Woran liegt das, dass insbesondere Frauen ein Studium der Sozialen Arbeit beginnen und später in diesem Bereich arbeiten, während Männer tendenziell eher zu Studiengängen wie Maschinenbau oder Ingenieurwissenschaften tendieren? Liegt es an den Aufgaben und Anforderungen, die die Soziale Arbeit an ihre Fachkräfte stellt oder am Klientel, das betreut wird? Sicher gibt es individuelle Gründe, doch fraglich ist, wie viel auch die Gesellschaft mit Vorstellungen über Männer dazu beiträgt, dass „Frauenberufe“ und „Männerberufe“ als solche benannt existieren. Trägt die Gesellschaft eher dazu bei, dass Männer sich unwohl in sozialen Bereichen fühlen oder dass sie dort erst gar nicht arbeiten möchten? Werden überhaupt mehr Männer in der Sozialen Arbeit benötigt und wenn ja, warum? Auch hier kann nichts verallgemeinert werden, doch feststeht, dass sich ein Männlichkeitsbild in der Gesellschaft etabliert hat und jeder, der aus diesem Bild herausfällt, „anders“ zu sein scheint.
Um diesen Fragen eine mögliche Antwort geben zu können, soll sich diese Arbeit nun dem Thema Männer in der Sozialen Arbeit – Notwendig oder doch eher Frauensache? widmen.
Inhalt
1. Einleitung
2. Geschlecht und Gender
2.1. Männliche Körper
2.2. Geschlechtsidentität
2.3. Geschlechterbilder
2.4. Stereotype
2.5. Doing Gender
2.6. Männlichkeit als Rolle
3. Konstruktion und Definition von Männlichkeit
3.1. Der Habitus nach P. Bourdieu
3.1.1. Sozialer Habitus
3.1.2. Männliche Herrschaft
3.2. Männlichkeit nach R. Connell
3.2.1. Hegemonie
3.2.2. Unterordnung
3.2.3. Komplizenschaft
3.2.4. Marginalisierung
4. Männer als Bezugsperson
5. Hintergrund der Sozialen Arbeit
5.1. Definition und Gegenstand Sozialer Arbeit
5.2. Historische Entwicklung aus der Genderperspektive
6. Männer in von Frauen dominierten Berufsfeldern
6.1. Geschlechterverhältnisse in der Sozialen Arbeit
6.2. Die „gegengeschlechtliche“ Berufswahl
6.3. Männer unter Generalverdacht
7. Geschlechterreflektierende Angebote
8. Care
9. Schlussfolgerung
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Soziale Arbeit, ein klassischer Frauenberuf? Blickt man in verschiedene Arbeitsfelder dieses Berufsfeldes, könnte man das je nach Einrichtung auf den ersten Blick so stehen lassen. Insbesondere im Kindergarten ist ein männlicher Erzieher eher selten anzutreffen und wenn doch, ist das scheinbar eine Ausnahme. Die Zahlen sprechen für sich, während der Bereich des Gesundheits- und Sozialwesens 2020 auf dem zweiten Platz der aufgeführten Arbeitsbereiche nach Beschäftigungsanteil lag, machen von den fünf Millionen der dort Beschäftigten die Männer nur 23% aus (vgl. BUNDESAGENTUR FÜR ARBEIT 2022, S. 13).
Doch woran liegt das, dass insbesondere Frauen ein Studium der Sozialen Arbeit beginnen und später in diesem Bereich arbeiten, während Männer tendenziell eher zu Studiengängen wie Maschinenbau oder Ingenieurwissenschaften tendieren? Liegt es an den Aufgaben und Anforderungen, die die Soziale Arbeit an ihre Fachkräfte stellt oder am Klientel, das betreut wird? Sicher gibt es individuelle Gründe, doch fraglich ist, wie viel auch die Gesellschaft mit Vorstellungen über Männer dazu beiträgt, dass „Frauenberufe“ und „Männerberufe“ als solche benannt existieren. Trägt die Gesellschaft eher dazu bei, dass Männer sich unwohl in sozialen Bereichen fühlen oder dass sie dort erst gar nicht arbeiten möchten? Werden überhaupt mehr Männer in der Sozialen Arbeit benötigt und wenn ja, warum? Auch hier kann nichts verallgemeinert werden, doch feststeht, dass sich ein Männlichkeitsbild in der Gesellschaft etabliert hat und jeder, der aus diesem Bild herausfällt, „anders“ zu sein scheint.
Um diesen Fragen eine mögliche Antwort geben zu können, soll sich diese Arbeit nun dem Thema widmen.
Männer in der Sozialen Arbeit - Notwendig oder doch eher Frauensache?
Hierzu soll zuerst aufgeführt werden, wie sich Geschlecht und Gender voneinander unterscheiden und welche Aspekte noch zu einer „Männlichkeit“ dazugehören. Dabei wird im ersten Unterkapitel ein Blick auf den männlichen Körper geworfen. Männer und Frauen sind meistens auf den ersten Blick als solche zu erkennen. Warum ist das so? Wir haben Vorstellungen, wie ein Mann oder eine Frau aussieht und definieren aufgrund dessen jemanden entweder als männlich oder als weiblich. Besonders ausgeprägte Männlichkeit zeigt sich im Bezug auf den Körper etwa durch eine breite Statur und eine ausgeprägtere Muskulatur als bei Frauen. Im Punkt 2.1. soll daher das physisch Männliche in den Blick genommen werden, wo es zur Geltung kommt und wie Männer mit Defiziten in diesem Bereich umgehen. Neben dem körperlichen Aspekt soll auch der psychische Aspekt aufgezeigt werden. Dabei wird ein Fokus auf die Geschlechtsidentität und auf Geschlechterbilder gelegt. Vor allem mit den Geschlechterbildern in Zusammenhang mit dem Körperlichen kommen Stereotype einher, diese finden in 2.4. Beachtung. Das Konzept des „Doing Gender“ soll neben der männlichen Rolle das Kapitel zu Geschlecht und Gender abrunden.
