Was erwarten Patienten heute vom Gesundheitswesen? Welche Technologien können genutzt werden, um sie bestmöglich zu erreichen und zu interagieren? Kann das Gesundheitswesen von anderen Branchen lernen? Der allgemeine Trend in zur Kundenzentrierung mit Fokus auf dem "Kundenerlebnis" entlang der sogenannten "Customer Journey" und ihren diversen Interaktionspunkten kommt mittlerweile, wenn auch sehr allmählich, im Gesundheitswesen an.
Die Entwicklung hin zu Kundenzentrierung (Customer Centricity) ist an sich nichts Neues und hat im Consumer-Bereich schon lange eingesetzt: Eine neue Generation von VerbraucherInnen ist am Start. Sie sind besser informiert und vernetzt und wollen ihre Kaufentscheidungen vollständig kontrollieren. Dabei verschwimmen physische und virtuelle Kanäle: Verbraucher verlassen sich zusehends mehr auf AnbieterInnen, die ihnen jederzeit eine nahtlose Interaktion mit ihren Produkten und Dienstleistungen bieten, sei es nun online oder offline.
International wird sich auch das Gesundheitswesen auf veränderte Gegebenheiten einstellen müssen, und ein „perfekter Sturm“ scheint vorprogrammiert: Gesundheitsorganisationen müssen sich für eine neue Generation von Patienten rüsten, die immer und jederzeit über diverse Kanäle mit den Stakeholdern des Gesundheitswesens interagieren wollen. Sie müssen die veränderlichen Bedürfnisse und Vorlieben ihrer Patienten verstehen, um ihnen Lösungen anbieten, die sich an einer neuen Lebensweise im Zeitalter der digitalen Transformation orientieren.
Auch, wenn der persönliche Kontakt nach wie vor von großer Wichtigkeit ist: Patienten fordern heute zunehmend ein reaktionsschnelleres, offeneres und transparenteres Gesundheitssystem und sind bereiter für digitale Anwendungen.
Sie erwarten auch, dass sie von Behandlern in Entscheidungsprozesse mit einbezogen werden, auch, wenn die Präferenzen der einzelnen Patienten in Bezug auf eine solche Einbindung sehr unterschiedlich sein können. In ihrer Kommunikation sind moderne Patienten zusehends geprägt von schnellen Feedback- und Belohnungssystemen, die Social-Media-Plattformen wie Facebook oder Instagram so attraktiv machen. Die Corona-Krise hat den Trend hin zu digitalen Anwendungen aufgrund diverser Lockdowns und damit verbundenen Geschäftsschließungen noch erheblich verstärkt.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
1.1 Einführung in die Thematik
1.2 Zielsetzung der Arbeit
1.3 Forschungsfragen
1.4 Methodik und Aufbau
2 Aktueller Forschungsstand
2.1 Grundlagen Omnichannel (OC)
2.1.1 Definition Customer Journey
2.1.2 Definition Customer Experience und Customer Engagement
2.1.3 Definition Multi-Channel und Cross Channel- Ansätze
2.1.4 Definition des OC-Ansatzes
2.1.5 Cross Industry Partnerschaften
2.1.1 Ziele von OC Strategien im Consumer Bereich
2.2 OC Patient Engagement im Gesundheitswesen
2.2.1 Entstehung einer Healthcare Consumer Mentalität
2.2.1 HaaS - Healthcare as a Service
2.2.2 Ziele von OC Strategien im Gesundheitssektor
2.2.3 Definition der Patient Journey
2.2.4 Besonderheiten der Patient Journey
2.2.5 Definition Patient Experience und Patient Engagement
2.2.6 Einflussfaktoren für Patient Engagement
2.2.7 Erfolgsmessung von Patient Engagement
2.3 OC Technologien als Grundlage für Health Consumerism
2.3.1 CRM und elektronische Patientenakte (ePA)
2.3.2 Wearables und Telemedizin
2.3.3 Information, Terminbuchung, Aufnahme und Wegweiser
2.3.4 Mobile Payment und Treuepunkte
2.3.5 Blended Learning
2.4 OC im volkswirtschaftlichen Kontext
2.4.1 Ländervergleich: OC Entwicklungsstand
2.4.2 DESI und I-DESI: EU-Staaten im internationalen Vergleich
2.4.3 Public E-Health: Entwicklungsstand in EU und OECD
2.4.4 Public E- Health: Auf dem Weg zu OC Engagement Modellen
2.5 Strategien für OC Patient Engagement
2.5.1 Erfolgsfaktoren
2.5.2 Patient Journey Experience Mapping
2.5.3 Entwicklung eines OC Ökosystems für Patient Engagement
3 Methode
3.1 Vorbereitung der Interviews
3.1.1 Auswahl der TeilnehmerInnen
3.1.2 Hintergrund der TeilnehmerInnen
3.2 Durchführung und Auswertung
3.2.1 Interviewleitfaden
3.2.2 Transkriptionen der Interviews
3.2.3 Auswertung der Interviews
3.2.4 Kategorienbildung
4 Darstellung der empirischen Ergebnisse
4.1 OC Patient Engagement für bessere Gesundheitsversorgung
4.1.1 PatientInnenerwartungen im digitalen Zeitalter
4.1.2 Nutzen von OC Patient Engagement
4.1.3 Vorteile und Herausforderungen von OC Systemen
4.2 Health Consumerism: PatientInnen als VerbraucherInnen
4.2.1 Patient und Customer Centricity
4.2.2 Besonderheiten der Patient Journey
4.3 Einfluss- und Erfolgsfaktoren für OC Engagement
4.3.1 Vertrauen als Basis
4.3.2 Plattform-Akzeptanz
4.3.3 Digitalkompetenz
4.3.4 Silo- und Sektorendenken
4.3.5 Regulatorik und Systemträgheit
4.3.6 Technische Voraussetzungen und Kosten
4.4 Strategie und Implementierung
4.4.1 Entwicklung von OC Strategien
4.4.2 Learning by Doing, Quick Wins und Use Cases
5 Diskussion
5.1 Zusammenfassung und finale Erkenntnisse
5.1.1 OC Patient Engagement für eine bessere Versorgung
5.1.2 Übertragbarkeit von Customer Centricity auf PatientInnen
5.1.3 Erfolgsfaktoren und Herausforderungen
5.1.4 Strategieansätze für OC Patient Engagement
5.2 Ansätze für die weiterführende Forschung
5.2.1 Platform Adoption bei Gesundheitsorganisationen
5.2.2 Auslegung der DSGVO in nationalen Gesundheitssystemen
5.2.3 OC Patient Life Story: Entwicklung Best Practice
5.2.4 Die Rolle der PatientInnen im OC Behandlungsprozess
6 Conclusio
7 Quellenverzeichnis
8 Anhang
Danksagung
An dieser Stelle möchte ich allen Interview-TeilnehmerInnen meinen großen Dank dafür aussprechen, dass sie sich spontan und mit viel Engagement dazu bereit erklärt haben, ihr Wissen, ihren Erfahrungsschatz und ihre Ideen für diese Masterarbeit mit mir zu teilen. Jedes Interview war eine kleine Sternstunde und sehr inspirierend.
Ebenso möchte ich Artemis Manoussos, MA MBA, für die Betreuung und Unterstützung bei der Umsetzung dieser wissenschaftlichen Arbeit danken. Ihre klugen Einwände und Ratschläge waren sehr bereichernd und weiterführend.
Ein besonderer Dank gilt meinem Mann Mick, der mein Unterfangen, noch einmal Studentin zu sein, bedingungslos unterstützt und mir während des gesamten Studiums den Rücken freigehalten hat.
Anhangsverzeichnis
Nr. Bezeichnung Seite
Anlage A: Länderspiegel Public E-Health in EU und OECD
Anlage B: Interviewleitfaden
Anlage C: Transkriptionen der Interviews
Darstellungsverzeichnis
Darstellung 1 Anteil der Menschen in Prozent mit staatlicher/privater Krankenversicherung (Quelle: Our World in Data)
Darstellung 2 Customer Journey/ CTPs (Quelle: Digitale Offensive)
Darstellung 3 Kapitalmarktperformance der OC-Vorreiter (Quelle: Thomson Reuters)
Darstellung 4 Kommunikationspräferenzen von PatientInnen nach Altersgruppen (Quelle: AVTEX)
Darstellung 5 Patient im Gesundheitssystem (Quelle: smarter-service.com)
Darstellung 6 Grundlagen von Patient Engagement (eigene Darstellung nach Krolop)
Darstellung 7 Nationaler Aktionsplan Gesundheitskompetenz (eigene Darstellung nach Schaeffer)
Darstellung 8 CRM und Prozessportal im Consumer Bereich (Quelle: Mühlbacher und Berhanu)
Darstellung 9 Die elektronische Patientenakte als Prozessportal (Quelle: Mühlbacher und Berhanu)
Darstellung 10 Nutzung eines Smart Magic Band im Disney Park (Quelle: disneyworld.eu)
Darstellung 11 IoT Wearable in der Schwangerschaft (Quelle: bloomlife.com ) . 33 Darstellung 12 Healthcare Chatbot (Quelle: Chatbotsmagazine.com)
Darstellung 13 Peer Chat Group (Quelle: Sanvello)
Darstellung 14 OC Fortschritt nach Land (Quelle: Schmaus, 2017)
Darstellung 15 Indikatoren DESI (eigene Darstellung nach EU Commission)
Darstellung 16 I-DESI Score 2020 (Quelle: EU Commission)
Darstellung 17 Digital Health Index 2018 (Quelle: Bertelsmann Stiftung)
Darstellung 18 Beispiel einer Patient Journey Map (Quelle: madpow.com)
Darstellung 19 Patient Journey Mapping (Quelle: zhaw.ch)
Darstellung 20 Architektur eines HCEH (Quelle: Gartner)
Darstellung 21 HCEH Framework (Quelle: Gartner.com)
Darstellung 22 Übersicht der InterviewpartnerInnen (eigene Darstellung)
Darstellung 23 Vorteile und Herausforderungen von OC Öko- Systemen (eigene Darstellung gem. Forschungsergebnisse)
Darstellung 24 Estnisches Informationssystem X-Road (Quelle: estonianworld.com)
Darstellung 25 Zusammenfassung der Ergebnisse (eigene Darstellung gem. Forschungsergebnisse)
Darstellung 26 Aspekte der Erwartungshaltung von PatientInnen (eigene Darstellung gem. Forschungsergebnisse)
Darstellung 27 Customer vs. Patient Journey (eigene Darstellung gem Forschungsergebnisse)
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abstract
Purpose: The aim of this Master thesis is to investigate to what extent omnichannel patient engagement in the healthcare sector, combining analogue and digital communication in a unified data platform, contributes to better healthcare outcomes, higher patient satisfaction and a better utilization of healthcare resources. It also analyses if the idea of customer centricity from the consumer sector can be transferred to patient centricity as base of their engagement and what the key success factors and challenges for omnichannel patient engagement are. Furthermore, strategic approaches are discussed.
