Die vorliegende Arbeit setzt sich mit der Frage der medizinisch-ethischen Rechtfertigung von Dr. Heinrich Gross in Bezug auf seine Heilmethoden in der Wiener städtischen Jugendfürsorgeanstalt "Am Spiegelgrund" und der Heilpädagogischen Klinik der Stadt Wien "Am Spiegelgrund" auseinander. Ärzte wie Dr. Heinrich Gross sowie medizinische Wissenschaftler waren in der nationalsozialistischen Bewegung keine Randerscheinung, im Gegenteil: Sie waren ein wichtiger Teil der Verwirklichung der Pläne zur Vernichtung von Menschen, die nach Ansicht der Nationalsozialisten keinen Platz in der Gesellschaft haben durften.
Dr. Heinrich Gross‘ ethische Sichtweise in Bezug auf seine Taten "Am Spiegelgrund" erscheint aus dem zugänglichen Quellenmaterial bis dato wenig beleuchtet, weshalb eine nähere Betrachtung dieser von Interesse ist. Nach Gross‘ Ansicht, wiedergegeben in zahlreichen Interviews, handelte er in Bezug auf die vorherrschende Gruppenethik korrekt, aber aus heutiger Sicht, in einer Zeit, in der die Individualethik vorherrscht, würden seine Taten vermutlich als Totschlag oder auch Mord angeklagt werden.
Die Arbeit beruft sich auf Sekundärquellen und wissenschaftlichen Analysen über Heinrich Gross und seine Arbeit "Am Spiegelgrund", wobei zunächst eine Übersicht der Begriffe Eugenik, Euthanasie und unwertes Leben vorgenommen wird. Darauf aufbauend und um die ethischen Fragen des Arztes Heinrich Gross genauer analysieren zu können, wird das Konzept des Eids des Hippokrates erklärt, denn seit über zwei Jahrtausenden gilt dieser als Richtschnur für die ärztliche Tätigkeit. Dieser Eid fand, obwohl während der nationalsozialistischen Herrschaft – wenn auch nicht offiziell – in Frage gestellt bzw. ausgesetzt, in der Verhaltensweise vieler Ärzte dennoch Anwendung. Das Prinzip des Nicht-Schadens und Wohl-Tuns wurde jedoch oftmals zum Prinzip des Ausmerzens und des Gnadentods. Nachfolgendes Kapitel beschreibt das Leben von Heinrich Gross sowie seine Tätigkeit am Spiegelgrund. Überlegungen in Bezug auf Ethik im Nationalsozialismus versus eine Individualethik sowie die Folgerungen des Nürnberger Ärzteprozesses und das Resümee runden diese Arbeit ab.
I. Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Einleitung
1 Eugenik und die Ausmerzung unwerten Lebens
1.1 Eugenik
1.2 Auswirkung eugenischer Denkweise am Beispiel Julius Tandler
1.3 Selektion, Ausmerzung unwerten Lebens und Euthanasie
1.4 Kindereuthanasie
2 Das Leben und Wirken von Dr. Heinrich Gross
3 Praktiken des Dr. Heinrich Gross am Beispiel Spiegelgrund
3.1 Die Wiener Heil- und Pflegeanstalt Am Steinhof
3.2 Die Kinderfachabteilung „Am Spiegelgrund“
3.3 Dr. Heinrich Gross am Spiegelgrund
4 Ethische Überlegungen und Rechtfertigung
4.1 Ethik im Nationalsozialismus vs. Individualethik
4.2 Gesellschaftsethik in der konkreten Anwendung durch Heinrich Gross
5 Überlegungen zur Medizinethik nach der NS-Zeit
Resümee
Literaturverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Gendererklärung
Solch eine Ethik [sic! Gemeint ist ein neuer Ansatz im Bereich der Ethik in der Medizin] ist eine Ethik, die die Freiheit des einzelnen im Rahmen der Gemeinschaft würdigt und in der der einzelne sich als Bestandteil dieser Gemeinschaft fühlt. Sogenannte individuelle Rechte sind nicht etwas, das irgendwo in den Sternen steht, sondern etwas, das von und durch die Gemeinschaft gewährleistet, gesichert und verwirklicht wird. Die Gemeinschaft ist für das Individuum genau so wichtig wie das Individuum für die Gemeinschaft.1
Abstract
Die Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft ist grundsätzlich gut erforscht. Es gab unbestritten in allen Bereichen viele Täter und noch viel mehr Opfer. Die Ärzteschaft, die während der nationalsozialistischen Herrschaft praktiziert, stand in einem Spannungsfeld zwischen dem Grundsatz des Hippokratischen Eids, einem Menschen nicht zu schaden, und der von den Nazis propagierten Gesellschaftsethik in Form des gesunden Volkskörpers, in welchem kranke Menschen keinen Platz hatten.
