„Seine Bewunderer sprachen von Adaption und Bearbeitung, seine Gegner nannten diese Methode Plagiat, Piraterie, schamlosen Diebstahl. Er holte sich seine Vorlagen, wo er sie fand. Es kam ihm nicht darauf an, ob es sich um Größen der Vergangenheit oder um Zeitgenossen handelte, um Villon, Marlowe und Shakespeare - oder um Kipling, Gorki und Klabund. Zeit seines Lebens wehte um Brechts kurz geschorenen Kopf ein scharfer kritischer Wind. Kein Wunder, sagten die einen: Einem so einzigartigen Talent flicken kleinere Geister immer gern am Zeuge. Kein Wunder, sagten die andern, mit einem so gefährlichen Scharlatan muss man kurzen Prozess machen. Ein Freund aus alten Berliner Tagen hat mir kürzlich einmal gesagt: >>Dass Brecht es nicht so genau nimmt mit dem geistigen Eigentum, das weiß doch jedes Kind. Natürlich klaut er – aber er klaut mit Genie, und darauf kommt es an.<<“
Lotte Lenya, die Ehefrau von Kurt Weill, Komponist der „Dreigroschenoper“, formuliert hier treffend, was die Rezeptionsgeschichte der „Dreigroschenoper“ grundlegend mitbestimmte: Die Frage nach den Urheberrechten.
Seit Alfred Kerr Bertolt Brecht am 03.05.1929 im Berliner Tageblatt vorwarf, er habe widerrechtlich Villon-Balladen in der Übersetzung Karl Klammers plagiiert, riss die Frage nach Brechts geistigem Eigentum an der „Dreigroschenoper“ nicht ab.
Mit der vorliegenden Hausarbeit soll nun der Frage nachgegangen werden, ob Kerrs Vorwurf gerechtfertig war und Brecht „schamlos“ von anderen abschrieb, oder aber ob Brecht seine Vorlagen so gravierend umgestaltete, dass ihm Originalität bescheinigt werden kann.
Der Schwerpunkt soll dabei auf dem Vergleich der Brechtschen „Dreigroschenoper“ mit der englischen Vorlage „The Beggar’s Opera“ von John Gay liegen. Welche Rolle spielte dieses Werk für Brecht? War es wirklich Vorlage oder vielmehr nur Anregung für ein neues Stück?
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Vergleich der „Beggar’s Opera“ mit Brechts „Dreigroschenoper“
2.1 Handlungsverlauf
2.1.1 John Gays „The Beggar’s Opera“
2.1.2 Brechts „Dreigroschenoper“
2.1.3 Analyse der Gemeinsamkeiten und Unterschiede
2.2 Vergleich der Hauptthesen beider Stücke
3 Brechts Position zur Frage nach geistigem Eigentum
4 Resümee: Alles nur geklaut?
Quellen- u. Literaturverzeichnis
1 Einleitung
„Seine Bewunderer sprachen von Adaption und Bearbeitung, seine Gegner nannten diese Methode Plagiat, Piraterie, schamlosen Diebstahl. Er holte sich seine Vorlagen, wo er sie fand. Es kam ihm nicht darauf an, ob es sich um Größen der Vergangenheit oder um Zeitgenossen handelte, um Villon, Marlowe und Shakespeare - oder um Kipling, Gorki und Klabund. Zeit seines Lebens wehte um Brechts kurz geschorenen Kopf ein scharfer kritischer Wind. Kein Wunder, sagten die einen: Einem so einzigartigen Talent flicken kleinere Geister immer gern am Zeuge. Kein Wunder, sagten die andern, mit einem so gefährlichen Scharlatan muss man kurzen Prozess machen. Ein Freund aus alten Berliner Tagen hat mir kürzlich einmal gesagt: >>Dass Brecht es nicht so genau nimmt mit dem geistigen Eigentum, das weiß doch jedes Kind. Natürlich klaut er – aber er klaut mit Genie, und darauf kommt es an.<<“[1]
Lotte Lenya, die Ehefrau von Kurt Weill, Komponist der „Dreigroschenoper“, formuliert hier treffend, was die Rezeptionsgeschichte der „Dreigroschenoper“ grundlegend mitbestimmte: Die Frage nach den Urheberrechten.
Seit Alfred Kerr Bertolt Brecht am 03.05.1929 im Berliner Tageblatt vorwarf, er habe widerrechtlich Villon-Balladen in der Übersetzung Karl Klammers plagiiert[2], riss die Frage nach Brechts geistigem Eigentum an der „Dreigroschenoper“ nicht ab.
Mit der vorliegenden Hausarbeit soll nun der Frage nachgegangen werden, ob Kerrs Vorwurf gerechtfertig war und Brecht „schamlos“ von anderen abschrieb, oder aber ob Brecht seine Vorlagen so gravierend umgestaltete, dass ihm Originalität bescheinigt werden kann.
