Um dem Ziel Schule inklusiv zu gestalten näher zu kommen, ist es daher unter anderem interessant zu ermitteln, wie Menschen mit Behinderung, speziell Schüler:innen, gefördert werden können, um auch ihnen die Teilhabe an der Gesellschaft und an der Regelschule zu vereinfachen. Da sich die Prävalenz von Menschen innerhalb des Autismus-Spektrums vervielfältigt hat und um den Umfang der vorliegenden Arbeit einzuhalten, liegt hier der Fokus der folgenden Kapitel. Dementsprechend wird sich speziell mit Studien über digitale Programme auseinandergesetzt, die Schüler:innen innerhalb des Autismus-Spektrums, insbesondere Schüler:innen mit Asperger-Syndrom, den Alltag erleichtern sollen, damit auch sie beispielsweise barrierearm auf Verspätungen des Schulwegs vorbereitet werden können. Diese digitalen Programme sind dabei alle im Kontext Lernen anzusiedeln und sollen beispielsweise eine Hilfestellung bei der Organisation des Schulalltags (digitaler Kalender, der auf die Bedürfnisse von Schüler:innen mit AS ausgerichtet ist) oder der Kommunikation mit Mitschüler:innen bieten (digitales Training sozialer Gepflogenheiten), um den Proband:innen die soziale Inklusion in ihre Klasse zu vereinfachen. Überdies ist es momentan höchst interessant und relevant, inwiefern digitale Lernprogramme den Schüler:innen im Zeitalter der CoViD-19-Pandemie Unterstützung bieten und welche Vor- und Nachteile sie aufweisen. Doch bleibt die Frage: über welche technischen Ressourcen sollten Schulen beziehungsweise die Erziehungsberechtigten im Homeschooling verfügen, um eine gelungene Inklusion der Schüler:innen zu fördern?
Digitale Medien erleichtern unseren Alltag, insbesondere im Hinblick auf unser Arbeitsleben und unsere Freizeit. Morgens kommen wir nicht mehr zu spät zur Arbeit, weil wir im Stau stehen, sondern werden durch einen kurzen Blick aufs Smartphone vorgewarnt, dass wir früher den Weg zur Arbeit antreten sollen, um noch pünktlich zu erscheinen und werden dann im Auto vom Navigationsgerät auf eine schnellere Route umgeleitet. Mittags reicht ein kurzer Blick auf das Smartphone, um schnell zu bestätigen, dass die Verabredung mit den Freund:innen nun an einem anderen Treffpunkt erfolgt – hier müssen wir nicht mehr am Abend zuvor einen genauen Treff- und Zeitpunkt angeben. Abends zeigt uns das Smart-TV personalisierte Film- und Serienvorschläge, sodass wir eine größere Auswahl haben und zudem nicht von Tagesprogramm und den vorgegebenen Sendungszeiten abhängig sind.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung.
2 Das Autismus-Spektrum
2.1 Geschichte und Definition
2.2 Diagnostik.
2.2.1 Diagnostische Früherkennung
2.2.2 Diagnostik im Erwachsenenalter
2.3 Bedeutung der Theory of Mind
3 Regelschulen und Autismus
3.1 Das Schulsystem in Nordrhein-Westfalen.
3.2 Was sind Regelschulen?
3.2.1 Aufbau
3.2.2 Lehrplan
3.2.2.1 Kernlehrplan Deutsch an Gesamtschulen für die Sekundarstufe I
3.2.2.2 Kernlehrplan Deutsch für die Sekundarstufe II (gymnasiale Oberstufe)
3.2.3 Inklusion an Regelschulen
3.3 Inklusion im Deutschunterricht
3.4 Inklusion von Schüler:innen mit AS
4 Digital gestützte Lernprogramme
4.1 Digitale Medien und E-Learning
4.2 Digitalisierung als Unterstützung zur Alltagsbewältigung
4.3 Vorstellung und Evaluation einer Auswahl an Lernprogrammen
4.3.1 Drei Lernprogramme zur Förderung der Sozio-Emotionalität
4.3.1.1 Virtuoso: informatisches Denken und soziale Fähigkeiten (2016)
4.3.1.2 Interaktive Geschichten.
4.3.1.3 Jobinterviews
4.3.2 Zwei Lernprogramme zur Unterstützung im Schulalltag
4.3.2.1 Stundenplan
4.3.2.2 Unterstützung im Mathematikunterricht
5 Besondere Bedingungen während der CoVid-19-Pandemie
5.1 CoViD-19 und Autismus
5.2 CoViD-19 und Homeschooling
6 Diskussion
7 Fazit und Ausblick
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Versuchsaufbau ToM (Quelle: Baron-Cohen et al. 1985, S. 41)
Abbildung 2: Das Schulsystem in Nordrhein-Westfalen (Quelle: https://www.schulministerium.nrw.de/sites/default/files/images/Schulsystem_NRW.jpg)
Abbildung 3: Mehrebenenprävention (Quelle: Blumenthal et al. 2014, S. 71)
Abbildung 4: Die Superpower Brille (Quelle: Voss et al. 2019, S. 448)
Abbildung 5: Bus-Szenario in einem SVE: Szene links: vor dem Bus; Szene rechts: im Bus (Quelle: Rutten et al. 2003, 235, 237)
Abbildung 6: Eine ComputerCraftEdu Schildkröte (engl. "turtle"; hier durch 1 markiert) und eine Steuerung (hier durch 2 markiert), um mit der Schildkröte einfache Tätigkeiten auszuführen (Quelle: Schmidt und Beck 2016, S. 116)
Abbildung 7: Bedienungsanweisung (Quelle: Sani-Bozkurt et al. 2017, S. 9)
Abbildung 8: Auszug (Seite 7-10) aus der interaktiven, sozialen Kurzgeschichte "Kann ich mit euch spielen?" (Quelle: Sani-Bozkurt et al. 2017, 7-10)
Abbildung 9: Nutzeroberfläche einer VR-JIT-Simulation (Quelle: Smith et al. 2014, S. 2453)
Abbildung 10: Beispielbilder für den Tagesablauf eines Kindes mit AS (Quelle: Kim et al. 2008, S. 2)
Abbildung 11: Beispielbilder für den „View Master“, „Abacus Schedular“, und „Block Train“ (Quelle: Kim et al. 2008, S. 2 f.)
Abbildung 12: Netzwerk-Diagramm (Quelle: Kim et al. 2008, S. 4)
Abbildung 13: Prototypmodell der LEMA mit folgenden Voraussetzungen: (1) einfache Benutzeroberfläche; (2) Name der Lernumgebung; (3) Benutzerpersonalisierung; (4) vereinfachte Anweisung; (5) Multimedia; (6) offenes Feld für Antworten; (7) Rückmeldung (Quelle: Santos et al. 2017, S. 1313)
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Häufigkeit von Autismus-Spektrum-Störungen (Quelle: Bundesverband Autismus Deutschland e.V.)
Tabelle 2: Themenvorschläge (nach: Kim et al. 2008, S. 4)
1 Einleitung
Digitale Medien erleichtern unseren Alltag insbesondere im Hinblick auf unser Arbeitsleben und unsere Freizeit. Morgens kommen wir nicht mehr zu spät zur Arbeit, weil wir im Stau stehen, sondern werden durch einen kurzen Blick aufs Smartphone vorgewarnt, dass wir früher den Weg zur Arbeit antreten sollen, um noch pünktlich zu erscheinen und werden dann im Auto vom Navigationsgerät auf eine schnellere Route umgeleitet. Mittags reicht ein kurzer Blick auf das Smartphone, um schnell zu bestätigen, dass die Verabredung mit den Freund:innen1 nun an einem anderen Treffpunkt erfolgt – hier müssen wir nicht mehr am Abend zuvor einen genauen Treff- und Zeitpunkt angeben. Abends zeigt uns das Smart-TV personalisierte Film- und Serienvorschläge, sodass wir eine größere Auswahl haben und zudem nicht von Tagesprogramm und den vorgegebenen Sendungszeiten abhängig sind. Diese Hilfestellungen können digitale Medien auch im Kontext Schule übernehmen: ein Foto vom Tafelbild beschleunigt die Sicherung kurz vor der Pausenglocke (die Abschrift ins Heft kann nachgeholt werden) und eine Dokumentenkamera wirft von den Schüler:innen im Heft entworfene Schaubilder in Farbe an die Klassenzimmerwand. Diese Art der Unterstützung können digitale Medien auch für die Inklusion an Schulen übernehmen – inwiefern Lernprogramme hier weiterhelfen, analysiert die vorliegende Arbeit.