Research limitations: As omnichannel patient engagement is still a rather unexplored and innovative field, there are few scientific studies on the specific topic to date. Most studies so far have been published by renowned global consultancies and to a lesser extent in academic environments.
Methodology: This Master thesis relies on a combination of literature research for the theoretical part and, for the empirical part, on ten semi-structured interviews with high profile experts from five countries. All experts have been involved for many years in healthcare, covering the spectrum of national and private healthcare systems alike; the majority of them has substantial experience in digital health projects. The interview evaluation is based upon the formation of categories.
Findings: The results show that omnichannel patient engagement leads to better health care outcomes and higher patient satisfaction, especially for chronic conditions and elective surgeries. However, it is also becoming apparent that the classic concept of customer-centricity from the consumer sector cannot be seamlessly transferred to the healthcare sector: the large knowledge gap between patients and healthcare staff leads to a limited power of independent decision making for patients. The dominant human element in healthcare makes it very challenging to define and structure healthcare data. In the implementation of omnichannel systems in healthcare, human behavior elements are key success factors, far ahead of technical-organizational factors. The findings also reveal that there is no “one fits all” omnichannel strategy and that an agile, pragmatic approach is preferable to overengineering. Clear advantages of OC systems for all stakeholders are particularly important to get their acceptance of omnichannel systems off the ground and pave the way for patient engagement.
1 Einleitung
1.1 Einführung in die Thematik
Was erwarten PatientInnen heute vom Gesundheitswesen? Welche Technologien können genutzt werden, um sie bestmöglich zu erreichen und zu interagieren? Kann das Gesundheitswesen von anderen Branchen lernen? Der allgemeine Trend in zur KundInnenzentrierung mit Fokus auf dem „KundInnenerlebnis“ entlang der sogenannten „Customer Journey“ und ihren diversen Interaktionspunkten kommt mittlerweile, wenn auch sehr allmählich, im Gesundheitswesen an.1
Die Entwicklung hin zu KundInnenzentrierung (Customer Centricity) ist an sich nichts Neues und hat im Consumer-Bereich schon lange eingesetzt: Eine neue Generation von VerbraucherInnen ist am Start. Sie sind besser informiert und vernetzt und wollen ihre Kaufentscheidungen vollständig kontrollieren. Dabei verschwimmen physische und virtuelle Kanäle: VerbraucherInnen verlassen sich zusehends mehr auf AnbieterInnen, die ihnen jederzeit eine nahtlose Interaktion mit ihren Produkten und Dienstleistungen bieten, sei es nun online oder offline.2
International wird sich auch das Gesundheitswesen auf veränderte Gegebenheiten einstellen müssen, und ein „perfekter Sturm“ scheint vorprogrammiert: Gesundheitsorganisationen müssen sich für eine neue Generation von PatientInnenInnen rüsten, die immer und jederzeit über diverse Kanäle mit den Stakeholdern des Gesundheitswesens interagieren wollen. Sie müssen die veränderlichen Bedürfnisse und Vorlieben ihrer PatientInnen verstehen, um ihnen Lösungen anbieten, die sich an einer neuen Lebensweise im Zeitalter der digitalen Transformation orientieren.3 Auch, wenn der persönliche Kontakt nach wie vor von großer Wichtigkeit ist: PatientInnen fordern heute zunehmend ein reaktionsschnelleres, offeneres und transparenteres Gesundheitssystem und sind bereiter für digitale Anwendungen.
Sie erwarten auch, dass sie von BehandlerInnnen in Entscheidungsprozesse mit einbezogen werden, auch, wenn die Präferenzen der einzelnen PatientInnen in Bezug auf eine solche Einbindung sehr unterschiedlich sein können.4 In ihrer Kommunikation sind moderne PatientInnen zusehends geprägt von schnellen Feedback- und Belohnungssystemen, die Social Media Plattformen wie Facebook oder Instagram so attraktiv machen. Die Corona-Krise hat den Trend hin zu digitalen Anwendungen aufgrund diverser Lockdowns und damit verbundenen Geschäftsschließungen noch erheblich verstärkt.
Erwähnt sei noch, dass PatientInnen sich für Gesundheitsdienstleistungen häufig nicht aus freien Stücken, sondern aufgrund einer Akutsituation entscheiden. Infolge dieser begrenzten Entscheidungsfreiheit galten sie bisher häufig als „KostenverursacherInnen“, die sich über eine Behandlung freuen durften. Allerdings suchen sich PatientInnen in mehr als der Hälfte aller Fälle die Behandlungseinrichtung und den/die BehandlerIn selbst aus, oft basierend auf Informationen aus dem Internet und dem Bekanntenkreis. Daher gibt es auch in vielen, staatlich regulierten Gesundheitssystemen einen zunehmenden, ebenfalls staatlich geförderten Wettbewerb.5 Beispielsweise heißt es beim deutschen Bundesgesundheitsministerium: „Wettbewerb im Gesundheitswesen nützt den Patientinnen und Patienten. Sie erhalten so eine größere Wahlfreiheit und am Ende eine bessere Behandlung. Wettbewerb im Gesundheitswesen ist also kein Selbstzweck, sondern der Weg zu einer besseren medizinischen Qualität, zu mehr Effizienz und zu weniger Bürokratie“.6 Gleichzeitig steigt auch die Tendenz zur PatientInnenzentrierung: Das österreichische Gesundheitsqualitätsgesetz gibt seit 2005 die rechtlichen Rahmenbedingungen für eine partizipativ und kooperativ entwickelte Qualitätsstrategie vor, die Qualität, Transparenz und PatientInnensicherheit garantieren soll.7
Die bisher eher zögerliche Entwicklung im Gesundheitswesen kommt nicht von ungefähr. Zum einen ist die „Patient Journey“, einer/s PatientIn weitaus vielschichtiger als die relativ simple „Customer Journey“ einer/s KundIn, die/der im Laden oder online einen Staubsauger erwirbt oder online-Banking betreibt. Gesundheit ist ein komplexes, lebenslanges Thema. Die „Patient Journey“ ist dabei sehr stark zersplittert und umfasst zahlreiche Stationen: PatientInnen interagieren mit vielen unterschiedlichen AkteurInnen des Gesundheitswesens: Angefangen von HausärztInnen hin zu FachärztInnen, Krankenhäusern, Labors, Apotheken, TherapeutInnen und nicht zuletzt Krankenversicherungen. Durch die Vielzahl der AkteurInnen im Gesundheitswesen ist es eine sehr große Herausforderung, die zahllosen, verstreuten und veränderlichen PatientInnendaten, die im Rahmen der komplexen Patient Journey entstehen, mittels moderner Technologien zusammenzuführen, um PatientInnen stärker in den Gesundheitsprozess einzubinden. Gleichzeitig bestehen beim Schutz personenbezogener Daten besonders hohe gesetzliche Anforderungen und auch die Sorge mancher PatientInnen, dass ihre Daten nicht ausreichend geschützt sind. Es gilt, mit Hilfe von strukturierter und prädiktiver Datenanalyse ein besseres PatientInnenerlebnis und eine bessere, individualisierte Information, Prävention und Behandlung zu ermöglichen.
In den meisten wirtschaftlich entwickelten Staaten ist die Mehrheit der BürgerInnen in Form von nationalen oder, seltener, privaten Krankenversicherungen abgesichert, wie die nachfolgende Grafik veranschaulicht:8
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Darstellung 1 Anteil der Menschen in Prozent mit staatlicher/privater Krankenversicherung (Quelle: Our World in Data)
Insbesondere in der EU und in vielen OECD Staaten dominiert die staatliche Krankenversicherung. Die Strategien und Initiativen von Regierungen und der angeschlossenen AkteurInnen der Gesundheitssysteme sind somit von großer Bedeutung für die Entstehung von OC Ökosystemen, wie Praxisbeispiele im weiteren Verlauf zeigen werden.
Patient Engagement (PatientInneneinbindung) wird zunehmend als zentrale Komponente der Gesundheitsversorgung und als entscheidender Bestandteil für sichere, humanzentrierte Dienstleistungen anerkannt.9 Trotz unzähliger, immer weiter anwachsender Internetquellen bleibt der Wissensvorsprung von Gesundheitspersonal, insbesondere von ÄrztInnen im Vergleich zu ihren PatientInnen beträchtlich. Dennoch sind moderne PatientInnen längst keine reinen Objekte der medizinischen Versorgung und Kostenerstattung mehr, die bereit sind, sich bevormunden zu lassen. Vielmehr fordern sie mehr Transparenz bei der eigenen Gesundheit von ihren DienstleisterInnen und Krankenkassen. Sie werden immer mehr zu entscheidenden StakeholderInnen, die bewusst bestimmte Gesundheits-Dienstleistungen und Medizinprodukte wählen und informierte Entscheidungen treffen.
Ziel von Omnichannel (OC) Ansätzen im Gesundheitswesen ist es primär, eine bessere Patient Experience zu schaffen und PatientInnen eine aktivere Partizipation an der eigenen Gesundheitsversorgung zu ermöglichen, um bessere Behandlungsergebnisse zu erzielen bei gleichzeitig effizienterer Nutzung der limitierten Ressourcen des Gesundheitswesens. Es soll hier jedoch auch erwähnt werden, dass GesundheitsdienstleisterInnen öffentlicher Systeme in der Regel auch zusätzliche, in- dividuelle/ freiwillige Gesundheitsleistungen erbringen dürfen, die PatientInnen auf eigene Rechnung bezahlen bzw. die über eine Zusatzversicherung gedeckt sind, wenn nationale Krankenversicherungen nicht dafür aufkommen: Allein der, vor allem für Apotheken interessante, globale Markt für rezeptfreie Medikamente (OTC) verzeichnet ein jährliches Wachstum von 5,4 % mit einem Umsatz von ca. 33.450 Mio. USD im Jahr 2020.10 Aufgrund des Wettbewerbs untereinander sind DienstleisterInnen daher gut beraten, die Bedürfnisse ihrer PatientInnen zu antizipieren und mittels personalisierter Angebote ihre Loyalität zu fördern.
