust nach sich ziehen kann (vgl. ebd.).
Die politischen Migrationsmotive können u. a. folgende Strukturen aufweisen:
- intensive Fahndung von unerwünschten Eliten
- Freiheitsentzug der Zivilisten und Menschenrechtsverletzungen
- regionale, militärische Auseinandersetzungen zwischen Regenten und Opposition
- Ausfall öffentlicher Ordnung (vgl. ebd.).
Überdies gibt es auch politische Migrationsursachen, die in dem soziokulturellen Zwiespalt der Gesellschaft etabliert sind. Die Mitwirkung der Entwicklungsländer am Weltmarkt verleitet infolge der schleichenden Veränderung dominierender Gesellschaftskonstruktionen zu politischen, wirtschaftlichen sowie sozialen Umbrüchen, die theologische respektive ethnische Spannungen fördert und sich zu Fluchtursachen entwickelt. Durch die Verknüpfung der Tradition und Moderne erschließt sich die Möglichkeit, unterdrückenden Traditionen und Sozialkonstruktionen zu entweichen, die, wie die Suche im Hinblick des Geschlechts bzw. der sexuellen Orientierung begründet ist, tödlich enden könnte (vgl. ebd.).
Die vielfältigen Impulse gliedern sich in der Maslow'schen Bedürfnispyramide. Maslow glaubt, dass die Grundmotivationen menschlichen Verhaltens in eine Bedürfnishierarchie eingeteilt werden können. Die Grundlage bilden biologische Bedürfnisse, wie das Bedürfnis nach Nahrung, Wasser oder Ruhe. Anschließend kommen die Forderungen nach Sicherheit, sozialen Beziehungen und Selbstwertgefühl ins Spiel. Die nächste Ebene der Bedürfnispyramide besteht aus kognitiven und ästhetischen Bedürfnissen.
Selbstverwirklichung und Transzendenz stehen an der Spitze der Bedürfnishierarchie. Bevor die nächsthöhere Bedürfnisstufe angegangen werden kann, müssen vorerst Bedrohungen von Lebensbedürfnissen beseitigt werden, denn diese führen in der Regel zur spontanen Flucht, zum Beispiel um Hunger zu stillen oder Schutz vor drohender Gefahr zu erlangen (vgl. Zimmermann 2003: 176).
Diese Fluchtbewegungen finden hauptsächlich in einem kleinen geografischen Gebiet statt, beispielsweise als Flucht innerhalb eines Landes. In besonderen Fällen umspannt die Flucht den gesamten Kontinent. In diesem Kontext sind die Flüchtlingsströme der Huthi und Tutsi nach dem Ausbruch der ethnischen Ausschreitungen in Ruanda (1994) oder die Massenflucht in Verbindung mit den Balkankriegen Anfang der 1990er Jahre zu erfassen. Sekundärbedürfnisse, wie Sicherheit oder Selbstwertgefühl durch die eigenen Fähigkeiten zu suchen, die Anerkennung anderer zu gewinnen und den Lebensunterhalt für sich und seine Familie zu verdienen, können ebenfalls zur Fluchtentscheidung führen. Die unmittelbar drohende Gefahr für Leib und Leben gilt in diesem Fall jedoch nicht als zeitkritischer Zeitpunkt. Damit bleibt zumindest mittelfristig Zeit für die Planung der Migration (vgl. ebd.).
Von Örtzen (2016) spricht von den sogenannten Push- und Pull-Faktoren, die einen Anreiz zur Migration illustrieren:
Zu den Push-Faktoren zählen:
- „Krieg
- religiöse oder politische Verfolgung
- Armut und Hunger
- niedriges Einkommen
- Umweltkatastrophen
- Überbevölkerung
- Probleme mit der Familie oder mit der Dorfgemeinschaft (Blutrache, Ehrenmord)
- etc.
Unter den Pull-Faktoren zählen:
- Hochkonjunktur
- Arbeitskräftebedarf
- gute Verdienstmöglichkeiten
- politische Stabilität, Sicherheit, Glaubensfreiheit
- ein gut entwickeltes Sozial- und Gesundheitssystem
- Familienzusammenführung
- großzügige Einwanderungsgesetze“ (ebd.: 30).
