Einleitung
Die Bildungsexpansion kann als die wichtigste Veränderung im Bildungswesen der letzten Jahrzehnte gewertet werden. Zielsetzung dieser Bildungsexpansion war unter anderem, die Bildungschancen für alle Bevölkerungsschichten zu verbessern. Eine Chancengleichheit besteht jedoch nur formal, wie die PISA-Studie bestätigt hat. Theoretisch ist es jedem möglich, die Schulbildung zu erhalten, zu der er befähigt ist. So gilt hierbei das Leistungsprinzip, d.h. dass jeder nach der tatsächlich erbrachten Leistung bewertet und eingestuft wird und aufgrund dieser weitere Zulassungen erhält. Eine Selektion nach wirtschaftlicher Situation oder Schichtzugehörigkeit wird öffentlich dementiert, der Zugang zur Bildung stehe jedem gleichermaßen offen. Unterzieht man das deutsche Bildungssystem nur einer oberflächlichen Betrachtung, wird dieser Schein gewahrt. Eine tiefergehende Untersuchung zeigt jedoch deutlich, dass dadurch einige einflussreiche Faktoren, die den Zugang zur Bildung ebenfalls bedingen, außen vor gelassen werden und unberücksichtigt bleiben. Solche Faktoren sind zum Beispiel die soziale Stellung der Eltern, deren wirtschaftliche Lage und die Einbindung in das soziale Netzwerk. Unter anderem ergab die PISA-Studie, dass das deutsche Bildungssystem im Bezug auf die soziale Vererbung bzw. die Weitergabe des sozialen Status das selektivste ist. Dies zeigt, dass der Begriff der Chancengleichheit bei einer tiefer greifenden Betrachtung nicht haltbar ist. Statistiken weisen zum Beispiel deutlich nach, dass der Anteil der Kinder aus Arbeiterfamilien in höheren Bildungsgängen deutlich niedriger ist als beispielsweise der Anteil der Kinder der Freiberuflichen und Führungskräften. Der Anteil der Arbeiterkinder an Universitäten in Deutschland beläuft sich auf nur etwa 2 %. Dies lässt sich sicherlich nicht auf eine geringere naturgegebene Begabung der Kinder in unteren Schichten zurückführen. Es müssen im Gegenteil andere Gründe hierfür in Betracht gezogen werden.
In dieser Arbeit sollen mögliche direkte und indirekte Faktoren, die den Zugang zur Bildung beeinflussen herausgearbeitet werden. Die daraus entstandenen Modelle sollen, anhand des im Gemeinschaftsprojekt der Universitäten Konstanz und Zürich von Herrn Prof. Dr. Helmut Fend und Herrn Prof. Dr. Werner Georg erhobenen Datensatz überprüft werden...