Die Verlagerung von Teilen der Customer/ Patient Journey ins Internet hat bereits begonnen und ist vielversprechend: Durch bessere, personalisierte PatientInneninformation und Aufklärung vor der Behandlung, interaktive telemedizinische Anwendungen und Präventionsangebote. Diese Maßnahmen verkürzen Wartezeiten, verringern den kostenintensiven Verwaltungsaufwand, teure Apparatemedizin und ermöglichen eine stärker individualisierte Kommunikation mit PatientInnenInnen.
Diese wissenschaftliche Arbeit dient der Einführung in die Thematik OC Patient Engagement und soll erste Erkenntnisse dazu vermitteln, die durch weitere Forschung vertieft werden können.
1.2 Zielsetzung der Arbeit
Ziel dieser Arbeit ist es, ein Verständnis dafür zu entwickeln, inwieweit Omnichannel (OC) Patient Engagement tatsächlich ein wegweisendes, zukunftsfähiges Konzept ist, das einen Beitrag zu einer besseren Gesundheitsversorgung leisten kann. Dabei ist unter „besserer Gesundheitsversorgung“ einerseits eine höhere PatientInnenzufriedenheit zu verstehen und andererseits, tatsächlich verbesserte Behandlungsergebnisse, die auch mittels Behandlungsvermeidung (z.B. in Form von Präventionsangeboten zur Vermeidung bestimmter Erkrankungen) entstehen können.
Es wird untersucht, welche Voraussetzungen und Gegebenheiten grundsätzlich erfüllt sein müssen, um OC Strategien zu entwickeln, die physische und digitale Interaktionspunkte in Gesundheits-Ökosystemen und die dort entstehenden Daten in einen nutzenbringenden Bezug setzen. Betrachtet werden auch die Besonderheiten des Gesundheitswesens im Hinblick auf Patient Engagement. Themen wie Vertrauen, Kommunikationsverhalten, Datenschutz und die Bereitschaft bzw. die Fähigkeit zur Nutzung digitaler Technologien durch PatientInnen und Gesundheitspersonal erscheinen besonders beachtenswert.
Eine weitere Zielsetzung ist es, menschliche, technologische und volkswirtschaftliche Voraussetzungen zu untersuchen, die vorhanden sein müssen, um OC Konzepte erfolgreich auf den Weg zu bringen. Dabei leisten ExpertInneninterviews einen wertvollen Beitrag zur Analyse.
Nicht Ziel dieser Arbeit ist es, die Gesundheitssysteme einzelner Länder oder einzelner Unternehmen detailliert darzustellen. Zwar wird der Entwicklungsstand einiger Vorreiter-Nationen beim Thema E-Health in Form von Best Practice Beispielen im Anhang dargestellt. Dennoch konzentriert sich diese Thesis nicht auf einzelne Länder oder verschiedene Sektoren des Gesundheitswesens (z.B. öffentlich vs. privat, stationär vs. ambulant). Diesem Vorgehen liegt vor allem der Gedanke zugrunde, dass die digitale Transformation ein gesamtgesellschaftliches Phänomen ist, das sich länder- und sektorenübergreifend entwickelt und nicht isoliert betrachtet werden kann. Es ist auch nicht Ziel dieser Arbeit, ein umfängliches Digitalisierungskonzept mit technischen Details für GesundheitsdienstleisterInnen oder KostenträgerInnen darzustellen oder im Detail die Lösungsvorschläge von IT- Technologie- DienstleisterInnen vorzustellen, die sich mittlerweile mit ihren prozessorientierten CRM- Lösungen auf den Gesundheitssektor spezialisiert haben. Sie werden beispielhaft und in Grundzügen genannt. Hingegen werden konkrete Strategien, Beispiele und Umsetzungsansätze diskutiert.
Dabei erhebt diese Untersuchung keinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit, sondern soll lediglich einen ersten Beitrag zu einem noch kaum erforschten Gebiet leisten.
1.3 Forschungsfragen
Im Zentrum dieser wissenschaftlichen Arbeit liegt die Frage, inwieweit der Omnichannel (OC) Ansatz für den Gesundheitssektor ein zukunftsweisender Ansatz ist.
Hauptfrage
- Inwiefern ist Omnichannel (OC) Patient Engagement tatsächlich ein zukunftweisendes Konzept, das zu einer Verbesserung der Gesundheitsversorgung führt?
Unterfragen
- Inwieweit lassen sich Ansätze der Customer Centricity aus dem Consumer-Bereich auf PatientInnen übertragen?
- Was sind Erfolgsfaktoren und Herausforderungen für OC Patient Engagement?
- Was sind sinnvolle Strategieansätze und wer sollte bei der Implementierung im Lead sein?
1.4 Methodik und Aufbau
Da Omnichannel Patient Engagement ein bisher noch eher unerforschtes Gebiet ist, gibt es bisher kaum ausführliche Studien zu dieser Thematik. Die wissenschaftliche Arbeit der angestrebten Masterthesis setzt daher auf eine Kombination aus Literaturrecherche und ExpertInenninterviews. Bei der Literaturrecherche ist anzumerken, dass der überwiegende Anteil der Literatur aus hochwertigen Internetquellen stammt, da aufgrund der Aktualität des Themas mit hohem Bezug zur digitalen Transformation nahezu alle Publikationen bisher im Internet zu finden sind. Im theoretischen Teil dieser Arbeit sollen grundlegende Definitionen, Anwendungsgebiete, Einfluss- und Erfolgsfaktoren für Omnichannel Patient Engagement anhand von bestehender Literatur untersucht werden. Der Hauptfokus liegt dabei auf dem PatientInnennutzen und neuen Anforderungen, welche sich infolge der fortschreitenden digitalen Transformation im Gesundheitswesen ergeben. Da die Thematik, wie erwähnt, noch kaum erforscht ist, ist die Literaturrecherche relativ umfänglich. Anhaltspunkte und Trends werden mittels Fachpublikationen untersucht. Der theoretische Teil bildet die Grundlage dieser wissenschaftlichen Arbeit.
Im empirischen Teil wird ein qualitativer Ansatz mittels ExpertInneninterviews gewählt, um die Problemstellung noch weiter zu vertiefen. Dabei werden zehn ExpertInnen aus fünf verschiedenen Ländern in semistrukturierten Interviews befragt. Sämtliche ExpertInnen verfügen über langjährige Erfahrung im Gesundheitswesen sowie über internationale Erfahrung. Vier sind selbst ÄrztInnen, wenngleich nicht mehr klinisch tätig. Die gewählte Methode für den empirischen Teil wird unter Kapitel 3 genauer erläutert. Die Ergebnisse der ExpertInneninterviews werden im Anschluss in der Diskussion mit den Ergebnissen der Literaturrecherche verglichen, um zu evaluieren, ob Omnichannel Patient Engagement tatsächlich ein sinnstiftender, zukunftsweisender Ansatz ist, der zu einer verbesserten Gesundheitsversorgung führt und welche Maßnahmen im Ansatz erforderlich wären, um dorthin zu gelangen. Ebenso werden Empfehlungen für künftige Forschung gegeben.
2 Aktueller Forschungsstand
2.1 Grundlagen Omnichannel (OC)
Omnichannel (OC) ist ein Ansatz für KundInneneinbindung (Customer Engagement), bei dem ein Unternehmen KundInnen auf allen Kanälen, Plattformen und Geräten Zugang zu seinen Produkten und Dienstleistungen gewährt. Dabei werden Inhalte, Daten, Kommunikationskanäle und Technologien integriert. Für die Implementierung von OC Modellen ist es von grundlegender Wichtigkeit, die Customer Journey zu verstehen und im Sinne einer vollständigen KundInnenzentrierung (Customer Centricity) zu gestalten.11
2.1.1 Definition Customer Journey
Die „KundInnenreise“ oder „Customer Journey“ bezeichnet den gesamten Entschei- dungs- und Kaufprozess des Verbrauchers in verschiedenen Phasen über diverse Kontaktpunkte hinweg, die „CTPs“ (Customer Touchpoints) genannt werden. In der Literatur werden die Phasen üblicherweise unterteilt in: Awareness (Bewusstsein) - Consideration (Überlegung) - Purchase (Konvertierung)- Service (Erhalt, Bindung) - Loyalty/ Advocacy (Fans, Weiterempfehlung). Nachfolgend werden die Phasen und physischen bzw. digitalen Touchpoints dargestellt:12 13
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Darstellung 2 Customer Journey/ CTPs (Quelle: Digitale Offensive)13
Dabei ist die Vorkaufphase (Awareness/ Consideration) gekennzeichnet durch Informationsbeschaffung, die sehr häufig über digitale Kanäle hinweg stattfindet. Der eigentliche Kaufprozess (z.B. Bezahlung mit Smart-Watch) und auch die Nachkaufphase (z.B. Anbieter-Online-Bewertung) sind ebenfalls häufig digital geprägt.14 Es ist von entscheidender Bedeutung, dass VerbraucherInnen an sämtlichen Touchpoints „abgeholt“ werden.
2.1.2 Definition Customer Experience und Customer Engagement
Die Customer Experience (KundInnenerlebnis / KundInnenerfahrung, auch „CX“) bezieht sich auf sämtliche Erlebnisse und Eindrücke, die ein/e KundIn während der der Customer Journey beim Erwerb eines Produktes oder einer Dienstleistung gewinnt. Sie beinhaltet alle subjektiven Eindrücke und Interaktionen des/der KundIn an den verschiedenen Kontaktpunkten mit dem Unternehmen. Die positive Customer Experience stellt auch die Grundlage für die spätere Loyalität eines/r KundIn dar. Für Customer Experience sind wirtschaftliche Erklärungsansätze ebenso bedeutsam wie verhaltenswissenschaftliche.15 Customer Experience ist Grundlage aller OC-Marketingansätze. Studien zeigen, dass VerbraucherInnen Produkte und Dienstleistungen inzwischen nach Empfehlungen auswählen - sei aus dem Bekanntenkreis oder auch auf Bewertungsportalen. Die Verknüpfung von technischen Produkteigenschaften mit emotionalen Elementen in einer zunehmend erlebnisorientierten Gesellschaft ist unübersehbar.16
Positive Customer Experience und Loyalität sind Grundvoraussetzungen für späteres Customer Engagement. Die Grenzen zwischen beiden Begriffen sind fließend. Die Rolle der KundInnen ist bei der Customer Experience etwas passiver, da sie etwas erleben, sich jedoch nicht aktiv in den Prozess einbringen. Hier kommt der Ansatz Customer Engagement ins Spiel, bei dem KundInnnen aktiv am Prozess partizipieren und interaktiv agieren.
