Die ‚Überwachung‘ ist Gegenstand verschiedener wissenschaftlicher Disziplinen. Bis heute prägt Michel Foucaults: „Überwachen und Strafen“ (1976) die Forschung. Der Philosoph stellte das Konzept des ‚Panoptikums‘ auf – die Entwicklung eines Modells gesellschaftlicher Überwachung des 18. und beginnenden 19. Jahrhunderts. Seit den 1990er Jahren beschäftigt sich auch die Filmkunst mit dem Überwachungsphänomen. So wird es zum Gegenstand verschiedener Genres wie Thriller, Science-Fiction, Action, Komödie und Satire. Fiktionale Filme der Überwachung besitzen laut Kilian Hauptmann, Martin Hennig und Hans Krah in ihrer Narration eine spezielle Eigenlogik, die an mediale Kontexte und kulturelle Entwicklungen gebunden ist, wobei sie eigenständige Modelle und Bedeutungen produzieren. So behandeln neueste Überwachungsfilme etwa die unüberwindbare digitale Überwachung. Diese werden Sabrina Huber nach, häufig in Form dystopischer Zukunftsszenarien im Sinne einer Prävention gegen einen Ablauf von Dingen, der niemals eintreten soll, inszeniert. So auch in dem US-amerikanischen Science-Fiction-Thriller ‚The Circle‘ von James Ponsoldt (2017), der auf dem gleichnamigen Bestsellerroman von Dave Eggers (2013) beruht. In dem Film geht es um den IT-Konzern „The Circle“, der sich durch neueste technologische Innovationen zu einem mächtigen ökonomischen, politischen und gesellschaftlichen Akteur aufgeschwungen hat. Im Film wird die Entwicklung einer ‚Transparenzgesellschaft‘ vorgeführt, indem die Probleme des Sichtbarwerdens durch das Internet thematisiert werden. Der Film ist Gegenstand dieser Arbeit. Er wird hinsichtlich des ‚Panoptikums‘ untersucht, mit dem Ziel, festzustellen, inwiefern eine Verbindung zwischen dem Überwachungs-Modell und dem Circle hergestellt werden kann. Er wurde für die Analyse ausgewählt, weil er in überspitzter Weise einen Bezug zur Wirklichkeit besitzt und durch seine filmischen Möglichkeiten, im Gegensatz zum Roman, Überwachung auf einer weiteren (technischen) Ebene präsentiert. Nach einer theoretischen Einführung des ‚Panoptikums‘ nach Foucault und der Weiterentwicklung des Modells bis heute, wird die Überwachung im Film erst auf inhaltlicher und anschließend auf technischer Ebene analysiert. Im Fazit werden die Erkenntnisse der Analysen außerdem mit aktuellen Überwachungstendenzen im 21. Jahrhundert verglichen.
Inhaltsverzeichnis
1. Das Phänomen der (digitalen) ‚Überwachung‘
2. Theoretische Einführung: Das ‚Panoptikum‘ – von Foucault bis in die Gegenwart
3. Analyse des Panoptikums. In: „The Circle“ (2017), James Ponsoldt
3.1 inhaltliche Ebene
3.2 technische Ebene
4. Fazit und Ausblick
Literaturverzeichnis
1. Das Phänomen der (digitalen) ‚Überwachung‘
Bei der ‚Überwachung‘ handelt es sich um ein Phänomen, das einem stetigen historischen Wandel unterliegt, weshalb eine einheitliche Begriffsbestimmung als nicht möglich erscheint.1 Sie umfasst nach Nils Zurawski Praktiken des Beobachtens, Kontrollierens und der Überprüfung zum Zwecke einer Macht- und Herrschaftssicherung. Er bezeichnet die Überwachung als wichtiges Merkmal der Moderne.2 Dem stimmt auch José Van Dijck zu, der das aktuelle Zeitalter als „a form of continous surveillance through the use of (meta) data” charakterisiert.3 Denn durch die Nutzung des Internets werden digitale Spuren hinterlassen, welche immer häufiger von Privatunternehmen generiert, ausgewertet und in Datenbanken gespeichert werden.4
Die ‚Überwachung‘ ist Gegenstand verschiedener wissenschaftlicher Disziplinen.5 Bis heute prägt Michel Foucaults: „Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses“ (1976)6 die Forschung. Der Philosoph stellte in Anlehnung an eine Theorie Jeremy Benthams (1791)7 das Konzept des ‚Panoptikums‘ auf – die Entwicklung eines Modells gesellschaftlicher Überwachung des 18. und beginnenden 19. Jahrhunderts. Unter Berücksichtigung der Digitalisierung wird seine Theorie unter anderem von Gilles Deleuze und Byung-Chul Han neu bewertet.