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Thematische Einführung
2.1 Bourdieu/Passeron: „Die Illusion der Chancengleichheit“
3. Der Kapitalbegriff in den Sozialwissenschaften
3.1 Pierre Bourdieu: „Ökonomisches Kapital, kulturelles Kapital, soziales Kapital“
3.1.1 Das kulturelle Kapital
3.1.2 Das soziale Kapital
3.2 Die Kapitalumwandlung
4. Paul DiMaggio: „Cultural capital and school success: the impact of status culture participation on the grades of u.s. high school students”
5. Empirische Phase
5.1 Deskripitve Statistik
5.2 Formulierung der Hypothesen
5.3 Nominaldefinition der Begriffe und Variablen
5.4 Faktorenanalyse: Kulturelles Kapital
5.5 Regressionsanalysen
5.6 Überprüfung der Hypothesen
6. Zusammenfassung der Ergebnisse
7. Anhang
I. Literaturverzeichnis
II. Tabellen- und Abbildungsverzeichnis
III. Auszüge aus den Fragebögen
1. Einleitung
Die Bildungsexpansion kann als die wichtigste Veränderung im Bildungswesen der letzten Jahrzehnte gewertet werden. Zielsetzung dieser Bildungsexpansion war unter anderem, die Bildungschancen für alle Bevölkerungsschichten zu verbessern. Eine Chancengleichheit besteht jedoch nur formal, wie die PISA-Studie bestätigt hat. Theoretisch ist es jedem möglich, die Schulbildung zu erhalten, zu der er befähigt ist. So gilt hierbei das Leistungsprinzip, d.h. dass jeder nach der tatsächlich erbrachten Leistung bewertet und eingestuft wird und aufgrund dieser weitere Zulassungen erhält. Eine Selektion nach wirtschaftlicher Situation oder Schichtzugehörigkeit wird öffentlich dementiert, der Zugang zur Bildung stehe jedem gleichermaßen offen. Unterzieht man das deutsche Bildungssystem nur einer oberflächlichen Betrachtung, wird dieser Schein gewahrt. Eine tiefergehende Untersuchung zeigt jedoch deutlich, dass dadurch einige einflussreiche Faktoren, die den Zugang zur Bildung ebenfalls bedingen, außen vor gelassen werden und unberücksichtigt bleiben. Solche Faktoren sind zum Beispiel die soziale Stellung der Eltern, deren wirtschaftliche Lage und die Einbindung in das soziale Netzwerk. Unter anderem ergab die PISA-Studie, dass das deutsche Bildungssystem im Bezug auf die soziale Vererbung bzw. die Weitergabe des sozialen Status das selektivste ist. Dies zeigt, dass der Begriff der Chancengleichheit bei einer tiefer greifenden Betrachtung nicht haltbar ist. Statistiken weisen zum Beispiel deutlich nach, dass der Anteil der Kinder aus Arbeiterfamilien in höheren Bildungsgängen deutlich niedriger ist als beispielsweise der Anteil der Kinder der Freiberuflichen und Führungskräften. Der Anteil der Arbeiterkinder an Universitäten in Deutschland beläuft sich auf nur etwa 2 %. Dies lässt sich sicherlich nicht auf eine geringere naturgegebene Begabung der Kinder in unteren Schichten zurückführen. Es müssen im Gegenteil andere Gründe hierfür in Betracht gezogen werden.
In dieser Arbeit sollen mögliche direkte und indirekte Faktoren, die den Zugang zur Bildung beeinflussen herausgearbeitet werden. Die daraus entstandenen Modelle sollen, anhand des im Gemeinschaftsprojekt der Universitäten Konstanz und Zürich von Herrn Prof. Dr. Helmut Fend und Herrn Prof. Dr. Werner Georg erhobenen Datensatz überprüft werden. Die theoretische Erarbeitung wird sich überwiegend an den Überlegungen von Pierre Bourdieu / Jean-Claude Passeron sowie James Coleman orientieren, welche im Folgenden ausführlich dargestellt werden.
2. Thematische Einführung.
2.1 Pierre Bourdieu / Jean-Claude Passeron: „Die Illusion der Chancengleichheit“
Bevor wir uns nun im Folgenden dem Text von Bourdieu/Passeron „die Illusion der Chancengleichheit“ widmen, muss noch festgestellt werden, dass die Autoren ihre Ergebnisse auf in den 60er und 70er Jahren in Frankreich erhobene Studien stützen. Diese sind auf die Gegenwart und die BRD nicht 1:1 übertragbar. Die Schlussfolgerungen von Bourdieu/Passeron stellen jedoch eine fundierte theoretische Basis dar, die in ihrer Gesamtheit nach wie vor Geltung findet und für diese Arbeit relevant ist.
