Das Leben des Abdias verläuft in den Lebensstufen, die die Naturvorgänge nicht nur passiv abgrenzen, sondern sogar aktiv bestimmen. Noch deutlicher ist es bei seiner Tochter Ditha: Sie wird geboren, der Regen strömt herab, und ohne mehr an die Rache zu denken, wendet sich ihr Vater Abdias voller Sorge dem Kinde zu. Durch den Blitz wird sie sehen und er verhilft ihr zur Gewinnung der Außenwelt durch geistige Bildung. Sie stirbt im Gewitter durch einen anderen Blitz er wird wahnsinnig.
Der Mensch ist der Gesetzmäßigkeit der Natur nicht blindlings unterworfen, aber er kann sich ihr nicht entziehen. Die Naturgesetzlichkeit erfasst ihn auch ohne sein Wollen, sie kann ihn bedrohen, sogar vernichten, und zwar gerade dann, wenn er sie missachtet. Die Natur ist aber nicht eine fremde Macht, die den Menschen unterjocht. Die bescheidene Stellung des Menschen im Weltganzen ist keine Erniedrigung, sondern eine Verpflichtung, die Vernunft in sich entwickeln und entfalten lassen, um den echten Sinn jeder Fügung richtig zu beurteilen.
Dass eine unumstößliche Ordnung der Vernunft alles Wirkliche umspannt, wird in der Erzählung „Abdias“ zwar gesagt, aber noch nicht gestaltet. Die beiden Blitzschläge, von denen der erste Ditha sehend macht, der zweite sie tötet, sind so sonderbar, dass der Gedanke an blinde Willkür, an unergründliche Schicksalsschläge sich aufdrängt. Das Gewitter, besonders der Blitzschlag, scheint die kontinuierliche Ordnung der Natur, das „sanfte Gesetz“, zu durchbrechen: ein wunderliches oder fruchtbares Ereignis, das unvermittelt hereinbricht, wie von einer unergründlichen Macht ausgelöst. Auf beide Fälle, wo die Blitzschläge das Schicksal von Ditha und Abdias wesentlich ändern, folgt jedoch der Regenbogen, Zeichen des Friedens zwischen Himmel und Erde, bzw. Gott und Mensch. Auch die „Entfesselung“ der Elemente bleibt an die durchgängige Gesetzmäßigkeit der Natur gebunden. Stifter erkennt die Natur als schlichte Gegebenheit an, die den Menschen in ihrer Größe unendlich übergreift. Die Natur bleibt vom Schicksal eines Menschen völlig unberührt.
Inhalt:
Das Naturgesetz
Landschaft – Natur
Schilderung des „Nie-Gesehenen“
Afrika
Europa
Motive aus der Natur
Zusammenfassung
Literatur
Das Naturgesetz
Was Stifter in „Abdias“ (1842) erst andeutet und als „Naturgesetz“ bezeichnet, arbeitet er später in seiner Vorrede zur Erzählsammlung „Bunte Steine“ (1853) aus und benennt es als „Sanftes Gesetz“. Sowohl in der Vorrede zur Erzählsammlung „Bunte Steine“ als auch in der Einleitung zur Novelle „Abdias“ geht es übereinstimmend um die Korrelation und Koordination zwischen dem „Gesetz der Natur“ und den Normen des zwischenmenschlichen Verhaltens.1) Das Wort „sanft“ erscheint in Stifters Dichtung „Abdias“ mehrmals, es bezeichnet die Art und Weise, in der die Dinge auf den Menschen einwirken. Aufgrund dieser Beziehungen zwischen „Abdias“ und der Vorrede zu „Bunte Steine“ ergibt sich eine gedankliche Brücke.
Man hat die Erzählung „Abdias“ oft als Schicksalsnovelle aufgefasst und sie ist es tatsächlich in dem Sinne, dass sie vom Problem des Schicksals beherrscht wird. Von Herder hatte sich Stifter den Gedanken angeeignet, dass die Menschheit einen Weg der ununterbrochenen Höherbildung gehe. Mit Herder beschäftigt ihn nun die Frage, ob das, was dem Einzelnen als Unglück erscheint, auch diesem großen Plane diene oder ob eine dunkle Macht mit Gott in der Geschichte ringe. Herder war in seinem unerschütterlichen Idealismus zu dem Ergebnisse gekommen, dass „alle zerstörenden Kräfte in der Natur ... den erhaltenden Kräften mit der Zeitenfolge nicht nur unterliegen, sondern auch selbst zuletzt zur Ausbildung des Ganzen dienen“ müssen, dass also nicht nur das Gute, sondern auch das Böse von Gott gewollt sei, in dessen Händen alles ruht, und dass Glück wie Unglück zum Besten des Menschen und der Menschheit diene.