Im Anschluss daran soll ein Überblick über die Konstruktion und Definition von Männlichkeit geschaffen werden. Zentrale Personen sind dabei Pierre Bourdieu und Raewyn/Robert Connell. Bourdieu ist bekannt für seine Habitus-Theorie, die verallgemeinert die Lebensweise, die Gewohnheiten und Wertvorstellungen sowie die Haltung in der sozialen Welt des einzelnen Menschen beschreiben (vgl. FUCHS- HEINRITZ/KÖNIG 2014, S. 112). Die männliche Herrschaft ist ein Teil des HabitusKonzeptes, Bourdieu widmet sich hier der Frage, warum die herrschende patriarchale Weltordnung meist ohne Widerspruch hingenommen wird und es nur in Ausnahmefällen zu Versuchen des Widerstandes kommt. Dies hat zur Folge, dass existierende Herrschaftsverhältnisse mitsamt ihrer Ungerechtigkeiten und ihren Privilegien scheinbar ohne Mühe aufrechterhalten werden (vgl. BOURDIEU 2020, S. 7). Connell ist bekannt für das Konzept der hegemonialen Männlichkeit, einer „idealen“ Männlichkeit. Da Männlichkeit jedoch etwas sehr Individuelles ist, führt Connell auch die Komplizenschaft, die Unterordnung und die Marginalisierung auf, die der Hegemonie untergeordnet sind. Diese Formen werden im dritten Kapitel näher beleuchtet.
„Männer als Bezugsperson“ ist der Schwerpunkt im vierten Kapitel, hier stellt sich die Frage, inwieweit männliche Personen notwendig für die Erziehung und Bildung von Kindern sind. Dabei soll nicht nur ein Blick auf den Bildungsbereich gelegt werden, sondern auch auf Bedeutung von Vätern für Kinder. Insbesondere Väter seien wichtig für die Identitätsentwicklung von Jugendlichen, so Tiefen- und Entwicklungspsychologen (vgl. ROHRMANN 2006, S. 119). Dabei wird der Unterschied zwischen dem „typischen“ Erziehungsstil von Müttern und Vätern hervorgehoben, da die verschiedenen Geschlechter den Kindern unterschiedliches beibringen würde und unterschiedlich mit ihnen umgehen würden.
Definition und Gegenstand Sozialer Arbeit sowie die historische Entwicklung aus der Genderperspektive werden im fünften Kapitel, Hintergrund der Sozialen Arbeit, thematisiert. Dabei wird sich zeigen, dass eine Definition nicht so einfach aufzustellen ist, da die Soziale Arbeit sehr vielfältig ist und es nicht „die eine“ Soziale Arbeit gibt. In der historischen Entwicklung der Sozialen Arbeit ist zu erkennen, dass vor allem die Frauen einen großen Beitrag geleistet haben. Die Entwicklung der sozialen Berufstätigkeit sei laut Wolf Rainer Wendt (2008) nicht zu trennen von der Frauenbewegung im 19. Jahrhundert (vgl. WENDT 2008, S. 467). Hier lässt sich feststellen, dass auf den ersten Blick die Soziale Arbeit durchaus als „Frauenberuf“ verstanden werden kann.
Die Bezeichnung von „Männerberufen“ und „Frauenberufen“ beinhaltet die Dominanz eines Geschlechts im entsprechend „gegengeschlechtlichen“ Beruf. Daher sollen im sechsten Kapitel nun Männer in von Frauen dominierten Berufsfeldern, wozu auch die Soziale Arbeit zählt, thematisiert werden. Zunächst werden dabei die Geschlechterverhältnisse in der Sozialen Arbeit in Augenschein genommen, von Relevanz sind hier unter anderem die Statistiken zu immatrikulierten Studierenden im Bereich Soziale Arbeit. Außerdem werden die Vorstellungen von Männlichkeit bei männlichen Maschinenbau-Studenten und denen Sozialer Arbeit verglichen. Auch die „gegengeschlechtliche“ Berufswahl in 6.2. beschäftigt sich mit dem Verhältnis von Geschlecht zu Beruf. Von Relevanz ist hierbei, welche Strategien Männer in von Frauen dominierten Berufsfeldern entwickeln, damit ihre Männlichkeit „erhalten“ bleibt. Mit dem sogenannten Generalverdacht müssen sich insbesondere Männer häufig auseinandersetzen, dieser Begriff beschreibt den Verdacht möglicher sexueller Übergriffe von männlichen Fachkräften gegenüber ihrer Klient*innen. Dies kann abschreckend für Männer wirken, die im Bereich der Sozialen Arbeit Fuß fassen möchten, weswegen eine Auseinandersetzung mit dieser Thematik innerhalb der Einrichtungen von großer Relevanz ist.
Im siebten Kapitel soll anhand des Projektes EQUI-X aufgezeigt werden, dass es Angebote zum geschlechterreflektierendem Empowerment von Jugendlichen gibt und zur Prävention von geschlechtsbezogener Gewalt. Die Arbeit mit dieser Altersgruppe ist sinnvoll, weil zu dieser Zeit die Identitätsfindung und das Kennenlernen des eigenen Ichs von großer Bedeutung sind. Die Auseinandersetzung mit Geschlechtern enthält somit auch eine Auseinandersetzung mit Männlichkeit und was diese ausmachen kann.
Vor der Schlussfolgerung findet noch der Begriff „Care“ Beachtung, der in der Sozialen Arbeit eine bedeutende Rolle spielt. Übersetzt kann er etwa mit „Fürsorge“ und „Sorgen“ werden, auf institutioneller Ebene umfasst Care sämtliche Bereiche von betreuenden, erzieherischen und pflegenden Sorgetätigkeiten in der Familie und auf institutioneller Basis (vgl. BRÜCKNER 2018, S. 212). Obwohl die Eigenschaft der Fürsorge jeder Menschen unabhängig seines Geschlechts besitzen kann, waren es erneut die Frauen, denen die Care- Arbeit zugesprochen wurde, weshalb sich wieder die Frage stellt, ob Soziale Arbeit nun ein Frauenberuf sei.
Ein Resümee dieser Arbeit bildet die Schlussfolgerung, in welcher anhand der vorangegangen Erkenntnisse die leitende Frage beantwortet werden soll, ob Männer nun notwendig für die Soziale Arbeit sind oder dieser Beruf in Frauenhänden liegt.