Die tatsächliche Verteilung der Studenten an deutschen Hochschulen hinsichtlich ihrer Schichtzugehörigkeit zeigt, dass die Arbeiterkinder im Vergleich zu den Kindern der mittleren und höheren Schicht, unter Berücksichtigung der Populationsverteilung. deutlich unterrepräsentiert sind. Bourdieu gliedert die Chancen für einen Hochschulbesuch in vier Kategorien. Dem zufolge haben die Kinder der unteren Schicht nur eine symbolische Chance zum Hochschulbesuch (5%). Die Chancen der Kinder der mittleren sind etwa dreimal so hoch wie die der unteren Schicht (15%). Die der oberen Mittelschicht verdoppeln sich demgegenüber noch einmal (30%). Mit 60% liegen die Chancen zum Hochschulzugang für Kinder der Oberschicht am höchsten. Aktuelle Daten aus der 16. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks zeigen ähnliche Verhältnisse, wie aus folgender Grafik[1] ersichtlich wird:
Abbildung 1: Bildungsbeteiligung nach Herkunft
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Bei einer nahezu gleich großen Anzahl von 19 – 24 Jährigen aus den Schichten der Arbeiter wie der Angestellten liegt die Bildungsbeteiligungsquote, also die relative Anzahl derer, die ein Studium aufnehmen, in der Schicht der Angestellten dreimal so hoch wie in der Arbeiterschicht. Für Beamte
und Selbständige nimmt die Bildungsbeteiligungsquote gegenüber den Angestellten ebenfalls um fast das Doppelte zu. Wie folgende Grafik[2] zeigt, sind seit den 1980er Jahren die Zahlen für die Bildungsbeteiligung in der mittleren und unteren Schicht zum Teil stark rückläufig (von 34% auf 28% bzw. von 23% auf 13%), während sie in der höchsten Schicht stark zugenommen haben (von 17% auf 33%). Einzig bei der gehobenen Schicht blieb der Wert über die Jahre relativ konstant.
Abbildung 2: Bildungsbeteiligung nach Herkunft und Jahr
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Laut Bourdieu/Passeron lassen sich die Ursachen für ein derartiges Gefälle auf verschiedene Faktoren zurückführen. Zum einen ist hierfür das Schulsystem verantwortlich, welches in den verschiedenen sozialen Schichten verschieden stark Eliminierungen vornimmt. Nachstehende Grafiken[3], Bildungstrichter genannt, illustrieren diese Tatsache:
Abbildung 3: Bildungstrichter hohe soziale Herkunft
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Während Kinder aus einer höheren sozialen Herkunftsgruppe auf dem Weg zur Hochschule nur einer geringen Eliminierungsrate ausgesetzt sind, ist Kindern aus unteren sozialen Herkunftsgruppen schon der Weg zu Schulen, die den Hochschulzugang ermöglichen, deutlich erschwert. Von hundert Kindern aus niederen Schichten haben nur 33 überhaupt die Möglichkeit, die Hochschulreife zu erlangen. Von den übrigen sind es dann ganze 8 Kinder, die tatsächlich eine Hochschule besuchen.
Abbildung 4: Bildungstrichter nieder soziale Herkunft
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Diese ungleich verteilten Eliminierungen sind im Schulsystem begründet. So hat ein Schüler aus einer niedereren Schicht mehr Leistung zu erbringen als ein Schüler aus einer höheren Schicht, um dieselbe Anerkennung zu erhalten. Gleiche Leistungen der Schüler werden besonders bei den Empfehlungen für die Sekundarschule unterschiedliche bewertet.[4] Laut Bourdieu/Passeron wird die von den Lehrkräften vorgenommene Beurteilung der Schüler vom jeweiligen sozialen Status der Eltern beeinflusst. Hier wird unter anderem davon ausgegangen, dass Kinder aus höheren Schichten eine bessere schulbegleitende Unterstützung vom Elternhaus bekommen. Darüber hinaus werden derartige Entscheidungen des zur Mittelschicht gehörende Lehrkörper bewusst oder unbewusst von seinem eigenen Schichtzugehörigkeitsgefühls und der Bewunderung der höheren Schicht beeinflusst.