Für Lehrer:innen ist der Versuch einer vollkommenen Inklusion allgegenwärtig; auch außerhalb des beruflichen Umfelds begegnet einem das Thema. Täglich sieht man in den sozialen Medien Beiträge zur Inklusion von Menschen mit Behinderung, Frauen, PoC2 und Menschen der LGBTQI+3 Gruppe, die von der Gesellschaft als gleichwertige Menschen akzeptiert werden wollen und dementsprechend gleiche Rechte und Freiheiten einfordern.
Um dem Ziel Schule inklusiv zu gestalten näher zu kommen, ist es daher unter anderem interessant zu ermitteln, wie Menschen mit Behinderung, speziell Schüler:innen, gefördert werden können, um auch ihnen die Teilhabe an der Gesellschaft und an der Regelschule zu vereinfachen. Da sich die Prävalenz von Menschen innerhalb des Autismus-Spektrums vervielfältigt hat (vgl. AWMF online 2016, S. 21) und um den Umfang der vorliegenden Arbeit einzuhalten, liegt hier der Fokus der folgenden Kapitel. Dementsprechend wird sich speziell mit Studien über digitale Programme auseinandergesetzt, die Schüler:innen innerhalb des Autismus-Spektrums4, insbesondere Schüler:innen mit Asperger-Syndrom, den Alltag erleichtern sollen, damit auch sie beispielsweise barrierearm auf Verspätungen des Schulwegs vorbereitet werden können. Diese digitalen Programme sind dabei alle im Kontext Lernen anzusiedeln und sollen beispielsweise eine Hilfestellung bei der Organisation des Schulalltags (digitaler Kalender, der auf die Bedürfnisse von Schüler:innen mit AS ausgerichtet ist) oder der Kommunikation mit Mitschüler:innen bieten (digitales Training sozialer Gepflogenheiten), um den Proband:innen die soziale Inklusion in ihre Klasse zu vereinfachen.
Überdies ist es momentan höchst interessant und relevant, inwiefern digitale Lernprogramme den Schüler:innen im Zeitalter der CoViD-19-Pandemie Unterstützung bieten und welche Vor- und Nachteile sie aufweisen. Doch bleibt die Frage: über welche technischen Ressourcen sollten Schulen beziehungsweise die Erziehungsberechtigten im Homeschooling verfügen, um eine gelungene Inklusion der Schüler:innen zu fördern?
Im Folgenden wird zunächst der Term Autismus untersucht – dabei wird der Begriff in einen historischen Kontext gesetzt. Anschließend wird erörtert, wie AS diagnostiziert werden kann und warum die vorliegende Arbeit auf den Ausdruck Störung (Autismus-Spektrum-Störung, kurz: ASS) verzichtet und stattdessen Menschen mit AS als Bezeichnung nutzt. Für diese grundlegende Theorie wird das Handlexikon Autismus-Spektrum mit Schlüsselbegriffen aus Forschung, Theorie und Betroffenensicht von Theunissen et al. 2015 als Hauptquelle genutzt sowie die Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme (engl. International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems, kurz: ICD) in zehnter (aktuelle, deutsche Version 2021; engl. German Modification, kurz: GM) und elfter Version (in Deutschland noch nicht gültig) zusammengefasst.
Im darauffolgenden Kapitel wird Autismus, speziell das Asperger-Syndrom, im Kontext Schule betrachtet. Hierfür werden zunächst die deutschen Schulformen aufgelistet und Inklusion laut Schulgesetz für das Land Nordrhein-Westfalen benannt, um danach schulische Inklusion am Beispiel des Deutschunterrichts an nordrhein-westfälischen Gesamtschulen darzulegen.
Schließlich wird der Begriff digitale Medien definiert, um anschließend digitale Lernprogramme für Menschen mit AS vorzustellen. Hierfür werden Studien (Kim et al. 2008; Smith et al. 2014; Schmidt und Beck 2016; Sani-Bozkurt et al. 2017; Santos et al. 2017; Voss et al. 2019) zusammengefasst und evaluiert. Da dieses Thema höchst aktuell ist in Zeiten des Homeschoolings und Online-Unterrichts, wird abschließend mit Hilfe von weiteren Studien (Colizzi et al. 2020; Thorell et al. 2021) evaluiert, inwiefern die Pandemie Schüler:innen mit Autismus beeinflusst und wie digitale Lernprogramme als Hilfestellung in dieser Notsituation dienen können. Letztere werden auf ihre Vorteile hin verglichen.
Letztendlich werden die vorher besprochenen Studien zu digitalen Lernprogrammen im Diskussionsteil auf ihren Aktualitätsgehalt überprüft, bevor die Arbeit mit einem Fazit und Ausblick abschließt.
2 Das Autismus-Spektrum
In diesem Kapitel wird als Grundlage für die vorliegende Arbeit zunächst der Begriff Autismus-Spektrum-Störung5 sowie dessen historische Entwicklung betrachtet. Danach wird das Krankheitsbild der Betroffenen erläutert und schließlich soll auf einen bestimmten Aspekt der Störung – die Schwierigkeit des Empathievermögens – näher eingegangen werden, bevor sich das nächste Kapitel mit der praktischen Umsetzung einer Inklusion von Schüler:innen mit AS an Regelschulen befasst.
2.1 Geschichte und Definition
Autismus als klinisches Phänomen wurde erstmals 1911 vom Schweizer Psychiater Eugen Bleuler erwähnt (vgl. Leuchte 2015, S. 36). Damals wurde es als „eine zentrale Symptomatik der Schizophrenie“ (ebd.) verstanden. Etwa 80 Jahre später veröffentlichten die Kinder- und Jugendmediziner Leo Kanner und Hans Asperger Werke, die „Autismus als eigenständiges Störungsbild“ (ebd.) deklarierten und somit die Verbindung zur Schizophrenie entkräftigten.
Heute wird zwischen den Erkenntnissen der beiden Mediziner insofern unterschieden, als dass das „klinische Bild“ nach Kanner als Frühkindlicher Autismus (auch Kanner-Autismus, „klassischer“ Autismus, Autismus oder autistische Störung) bezeichnet wird, wohingegen die Definition nach Asperger als Asperger-Syndrom (auch autistische Psychopathie) bekannt ist (vgl. Leuchte 2015, S. 37). Als später durch die Begriffe „ low functioning autism und […] high functioning autism “ (ebd.) weitere, grundsätzliche Differenzierungsmöglichkeiten entstanden, wurde der Oberbegriff Autismus-Spektrum-Störungen (engl. autism spectrum disorders, kurz: ASD) geschaffen. Obwohl viele Betroffene den Terminus Autismus-Spektrum bevorzugen, da sie sich nicht krank oder gestört fühlen (vgl. ebd.)6, sind laut ICD-Diagnose (International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems), genauer laut ICD-10-Code F84.-, frühkindlicher Autismus (F84.0), atypischer Autismus (F84.1) und Asperger-Syndrom (F84.5) unter tief greifenden Entwicklungsstörungen gelistet (ICD-10-GM-2021 F84.- Tief greifende Entwicklungsstörungen - ICD10 2021) – auch die ICD-11 Codes listen die Autismus-Spektrum-Störung als neurologische Entwicklungsstörung unter Punkt 06: Mentale, Verhaltens- oder neurologische Entwicklungsstörungen (vgl. ICD-11 - Mortality and Morbidity Statistics 2020).
