Die hier vorgelegte Arbeit beschreibt die Entwicklung und Erprobung einer Methode zum Vergleich paralleler Texte, die in unterschiedlichen Sprachen und/oder eigenständigen Textentwicklungen vorliegen. Als am besten geeignet stellte sich heraus, alle zu vergleichenden Texte in eine gemeinsame Sprache zu übersetzen, in der dann der eigentliche Vergleich vorgenommen wird. Die Ansprüche, die an eine derartige Übersetzung zu stellen sind, sind andere als in Übersetzungen üblicherweise erhoben werden. Es erwies sich eine interlineare, dem Originaltext möglichst parallel folgende Satzstruktur nicht nur in Bezug auf den Übersetzungsaufwand, sondern vor allem für die anschließende, statistisch basierte Auswertung als besonders geeignet. Die festgestellten Unterschiede zu einem als Basis deklarierten Text ließen sich auf drei Arten charakterisieren:
Als Kategorien auf der Textoberfläche: hier finden sich Erweiterungen des Basistextes, Fehlstellen gegenüber dem Basistext und Abweichungen in der Bedeutung gegenüber dem Basistext; Als Eigenschaften oder Auswirkungen; Und als Ursachen oder Hintergründe, die zu den betrachteten Unterschieden geführt haben könnten.
Diese drei Dimensionen oder Charakteristika – es ist nicht ausgeschlossen, dass es noch weitere geben könnte – stellen somit drei Blickrichtungen auf die vorgefundenen Unterschiede der Parallelversionen gegenüber dem zugrunde gelegten Text dar. Sie werden in der folgenden Abbildung veranschaulicht. Für jede der drei Charakteristika oder Dimensionen der Unterschiede sind Beispiele angegeben, die in den späteren Kapiteln vorgestellt und erläutert werden.
Inhalt
Vorwort
Danksagung
1 Einleitung
2 Problemstellung und Abgrenzung
2.1 Fragestellung
2.2 Übersicht über Vergleichsmethoden in der Literatur
3 Entwicklung einer Vergleichsmethode für mehrere Parallelversionen des Bundesbuches
3.1 Die Übersetzung ins Deutsche
3.2 Erstellung der vollständigen Synopse
4 Verwendete Editionen und Übersetzungen
4.1 Masoretischer Text
4.1.1 Textbasis
4.1.2 Übersetzung
4.2 Targum Onkelos
4.2.1 Textbasis
4.2.2 Übersetzung
4.2.3 Kommentar zu den herangezogenen Editionen und Übersetzungen
4.3 Targum Neofiti
4.3.1 Textbasis
4.3.2 Übersetzung
4.3.3 Kommentar zu den beigezogenen Editionen bzw. Übersetzungen
4.4 Targum Pseudo Jonathan
4.4.1 Textbasis
4.4.2 Übersetzung
4.4.3 Kommentar zur beigezogenen Übersetzung
4.5 Septuaginta
4.5.1 Textbasis
4.5.2 Übersetzung
4.5.3 Kommentar zur Textbasis und zur beigezogenen Übersetzung
4.6 Vulgata
4.6.1 Textbasis
4.6.2 Übersetzung
4.6.3 Kommentar zur Textbasis und zu den beigezogenen Übersetzungen
4.7 Samaritanischer Pentateuch
4.7.1 Textbasis
4.7.2 Übersetzung
4.7.3 Kommentar zur Textbasis und zur beigezogenen Übersetzung
4.8 Überlegungen und Bemerkungen zu den eigenen Übersetzungen ins Deutsche
4.9 Zeitliche Einordnung der betrachteten Versionen
5 Synopse
6 Unterschiede zum masoretischen Text und ihre Kategorisierung
7 Auswertungen der kategorisierten Unterschiede
7.1 Quantitative Auswertungen der Unterschiede
7.2 Graphische Darstellungen
8 Vertiefung der Analyse der Unterschiede im Bundesbuch
8.1 Eigenschaften der ermittelten Unterschiede
8.2 Graphische Darstellungen
8.3 Zusammenfassung zur Eigenschaftenanalyse
9 Synoptische Analysen zwischen den Parallelversionen für das Bundesbuch
9.1 Gleiche Unterschiede in zwei oder mehr Parallelversionen
9.2 Synoptischer Vergleich der Verteilung der Unterschiede auf Versgruppen
10 Ursachen oder Begründungen für Unterschiede in den Parallelversionen zum MT
10.1 Einleitung
10.2 Methodisches Vorgehen
11 Grenzen der Methode und Ausblick
12 Zusammenfassung
13 Literaturverzeichnis
14 Anhänge
14.1 Synopse
14.2 Arbeitsdokumente zur Zuordnung der Unterschiede zu den Eigenschaften
14.3 Arbeitsdokumente zur Ermittlung möglicher Ursachen der festgestellten Unterschiede
14.4 Arbeitsdokument für die gemeinsamen Unterschiede in zwei oder mehreren Parallelversionen
Vorwort
Die hier vorgelegte Arbeit beschreibt die Entwicklung und Erprobung einer Methode zum Vergleich paralleler Texte, die in unterschiedlichen Sprachen und/oder eigenständigen Textentwicklungen vorliegen. Als am besten geeignet stellte sich heraus, alle zu vergleichenden Texte in eine gemeinsame Sprache zu übersetzen, in der dann der eigentliche Vergleich vorgenommen wird. Die Ansprüche, die an eine derartige Übersetzung zu stellen sind, sind andere als in Übersetzungen üblicherweise erhoben werden. Es erwies sich eine interlineare, dem Originaltext möglichst parallel folgende Satzstruktur nicht nur in Bezug auf den Übersetzungsaufwand, sondern vor allem für die anschliessende, statistisch basierte Auswertung als besonders geeignet. Die festgestellten Unterschiede zu einem als Basis deklarierten Text liessen sich auf drei Arten charakterisieren.
- Als Kategorien auf der Textoberfläche: hier finden sich Erweiterungen des Basistextes, Fehlstellen gegenüber dem Basistext und Abweichungen in der Bedeutung gegenüber dem Basistext
- Als Eigenschaften oder Auswirkungen
- Und als Ursachen oder Hintergründe, die zu den betrachteten Unterschieden geführt haben könnten
Diese drei Dimensionen oder Charakteristika – es ist nicht ausgeschlossen, dass es noch weitere geben könnte – stellen somit drei Blickrichtungen auf die vorgefundenen Unterschiede der Parallelversionen gegenüber dem zugrunde gelegten Text dar. Sie werden in der folgenden Abbildung veranschaulicht. Für jede der drei Charakteristika oder Dimensionen der Unterschiede sind Beispiele angegeben, die in den späteren Kapiteln vorgestellt und erläutert werden.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Charakteristika der Unterschiede zum Basistext, ermittelt am Bundesbuch Exodus 20,22 – 23,33
Diese auszugsweise dargestellten Ergebnisse wurden am Bundesbuch in Exodus 20,22 – 23,33 erarbeitet. Dabei diente der Masoretische Text als Basis, mit dem die folgenden sechs antiken Parallelversionen verglichen wurden:
- Drei Targume: Onkelos, Neofiti, Pseudo Jonathan
- Vulgata
- Septuaginta
- Samaritanischer Pentateuch
Die Ausprägungen der Charakteristika «Eigenschaften» und «Ursachen» sind nur für das Bundesbuch gültig und müssten für andere Texte erst empirisch erarbeitet werden. Die drei Ausprägungen für die Kategorien auf der Textebene haben allgemeine Gültigkeit.
Die Häufigkeiten der Ausprägungen innerhalb der drei Charakteristiken, die in Graphiken dargestellt werden, lassen neben bekannten Eigenschaften der Parallelversionen auch neue Befunde zu. Zum Beispiel zeigte sich, dass die Vulgata des Bundesbuches keine Übersetzung aus der Septuaginta sein kann, wie von manchen Forschern angenommen. Auch finden sich in der Septuaginta Hinweise, die einen Gebrauch in der Synagoge vermuten lassen. In der Septuaginta und den Targumen zeigen sich Übernahmen einer im Umfeld der Entstehung dieser Texte etablierten Rechtspraxis, wie sie so im Masoretischen Text nicht aufscheinen. Im Gegensatz zur Septuaginta, die eine etablierte Kultpraxis am Jerusalemer Tempel erkennen lässt, berücksichtigen die Targume, dass es keinen Kult im Tempel mehr gibt, die entsprechenden Umformungen gehen von Kultformen in der Familie, allenfalls in der Synagoge aus. Ferner sind die drei Targume, wie nicht anders zu erwarten war, stark von rabbinischen Konzepten geprägt, die bei den drei anderen Parallelversionen fehlen. Sie enthalten auch Hinweise auf einen bereits ausgeprägten und exklusiven Monotheismus. Weisen die Targume Neofiti und Pseudo Jonathan, sowie die Septuaginta eine starke Nähe zum Synagogengottesdienst auf, fehlt diese im Targum Onkelos, was auf eine andere Art der Entstehung hindeuten könnte.