Seit den 1990er Jahren beschäftigt sich auch die Filmkunst mit dem Überwachungsphänomen. Die Anzahl der Filme, die das Phänomen motivisch, thematisch, dramaturgisch oder auch durch eine spektakuläre Ästhetik behandeln, wächst kontinuierlich.8 So wird es zum Gegenstand verschiedener Genres wie Thriller, Science-Fiction, Action, Komödie und Satire.9 Zu den bekanntesten Filmen gehören: “The Truman Show“ (USA 1998), „Disturbia“ (USA 2007) und „Snowden“ (USA, 2016).10 Fiktionale Filme der Überwachung besitzen laut Kilian Hauptmann, Martin Hennig und Hans Krah in ihrer Narration eine spezielle Eigenlogik, die an mediale Kontexte und kulturelle Entwicklungen gebunden ist, wobei sie eigenständige Modelle und Bedeutungen produzieren. So behandeln neueste Überwachungsfilme etwa die unüberwindbare digitale Überwachung.11 Diese werden Sabrina Huber nach, häufig in Form dystopischer Zukunftsszenarien im Sinne einer Prävention gegen einen Ablauf von Dingen, der niemals eintreten soll, inszeniert.12 So auch in dem US-amerikanischen Science-Fiction-Thriller „The Circle“ von James Ponsoldt (2017)13, der auf dem gleichnamigen Bestsellerroman von Dave Eggers (2013)14 beruht. In dem Film, in dem Hollywoodstars wie Tom Hanks und Emma Watson mitwirken, geht es um den IT-Konzern „The Circle“, der sich durch neueste technologische Innovationen zu einem mächtigen ökonomischen, politischen und gesellschaftlichen Akteur aufgeschwungen hat. Im Film wird die Entwicklung einer ‚Transparenzgesellschaft‘ vorgeführt, indem die Probleme des Sichtbarwerdens durch das Internet thematisiert werden.15
Der Film ist Gegenstand dieser Arbeit. Er wird hinsichtlich des ‚Panoptikums‘ untersucht, mit dem Ziel, festzustellen, inwiefern eine Verbindung zwischen dem Überwachungs-Modell und dem Circle hergestellt werden kann. Er wurde für die Analyse ausgewählt, weil er in überspitzter Weise einen Bezug zur Wirklichkeit besitzt und durch seine filmischen Möglichkeiten, im Gegensatz zum Roman, Überwachung auf einer weiteren (technischen) Ebene präsentiert. Nach einer theoretischen Einführung des ‚Panoptikums‘ nach Foucault und der Weiterentwicklung des Modells bis heute, wird die Überwachung im Film erst auf inhaltlicher und anschließend auf technischer Ebene analysiert. Auf inhaltlicher Ebene werden die wichtigsten Überwachungsarten- und formen, die im Film vorkommen, untersucht. Die technische baut auf die inhaltliche Ebene auf, indem sie sie bildlich verstärkt. Im Fazit werden die Erkenntnisse der Analysen außerdem mit aktuellen Überwachungstendenzen im 21. Jahrhundert verglichen.
2. Theoretische Einführung: Das ‚Panoptikum‘ – von Foucault bis in die Gegenwart
Die Grundlage des gesellschaftlichen Panoptikums nach Foucault bildet die architektonische Konzeption eines Modell-Gefängnisses nach Jeremy Bentham (1791). Dieser entwarf eine ringförmige Gefängnisanlage an der Peripherie, in der die Gefangenen in ihren Zellen durch Trennwände voneinander separiert werden. Um die Zellen herum, in der Mitte des Gebäudes, befindet sich ein Turm, von dem aus die Gefangenen der Beobachtung durch einen Aufseher ausgesetzt sind. Durch die architektonisch bedingte Lenkung des Lichts kann der Aufseher zwar die Gefangenen, die Gefangenen aber nicht den Aufseher sehen. In der panoptischen Funktionsweise der Architektur geht Bentham davon aus, dass die Schaffung eines bewussten und permanenten Sichtbarkeitszustandes beim Gefangenen das automatische Funktionieren der Macht sicherstellt, obwohl ihre Durchführung nur sporadisch ist.16 Den Kern seiner Idee stellt das panoptische Prinzip asymmetrischer Blicke dar: „Seeing without being seen“17.