Eine weitere Ursache für das Gefälle an Hochschulen ist das schichtspezifische Selbstbild, mit welchem die Selbstverständlichkeit des eigenen Studiums zu- bzw. abnimmt. Ist für den einen die Vorstellung vom Studium eine „unerreichbare“ Zukunftsperspektive, stellt es für andere eine „mögliche“ oder sogar „selbstverständliche“ Aussicht dar. Entsprechend des Ausbildungswerdegangs der Eltern entstehen die Bildungserwartungen der Kinder. Während für die Kinder der höheren Schichten ein Hochschulbesuch als ein gewöhnlicher Ausbildungsweg angesehen wird, bleibt dieser den Kindern aus niederen Schichten fremd. Denn selbst wenn einem Kind aus der Arbeiterschicht der Weg zu höherer Bildung aufgrund der Begabung freisteht, so sind die Entscheidungen über den Bildungsverlauf immer Resultate einer schichtspezifischen Kalkulation zu den Kosten und Nutzen der Bildung. Tendenziell überschätzen untere soziale Schichten die Kosten der Bildung und unterschätzen den Nutzen (Einkommen, Prestige). Stehen die wirtschaftlichen Voraussetzungen einer Familie vergleichsweise schlecht, dann wird das „Risiko“ einer weiterführenden Schulbildung nur dann in Kauf genommen, wenn die Erfolgsaussichten hierfür überdurchschnittlich gut sind. Dagegen sind Eltern höherer Schichten eher bereit Bildungskosten, trotz unter Umständen geringerer Erfolgswahrscheinlichkeit zu tragen, da ein Statusabstieg weniger gern in Kauf genommen wird als die Kosten für eine höhere Bildung. Demzufolge entwickeln sie größere Anstrengungen auch bei schlechteren individuellen Voraussetzungen als niedrigere Schichten. Nicht nur höhere finanzielle Investitionen in die Bildung sind die Folge, sondern auch eine höhere Risikobereitschaft ebenso wie größerer Durchsetzungswillen (z.B. geringere Berücksichtigung von Schulempfehlungen, sofern diese nicht den eigenen Vorstellungen entsprechen).
Analog lassen sich auch Unterschiede bei den Studenten zum Studium selbst feststellen. Nach Bourdieu/Passeron vertreten Studenten aus höheren Schichten häufiger die Begabungsideologie und sind von der eigenen Begabung auch stärker überzeugt. Daher ist ihr Studienverhalten stark von Dilettantismus gekennzeichnet. Sie lesen beispielsweise weniger der in den Studienprogrammen vorgeschriebenen Werke, richten ihr Studium vielseitiger aus und sind in der Beurteilung der eigenen Leistungen optimistischer als Studenten aus unteren Schichten. Mit diesem Selbstbild kann eine Selbstsicherheit entwickelt werden, welche den Studenten in Prüfungssituationen, zum Beispiel mündlichen Prüfungen, einen entscheidenden Vorteil bringt. Die Distanziertheit bürgerlicher Studenten zum Studium ermöglicht es ihnen, den größten Nutzen aus dem universitären Angebot zu ziehen. Darüber hinaus ziehen sie aus ihrer privilegierten Herkunft weitere Vorteile: „die privilegiertesten Studenten verdanken ihrem Herkunftsmilieu […] Gewohnheiten, Fähigkeiten und Einstellungen, die für das Studium nützlich sind“[5]. Besonders ausschlaggebend ist dabei die Beherrschung der dem Bildungswesen spezifischen Sprache, welcher eine humanistische Ausbildung, wie sie vor allem Kinder höherer Schichten erhalten, zugrunde liegt. In diesem Zusammenhang muss festgestellt werden, dass heutzutage kaum noch, weder an den deutschen Gymnasien, noch an den Gesamtschulen eine vollhumanistische Bildung mit Latein und Griechisch gelehrt wird. Dennoch verlieren Bourdieu/Passerons Schlussfolgerungen ihre Gültigkeit nicht vollständig. Trotz der neusprachlichen und naturwissenschaftlichen Züge an den weiterführenden hochschulqualifizierenden Schulen, ist Latein zumindest teilweise noch in den Lehrplänen enthalten. Dies nutzen im Besonderen Eltern aus privilegierten Schichten, welche ihre Kinder bevorzugt auf eben diese Schulen schicken, die altsprachliche Züge anbieten.