Der Begriff „Customer Engagement“ ist in der Forschung noch verhältnismäßig neu, rückt jedoch aufgrund der sich rasant ändernden Marktbedingungen zusehends in den Fokus von Unternehmen. Klassisches, transaktionales KundInnnenmanage- ment („KundInen zufrieden stellen“) ist nicht mehr ausreichend, um im Wettbewerb zu bestehen. KundInnnen müssen eine positive Erfahrung machen, um im weiteren Verlauf aktive BefürworterInnen eines Unternehmens zu werden und es weiterzuempfehlen. Unter „Customer Engagement“ werden sämtliche (positiven) Interaktionen eines/r KundIn hinsichtlich des jeweiligen Unternehmens und auch hinsichtlich anderer KundInnen verstanden. Sie können eigen- oder fremdinitiiert sein, d.h. KundInnen werden selbst aktiv oder durch ein Unternehmen aktiviert. Darunter fallen beispielweise Äußerungen auf Social Media Plattformen in Form von Likes, Bewertungen, Rezensionen und Weiterempfehlungen, aber auch interaktive Anwendungen wie z.B. Wearables mit Feedback- und Rückkopplungssystemen. Das primäre Ziel von Customer Engagement ist KundInnenbindung, die zur Generierung von StammkundInnen und damit zu profitablem Wachstum führt. Customer Engagement kann Meinungen der Zielgruppe sowie Einstellungen nachhaltig beeinflus- sen.17
2.1.3 Definition Multi-Channel und Cross Channel- Ansätze
Viele Unternehmen nutzen bereits Daten- und Automatisierungstechnologien, um nahtlos mit ihren KundInnnen in Kontakt zu treten - zu jeder Zeit, an jedem Ort und über jedes Gerät.
Multichannel Strategien stellen darauf ab, auf unterschiedlichen digitalen und physischen Kanälen für verschiedene Zielgruppen „sichtbarer“ zu sein: Dies kann beispielweise in Form eines eigenen stationären oder online Shops geschehen, in Kombination mit ausgewählten Marktplätzen (z.B. online Plattformen oder stationäre Händler) oder auch durch Handelsvertreter und Franchising-Systeme. Damit kann grundsätzlich mehr Reichweite und Umsatz generiert werden. Dadurch, dass bei „Multichannel“ die verschiedenen Kanäle (physischer Kontakt, online usw.) getrennt betrieben werden, kann es jedoch auch zu einer „Kannibalisierung“ der einzelnen Kanäle kommen.
„Crosschannel“ hingegen geht noch ein Stück weiter: Hier werden mehrere Vertriebskanäle auf einer einzigen Datenbasis miteinander verknüpft und die Kanäle unterstützen sich gegenseitig.18 Damit ist „Cross Channel“ bereits dem „OC-Kon- zept“ sehr ähnlich und beide Begriffe werden teilweise synonym verwendet.
2.1.4 Definition des OC-Ansatzes
Das Wort „Omnichannel“ ist eine Wortschöpfung im modernen Marketing, das sich aus dem lateinischen „Omni“ („alle“) und dem englischen „Channel“ für „Kanal“ herleitet. Mehrkanal-Vertrieb mittels „Multichannel“ und „Crosschannel“, etwa im Einzelhandel, ist nicht wirklich neu. „Multi-Channel“, „Cross-Channel“ und „Omni-Channel“ beschreiben somit alle drei kanalübergreifende Geschäftsstrategien, die sich aber durch das Ausmaß der Verzahnung der einzelnen Kanäle unterscheiden19.
Der OC- Ansatz konzentriert sich mit Nachdruck auf das KundInnenerlebnis entlang der Customer Journey, und, insbesondere durch die wachsende Bedeutung von Social Media und online Communities, auch zusehends stärker auf Customer Engagement. Durch die ständige Zunahme an Kanälen und Interaktionsmöglichkeiten in diesen Kanälen haben KundInnen heute in einem nie zuvor gekannten Ausmaß Möglichkeiten, ihre Customer Journey zu individualisieren.
Alle OC-Ansätze haben als Grundlage Plattform-Geschäftsmodelle, um die Interaktionen zwischen einer großen Anzahl der TeilnehmerInnen zu erleichtern. Diese Interaktionen können die Form von kurzfristigen Transaktionen annehmen, wie z.B. die Verbindung von KäuferInnen zu VerkäuferInnen oder sie können die Bildung von längerfristigen Beziehungen oder die Zusammenarbeit zur Erreichung eines gemeinsamen Ergebnisses beinhalten. Die Rolle des Plattformbetreibers besteht darin, eine Governance-Struktur und eine Reihe von Qualitäts- und Sicherheits- Standards bereitzustellen, um Interaktionen in großem Umfang erleichtern, so dass Netzwerkeffekte freigesetzt werden können.20 Physische und digitale Kontaktpunkte werden auf einer Datenplattform vollständig integriert, um ein einheitliches KundInnenerlebnis an jedem Interaktionspunkt zu gewährleisten.21 Die naheliegende Vermutung, dass der Zugriff auf Online-Preise über ein Smartphone oder einen Ladenkiosk die KundInnnen aus den Geschäften vertreiben könnte (wie etwa beim Multichannel Ansatz) ist dabei unzutreffend. Eine Studie der Harvard Business Review (HBR) kam zu dem Ergebnis, dass "die vorherige Online-Recherche auf der eigenen Website des Einzelhändlers oder auf den Websites anderer Einzelhändler bei OC-Käufern zu 13% höheren Ausgaben in den Geschäften führte."22
Mit dem OC-Ansatz können Marken ihren Umsatz steigern und gleichzeitig die Erfahrungen der KundInnnen an den verschiedenen Touchpoints verbessern. Typische Services sind Click- und Collect (Vorbestellung und Abholung im Geschäft), Ship from Store (Lieferung vom Geschäft nach Hause), mobile Shopping und Loyalitätsprogramme. Neben einem besonderen persönlichen „Erlebnis“ beim Einkaufen bzw. bei der Behandlung (z.B. modernes, ansprechendes Design der Geschäftsräume oder freundlicher und vertrauenswürdiger Service) stellt OC auch vor allem darauf ab, analoge Kanäle zu „digitalisieren“ und an wichtigen analogen Touchpoints Daten zu sammeln. Die Verbindung digitaler Kanäle (Website, Online-Shop, Social Media) erfolgt dabei durch die Datenverknüpfung in einem vereinheitlichten Tracking und Analytics-System. Am POS, dem Point of Sales (im Gesundheitswesen: Bei persönlicher Anwesenheit in einer Gesundheits-Institution) werden dem/der KundIn oder PatientIn zum Beispiel mittels Tablets oder Apps mit Login online die gewählten Produkte oder Dienstleistungen angezeigt oder auch die Möglichkeit gegeben, direkt nach dem Einkauf bzw. der Behandlung das Erlebnis zu bewerten oder zu kommentieren.23 Für das Gesundheitswesen bedeutet dies im Idealfall, dass PatientInnen in einer sicheren Plattform ihre eigenen Gesundheitsdaten verwalten und bearbeiten könnten und ebenso, dass sie GesundheitsdienstleisterInnen ihrer Wahl nach eigener Entscheidung den Zugriff ermöglichen und mit ihnen Daten austauschen. So können sich in einer OC-Umgebung PatientInnen bereits vor einem physischen Arztbesuch online über ihr Krankheitsbild informieren und online einen Termin vereinbaren. Fragebögen (z.B. Anamnese) werden von den PatientInnen bereits vor dem Arztbesuch online komplettiert und Untersu- chungs- und Behandlungsdaten oder Rezepte ihnen online in einer sicheren Plattform übermittelt. Ebenso können vernetzte Wearables und Apps behandelnden ÄrztInnen oder TherapeutInnen über den Therapieverlauf Rückmeldung geben. Beispiele dazu werden im Kapitel 2.3. erläutert. Zu OC gehört auch typischerweise die Bewertung einer Dienstleistung nach deren Abschluss: Während dies heute in online-Shops, aber auch an Flughäfen, in Fitness-Studios, Hotels oder Lieferservices bereits sehr üblich ist, ist Real-Time-Feedback in Gesundheitseinrichtungen bisher noch eher eine Seltenheit. Ein Grund dafür ist sicherlich das bisher unterentwickelte Bewusstsein, dass PatientInnen auch KundInnen sind, ein anderer vermutlich auch die Befürchtung mancher PatientInnen, in einer Behandlungseinrichtung bei Bewertung nicht anonym zu bleiben und ggf. in Form einer schlechteren Behandlung abgestraft zu werden, wenn sie ehrlich Feedback geben. Nicht zuletzt sind häufig fehlende Marketing- und Digital-Kenntnisse von GesundheitsdienstleisterInnen ein weiterer hinderlicher Faktor für Feedbackschleifen.