Foucault überträgt Benthams Modell im Jahr 1976 von seiner architektonischen Form auf die Gesellschaft.18 Er interpretiert das Panoptikum als verallgemeinerungsfähiges Funktionsmodell, das vielseitig auf alle Anstalten, in denen Personen unter Aufsicht stehen, übertragbar ist und nach dem die Körper der Überwachten zu gelehrten Körpern geformt werden19:
Derjenige, welcher der Sichtbarkeit unterworfen ist und dies weiß, übernimmt die Zwangsmittel der Macht und spielt sie gegen sich selber aus; er internalisiert das Machtverhältnis, in welchem er gleichzeitig beide Rollen spielt; er wird zum Prinzip seiner eigenen Unterwerfung.20
Demnach kommt es durch die Internalisierung, also dem Wissen der unter Aufsicht stehenden Individuen darüber, dass sie einer ständigen Beobachtung ausgesetzt sind, zu einer Verstärkung des Machtapparates. Die Macht vollzieht sich automatisch, ohne dass noch ein Eingreifen des Aufsehers notwendig ist. Aus diesem Grund können laut Foucault immer weniger Aufseher immer mehr zu Überwachende unter Beobachtung stellen.21 Durch diese Annahme grenzt er sich wie folgt von dem Konzept Benthams ab: „Die Sehmaschine, die eine Art Dunkelkammer zur Ausspähung der Individuen war, wird ein Glaspalast, in dem die Ausübung der Macht von der gesamten Gesellschaft durchschaut und kontrolliert werden kann.“22 Als wichtigste Formel der Machtsicherstellung sieht Foucault die Disziplinierung an, welche im 17. und 18. Jahrhundert wesentlich den Gesellschaftskörper durchdrungen habe und positive Verhaltensweisen ohne Gewaltanwendungen hervorrief. Foucault charakterisiert das Panoptikum deshalb als Maschine für Experimente zur Verhaltensänderung, Dressur und Korrektur von Individuen, wodurch sich die ‚Disziplinargesellschaft‘ entwickelte.23
Seit den 1990er Jahren ist sich die Forschung darüber einig, dass Foucaults Konzept des Panoptikums für die Analyse neuer (technischer) Formen der Überwachung erweitert werden muss, da es mittlerweile ohne Begrenzungen, Mauern und Wächter funktioniert.24 Deleuze gilt laut Martin Blumenthal-Barby als einer der prominentesten Autoren, der die Gesellschaftsordnung 1993 umformulierte25: „Wir treten ein in Kontrollgesellschaften, die nicht mehr durch Internierung funktionieren, sondern durch unablässige Kontrolle und unmittelbare Kommunikation.“26 Deleuze erklärt den gesellschaftlichen Wandel damit, dass Foucaults Prinzip des „Einschließungsmilieus“ in den Institutionen ab der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts durch einen Fortschritt permanenter Kontrolle im offenen Milieu abgelöst wurde.27 Dem zustimmend, führt Petra Gehring als Beispiel die Sammlung von verhaltens- und konsumrelevanten Alltagsdaten an, die wie eine panoptisch getriebene Praktik im öffentlichen Raum erscheinen, wie zum Beispiel die Videoüberwachung.28 Deleuze erklärt außerdem, dass nicht mehr länger der Körper, sondern der Geist einer Kontrolle unterworfen ist – Durch die zunehmende Digitalisierung des modernen Lebens:
Die Kontrollgesellschaften operieren mit […] Informationsmaschinen und Computern, deren passive Gefahr in der Störung besteht und deren aktive Gefahr Computer-Hacker und elektronische Viren bilden. Es ist nicht nur eine technologische Entwicklung, sondern eine tiefgreifende Mutation des Kapitalismus.29
Foucaults Begriff des ‚Panoptikums‘ wurde aufgrund Deleuzes Erkenntnisse in den Wissenschaften mehrfach neu formuliert: vom ‚Pädagopticon‘ über das ‚Polyopticon‘ bis zum ‚Panspectron‘30 sowie dem ‚globalen Superpanoptikum‘31. Laut Jörg Metelmann kontrolliert sich die Gesellschaft des 21. Jahrhunderts sogar selbst, weshalb er im Sinne Randolph Lewis` von einem ‚Funopticon‘ spricht:
Die Bürgerinnen und Bürger tragen als Kundinnen und Kunden mit ihrer Netzaktivität willentlich und gut gelaunt dazu bei, dass nicht nur die Geheimdienste, sondern auch private Firmen wie die Internetgiganten Google, Facebook, Amazon & Co. über ihre teilweise intimsten Daten verfügen. Die Menschen im Online-Modus sind „Komplizen des Erkennungsdienstes“.32