Neben der prozentualen Unterrepräsentation der niedereren Schichten an den Hochschulen insgesamt lässt sich ferner eine fachbezogene Ungleichverteilung der sozialen Schichten feststellen.
Dies wird in folgender Tabelle[6] erkenntlich:
Tabelle 1: Bildungschancen nach sozialer Herkunft (1961/1962)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Darin zeigt sich, dass Kinder aus unterprivilegierten Schichten zum größten Teil auf die naturwissenschaftliche und geisteswissenschaftliche Fakultät beschränkt sind (80%). Ein deutlich geringerer Anteil ist in der juristischen Fakultät eingeschrieben (15%). Die Wahrscheinlichkeit in den Studiengängen Medizin oder Pharmakologie Studenten aus unteren Schichten anzutreffen, ist äußerst gering (5%). Mit steigenden sozialen Status des Elternhauses sind die Studenten auf die verschiedenen Fakultäten gleichmäßiger verteilt. Aktuelle Untersuchungen ergeben folgendes Bild[7]:
Abbildung 5: Bildungsbeteiligung nach Herkunft und Fach
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Zwar werden nicht dieselben Studienfächer wie bei Bourdieu/Passeron unterschieden, dennoch bestätigt sich in der aktuellen Studie, dass in der unteren Schicht ein Trend zu geistes- und sozialwissenschaftlichen Fächern zu verzeichnen ist, während Jura und vor allem Medizin eine untergeordnete Rolle spielen.
Die oben aufgezeigte Verteilung verdeutlicht einerseits die schichtspezifischen Interessen, welche sich vor allem aus dem Herkunftsmilieu ergeben. Festzustellen ist ein zunehmendes soziales Engagement in niedereren Schichten, beruhend auf einer wegen der eigenen sozialen Benachteiligung größeren sozialen Sensibilität. Daraus ergibt sich die Affinität zu geisteswissenschaftlichen, vermeintlich sozialeren Studiengängen. Andererseits empfinden Studenten aus niederen Schichten eine gewisse Unsicherheit gegenüber Studiengängen, welche auf eine Führungs- und Machtposition mit einem höheren sozialen Status abzielen. Das Anstreben solcher Positionen durch Studenten aus unterprivilegierten Schichten wird in den meisten Fällen zu einem Spannungsverhältnis zwischen Eltern und Kind führen.
Nach Bourdieu sind geschlechtsspezifische Unterschiede hinsichtlich der Schichten nicht signifikant. Daher soll in dieser Untersuchung ebenfalls keine Unterscheidung zwischen den Geschlechtern getroffen werden. Darüber hinaus lassen sich auch heute keine entscheidenden schichtspezifischen Unterschiede im Bezug auf nach Geschlechtern differenzierte Studienbeteiligung feststellen, wie die Grafik[8] auf der nächsten Seite verdeutlicht.
Abbildung 6: Bildungsbeteiligung nach Herkunft, Geschlecht und Hochschulart
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Allerdings lassen sich Schicht übergreifend unterschiedliche fachspezifische Interessen zwischen den Geschlechtern feststellen. Die Frauenquote liegt in den Geisteswissenschaften deutlich höher als die der Männer. In den Naturwissenschaften, sowie in der Medizin und auch in der juristischen Fakultät hingegen sind Männer deutlich häufiger vertreten (siehe Tabelle auf Seite 5). Hier wirken sich die traditionellen Arbeits- und Begabungsmodelle aus, in welchen Frauen eine stärkere soziale Begabung im zwischenmenschlichen Bereich nachgesagt wird. Den Männern hingegen wird eine technische Begabung zugesprochen. Ein ähnliches Bild vermittelt folgende aktuelle Grafik[9]:
Abbildung 7: Bildungsbeteiligung nach Geschlecht und Fach
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Deutlich zeigt sich ein höherer Frauenanteil in den Sozial- und Geisteswissenschaften, während sie in Ingenieurs- und Naturwissenschaften unterrepräsentiert sind.