Damit und mit weiteren, in den folgenden Kapiteln vorgestellten Ergebnissen lässt sich die Brauchbarkeit der entwickelten Vergleichs- und Auswertmethode nachweisen. Sie ist folglich auch geeignet, an wenig erforschten Texten und deren parallelen Versionen angewendet zu werden und zu neuen Erkenntnissen zu führen. Der Einsatz automatisierter Übersetzungswerkzeuge sowie die Unterstützung der Vergleichsarbeit durch Methoden und Werkzeuge, die unter dem Begriff «Artificial Intelligence» eventuell bereits vorhanden sind oder in Zukunft zur Verfügung stehen werden, könnte den Arbeitsaufwand, der nicht vernachlässigt werden darf, beträchtlich verringern.
Diese Analysemethode ermöglicht mit quantitativen Auswertungen eine integrale Übersicht zu Besonderheiten von parallel überlieferten Texten, die zu Rückschlüssen auf Entstehungsumstände oder Traditionsumfelder führen können. Die Resultate dieser Analysen können Hinweise liefern, an welchen Stellen der betrachteten Texte vertiefte Untersuchungen ansetzen könnten. Damit kann sie als Vorarbeit zu literarischen, textkritischen und philologischen Untersuchungen, die sich mit den einzelnen Unterschieden beschäftigen, gesehen werden.
Danksagung
Zuallererst gilt mein grosser Dank Herrn Prof. Dr. Thomas Krüger, dem ich vor vielen Jahren meine diffusen Ideen für ein Dissertationsprojekt zu Gesetzestexten in der Torah vorgelegt habe. Er hat mir mit grosser Geduld und freundschaftlicher Förderung auf dem verschlungenen, unklaren Weg der zunehmenden Erkenntnisse geholfen, mich begleitet und mit gezielten Fragen geführt, ohne dass einer von uns über lange Strecken wusste, ob dieser Weg überhaupt ein Ziel haben könnte. Nach vielen Jahren der Versuche musste ich jedoch feststellen, dass meine ursprünglichen Ambitionen meine Fähigkeiten überstiegen, weshalb ich das Dissertationsprojekt von mir aus 2021 abbrach.
Herr Prof. Dr. Christoph Uehlinger, der als Zweitbetreuer über mein Projekt ins Bild gesetzt wurde, hat mit religionswissenschaftlichen Anregungen und Fragen viel zur Klärung meiner Vorstellungen beigetragen. Ihm gilt ebenfalls mein grosser Dank, auch für seine wohlwollende Begleitung und Unterstützung, auf die ich immer wieder zählen durfte.
Wegen des grossen philologischen Gewichtes der Kernanalyse der Arbeit war ich auf die sprachlichen Kompetenzen der Herrn Dr. Peter Schwagmeier und Dr. Konrad Haldimann angewiesen, die sie mir, wann immer ich sie benötigte, freundschaftlich und bereitwillig zur Verfügung stellten. Ihnen sei ebenfalls mein persönlicher Dank abgestattet.
Schliesslich muss ich auch Frau Sylvia Dym danken, die sich bereit erklärt hatte, meinen Text vor der Veröffentlichung zu lesen. Ihre vielfältigen Fragen und Bemerkungen haben mir sehr geholfen, bei einigen Themen und Kapiteln klarer zu werden und vor allem Ergebnisse meiner Analysen ins Zentrum zu stellen, statt mich mir Vorgehensschilderungen aufzuhalten.
Und am Schluss bedanke ich mich auch bei meiner Frau, die mit manchmal etwas spöttischem Wohlwollen mein «Pensionistenhobby», wie sie es gelegentlich nannte, nicht nur ertrug, sondern auch unterstütze.
1 Einleitung
Die vorliegende Arbeit war in ihren Anfängen Teil eines Dissertationsprojektes an der Theologischen Fakultät der Universität Zürich, das ich 2012 begonnen und 2021 abgebrochen hatte. In der Folge wurde dieser Teil stark ausgebaut und vertieft. Er betrifft eine Untersuchungsmethodik, mit der mehrere parallele Texte miteinander verglichen und analysiert werden sollen. Stand zu Beginn des Dissertationsprojektes das Bundesbuch in Exodus 20,22 – 23,33 mit seinem Inhalt und seiner Bedeutung im Zentrum, verschob sich mein Fokus immer mehr auf die Entwicklung einer Methode für den Vergleich mehrerer antiker Versionen des Bundesbuches. Im Folgenden wird aufgezeigt, wie die Methode entwickelt wurde und welche Ergebnisse mit ihr erarbeitet worden sind. Auch wenn im Zentrum des Berichtes das methodische Vorgehen und die erzielten Ergebnisse stehen, ist die Beschäftigung mit dem Bundesbuch und seinem besonderen Inhalt deswegen von Bedeutung, weil daran das methodische Vorgehen entwickelt wurde und weil die mit dieser Methode erarbeiteten Ergebnisse anhand der umfangreichen Forschungsliteratur zum Bundesbuch überprüft und verifiziert werden konnten. Dies dient dem Nachweis der Brauchbarkeit der Vergleichs- und Analysemethode.
Um die Entwicklung des methodischen Vorgehens und die nach und nach erarbeiteten Ergebnisse nachvollziehen zu können, erscheint es mir erforderlich, den Entwicklungsprozess, wenn auch in gebotener Knappheit, zu schildern. Damit bietet sich dem Leser die Möglichkeit, allfällig übersehene Fehlschlüsse und Irrwege auszumachen und zu korrigieren. Ich bin der Meinung, dass diese Beschreibung auch dazu dienen kann, die Anwendbarkeit der Analysemethode auf andere Texte besser einschätzen zu können.
Auslöser für die Wahl des Bundesbuches war eine Aussage in Erich Zengers «Einleitung in das Alte Testament» (Zenger 2004) auf Seite 83:
«Die klassische Pentateuchkritik hat sich überwiegend mit den Erzähltexten in Genesis und Exodus beschäftigt und von ihnen aus ihre Hypothesen entwickelt. Die Rechts- und Kultüberlieferungen blieben weitgehend unberücksichtigt. Möglicherweise wird sich die Theoriebildung über die Entstehung des Pentateuchs in Zukunft verstärkt diesen zuwenden und von ihnen her ihre Hypothesen entwickeln müssen“.
Diese Aussage mag heute überholt sein, sie stellte damals, als es um die Suche eines Dissertationsthemas ging, einen Impuls und eine interessante Herausforderung dar. Daraus entwickelte sich nach und nach die Idee, einen Vergleich antiker Versionen des Bundesbuches mit der Hebräischen Bibel zu versuchen. Eine weitere Bestätigung für meinen Vergleichsansatz fand ich während der Arbeiten am Bundesbuch in einer Feststellung von Emanuel Tov (Tov 2019), S. 2
«…, a serious involvement in biblical studies necessitates the study of all sources, which necessarily involves study of the differences between them. The comparison and analysis of these textual differences thus holds a central place within textual criticism.”
Auch Shemaryahu Talmon stellt fest, dass neben innerbiblischen Betrachtungen auch die parallelen Versionen der Antike herangezogen werden müssten (Talmon 2010), S. 20:
An investigation of this matter (i.e. limits of the variation scope), based on a thorough and comprehensive synopsis of all types of variants, glosses, intentional modifications etc., which can be ascertained in our sources, is an urgent desideratum.
Obwohl Talmon diese Forderung erstmals bereits 1975 erhoben hatte, konnte ich in der Forschungsliteratur keinen Hinweis auf eine entsprechende Vergleichsmethodik ausmachen1. Dass Vergleiche schon immer durchgeführt worden waren, ist bekannt. Diese Vergleiche finden sich in kritischen Editionen der jeweiligen antiken Versionen, wobei auf eine oder zwei weiteren Versionen verwiesen wird. Jedoch ein integraler Vergleich mehrerer Versionen, mit Analysen der Unterschiede, konnte in der intensiv bearbeiteten Forschungsliteratur nicht gefunden werden. Deshalb musste ein Verfahren entwickelt werden, das den angestrebten Vergleich der parallelen Versionen ermöglichen würde.