Die ICD-11 Codes kennzeichnen ASS durch anhaltende Defizite in der Fähigkeit, reziproke7 soziale Interaktion und soziale Kommunikation zu initiieren und aufrechtzuerhalten, sowie durch eine Reihe von restriktiven, sich wiederholenden und unflexiblen Verhaltensmustern, Interessen oder Aktivitäten, die eindeutig atypisch oder exzessiv für das Alter und den soziokulturellen Kontext der Person sind (vgl. ebd.). Laut ICD-11 - Mortality and Morbidity Statistics 2020 beginnt die Störung während der Entwicklungsphase, typischerweise in der frühen Kindheit - möglicherweise manifestieren sich die Symptome aber erst später voll, wenn die sozialen Anforderungen die begrenzten Fähigkeiten übersteigen (vgl. ebd.). Schließlich werden die Defizite als so schwerwiegend beschrieben, dass sie zu einer Beeinträchtigung in persönlichen, familiären, sozialen, schulischen, beruflichen oder anderen wichtigen Funktionsbereichen führen und normalerweise als ein durchgängiges Merkmal der Funktionsweise des Individuums angesehen werden (vgl. ebd.). Dies ist in allen Bereichen zu beobachten, obwohl sie je nach sozialem, schulischem oder anderem Kontext variieren können (vgl. ebd.). Individuen entlang des Spektrums weisen eine volle Bandbreite an intellektuellen Funktionen und sprachlichen Fähigkeiten auf (vgl. ebd.)
Zusätzlich gibt es in Deutschland verschiedene ICD-10-Codes, die versuchen, die verschiedenen Seiten des Autismus-Spektrums zu definieren, um eine dezidierte Diagnose zu ermöglichen. Im Folgenden sollen diese kurz erwähnt werden – in der frühkindlichen und erwachsenen Diagnostik werden dann die verschiedenen Hilfsmittel zur Diagnostik erläutert.
Laut ICD-10-GM-2021 ist die Gruppe der tief greifenden Entwicklungsstörungen gekennzeichnet durch „qualitative Abweichungen in den wechselseitigen sozialen Interaktionen und Kommunikationsmustern und durch ein eingeschränktes, stereotypes, sich wiederholendes Repertoire von Interessen und Aktivitäten“ (ICD-10-GM-2021 F84.- Tief greifende Entwicklungsstörungen - ICD10 2021).
- Frühkindlicher Autismus (F.84.0)
Der frühkindliche Autismus ist eine tiefgreifende Entwicklungsstörung, die schon vor dem dritten Lebensjahr in Erscheinung tritt und sich durch Einschränkungen in sozialen Interaktionen und in der Kommunikation sowie durch eingeschränktes, repetitives Verhalten äußert (ICD-10-GM-2021 F84.- Tief greifende Entwicklungsstörungen - ICD10 2021). Darüber hinaus wird über Probleme wie „Phobien, Schlaf- und Essstörungen, Wutausbrüche und (autodestruktiven) Aggression“ (ebd.) geklagt. Zum frühkindlichen Autismus zählt die Autistische Störung, die frühkindliche Psychose, infantiler Autismus und das Kanner-Syndrom; dazu zählt hingegen nicht die Autistische Psychopathie (vgl. ebd.).
- Atypischer Autismus (F.84.1)
Der atypische Autismus ist eine Subkategorie des Autismus, die insbesondere dann verwendet werden sollte, wenn sich die Abnormalitäten erst nach dem dritten Lebensjahr manifestieren, nicht alle Auffälligkeiten des frühkindlichen Autismus nachweisbar sind sowie wenn es charakteristische Abweichungen auf anderes Gebieten gibt (vgl. ebd.). Diese Art der Störung tritt insbesondere bei „schwer retardierten bzw. unter einer schweren rezeptiven Störung der Sprachentwicklung leidenden“ (ebd.) Autist:innen auf. Zum atypischen Autismus zählen die atypische kindliche Psychose und die Intelligenzminderung mit autistischen Zügen (vgl. ebd.).
- Asperger-Syndrom (F.84.5)
Das Asperger-Syndrom unterscheidet sich vom Autismus dadurch, dass keine Entwicklungsverzögerung oder ein Rückstand in der Sprache oder kognitiven Entwicklung vorliegt; nichtsdestotrotz weisen auch Menschen mit Asperger-Syndrom „Abweichungen der wechselseitigen sozialen Interaktion, wie für den Autismus typisch […] [auf], zusammen mit einem eingeschränkten, stereotypen, sich wiederholenden Repertoire von Interessen und Aktivitäten“ (ebd.). Zum Asperger-Syndrom zählt auch die autistische Psychopathie und eine schizoide Störung des Kindesalters (vgl. ebd.).
Obwohl die folgenden zwei Krankheitsbilder nicht per se dem Autismus Spektrum angehören, werden sie erwähnt, da sie Ähnlichkeiten zum Spektrum ausweisen.
- Andere desintegrative Störung des Kindesalters (F.84.3)
Die andere desintegrative Störung des Kindesalters ist per Definition nur „autismusähnlich“ (ICD-10-GM-2021 F84.- Tief greifende Entwicklungsstörungen - ICD10 2021), da auch hier Stereotypen, wiederholte Manierismen sowie eine Störung sozialer Interaktion und Kommunikation auftreten. Vor Beginn der Krankheit ist die Entwicklung normal, doch innerhalb weniger Monate führt die Entwicklungsstörung zu einem Verlust der bereits erlernten Fähigkeiten (vgl. ebd.).
- Pica im Kindesalter (F98.3)
Pica im Kindesalter ist ein Phänomen, das bei intelligenzgeminderten Kindern eher auftritt als bei normalintelligenten oder intelligenzgesteigerten – die Kinder nehmen nicht essbare Substanzen, wie z.B. Erde, andauernd als Nahrung zu sich; dies kann als Symptom von Autismus auftreten, kann aber auch Indiz für eine nicht mit dem Autismus verbundene psychopathologische Auffälligkeit sein (vgl. ICD-10-GM-2021 F98.- Andere Verhaltens- und emotionale Störungen mit Beginn in der Kindheit und Jugend - ICD10 2021).
Neben den ICD-10 und ICD-11 Codes gibt es auch die Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (engl.: International Classification of Functioning, Disability and Health; kurz: ICF). Dieses System klassifiziert Komponenten von Gesundheitszuständen und mit Gesundheit zusammenhängenden Zuständen in Bezug auf Körperfunktionen (b-Komponenten) und -strukturen (s-Komponenten) (vgl. Gruber 2015, S. 174). Eine weitere Komponente (e-Komponente) schreibt die Wechselwirkung zwischen Funktionsfähigkeit und Behinderung eines Individuums zu Umweltfaktoren (vgl. ebd.). Dieses alphanumerische System zur Klassifizierung basiert auf hierarchischen Strukturen. Hierbei entstehen über 1400 Kategorien (vgl. ebd.). um ein sogenanntes ICF-Core-Set zu erstellen, wird in einem mehrstufigen Verfahren eine Auswahl an relevanten Kategorien getroffen (vgl. ebd.). Für Kinder und Jugendliche wurde eine Spezialausgabe entwickelt, das ICF-CY. Anhand dieser Kodierungen wurden Regelungen, Empfehlungen und Vorgaben etabliert, die auch bei der Beurteilung von Beeinträchtigungen und psychosozialer Anpassung bei Menschen mit AS in Praxis und Forschung eine Rolle spielen (vgl. ebd.). Im Unterschied zu den ICD-Codes definiert die ICF also nicht eine Diagnose, sondern klassifiziert bestimmte Merkmale oder Symptome und erstellt anhand der Core-Sets auf die individuellen Merkmale angepasste Klassifizierungen, die den Menschen (und nicht die Behinderung, Krankheit oder Störung) in den Vordergrund rücken sollen.