Aus den angeführten Ursachen lässt sich ermitteln, dass sie außerordentlich heterogen sind, aber beträchtlich dazu beisteuern, sich für das Aufgeben der eigenen Heimat und dem bekannten Umfeld zu entschließen. Wenn die Motive allerdings nicht freiwilliger, sondern eher gezwungener Natur sind, kann der Faktor „Heimweh“ eine psychische Belastung illustrieren, die den Alltag der Betroffenen beherrscht und besonders bei Kindern zu Lernbeeinträchtigungen führt. Welche psychischen Belastungen sich also im Kontext der Migration anbahnen, ist u. a. in der Art der Migration begründet und davon, wie dieser Prozess subjektiv durchlebt wird.
2.5 Phasen der Migration
Im Hinblick der Tatsache, dass es diverse Phasenmodellen gibt, wird sich im Folgenden auf die Modelle von Sluzki (1979) (Walter/Adam 2008) und Eisenstadt (Han 2010) beschränkt.
In Bezug auf Migration sind laut Sluzki folgende Phasen zu differenzieren:
- Phase Planung der Migration
- Phase des Enthusiasmus mit neuen Aussichten
- Phase der Enttäuschung, da Anliegen und Handlungsfähigkeiten beschränkt erfüllt werden
- Phase der fortlaufenden Abstimmung mit einem durchweg pragmatischen Ausgang unentbehrlicher oder erwünschter Adaptionsprozesse
- Phase der vorbereitenden oder erzwungenen Heimkehr, die sich in der Zwischenzeit ausgesprochen verändert hat (vgl. Walter/Adam 2008: 228).
Ebenso unterstützt Schouler-Ocak (2007) das Phasenmodell von Sluzki und gliedert dieses in „Vorbereitungsphase, Migrationsakt, Phase der Überkompensation, Phase der Dekompensation und Phase der generationsübergreifenden Anpassungsprozesse“ (ebd.: 84).
Der Migrationsprozess gliedert sich gemäß Eisenstadt (o. A.) in drei Phasen: Die erste Phase bezieht sich auf die Erarbeitung der Migrationsgründe. Das Gefühl der Unsicherheit und des Selbstbewusstseins, das potenzielle Einwanderer in ihren Heimatländern erfahren, wird bestärkt, was zu einer Reihe von Motivationen führt. Da die Migration in der Regel mit verschiedenen bestehenden Unsicherheiten und Reizen zusammenhängt, „ist die Motivation der Migration keine einmalige temporäre Entscheidung, sondern ein Prozess zunehmender psychologischer Tendenz“ (Han 2010: 43f.). Daraus lässt sich ableiten, dass die Planung nicht lediglich in einer einzigen Ursache begründet ist, sondern bereits psychologisch geplant wird. Dieser Hergang bildet die Grundlage für die Idee der materiellen und soziokulturellen Entfaltung der Lebensbedingungen am Zielort (vgl. Han 2010: 43f.).
Im zweiten Schritt erfolgt der Migrationsprozess. Die Heimat wird verlassen und an einem unbekannten Ort, mit einer neuen sozialen und kulturellen Atmosphäre, ausgewandert. Dies stellt allerdings nicht nur ein Phänomen des Wohnungswechsels dar. Neben einschneidenden gesellschaftlichen Veränderungen müssen die bisherwirksamen Sozialformen, Beziehungen und Partizipationsbezüge abgelegt werden. In diesem Resozialisationsprozess werden alle bisherigen Sozialisationsinhalte über Sozialkultur und Sozialwesen verworfen, die häufig zu grundlegender Orientierungslosigkeit und fehlender Lebensstruktur führen. Die Verunsicherung durch das Verlassen der eigenen Heimat wird in dem Zielort noch weiter verstärkt, welches in der Regel bedeutet, dass Zuwanderer eine gewisse Angst vor der Zukunft verspüren, da sie das Gefühl haben, den Prozess der Resozialisierung neu beginnen zu müssen, um sich an die soziokulturelle Gruppe in ihrer neuen Heimat anzupassen. Daher müssen sie ihr Selbst- sowie ihr Weltbild analog den aktuellen Lebensumständen anpassen (vgl. ebd.).
Die dritte Phase illustriert den anhaltenden und angespannten Prozess der Integration am Zielort, der als „Assimilation“ oder „the process of absorption“ (auf Deutsch: der Prozess der Absorption) erfasst wird und die Grundlage für den Erfolg eines neuen Lebens in der neuen Heimat bildet (vgl. ebd.).