Als Untersuchungsobjekte wurden neben dem hebräischen Text des Bundesbuches im Pentateuch, der in der masoretischen Fassung als Vergleichsbasis festgelegt wurde, sechs antike Parallelversionen eingeschlossen. Wegen des Fehlens von Vorarbeiten in der Literatur musste eine konkrete Fragestellung oder Zielsetzung der durchzuführenden Arbeiten erst nach und nach entwickelt werden. Sie wird in einem späteren Kapitel vorgestellt.
Bei der frühen Formulierung der Fragestellungen war es keineswegs sicher, ob aussagekräftige Analyseresultate erarbeitet werden könnten, oder ob die Anstrengungen und der Aufwand nicht nur eine methodische Spielerei werden würden. Erst im Laufe von Vorarbeiten, die sich auf einige wenige Verse bezogen, entwickelte sich die Sicherheit, dass Methode und Fragestellung möglicherweise mehr als nur triviale Resultate erbringen könnten.
Die vorzulegenden Resultate des systematischen Vergleichs mit dem hebräischen Text des Bundesbuches decken sich mit Erkenntnissen, wie sie schon in anderen Analysen in der Forschungsliteratur behandelt worden waren, erbrachten aber auch Neues und teilweise Unerwartetes. Neu ist allerdings die Gruppierung der Unterschiede nach Eigenschaften oder Wirkungen, die für alle Parallelversionen gelten, sowie die integrale Darstellung der Unterschiede in Graphiken. Neu ist auch der Versuch, Ursachen für die Unterschiede zum masoretischen Text der hebräischen Bibel zu ermitteln und ebenfalls integral für das Bundesbuch zu veranschaulichen. Über die Entwicklung der Vergleichsmethode und die Auswertung des synoptischen Vergleiches hinausgehende Analysen, wie philologische oder textkritische, werden nicht behandelt. Diese hätten Teil des eingangs erwähnten Dissertationsprojektes werden sollen.
2 Problemstellung und Abgrenzung
Wie bereits erwähnt, stand zu Beginn des Dissertationsprojektes, aus dem die vorliegenden Arbeit entstanden ist, das Bundesbuch in der Hebräischen Bibel im Zentrum, das mit einigen antiken Parallelversionen verglichen werden sollte. In der Forschungsliteratur zum Alten Testament ist ausgewiesen, dass an verschiedenen Stellen dieser Parallelversionen Unterschiede zum als kanonisch betrachteten, Masoretischen Text der Hebräischen Bibel vorliegen. Wie in Voruntersuchungen festgestellt werden konnte, gilt dies auch für das Bundesbuch, trotz seines gesetzgeberischen Charakters. Diese Unterschiede sind in keiner der vielen ausgewerteten Forschungsarbeiten, die zu allen Parallelversionen vorliegen, systematisch analysiert und gesamthaft dargestellt worden. Vielmehr sind die zum Masoretischen Text (MT) unterschiedlichen Stellen einzeln und oft ausführlich kommentiert und unter Hinweis auf parallele Aussagen in anderen Büchern der Hebräischen Bibel ausgedeutet, textkritisch dargestellt, philologisch und theologisch interpretiert worden. Da die Forschungsliteratur, die Textvergleiche behandelt, keinerlei Hinweise auf eine Gesamtbetrachtung mehrerer Parallelversionen liefert, bestand das Problem darin, wie so ein Vergleich vorgenommen werden kann. Damit verbunden war die Unsicherheit, ob die aufzuspürenden Unterschiede so ausgewertet werden könnten, dass sie zu relevanten Erkenntnissen führen würden. Für beide Problemstellungen mussten umfangreiche Vorarbeiten und Analyseversuche durchgeführt werden.
2.1 Fragestellung
Folgende drei wesentlichen Fragen werden in der vorliegenden Arbeit beantwortet, wobei die Fragen voneinander abhängen:
- Mit welcher Methode lassen sich mehrere, in unterschiedlichen Sprachen, Dialekten oder Stadien der Entwicklung vorliegende Versionen eines Textes so miteinander vergleichen, dass die Unterschiede erkennbar und auch für den Leser nachvollziehbar werden?
- Wie lässt sich die gesamthaft vorgefundene Menge an Unterschieden gruppieren, kategorisieren oder in ihrer Auswirkung und Bedeutung beschreiben, so dass daraus weitergehende Schlüsse zu gegenseitigen Beziehungen, Abhängigkeiten oder auch Eigenheiten der verglichenen Parallelversionen gezogen werden können?
- Welche Erkenntnisse lassen sich aus gruppierten und in geeigneter Form dargestellten Ergebnisse der Vergleichsarbeiten gewinnen?
Diese Fragestellungen schliessen textkritische, literaturwissenschaftliche und philologische Untersuchungen aus. Derartige Analysen können durch die hier vorzustellenden Arbeiten angestossen werden, sind aber nicht deren Teil.
Neben dem für mich sehr wichtigen Anspruch der Nachvollziehbarkeit der Analysen und der Dokumentation der Resultate muss auch der Aspekt der Iteration hervorgehoben werden, der in der Vergleichsmethode zu berücksichtigen ist. Das bedeutet, dass jeder vorgenommene Vergleich dokumentiert sein muss, um später überprüft und dabei eventuell immer wieder verfeinert, vertieft und/oder korrigiert zu werden. Die diesbezüglichen Dokumente, die für alle Parallelversionen einheitlich strukturiert und dem jeweiligen Entwicklungs- und Erkenntnisstand entsprechend identifiziert sind, sind in ihrer letzten Fassung im Anhang enthalten, sie bilden die Grundlage der vorgelegten Arbeit. Auch die später zu beschreibende Synopse, das zentrale Dokument aller Auswertungen, wird im Anhang zur Verfügung gestellt.
Die für die Entwicklung der Vergleichsmethode verwendeten Editionen werden im Kapitel 6 Verwendete Editionen und Übersetzungen, S. 19 dargestellt.
2.2 Übersicht über Vergleichsmethoden in der Literatur
Als Vorbereitung für die Arbeit und auch sie begleitend wurde die umfangreiche Literatur zu den ausgewählten Parallelversionen konsultiert und vor allem darauf hin untersucht, ob, bzw. wie ein Vergleich mit dem MT dargestellt wird und welche Erkenntnisse daraus gewonnen wurden.
Viele der Publikationen zu den im Projekt verwendeten Parallelversionen des Pentateuchs im Allgemeinen und im Besonderen von Exodus und des Bundesbuches vergleichen nur eine einzige Parallelversion, wie zum Beispiel den Targum Onkelos (TO), mit dem masoretischen Text (MT). Darin wird der aramäische Text des Targums und der hebräische Text nebeneinandergesetzt und in einer Edition auch durch eine englische Übersetzung des Targums ergänzt. In der englischen Übersetzung weisen Markierungen auf die Unterschiede zum masoretischen Text hin (Drazin und Wagner 2006-2011). Vergleichbare typographische Markierungen finden sich in einigen der Editionen der Parallelversionen, die für die Erstellung der eigenen Synopse konsultiert worden sind.
Eine besondere Publikation unter dem Aspekt des Vergleiches mehrerer paralleler Versionen ist die Complutensische Polyglotte (1502 – 1517) (Biblia polyglotta 1517). Neben dem hebräischen Text findet sich der Targum Onkelos mit lateinischer Übersetzung, die Septuaginta mit lateinischer Interlinearübersetzung und die Vulgata. Ein Vergleich der Texte oder eine Identifikation von Unterschieden ist nicht enthalten, was auch nicht die Absicht der Publikation war. Sie wird hier nur erwähnt, weil sie einige Parallelversionen in einer Art Synopse nebeneinanderstellt. In den folgenden Jahrhunderten wurden weitere Polyglotta erstellt, die dieser Complutensischen nachempfunden waren. Sie alle enthalten jedoch keine Analysen der Unterschiede zum Hebräischen Text oder untereinander.
Einen besonderen Vergleichsansatz wählt Rösel (Rösel 1994), der weiter unten vorgestellt und bewertet wird. Darin wird auch eine Rückübersetzung ins Hebräische angewandt.