Durch diesen Wandel, so Metelmann, sei das Innere der Individuen keine „Black Box“ mehr wie bisher, das durch Kontrollblicke gesteuert und geformt wird. Er bezeichnet es vielmehr als ‚transparent‘.33 Schroer stellt ergänzend fest, dass die „einstmals stets als bedrohlich und passiv wahrgenommene Situation des Beobachtetwerdens […] zu einer förmlich gesuchten und erwünschten Lage [wird]. Die mangelnde Angst vor der Überwachung geht mit der steigenden Lust am Beobachtetwerden einher.“34 Byung-Chul Han formuliert in diesem Sinne die Entwicklung der ‚Transparenzgesellschaft‘ als Beginn eines ‚aperspektivischen Panoptikums‘: „Die aperspektivische Durchleuchtung ist wirksamer als die perspektivische Überwachung, weil man von allen Seiten, von überall her, ja von jedem ausgeleuchtet werden kann.“35 Die Besonderheit heutiger Gesellschaft sei nach Han, dass die Bewohner selbst an dem Bau des digitalen Panoptikums mitwirken,36 wodurch sich ein ökonomisch motivierter Transparenzzwang ergibt.37 Han fasst die gegenwärtige gesellschaftliche Entwicklung wie folgt zusammen:
Heute entwickelt sich der ganze Globus zu einem Panoptikum. Es gibt kein Außerhalb des Panoptikums. Es wird total. […] Google und soziale Netzwerke, die sich als Räume der Freiheit präsentieren, nehmen panoptische Formen an. Heute vollzieht sich die Überwachung nicht, wie man gewöhnlich annimmt, als Angriff auf die Freiheit. Man liefert sich vielmehr freiwillig dem panoptischen Blick aus. Man baut geflissentlich mit am digitalen Panoptikum, indem man sich entblößt und ausstellt. Der Insasse des digitalen Panoptikums ist Opfer und Täter zugleich. Darin besteht die Dialektik der Freiheit. Die Freiheit erweist sich als Kontrolle.38
3. Analyse des Panoptikums. In: „The Circle“ (2017), James Ponsoldt
3.1 inhaltliche Ebene
Ponsoldts Spielfilm handelt von der 24-jährigen Mae Holland, die auf Empfehlung ihrer besten Freundin Anni im Kundendienst des mächtigen IT-Konzerns „The Circle“ eingestellt wird. Von einer anfänglichen Skepsis gegen die auf Social-Media basierten technologischen Entwicklungen des Circles heraus, entwickelt sie schnell eine zunehmende Begeisterung für diese. Höhepunkt des Films stellt Maes Aufstieg im Unternehmen dar. Durch die Identifizierung mit den Ideologien des Konzerns wird sie zur Repräsentantin der ‚Transparenz‘. Bei der Transparenz handelt es sich um eine ideologische Vorstellung des Circles, die eine Ausweitung der Macht durch (digitale) Überwachung sicherstellt. Überwachung findet im Film auf verschiedene Arten statt. Alle Überwachungsarten besitzen die Gemeinsamkeit, dass sie nicht, wovon einst Bentham und Foucault ausgingen, auf institutioneller Ebene,39 sondern mit den Worten Deleuzes gesagt, im „offenen Milieu“ stattfinden.40
Eine wichtige Technologie zur Erzeugung digitaler Überwachung stellt im Film die Internetplattform ‚TruYou‘ dar, auf der Überwachung in Form einer Kontrolle von Social-Media-Aktivitäten geschaffen wird. Mit der Anlegung eines ‚TruYou‘-Accounts soll dem Konzern nach eine alltagspraktische, einfache Vernetzung gelingen, sowie eine Optimierung zum Schutze der Sicherheit. So wirbt der Konzern mit der Zusammenführung digitaler Benutzerkonten, um mehrere digitale Identitäten im Internet zum Zwecke einer Kriminalitätsbekämpfung zu minimieren.41 Tatsächlich aber werden die Nutzer permanent aufgefordert, zur Teilnahme am Gemeinschaftsleben jegliche Aktivitäten mit anderen Nutzern der Circle-Community auf ‚TruYou‘ zu teilen. So fragt Circle-Mitarbeiterin Gina: „Kommunikation ist doch sicherlich nichts Außerbetriebliches, oder?