Insofern es sich um eine geplante Migration handelt, können die Betroffenen bestimmte Maßnahmen ergreifen und sich mit der analogen Aufnahmegesellschaft befassen. Geht es jedoch um eine erzwungene Migration, die geringe Zeit für analoge Vorbereitungen gewährt, ist die Phase des Abschiednehmens sowie der Planung dagegen relativ. Im Hinblick dessen wird die anschließende Zeit als unsicher und wenig kontrollierbar empfunden (vgl. Schouler-Ocak 2007: 84f.). Der Verlauf des Migrationsprozesses ist abhängig von den individuellen Verhältnissen und kann von Stunden bis hin zu Jahrzehnten andauern, vorausgesetzt, dass über Drittstaaten gewandert wird. Überdies können prekäre Migrationsumstände zusätzliche Stress- bzw. Belastungselemente hervorrufen, während die Phase der Überkompensation von einer sogenannten „Goldgräberstimmung“ beherrscht wird. Die Betroffenen sind eingangs damit zufrieden, das Zielland erreicht zu haben und ein neues Leben mit neuen Perspektiven zu realisieren. In der Phase der Dekompensation werden misslungene Erwartungen zum unangenehmen Ernstfall und intensivieren die Stress- und Belastungsfaktoren und erzeugen Erkrankungen wie Depressionen, sodass vermehrt die Gesundheitssysteme des Ziellandes aufgesucht werden. Darüber hinaus finden in dieser Phase generationsübergreifende Anpassungsprozesse zur Verarbeitung von Konflikten statt (ebd.: 85).
Die einzelnen Migrationsphasen können demnach sowohl physische als auch psychischen Folgen für die Betroffenen hervorrufen. Die Intensität des mühsamen Migrationsprozesses erzeugt einen langwierigen Bearbeitungsprozess. Darüber hinaus ist das alte Heimatbild allgegenwärtig und die Annäherung im Hinblick der neuen Gesellschaft nur bedingt möglich. Fraglich ist an dieser Stelle auch, welche Konsequenzen sich hieraus für Kinder und Jugendliche ergeben, die nach der Migration ins Zielland die Schule besuchen müssen, denn wie bereits ausgeführt, kann die Migration zu grundlegenden Orientierungsstörungen und zur Strukturlosigkeit führen, was auch den Bildungsweg der Kinder prägen kann. Im Hinblick dessen stellt sich die Frage, ob dieser Tatbestand zu einer ungleichen Behandlung im Bildungswesen führt.
3 Theoretische Erklärungsansätze nach Hans Thiersch (Ahmad) und Pierre Bourdieu
Als theoretische Fundierung fiel die Entscheidung auf Thierschs Konzept der Lebensweltorientierung. Die Wahl konkretisiert sich im Interesse der Frage, wie sich diese Theorie der Sozialen Arbeit auf Menschen mit Migrationshintergrund beziehen lässt. Für Thiersch liegt der Schwerpunkt in der Theorie der Sozialen Arbeit darauf, in welchem Wechselspiel sich die vorhandenen Konflikte, die institutionalisierte sowie professionalisierte und pädagogische Förderung die Lebensverhältnisse in ihrer Gestaltung prägen.
3.1 Entstehung der Lebensweltorientierung nach Hans Thiersch
Das Konzept der Lebensweltorientierung ist in dem Werk der so genannten Thüringer Schule, einer Einheit von Wissenschaftlern um Hans Thiersch begründet, „als Antwort auf gesellschaftliche und sozialpolitische Herausforderungen“ (Thiersch/Grunwald/Köngeter2005: 165).
Es ist zu klären, welche Parameter die Entwicklung des Konzepts ausgelöst und angeleitet haben. Im Hinblick dessen ist es erforderlich, an die gesellschaftlichen und politischen Umstände am Ende der 1960er Jahre zu verweisen. Diese Phase zeichnet sich durch Studentenrebellion in den westlichen Industrieländern gegen klassische Obrigkeitsdenken aus. Der Ausgangspunkt für soziale Konflikte war in dem Kapitalismus begründet, da die gesellschaftliche Ausgrenzung die Allgemeinheit an den sozialen Rand drängte. Der Prozess des radikal-kritischen Diskurs ermöglichte in den 1970er Jahren das zentrale Fundament des Konzeptes der Lebensweltorientierung (vgl. ebd.).