Mithilfe der Analyse von Zeitzeugenberichten, Interviews und Sekundärliteratur beschreibt die folgende Arbeit den Arzt Dr. Heinrich Gross im Spannungsfeld der sich verändernden Sichtweisen der medizinischen Ethik: Einerseits einer Gesellschaftsethik, die während des Nationalsozialismus das Ziel des gesunden Volkskörpers hatte und andererseits die Rückkehr der Medizinethik zu einer Individualethik nach dem Ende der nationalsozialistischen Herrschaft, in der der Mensch sowie der Vorsatz primum nil nocere im Vordergrund standen.
Die medizinisch-ethischen Rechtfertigungen für die Taten von Dr. Heinrich Gross führen zu zwei Ansätzen: Seiner Tätigkeit in der Wiener städtischen Jugendfürsorgeanstalt „Am Spiegelgrund“ und der Heilpädagogischen Klinik der Stadt Wien „Am Spiegelgrund“ zu einer Zeit, in der er sich der Gesellschaftsethik unterwarf und diese anwendete, sowie die danach vorherrschende Individualethik, die aus dem Nürnberger Ärzteprozess hervorging.
Vorwort
Die Idee zu dieser Arbeit entstand, als mir meine Freundin Anna F. eines Tages von der Lebensgeschichte ihres Großvaters erzählte. Sie beschrieb mir seine Kindheit, seine Zeit als schwererziehbar eingestuftes Kind in der Kinderübernahmestelle Lustgasse und von seiner späteren Einlieferung in die Kindererziehungsanstalt Am Spiegelgrund, wo dieser unter Hunger litt, geschlagen, misshandelt und gedemütigt wurde.
Ich hatte bisher noch nie zuvor von dieser Anstalt gehört und wollte mehr erfahren. Im Zuge meiner Recherche und dank Meta S. und Marion S. stieß ich auf die Person, von welcher diese VWA handeln sollte: den Primararzt Dr. Heinrich Gross.
So begann ich, Heinrich Gross, so gut es mir möglich war, zu studieren: Mein Ziel war es, ihn durch möglichst viel Wissen über sein Handeln und seine Aussagen, in seiner Denkweise verstehen zu lernen. Doch es kam genau andersherum. Je intensiver ich mich mit Heinrich Gross auseinandersetzte, desto weniger konnte und wollte ich diese aus meiner Sicht äußerst unnahbare Persönlichkeit aufgrund ihrer ständig divergierenden bzw. nichtssagenden Aussagen verstehen. Das Thema Heinrich Gross und seine Taten am Spiegelgrund stellte für mich anfangs ein unlösbares Puzzle dar, das mich sogar nachts in meinen Träumen verfolgte. Ich möchte meine Erfahrungen, welche ich die letzten Monate mit Heinrich Gross durchlebt habe, in Form dieser Arbeit darstellen.
Einen besonderen Dank möchte ich an dieser Stelle dem Autor und Wissenschaftler Peter Schwarz aussprechen, der mir mittels eines noch unveröffentlichten Werks Einsicht in neue Gedankenansätze ermöglichte, welche sich auf Grund dessen natürlich nur als Hilfestellung, nicht als Zitat verwenden ließen. Ebenso möchte ich mich bei meiner Klassenkollegin und Freundin - welche aus persönlichen Gründen anonym bleiben möchte - bedanken, welche mir für meine Arbeit essenzielle Literatur über ihren Urgroßvater Heinrich Gross zur Verfügung stellte.
Da dieses Thema ein selbst für Wissenschaftler immer noch emotional berührendes ist, so belastete mich diese Materie psychisch auch des Öfteren. An dieser Stelle möchte ich daher die Gelegenheit nützen, meiner Tante, meiner Schwester sowie meiner Mama zu danken, welche mich in schwierigen Situationen immer unterstützt haben, sowie Ella W., Klaus W. und Elisabeth W., die mich durch den Prozess der vorwissenschaftlichen Arbeit begleitet haben und denen mein ganz besonderer Dank gilt.