2.1.5 Cross Industry Partnerschaften
OC-Strategien sind sehr anspruchsvoll und erfordern ein fortgeschrittenes technisches Knowhow im Hinblick auf moderne Technologien wie KI, Big Data und vernetzte, interoperable Plattformen, auf denen Daten verschiedener Systeme in einer Cloud zusammengeführt werden und die verschlüsselt miteinander kommunizieren können.24 Dies stellt bei der Implementierung zunächst einmal einen erheblichen Kostenfaktor dar. Es ist daher nicht zufällig, dass sich Ansätze zu OC bisher vor allem bei sehr großen Unternehmen sowie bei Regierungen und angeschlossenen Behörden wiederfinden, in denen das nötige Kapital und auch ein entsprechend großes Auftragsvolumen vorhanden ist, um eine solche Investition möglich zu machen und auch zu rechtfertigen.25 Sowohl große Unternehmen als auch Regierungen sind derzeit am ehesten in der Lage, kostspielige, komplexe IT-Plattformen einzurichten und anschließend einer Vielzahl von Partnern Zugriff darauf zu ermöglichen. Da die wenigsten Unternehmen und Regierungen selbst über diese Kenntnisse verfügen oder sie auch schwer in ihrer eigenen Organisation aufbauen können, ist das Mittel der Wahl, sich lateral mit AnbieterInnen aus anderen Branchen zu vernetzen und Entwicklungspartnerschaften einzugehen: Beispielsweise durch sogenannte öffentlich-private Partnerschaften (Public-Private-Partnerships, PPPs) zwischen Regierungen und Unternehmen aus dem Privatsektor oder auch die laterale Vernetzung von Unternehmen aus dem Consumer-Bereich mit Technologieanbietern aus dem IKT Bereich. Beispiele im Gesundheitsbereich sind z.B. die Partnerschaft der größten deutschen Krankenkasse AOK mit msg Systems, um OC Angebote für Mitglieder zu entwickeln26 oder auch die Partnerschaft der estnischen Regierung mit Privatunternehmen wie DELL, Ericsson, Open Node und Telia zur Weiterentwicklung der Government Cloud.[27] Aber auch bei kleineren Unternehmen tut sich Einiges: Anbieter wie der US-amerikanische Chiphersteller Intel bieten inzwischen auch bereits OC-Technologien für den Einzelhandel an. Edge-Computing- Technologien ermöglichen eine Instore Analyse und KI in konventionellen Geschäften. Dadurch sind kleinere AnbieterInnen nicht mehr auf die Cloud angewiesen, sondern können lokal Datentypen analysieren, die bisher nur über Online-Kanäle erfasst werden konnten - zum Beispiel, die Art und Weise wie der Entscheidungsprozess von KundInnen für ein Produkt abläuft.[28]
2.1.1 Ziele von OC Strategien im Consumer Bereich
Digitale Vorreiter aus verschiedenen Branchen wie Apple, Nike und Singapore Airlines, aber auch Einzelhandelsriesen wie die französische Supermarktkette Carrefour und der Kosmetikkonzern Lancome haben bereits seit vielen Jahren erfolgreich OC Strategien entwickelt, um ihren KundInnnen/Innen eine nahtlose Customer Experience zu ermöglichen. Die wichtigsten Ziele von OC im ConsumerInnen- Bereich sind mehr Kaufinteresse, höhere Conversion Rates, eine deutliche Absatzsteigerung und eine größere Bekanntheit der Unternehmensmarke. Aus der eher „passiven“ KundInnenzufriedenheit entsteht echtes KundInnenengagement in Form von noch mehr Käufen und der der Bereitschaft von zu Weiterempfehlung (Advocacy). OC Strategien führen zu einer wesentlich höheren KundInnnenbindung und einer Steigerung des Unternehmenserfolgs, wie eine Grafik aus dem Kapitalmarkt zeigt:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
2.2 OC Patient Engagement im Gesundheitswesen
Die digitale Transformation ist längst im Gesundheitswesen angekommen und stellt alle AkteurInnen durch verändertes Verhalten der „Health Consumer“ vor große Herausforderungen. Einer der größten Einflüsse auf die Erwartungen moderner PatientInnen ist die rasante Entwicklung von Digital-Technologien.
Die COVID-19-Pandemie hat nicht nur Auswirkungen auf die Wirtschaft in nie gekanntem Ausmaß gezeigt, sondern auch die Gesundheitssysteme auf der ganzen Welt an ihre Grenzen gebracht und digitale Lücken schonungslos offengelegt. Damit wurde eine schnellere Implementierung digitaler Technologien im Gesundheitswesen ausgelöst. Die Notwendigkeit, aufgrund von Lockdowns verstärkt Telemedizin (z.B. Videosprechstunde) einzusetzen hat zu weiteren Veränderungen bei PatientInnenerwartungen geführt und auch zu einer deutlichen Beschleunigung der digitalen Transformation im Gesundheitswesen, auch in weniger digital affinen Ländern. Nach Aussagen von Dr. Gottfried Ludewig, Leiter Digitalisierung und Innovation beim Bundesministerium für Gesundheit in Deutschland waren vor der Pandemie etwa 2-7 % aller deutschen ÄrztInnen bereit für eine digitale Videosprechstunde. Während der Corona-Krise stieg der Anteil auf 60%, nicht zuletzt auch deshalb, da das Fernbehandlungsverbot aufgeweicht wurde. Die deutsche Corona Warn-App wurde etwa 17,5 Millionen Mal heruntergeladen. In etlichen Ländern wurden digitale Intensivbett-Register implementiert und innerhalb von vier bis sechs Wochen eingerichtet - eine Entwicklung, die unter normalen Umständen zwei bis drei Jahre gedauert hätte.27
PatientInnen erwarten heute, dass Gesundheitseinrichtungen mit ihnen auf die gleiche Weise zusammenarbeiten wie Banken, Fluggesellschaften und andere Unternehmen. Sie sind es mittlerweile gewohnt, im Internet jederzeit und nahezu unbegrenzt auf digitalen Kanälen Informationen zu finden, sich beraten zu lassen, Güter und Dienstleistungen zu erwerben oder auch die eigene Meinung kund zu tun: Sei es nun, online zu shoppen, einen Termin zu vereinbaren, sich auf einen neuen Job zu bewerben, Dienstleistungen und Produkte zu bewerten oder auf sozialen Medien Meinungen und Informationen zu teilen. Durch die höheren Erwartungen an die Vielfalt und Flexibilität von Gesundheitsdienstleistungen entsteht ein Druck auf die AnbieterInnen und Einrichtungen, diese auch zu erfüllen und ihr Angebot zukunftsfähig zu machen. Dabei stellt die IT den strategischen Dreh- und Angelpunkt dar, um Wettbewerbsvorteile bei Angebot, Reichweite, KundInnnenbindung und KundInn- nenservice zu erzielen. Technische Herausforderungen müssen daher frühzeitig erkannt und nachhaltig in der IT-Architektur abgebildet werden. Für die Gestaltung der „Customer Journey" - unterstützt durch OC-Services (z.B. Mobile Shopping, Click-and-Collect, digitale Loyalitätsprogramme) - ist es wichtig, technische Voraussetzungen zu schaffen.28 Aufgrund der verstärkten Nutzung digitaler Endgeräte wie Smartphone und Tablet wird das Teilen von Daten auf digitalen Kanälen zusehends „normaler“ und akzeptierter, auch im öffentlichen Gesundheitswesen. Dabei unterscheiden sich die Präferenzen zur Nutzung der verschiedenen Kommunikationskanäle auch abhängig vom Alter der PatientInnen, wie eine Studie zeigt:
Communication Preferences by Generation
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Darstellung 4 Kommunikationspräferenzen von PatientInnen nach Altersgruppen (Quelle: AV- TEX)29
Die Generation Z (1999-2010) und Generation Y/ Millenials (1980-1998) sind wesentlich mehr an der Nutzung von mobilen Apps, Chatbots und PatientInnenportalen interessiert als die Generation X (1965-1979) und die Baby Boomer (19551964). Alle betrachten jedoch den persönlichen Kontakt, Telefon und Email als besonders wichtige Kommunikationskanäle.
Im Rahmen einer globalen Studie der Unternehmensberatung Deloitte aus 2019 mit 20.000 Befragten in 7 Ländern gaben 38% der Befragten an, Qualitätsrankings von ÄrztInnen und Krankenhäusern zu nutzen. 24% ließen sich von digitalen Geräten dabei unterstützen, ihren Blutzucker und Blutdruck zu überwachen, 18% nutzten digitale Anwendungen zu Einnahme von Medikamenten und 35%, um ihre persönlichen Fitness-Ziele zu erreichen.30 Grundsätzlich erfordern komplexe Interaktionen mit dem Gesundheitswesen eher einen persönlichen Kontakt zwischen Menschen als einfachen. Chat Bots können bei einfachen Interaktionen erfolgreich eine wertvolle Rolle zur Einbindung der PatientInnen spielen, (z.B. Symptom Check, Anbie- tersuche).31
2.2.1 Entstehung einer Healthcare Consumer Mentalität
Von den USA ausgehend, hat sich seit einigen Jahren der Begriff „Healthcare Consumer“ etabliert, der PatientInnen mit KundInnen gleichstellt.32 In der logischen Folge können für PatientInnen vergleichbare Strategien der KundInnnenzentrierung zur Anwendung kommen wie im ConsumerInnen Bereich. Die veränderte Erwartungshaltung der VerbraucherInnen erstreckt sich auch zusehends auf das Gesundheitswesen und die dort verfügbaren Dienstleistungen. Für PatientInnen ist es heute deutlich einfacher, sich zu informieren und auch, sich über soziale Netzwerke bei unzufriedenstellenden Erlebnissen digital „Luft zu machen“ und/ oder eine gute bzw. schlechte Bewertung auf einem E-Portal abzugeben.
Die zuvor beschriebenen Entwicklungen führen dazu, dass PatientInnen zusehends als KundInnen gesehen werden, die unterschiedliche Erwartungen und Ansprüche an DienstleisterInnen und KostenträgerInnen des Gesundheitswesens haben und die umworben werden wollen. Insbesondere ist es wichtig für GesundheitsanbieterInnen zu verstehen, über welche Kanäle und mobile Endgeräte welche Dienstleistungen erwünscht sind, so dass kontextbezogener, personalisierter Content zur Verfügung gestellt werden kann.33
In der Medizin gibt es eine wachsende Bewegung, das Thema der PatientInneneinbindung in den Mittelpunkt zu stellen. Dies bedeutet, zu einer patientInnenzentrier- ten Versorgung überzugehen und Gesundheitsdienstleistungen im Sinne von Kun- dInnnen-Service zu erbringen. Die Inanspruchnahme von Gesundheitsdienstleistungen wird immer weniger linear, sondern zusehends ein Co-Kreationsprozess, d.h. ein interaktiver Wertschöpfungsprozess, bei dem ÄrztInnen und Gesundheitspersonal gemeinsam mit ihren PatientInnen Versorgungspläne zur Wiederherstellung der Gesundheit definieren und umsetzen.34 Der Ansatz, PatientInnen als KundInnen zu betrachten, ist von maßgeblicher Bedeutung, da sich aus ihm kundInn- nenzentrierte Verhaltensweisen ableiten lassen, die in einer, weitestgehend staatlich finanzierten und organisierten, Umgebung wie dem Gesundheitssektor noch relativ neu sind. Der medizinische Fortschritt führt einerseits zu deutlich höheren Kosten und erhöht die allgemeine Lebenserwartung, verbunden mit einem steigenden Risiko der Bevölkerung für kostenintensive chronische Erkrankungen. Zahlreiche öffentliche Gesundheitssysteme mit begrenzten Ressourcen stehen daher bereits heute erheblich unter Druck. Es gilt daher, Menschen aktiv in den Behandlungsprozess einzubinden, ihre Selbständigkeit möglichst lange zu erhalten und ihr Selbstmanagement zu fördern. Auch müssen aufwändige manuelle Administrationsprozesse vereinfacht werden, um die PatientInnenzufriedenheit zu stärken und die vorhandenen Ressourcen im Gesundheitswesen besser zu nutzen.