“, um Mae daran zu erinnern, mehr auf ‚TruYou‘ aktiv zu werden. Infolgedessen arbeitet Mae 8.000 unbeantwortete Social-Media Nachrichten der letzten Woche ab.42 Szilvia Gellai sowie Liane Schüller und Rainer Schüller-Fengler erkennen dies als eine Grenzüberschreitung zwischen Berufs- und Privatleben.43 44 Trotzdem erfolgt eine rasche Unterordnung Maes in das System.45 Denn Mae ist es, die im Laufe des Films vorschlägt, den ‚Tru-You‘-Account für alle Staatsbürger des Landes zu verpflichten, um eine 100%ige Wahlbereitschaft zu erreichen. Sie spricht im Zuge dessen – bereits von den Ideologiegedanken der Gründer umfassend manipuliert worden – von einer „echten“ Demokratie.46 Durch Social-Media-Aktivitäten im Internet wird es möglich, dass Nutzer andere Nutzer permanent überwachen können. Auch liefern sich die Nutzer der Überwachung selbst aus, indem sie freiwillig Daten über sich preisgeben. Nach Metelmann ist das Innere der Figuren somit keine „Black Box“ mehr.47 Leon Hempel und Metelmann erklären die freiwillige Datenpreisgabe wie folgt: „Die als bedrohlich und passiv wahrgenommene Situation des Beobachtetwerdens wird zu einer aktiv gesuchten und erwünschten Lage.“48 Jegliche Negativität wie Datenmissbrauch werde nach Han zugunsten einer Positivität ausgeblendet49:
Die sozialen Medien und personalisierten Suchmaschinen errichten im Netz einen absoluten Nahraum, in dem das Außen eliminiert ist. Dort begegnet man nur sich und seinesgleichen. Es ist keine Negativität mehr vorhanden, die eine Veränderung möglich machen würde. Diese digitale Nachbarschaft präsentiert dem Teilnehmer nur jene Ausschnitte der Welt, die ihm gefallen. So baut sie die Öffentlichkeit, das öffentliche, ja kritische Bewusstsein ab und privatisiert die Welt.50
Das habe nach Schüller und Schüller-Fengler den Verlust der eigenen Autonomie sowie selbstreflexiver und kritischer Vernunft zur Folge.51 Da der Überwachte selbst zum Überwacher und andersherum werden kann, verschwimmen die Grenzen des im Foucault‘schen Modell angeführten Aufsehers und seiner Überwachten,52 was zu einer Umdeutung seines Konzepts führt. Trotzdem kann in Foucaults Sinne von einer Disziplinierung gesprochen werden, denn Mae diszipliniert sich vor allem zu Beginn des Films, keine Nachrichten unbeantwortet zu lassen, bis sich ihr Kontrollverhalten der Social-Media-Aktivitäten internalisiert.
Eine Steigerung der Überwachung wird durch die Video-Stream-Technologie ‚SeeChange‘ erzeugt. Mittels winziger Kameras, die an beinahe jedem Ort der Welt (unbemerkt) platziert werden, soll es möglich sein, diese per Livestream über den ‚TruYou‘-Account rund um die Uhr digital zu besichtigen. Gleichzeitig werden Echtzeitdaten wie Luftqualität, Verkehrsaufkommen, Wetter, Biometrie und Gesichtserkennung ausgewertet, wobei die Daten abrufbar und für das Gemeinwohl gespeichert werden. Der Preis dieser Kameras soll unter dem einer Jeans liegen,53 was bedeutet, dass Überwachung neuerdings ohne jedes Aufkommen von Kosten stattfinden kann und einer Vermehrung somit keine Probleme entgegentreten. Den Zweck für ‚SeeChange‘ sieht einer der Gründer des Circles, Bailey, wie auch bei der Anlegung eines ‚TruYou‘-Accounts in dem Aufspüren von Kriminellen: „Tyrannen und Terroristen können sich nicht länger verstecken. Denn wir werden sie sehen. Wir werden sie hören. Wir hören und sehen einfach alles. Was passiert, wird bekannt sein.“54 Videoüberwachung wird nach Hempel und Metelmann auch in der Realität mit einem Sicherheits- und Schutzbedürfnis der Gesellschaft erklärt, teilweise wird sie sogar aus Angst vor Terroraktivitäten erwünscht.55 Clive Norris fügt mit Verweis auf Foucaults Panoptikum hinzu: „Da man unmöglich wissen kann, ob man gerade beobachtet wird, birgt die Videoüberwachung außerdem – wie das Panopticon – das Potenzial der Schaffung eines bewußten und permanenten Sichtbarkeitszustandes beim Gefangenen, der das automatische Funktionieren der Macht sicherstellt.“56 Auch Schüller und Schüller-Fengler erkennen durch die ‚SeeChange‘ Kameras eine mögliche Entwicklung zur totalen Überwachung, die in abgewandelter Form an Foucaults Panoptikum anknüpft.57