Soziale Arbeit entwickelte sich zu einem institutionalisierten und professionalisierten Hilfssystem (vgl. Thiersch 2006: 16), bestärkte sich und wandelte sich hin zu einer Expertenherrschaft (vgl. Thiersch/Grunwald/Köngeter 2005: 165). Angesichts dessen verkörpert die Lebensweltorientierung einen Gegensatz zu einer ausschließlich auf Fachlichkeit und Profession bestimmten Sozialen Arbeit. Gewiss verfällt die Lebenswelt der Adressaten nicht im Geringsten einem gesellschaftlich konstanten und somit festgefahrenen Charakter. Die Funktion der lebensweltorientierten Sozialen Arbeit besteht nicht darin, die Klienten einseitig mit ihrer Lebenswelt zu assoziieren, ohne gesellschaftskritisch einen erfolgreichen Umbruch der Lebensbedingungen zu beabsichtigen, sondern zielt auf „gerechtere^..) Lebensverhältnisse, [...] Demokratisierung und Emanzipation“ (ebd.) sowie „Chancen rechtlich gesicherter, fachlich verantwortbarer Arbeit“ (ebd.).
1970 wurden dann erstmals die Studiengänge Soziale Arbeit, Sozialpädagogik/Soziales und Pädagogik/Erziehungswissenschaft angeboten (vgl. Engelke 2009: 427). Gleichzeitig schien die Umsetzungsfrage in den Hintergrund zu geraten, was immens kritisiert wurde, und es begannen Diskussionen über die Funktion der Sozialen Arbeit (vgl. Thiersch/Grunwald/Köngeter 2005: 165). Hierbei rückte das Bedürfnis nach Partizipation und Selbstbestimmung in den Vordergrund (vgl. Thiersch 2006: 16). Lebensweltorientierung sollte in diesem Kontext als handlungsorientiertes Konzept agieren, sodass neue Arbeitsformen entworfen wurden. Der Fokus wurde auf gerechtere Lebensbedingungen, Demokratisierung, Emanzipation, differenzierte Hilfe, Erlangung des „Rechtsschutz und beruflich verantwortungsvolle Beschäftigungsmöglichkeiten“ (Thiersch/Grunwald/Köngeter 2005: 165) gelegt (vgl. ebd.). 1978 veröffentlichte Thiersch seine erste Beschreibung hinsichtlich seiner Theorie zur lebensweltorientierten Sozialen Arbeit: "Tägliches Handeln und Sozialpädagogik".
In den 1980er Jahren wurde dieses Konzept als Reaktion auf die Forderungen von Ulrich Beck im Hinblick zunehmender personalisierter sowie vielfältiger Lebensverhältnisse und die Erosion traditioneller Lebensmuster erweitert, da die gesellschaftlichen Modifikationen (die wachsende Individualisierung sowie Realisierung von Lebensbedingungen) die Abschaffung traditioneller Wohnstrukturen bewirkten. Da analoge Konzepte ausblieben, sorgte der grundlegende Wandel für krisenhafte Emotionen in der Lebenswelt. Multikulturelle Interaktion isolierte traditionelle Geschlechterverhältnisse, sodass die Individualität immer im Vordergrund stand. Diese genannten Aspekte haben soziale Spaltungen, Unsicherheiten und Konflikte in der Lebenswelt verursacht (vgl. Thiersch/Grunwald/Köngeter 2005: 166).
Soziale Arbeit bemüht sich für Menschen, die orientierungslos sind, neue dynamische Lebensbedingungen und subjektive Förderangebote zu ermöglichen (vgl. ebd.: 165). Die Wahrnehmung der Lebenswelt wird nicht nur zur Wahrnehmung der überarbeiteten Arbeits- und Berufswelt, sondern spiegelt auch neue Rollenbilder für Männer und Frauen wider (vgl. Thiersch 1993: 13). Durch den Ausbau der Sozialen Arbeit, des Kinder- und Jugendhilfegesetzes (KJHG) und des 8. Jugendberichts (beide 1990) hat sich das von Hans Thiersch entwickelte Konzept der Lebensweltorientierung immer mehr durchgesetzt (vgl. 8. Jugendbericht 1990: 12). Daher wurde das Konzept der Lebensweltorientierung erstmals vom Gesetzgeber als Handlungskonzept für eine groß angelegte Hilfe für Kinder, Jugendliche und Familien in der Sozialen Arbeit ausgewiesen (vgl. Füssenhäuser/Thiersch 2001: 1879).