Diese Publikationen oder Editionen mit Übersetzungen waren wertvoll für die Kontrolle des verwendeten Originaltextes und der eigenen Übersetzungen, die im Laufe der Entwicklung der Analysemethode erstellt worden sind. Keine dieser Editionen und Übersetzungen weisen neben den einzeln markierten und zum Teil sehr ausführlich kommentierten und interpretierten Unterschieden irgendwelche systematische Übersichten, gesamthafte Deutungen oder Gruppierungen der Unterschiede auf. Sie alle waren daher für die spezifischen Fragestellungen der vorliegenden Arbeit nicht direkt verwendbar und gaben auch keine Hinweise auf ein geeignetes methodisches Vorgehen. Damit stand fest, dass für den angestrebten Vergleich dieses zu entwickeln war.
3 Entwicklung einer Vergleichsmethode für mehrere Parallelversionen des Bundesbuches
In einer ersten Phase der Untersuchungen wurden nur die drei Targume Onkelos, Neofiti und Pseudo Jonathan, die alle in nachbiblischem Aramäisch vorliegen, verwendet. In einem begrenzten Versbereich, dem sogenannten Altargesetz Ex 20,24-26, wurde mittels einer synoptischen Darstellung nach Unterschieden zum hebräischen Text gesucht, um abschätzen zu können, ob die ins Auge gefasste Vergleichsmethode brauchbare Ergebnisse erwarten liesse. Die Synopse war so aufgebaut, dass in vertikalen Spalten für je eine Version Vers für Vers horizontal gegenübergestellt wurde. Diese Verse waren noch weiter unterteilt wie es in (Richter 1991-1993) abgebildet ist. Diese Feinstruktur ist bereits im masoretischen Text durch Strukturzeichen erkennbar und hilft beim mündlichen Vortrag in der Synagoge die von den Masoreten vorgegebene korrekte Leseweise einzuhalten. Diese Feinstruktur war auch für die Arbeiten mit der Synopse hilfreich. Die Versstruktur ist ebenfalls in den Targumen in hoher Parallelität zum hebräischen Text zu finden, was durch die Entstehungsgeschichte der Targume gut erklärbar ist. In einem ersten Schritt wurden die aramäischen Texte direkt mit dem hebräischen verglichen. Das wurde aber schon bald als zu wenig systematisch und objektiv beurteilt, das heisst, dass Ergebnisse für einen Leser kaum nachvollziehbar und damit auch nicht kritisierbar erscheinen. Folglich musste eine diesbezüglich bessere Vorgehensmethode gesucht werden.
Deshalb wurden verschiedene Varianten eines methodischen Vergleichs durchgespielt. Eine Methode hätte sein können, die aramäischen Targume zurück ins Hebräische zu übersetzen und danach mit dem hebräischen Text zu vergleichen. Auch wäre es grundsätzlich möglich gewesen, den hebräischen Text in das Aramäisch des Targums Onkelos, des Neofiti und des Pseudo Jonathan zu übersetzen und danach mit den vorliegenden Targumen zu vergleichen. Beide Wege wurden rasch verworfen, weil hierfür eine sprachliche Kompetenz erforderlich gewesen wäre, über die ich nicht verfüge. Blieb nur eine dritte, mir geeignet erscheinende Vorgehensweise, nämlich alle Parallelversionen und den hebräischen Text ins Deutsche zu übersetzen, in dem dann der eigentliche Vergleich vorgenommen wird.
3.1 Die Übersetzung ins Deutsche
Um die Anwendbarkeit einer Übersetzung ins Deutsche zu testen und den Aufwand und die Aussagekraft eines Vergleichs in einer gemeinsamen Sprache abschätzen zu können, wurde wiederum das Altargesetz herangezogen. Schnell war klar, dass bei dieser Art der Übersetzung andere Kriterien anzuwenden sind, als sie für eine an Leser gerichtete Übersetzung zu gelten haben. Letztere muss gut lesbar und verständlich sein und Sinn und Bedeutung des Originaltextes in möglichst gutem Deutsch wiedergeben. Für die Analyse der Unterschiede in den Parallelversionen zum MT ist es jedoch wichtig, einen dem Original nahestehenden und ihm auch in der Struktur folgenden Text zu erarbeiten, der sich für verschiedene Analysen gut eignet und sich auch relativ einfach erstellen lässt. Zu dieser Übersetzungsmethode haben auch einige Ergebnisse meiner Literaturrecherchen angeregt, die im Folgenden besprochen werden.
P.S. Alexander, der die Targume unter dem Aspekt antiker Übersetzungspraxis analysiert (Alexander 1985), S. 14f, stellt fest, dass vor allem Gesetzestexte «uerbum e uerbo» übersetzt wurden, während Übersetzungen «sensus de sensu» bei literarischen Werken bevorzugt wurden, wie dies auch Cicero bei griechischen Klassikern tat. In diesem Zusammenhang zitiert Alexander einen Brief des Hieronimus an Pammachius, in dem Hieronimus bestätigt, dass sein normaler Ansatz «sensus de sensu» sei, ausser im Falle der Schrift, weil eben in der Schrift «et uerborum ordo mysterium est». Folglich sei die einzig zulässige Art, die Schrift wiederzugeben, «uerbum e uerbo». Diese Vorgehensweise hätten laut Alexander viele der frühen Übersetzer der Bibel bis ins Mittelalter beachtet.
Eine weitere Unterstützung für die für die Synopse gewählte Übersetzungsmethode findet sich in Sebastian Brocks Artikel «Aspects of Translation Technique in Antiquity» (Brock), S. 78-79. Er begründet die wortwörtliche Übersetzungstechnik mit dem Bedürfnis nach Präzision in der Übersetzung, die dann auch für die Behandlung häretischer Dokumente an Konzilen erforderlich wurde. Die wörtliche Übersetzung wurde so zu einer doppelten Sicherung: Für den Leser, indem vermieden wurde, falsche oder häretische Ansichten einzufügen und für den Übersetzer, indem er so Anschuldigungen der Leser vermied, Verfälschungen an den Gedanken des Originals vorgenommen zu haben. Diese Argumentation ist im vorliegenden Fall nicht relevant, weist aber doch auf, welche unterschiedliche Konzepte bei der Wahl der Übersetzungstechnik einzubeziehen sind. Brock erwähnt dann auf S. 79 eine für die anzuwendende Übersetzungstechnik wichtige Einstellung gegenüber einem inspirierten, heiligen oder kanonischen Text. Nämlich, dass die Übersetzung «sensus de sensu» bedeuten würde, der Übersetzer hätte den Sinn des inspirierten Textes vollkommen erfasst, was ja gerade bei einem geoffenbarten Text unmöglich sei. Diese Einstellung oder Haltung sei in der Antike sehr weit verbreitet gewesen.
Auch E. Tov betont, dass zur Herstellung einer Treue (faithfulness) zur Vorlage folgende vier Grundsätze angewendet werden müssen (hier zitiert im Original)2: the separate representation of all elements (sometimes down to the level of individual morphemes) of the base text adherence to the word sequence the internally consistent rendering of all words, as far as possible, with the same equivalent an attempt to represent the words in an etymologically adequate way Unter Berücksichtigung dieser Überlegungen und Schlussfolgerungen war es nicht mehr möglich, eine der vorhandenen Übersetzungen, meist englisch, gelegentlich auch deutsch, der gewählten Textversionen zu übernehmen und auf eine vollständige eigene Übersetzung zu verzichten. Alle vorhandenen Übersetzungen, ob in Deutsch oder Englisch, sind jedoch sehr hilfreich, weil sie bei der eigenen Übersetzungsarbeit zur Kontrolle verwendet werden konnten.
Daraus resultierte eine annähernd interlineare, der Struktur des Ausgangstextes folgende deutsche Übersetzung, die damit für die Fragestellung der Analyse, wie sie oben formuliert wurde, gut geeignet war. Eine ähnliche Methode, jedoch nur für einen einzigen Paralleltext, die Septuaginta, hat Rösel angewendet, indem er eine deutsche Übersetzung beider Versionen – MT und LXX – anfertigte, um ebenfalls Übersetzungsabweichungen zu ermitteln, wobei er auch eine Rückübersetzung ins Hebräische angewendet hatte; (Rösel 1994). Seine Aufgabenstellung lautet (ibid. S. 6):
Leitgedanke der vorliegenden Untersuchung soll der Versuch sein, Differenzen im Text oder inhaltliche Unterschiede, die sich zwischen MT und LXX benennen lassen, als Zeichen für ein eigenes Verständnis des hebräischen Bibeltextes durch den Übersetzer zu verstehen. Damit können sprachliche Probleme angesprochen werden wie auch Veränderungen durch den Übersetzer, die eine bestimmte Interpretation widerspiegeln, ebenso bewusst durchgeführte Änderungen, die den Sinn der Vorlage modifizieren oder den Verstehensbedingungen der Umwelt des Übertragenden bzw. seiner Gemeinde anpassen sollten.