Für Bourdieu/Passeron stellt die soziale Herkunft den ausschlaggebenden Faktor für die Ungleichverteilung beim Bildungszugang dar. Sie „ist mit den durch sie bedingten unterschiedlichen Chancen, Lebens- und Arbeitsverhältnissen unter allen Determinanten diejenige, deren Einfluss sich auf sämtliche Gebiete und alle Stufen des studentischen Erfahrungsbereich, vor allem aber auf die Existenzbedingungen erstreckt.“[10] Neben der genannten Eliminierung im Schulsystem und dem schichtspezifischen Selbstbild, wobei beide den Zugang zur Bildung direkt bedingen, gibt es eine Reihe weiterer, sekundärer Faktoren, die die Studentensituation beeinflussen. Hierbei sind besonders die Wohnverhältnisse und die damit verbundene Lebensführung zu nennen, die Art und Höhe der Studienfinanzierung und die damit verbundene Stärke und Art des Abhängigkeitsgefühls. Folgende aktuelle Grafik[11] verdeutlicht die Wohnsituation in Abhängigkeit der sozialen Herkunft:
Abbildung 8: Wohnsituation nach Herkunft
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Gegenüber den Zahlen von Bourdieu/Passeron lässt sich bei der Wohnsituation eine deutliche Veränderung feststellen: Während in den 1960ern noch 50 – 60 % der Studenten aus oberen Klassen bei den Eltern leben, stellen sie heute mit nur 17% den kleinsten, bei den Eltern lebenden Teil dar. Daneben ist die Gruppe der bei den Eltern wohnenden unter den niederen, mittleren und gehobenen Schichten nahezu gleich verteilt, wie sich auch insgesamt wenig schichtspezifische Unterschiede im Bezug auf die studentische Wohnform feststellen lassen. Studenten aus niederen Schichten wohnen häufiger mit dem Partner in einer gemeinsamen Wohnung als die übrigen Studenten. Dahingegen wohnen Studenten aus der höchsten Schicht am häufigsten in Wohngemeinschaften. Die „klassische Studentenbude“, zur Untermiete bei Privatleuten, wie sie zu Bourdieus Zeit in den 1960ern eine typische studentische Wohnform darstellte, spielt heute, unabhängig von der sozialen Herkunftsschicht, kaum mehr eine Rolle.
Wie die Grafik[12] im Folgenden aufzeigt, hat bei der Finanzierung eine geringere Veränderung statt gefunden. Im Gegensatz zu den von Bourdieu/Passeron erhobenen Daten haben die Studenten in der jetzigen Zeit im Schnitt in allen Schichten nahezu denselben monatlichen Betrag zur Verfügung, Die Zusammensetzung nach Quellen zeigt jedoch ähnliche Verhältnisse wie die Daten von Bourdieu/Passeron. Allerdings lässt sich konstatieren, dass die unteren Schichten in der Zwischenzeit größere Unterstützung aus dem Elternhaus erfahren, während Studenten aus oberen Schichten häufiger neben dem Studium arbeiten, als dies in den 1960ern der Fall war.
Abbildung 9: Einnahmen und Erwerbsquellen nach Herkunft
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Hieraus lassen sich jedoch keine Aussagen über die Erwerbsmotivation, also die Gründe für die Erwerbstätigkeit ableiten. Tatsächlich arbeiten die Studenten aus niederen Schichten, um sich, zumindest zu einem Teil, ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Studenten aus höheren Schichten dagegen arbeiten neben dem Studium meist, um sich dadurch einen höheren Lebensstandard finanzieren zu können.