3.1.2 Konzept der Lebensweltorientierung nach Thiersch
Das Konzept der lebensweltorientierten Sozialen Arbeit konzentriert sich auf „die Adressatjnnen in ihren alltäglichen Lebensverhältnissen, mit ihren Problemen und Ressourcen, ihren Einschränkungen und Freiheiten sowie ihren Anstrengungen, vor dem Hintergrund materieller und politischer Bedingungen Raum, Zeit und soziale Beziehungen zu gestalten“ (Grunwald/Thiersch 2016: 303).
Dies verleitet den Einzelnen in Konfliktsituationen, insbesondere bei verfügbaren Ressourcen und komplexen Lebensbedingungen, zu erfolgreichen und erfolglosen Reaktionen, die letztendlich zu Hoffnung und Ernüchterung führen. Die Lebensweltorientierung ist nah an ihrem Alltag und hat ein detailliertes Verständnis für die Probleme, die die Bewältigung des täglichen Lebens und die Konzentration auf Ressourcen behindern. Scheitern führt oft zu Selbsttäuschung, was das „eigene“ Scheitern zu verhindern versucht. Angenommen, der Adressat hat das Potenzial, das tägliche Leben selbstständig zu bewältigen, so ist die Interventionsfunktion lediglich der Förderung gewidmet (vgl. Otto/Thiersch 2011: 854).
Dabei stehen die, den Schwächen und Stärken des Objekts entsprechenden Probleme und Chancen in der Lebensweltorientierung im Vordergrund und legen den Grundstein für das pädagogische Handeln. Das Handeln orientiert sich analog den jeweiligen persönlichen Lebensumständen und wird daher als eine wirksame Methode anerkannt (vgl. Thiersch 2000: 161).
Zunächst werden die aktuellen Lebensbedingungen der Einzelnen identifiziert und anschließend die Beobachtungen begutachtet, um günstiges und vielversprechendes Potenzial zu bestimmen. Die Lebensweltorientierung ist nicht defizitorientiert, sondern ein Ansatz, Vorteile zu identifizieren und diese zu integrieren. Der Hilfeplan wird gemeinsam mit den Betroffenen erstellt. Gleichzeitig entfaltet die Integration dynamische Kooperations- und Handlungspläne das gegenseitige Vertrauen aber auch das Vertrauen in sich selbst. Die Erwartung von Kompetenzen und Entwicklungsmöglichkeiten illustriert die Grundlage für die lebensweltorientierte Arbeit. Durch das Vertrauen, den Empfehlungen sowie den umfassenden Diskursen erschließt sich, dass die lebensweltorientierte Arbeit fördert, absichert und gegebenenfalls auch entgegensteuert (vgl. ebd.: 164f.).
Thiersch et al. (2005) weisen auf die fünf Dimensionen der lebensweltorientierten Sozialen Arbeit hin und illustrieren diese wie folgt:
1. Die erste Dimension stellt die erfahrene Zeit dar. Da die Lebensphasen im Lebenslauf sowie die Perspektiven auf die Zukunft zerbröckeln, werden die Verhältnisse zunehmend komplexer, sodass der Schwerpunkt auf die Gegenwart liegt. Angesichts der Tatsache, dass die Zukunftsperspektive in der Regel von Ängsten und Irritationen flankiert wird, werden mehr Mut und Kompetenzen respektive Ressourcen vorausgesetzt (vgl. ebd.: 171f.).
2. Die zweite Dimension stellt die des erfahrenen Raumes dar. Die Adressaten werden im Kontext ihrer räumlichen Verhältnisse und in der Wahrnehmung ihres subjektiven Raumes beleuchtet, welcher analog ihrer Lebensumstände abweichen kann. Die Förderung der sozialen Infrastruktur soll im gleichen Sinne durch die Soziale Arbeit gewährleistet werden. Die Zielsetzung ist es, verfügbare, sowie neue Ressourcen zu mobilisieren und Alternativen zur Lebensbewältigung zu erschließen (vgl. ebd.).
3. Die lebensweltorientierte Soziale Arbeit bewegt sich in den Strukturen der sozialen Bezüge, während Spannungen und Ressourcen skizziert und beansprucht werden, um die Adressaten in ein soziales Netzwerk einzugliedern (vgl. ebd.).