Damit könnte der von mir gewählte methodische Ansatz als eine Erweiterung des Vorgehens von Rösel gedeutet werden. Die Fragestellung in der vorliegenden Arbeit ist allerdings breiter gefasst und schliesst jene von Rösel mit ein.
Eine weitere Eigenheit des in der Synopse für die Übersetzungen gewählten Ansatzes ist der eher begrenzte Aufwand. Durch den in den Voruntersuchungen gefällten Entscheid, die eigene Übersetzung der syntaktischen Struktur des Ausgangstextes folgen zu lassen, wird der sonst im Deutschen nicht unerhebliche Formulierungsaufwand reduziert. Dabei steht vor allem die lexikalische Bedeutung eines Satzteiles in der zu übersetzenden Sprache im Vordergrund. Die verwendeten Standardlexika geben die gebräuchliche oder häufig vorkommende Bedeutung wieder, was für den ersten, vollständigen Übersetzungsdurchgang genügt. Denn damit lassen sich mit ausreichend hoher Treffsicherheit Unterschiede zum MT ausmachen. Neben dieser lexikalisch ausgerichteten Betrachtung war es aber wichtig, auch syntaktische und grammatikalische Eigenheiten der jeweiligen Version abzubilden. Dazu gehörte beispielsweise die Frage, ob Pronomina bzw. Verben, die im MT in der zweiten Person Singular stehen, in der Parallelversion in der zweiten Person Singular oder Plural vorliegen. Diese Differenzierung ist bei der Übersetzung ins Deutsche klar möglich, im Englischen jedoch nur mit zusätzlichen Hinweisen zu erreichen, was es bei den englischen Übersetzungen, die für einige der Parallelversionen vorliegen, zu beachten gilt.
3.2 Erstellung der vollständigen Synopse
Nachdem die Vorarbeiten am Altargesetz in vielen Iterationsschritten zu einer verwendbaren Synopse der vier Parallelversionen Masoretischer Text (MT), Targum Onkelos (TO), Neofiti (TN) und Pseudo Jonathan (TPJ) geführt hatten, wurden noch drei weitere zum Bundesbuch parallele Versionen untersucht. Auch für diese konnte die Anwendbarkeit der Methode nachgewiesen werden. Darauf aufbauend liess sich die vollständige Synopse des Bundesbuches mit den insgesamt sieben Versionen mit ihren Originaltexten und den zu ihnen parallellaufenden, deutschen Übersetzungen erarbeiten. Während der Übersetzungsarbeit wurden eigene Beobachtungen und Hinweise in Publikationen und Forschungsliteratur in einer dem jeweiligen Vers folgenden Zeile mit Bemerkungen notiert, ebenso vorgefundene Bezüge zu anderen Versen oder Eigenheiten der jeweiligen Version. Dies war für die anschliessende Auswertung der Unterschiede oftmals sehr hilfreich. Die Synopse und ihre Struktur wird in einem späteren Kapitel präsentiert und erläutert.
4 Verwendete Editionen und Übersetzungen
Für die Entwicklung der Vergleichsmethode wäre es von sekundärer Bedeutung, welche Textfassung für die jeweilige Parallelversion verwendet wird, aus methodischer Sicht wären alle Varianten gleichwertig. Es ist aber im Hinblick auf die sich aus dem Vergleich ergebenden Resultate wichtig, anerkannte und gesicherte Textausgaben zu verwenden, um die Ergebnisse einer bestimmten Fassung zuzuordnen. Ausserdem kann es für deren Interpretation von Bedeutung sein, wann die verwendeten Texte entstanden sind und welche Veränderungen sie im Zuge der Texttradition erfahren haben, womit die Textgeschichte in den Blick kommt. Auch der regionale Kontext der Entstehung oder der späteren redaktionellen Überarbeitung könnte spezifische Textvarianten hervorgerufen haben. Für die verwendeten Editionen liegen auch umfangreiche Kommentare und Analysen vor, die dazu dienen, die in der vorliegenden Arbeit gewonnenen Erkenntnisse zu kontrollieren. Dies alles lässt beurteilen, welche Aussagen mit einer derartigen Vergleichsmethode bei neuen, oder wenig analysierten Texten erwartet werden können. Aus all diesen Gründen sind im Folgenden die Quellen und die Textfassungen beschrieben, die der Synopse und den darauf aufbauenden Analysen zugrunde liegen.
4.1 Masoretischer Text
4.1.1 Textbasis
Der masoretische Text, wie auch alle anderen verwendeten Texte, wurde für die Erstellung der Synopse aus praktischen Gründen zunächst aus BibleWorks3 übernommen; basierend auf Codex Leningradensis. Er wurde mit (Dohmen 2004), wie auch der Biblia Hebraica Quinta (Althann und Schenker 2004-) verglichen. Die Anzahl der sich daraus ergebenden Anpassungen ist minim und betrifft nur sehr selten den Konsonantentext des MT. Eine systematische Inventarisierung dieser Anpassungen wurde nicht vorgenommen.
Diese Anpassungen hatten jedoch nicht zum Ziel, den «richtigen» oder den Urtext des Bundesbuches zu rekonstruieren, oder die Vorlagen für die antiken parallelen Versionen zu ermitteln. Welche entwicklungsgeschichtliche Stufe des Hebräischen Textes des Bundesbuches bei der Entstehung der jeweiligen Parallelversion vorlag, ist nicht Thema dieser Arbeit. Auch konnte in der weiter unten behandelten Ursachenanalyse kein einziger Fall mit erhöhter Wahrscheinlichkeit auf eine vom Masoretischen Text abweichende Vorlage zugeführt werden.
4.1.2 Übersetzung
Die eigene Übersetzung ins Deutsche, für die (Gesenius et al. 2013) verwendet wurde, wurde mit der Zürcher Bibel (Evangelisch-Reformierte Landeskirche des Kantons Zürich 2007) verglichen und, wo erforderlich, danach korrigiert. Ausserdem half bei unklaren Stellen die Übersetzung von Zunz, die eine stark am hebräischen Text ausgerichtete Übersetzung bietet (Zunz 1997). Grammatikalische Fragen wurden mit (Lettinga 1992) geklärt.
4.2 Targum Onkelos
4.2.1 Textbasis
Nach der Übernahme des Textes aus BibleWorks wurde er an der Edition von A. Sperber (Sperber 1959) kontrolliert. Ein weiterer Vergleich erfolgte mit dem (Comprehensive Aramaic Lexicon Project). Es ging dabei darum zu prüfen, ob BibleWorks die in verschiedenen Manuskripten vorliegenden Varianten vollständig wiedergibt. Sie werden, soweit sie zu berücksichtigende Bedeutungsverschiebungen darstellen, in der Synopse ausgewiesen.
4.2.2 Übersetzung
Das für die eigene Übersetzung verwendete Lexikon ist «der Jastrow» (Jastrow 2005) , dessen zum Teil sehr variantenreiche Bedeutungsvielfalt es ermöglichte, sich dem Text des Onkelos aus manchmal sehr unterschiedlichen Richtungen zu nähern. Ebenfalls hilfreich war (Sokoloff 2002) und bei grammatikalischen Fragen wurde (Franq 5771 - 2011) konsultiert.
Zur Kontrolle der eigenen Übersetzung dienten die englischen von Drazin/Wagner (Drazin und Wagner 2006-2011) und Grossfeld (Grossfeld und McNamara 1988). Wichen diese von der eigenen Übersetzung ab, wurde eine vertiefte Abklärung für die betroffenen Stellen vorgenommen, um damit dem Onkelostext möglichst gerecht zu werden.
4.2.3 Kommentar zu den herangezogenen Editionen und Übersetzungen
Die Edition von Drazin/Wagner enthält neben dem masoretischen Text der hebräischen Bibel den aramäischen des Targum Onkelos, den Rashi-Kommentar und eine englische Übersetzung des Targums. In der synoptischen Gegenüberstellung des Masoretischen Textes und des Textes von Onkelos werden alle gegenseitigen Abweichungen typographisch ausgewiesen. In umfangreichen Fussnoten finden sich Kommentare der diversen Versteile und vor allem unterschiedliche Bedeutungen des MT und TO, die midraschisch ausgelegt werden. Dazu wird nicht nur der Rashi-Kommentar herangezogen, sondern auch talmudische Stellen. Erklärungen zu den Unterschieden oder Begründungen für sie sind keine enthalten.