Nach Bourdieu/Passeron bedeuten gleiche wirtschaftliche Voraussetzungen noch lange nicht gleiche Chancen im Bildungssystem, auch wenn die Studenten gleich begabt sein mögen. Denn das Bildungssystem in Frankreich in den 1960ern, ebenso wie heute in Deutschland, begünstigt mit seinen Erfolgskriterien die kulturellen Gewohnheiten der oberen Klasse. Der ohnehin schon privilegierten Klasse werden im Bildungssektor, bei gleichzeitiger Benachteiligung der unteren Klasse, Vorteile eingeräumt. Kinder aus den unteren Schichten haben in unserem Bildungssystem überhaupt nur dann eine Chance, wenn sie, wie Bourdieu/Passeron feststellen, über „außergewöhnliche Fähigkeiten“ und ein „ungewöhnliches familiäres Milieu“[13] verfügen. Ohne einen Verwandten oder Bekannten, der den
Sprung in die höchste Etage des Bildungssystems geschafft hat, bleibt diesen Kindern die Vorstellung von einem Hochschulstudium fremd. Selbst der Wille dorthin zu gelangen, verknüpft mit mühevoller Arbeit, reicht einem Arbeiterkind oftmals nicht aus, solange die Lehrkräfte den „brillianten“ oder „begabten“ Schüler dem „fleißigen“ vorziehen. Dass sie dabei einem ungerechten System Vorschub leisten, mag ihnen gar nicht bewusst sein. Schließlich sind sie ja selbst den Bildungskriterien der Elite erlegen, in denen sich das aus den unteren Schichten stammende Berufsethos der mühevollen Arbeit nicht mit der „aristokratischen Vorstellung von Bildung und intellektueller Arbeit“[14] deckt. Die an der Elitekultur orientierte Schulbildung begünstigt demnach, was sich ein Kind aus dem Arbeitermilieu nur schwer aneignen kann, dem privilegierten Kind aber schon in die Wiege gelegt ist: „Stil, Geschmack, Esprit, kurz, die Leichtigkeit und Lebensart, die dieser Klasse, da es ihre eigene Kultur ist, natürlich sind.“[15] Die Voraussetzungen für diese Qualitäten sind kulturelles und soziales Kapital, die im folgenden Kapitel ausführlich besprochen werden sollen.
[...]
[1] Aus: 16. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerk, 2001
[2] wie 1
[3] Aus: 15. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerk, 1996
[4] So hat die neueste PISA-Studie ergeben, dass für ein und dieselbe Leistung im Fach Mathematik Noten zwischen „gut“ und „ungenügend“ vergeben wurden. Ohne den Lehrkräften dies unterstellen zu wollen, bleibt zu prüfen, ob dies nur auf Sympathie und Antipathie gegenüber den einzelnen Schülern zurückzuführen ist, oder ob dabei auch die Schichtzugehörigkeit eine Rolle spielt.
[5] Aus Bourdieu/Passeron: „Die Illusion der Chancengleichheit“ S.35
[6] Aus Bourdieu/Passeron: „Die Illusion der Chancengleichheit“ S.21
[7] wie 1
[8] wie 1
[9] wie 1
[10] Aus Bourdieu/Passeron: „Die Illusion der Chancengleichheit“ S.29
[11] wie 1
[12] wie 1
[13] Aus Bourdieu/Passeron: „Die Illusion der Chancengleichheit“ S.41
[14] Aus Bourdieu/Passeron: „Die Illusion der Chancengleichheit“ S.42
[15] wie 14
- Citation du texte
- Bene Schuhholz (Auteur), 2003, Soziokulturelle Reproduktion im deutschen Bildungssystem, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/12954
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