2.2 Diagnostik
In Deutschland werden keine Zahlen über die Prävalenz von Menschen mit AS geschweige denn über neue Diagnosen pro Jahr veröffentlicht – eine Häufigkeit von Autismus in der Gesellschaft kann nur anhand von gemeinsamen Untersuchungen Europas, Kanadas und der USA erfasst werden (vgl. Tabelle 1).
Tabelle 1: Häufigkeit von Autismus-Spektrum-Störungen (Quelle: Bundesverband Autismus Deutschland e.V.)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Im Folgenden werden die Instrumente zur Diagnose von Autismus im Kindes- beziehungsweise Erwachsenenalter vorgestellt.
2.2.1 Diagnostische Früherkennung
Um Autismus bei Kindern zu diagnostizieren, gibt es keine Labortests, wie zum Beispiel eine Computertomographie (kurz: CT); stattdessen werden verschiedene Screening- und auch Diagnostikinstrumente genutzt.
Zuerst wird ein Screening vorgenommen, das sich in eine Befragung der Eltern und eine Beobachtung des Kindes aufteilt. Hierfür gibt es verschiedene Fragebögen und Methoden. Ein Screeninginstrument ist die Checklist for Autism in Toddlers (kurz: CHAT) die bei Kindern im Alter von etwa eineinhalb bis drei Jahren genutzt wird; sie dauert circa fünf Minuten und besteht aus einem neunteiligen Ja-/Nein-Fragebogen, der sich an die Eltern richtet, sowie einem Test auf fünf Verhaltensmerkmale, der nach Baron-Cohen übernommen wird (vgl. Baron-Cohen et al. 1992, S. 843; vgl. Noterdaeme 2015, S. 94). Der Fragebogen beinhaltet folgende Fragen (vgl. ebd.):
- Mag Ihr Kind es, geschaukelt zu werden, Hoppe-Hoppe-Reiter-Spiele zu spielen, etc.?
- Zeigt Ihr Kind anderen Kindern gegenüber Interesse?
- Klettert Ihr Kind gerne (zum Beispiel eine Treppe hoch)?
- Spielt Ihr Kind gerne das Guck-Guck-Spiel oder Verstecken?
- Spielt Ihr Kind manchmal Rollenspiele, dass es zum Beispiel mit Spielzeugtassen Teetrinken spielt?
- Nutzt Ihr Kind manchmal den Zeigefinger, um auf etwas zu zeigen, das es haben möchte?
- Nutzt Ihr Kind manchmal den Zeigefinger, um Interesse an etwas zu zeigen?
- Kann Ihr Kind mit kleinem Spielzeug (z.B. Spielzeugautos oder Klötzchen) spielen, ohne sie nur in den Mund zu stecken, zu fummeln oder sie fallen zu lassen?
- Bringt Ihr Kind Ihnen Dinge, um sie Ihnen zu zeigen?
Die fünf zu beobachtenden Verhaltensmerkmale des Kindes beziehen sich auf
- die Herstellung von Augenkontakt,
- das Verständnis sowie
- die Fähigkeit von „auf etwas (mit dem Zeigefinger) zeigen“,
- die Fähigkeit auf Fantasie- und Rollenspiele einzugehen und letztlich
- die Fähigkeit aus Klötzchen einen Turm zu bauen
bei der letzten Beobachtung wird zudem vermerkt, aus wie vielen Klötzchen der Turm am Ende besteht (vgl. Baron-Cohen et al. 1992, S. 843; vgl. Noterdaeme 2015, S. 94). Obwohl diese Tests eine hohe Spezifität8 von 98% aufweisen, zeigen sie auch eine geringe Sensitivität von 38%, die möglicherweise auf Fehlinterpretationen durch die Eltern zurückzuführen sind (vgl. Noterdaeme 2015, S. 94 f.). Um die Sensitivität zu erhöhen, wurde die CHAT um 14 Fragen erweitert. Diese modifizierte Checkliste (kurz: M-CHAT) die sich auf Kleinkinder im Alter von 24 Monaten bezieht, ist sowohl spezifischer (99%) als auch sensitiver (97%) als ihr Vorgänger (vgl. Noterdaeme 2015, S. 95). Von den 23 Fragen müssen mindestens zwei auf Auffälligkeiten hinweisen (vgl. ebd.).
Neben diesen Checklisten gibt es auch Fragebögen; einer der meistverwendeten ist der Fragebogen zur Sozialen Kommunikation (kurz: FSK) nach Bölte und Poustka, der aus 40 Items besteht (vgl. ebd.). Die Fragen, deren Bearbeitung in etwa 20 Minuten in Anspruch nimmt, teilen sich in zwei Themengebiete auf: die gesamte Entwicklungsgeschichte (Lebenszeit) und das Verhalten der letzten drei Monate (aktuell), um zwischen frühkindlichem Autismus und anderen Störungen im Spektrum differenzieren zu können (vgl. Noterdaeme 2015, S. 96).
Ein weiteres Hilfsmittel der Diagnostik ist die Skala zur Erfassung sozialer Reaktivität (kurz: SRS) ebenfalls nach Bölte und Poustka. Im Gegensatz zu dem diagnostischen Interview für Autismus revidiert (ADI-R), der diagnostischen Beobachtungsskala für Autistische Störungen (ADOS) und dem Fragebogen zur sozialen Kommunikation (FSK), hebt dir die SRS ab, da sie AS nicht als psychopathologisches Syndrom, sondern als ein in der Allgemeinbevölkerung normalverteiltes Merkmal auffasst (vgl. ebd.). Die SRS eignet sich für Probanden zwischen vier und acht Jahren; sie besteht aus 65 Items auf einer vierstufigen Skala und benötigt 20 bis 30 Minuten Zeit – dafür kann dann mit dem Ergebnis zwischen frühkindlichem Autismus, Asperger-Syndrom, atypischem Autismus und weiteren, nicht näher bezeichneten, tiefgreifenden Störungen differenziert werden, da die Skala soziale, kommunikative und rigide Verhaltensweisen erfasst (vgl. ebd.).
2.2.2 Diagnostik im Erwachsenenalter
Die Diagnostik Erwachsener ist Teil jüngerer Forschung – Patienten mit AS, die vor 1980 geboren wurden, sind in Deutschland sehr wahrscheinlich nicht richtig, wenn überhaupt, diagnostiziert worden, da Erwachsene mit AS erst seit 1990 Teil der internationalen Forschung sind und diese sogar erst etwa 15 Jahre später an Relevanz gewann (vgl. Riedel und Tebartz van Elst 2015, S. 100). Nichtsdestotrotz ist die Diagnostik bei Erwachsenen auch heute noch schwieriger als bei Kindern; unter anderem, da es kein Standardverfahren zur Diagnose gibt (vgl. ebd.; achtsam e.V. Mönchengladbach 2020a). Weitere Schwierigkeiten entstehen, da es eine retrospektive Diagnose ist, wodurch sich eine hohe Rate an falschen Negativ- sowie falschen Positiv-Resultaten ergibt (vgl. Riedel und Tebartz van Elst 2015, S. 100). Darüber hinaus haben Erwachsene bereits eine verschiedene Anzahl an Kompensationsmechanismen erlernt, die ihre autistischen Züge vor der Allgemeinheit verstecken sollen; deshalb muss die Testperson gefragt werden, ob sie ihr Verhalten intuitiv-automatisch oder doch kognitiv-bewusst erzeugt (vgl. ebd.).
Auch bei der Diagnose Erwachsener gibt es verschiedene Instrumente. Dazu gehören neben Schulzeugnissen, Videoaufzeichnungen aus der Kindheit und den Untersuchungsheften von der Kinderärztin oder dem Kinderarzt Fragebögen, die auch bei Kindern genutzt werden, wie der FSK und die SRS, aber auch die Autism Diagnostic Scale (ADOS-4), die Marburger Beurteilungsskala zum Asperger-Syndrom (MBAS), der Autismus Fragebogen (AQ), der Empathie Fragebogen (EQ) und der Systemizing Fragebogen (SQ) nach Baron-Cohen, der Australische Fragebogen für das Asperger Syndrom (ASAS), das diagnostische Interview für Autismus (ADI-R) sowie zwölf Punkte nach Riedel (vgl. Riedel und Tebartz van Elst 2015, S. 101 f.).