Wie in den Publisher’s Note (Drazin und Wagner 2006-2011), S. xiii festgehalten wird, geht es den Autoren Drazin und Wagner, beide Rabbinen, darum, die Bibel einem möglichst grossen Publikum zu erschliessen und die grosse Fülle der biblischen Texte wirksam werden zu lassen. Um dies zu erreichen, war es ihr Anliegen, auch talmudische Autoritäten zu Wort kommen zu lassen. Eine derartige Zielsetzung ist in der hier vorliegenden Untersuchung nicht angestrebt, weshalb auf die immer sehr interessanten, oft umfangreichen Kommentare der beiden Autoren nicht eingegangen wird.
Die etwas ältere Publikation von Grossfeld (Grossfeld und McNamara 1988), die nur eine englische Übersetzung ohne den aramäischen Text von Onkelos aufweist, richtet sich nach eigenen Aussagen an Wissenschaftler und an eine breitere Öffentlichkeit mit Interesse an den Targumen. Der Editor stellt in seinem Vorwort (Grossfeld und McNamara 1988), S. vii fest, dass eine moderne englische Übersetzung der Targume bis zu dieser Publikation fehlte. Diese englische Übersetzung konnte nur begrenzt für die Kontrolle der eigenen Übersetzung herangezogen werden, weil der Onkelos-Basistext fehlt und daher nicht nachvollzogen werden konnte, auf welcher Manuskriptvariante des Onkelos-Textes die Übersetzung basiert. Auch in dieser Publikation findet sich ein sehr umfangreicher Kommentar in Form von Fussnoten, in dem talmudische und midraschische Texte zum Teil sehr ausführlich herangezogen werden.
4.3 Targum Neofiti
4.3.1 Textbasis
Die Übernahme erfolgte ebenfalls aus BibleWorks. Dieser Text basiert auf der Edition des Comprehensive Aramaic Lexicon Projects (Comprehensive Aramaic Lexicon Project). Zum Vergleich diente die Edition von Alexander Diez Macho (Díez Macho et al. 1977-<1980>). Auch hier wurde von Fall zu Fall entschieden, ob Varianten in den diversen Manuskripten relevante Bedeutungsabweichungen beinhalten, die entsprechend auszuweisen sind.
4.3.2 Übersetzung
Nach der eigenen Übersetzung, bei der ebenfalls Jastrow (Jastrow 2005) und (Franq 5771 - 2011), sowie (Colomb 1985) herangezogen wurden, erfolgte die Kontrolle anhand der englischen Übersetzung von Martin McNamara (McNamara 1994).
4.3.3 Kommentar zu den beigezogenen Editionen bzw. Übersetzungen
Die Gegenüberstellung von Texten in der Edition von (Díez Macho et al. 1977-<1980>) beinhaltet neben dem Neofititext, zu dem in umfangreichen Fussnoten Manuskriptvarianten ausgewiesen werden, auch Fragmenten-Targume und den Text des Targums Pseudo Jonathan, mit einer Übersetzung des letzteren in castillanisches Spanisch. Allerdings fehlt der hebräische Text und damit auch der Ausweis von Abweichungen zu diesem.
Die englische Übersetzung von Martin McNamara (McNamara 1994), die keinen aramäischen Targumtext enthält, jedoch vielfältige Hinweise auf verschiedene Manuskriptvarianten, weist Abweichungen vom hebräischen Text durch Kursivdruck aus, die in Fussnoten kommentiert werden. Es sind ebenfalls Verweise auf talmudische und midraschische Texte aufgeführt, jedoch werden die Unterschiede weder kategorisiert noch analysiert.
4.4 Targum Pseudo Jonathan
4.4.1 Textbasis
Die Textübernahme erfolgte aus BibleWorks, dessen Basis ebenfalls die Edition des Comprehensive Aramaic Lexicon Projects (Comprehensive Aramaic Lexicon Project) ist. Verglichen wurde dieser Text mit der Edition von Alexander Diez Macho (Díez Macho et al. 1977-<1980>), mit Ausweis wichtiger Bedeutungsvarianten in den unterschiedlichen Manuskripten, die Diez Macho herangezogen hatte.
4.4.2 Übersetzung
Die eigene Übersetzung, unter Benutzung von (Jastrow 2005), (Sokoloff 2002), (Sokoloff 2017) und (Franq 5771 - 2011), wurde mit der englischen Übersetzung von Michael Maher (Maher 1994) kontrolliert, wobei auch hier, wie beim Targum Neofiti, die Textbasis nicht vorliegt, die der englischen Übersetzung zugrunde lag.
4.4.3 Kommentar zur beigezogenen Übersetzung
Die Aussagen oben zum Targum Neofiti gelten auch hier – nämlich bezüglich des aramäischen Textes und auch bezüglich der englischen Übersetzung, die von Michael Maher vorgenommen wurde.
4.5 Septuaginta
4.5.1 Textbasis
Die Textbasis stammt aus BibleWorks, wo die LXX Septuaginta von Rahlfs (Rahlfs 1935) vorliegt. Zur Kontrolle wurde dieser Text mit «Septuaginta Vetus Testamentum Graecum Auctoritate Academia Scientiarum Gottingensis editum» (Hanhart 1991) verglichen. Bis auf Ex 22,13, wo eine kleinere Ergänzung von Rahlfs vorliegt und Ex 23,22, wo Rahlfs einen längeren Zusatz gegenüber der Göttinger Ausgabe aufweist, sind beide Texte identisch.
4.5.2 Übersetzung
Die eigene Übersetzung geht vom griechischen Text aus und benutzt zur Kontrolle die «Septuaginta Deutsch» (Karrer und Kraus 2009), wobei der für die vorliegenden Arbeit angewandte Ansatz «verbum de verbo», wie auch bei den anderen Übersetzungen, beibehalten wurde.
4.5.3 Kommentar zur Textbasis und zur beigezogenen Übersetzung
Bereits während des Einfügens des griechischen Textes in die Struktur der Synopse entstand der Eindruck, dass der oder die antiken Übersetzer sich bemüht hatten, eine möglichst dem hebräischen Text folgende Fassung vorzulegen. Die Struktur des griechischen Textes folgt dem hebräischen sehr eng, so dass die Verseinteilung nach (Richter 1991-1993) auch hier erscheint.
Die genannte Übersetzungstechnik der LXX wird in der Forschungsliteratur als «hebraisierend» bezeichnet. Eine interessante und knappe Zusammenfassung der diesbezüglichen Forschung ist von Ilmari Soisalon-Soininen im Aufsatz «Zurück zur Hebraismenfrage» (Soisalon-Soininen 1990) vorgelegt worden. Danach findet die Forschung bezüglich des Vergleiches des hebräischen und des griechischen Textes in erster Linie auf philologischer Ebene statt und behandelt unter anderem auch Auslassungen und Ergänzungen, die vor allem aus sprachlichen Erfordernissen erfolgt sind. Es werden zwei konträre Übersetzungstechniken, nämlich eine «sklavische», dem hebräischen Text folgende, und eine «idiomatische», dem griechischen Sprachgebrauch folgende, gegenübergestellt und an einigen Beispielen im Detail verdeutlicht. Diese Betrachtungen sind für die Analyse der LXX selbst wichtig, jedoch können keine unmittelbar relevanten Erkenntnisse zur vorliegenden Fragestellung aus diesem Aufsatz und weiteren Forschungsberichten zur LXX gewonnen werden.
Zur Übersetzungsbasis der LXX spricht sich Tilly für die Vorstellung aus, dass der MT in vielen Fällen durchaus als Ausgangspunkt der Rezeptionsgeschichte und damit als Basis eines textkritischen Vergleiches mit der LXX dienen darf, der zu verwertbaren textgeschichtlichen, historischen und theologischen Ergebnissen führt (Tilly 2005) S. 61.
4.6 Vulgata
4.6.1 Textbasis
Der aus BibleWorks übernommene Text wurde mit dem Vulgata-Text von S. Edgar (Edgar 2010) und der Biblia Sacra Vulgata (Weber et al. 2007) verglichen. Eine Anpassung des übernommenen Textes war nicht erforderlich.