Doch die ‚SeeChange‘ Kameras sollen nicht nur der Überwachung von Orten, sondern auch der von Menschen dienen. So entscheidet sich Mae im Laufe des Films durch das permanente Tragen einer ‚SeeChange‘ Kamera, die sie an ihr Oberteil befestigt, freiwillig zur Transparenz, nachdem bereits eine Politikerin den ersten Schritt dafür geebnet hat.58 Grund dafür stellt ihr Kajak-Diebstahl dar – denn Mae wäre beinahe auf offenen Meer ertrunken, hätte nicht eine ‚SeeChange‘ Kamera sie am Strand gefilmt und gerettet, indem die Polizei alarmiert wurde.59 Rund um die Uhr wird sie fortan von einer Body-Kamera begleitet, die per Livestream Maes Leben mit anderen Nutzern öffentlich teilt. Sinn dahinter sieht die Protagonistin in dem Anreiz zur Selbstoptimierung: „Geheimnisse sind Lügen. Geheimnisse machen Straftaten erst möglich. Wir verhalten uns weniger gut, wenn wir nicht haftbar sind. Das Böse in mir konnte gewinnen, weil ich eher dachte, es könnte niemand sehen.“60 Durch den Schritt zur Selbsttransparenz wird Mae zur Symbolfigur der Überwachung im Circle. Wirft man einen Blick auf Foucaults Theorie, kann man einerseits feststellen, dass eine Überwachung von Maes Körper stattfindet, indem die Kamera sie auf Schritt und Tritt durch den Tag begleitet, andererseits wird Kontrolle durch die Maxime des Kapitalismus nach Deleuze erwirkt. So erklären Hennig und Krah: „Die Kontrollgesellschaft ist […] ausnahmslos den Maximen des Kapitalismus unterworfen, an denen sich sämtliche gesellschaftliche Systeme […] orientieren. Dies führt dazu, dass ökonomische Praktiken sich auch auf die Subjekte selbst verlagern.“61 Die Kontrollgesellschaften seien von einer permanenten Konkurrenz und Rivalität geprägt, wodurch eine kontinuierliche Selbstbeobachtung- und optimierung entsteht, die von den Individuen als Norm internalisiert wird.62
Eine ganz andere Form der Überwachung liefert das Gesundheitsarmband, das Mae kurz nach ihrer Einstellung erhält. Für die Synchronisierung mit dem Armband wird Mae gebeten, eine Flüssigkeit zu sich zu nehmen, ohne dass sie zunächst darüber aufgeklärt wird, dass darin ein Chip enthalten ist, der sich in ihrem Magen mit dem Armband synchronisiert. Sie soll das Armband rund um die Uhr tragen, damit ihre Daten in Echtzeit „getrackt“ werden können.63 Das Selftracking basiert laut Andreas Hepp und Herbert Halem auf virtualisierter Kommunikation mit einem Softwaresystem, über das willentlich generierte und analysierte digitale Spuren als singuläre Kommunikationsakte mit einem Datendouble präsentiert werden.64 Circle-Ärztin Jessica erklärt Mae:
[Das Armband] […] zeichnet Herzfrequenz, Blutdruck, Cholesterinwerte, Schlafdauer und Schlafqualität auf sowie Verdauungseffizienz und so weiter. Diese Daten liegen dann in der Cloud und auf deinem Tablet vor, wo auch immer du bist. Und wir können sie mit den Daten anderer Circler vergleichen. Du würdest staunen, wie uns die Muster, die sich uns ergeben, erlauben, Probleme vorzeitig zu erkennen.65
Ziel des Tragens dieses Armbandes stellt demnach eine Leistungsoptimierung dar. Überwachung und Datenauswertung erfolgen permanent. Laut Hennig und Krah werde mit dem Armband ein bestimmtes Menschenbild fokussiert, „das über nummerische, datengeschützte Optimierungsstrategien erreicht werden soll“.66 Gellai sieht darin die Entscheidung zur freiwilligen Transparenz: „Der gläserne Mensch ist derjenige, der freiwillig zu jener Projektion erstarrt, die sich aus seinen Daten berechnen lässt; der, für den Wissbarkeit und Kontrolle als oberste Prioritäten sogar physische wie gedankliche Bewegungsfreiheit aufwiegen.“67 Nach Hepp und Halem wird Selbstvermessung genutzt, um eine Art externe Autorität zu konstruieren, die sich selbst diszipliniert und der ganz und gar unproblematisch entgegengetreten wird.68 Maes Leben wird nach Hennig und Krah zur Ware, wobei es anhand ökonomischer Maxime des Digitalkonzerns restrukturiert wird.69 Disziplin und Kontrolle sind somit typische Merkmale von Individuen, die sich der Selftracking Technologien bedienen.
[...]
1 Vgl. Hempel, Leon und Metelmann, Jörg: Wir haben gerade erst begonnen. Überwachen zwischen Klassifikation und Ethik des Antlitzes. Interview mit David Lyon. In: Bild-Raum-Kontrolle. Videoüberwachung als Zeichen gesellschaftlichen Wandels. Hg. v. Leon Hempel und Jörg Metelmann. Frankfurt a. M. Suhrkamp: 2005, S. 23.