2. Geschlecht und Gender
Wie sich Männlichkeit ausdrückt, wo sie gezeigt wird und was der Unterschied zwischen Geschlecht und dem Gender-Begriff ist, dieser Thematik nimmt sich das folgende Kapitel an. Zunächst wird ein Blick auf den männlichen Körper geworfen und wo das männliche Erscheinungsbild besonders gezeigt wird. Außerdem spielen im weiteren Verlauf die Geschlechtsidentität und Geschlechterbilder eine Rolle. In diesem Zuge sollten notwendigerweise auch Stereotype beleuchtet werden, da diese bei Vorstellungen über Lebensweisen, Identitäten und Rollen stets existent sind. Zum Abschluss des ersten Kapitels wird noch das Konzept des „Doing Gender“ aufgegriffen sowie die Männlichkeit als Rolle in der Gesellschaft.
2.1. Männliche Körper
Ein Gebiet, in dem die Wichtigkeit der männlichen Erscheinung bedeutend wird, ist der Sport (vgl. CONNELL 1999, S. 74). Als besonders männliche Sportarten gelten z.B. Rugby oder Motorradrennen. Diese verlangen dem Körper einiges ab und sind nicht ungefährlich. Jedoch kann auch ein hoher Alkoholkonsum als besonders männlich gelten, schadet bzw. schädigt den Körper allerdings ebenso. Hier zeigt sich besonders die Entwicklung und der Gebrauch des Körpers, Wettkampfsportler werden aufgrund ihrer Fähigkeit bewundert, unterschiedliche Dinge nahezu perfekt zu beherrschen, etwa Muhammad Ali beim Boxen (vgl. ebd.). Jedoch macht erst der Wettkampf und das Kräftemessen untereinander das Rennen, Schlagen, Springen etc. zum Sport (vgl. ebd.). Die sportliche Leistung gilt gleichzeitig als Abgrenzung gegenüber Frauen und dient insbesondere als Beweis der Überlegenheit aufgrund einer höheren Leistungsfähigkeit, welche unter anderem die männliche Macht rechtfertigen soll (vgl. ebd.). Auch im Arbeitsverhältnis wird die Bedeutung physischer Männlichkeit deutlich (vgl. ebd., S. 75). Die Arbeitskraft von Fabrikarbeitern definiert sich über ihre körperliche Stärke und ihre Männlichkeit lässt sich durch die körperlich harte Arbeit definieren (vgl. ebd.). Gegenüber den Frauen nutzen auch hier die Männer ihre körperliche Überlegenheit (vgl. ebd.).
In ihren physischen Fähigkeiten eingeschränkte Männer müssten bei Stimmigkeit dieser Thesen ein anderes Selbstverständnis als Mann haben. Die ausschließlich männlichen Teilnehmer einer Untersuchung von T. Gerschick und A. Miller versuchten dieses Selbstverständnis aufgrund ihrer Behinderung auf andere Art zu kompensieren (vgl. ebd., S. 75). Sie fanden drei verschiedene Möglichkeiten der Kompensation. Zum einen wurde die körperliche Anstrengung erhöht, zum anderen definierten sie ihr Verständnis von Männlichkeit neu und entsprechend zu den Einschränkungen (vgl. ebd.). Der dritte Weg war die gänzliche Ablehnung hegemonialer Männlichkeit (vgl. ebd.). Ihre Behinderung zu ignorieren, schaffte keiner der Teilnehmer, dies macht die Bedeutung der männlichen Erscheinung deutlich (vgl. ebd.).
2.2. Geschlechtsidentität
Üblicherweise wird unter dem Ausdruck „Geschlechtsidentität“ das Zugehörigkeitsgefühl zum eigenen Geschlecht und der Akzeptanz dessen verstanden (vgl. ATHENSTAEDT/ALFERMANN 2011, S. 57). Größtenteils entspricht die Geschlechtsidentität dem identifizierten biologischen Geschlecht nach der Geburt (vgl. ebd.). Unterscheidet sich die Geschlechtsidentität eines Menschen von dem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht, so bezeichnet man diese Menschen als „Transgender“ (vgl. ebd.). Aus diesem Grund wird der Begriff der Geschlechtsidentität von vielen Autoren weiter gefasst, sie nehmen zur Zugehörigkeit zum biologischen Geschlecht noch das psychosoziale mit auf (vgl. ebd.). Diese Zugehörigkeit zum psychosozialen Geschlecht zeigt sich darin, inwiefern sich die Individuen den gesellschaftlich vorherrschenden Geschlechterstereotypen anpassen (vgl. ebd.). Der motivationale Charakter der Geschlechtsidentität spielt für Wissenschaftlicher eine wichtige Rolle, er kommt im Bedürfnis der Individuen zum Vorschein, sich mit ihrer stark ausgeprägten Geschlechtsidentität entsprechend geschlechtsentsprechend verhalten zu müssen (vgl. ebd.). Wichtig ist hierbei die Unterscheidung zwischen der umfassenden Geschlechtsidentität und Zuschreibungen von Stereotypen (vgl. ebd.).
Die Entwicklung der Geschlechtsidentität erfolgt im Alter von etwa eineinhalb bis zwei Jahren (vgl. ELSEN 2020, S. 165). Beim Aufbau und der Etablierung der Geschlechtsidentität haben Eltern und Lehrer*innen einen nicht unerheblichen Einfluss in der Erziehung, auch wenn dieser unbewusst erfolgen kann (vgl. ebd., S. 171). Mit Töchtern wird beispielsweise mehr geredet, während die Jungen mehr im Arm gehalten werden (vgl. ebd.). Jungs gelten weiterhin als körperlich robuster, während Mädchen als schwächer und empfindlicher angesehen werden (vgl. ebd.). Sozialisation spielt somit bei der Geschlechtsidentität, bei der Rollenfindung und -verteilung und daraus resultierenden Stereotypen eine große Rolle.