4. Die vierte Dimension konzentriert sich auf eine adäquate Perspektive der alltäglichen Bewältigungsanforderungen der Adressaten. Eine zielführende Gliederung des Alltags in einen präzisen, transparenten und konsequenten Charakter ist ergiebig, um die damit verknüpften Bewältigungsaufgaben zu erfahren (vgl. ebd.).
5. Die fünfte Dimension stellt die Instruktion zur Selbsthilfe dar. Die Betroffenen sollen sich als fungierende Individuum identifizieren, ihre subjektiven Ressourcen definieren sowie die Anbindung von Selbstbestimmung und Autonomie ermitteln (vgl. ebd.).
3.1.3 Das Selbstverständnis der Lebensweltorientierung und ihre Handlungsmaxime
Die Handlungsmaxime realisiert sich in folgende Kriterien: Vernetzung und Planung, politische Vermittlung, Verhandlung und Reflexion. Die Vernetzung sowie Kooperation von Kosten- und Dienstleistern können effiziente Unterstützungskonzepte verwirklichen. Voraussetzung für eine politische Intervention ist die Aktivierung des eigenen positiven Engagements und positive Beiträge zur Entwicklung der politischen und sozialpädagogischen Prozesse. Verhandeln bedeutet in diesem Sinne, sich intensiv mit Problemen auseinanderzusetzen und Lösungen zu finden, eingreifen zu können und eigenständiges Handeln des Adressaten zu bestärken. Reflexion skizziert den Prozess der selbstkritischen Auseinandersetzung mit den Anforderungen der Gesellschaft und der Sozialpädagogik (vgl. Dummann/Mennemann 2016: 151).
Im Kontext der Struktur- sowie Handlungsmaximen der Jugendhilfe illustrieren Thiersch et al. (2005) diese wie folgt:
- Prävention: Konzentration liegt auf pünktliche Bildung sowie Festigung von tragfähiger und flankierender Infrastruktur und auf universelle Kompetenzen zur Lebensbewältigung. Der Fokus liegt auf die Gewährleistung fairer Lebensumstände und die Perspektive auf ein gutes Leben.
- Alltagsnähe: niederschwellige sowie umfassende Förderung in der Lebenswelt der Betroffenen
- Integration: Lebenswelt exklusive Ausgrenzung, Unterdrückung und Unachtsamkeit
- Partizipation: Der Fokus liegt auf Diversität und Partizipation- sowie Mitbestimmungsperspektiven, welcher durch die Gleichstellung von Klienten und Helfern flankiert wird.
- Dezentralisation/Regionalisierung: Vernetzung von lokalen sowie regionalen Strukturen, um eine Förderung vor Ort zu gewährleisten, (vgl. ebd.: 173f.).
3.1.4 Kritik in Bezug auf Lebensweltorientierung
Während das Konzept der Lebensweltorientierung seit den 1960/1970er Jahren als ein aktiver Kernpunkt in den theoretischen und praktischen Diskurs der Sozialen Arbeit integriert ist, wird es auch von kritischen Stimmen begleitet. Im Zuge dessen bemerkt Weinbach (2016):
„Lebensweltorientierung ist in dieser mehrdimensionalen Konzeptualisierung nach wie vor eine Provokation und, entgegen ihrer ubiquitären Verwendung als Schlagwort in Konzepten und Programmen [...], längst nicht und schon gar nicht flächendeckend - auch nicht in der Jugendhilfe - realisiert“ (ebd.: 77).
Die Lebensweltorientierung beginnt nach Böhnisch (2016) mit der umgehenden Erfahrung der Lebenswelt und erklärt phänomenologischdeskriptiv die Orientierung des täglichen Lebens. Der Alltag wird demnach "allmählich schrumpfend, engstirnig, aber es gibt noch Anknüpfungspunkte für die Entwicklung gesellschaftlicher Expansionsfähigkeiten" (ebd.: 524). Die Lebensweltorientierung ist enger mit Pragmatik und Konventionen im täglichen Leben verbunden (vgl. ebd.: 533). Dabei geht es ihr weniger darum, die den Deutungs- und Handlungsmustern der Adressaten zugrunde liegenden Argumentationen zu analysieren, sondern sich mit ihrer Lebenswelt auseinanderzusetzen (vgl. Füssenhäuser2018: 166).