2 Vgl. Zurawski, Nils: Einleitung: Surveillance Studies. Perspektiven eines Forschungsfeldes. In: Surveillance Studies. Perspektiven eines Forschungsfeldes. Hg. v. Nils Zurawski. Opladen & Farmington Hills. Barbara Budrich: 2007, S. 8 ff.
3 Vgl. Van Dijck, José: Datafication, Dataism and Dataveillance. Big Data between Scientific Paradigm and Ideology. In: Surveillance & Society. Nr. 2, 2014, S. 198.
4 Vgl. Schulzki-Haddouti, Christiane: Gläserner Bürger 2.0. In: Surveillance Studies, S. 25. Dieses Thema ist aktueller Streitpunkt einer Debatte zwischen dem US-amerikanischen IT-Unternehmen ‚Meta Platforms‘ und der EU. Hintergrund ist, dass Meta bislang automatisch Daten der EU-Bürger auf Servern in die USA weiterleitete, um sie dort für eigene Zwecke weiterzuverarbeiten. Die EU hält die Daten dort aber für nicht ausreichend geschützt, weshalb sie künftig nicht mehr ohne Prüfung in die USA übermittelt werden sollen. Meta droht der EU deshalb mit der Konsequenz, seine Dienste in der EU abzuschalten. Quelle: ARD-Tagesschau: Drohung von Meta. Unter: https://www.instagram.com/p/CZu0FCRqZf_/. Zuletzt abgerufen am 21.02.2022, 16:34 Uhr.
5 Vgl. Zurawski: Einleitung: Surveillance Studies, S. 7.
6 Foucault, Michel: Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses. Frankfurt a. M. Suhrkamp: 1976.
7 Bentham, Jeremy (1791): Panopticon: Or The Inspection-House. In: The Panopticon Writings. Hg. v. Miran Bozovic. London. Verso: 1995.
8 Vgl. Kammerer, Dieter: Überwachung als filmische Form. In: Narrating Surveillance – Überwachen erzählen. Hg. v. Betiel Wasihun. Baden-Baden. Ergon: 2019, S. 76.
9 Vgl. Schroer, Markus: Beobachten und Überwachen im Film. In: Gesellschaft im Film. Hg. v. Markus Schroer. Konstanz. UVK: 2007, S. 52.
10 Vgl. Hennig, Martin und Krah, Hans: Typologie, Kategorien, Entwicklung von Überwachungsnarrativen: zur Einführung. In: Narrative der Überwachung. Typen, mediale Formen und Entwicklungen. Hg. v. Kilian Hauptmann, Martin Hennig und Hans Krah. Berlin. Peter Lang: 2020, S. 45.
11 Vgl. Hauptmann, Kilian, Hennig, Martin und Krah, Hans: Einleitung. In: Narrative der Überwachung, S. 7.
12 Vgl. Huber, Sabrina: Literarische Narrative der Überwachung – alte und neue Spielformen der dystopischen Warnung. In: Narrative der Überwachung, S. 50 ff.
13 The Circle. USA 2017. Regie: James Ponsoldt.
14 Eggers, Dave: The Circle. A novel. New York. Alfred A. Knopf: 2013.
15 Vgl. Hennig und Krah: Typologie, Kategorien, Entwicklung von Überwachungsnarrativen, S. 43 f.
16 Vgl. The Panopticon Writings. Hg. v. Bozovic, S. 4 ff. In: Foucault: Überwachen und Strafen, S. 256 ff.
17 Vgl. ebd., S. 10.
18 Vgl. Foucault: Überwachen und Strafen, S. 259 f.
19 Vgl. ebd., S. 263 f.
20 Ebd., S. 260.
21 Vgl. ebd., S. 264 f.
22 Ebd., S. 266 f.
23 Vgl. Foucault: Überwachen und Strafen, S. 261.
24 Vgl. Zurawski: Einleitung: Surveillance Studies, S. 13 f.
25 Vgl. Blumenthal-Barby, Martin: Der asymmetrische Blick. Film und Überwachung. Paderborn. Wilhelm Fink: 2016, S. 13 f.
26 Deleuze, Gilles: Unterhandlungen. 1972-1990. Frankfurt a. M. Suhrkamp: 1993, S. 250.
27 Vgl. ebd., S. 254 f.
28 Vgl. Gehring, Petra: Das invertierte Auge. Panopticon und Panoptismus. In: 40 Jahre Überwachen und Strafen. Zur Aktualität der Foucault`schen Machtanalyse. Hg. v. Marc Rölli und Roberto Nigro. Bielefeld. Transcript: 2017, S. 22.
29 Deleuze: Unterhandlungen, S. 259.
30 Vgl. Reichardt, Sven: Einführung: Überwachungsgeschichte(n): Facetten eines Forschungsfeldes. In: Geschichte und Gesellschaft. Göttingen. Vandenhoeck & Ruprecht: 2016, S. 12.