4.6.2 Übersetzung
Die eigene Übersetzung konnte anhand der in S. Edgar (2010) vorliegenden englischen Übersetzung, und der deutschen Übersetzung von J.F. von Allioli (1971) sowie der vor kurzem erschienen deutschen Übersetzung (Beriger et al. 2018) kontrolliert werden. Für die eigene Übersetzung war eine wichtige Quelle der grammatikalischen Formen des Lateins die Online-Grammatik der Universität Wien (Weidmann), die auch über ein umfangreiches Lexikon verfügt.
4.6.3 Kommentar zur Textbasis und zu den beigezogenen Übersetzungen
Die heute vorliegende Fassung der Vulgata geht nach darin enthaltenen Aussagen und nach übereinstimmender Meinung in der Forschung auf Hieronimus zurück, der ab 384 im Osten des spätrömischen Reiches lebte und dort die Hexapla des Origines benutzen konnte. Hieronimus entscheidet sich, das ganze Alte Testament neu und direkt nach dem hebräischen Original ins Lateinische zu übersetzen. Hieronimus übersetzt möglichst wörtlich aber nicht entgegen dem lateinischen Sprachgebrauch; siehe hierzu (Roelli 2013).
Die Übersetzung von (Beriger et al. 2018) stellt den lateinischen Text gegenüber, wodurch sie für die Überprüfung der eigenen Übersetzung sehr wertvoll war. Jene von (Allioli 1971) wurde nur gelegentlich herangezogen, auch, weil ihr der lateinische Text fehlt.
Trotz einigem Rechercheaufwand fand ich keine Edition der Vulgata, die mit einer Gegenüberstellung zum hebräischen Text versehen ist und auf Unterschiede der beiden Fassungen hinweist oder auf sie eingeht, wie sie bei den Targumen vorliegen. Auch deshalb war es mir wichtig, dass der Text der Vulgata in die Untersuchung aufgenommen wurde.
4.7 Samaritanischer Pentateuch
4.7.1 Textbasis
Der aus BibleWorks übernommene Text basiert auf der Ausgabe von August Freiherrn von Gall, der Hebräische Pentateuch der Samaritaner (Gall 1993). Dieser wurde mit der Edition M. Shoulson (Shoulson 2008) verglichen und, wo erforderlich, der neueren Edition angepasst.
Es ist zu bemerken, dass es keine neuere kritische Textausgabe des Samaritanischen Pentateuchs neben jener von von Gall gibt. Stefan Schorch geht ausführlich auf alle heute verfügbaren Ausgaben ein und bewertet ihre Aussagekraft (Schorch 2012), S. 14-18. Eine 2007 begonnene «editio magna» des Samaritanischen Pentateuchs ist noch nicht abgeschlossen, das Buch Exodus soll allerdings demnächst erscheinen (Schorch 2012), S. 18.4
4.7.2 Übersetzung
Die eigene Übersetzung, unter Benützung der gleichen Lexika und Grammatiken, wie für den Masoretischen Text, wurde mit der englischen Übersetzung von B. Tsedaka (Tsedaka und Sullivan 2013) verglichen und nötigenfalls verbessert. Im Anhang von (Tsedaka und Sullivan 2013) werden Vergleiche mit LXX und Qumranhandschriften vorgenommen, die jedoch in der vorliegenden Arbeit nicht verwertet werden.
4.7.3 Kommentar zur Textbasis und zur beigezogenen Übersetzung
Die Edition M. Shoulson (2008) stellt den Samaritanischen und den Masoretischen Text gegenüber, wobei alle Abweichungen in beiden Texten zwar markiert, aber nicht analysiert, erklärt oder in irgendeiner Form kategorisiert sind.
Die englische Übersetzung (Tsedaka und Sullivan 2013) weist keinen Basistext aus, weshalb unklar bleibt, auf welcher Manuskriptvariante sie basiert. Hinzu kommt noch, dass im Englischen mit «you» sowohl der Singular als auch der Plural gemeint ist, was für den Vergleich von Relevanz ist. Auf diese Eigenheit der englischen Sprache wurde bei der Überprüfung der eigenen Übersetzung geachtet.
4.8 Überlegungen und Bemerkungen zu den eigenen Übersetzungen ins Deutsche
Neben der Übersetzung der grammatikalischen Eigenschaften der Originalsprachen erforderte die Ermittlung der lexikalischen Bedeutungsübertragung manchmal einen erhöhten Aufwand. Welche Bedeutung eines Lexems aus dem jeweiligen Lexikon zu übernehmen ist, hatte Auswirkung auf die Feststellung von Unterschieden zwischen MT und betrachteter Parallelversion. Deshalb war mir von Anfang an klar, dass die diversen, oben dargestellten Übersetzungen in kritischen Ausgaben eine unverzichtbare Kontrolle der eigenen Übersetzungsergebnisse sein müssten. Mit dieser Vorgehensweise konnte ich die Basis für die Feststellung der Unterschiede zum MT absichern. Je weniger sich die immer vorhandenen jeweiligen Bedeutungsbandbreiten der deutschen Entsprechungen eines Originalbegriffes im Basistext und in der Parallelversion überdecken, desto grösser ist der so festgestellte Unterschied zu gewichten.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2: Bedeutungsvergleiche und Unterschiede
In Abbildung 2 wird versucht, diese Betrachtungen und Überlegungen bezüglich der Bedeutungsunterschiede zu visualisieren, wie sie bei der Erstellung der deutschen Übersetzungen in der Synopse zum Auffinden der Unterschiede anzuwenden waren. Die Einordnung vorgefundener Unterschiede ist daher mit einem gewissen Mass an Subjektivität behaftet, die durch Iterationen in den Analysen und Überprüfung anhand anerkannter moderner Übersetzungen begrenzt werden kann.
Es muss an dieser Stelle betont werden, dass mit der gewählten Übersetzungsstrategie die eigene deutsche Übersetzung keinesfalls den Anspruch einer «richtigen» Übersetzung erhebt. Sie stellt ein Arbeitsinstrument dar, um die Unterschiede zum MT sichtbar und damit einer weitergehenden synoptisch ausgerichteten Analyse verfügbar zu machen.
4.9 Zeitliche Einordnung der betrachteten Versionen
Wie bereits erwähnt, könnte es für die Deutung von Unterschieden zum MT wichtig sein, einen groben Überblick über die zeitliche Einordnung der Entstehung der verwendeten Parallelversionen zu gewinnen. Nach Auswertung der umfangreichen Forschungsliteratur lassen sich in der folgenden Übersicht ungefähre Zeiträume zur Entstehung und auch der Textentwicklung der Versionen zusammenfassend darstellen. Dabei unterscheidet die Aufstellung zwischen frühestem Entstehungszeitraum und Zeitraum der redaktionellen Veränderungen in der Überlieferungs- und Redaktionsgeschichte. Ab dem Ende des redaktionsgeschichtlichen Zeitraumes kann mit einem stabilen Text gerechnet werden, wobei es vor allem bei den Targumen jeweils parallel tradierte Varianten gibt, die in den an verschiedensten Orten archivierten Manuskripten erkennbar sind.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tabelle 1: Zeitliche Einordnung der Versionen
Die zeitlichen Einordnungen in Tabelle 1 gelten für die jeweilige Version gesamthaft. Für das Bundesbuch selbst wurde kein Versuch unternommen zu ermitteln, ab wann jeweils mit einem stabilen Text zu rechnen ist. In der weiter unten dargestellten Analyse der Unterschiede sind die in Tabelle 1 angegebenen Zeiträume berücksichtigt.
5 Synopse
Die zentrale Arbeitsunterlage für alle Analysen der Unterschiede zwischen den Parallelversionen einerseits und dem hebräischen Text des Bundesbuches andererseits ist die Synopse, wie sie aus einer Reihe von Vorarbeiten, die bereits erwähnt worden sind, entstanden ist. Sie ist folgendermassen aufgebaut.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 3: Synopse
Die Spalten zeigen die parallelen Versionen, im Zentrum der hebräische, genauer der masoretische Text, rechts die drei Targume, links die übrigen Versionen. Im oberen Teil finden sich in der Versstruktur nach Richter (Richter 1991-1993) die originalen Texte, daran anschliessend die ebenso strukturierte deutsche Übersetzung, am Schluss eine Zeile mit Bemerkungen, wo erforderlich. Die farbigen Markierungen weisen auf die Unterschiede zum masoretischen Text hin, worauf weiter unten eingegangen wird.