Ebenso wie die Kinder werden auch Erwachsene für die Diagnostik in ihrem Verhalten beobachtet. Ihre Fähigkeit, Blickkontakt herzustellen, wird geprüft sowie ihre Augenbewegungen, der Händedruck, die Mimik, ihre Kopfbewegungen und die Gestik; darüber hinaus sind die Gesprächslautstärke, Konkretismus, ein Verständnis von Ironie und indirekten Andeutungen, ein Haften an Themen, Flexibilität in der Gesprächsführung, angemessene Höflichkeitsformen, die Organisation des Sprecher:innenwechsels sowie ein intuitives Gespür für gewünschte Antwortlängen von Interesse; schließlich wird auch noch beachtet, wie sehr Nebengeräusche irritieren und ob es motorische Stereotype gibt (vgl. Riedel und Tebartz van Elst 2015, S. 102).
2.3 Bedeutung der Theory of Mind
Der Begriff Theory of Mind9 wurde durch Premack und Woodruff 1978 als die sozial kognitive Leistung von Primaten eingeführt und erst wenige Jahre später auch auf Menschen transferiert (vgl. Vogeley 2015, S. 367).
Heute wird ToM im Allgemeinen oft synonym zum Begriff Empathie genutzt, jedoch gibt es einige Unterschiede zur Empathie: Empathie ist eine emotionale Identifizierung mit einer anderen Person, die von der Qualität des Gefühls geprägt ist und dann nachempfunden wird (vgl. ebd.). Kognitive ToM, auch als Mentalisierung und Sich-Hineinversetzen bezeichnet, ist hingegen ein korrektes Erkennen und Identifizieren eines mentalen Zustands einer anderen Person und wird im Folgenden anhand eines Versuchs von Baron-Cohen et al. veranschaulicht (vgl. ebd.).
1985 führten Baron-Cohen, Leslie und Frith ein Experiment durch, um die ToM zu veranschaulichen. Hierfür setzten sie Kinder mit Autismus, Down-Syndrom und Normalintelligenz einem Schauspiel aus (vgl. Abbildung 1), um zu prüfen, ob das Hineinversetzen in Fremde an den Intelligenzquotienten gebunden ist (vgl. Baron-Cohen et al. 1985, S. 38).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Versuchsaufbau ToM (Quelle: Baron-Cohen et al. 1985, S. 41)
Das Experiment (vgl. Abbildung 1) ist wie folgt aufgebaut: zunächst werden den Kindern die beiden Puppen Sally und Anne vorgestellt. Vor Sally steht ein Korb, in den sie eine Murmel platziert – der Karton, der vor Anne steht, ist hingegen leer. Als Sally dann den Raum verlässt, transferiert Anne die Murmel von dem Korb in ihren Karton. Sobald Sally den Raum wieder betritt, wird den Kindern die Frage (engl.: belief question) gestellt: „Wo wird Sally nach der Murmel suchen?“ (vgl. Baron-Cohen et al. 1985, S. 41). Diese Frage prüft, ob sich die Kinder in Sally hineinversetzen können oder nicht. Falls die Kinder die Frage falsch beantworten, werden zwei Kontrollfragen gestellt: erstens „Wo ist die Murmel wirklich?“ (engl.: reality question) und zweitens „Wo war die Murmel anfangs?“ (engl.: memory question) (vgl. ebd.). Diese Fragen kontrollieren, ob das Kind über das Wissen der vorherigen und der aktuellen Position der Murmel verfügt, um ein fehlendes Verständnis des Ablaufs als Grund für eine Falschbeantwortung der ersten Frage ausschließen zu können (vgl. Baron-Cohen et al. 1985, S. 41 f.).
Die Ergebnisse dieser Studie ergaben, dass sich sowohl die meisten normalintelligenten (85%) wie auch die Kinder mit Down-Syndrom (86%) in Sallys Lage hineinversetzen konnten und auf die erste Frage richtig antworteten (engl.: false belief), indem sie zum Beispiel auf den Korb zeigten; die meisten Kinder mit einer Autismus-Spektrum-Störung (80%) antworteten jedoch falsch, indem sie dahin zeigten, wo die Murmel wirklich war (vgl. Baron-Cohen et al. 1985, S. 42). Dieses Defizit muss laut Baron-Cohen et al. (1985) dementsprechend unabhängig vom Intelligenzquotienten betrachtet werden und kann eine Erklärung dafür sein, dass die Probleme autistischer Kinder bezüglich Rollenspiele, Empathie und sozialen Fähigkeiten miteinander verknüpft sind (vgl. Baron-Cohen et al. 1985, S. 44).
Bei Erwachsenen ist dieses Experiment schwieriger durchzuführen, denn wie bereits im vorherigen Kapitel erläutert, haben insbesondere Personen mit hochfunktionalem Autismus oder Asperger-Syndrom Kompensationsstrategien entwickelt, Kommunikationsregeln zu erlernen – dieses Wissen erreicht allerdings nie den intuitiven, automatischen Charakter, wodurch die Kommunikation eingeschränkt bleibt (vgl. Vogeley 2015, S. 368). Diese Unterscheidung, die besonders wichtig bei nonverbalem Verhalten ist, gliedert sich in dual-mode und dual-process auf: ersteres ist bewusst und inferentiell , zweites ist unbewusst und intuitiv (vgl. ebd.).
Nach diesen Grundlagen zu AS, der Diagnostik, historischen Beschreibung und der ToM, soll im Folgenden das Inklusionskonzept der weiterführenden Schulen sowie der Ist-Zustand der Inklusion von Schüler:innen mit AS in Nordrhein-Westfalen vorgestellt werden.
3 Regelschulen und Autismus
Die folgenden Kapitel zitieren Quellen, die hauptsächlich Autismus, Autismus-Spektrum und Menschen innerhalb des Autismus-Spektrums als Diagnose nutzen – aufgrund der vorhergehenden Krankheitsbildbeschreibungen kann im Kontext der Quellen davon ausgegangen werden, dass Menschen mit Asperger-Autismus gemeint sind. Dies ist daraus zu schließen, dass überwiegend Schüler:innen an Regelschulen beobachtet, befragt oder anderweitig untersucht wurden. Aufgrund der ICD-Codes kann davon ausgegangen werden, dass Schüler:innen mit frühkindlichem oder atypischem Autismus nicht an Regelschulen, sondern an Förderschulen unterrichtet werden. Die Bezirksregierung Arnsberg in Nordrhein-Westfalen fasst es auf ihrer Website wie folgt zusammen:
Einen Bedarf an sonderpädagogischer Unterstützung kann außerdem eine Autismus-Spektrum-Störung (ASS) begründen. Im Fall, dass ein Bedarf an sonderpädagogischer Unterstützung festgestellt wird, ordnet die Schulaufsichtsbehörde der*die Schüler*in mit ASS einem der sonderpädagogischen Förderschwerpunkte zu.
Orte der sonderpädagogischen Förderung in Nordrhein-Westfalen sind:
1. die allgemeinen Schulen (allgemeinbildende Schulen und berufsbildende Schulen)
2. die Förderschulen
3. die Schulen für Kranke (Bezirksregierung Arnsberg 2021)
Um im Folgenden die Quellen korrekt zu zitieren, wird weiterhin die Abkürzung Schüler:innen mit AS oder Menschen mit AS genutzt; diese Begriffe implizieren jedoch, dass hier Individuen mit Asperger-Autismus gemeint sind, da Schüler:innen mit Asperger in der Regel weniger sonderpädagogische Unterstützung benötigen als Schüler:innen mit frühkindlichem oder atypischen Autismus.