Mit Herder sieht Stifter in allem das „göttliche Naturgesetz“, das den Menschen durch Glück und Unglück zu seiner Bestimmung führt und nur den vernichtet, der sich in Trotz und Unverstand dagegen auflehnt.2) Unser Schicksal, das durch die Natur und ihre Erscheinungen angedeutet und verwirklicht wird, nimmt Stifter als eine „Kette der Ursachen und Wirkungen“ wahr, die Gott zulässt, wobei unsere Vernunft als „Auge der Seele“ die Aufgabe erfüllen soll, sich dem Plane des Schöpfers unterwerfen zu können.
Landschaft – Natur
Das Motiv der Natur, also insbesondere die Landschaft, nimmt in Stifters Dichtung außergewöhnlich großen Raum ein. Sie wird als etwas durch und durch „Objektives“ dargestellt, das unabhängig von allen menschlichen Deutungen besteht, und doch bleibt sie gerade in ihrer schlichten Gegebenheit nicht isoliert für sich, sondern ist grundlegend für alles Weitere. Die Landschaft ist ihrem Wesen nach nicht nur Ausschnitt, sondern Grundbestand der Welt: Natur.
Was immer in der Welt Gegenstand zu sein vermag, beruht auf Natur. Darin besteht nicht nur Abhängigkeit und Bedingtheit alles Menschlichen, der sich Stifter nach dem Überschwang der Romantik mit besonderer Aufmerksamkeit zuwendet, sondern auch Vorbild und Maß. Schlichte Ausrichtung auf Natur, Gegenständlichkeit, ist für Stifter Bestimmung des Menschen und das Grundgesetz der Kunst.3)
Stifters Personen sind in der Tat vor allem Bauer, Waldleute oder Naturforscher aus Liebhaberei. Im Falle von Abdias ist es ein Kaufmann, der sich an seinen Handelsreisen ständig unter dem freien Himmel bewegt. Es geht also in Stifters Dichtung nicht einfach um Naturdinge, sondern um Menschen und ihr Verhalten in der Natur. Stifters Dichtung ist kaum dazu angetan, unsere Naturkenntnisse zu erweitern. Die Dinge werden zwar beharrlich und in einer Ausführlichkeit beschrieben, die Charakterisierung bleibt jedoch erstaunlich allgemein. Natur ist vielmehr das, worauf der Mensch von Grund auf angelegt ist, was sich im Schrittgesetz der Erfahrung nur allmählich und nie vollständig entschließt, und was keine künstlerische Darstellung je ganz zu fassen vermag: eine immerwährende Aufgabe für den Menschen.
Natur kommt nicht nur als Landschaft vor, auf die Stifters Personen hin und wieder einen Blick werfen oder die bei Gelegenheit in einem Ausflug aufsuchen könnten. Die Natur in und außer dem Menschen ist dasjenige, was das Wesen des Menschen und der Dinge ausmacht und als solches besonders die materielle Natur, zu der der Mensch auch als Glied gehört. Die Bedrohung unserer physischen Existenz durch die Macht der Natur ist Anlass, uns der Unbedingtheit unserer freien Persönlichkeit, ihrer Erhabenheit über die Natur bewusst zu werden.
In der Einöde, die gerade in „Abdias“ so oft vorkommt und beschrieben wird, sieht der Mensch ganz geringfügig aus, aber erst mit diesen Menschen, die Still und ehrfurchtsvoll vor der Natur stehen, gewinnt die Landschaft ihre Größe. Bei Stifter wird der Mensch seiner Kleinheit und der Erhabenheit der Natur von allem angesichts der endlosen Einöde inne: die Stifterische Variante zum Theoretischerhabenen Schillers.4)
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1) Kühlmann, Wilhelm: Von Diderot bis Stifter. Das Experiment aufklärerischer Anthropologie in Stifters Novelle „Abdias“ In: Adalbert Stifter. Dichter und Maler. Hrsg. von Laufhütte/Möseneder. Tübingen 1996. S. 395.
2) Pouzar, Otto: Ideen und Probleme in Adalbert Stifters Dichtungen. In: Prager Deutsche Studien. Hrsg. Von Erich Gierach und Adolf Hauffen, 43. Heft, Reichenberg in B. 1928, S. 30.
3) Mettler, Heinrich: Natur in Stifters frühen „Studien“. Zu Stifters gegenständlichem Stil. Zürich u. Freiburg i. Br. 1968 (= Zürcher Beiträge zur Literatur- und Geistesgeschichte 31), S. 9.
4) vgl. Mettler, 19-44.
- Citation du texte
- Anezka Misonová (Auteur), 2007, Einfluss der Natur auf Verhalten der Hauptpersonen Abdias und Ditha in der Erzählung "Abdias" von Adalbert Stifter, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/130486
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