Abschließend möchte ich schließlich noch meiner Betreuerin Frau Magister Lisa Ipser danken, die mir verlässlich und unterstützend sowie mit produktiven Rückmeldungen stets zur Seite gestanden ist.
Auch wenn der Bereich der Euthanasie im Dritten Reich, insbesondere die Rolle der Ärzte, wissenschaftlich bereits sehr gründlich erforscht ist, so ist es mir dennoch ein Anliegen, Themen wie diese weiterhin zu behandelt, sodass nie in Vergessenheit gerät, wie sehr die Geschichte Österreichs - in meinem Fall Wiens - von solchen Gräueltaten befleckt ist. Es sind Flecken, die nicht mehr auswaschbar sind.
Einleitung
Die vorliegende Arbeit setzt sich mit der Frage der medizinisch-ethischen Rechtfertigung von Dr. Heinrich Gross in Bezug auf seine Heilmethoden in der Wiener städtischen Jugendfürsorgeanstalt „Am Spiegelgrund“ und der Heilpädagogischen Klinik der Stadt Wien „Am Spiegelgrund“ (im Folgenden: Am Spiegelgrund) auseinander. Ärzte wie Dr. Heinrich Gross sowie medizinische Wissenschaftler waren in der nationalsozialistischen Bewegung keine Randerscheinung, im Gegenteil: Sie waren ein wichtiger Teil der Verwirklichung der Pläne zur Vernichtung von Menschen, die nach Ansicht der Nationalsozialisten keinen Platz in der Gesellschaft haben durften.
Dr. Heinrich Gross' ethische Sichtweise in Bezug auf seine Taten Am Spiegelgrund erscheint aus dem zugänglichen Quellenmaterial bis dato wenig beleuchtet, weshalb eine nähere Betrachtung dieser von Interesse ist. Nach Gross' Ansicht, wiedergegeben in zahlreichen Interviews, handelte er in Bezug auf die vorherrschende Gruppenethik korrekt, aber aus heutiger Sicht, in einer Zeit, in der die Individualethik vorherrscht, würden seine Taten vermutlich als Totschlag oder auch Mord angeklagt werden.
Die Arbeit beruft sich auf Sekundärquellen und wissenschaftlichen Analysen über Heinrich Gross und seine Arbeit am Spiegelgrund, wobei zunächst eine Übersicht der Begriffe Eugenik, Euthanasie und unwertes Leben vorgenommen wird. Darauf aufbauend und um die ethischen Fragen des Arztes Heinrich Gross genauer analysieren zu können, wird das Konzept des Eids des Hippokrates erklärt, denn seit über zwei Jahrtausenden gilt dieser als Richtschnur für die ärztliche Tätigkeit. Dieser Eid fand, obwohl während der nationalsozialistischen Herrschaft - wenn auch nicht offiziell - in Frage gestellt bzw. ausgesetzt, in der Verhaltensweise vieler Ärzte dennoch Anwendung. Das Prinzip des Nicht-Schadens und Wohl-Tuns wurde jedoch oftmals zum Prinzip des Ausmerzens und des Gnadentods. Nachfolgendes Kapitel beschreibt das Leben von Heinrich Gross sowie seine Tätigkeit am Spiegelgrund. Überlegungen in Bezug auf Ethik im Nationalsozialismus versus eine Individualethik sowie die Folgerungen des Nürnberger Ärzteprozesses und das Resümee runden diese Arbeit ab.
Selbstverständlich soll hier kein Pauschalurteil gefällt werden. Es geht hier nicht um alle Ärzte, denn ein Gutteil des medizinischen Personals kümmerte sich weiterhin um das Wohlergehen ihrer Patienten. Das medizinische Personal war von Anfang an als Vordenker, Vorbereiter, Vorantreiber und Vollstrecker aktiv involviert, Töten wurde zum Bestandteil des Heilens.2
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1 Loewy, Brauchen wir eine neue medizinische Ethik, S.106.
2 Bartens, Die Perversion des Heilens.
- Citation du texte
- Lorenz Pojer (Auteur), 2022, Dr. Heinrich Gross und seine Praktiken "Am Spiegelgrund". Im Spannungsfeld der medizinischen Ethik, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1308878
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