3.1 Das Schulsystem in Nordrhein-Westfalen
Das Bundesland Nordrhein-Westfalen ist in folgende Schulformen aufgeteilt: Für die Primarstufe (Klasse eins bis vier) gibt es Grundschulen und Förderschulen. Die darauf aufbauende Sekundarstufe I (Klasse fünf bis neun, beziehungsweise zehn) wird am Gymnasium, der Gesamtschule, der Sekundarschule, der Realschule, der Hauptschule und der Förderschule unterrichtet. Danach kann ein weiterer Schulwechsel stattfinden (zum Beispiel falls die eigene Schule keine Oberstufe anbietet), um die optionale Sekundarstufe II (Einführungsphase, Qualifikationsphase I und II, beziehungsweise Klasse elf bis dreizehn) am Gymnasium, beziehungsweise der Gesamtschule als gymnasiale Oberstufe oder am Berufskolleg, beziehungsweise einem Berufskolleg als Förderschule abzuschließen.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2: Das Schulsystem in Nordrhein-Westfalen (Quelle: https://www.schulministerium.nrw.de/sites/default/files/images/Schulsystem_NRW.jpg)
3.2 Was sind Regelschulen?
Studiengangbezogen und um den vorgeschriebenen Umfang der Arbeit einzuhalten, wird der Fokus auf die Regelschultypen Gymnasium und Gesamtschule gesetzt. Im Folgenden wird der Aufbau dieser Schulen, die Umsetzung von Inklusion sowie der Lehrplan an Gesamtschulen für das Fach Deutsch näher betrachtet.
3.2.1 Aufbau
In Nordrhein-Westfalen besteht der Aufbau einer Regelschullaufbahn, wie in Abbildung 2 zu sehen, aus vier Jahren Grundschule, anschließenden fünf bis sechs Jahren auf einem Gymnasium, einer Gesamtschule, Realschule, Hauptschule10 oder Sekundarschule und darauffolgenden drei Jahren in der Sekundarstufe II auf einem Gymnasium oder einer Gesamtschule. Die Schulformen sind in ihrem Aufbau vom Schulgesetz vorgeschrieben. Diese sind im § 10 Schulstufen, Schulformen, besondere Einrichtungen wie folgt aufgelistet und erläutert:
(1) Das Schulwesen ist nach Schulstufen aufgebaut und in Schulformen gegliedert. Schulstufen sind die Primarstufe, die Sekundarstufe I und die Sekundarstufe II. Die Schulformen sind so zu gestalten, dass die Durchlässigkeit zwischen ihnen gewahrt und die Zusammenarbeit zwischen den einzelnen Schulen gefördert wird.
(2) Die Primarstufe besteht aus der Grundschule.
(3) Die Sekundarstufe I umfasst die Hauptschule, die Realschule, die Sekundarschule sowie die Gesamtschule und das Gymnasium bis Klasse 10. Das Gymnasium kann in der Sekundarstufe I auch bis Klasse 9 geführt werden.
(4) Die Sekundarstufe II umfasst das Berufskolleg, das Berufskolleg als Förderschule und die gymnasiale Oberstufe des Gymnasiums und der Gesamtschule.
(5) Das Gymnasium und die Gesamtschule werden in der Regel als Schulen der Sekundarstufen I und II geführt.
(6) Den Stufenaufbau der Förderschulen und der Schule für Kranke regelt das Ministerium durch Rechtsverordnung. Sie werden als Schulen einer oder mehrerer Schulstufen geführt.
(7) Das Weiterbildungskolleg ist keiner Schulstufe zugeordnet (Ministerium für Schule und Bildung des Landes Nordrhein-Westfalen 2021).
Da für Menschen mit AS Rückzugsmöglichkeiten im Sinne von sensorisch reizarmen Umgebungen oder sogar räumlicher Trennung von Mitmenschen wichtig ist, um sich zu erholen und in Einzelfällen eine durch Überforderung entstehende (Auto-)Aggression vorzubeugen (vgl. Theunissen et al. 2015, 23, 74, 307), ist die Größe der Schulen und Schulklassen interessant. Für jede Schulform ist laut § 82 eine Mindestgröße vorgeschrieben, die wie folgt aussieht:
(1) „Schulen müssen die für einen geordneten Schulbetrieb erforderliche Mindestgröße haben. Bei der Errichtung muss sie für mindestens fünf Jahre gesichert sein; dabei gelten 28 Schülerinnen und Schüler als Klasse, für Grundschulen, für Gesamtschulen und für Sekundarschulen 25 Schülerinnen und Schüler. Für die Fortführung gelten die gemäß § 93 Abs. 2 Nr. 3 bestimmten Klassengrößen.“ […] (6) „Gymnasien müssen in der Sekundarstufe I bei der Errichtung mindestens drei Parallelklassen pro Jahrgang haben, bei der Fortführung mindestens zwei Parallelklassen pro Jahrgang. Wird diese Mindestgröße unterschritten, kann ein Gymnasium fortgeführt werden, wenn sich aus der Schulentwicklungsplanung ergibt, dass dies im Planungszeitraum nur vorübergehend der Fall ist und den Schülerinnen und Schülern der Weg zu einem anderen Gymnasium mit mindestens zwei Parallelklassen pro Jahrgang nicht zugemutet werden kann.“ (7) „Gesamtschulen müssen bis Klasse 10 mindestens vier Parallelklassen pro Jahrgang haben. Wird diese Mindestgröße unterschritten, kann eine Gesamtschule fortgeführt werden, wenn sich aus der Schulentwicklungsplanung ergibt, dass dies im Planungszeitraum nur vorübergehend der Fall ist und den Schülerinnen und Schülern der Weg zu einer anderen Gesamtschule mit mindestens vier Parallelklassen pro Jahrgang nicht zugemutet werden kann.“ (8) „In der gymnasialen Oberstufe ist eine Jahrgangsbreite von mindestens 42 Schülerinnen und Schülern im ersten Jahr der Qualifikationsphase erforderlich. Das Ministerium kann Ausnahmen von dieser Mindestgröße zulassen.“ (Ministerium für Schule und Bildung des Landes Nordrhein-Westfalen 2021).
Des Weiteren sollen die Schüler:innen laut §2 Absatz 6 (ebd.) an den Schulen insbesondere lernen
1. selbstständig und eigenverantwortlich zu handeln,
2. für sich und gemeinsam mit anderen zu lernen und Leistungen zu erbringen,
3. die eigene Meinung zu vertreten und die Meinung anderer zu achten,
4. in religiösen und weltanschaulichen Fragen persönliche Entscheidungen zu treffen und Verständnis und Toleranz gegenüber den Entscheidungen anderer zu entwickeln,
5. Menschen unterschiedlicher Herkunft vorurteilsfrei zu begegnen, die Werte der unterschiedlichen Kulturen kennenzulernen und zu reflektieren sowie für ein friedliches und diskriminierungsfreies Zusammenleben einzustehen,
6. die grundlegenden Normen des Grundgesetzes und der Landesverfassung zu verstehen und für die Demokratie einzutreten,
7. die eigene Wahrnehmungs-, Empfindungs- und Ausdrucksfähigkeit sowie musisch-künstlerische Fähigkeiten zu entfalten,
8. Freude an der Bewegung und am gemeinsamen Sport zu entwickeln, sich gesund zu ernähren und gesund zu leben,
9. mit Medien verantwortungsbewusst und sicher umzugehen (Ministerium für Schule und Bildung des Landes Nordrhein-Westfalen 2021).
Das deutsche Grundgesetz im sieht Artikel 3 § 3 vor, dass niemand „wegen seiner Behinderung benachteiligt werden“ (Deutscher Bundestag 2010) darf und auch die UN-Behindertenrechtskonvention untersagt, Menschen mit Behinderung aufgrund ihrer Behinderung vom allgemeinen Bildungssystem, unentgeltlichen und obligatorischen Grundschulunterricht sowie vom Besuch weiterführender Schulen auszuschließen (vgl. Beauftragte der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen 2017, S. 21). Daher fördert die Institution Schule als Teil ihres Bildungs- und Erziehungsauftrags (Schulgesetz NRW § 2 (Fn5), Punkt (5)) vorurteilsfreie Begegnungen von Menschen mit und ohne Behinderung, indem sie gemeinsam unterrichtet und erzogen werden (inklusive Bildung) (vgl. Beauftragte der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen 2017, S. 21). Um Schüler:innen, die auf sonderpädagogische Unterstützung angewiesen sind, ein möglichst hohes Maß an „schulischer und beruflicher Eingliederung, gesellschaftlicher Teilhabe und selbstständiger Lebensgestaltung zu ermöglichen“ (ebd.), erhalten sie je nach individuellem Bedarf besondere Förderung. Dementsprechend findet an Regelschulen Inklusion statt, wodurch die Schüler:innen nicht nur die oben genannten Attribute lernen, sondern auch leben können, wie Kapitel 3.1.3 unten näher erläutert.