Der Schwerpunkt soll dabei auf dem Vergleich der Brechtschen „Dreigroschenoper“ mit der englischen Vorlage „The Beggar’s Opera“ von John Gay liegen. Welche Rolle spielte dieses Werk für Brecht? War es wirklich Vorlage oder vielmehr nur Anregung für ein neues Stück?
Zur Beantwortung dieser Fragen werden beide Stücke gegenübergestellt. Wichtig wird dabei sein, welche Gemeinsamkeiten bzw. Unterschiede sich im Handlungsverlauf, in der Anlage der Charaktere sowie den daraus resultierenden Kernaussagen feststellen lassen. Sollten hierbei gravierende Differenzen zu erkennen sein, spricht viel für eine Neubearbeitung des Stoffes durch Brecht, wenn nicht sogar für das Entstehen eines völlig neuen Stückes.
Nach der Gegenüberstellung beider Werke soll schließlich Brechts eigene Position berücksichtigt und seine Haltung zur Frage nach geistigem Eigentum dargestellt werden.
Bei der Methode des Vergleichs zwischen zwei Stücken besteht oftmals die Gefahr, eigene Wertschätzungen und Vorurteile einzubeziehen und bereits im Vorfeld eines der beiden Werke als Maßstab anzusetzen. Umso wichtiger ist eine genaue Kenntnis beider Stücke, daher soll im Folgenden auch mit dem Vergleich der Handlungsverläufe begonnen werden. Da in einigen deutschen Übersetzungen der „Beggar’s Opera“ bereits Unschärfen enthalten sein können, wird der englische Originaltext zur Betrachtung herangezogen.
2 Vergleich der „Beggar’s Opera“ mit Brechts „Dreigroschenoper“
2.1 Handlungsverlauf
2.1.1 John Gays „The Beggar’s Opera“
Peachum, ein Hehler aus London, der die Diebe deckt bzw. sie bei Bedarf gegen Belohnung verrät und ihre gestohlene Ware verkauft, und seine Frau sind bestürzt als sie erfahren, dass ihre Tochter Polly ausgerechnet den Chef der Einbrecher, Macheath, geheiratet hat. Sie brauchen die Tochter in ihrem Bettlergeschäft, zudem ist ein Einbrecher nicht ehrbar genug für ihre Familie („[...] could you introduce nobody into our family but a highwayman?“, S.55)[3], sodass die Ehe rückgängig gemacht werden muss: „Married! If the affair is not already done, I’ll terrify her from it, by the example of our neighbours.” (S.50). Peachum beschließt seine Verbindung zum Gefängnischef Lockit auszunützen und Mackie festzunehmen: „He shall be taken off“ (S.63).
Zwar wird Macheath von Polly gewarnt (S.67), aber statt zu verschwinden, begibt er sich zu den Huren in der Drury Lane (S.73 ff.). Nachdem ihn die Huren verraten haben, nimmt ihn die Polizei dort fest und Macheath wird ins Gefängnis Old Bailey gebracht (S. 78 ff.).
Mackie hat jedoch mit Lucy, der Tochter des Gefängnisaufsehers Lockit, ein Verhältnis, das von ihm zu seiner Befreiung aus dem Gefängnis genutzt wird (S.95). Peachum berät sich daher mit Lockit, wie man Macheath wieder einfangen kann (S.102 ff.). Die Hurenwirtin Mrs. Trapes deutet an, dass Mackie bei der Hure Mrs. Coaxer zu finden sein könnte (S.107). Somit wird Macheath wieder gefangen genommen, Peachum und Lockit beschwören ihre Töchter, von Macheath zu lassen und froh zu sein, dass wie Witwen würden (S.115).
Der Einbrecherkönig wird zum Tode durch Hängen verurteilt und erfährt, dass seine Komplizen Ben Budge und Matt of the Mint das nötige Geld wahrscheinlich nicht aufbringen können, das Macheath befreien würde (S.119). Vier weitere Frauen mit Kindern kommen hinzu, die sich ebenfalls als Ehefrauen von Macheath ausgeben, zuviel für ihn: Er ist bereit für den Galgen (S.120).
Den Handlungsverlauf unterbrechend treten nun, wie auch schon zu Beginn des Stücks (S. 41f.), ein Bettler und ein Schauspieler auf. Dieser „Player“ übt Kritik, da der Strafvollzug am Galgen gattungstypologisch zur Tragödie gehöre, doch „an opera must end happily“ (S.121). So endet die Oper schließlich mit einem Tanz aller Personen, Mackie wählt Polly Peachum zur Tanzpartnerin und ebenso zur Ehefrau.
[...]
[1] Unseld: Bertolt Brechts Dreigroschenbuch, S.328.
[2] vgl. Lucchesi: Die Dreigroschenoper, S.201.
[3] Die angegeben Seitenzahlen in diesem Abschnitt beziehen sich auf Gay, John: The Beggar’s Opera, London 1986.
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