Manche Autor*innen fordern die Betrachtung des Konzepts der Geschlechtsidentität als mehrdimensional, etwa Egan/Perry (2001) oder Tobin et al. (2010). Die 'Zufriedenheit mit dem eigenen Geschlecht' ist wesentlicher Bestandteil einer dieser Dimensionen (vgl. ATHENSTAEDT/ALFERMANN 2011, S. 60). Kinder bringen mit Stolz zum Ausdruck, welchem Geschlecht sie angehören, sobald sie dies erkannt haben und möchten nur ungern dem anderen angehören (vgl. ebd.). Im Wesentlichen bleibt diese Zufriedenheit bis zur Pubertät erhalten und hängt eng mit dem eigenen Selbstwert zusammen (vgl. ebd.).
Eine weitere Dimension ist der 'wahrgenommene Zwang zur Geschlechterrollenkonformität', worunter der Zwang der Kinder verstanden wird, sich entsprechend ihrer Geschlechterrolle verhalten zu müssen (vgl. ebd.). Egan/Perry befragten in einer Untersuchung Kinder nach sozialen und personalen zu erwartenden Konsequenzen, wenn sie sich nicht ihrer Geschlechterrolle anpassen und sich ihr entsprechend verhalten würden (vgl. ebd.). Benannt wurden hierbei kritische Aussagen von anderen Personen und Schamgefühle, als Ursprung des Zwangs führten die Proband*innen zu gleichen Teilen die Eltern, Gleichaltrige und auch sich selbst auf (vgl. ebd.).
Als dritte Dimension der Geschlechtsidentität und somit als letzte Dimension gilt die 'Geschlechtstypikalität', welche die erlebte Ähnlichkeit zum eigenen Geschlecht umfasst, genauer gesagt inwiefern man sich in seiner Geschlechtsgruppe als typisches Mitglied sieht (vgl. ebd.). Die eigene erlebte Geschlechtstypikalität scheint insbesondere in der Kindheit eine grundlegende Bedeutung zu haben, sie ist abhängig von Selbstzuschreibungen von Geschlechterstereotypen (vgl. ebd.).
Geschlecht und Geschlechterrollen sind somit erhebliche Bausteine der eigenen Identität sowie des eigenen Selbstkonzepts, im Erwachsenenalter spielt dieses Selbstkonzept von Geschlechtsrollen etwa bei Interessen und der Berufswahl eine tragende Rolle (vgl. ABELE 2003, o.S.). Im Gegensatz dazu konnte festgestellt werden, dass auf eine längere Zeit wirkende Lebensveränderungen, wie berufliche Karriereschritte oder die Geburt eines Kindes, das Selbstkonzept von Geschlechtsrollen ebenso beeinflussen oder auch verändern können (vgl. ATHENSTAEDT/ALFERMANN 2011, S 72). Somit ist die Geschlechtsidentität nicht als starres Konstrukt sondern als flexibel anzusehen, da sie sich im weiteren Verlauf des Lebens immer wieder neu formen kann.
2.3. Geschlechterbilder
Zum Männerbild des nationalsozialistischen Staates um 1935 gehörte etwa „schlank und rank“, „flink wie [ein] Windhund[.]“, „zäh wie Leder“ oder auch „hart wie Kruppstahl“, dieses Bild wurde zum damaligen allgemein gültigen Leitbild der männlichen Identität (vgl. HOLLSTEIN 2012, S. 10). Das im zweiten Weltkrieg Geschehene aufzuarbeiten erfolgte nur zögerlich, da der deutsche Wiederaufbau die näher gebrachten männlichen Qualitäten, etwa Kraft, Leistung und Disziplin, forderten (vgl. ebd.). Heranwachsenden Söhnen fiel es schwer, eine erwartete männliche Identität zu entwickeln, da es den rückkehrenden Vätern kaum möglich war, ihren Söhnen ein gewisses von Stabilität geprägtes Männlichkeitsbild zu vermitteln (vgl. DAMMASCH et al. 2009, S. 93).
Das männliche Rollenverständnis wandelte sich ab den 1960er Jahren, Grund hierfür war die steigende Teilhabe von Frauen an Beruf und Bildung (vgl. BMFSFJ 2006, S. 31). Die wachsende Partizipation und höhere berufliche Qualifikationen führten zu einer steigenden Unabhängigkeit zum Mann auf ökonomischer Ebene (vgl. ebd.). Aus diesem Grund wurde das bis dahin allgemein geltende Männerbild, aber auch das Frauenbild, hinterfragt (vgl. ebd.). Große Kritik erfuhr die Rolle des Mannes als „Patriarch“ durch die Frauenbewegung zu Beginn der 1970er Jahre (vgl. BRANDES/BULLINGER 1996, S. 43). Weiterhin wurde die grundverschiedene Verteilung der Hausarbeit zwischen Frauen und Männern zum Thema und auch verbesserte Voraussetzungen der Berufstätigkeit von Frauen wurden angestrebt (vgl. ebd.). Aus diesen Entwicklungen ergab sich nach und nach eine Verunsicherung des männlichen Selbstbildes (vgl. ebd.).
Ende der 1980er Jahre verlor der Mann im Zuge der Globalisierung seine sichere und als Selbstverständlichkeit wahrgenommene Rolle in der Arbeitergesellschaft (vgl. BÖHNISCH 2003, S. 93). Daraus resultierend benötigte die Wirtschaft ab sofort sowohl Männer als auch Frauen (vgl. ebd.). Gab es nun deutliche Veränderungen in der Rolle des Manns in der Familie, so galt der Beruf immer noch als ein zentraler Baustein der männlichen Identität (vgl. BRANDES/BULLINGER 1996, S. 51). Gefordert war nämlich weiterhin die Vertretung von Werten wie Durchsetzungsvermögen, Härte, Belastungsfähigkeit, Dominanz etc. innerhalb der Erwerbsarbeit (vgl. ebd.). Zusätzlich kamen noch neue Anforderungen für die Männer hinzu, da der Wandel der streng festgelegten Arbeitsteilung hin zur Teamarbeit weitere Qualifikationen erforderte (vgl. ebd.). Zu diesen galten etwa die Fähigkeit zur Kommunikation und Kooperation oder Flexibilität, also Eigenschaften, die beim Hinblick auf geschlechtsspezifische Sozialisation eher den Frauen zugeordnet wurde (vgl. ebd.).