3.2.2 Lehrplan
In Nordrhein-Westfalen gibt es für jedes Fach schulspezifisch unterschiedliche Lehrpläne. Stellvertretend für das große Fächerangebot an Schulen des Landes Nordrhein-Westfalen wird im Folgenden auf Auszüge des Kernlehrplans Deutsch für die Sekundarstufe I und II an Gesamtschulen eingegangen. Die Kompetenzerwartungen werden zusammengefasst; doch um den Umfang der Arbeit nicht zu überschreiten, geschieht dies in kompakter Form, da hier ausführliche Aufzählungen und Beschreibungen der Erwartungen für das weitere Vorgehen peripher sind.
3.2.2.1 Kernlehrplan Deutsch an Gesamtschulen für die Sekundarstufe I
Der Kernlehrplan Deutsch für die Sekundarstufe I an Gesamtschulen beschreibt folgende Aufgaben und Ziele für den Unterricht: der Fachunterricht hat die Aufgabe, die sprachlichen Fähigkeiten der Schüler:innen basierend auf ihren Grundschulkenntnissen weiterzuentwickeln, um sie auf ihre Weiterbildung vorzubereiten (vgl. Ministerium für Schule, Jugend und Kinder des Landes Nordrhein-Westfalen 2004, S. 11). Die Kompetenzerwartungen werden dabei in vier Kategorien unterteilt und für das Ende der jeweiligen Stufe sechs, acht und zehn aufgelistet. Die fünf Kategorien sind (i) Sprechen und Zuhören, (ii) Schreiben, (iii) Lesen – Umgang mit Texten und Medien und (iv) Reflexion über Sprache – dabei wird zwischen Grund- und Erweiterungskursen differenziert (vgl. Ministerium für Schule, Jugend und Kinder des Landes Nordrhein-Westfalen 2004, S. 7). Im Folgenden werden die Kategorie (i) Sprechen und Zuhören sowie Kategorie (iv) Reflexion über Sprache vorgestellt. Diese Kategorien setzen eine klare Kommunikation mit Mitschüler:innen voraus, welche ein potentielles Defizit von Menschen mit AS (siehe Kapitel 2.2 oben) darstellt. Daher sind diese Kategorien im Gegensatz zu den übrigen von Signifikanz für die vorliegende Arbeit.
Die Kategorie „Sprechen und Zuhören“ besteht aus vier Aufgabenschwerpunkten (Sprechen, Gespräche führen, Zuhören sowie gestaltend sprechen / szenisch spielen) mit insgesamt 13 Unterpunkten, die sich an das Niveau der Jahrgangsstufen anpassen.
Der Aufgabenschwerpunkt „Sprechen“ besteht aus sechs Unterpunkten: zunächst wird von den Schüler:innen mit Abschluss der Jahrgangsstufe 5 / 6 erwartet, dass sie sich deutlich und artikuliert ausdrücken und flüssig lesen können (vgl. Ministerium für Schule, Jugend und Kinder des Landes Nordrhein-Westfalen 2004, S. 23). Sie können anschaulich und lebendig Geschichten erzählen und sich über Sachverhalte informieren (vgl. ebd.). Des Weiteren können sie stichwortgestützt Ergebnisse zu einem Thema vortragen und dabei Medien einsetzen (vgl. Ministerium für Schule, Jugend und Kinder des Landes Nordrhein-Westfalen 2004, S. 24). Sie können Wünsche und Forderungen angemessen vortragen (vgl. ebd.). Und schließlich formulieren sie eigene Meinungen und können diese vertreten (vgl. ebd.). Diese Kompetenzerwartungen steigern sich für die Jahrgangsstufen 7 / 8 und dann erneut für die Jahrgangsstufen 9 / 10, in welchen schließlich von den Schüler:innen erwartet wird, dass sie zunehmend über kommunikative Sicherheit verfügen und erzählerische Formen als Darstellungsmittel bewusst einsetzen können (vgl. Ministerium für Schule, Jugend und Kinder des Landes Nordrhein-Westfalen 2004, S. 23). Darüber hinaus sollen sie unter Einbeziehung eigener Bewertungen über Ereignisse berichten und Vorgänge im Kontext beschreiben können (vgl. ebd.). Sie sollen des Weiteren Referate erarbeiten und weitgehend frei, durch angemessene Präsentationstechniken und Begleitmedien unterstützt, vortragen können (vgl. Ministerium für Schule, Jugend und Kinder des Landes Nordrhein-Westfalen 2004, S. 24). Schließlich sollen die Schüler:innen Empfindungen und Gedanken unter Beachtung der Formen gesellschaftlichen Umgangs äußern können sowie bei strittigen Auseinandersetzungen sachlich Argumente abwägen und den eigenen Standpunkt sprachlich differenziert und unter Beachtung der Argumentationsregeln entwickeln und darlegen können (vgl. ebd.).
Der Aufgabenschwerpunkt „Gespräche führen“ teilt sich in zwei Kompetenzen auf: die Schüler:innen können am Ende der Jahrgangsstufe 5 / 6 Gesprächsregeln vereinbaren und einhalten und sie können Störungen erkennen und Verbesserungen vorschlagen (vgl. Ministerium für Schule, Jugend und Kinder des Landes Nordrhein-Westfalen 2004, S. 25). Am Ende der Jahrgangsstufen 9 / 10 sollen sie sich als Steigerung zu den vorherigen Jahrgängen mit differenzierten Beiträgen an Diskussionen und Gesprächen beteiligen sowie diese leiten, moderieren und beobachten können (vgl. Ministerium für Schule, Jugend und Kinder des Landes Nordrhein-Westfalen 2004, S. 25). Darüber hinaus sollen sie über eine sachbezogene Argumentationsweise in Auseinandersetzungen verfügen, andere Positionen als die eigene respektieren und Kompromisse erarbeiten können (vgl. ebd.).
„Zuhören“ umschließt zwei Kompetenzen, aufgrund derer am Ende der Jahrgangsstufen 5 / 6 von den Schüler:innen erwartet wird, aufmerksam zuhören zu können und sach- sowie situationsbezogen auf Mitschüler:innen zu reagieren (vgl. Ministerium für Schule, Jugend und Kinder des Landes Nordrhein-Westfalen 2004, S. 26). Überdies sollen sie bedenken, sich Notizen zu machen, um Gehörtes festzuhalten (vgl. ebd.). Am Ende der Jahrgangsstufe 9 / 10 haben sich die Kompetenzen weiterentwickelt. Die Schüler:innen können nun konzentriert längere Redebeiträge und mündliche Darstellungen verfolgen und sich mit ihnen kritisch auseinandersetzen sowie umfangreich gesprochene Texte mithilfe geeigneter Schreibformen (z.B. Protokoll) sichern (vgl. ebd.).
Als letzter Aufgabenschwerpunkt der Kategorie „Sprechen und Zuhören“ ist „gestaltend sprechen / szenisch spielen“ mit drei Unterpunkten aufgelistet. Am Ende der Jahrgangsstufe 5 / 6 können die Schüler:innen hiernach in vorgegebenen Situationen gestaltend sprechen, kürzere Texte auswendig vortragen und beim szenischen Spiel verbale sowie nonverbale Mittel einsetzen und deren Wirkung erproben (vgl. ebd.). Am Ende der Jahrgansstufe 9 / 10 sind die ersten beiden Kompetenzen zusammengefasst: die Schüler:innen können sprachgestaltende Mittel bewusst in unterschiedlichen Situationen einbauen (vgl. ebd.). Des Weiteren können sie literarische Texte mithilfe szenischen Spiels interpretieren (vgl. ebd.).