3.1.5 Auswirkungen der Migration auf die Lebenswelten der Betroffenen
Umgerechnet ein Drittel der Kinder sowie Jugendlichen in Deutschland haben einen mittelbaren oder unmittelbaren Migrationshintergrund. Die Frage erzielt daher zunehmend die Aufmerksamkeit, in welcher Hinsicht junge Menschen von Einwanderungs- und Integrationsvorgängen geprägt sind. Im Hinblick dessen liegt die Konzentration des öffentlichen Diskurses hauptsächlich an ihrer Beteiligung an Bildungsprozessen. Entscheidend für die Teilhabe und Integration dieser jungen Menschen ist jedoch die persönliche bzw. familiäre Einwanderungserfahrung, die Sozialisation innerhalb der Familie und das Gesamtumfeld. Kindheit und Jugend im Zusammenhang mit Migration illustriert ein enorm vielfältiges Phänomen. Viele junge Menschen haben einen Migrationshintergrund, weil ihre Eltern oder Großeltern ausgewandert sind, andere hingegen sind mit ihren erwachsenen Verwandten nach Deutschland gekommen. Zudem kommen seit 2015 vermehrt unbegleitete schütz- und asylsuchende Minderjährige nach Deutschland (vgl. Jähnert/Reisenauer 2020: 15ff.).
Mit den vielfältigen Migrationserfahrungen gehen zudem diverse räumliche Familienkonstellationen einher. Während einige junge Leute zusammen mit ihrer gesamten Verwandtschaft im Einwanderungsland leben, ereignet sich das Familienleben bei anderen inmitten zwei Ländern, d. h. in einem transnationalen Kontext. Die analogen Verhältnisse begründen individuelle Integrationsvoraussetzungen und -tendenzen im Einwanderungsland. Daher kann im Zuge dessen nicht von einer homogenen Gruppe junger Leute mit Migrationshintergrund in Deutschland ausgegangen werden. Im Folgenden sollen einige Facetten der Familien- und Lebenswelten von Kindern und Jugendlichen unter Bedingungen der Migration beleuchtet werden (vgl. ebd.).
Die Familie gilt als übergeordneter Bildungsort, dem eine maßgebliche Bedeutung für die Persönlichkeitsentwicklung sowie Bildungsperspektiven von Kindern zukommt. Dem Bereich Migration und Familie wurdejedoch lange Zeit wenig Aufmerksamkeit geschenkt, mit Ausnahme der Arbeiten des Soziologen Bernhard Nauck (Nauck 1985). Erst im letzten Jahrzehnt rückten analoge Anliegen mit steigender Tendenz in den Mittelpunkt der Wissenschaft (vgl. ebd.).
Bisherige Untersuchungen lenken die Aufmerksamkeit auf die Auswirkungen von Migration auf das Familienleben und die Erziehung. Kinder mit Migrationshintergrund wachsen nicht selten bei verehelichten Eltern und in Mehrkindfamilien auf. Bei alldem sind Generationsverhältnisse in den Familien generell angesichts einer hohen Signifikanz der familialen Solidarität markiert, was sich in der überragenden Relevanz von Eltern sowie Geschwistern reflektiert (vgl. ebd.).
Ungeachtet der Tatsache, dass absolute und auf alle Migranten anwendbare Auffassungen hinsichtlich der Erziehung ausbleiben, prägen sowohl herkunfts- als auch migrationsbezogene Gesichtspunkte die Erziehung der Kinder. Empirische Befunde weisen auf den Tatbestand hin, dass es in Bezug auf die Art von kindlicher Unabhängigkeit und Vertrautheit, Differenzen in Familien mit und ohne Migrationshintergrund gibt. Für Migranten nehmen Gehorsam und Konformität eine zentrale Position ein, während im Vergleich dazu die kindliche Unabhängigkeit eine geringere Aufmerksamkeit genießt (vgl. ebd.).
Das Forschungsprojekt »Diversität und Wandel der Erziehung in Migrantenfamilien« (DIWAN) wirft einen migrationssensiblen Blick auf die Erziehung und identifiziert, dass sich der Alltag von Kindern und Jugendlichen in Anbetracht ihrer Lebensumstände äußerst homogen entwickelt. Ihre Lebenswelten werden geprägt von ihrer nationalen Herkunft, der Aufenthaltsdauer in Deutschland sowie von ihren Familienkonstruktionen und -Verhältnissen. Angesichts der Tatsache, dass sie überwiegend schlechtere sozioökonomische familiäre Situationen erfahren, können sie sich nur kleinere Wohnräume leisten, als ihre Peers ohne Migrationshintergrund. Im Übrigen leben sie häufig in Großstädten und in großen Wohnblöcken, in denen kaum Kapazitäten dafür vorhanden sind, ein eigenes Zimmer zu beziehen, was zusätzlich Benachteiligungen nach sich zieht (vgl. ebd.).