Neben Unsicherheiten der männlichen Rolle führte die Entgrenzung von Beruf und Familie auch zu neuen Wegen, die Rolle gesellschaftlich neu zu definieren (vgl. MEUSER 2007, S. 63). Die Kindererziehung etwa verlangte nach einer aktiven Teilnahme des männlichen Parts und die Partnerschaft wurde mehr zur Verhandlungssache (vgl. ebd.). Künftig sahen sich Männer gegen Ende des 20. Jahrhunderts mit der Erwartung konfrontiert, Leistungen zu erbringen und berufliche Erfolge vorzuweisen (vgl. HERTLING 2008, S. 10). Dies erforderte ebenso, eigene Bedürfnisse zurückzustellen, um bei Bedarf die Familie zu versorgen (vgl. ebd.). Zentrale Elemente von Männlichkeit sind hierbei die Verdrängung der Bedürfnisse, Berufszentrierung sowie Konkurrenzdenken, die außerdem verinnerlichte Beschützerrolle führte zu einer vom Mann gespürten Verpflichtung, sowohl die Umwelt als auch sich selbst unter Kontrolle zu haben und Probleme selbstständig zu lösen (vgl. ebd.). Nach Ansicht des Mannes würde eine emotionale Öffnung gegenüber anderen Personen möglicherweise in Kontrollverlust enden, aus diesem Grund kommuniziert er keine Unzufriedenheit oder auch Unsicherheit, vielmehr reagiert er mit Stummheit (vgl. ebd., S. 11). Das männliche Prinzip der Rationalität ist hiermit zusammenhängend, dabei geht es um die stetige Betonung von Logik und Verstand in sämtlichen Lebensbereichen, was die männliche Abwertung von Gefühlen zur Folge hat (vgl. ebd.).
Heutzutage lässt sich die Rolle des Mannes nicht mehr definieren über seine 'Funktion' als Ernährer der Familie und Oberhaupt dieser (vgl. WELPE/SCHMECK 2005, S. 61). Dies hängt mit der angestiegenen Erwerbstätigkeit der Frauen zusammen und so ist es notwendig, dass vorhandene Männergenerationen Rollenalternativen finden (vgl. ebd.). Die Auflösung von geschlechterspezifischen traditionellen Rollenzuschreibungen hat außerdem das Verschwimmen von weiblichen und männlichen Sektoren zur Folge, weswegen man heute nicht mehr eindeutig definieren kann, was unter Männlichkeit verstanden werden kann (vgl. SCHMALE 2003, S. 269). Ein stetiger Wandel dieser Art erfordert flexible Anpassung an bereits existierende gesellschaftliche Vorstellungen und „die postmoderne [.] Gesellschaft verlang[e] [.] eine beschleunigte Anpassungsfähigkeit an sich beschleunigt verändernde soziokulturelle Kontexte“ (ebd., S. 268). Das Leben des Mannes im 21. Jahrhundert sei laut Böhnisch (2001) außerordentlich davon geprägt, sich selbst sowie seine Position in der Familie, in der Gesellschaft und im Beruf zu finden (vgl. BÖHNISCH 2001, S. 40).
2.4. Stereotype
Stellt man sich eine Person vor, die gerne einkaufen geht, mehrere Dutzend Paar Schuhe besitzt und stundenlang mit Freund*innen telefoniert, so denkt man vermutlich erst einmal an eine Frau. Soll man sich jedoch eine Person vorstellen, die gerne American Football schaut, Autos liebt und Bier trinkt, stellt man sich vermutlich zuerst einen Mann vor. Das liegt daran, dass wir alle Vorstellungen davon haben, was „typisch weiblich“ oder „typisch männlich“ ist (vgl. STEFFENS/EBERT 2016, S. 13). Vieles, was uns als „typisch“ für ein Geschlecht erscheint, ist das Resultat gesellschaftlicher Einflüsse, welche unsere Biografie geprägt haben (vgl. WELPE/SCHMECK 2005, S. 21). Bei einem genaueren Blick auf historische Epochen oder auf unterschiedliche Kulturen ist eine Vielfalt an möglichen Definitionen von Geschlechterrollen zu finden (vgl. ebd.). Männlichkeit und Weiblichkeit lassen sich hier als sozial konstruierte Konzepte erkennen (vgl. ebd.). Zweifelsohne lassen sich Differenzen zwischen den Geschlechtern erkennen, insbesondere biologische, dennoch ist der Großteil der von uns wahrgenommenen Differenz zwischen den Geschlechtern kulturell geschaffen worden (vgl. ebd., S. 22). In der Gesellschaft vorgegebene Geschlechterrollen werden hierbei erlernt und verinnerlicht sowie in die eigene Identität integriert, was oft unbewusst geschieht (vgl. ebd., S. 24). Geschlechterstereotype Verhaltensmuster, die Frauen und Männern als „typisch“ zugeordnet werden, sind das Resultat (vgl. ebd.). Unter Geschlechterstereotypen werden individuelle Erwartungen und Überzeugungen in Bezug auf typische Charakteristika von Frauen und Männern verstanden, welche „kognitiv mit der sozialen Geschlechtskategorie assoziiert und durch den Prozess der Kategorisierung aktiviert werden“ (MAJDANSKI 2012, S. 5).
Geschlechterstereotype tauchen in unterschiedlichen Bereichen auf, etwa in Verhaltensweisen, körperlichen Erscheinungsformen oder Berufen (vgl. ATHENSTAEDT/ALFERMANN 2011, S. 13). Im Allgemeinen erfüllen Stereotype zwei Funktionen. Zum einen führen sie zu einer Vereinfachung sozialer Wahrnehmung, indem Individuen „kategorisiert“ in Schubladen gesteckt und auf Grundlage der Zugehörigkeit in diese Kategorien beurteilt werden (vgl. JOST/BANAJI 1994, o.S.). Existierende Geschlechterstereotype können sich deshalb auf vielfältige Art und Weise auf das soziale Verhalten und Erleben auswirken (vgl. MAJDANSKI 2012, S. 5). Einerseits sind sie deskriptiv durch ihre Beschreibung davon, wie Frauen und Männer „typischerweise“ sind und handeln (vgl. ebd., S. 6). Andererseits wirken sie präskriptiv, wobei sie aufzeigen, wie Frauen und Männer sein sollten (vgl. ebd.). Die traditionell definierten Geschlechterrollen bilden bei der Herstellung von Geschlechterstereotypen die Grundlage (vgl. ebd.).