Die Kategorie (iv) „Reflexion über Sprache“ besteht aus sechs Aufgabenschwerpunkten. Der erste Schwerpunkt „Sprache als Mittel der Verständigung“ sowie der dritte Schwerpunkt „Sprachvarianten und Sprachwandel“ sind hierbei am bedeutendsten für den weiteren Verlauf dieser Arbeit. Dementsprechend wird im Folgenden nicht auf „sprachliche Formen und Strukturen in ihrer Funktion“ und „richtig Schreiben laut Buchstabenebene, Wortebene, Satzebene und Lösungsstrategien“ eingegangen.
Am Ende der Jahrgangsstufen 5 / 6 sollen die Schüler:innen als Teil des Aufgabenschwerpunkts „Sprache als Mittel der Verständigung“ die Abhängigkeit der Verständigung von der Situation und der Sprecher:innenrolle erkennen sowie von der sprachlichen Form einer Äußerung auf die mögliche Absicht der Verfasser:innen schließen (vgl. Ministerium für Schule, Jugend und Kinder des Landes Nordrhein-Westfalen 2004, S. 39). Am Ende der Jahrgangsstufe 9 / 10 sollen die Schüler:innen verbale und nonverbale Kommunikationsstrategien kennen und gezielt einsetzen können sowie bei Sprachhandlungen zwischen Inhalts- und Beziehungsebene unterscheiden, dies reflektieren und die eigene Sprachhandlung darauf einstellen können (vgl. ebd.).
Der Aufgabenschwerpunkt „Sprachvarianten und Sprachwandel“ besteht aus drei Unterpunkten, von denen die letzten beiden zusammengefasst werden. Dementsprechend sollen die Schüler:innen am Ende der Jahrgangsstufe 5 / 6 zwischen mündlichem und schriftlichem Sprachgebrauch unterscheiden können sowie Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Sprachen untersuchen können (vgl. Ministerium für Schule, Jugend und Kinder des Landes Nordrhein-Westfalen 2004, S. 41). Dies entwickelt sich zum Ende der Jahrgangsstufe 9 / 10 weiter; hier sollen die Schüler:innen verschiedene Sprachvarianten reflektieren können und über vertiefte Kenntnisse in Bezug auf Gebrauch, Bedeutung und Wandel von Wörtern und Formulierungen verfügen sowie die kulturelle Bedingtheit von Sprache und den Einfluss von fremder Sprache auf die deutsche erkennen können (vgl. ebd.).
Im Folgenden werden die Kompetenzerwartungen an Schüler:innen der gymnasialen Oberstufe (Sekundarstufe II) erläutert, um ein möglichst ganzheitliches Bild der Anforderungen abzubilden.
3.2.2.2 Kernlehrplan Deutsch für die Sekundarstufe II (gymnasiale Oberstufe)
Der Kernlehrplan Deutsch für die gymnasiale Oberstufe behandelt die Inhaltsfelder Sprache, Texte, Kommunikation und Medien (vgl. Ministerium für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen 2014, S. 12). Die für diese Bereiche zu erlernenden Kompetenzen werden in Erwartungen bis zum Ende der Einführungsphase, Erwartungen an einen Grundkurs und einen Leistungskurs aufgeteilt (vgl. Ministerium für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen 2014, S. 12 ff.). Zudem spalten sich die Kompetenzbereiche der Inhaltsfelder auf Rezeption (Lesen und Zuhören) sowie Produktion (Schreiben und Sprachen) auf und resultieren in den erstrebenswerten Kompetenzen Reflektieren und Beurteilen (vgl. Ministerium für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen 2014, 16).
Für die Einführungsphase soll sich der Unterricht im Bereich Sprache auf deren Funktionen und Strukturmerkmale fokussieren sowie auf Sprachvarietäten am Beispiel von Fachsprache und die Aspekte der Sprachentwicklung (vgl. Ministerium für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen 2014, S. 20). Die inhaltlichen Schwerpunkte des Themenfelds Texte liegen auf Dramen (hier soll eine Ganzschrift im Unterricht besprochen werden), Erzähltexten, lyrischen Texten in einem thematischen Zusammenhang sowie auf Sachtexten (vgl. Ministerium für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen 2014, S. 21 f.). Das Inhaltsfeld Kommunikation legt den Fokus auf die Besprechung der Kommunikationsmodelle, Gesprächsanalysen und eine rhetorisch ausgestaltete Kommunikation (vgl. Ministerium für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen 2014, S. 22 f.). Als letztes Inhaltsfeld des Kernlehrplans wird der Schwerpunkt auf Medien gelegt: hier behandeln die Lehrer:innen im Unterricht eine Informationsdarbietung in verschiedenen Medien, digitale Medien und ihren Einfluss auf die Kommunikation sowie Sendeformate in audiovisuellen Medien (vgl. Ministerium für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen 2014, S. 23 f.).
[...]
1 In der vorliegenden Arbeit wird aus Gründen der Inklusion mit einem „:“ gegendert. Nicht nur, dass dieser Doppelpunkt für alle (auch die non-binären) Geschlechter steht, er kann darüber hinaus im Gegensatz zum „*“ von Screen-Readern mitgesprochen werden und ist somit barrierearm (vgl. Geschickt gendern - das Genderwörterbuch und SprachBewusst.SprachGerecht (2020)).
2 PoC steht für people of color (deutsch: farbige Menschen; singular: person of color) und „ist eine Selbstbezeichnung von Menschen, die Rassismus erfahren“ (Diversity Arts Culture ).
3 LGBTQI+ steht für Lesben, Gays (deutsch: Schwule), Bisexuelle, Transsexuelle, queere Menschen (z.B. Pansexuelle) und intersexuelle Menschen. Das Plus am Ende ist ein Zeichen der Inklusion – jede:r soll sich als Teil dieser Gruppe fühlen dürfen. LGBTQI+ steht im Gegensatz zu Cisgender-Menschen, das sind heterosexuelle Menschen, deren Geschlechtsidentität mit ihrem körperlichen Geschlecht übereinstimmt (vgl. #cis-gender – FUMA Fachstelle Gender & Diversität).
4 Im Folgenden wird „Autismus-Spektrum“ mit „AS“ und dementsprechend „Schüler:innen innerhalb des Autismus-Spektrums“ als „Schüler:innen mit AS“ abgekürzt.
5 Im Folgenden als ASS abgekürzt.
6 Auch diese Arbeit wird abgesehen von den medizinischen Definitionen und direkten Zitaten versuchen, den Begriff „Störung“ zu vermeiden, um ein möglichst inklusives und barrierefreies Lesen zu ermöglichen.
7 Synonym zu wechselseitig. In diesem Kontext bedeutet es also eine Handlung durch- oder einzuführen, die auf Gegenseitigkeit beruht und voraussetzt wechselseitig handeln zu können.
8 In der Medizinforschung sind „Sensitivität“ und „Spezifität“ statistische Maße bei Klassifikationstests. Hierbei misst die Sensitivität den Anteil der tatsächlichen Positiven, die korrekt als solche erkannt werden; wohingegen die Spezifität den Anteil der tatsächlichen Negativen misst, die korrekt als solche identifiziert werden.
9 „Theory of Mind“ wird im Folgenden mit „ToM“ abgekürzt.
10 Der Wechsel von einer Hauptschule auf eine weiterführende Schule mit gymnasialer Oberstufe ist nur möglich, wenn die Schüler:innen einen Realschulabschluss vorweisen können.
- Citation du texte
- Marie H. (Auteur), 2022, Wie Schüler mit Asperger-Syndrom von Lernprogrammen profitieren. Reduzierung von Barrieren nach der CoViD-19-Pandemie, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1300982
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