2.2.1 HaaS - Healthcare as a Service
In den USA, wo der Trend nach möglichst wenig staatlicher Einmischung verbreitet ist und wo Gesundheitsdienstleistungen traditionell als profitorientierter Wirtschaftszweig betrachtet werden, investieren Technologie-Riesen längst Milliarden in die Entwicklung von Cloud- Technologien für den Gesundheitsbereich. Amazon, Google und Microsoft haben bereits weitreichende Vereinbarungen über die Speicherung von Daten und die Entwicklung von Software mit großen US- Krankenhäusern getroffen und ringen um die Kontrolle des Cloud-Computing Marktes im amerikanischen Gesundheitswesen. Google beispielweise hat 2019 einen 10-Jahres- Vertrag mit der weltbekannten Mayo-Klinik geschlossen, um die medizinischen, genetischen und finanziellen Daten des Krankenhaussystems zu speichern. Eine ähnliche Vereinbarung traf Microsoft im selben Jahr mit der Gesundheitsorganisation Providence St. Joseph Health, einer NPO mit über 100.000 Mitarbeitern und rund 850 Krankenhäusern in sieben US-Bundesstaaten. Auch die Cerner Coporation, eines der größten US- Unternehmen für elektronische Gesundheitsdaten gab bereits 2019 seine Cloud-Speichervereinbarung mit Amazons Cloud-Computing-Einheit, Amazon Web Services, bekannt. 2021 erwarb Microsoft den auf Spracherkennung und KI spezialisierten Anbieter Nuance mit dem erklärten Ziel, OC Healthcare Lösungen anzubieten.35
2.2.2 Ziele von OC Strategien im Gesundheitssektor
Im Gesundheitswesen sind die Zielsetzungen ähnlich wie im ConsumerInnen-Be- reich, vor allem in privatwirtschaftlichen Umgebungen wie in den USA. In staatlichen Gesundheitssystemen weichen die Zielsetzungen etwas ab: Dort sind vor allem bessere Behandlungsergebnisse und eine höhere Zufriedenheit durch mehr „Patient Engagement“ relevant. Die verbesserte Ressourcennutzung durch Nutzung moderner IT-Technologien wie KI und Data Analytics soll schlussendlich zu einer personellen und finanziellen Entlastung der Gesundheitssysteme bei besserer Service- und Behandlungsqualität führen. Unter den einzelnen DienstleisterInnen im Gesundheitswesen herrscht auch Wettbewerb um PatientInnen, weshalb Patient Engagement als zukunftweisender Ansatz für eine stärkere Loyalität gilt. Obwohl VerbraucherInnen nach wie vor gerne traditionelle Kanäle und Kontaktpunkte mit ServicemitarbeiterInnen nutzen, genießen die meisten von ihnen den Komfort, den ihnen die Digitalisierung bietet, und sie würden auch nicht mehr in einer Zeit leben wollen, in denen alle Transaktionen persönlich abgewickelt werden mussten.36 Die Einbeziehung der PatientInnen in den Behandlungsprozess wird zunehmend als integraler Bestandteil der Gesundheitsversorgung und als entscheidende Komponente sicherer, humanzentrierter Dienstleistungen akzeptiert. Beteiligte, engagierte PatientInnen sind besser in der Lage, fundierte Entscheidungen über ihre Behandlungsmöglichkeiten zu treffen. Darüber hinaus können Ressourcen besser genutzt werden, wenn sie auf die Prioritäten der PatientInnen zugeschnitten sind.37 Ein sinnvolles Engagement beginnt mit der Befähigung und Selbstwirksamkeit von PatientInnen und LeistungserbringerInnen im Gesundheitswesen. PatientInnen müs- sen ausreichende Informationen über ihren Gesundheitszustand und über die Gesundheitssysteme besitzen, damit sie partnerschaftlich an der Entscheidungsfindung mitwirken können. Daher ist es wichtig, sicherzustellen, dass PatientInnen und ihre Angehörigen unkomplizierten Zugang zu genauen, nützlichen und aktuellen Informationen haben und wissen, wie sie diese Informationen einordnen und verwenden können. Kulturelle Werte und soziale Normen wirken sich ebenfalls auf den Einbindungsprozess aus, und was in einem Kontext angemessen und machbar ist, ist in einem anderen möglicherweise nicht akzeptabel. Die grundlegende Anerkennung der persönlichen Werte der PatientInnen, Familien und BetreuerInnen als PartnerInnen beim Behandlungsprozess und in der Pflege sind jedoch in jeder Hinsicht von großer Wichtigkeit.38 39
2.2.3 Definition der Patient Journey
Wie auch die „Customer Journey“ eines/r KonsumentIn beschreibt die „Patient Jour- ney“ die komplexen Phasen und zahlreichen Meilensteine eines/r PatientIn über sämtliche Touchpoints hinweg. Aufgrund der zahlreichen AkteurInnen in Gesundheitsökosystemen ist die Reise ist erheblich vielschichtiger als die von „normalen“ VerbraucherInnenn, wie die nachfolgende Grafik veranschaulicht:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
VerbraucherInnenn, wie die nachfolgende Grafik veranschaulicht:
Das Konzept der Patient Journey kann eine patientInnenzentrierte Versorgung erleichtern und nachweislich die Zufriedenheit der PatientInnen mit der klinischen Versorgung erhöhen. Die individuelle Sichtweise des/der PatientIn wird dabei berücksichtigt und der/die PatientIn wird aktiv in den Behandlungsplan mit einbezogen. Durch die Zusammenarbeit werden bessere Behandlungsergebnisse erzielt.40 Dabei kann sich die Patient Journey auf eine einzige Behandlungsepisode wie z.B. eine Vorsorgeuntersuchung beziehen aber ebenso (z.B. bei chronischen Erkrankungen) auf dauerhafte, wiederkehrende Zyklen.
2.2.4 Besonderheiten der Patient Journey
PatientInnenzentrierung entwickelt sich zusehends zu einem Trend im Gesundheitswesen und dies nicht zufällig. In Kapitel 2.1. wurde bereits näher auf die Thematik der Customer Journey, Customer Experience und Customer Engagement eingegangen. Doch was unterscheidet die Customer Journey einer/s KonsumentIn von der Patient Journey eines/r PatientIn?
Fragmentierte und veränderliche Daten
Gesundheitssysteme zeichnen sich unter anderem dadurch aus, dass viele verschiedene Gesundheits- "Subsysteme" nebeneinander existieren und nicht bzw. nur wenig miteinander kommunizieren. Gesundheitsdaten stammen aus einer verwirrenden Anzahl von Quellen in unterschiedlichsten Formaten, z.B. Papierakten, digitale Akten, Bild- und Videodokumentation etc. Die Institutionen, die Daten sammeln und aggregieren, sind ebenso fragmentiert, was die Extraktion und Integration von Daten zu einer echten Herausforderung macht. Insgesamt sind fragmentierte Gesundheitssysteme weniger effizient und tendieren dazu, Ressourcen ungleich zu verteilen. Dies ist insbesondere in Ländern, in denen das Gesundheitswesen in nur geringem Anteil staatlich finanziert ist und Millionen von PatientInnen nach wie vor keine Krankenversicherung haben (wie z.B. in den USA) ein erhebliches Problem. Doch selbst einem hochentwickelten Land wie Deutschland mit einem weit entwickelten Gesundheitswesen existieren nach wie vor getrennte Systeme (stationär/ ambulant) und es herrscht ein ausgeprägtes „Sektorendenken“, in dem eine kooperative Versorgung von PatientInnen noch eher Zukunftsmusik ist.41
Mit jedem Besuch einer/s PatientIn in einer Apotheke, in einem Krankenhaus oder einem Labor entstehen Informationen, z.B. zur Wirksamkeit von Medikamenten oder zur Epidemiologie von Krankheiten. Eine Einzelanalyse an jedem Datenpunkt ist allerdings nur von limitiertem Nutzen. Erst die Zusammenführung aller Daten ergibt ein vollständiges Bild über den Gesundheitszustand eines/r PatientIn. Die Einführung neuer Behandlungsmethoden, neuer Medikamente und personalisierter Pflegemodelle verändert die Leistungserbringung und macht es schwierig, PatientInnendaten immer auf dem neuesten Stand zu halten. Daher ist die Verknüpfung von Daten über Silos hinweg entscheidend für die Lösung größerer Herausforderungen im Gesundheitswesen, die auch hohe Kosten verursachen: Doppelbefunde, redundante Versorgung, schlechte Koordination der Versorgung, fehlende Präventionsleistungen und geringe Compliance durch zu wenig Aufklärung und Austausch, um nur einige Beispiele zu nennen.
Datenschutzbestimmungen
PatientInnenvertrauen ist die Grundlage, um effizientes Ökosystems im Gesundheitswesen aufzubauen. Datensicherheit ist für die Gesundheitsbranche von größter Bedeutung, da die Privatsphäre der PatientInnen von der Einhaltung der jeweils geltenden datenschutzrechtlichen Bestimmungen abhängt. Die datenschutzrechtlichen Anforderungen führen zudem zu erhöhten Kosten im Zusammenhang mit Audits und Berichterstattung. Solange die Probleme der Datensicherheit und der Compliance für alle Beteiligten nicht zufriedenstellend gelöst werden, wird es schwierig bleiben, eine adäquate Strategie für das Gesundheitswesen zu entwickeln, die gleichermaßen physische wie digitale Interaktion zwischen PatientInnen und anderen StakeholderInnen im Gesundheitswesen verbindet.42
PatientInnenerwartungen
Einer der größten Einflüsse auf die Erwartungen moderner PatientInnen ist die rasante Entwicklung von Digital-Technologien, sowohl innerhalb als auch außerhalb des Gesundheitswesens. VerbraucherInnen sind es mittlerweile gewohnt, im Internet jederzeit und nahezu unbegrenzt auf digitalen Kanälen Informationen zu finden, Einkäufe zu tätigen, sich beraten zu lassen oder auch die eigene Meinung kund zu tun: Es liegt daher nahe, dass VerbraucherInnen auch für ihre Gesundheitsversorgung zusehends eine solche Auswahl erwarten.