Stereotype stellen Wissen auf einem abstrakten Niveau dar und sind sprachgebunden, daher erkennt man bereits bei Kindern ab etwa fünf Jahren geschlechterstereotypes Verhalten, welches inhaltlich dem der Erwachsenen entspricht (vgl. ATHENSTAEDT/ALFERMANN 2011, S. 15). Je älter das Kind wird, desto mehr steigt die Kenntnis stereotyper Eigenschaften und ist mit Abschluss des Grundschulalters zumeist abgeschlossen (vgl. ebd.). Die Kenntnis über Stereotypen hängt bei Kindern nicht unbedingt von den eigenen Erfahrungen in der Familie ab, wie z.B. der Beruf der Mutter oder der An- bzw. Abwesenheit des Vaters (vgl. SCHULTHEIS et al. 2006, S. 53). Dementsprechend eignen sich Kinder, welche von ihren Eltern bewusst außerhalb von Geschlechterrollen erzogen werden, trotzdem Stereotype an (vgl. ebd.).
Die zwei Forscher Williams und Best (1990) fanden Ende der 1990er Jahre heraus, dass Geschlechterstereotype im interkulturellen Vergleich sehr ähnlich sind, sie untersuchten Stereotype in 25 Ländern (vgl. ALFERMANN 1996, S. 13). Die dazu befragten Studierenden mussten hierbei für jede Eigenschaft angeben, inwiefern diese in ihren Kulturkreisen öfter mit Männern oder mit Frauen in Verbindung gebracht wird oder ob es keine Unterschiede zwischen den Geschlechtern gebe (vgl. ATHENSTAEDT/ALFERMANN 2011, S. 18). Bei Auswertung der Studie wurde deutlich, dass wesentlich mehr Eigenschaften in die Kategorie „männlich“ geordnet wurden, was zur Dominanz des „Männlichen“ führt (vgl. ALFERMANN 1996, S. 17). Auch bei der inhaltlichen Bewertung der Stereotype lässt sich diese Dominanz erkennen, da insbesondere Zuschreibungen stattfanden, die mit Aktivität und Stärke verbunden werden (vgl. ebd.). Deutlich wurde auch, dass die als männlich bewerteten Eigenschaften vergleichsweise zu den weiblichen wesentlich positiver besetzt waren, wodurch männliche Stereotype als besser und erfolgreicher angesehen werden, woraus eine Zuschreibung von höherer gesellschaftlicher Bewertung resultiert (vgl. ebd.). Hieraus resultiert nun das Modell der hegemonialen Männlichkeit, welche sich unter anderem mit der Dominanz über das Weibliche und in der Ausführung von Macht und Stärke ausdrückt.
Blickt man auf die letzten zwanzig bis dreißig Jahre zurück, sind die Geschlechterstereotypen in den westlichen Kulturkreisen etwas mehr verschwommen, heute gibt es eine größere Vielfalt an Darstellungen und Äußerungen von Weiblichkeit und Männlichkeit (vgl. BÜHRMANN 2014, S. 182). Die Aufmerksamkeit von Geschlechterzuschreibungen richtet sich hierbei insbesondere auf Jungen und Männer (vgl. ebd.). Auflösungserscheinungen von traditionellen Mustern bis hin zu Geschlechtswechsel bzw. Transsexualität finden momentan ein erhöhtes wissenschaftliches Interesse (vgl. ebd.) Sie sind Anzeichen einer Problematisierung allgemeiner Zuschreibungen von Differenzen der Geschlechter sowie „einer kulturellen Liberalität in nonliberalen Gesellschaftsformationen“ (ebd.).
Die Geschlechterforschung nimmt an, dass die Sozialisation von Kindern von alten und auch neuen Geschlechterbildern und Orientierungen sowie einer veränderten Arbeitsteilung zwischen Mann und Frau geprägt ist (vgl. ebd., S. 186). Das Bild von Männlichkeit erfährt Prägung durch viele Faktoren, wobei das Elternhaus mit die bedeutendste Rolle spielt (vgl. ebd.). Der persönliche Grad der Geschlechtsidentität ist durch die bestehenden Geschlechterstereotype eingeschränkt und da das Geschlecht eines der am meisten verinnerlichten sozialen Kategorien ist, werden Personen automatisch als Mann oder Frau angesehen (vgl. STEFFENS/EBERT 2016, S. 13). Die Weitergabe von bestimmten Männlichkeitsbildern durch unsere Vorfahren ist für uns heutzutage Realität, an der sich orientiert wird und die in die Erziehung der Kinder fließt (vgl. HOLLSTEIN 2012, S. 11). Die Verinnerlichung dieser Bilder und Denkweisen bestimmt die Sichtweise von sich selbst und von anderen (vgl. ebd.). Daher ist es zunächst, irrelevant, ob traditionelle Bilder als nicht mehr zeitgemäß oder als falsch gelten (vgl. ebd.) Entscheidend ist die Tatsache, dass diese Traditionen existieren und durch bestehende gesellschaftliche Interessen und Zwänge unsere Gegenwart bestimmt wird (vgl. ebd.).
2.5. Doing Gender
Als Gender wird im Allgemeinen das soziale oder kulturelle Geschlecht eines Menschen bezeichnet, hierbei gibt es einen Unterschied zum biologischen Geschlecht, im Englischen wird hier der Begriff „sex“ verwendet (vgl. FUNK 2018, S. 18). Zum Ausdruck gebracht wird Gender in der Regel durch die Kategorien „maskulin“ und „feminin“, das biologische Geschlecht wird mit „männlich“ und „weiblich“ bezeichnet (vgl. ebd.). Die Biologie unterteilt „sex“ in das chromosomale, das hormonelle und das morphologische Geschlecht, was die Beschreibung der Geschlechtlichkeit eines Menschen auf dieser Ebene als komplex ausfallen lässt (vgl. KÜPPERS 2012, S. 4). Da sich dadurch keine klar zu unterscheidenden Pole erkennen lassen, wird es eher als ein Kontinuum betrachtet und somit stellt die Biologie kein eindeutiges Kriterium dar, um das Geschlecht und die Identität eines Menschen zu erfassen (vgl. ebd.). Der Begriff des Geschlechts bezeichnet eher gesellschaftlich entstandene Ideologien und Geschlechtsbilder, sie sind Ergebnisse von gesellschaftlicher Arbeitsteilung (vgl. SCHERR 2012, S. 561).