31 Vgl. Zurawski: Einleitung: Surveillance Studies, S. 13 f.
32 Metelmann, Jörg: Vom ‘Big Brother’ zum ‘Big Other’: Verhaltenskontrolle im Überwachungskapitalismus am Beispiel des Spielfilms Ex Machina. In: Narrating Surveillance, S. 132.
33 Vgl. ebd., S. 136.
34 Schroer: Beobachten und Überwachen im Film, S. 331.
35 Han, Byung-Chul: Transparenzgesellschaft. Berlin. Matthes & Seitz: 2012, S. 74 f.
36 Vgl. ebd., S. 76.
37 Vgl. ebd., S. 80.
38 Ebd., S. 81 f.
39 Vgl. Foucault: Überwachen und Strafen, S. 263 f.
40 Vgl. Deleuze: Unterhandlungen, S. 254 f.
41 Vgl. The Circle. R.: Ponsoldt, 0:06:13-0:06:33.
42 Vgl. ebd., 0:28:29-0:32:26.
43 Vgl. Gellai, Szilvia: Der gläserne Mensch in Dave Eggers` The Circle. In: Technisierte Lebenswelt. Über den Prozess der Figuration von Mensch und Technik. Hg. v. Marie Helene Adam, Szilvia Gellai und Julia Knifka. Bielefeld. Transcript: 2016, S. 297.
44 Vgl. Schüller, Liane und Schüller-Fengler, Rainer: „Die ich rief, die Geister, wird ich nun nicht los“. Intelligente Systeme zur Überwachung in Alltag und Literatur. In: Orwells Enkel. Überwachungsnarrative. Hg. v. Werner Jung und Liane Schüller. Bielefeld. Aisthesis: 2019, S. 16.
45 Vgl. Gellai: Der gläserne Mensch in Dave Eggers` The Circle, S. 296.
46 Vgl. The Circle. R.: Ponsoldt, 1:07:36-1:11:42.
47 Vgl. Metelmann: Vom ‘Big Brother’ zum ‘Big Other’, S. 136.
48 Hempel und Metelmann: Wir haben gerade erst begonnen, S. 326.
49 Vgl. Han: Transparenzgesellschaft, S. 5.
50 Ebd., S. 58 f.
51 Vgl. Schüller und Schüller-Fengler: „Die ich rief, die Geister, wird ich nun nicht los“, S. 16.
52 Vgl. Foucault: Überwachen und Strafen, S. 264 f.
53 Vgl. The Circle. R.: Ponsoldt, 0:11:46-0:16:03.
54 Ebd., 0:17:01-0:17:17.
55 Vgl. Hempel und Metelmann: Wir haben gerade erst begonnen, S. 325 f.
56 Norris, Clive: Vom Persönlichen zum Digitalen. Videoüberwachung, das Panoptikum und die technologische Verbindung von Verdacht und gesellschaftlicher Kontrolle. In: Bild-Raum-Kontrolle. Hg. v. Hempel und Metelmann, S. 360.
57 Vgl. Schüller und Schüller-Fengler: „Die ich rief, die Geister, wird ich nun nicht los“, S. 20.
58 Vgl. The Circle. R.: Ponsoldt, 0:37:53-0:39:09.
59 Vgl. ebd., 0:48:39-0:51:19.
60 Ebd., 0:53:18-0:55:34.
61 Hennig und Krah: Typologie, Kategorien, Entwicklung von Überwachungsnarrativen, S. 38.
62 Vgl. ebd., S. 38.
63 Vgl. The Circle. R.: Ponsoldt, 0:34:13-0:36:18.
64 Vgl. Hepp, Andreas und Halem, Herbert: Auf dem Weg zur digitalen Gesellschaft. Über die tiefgreifende Mediatisierung der sozialen Welt. Köln. Herbert von Halem: 2021, S. 224.
65 The Circle. R.: Ponsoldt, 0:35:17-0:35:55.
66 Vgl. Hennig und Krah: Typologie, Kategorien, Entwicklung von Überwachungsnarrativen, S. 41.
67 Vgl. Gellai: Der gläserne Mensch in Dave Eggers` The Circle, S. 303.
68 Vgl. Hepp und Halem: Auf dem Weg zur digitalen Gesellschaft, S. 227 f.
69 Vgl. Hennig und Krah: Typologie, Kategorien, Entwicklung von Überwachungsnarrativen S. 44.
- Quote paper
- Katja Wiemers (Author), 2022, Das (digitale) Panoptikum. Überwachung im Film "The Circle" (2017) von James Ponsoldt, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1301449
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