2.2.5 Definition Patient Experience und Patient Engagement
Die historische Beziehung von BehandlerInnen und PatientInnen ist eher paternalistischer Natur. Es sollte auch nicht unerwähnt bleiben, dass sich, in Abhängigkeit verschiedener Faktoren wie z.B. Alter und Internetnutzungsverhalten, aktuell noch keineswegs alle PatientInnen in einer aktiveren Rolle wiederfinden.43 Insgesamt wächst jedoch der Trend hin zu mehr Partizipation beständig. Die Einbeziehung der PatientInnen in den Behandlungsprozess wird zunehmend als integraler Bestandteil der Gesundheitsversorgung und als entscheidende Komponente sicherer, humanzentrierter Dienstleistungen akzeptiert. Beteiligte, engagierte PatientInnen sind besser in der Lage, fundierte Entscheidungen über ihre Behandlungsmöglichkeiten zu treffen. Darüber hinaus können Ressourcen besser genutzt werden, wenn sie auf die Prioritäten der PatientInnen zugeschnitten sind, was für die Nachhaltigkeit der Gesundheitssysteme weltweit von entscheidender Bedeutung ist.44
Die Begriffe „Patient Experience“ und „Patient Engagement“, ähnlich wie „Customer Experience“ und „Customer Engagement“ werden im Gesundheitswesen häufig synonym verwendet. Der Unterschied besteht jedoch darin, dass die Patient Experience im Wesentlichen passiv ist und die „Erlebnisse“ einer/s PatientIn während einer bzw. mehrerer Behandlungsepisoden beschreibt. Patient Engagement hingegen basiert auf aktiver Beteiligung. Es fokussiert auf verschiedenen Kommunikationsmethoden und sammelt Themen aus früheren Interaktionen mit dem/der PatientIn. Ausgangspunkt für Patient Engagement ist ein Verständnis dafür, was für PatientInnen wichtig ist und welche Hindernisse auf dem Weg zur Genesung liegen. Dies kann an verschiedenen Punkten der jeweiligen Gesundheitsversorgung höchst unterschiedlich sein. Um die Patient Experience tatsächlich zu optimieren, muss eine Strategie zur PatientInneneinbindung umfassend und datengesteuert sein und sich über das gesamte Versorgungskontinuum erstrecken. Eine positive „Patient Experience“ führt zu deutlich höherer PatientInnenzufriedenheit und ist auch der Schlüssel zu PatientInnen-Engagement. In einer Studie von Elsevier Clinical Nursing gaben 60% aller Gesundheitsorganisationen an, dass durch Patient Engagement Programme die PatientInnenzufriedenheit, die Behandlungsqualität und auch die klinische Adhärenz der PatientInnen (Einhaltung von Therapien) messbar gestiegen sei. 72% waren der Ansicht, dass die Ausbildung von Gesundheitspersonal in KundInnnenservice ein Schlüssel für PatientInnenengagement wären.45
2.2.6 Einflussfaktoren für Patient Engagement
Patient Engagement ist ein komplexes Zusammenspiel mehrerer Komponenten: Im Vordergrund steht eine partnerschaftliche Beziehung mit BehandlerInnen, die unterstützt wird durch einfach verfügbare, nützliche, online und offline Informationen und die Nutzung smarter Technologien.46
Persönliche Motivation
Bei der Frage, was Menschen zum Handeln motiviert, ist der Schlüssel Vertrauen, das in Engagement resultiert. Dabei ist Engagement ist keine einseitige Beziehung. Im Gesundheitswesen gilt es ganz besonders, Vertrauen aufzubauen, denn ohne Vertrauen engagieren sich die PatientInnen nicht: Sie müssen das Gefühl haben, dass ihre Stimme gehört wird.47 48 Hohes Vertrauen erhöht auch die persönliche Motivation. Durch die gezielte Einbindung von PatientInnen entsteht ein Gefühl der Selbstwirksamkeit und Kontrolle einer Situation. Dadurch kann letztlich eine positive Verhaltensänderung herbeigeführt werden, vor allem in Form von besserem Selbstmanagement. Zu den wichtigsten Faktoren, um die Erwartungen von PatientInnen an GesundheitsversorgerInnen zu erfüllen und ihr Engagement zu fördern, gehören mehrere Komponenten, die in drei Hauptkategorien eingeteilt werden können:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Darstellung 6 Grundlagen von Patient Engagement (eigene Darstellung nach Krolop)[51]
Patient Engagement hängt auch von der eigenen Gesundheitssituation ab. So wurde in Studien festgestellt, dass PatientInnen mit besonders schwerwiegenden Gesundheitsproblemen (vor allem bei chronischen Krankheiten) im Allgemeinen das höchste Engagement zeigen. Ebenso weisen jüngere PatientInnen eine höhere Tendenz auf, sich zu engagieren.49
Eine Studie der Western Sydney University in Australien mit knapp 30 TeilnehmerInnen aus über 10 verschiedenen Ländern kam bei einer Untersuchung von PatientInnenerwartungen zu dem Schluss, dass PatientInnen ihre Erwartungen in drei verschiedene Dimensionen unterteilen:
1) das Behandlungsergebnis
2) den/die individuelle/n BehandlerIn
3) das Gesundheitssystem als Ganzes.
Interessant dabei ist, dass sich die TeilnehmerInnen weitestgehend einig waren, dass ihr persönlicher Beitrag für das Behandlungsergebnis wichtig sei. Beim Gesundheitspersonal wurde mehrfach moniert, dass sie Gesundheitsprobleme ihrer PatientInnen oft nicht ausreichend ernst nähmen, nicht gut genug erklärten oder genügend Empathie zeigten. Am Gesundheitssystem wurde kritisiert, dass dieses insbesondere PatientInnen mit chronischen Erkrankungen nicht ausreichend dabei unterstützt, durch die Bürokratie und die Behandlungsoptionen zu navigieren.50 Sozioökonomische und soziodemografische Variablen
Welche Erwartungen PatientInnen haben und ob/ wie Gesundheitsdienstleistungen genutzt werden, steht auch in enger Abhängigkeit zu soziodemografischen und sozioökonomischen Variablen. So ist es erwiesen, dass ein niedriger sozioökonomischer Status und ein niedrigeres Bildungsniveau mit einem höheren Vorkommen chronischer Krankheiten wie etwa Übergewicht/ Diabetes, Bluthochdruck, COPD und kardiovaskulären Erkrankungen verbunden sind. Der Zusammenhang zwischen Gesundheitskompetenz und Gesundheitsergebnissen ist in Forschungsberichten hinreichend belegt. Menschen mit geringer Gesundheitskompetenz haben ein erhöhtes Sterberisiko und allgemein einen schlechteren Gesundheitszustand. Sie erleben durch fehlendes Management ihrer Gesundheitsrisiken häufiger Krankenhausaufenthalte, was zu höheren Kosten für die Gesundheitsversorgung führt.
Ebenso schwer fällt es ihnen schwerer, Medikamente korrekt und dauerhaft einzunehmen und/oder chronische Krankheiten durch gesundheitsförderndes Verhalten besser unter Kontrolle zu haben.51 Darüber hinaus haben Menschen mit niedrigem sozioökonomischem Status ein wesentlich höheres Risiko, bei einer Pandemie wie der Coronakrise zu erkranken: Teilweise aufgrund beengter Wohnverhältnisse und durch die Arbeit in schlechter bezahlten Berufen, die physische Präsenz erfordern (z.B. Hotel- und Gaststättengewerbe), teilweise jedoch auch aufgrund von psychosozialen und verhaltensbezogenen Faktoren. Die Forschungen dazu sind noch relativ neu.52
Eine wichtige Größe bei Patient Engagement ist die Gesundheitskompetenz („Health Literacy“). Der Begriff bedeutet, dass Menschen mit gesundheitsrelevanten Informationen angemessen umgehen können. Er schließt die Fähigkeit mit ein, Informationen zu Gesundheitsbelangen zu finden, zu verstehen, kritisch zu beurteilen und in die eigene Lebenssituation einzuordnen. Die Vereinten Nationen und der deutsche „Nationale Plan für Gesundheitskompetenz“ kommen zu dem Schluss, dass bestimmte soziodemografische Variablen mit einer unterdurchschnittlichen Gesundheitskompetenz einhergehen. Dazu zählen insbesondere ein höheres Lebensalter, ein geringer Bildungsgrad bzw. ein niedriger sozialer Status, das Vorhandensein eines Migrationshintergrunds und das Vorliegen chronischer Erkrankungen. Allein in Deutschland trifft wenigstens einer dieser Faktoren auf über 54% der Bevölkerung zu53, in den USA sind es rund 50%.54
In einer aktuellen Studie aus Israel zum Nutzungsverhalten von Telemedizin vor und nach der Coronakrise wurde auch festgestellt, dass Geschlecht und chronische Krankheiten mit der Bereitschaft der Teilnehmer, interaktive telemedizinische Anwendungen zu nutzen, korrelieren: Konkret stimmten rund 82% der Männer und 73% der Frauen zu, auch künftig Telemedizin nutzen zu wollen.55
Mittlerweile entwickeln zahlreiche Staaten nationale Aktionspläne zum Thema Gesundheitskompetenz, sogenannte „Health Literacy Programs“. Ziel ist es, PatientInnen durch einen leichteren Zugang zu besseren, verständlichen Informationen zu verschaffen und damit ihr Wissen und Engagement im Hinblick auf klinische Adhärenz und Compliance mehr zu unterstützen. Nationale Aktionspläne konzentrieren sich im Wesentlichen auf:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Darstellung 7 Nationaler Aktionsplan Gesundheitskompetenz (eigene Darstellung nach Schaeffer)[59]
Diese Maßnahmen tragen dazu bei, Unkenntnis und Ängste abzubauen und führen bei PatientInnen letztlich auch zu positiven Verhaltensänderungen: Etwa dadurch, dass sie gesundheitsbewusster leben (z.B. durch Nichtrauchen, gesunde Ernährung, Bewegung) oder sich konsequent an ihren Therapieplan halten.