Parallel zu der Familie haben Freundschaften eine äußerst relevante Bedeutung in der Lebenswelt von jungen Menschen, da sie die Unabhängigkeit von den Eltern unterstützen, die Entfaltung der Persönlichkeitsentwicklung fördern und neue Bildungsräume etablieren. Der Umfang der Bekannten mit Individuen, die nicht zur eigenen Familie zählen, repräsentiert das Indiz für soziale Teilhabe. Kinder, die selbst zugewandert sind respektive deren beide Elternteile aus dem Ausland stammen, erklären im Verhältnis zu Kindern ohne Migrationshintergrund dreimal häufiger, dass ihre Freunde auf derselben Familie oder der Verwandtschaft zurückzuführen sind. Dies ist darin begründet, dass ihre Eltern die Wahl des Freundeskreises absegnen müssen, sodass interethnische Bekanntschaften eher selten zustande kommen. Die Relevanz der Familie verdeutlicht auch im Hinblick der Freizeitgestaltung der Kinder und Jugendlichen mit Migrationshintergrund. Demnach nehmen die Betroffenen, unabhängig ihrer Aufenthaltsdauer und dem Geschlecht, seltener an Vereinssport, Tanz- und Theatergruppen teil und besuchen nur vereinzelt Jugendgruppen. Angesichts dessen haben sie nur sporadische Chancen, Freundschaften jenseits der Familie zu schließen (vgl. Jähnert/Reisenauer2020: 18f.).
Der öffentliche Diskurs ist grundsätzlich von einem desolaten Bild in Bezug auf Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund geprägt. Trotz potentieller Risikofaktoren im Kontext mit Migration, die dazu beitragen, strukturelle Benachteiligungen im Kindes- sowie Jugendalter vorzubeugen und demnach positive Bildungs- sowie Arbeitsmarkteffekte der Betroffenen zu begünstigen, sind weitere Abgrenzungen notwendig. Bedingt durch die familiären sozialen Verhältnisse der Migrationsgeneration und der kulturellen sowie nationalen Abstammung, resultieren heterogene Konflikte (vgl. ebd.).
Darüber hinaus mündet der Migrationshintergrund von jungen Individuen nicht zwangsläufig in Benachteiligung. Durch das Heranwachsen in Migrationszusammenhang erschließen sich auch signifikante Perspektiven. Sowohl Kinder als auch Enkelkinder von Migranten wachsen vielfach in einem interkulturellen bzw. transnationalen Rahmen heran, haben sich gegebenenfalls selbst in einem anderen Staat aufgehalten und dort soziale Kontakte zu Familienangehörigen und Freunden aufgebaut, die Potenziale und Fähigkeiten der Transnationalität erzeugten, z. B. Mobilitätsfähigkeiten, Mehrsprachigkeit, interkulturelles Wissen bzw. Sozialkapital im Ausland. Diese Stärken und Fähigkeiten können in diversen regionalen und multikulturellen Bezugsrahmen verwertet werden und als eine effektive Quelle zur Konstruktion transnationalen Lebenswelt fungieren. Infolgedessen weist die Forschung ebenfalls auf vorteilhaften Kontext zwischen Migration, Transnationalität sowie Bildung hin. Das Heranwachsen in Migrationsverhältnissen stellt, neben Herausforderungen, auch neue Perspektiven für Kinder und Jugendliche dar (vgl. ebd.).
3.1.6 Theoretische Grundlage - Ein Ansatz nach Boudon
Die Chancengleichheit im Bildungssystem kann nur gewährleistet werden, wenn die Startvoraussetzungen für Kinder nicht mehr von ihrer sozialen Herkunft abhängig sind. Daher muss zunächst geklärt werden, welche Position der sozioökonomische Status der Eltern angesichts der Schulbildung ihrer Kinder überhaupt einnimmt.
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- Citation du texte
- Anonyme,, 2021, Bildungsungleichheit aufgrund von Migration. Ressourcen, Herausforderungen und Fördermöglichkeiten der Schulsozialarbeit, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1309919
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