Geschlecht galt lange Zeit als feste, nicht veränderbare Größe, als natürlich definiert und universell (vgl. ELSEN 2020, S. 50). Das hiermit verbundene bipolare Konzept sah als Geschlecht entweder Frauen oder Männer, was bei der Geburt festgestellt wurde und für immer gleichbleibend ist (vgl. ebd.). Da somit auch zwangsläufig die Geschlechtsidentität feststand, wurde das Geschlecht nicht hinterfragt und erst recht wurde nicht darüber nachgedacht, da das Geschlecht von nun an als selbstverständlich galt (vgl. ebd., S. 52). Die zwei Geschlechtskategorien drückten sich in Verhaltensweisen aus, etwa in Kleidung, Mimik und Gestik, Interaktionen etc. (vgl. ebd.). Was die Geschlechter ausmacht, ist vielmehr anerzogen worden und ist nicht unbedingt angeboren, es folgt immer bewusst oder unbewusst eine Orientierung an Erwartungen anderer (vgl. ebd.). Somit unterliegt Geschlecht einigen Einflüssen, es ist variabel und nicht starr und kann auch nicht immer von anderen, beispielsweise sozialen Aspekten, getrennt werden (vgl. ebd.).
„Gender“ gilt als konstruierter Aspekt von Geschlecht, etwa in den Medien oder der Interaktion, aber auch Bildungseinrichtungen sind beteiligt am „Doing gender“, da die verschiedenen Rollen konstant reproduziert und inszeniert werden, dies passiert jedoch automatisch und eher unbewusst (vgl. ELSEN 2020, S. 52). Der Genderbegriff umfasst den Bereich schicht-, kultur- und milieuspezifischer Normierungen von Verhaltens- und Lebensweisen, sprich die Auslebung des Geschlechts in einer Gesellschaft (vgl. TATSCHMURAT 2007, S. 231).
Bestätigt und verfestigt werden die Vorstellungen der Bedeutung des Geschlechts in der alltäglichen Kommunikation und Interaktion der Gesellschaftsmitglieder untereinander, zeitgleich erfolgt aber auch eine neue Erzeugung und Interpretation, dies wird als „Doing Gender“ bezeichnet (vgl. MOGGE-GROTJAHN 2004, S. 9). Diese Begrifflichkeit meint ebenso, dass Geschlecht nicht das ist, was Menschen haben, sondern vielmehr das, was sie tun (vgl. BUDDE 2009, S. 4). Die Logik des „Doing Gender“-Konzepts sei, „die sozialen Prozesse zu Geschlecht in den Blick zu nehmen und damit der Zuschreibung von Eigenschaften an Individuen zu entsagen“ (GILDEMEISTER 2020, S. 117). Außerdem unterstreiche dieses Konzept die Bedeutung von Geschlecht, da Geschlechtsidentität und Geschlechtszugehörigkeit als konstante Herstellungsprozesse verstanden werden müssen, die Teil aller menschlichen Aktivitäten seien (vgl. ebd., S. 177).
Es gibt jedoch auch Ablehnung von der biologischen Grundlage des Geschlechts. So wird das Geschlecht etwa als sozial konstruiert angesehen und als gesellschaftlich bedingt bezeichnet und sei somit veränder- und kritisierbar (vgl. DEGELE 2008, S. 67). Der Begriff des „gender“ solle nicht auf „sex“ zu reduzieren sein, da Eigenschaften wie beispielsweise Sanftmut, Härte, Mut und Aktivität generell bei jedem Menschen präsent sein können (vgl. ebd., S. 68). Weiter wird darauf verwiesen, dass auch biologische Befunde nicht unbedingt das Geschlecht als Pol sehen, sondern ebenso als Kontinuum und könne somit kein eindeutiges Kriterium darstellen, um das Geschlecht und die Identität eines Menschen zu erfassen (vgl. KÜPPERS 2012, S. 4). Dies hängt mit der bereits beschriebenen Unterscheidung zwischen chromosomalem, hormonellem und morphologischem Geschlecht zusammen (vgl. ebd.). Somit seien es vielmehr Diskurse auf politischer, philosophischer und geistes- bzw. sozialwissenschaftlicher Ebene, welche Frauen und Männer als sich abgrenzende Geschlechter sozial konstruieren (vgl. DEGELE 2008, S. 62).
Die Trennung zwischen „sex“ und „gender“ führte zu einer Aufweichung der beschriebenen Selbstverständlichkeit zwischen den beiden Kategorien (vgl. ELSEN 2020, S. 52). Vielmehr wurde die natürlich Zweiteilung ausgeweitet, wodurch das Geschlecht „weder fest noch biologisch determiniert [sei], sondern durch unser Miteinander bestimmt und damit kulturell-sozial bedingt [sei]“ (ELSEN 2020, S. 51). Diese Aufteilung führte zu einer Auffassung, dass Geschlecht in Bezug auf „Gender“ veränderbar und nicht mehr binär sei (vgl. ebd., S. 52).
Durch gesellschaftliche Wandlungsprozesse haben Mädchen und Jungen heutzutage verschiedene Variationsmöglichkeiten in Bezug auf ihre Geschlechtsidentität (vgl. NIEDERBACHER/ZIMMERMANN 2011, S. 159). Der Aufbau dieser Identität orientiere sich nicht unbedingt an bestehenden Geschlechterstereotypen, er ist äußerst selbstreflexiv (vgl. ebd.). Die Relevanz der Auslegung von „typischem“ und „richtigen“ Verhalten der Geschlechterrolle hat offenkundig abgenommen (vgl. ebd.). So lässt sich auch sagen, dass nicht von einem starren Männlichkeitsbild ausgegangen werden kann, das Kontinuum verschiedener Männlichkeitsbilder kann somit auch als heterogen angesehen werden (vgl. SCHERR 2005, S. 378).