Digitale Kompetenz versus „digitale Kluft“
Die Stärkung der Digitalkompetenz von Gesellschaftsgruppen, die durch Alter, Bildungsstand oder Hintergrund digitale Information und Anwendungen bisher nicht oder kaum nutzen, sind von entscheidender Wichtigkeit. Die verstärkte Nutzung des Internets führt auch zu einem höheren Maß an Gesundheitskompetenz. In einer Studie der Keele University UK aus dem Jahr 2017 kommen die drei Forscherinnen zu dem Schluss, dass „Health Literacy“ und Internet-Zugang in einem engen Zusammenhang stehen. Dabei ist das Internet besonders verbreitet bei Menschen im Alter zwischen 18 und 65 Jahren mit einem höheren sozio-ökonomischen Status und mittlerer und höherer Bildung. Insofern ist beim Zugang zu digitalen Gesundheitsinformationen und -diensten auch die Entwicklung digitaler (NutzerInnen-)Fä- higkeiten zu berücksichtigen, damit die Menschen digitale Technologien effektiver nutzen können, insbesondere in traditionell schwer zugänglichen Gesellschaftsschichten und in Risikogruppen.56 57
Der Zugang zu OC Technologien für Patient Engagement ist eine entscheidende Voraussetzung, um davon profitieren zu können. PatientInnen ohne Kenntnisse oder solche, die kein Smartphone besitzen, können somit deutlich weniger profitieren. Zur Schaffung einer gesundheitlichen Chancengleichheit müssen Organisationen sicherstellen, dass digitale Gesundheitsdienstleistungen für alle PatientInnen zugänglich sind. Es müssen auch Alternativangebote geschaffen werden, wenn der Zugang nicht möglich ist (z.B. Nutzung des Telefons anstelle von Videochat).58 Die gezielte Aufklärung von digital weniger kompetenten PatientInnen über Digitalangebote sollte dennoch erfolgen, um das Interesse zu wecken. Dies kann mittels Flyer und anderen analogen Medien geschehen. Die tatsächliche Akzeptanz steigt jedoch am meisten im persönlichen Gespräch. Dies kann Zeit in Anspruch nehmen, ist aber schlussendlich lohnend. Bei einem US-Telemedizin-Unternehmen für chronische Krankheiten, konnte der CEO und Mitbegründer, Arwin Soetanto, vor allem Erfolge bei der Nutzung telemedizinischer Geräte durch die motivierende persönliche Kommunikation zwischen PatientInnen und Gesundheitspersonal verzeichnen: Nach etwa 20-minütigen Gesprächen mit ihren ÄrztInnen zeigten PatientInnen tatsächlich eine höhere Bereitschaft, vernetzte telemedizinische Geräte tatsächlich auch zu nutzen. Bei den Gesprächen wurde z.B. erklärt, wo der App Store zu finden war und wie ein Passwort eingerichtet und verwaltet werden konnte.59
2.2.7 Erfolgsmessung von Patient Engagement
Während im ConsumerInnen Bereich bereits viele Messungen erfolgen, wird Erfolgsmessung zum Thema PatientInnenzufriedenheit und Engagement im Gesundheitssektor vielerorts nach wie vor stiefmütterlich behandelt. Ein Grund hierfür dürfte Umstand sein, dass PatientInnen oft noch nicht als KundInnen gesehen werden, aber auch fehlende Kenntnisse von Gesundheitspersonal in KundInnenservice. Übliche KPIs für Customer Engagement lassen sich weitestgehend auf Patient Engagement übertragen, wenn sie etwas angepasst werden.
Sinnvolle Messgrößen für Patient Engagement sind:
- Reichweite: Anzahl registrierte Nutzer auf einem Portal, Besucher Website
- Interaktion: Nutzung der digitalen Optionen (z.B. online Terminvereinbarung, Telesprechstunde, Symptom-Checks, Chat mit dem Arzt); Lob und Beschwerden in interaktiven Foren
- Transaktion: Absagen von gebuchten Behandlungsterminen durch PatientInnen, Compliance (Therapietreue: kooperatives Verhalten von PatientInnen im Rahmen einer vereinbarten Therapie, z.B. Medikamenteneinnahme)
Eine weitere, einfache, aber sehr wirksame Messung für Customer Engagement stellt der NPS (Net Promoter Score) dar, in dem die Weiterempfehlungsabsicht ei- nes/r VerbraucherIn abgefragt wird.60 Die Antworten werden mit einer Punktzahl von 0 bis 10 bewertet (10= höchstmögliche Punktzahl). Die Antworten werden dann in drei Kategorien eingeteilt: Befürworter (Promotoren), Verweigerer (Detraktoren) und Passive. Befürworter (Punktzahl: 9-10) sind die treuesten, Passive (Punktzahl: 7-8) sind zufrieden, aber nicht begeistert, und Verweigerer (Punktzahl: 0-6) sind unzufrieden. Bei der Berechnung des NPS wird der Prozentsatz der Detraktoren vom Prozentsatz der Promotoren subtrahiert. Erstmals wurde der NPS im Jahr 2003 in einem Artikel von Fred Reichheld in der Harvard Business Review mit dem Titel "The One Number You Need to Grow" vorgestellt. Reichheld vertrat die Meinung, dass KundInnnenloyalität der wichtigste Wachstumsfaktor sei. Spätere Forschungen haben allerdings ergeben, dass ein NPS-Score durch zusätzliche Fragen zur KundInnnenmotivation ergänzt werden sollte. Durch diesen Einblick können Unternehmen gezieltere Maßnahmen zur KundInnnenzentrierung entwickeln.61
2.3 OC Technologien als Grundlage für Health Consumerism
OC Technologien wie KI und Big Data Analytics ermöglichen die Sammlung, Aufbereitung und Echtzeitanalyse von Transaktionsdaten. Dabei ist es möglich, strukturierte Daten aus internen Systemen mit den unstrukturierten Daten aus Social Media zusammenzubringen, um ein ganzheitliches Bild der KundInnen zu erhalten und ihr Kaufverhalten besser zu verstehen. Entsprechend können Produkt- und Serviceangebote je nach Vorliebe der KundInnen personalisiert werden. Eine umfangreiche OC-Strategie beschränkt sich bei der Datenerhebung jedoch keineswegs nur auf das Onlinegeschäft. Neue In-Store-Technologien wie Mobile Payment und Augmented Reality ermöglichen es, kanalübergreifend mit KundInnen in den Austausch zu treten, sie dabei mit Produktinformationen zu versorgen und ortsbasierte Angebote zu schalten. Allerdings fehlt in vielen Unternehmen nach wie vor eine einheitliche und transparente IT-Architektur und auch das Knowhow, um die Handlungsfelder der OC-Strategie entsprechend zu positionieren und zu priorisieren. Moderne OC-Services erfordern aufgrund ihrer Komplexität einen hohen Integrationsgrad, um Daten in Echtzeit zwischen verschiedenen Applikationen austauschen zu kön- nen.62 OC-Tools zur PatientInneneinbindung bieten PatientInnen mehrere Möglichkeiten, mit den AnbieterInnen in Kontakt zu treten (Digital Front Door). Obwohl das Konzept von OC Patient Engagement sehr noch neu ist, zeichnen sich identische Schlüsseltechnologien ab:
- CRM und Elektronische Patientenakte (ePA)
- Wearables und Telemedizin
- Online Information und Lernen
- Online-Terminbuchung
- Digitale Registrierung
- Digitaler Wegweiser
- Online-Bezahlmöglichkeiten
- KI Chatbots
- Blended Learning63
Entscheidend für den Erfolg sind allerdings nicht die Anwendungen per se, sondern vor allem die Einstiegspunkte und die Vereinheitlichung der Patient Experience: Fragmentierte Einstiege und Barrieren führen dazu, dass Tools nicht genutzt werden, so etwa eine digitale Registrierung, bei der man sich ein PDF ausdrucken oder auf einen Brief warten muss. Nachfolgend werden Praxisbeispiele dargestellt, wie OC Technologien für den Consumer und im Healthcare Bereich angewendet werden können.
[...]
1 Vgl. Teuber (2020), online
2 Vgl. Shih (2016) online
3 Vgl. Khanna (2018), online
4 Vgl. Sheikh (2016), online
5 Vgl. Krolop (2017), online
6 Vgl. BMG (2021), online
7 Vgl. BMASGK (2019), online
8 Vgl. Our World in Data (2011), online
9 Vgl. Sheikh (2016), online
10 Vgl. Mordor Intelligence (2020), online
11 Vgl. Kuenen (2018), online
12 Vgl. Schöne (2020), online
13 Vgl. Digitale Offensive (2017), online
14 Vgl. Kuenen (2018), online
15 Vgl. Holland (2018), online
16 Vgl. ebd.
17 Vgl. Scheffen (2020), online
18 Vgl. Ollmann (2020), online
19 Vgl. Ollmann (2020), online
20 Vgl. Rosen (2019), online
21 Vgl. Barwitz (2018)
22 Vgl. Ollila (2019), online
23 Vgl. Bislin (2017), online
24 Vgl. Kaspari (2021), online
25 Vgl. Cervini (2019), online
26 Vgl. AOK (2018), online
27 Vgl. Koh (2020), online
28 Vgl. Middendorf (2018), online
29 Vgl. AVTEX (2021), online
30 Vgl. Dohrmann (2019), online
31 Vgl. Pietig, M. (2021), online
32 Vgl. Greenspun et al (2015), online
33 Vgl. Schepke (2017), online
34 Vgl. Maples (2021), online
35 Vgl. Jung (2021), online
36 Vgl. Hedwig (2019), online
37 Vgl. Sheikh (2016), online
38 Vgl. Sheikh (2016), online
39 Vgl. Steimel (2020), online
40 Vgl. Gregory (2021), online
41 Vgl. Evans (2021), online
42 Vgl. Khanna (2018), online
43 Vgl. Reichardt (2013), S. 157-163
44 Vgl. Sheikh (2016), online
45 Vgl. Elsevier (2016), online
46 Vgl. Greenspun (2015), online
47 Vgl. Bucher (2018), online
48 Vgl. Krolop (2017), online
49 Vgl. Greenspun et al (2015), online
50 Vgl. El-Haddad et al (2020), S. 1724-1731
51 Vgl. Jakab (2019), S. 123-129
52 Vgl. Wachtler et al. (2020), S. 20 ff
53 Vgl. Schaeffer (2020), online
54 Vgl. Elsevier (2016), online
55 Vgl. Reicher (2021), online
56 Vgl. Schaeffer (2020), online
57 Vgl. Vida Estacio (2019), S. 1668 ff.
58 Vgl. Heath (2021), online
59 Vgl. Heath (2021), online
60 Vgl. Scheffen (2020), online
61 Vgl. Ehrens, T. (2014), online
62 Vgl. Middendorf (2018), online
63 Vgl. Heath (2021), online
- Quote paper
- Eva Kluge (Author), 2022, Die Bedeutung von Omnichannel Patient Engagement für eine bessere Gesundheitsversorgung, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1307594
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