Neben dem „Doing Gender“ wird nun auch die Möglichkeit des „Undoing Gender“ gesehen, die Geschlechtsunterscheidung wird von Hirschauer (1994) nicht von größter Relevanz gesehen (vgl. HIRSCHAUER 1994, S. 678). Vielmehr sieht er eine mögliche Neutralisierung dieser Unterscheidung vor (vgl. HIRSCHAUER 2001, S. 209). Deutsch (2007) beschreibt, dass der Begriff „Doing Gender“ in sozialen Interaktionen benutzt werden solle, in welchen Geschlechtsunterschiede reproduziert werden und „Undoing Gender“ in solchen Interaktionen, in denen diese Unterschiede verringert werden (vgl. DEUTSCH 2007, S. 122). Es ist anzumerken, dass die Bedeutung von Geschlecht nicht relativiert werden solle, da das „Ausschalten“ einer Struktur nicht automatisch ihre Dethematisierung sei (vgl. HIRSCHAUER 2001, S. 211).
Trotz allem stellt sich die Frage, ob es realistisch es sei, sämtliche biologische Aspekte vollständig auszublenden (vgl. ELSEN 2020, S. 53). Dies soll heißen, dass es fraglich sei, die angeborenen Geschlechtsmerkmale vorerst zu ignorieren und ihnen erst dann Bedeutung zusprechen, wenn sie für bedeutsam erklärt werden, dies sei jedoch umstritten (vgl. ebd.).
2.6. Männlichkeit als Rolle
Zu Beginn der Erforschung von Männlichkeit, etwa um 1950, entwickelte die Sozialwissenschaft das „Konzept der Geschlechtsrolle“ (vgl. CONNELL 199, S. 39). Grundlage hierbei ist das Konzept von sozialen Rollen (vgl. ebd.). Die Sozialwissenschaft zeigt zwei verschiedene Begriffsbestimmungen dieser Rollen auf. Die erste versteht unter der sozialen Rolle ein Bündel an Verhaltenserwartungen, welches aus speziellen Normen besteht und die Verhaltenserwartungen werden „von einer Bezugsgruppe [...] an Inhaber bestimmter sozialer Positionen herangetragen“ (BAHRDT 2003, S. 67). Bei der zweiten Definition wird die soziale Rolle als Verhaltensfigur gesehen, die „situationsübergreifend in relevanten Situationen aktualisiert[.] [und] erlernt[.]“ (ebd., S. 73) sei und weiterhin bekannt und anerkannt in der Gesellschaft sei. Diese soziale Rolle stehe dem Individuum zu Verfügung, nachdem dieses die Rolle erlernt und übernommen habe (vgl. ebd.). Somit lässt sich erkennen, dass in der ersten Definition das Augenmerk auf den Erwartungen liegt, welche an das Individuum gestellt werden, das entsprechende Verhalten folgt immer auf diese Erwartungen und dient der Erfüllung dieser. Die zweite Definition zeigt im Gegensatz dazu die Eigenaktivität des Individuums, da dieses lernt und in gesellschaftlichen Prozessen ein Verhalten übernimmt.
Laut Connell (2003) wurden Geschlechtsrollen als eine kulturelle Ausformung der bestehenden biologischen Unterschiede zwischen den Geschlechtern verstanden (vgl. CONNELL 2003, S. 41). Auch beim biologischen Geschlecht kann es gesellschaftliche Erwartungen geben, welche entsprechend gestellt werden. In jeder Gruppe, in der man sich in seinem alltäglichen Leben befindet, nimmt man eine Rolle und eine Funktion ein und dementsprechend sind auch diese mit Erwartungshaltungen verbunden. Die Rollen „männlich“ oder „weiblich“ werden erlernt und verinnerlicht und da sie durch soziale Bezüge entstehen, sind sie auch einem ständigen Wandel an Veränderungsprozessen in der Gesellschaft ausgesetzt.
Anfangs ging die Rollentheorie davon aus, dass die Sozialisation und die dementsprechende Erlernung der Geschlechtsrolle ein positiver Aspekt sei, da sie dem Individuum durch soziale Orientierung etwa zu Stabilität oder psychischer Gesundheit verhelfe (vgl. CONNELL 1999, S. 42). Diese Theorie wurde allerdings durch den Feminismus in den 1970er Jahren in Frage gestellt und kritisiert (vgl. ebd.). Ein Kritikpunkt war etwa die Unterdrückung der weiblichen Geschlechtsrolle (vgl. ebd.). Allerdings griff auch eine kleine Gruppe Männer zur selben Zeit diese Kritik auf und behauptete, dass die männliche Geschlechtsrolle die Männer unterdrücken würde und diese deshalb abgeschafft werden solle (vgl. ebd., S. 42f.). Der amerikanische Psychologe Joseph Pleck nahm sich der Forschung von Auswirkungen der Rolle an und entwickelte in seinen Werken eine moderne Männerrolle, die im Gegensatz zur traditionellen Rolle steht (vgl. CONNELL 1999, S. 43). Dies hatte zur Folge, dass Männer sich in ihrer modernen Rolle wohler fühlten und sogar Frauenbewegungen unterstützten (vgl. ebd.). Weiterhin machte Pleck darauf aufmerksam, dass beim Konzept der Geschlechtsrolle zu sehr ein Bezug auf die Normen der Gesellschaft hergestellt werde und dass Zuschreibungen von Rollen in keinster Weise positiv sind (vgl. ebd., S. 44). Vielmehr ging es dem Psychologen um dem Bezug zwischen der Rolle und dem eigenen Selbst sowie die Entwicklung einer männlichen Rolle, die unabhängig von biologisch basierten Rollenannahmen der Gesellschaft entwickelt werden kann (vgl. ebd.).
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- Finn Biemüller (Autor), 2022, Männer in der Sozialen Arbeit, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1305450
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