Zu Beginn war es keineswegs klar, ob, bzw. inwieweit in den Parallelversionen die Feinstruktur nach (Richter 1991-1993) ebenfalls erscheinen würde. Dass die aramäischen Targume der Versstruktur im hebräischen Text des MT folgen, war, wie bereits erwähnt, zu erwarten gewesen, denn die beiden Sprachen gehören der gleichen Sprachfamilie an und die Übersetzungsintention für die Targume war die getreue Abbildung des hebräischen Textes. Jedoch konnte festgestellt werden, dass auch die Vulgata und die LXX in Vers- und Satzstruktur dem Masoretischen Text folgen. Allerdings muss einschränkend festgehalten werden, dass dies möglicherweise nur für das Bundesbuch gilt und nicht für den gesamten Pentateuch. Begründet kann dies für das Bundesbuch am ehesten mit dem Hinweis werden, dass es sich dabei um einen gesetzgeberischen Text handelt, der deshalb von den Übersetzern «verbum de verbo» übertragen wurde, um dem hebräischen Original möglichst nahe zu bleiben. Dass auch der Samaritanische Pentateuch dem MT folgt, war erwartet worden.
Die vollständige Synopse, die in ihrer endgültigen Fassung die Grundlage der Auswertungen ist, ist im Anhang zu finden.
6 Unterschiede zum masoretischen Text und ihre Kategorisierung
Nachdem die definitive Fassung der Synopse mit den deutschen Übersetzungen vorlag, konnte die systematische Auswertung der identifizierten Unterschiede zum masoretischen Text vorgenommen werden.
Alle vorgefundenen Unterschiede lassen sich in drei Kategorien einordnen, die, unabhängig vom untersuchten Text, sich folgendermassen beschreiben lassen:
- Abweichungen in der Bedeutung vom MT, bei sonst gleicher Textstruktur
- Erweiterungen zum MT, das heisst Zusätze im Sinne von Bedeutungserweiterungen, Erklärungen, Umschreibungen, wie sie so nicht im MT vorliegen
- Fehlstellen, also Auslassungen in der Parallelversion von Textelementen im MT
Diese drei Kategorien sind oben in Abbildung 3 wie auch im Anhang mit farbigen Markierungen versehen:
- Cyan für Abweichungen
- Gelb für Erweiterungen
- Rot für Fehlstellen
Vergleichbare Unterschiedskategorien finden sich, wie erwähnt, in einigen Editionen der Parallelversionen ausgewiesen, meist in Form von typographischen Hervorhebungen. Eine weitere Kategorie wäre theoretisch möglich gewesen, nämlich eine Umstellung der Reihenfolge der Wörter, die sowohl innerhalb eines Teilverses auftritt, aber auch darüber hinaus gehen könnte und zu einer anderen Versstruktur, verglichen mit jener des MT, führen könnte. Da derartigen Unterschiede zum MT im Bundesbuch nicht identifiziert wurden, wurde diese Kategorie nicht berücksichtigt. Sie könnte, so vermute ich, bei narrativen Texten auftreten, eine entsprechende Abklärung wurde nicht vorgenommen.5 6
Bei der Analyse waren die zwei Kategorien «Erweiterung» und «Fehlstelle» einfach erkennbar. Bei der erstgenannten Art, nämlich bei einer vom MT abweichenden Wiedergabe im Sinne von «Abweichung» war ein Unterschied dann einfach zu erkennen, wenn in der Parallelversion ein Lexem vorliegt, das eine andere Bedeutungsbandbreite aufweist als das Lexem im MT. Diese sogenannten lexikalischen Unterschiede sind also am einfachsten zu identifizieren. Inwieweit dann der Unterschied geht, wurde oben bereits diskutiert7. Schwieriger wird es jedoch, wenn vom MT abweichende grammatikalische und syntaktische Gegebenheiten im Paralleltext auftreten8. Diese sind in vielen Fällen den Besonderheiten der jeweils vorliegenden Sprache – Aramäisch, Griechisch, Latein – zuzuordnen, oder beim Samaritanischen Pentateuch der anderen sprachgeschichtlichen Entwicklung, verglichen mit dem Hebräisch des MT.
Hierzu einfache Beispiele für das Aramäische der Targume. Die Nota Accusativi des MT את wird im Aramäischen mit ית übertragen. Oder der Artikel im Hebräisch mit vorgestelltem ה ist im Aramäischen mit א oder ה an das Wort angehängt. Derartige Unterschiede werden nicht berücksichtigt. Wie sieht es aber mit folgender Situation aus? Im MT in Ex 20,24b findet sich
וְזָבַחְתָּ֣ עָלָ֗יו אֶת־עֹלֹתֶ֙יךָ֙ וְאֶת־שְׁלָמֶ֔יךָ אֶת־צֹֽאנְךָ֖ וְאֶת־בְּקָרֶ֑ךָ
und in einem Manuskript von Onkelos
וּתהֵי דָבַח עְלוֹהִי יָת עְלָוָתָך וְיָת נִכסַת קוּדשך מִן עָנָך וּמִן תוֹרָך
Darin wird aus der nota accusativi ein מן . In einem anderen Manuskript steht das soeben genannte ית:
וּתהֵי 1 דָבַח עְלוֹהִי יָת עְלָוָתָך וְיָת נִכסַת קוּדשך ית עָנָך1 תוֹרָך1
Aus diesem Grund wird in der ersten Manuskriptvariante eine Bedeutungsabweichung klassifiziert, im zweiten nicht.
Traten diese und auch andere syntaktisch-grammatikalische Besonderheiten im Paralleltext auf, dann musste immer wieder überlegt werden, ob die betreffende Stelle als Abweichung einzustufen ist oder nicht. Dies ergibt eine gewisse Bandbreite an Entscheidungsmöglichkeiten für Abweichungen, sie ist aber für die später dargelegte statistische Auswertung von untergeordneter Bedeutung, weil die lexikalischen Abweichungen bei weitem überwiegen.
Diese Beispiele an Abweichungsanalysen mögen genügen, denn eine umfassende Beschreibung aller jeweils gefällten Entscheide würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen und auch keinen Mehrwert darstellen. Sie sind alle in der Synopse durch die Markierung erkennbar.
7 Auswertungen der kategorisierten Unterschiede
Die Synopse wurde für die drei Unterschiedskategorien quantitativ ausgewertet, indem nach der Identifikation der drei Kategorien pro Parallelversion die jeweiligen Stellen gezählt wurden. Die Resultate sind in den folgenden Abschnitten dargestellt und kommentiert.
7.1 Quantitative Auswertungen der Unterschiede
Die Anzahlen der drei Unterschiedskategorien pro Parallelversion weisen Eigenheiten auf, die zu systematischen Auswertungen anregten. Die folgende Tabelle zeigt die ermittelten Mengen der drei Kategorien pro Parallelversion
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tabelle 2: Abweichungen, Erweiterungen, Fehlstellen für das Bundesbuch
Alle Parallelversionen mit Ausnahme TPJ weisen erheblich mehr Abweichungen als Erweiterungen auf. In allen Versionen ist die Anzahl Fehlstellen gering, mit der Ausnahme von VA. Da die absoluten Zahlen selbst nur wenig anschaulich sind, werden diese Zahlenreihen visualisiert.
7.2 Graphische Darstellungen
Es lassen sich in einer ersten Übersicht je zwei Kategorien zu einem Schaubild kombinieren, was zu drei Graphiken führt.
- Abweichungen und Erweiterungen
- Fehlstellen und Erweiterungen
- Fehlstellen und Abweichungen
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 4: Zusammenhang zwischen Anzahl Abweichungen und Anzahl Erweiterungen
Diese Graphik ist so zu lesen, dass der MT im Nullpunkt liegt. Je weiter entfernt eine Parallelversion positioniert ist, desto mehr Unterschiede zum MT sind vorhanden. Einige Eigenheiten lassen sich erkennen. Wie zu erwarten war, weist der Samaritanische Pentateuch die grösste Nähe zum Masoretischen Text auf, er liegt in der Graphik am nächsten zum Nullpunkt. Targum Pseudo-Jonathan ist von ihm am weitesten entfernt, das heisst, die Anzahl Abweichungen und die Anzahl Erweiterungen sind hier am grössten. Bezüglich abweichender Übersetzungen liegt allerdings die Vulgata etwas darüber, dafür zeigen sich in ihr nur relativ wenige Erweiterungen, was sich aus der Übersetzungsintention des Hieronimus, der die hebräische Bibel übersetzen, aber nicht ausdeuten wollte, erklären lässt. Targum Neofiti liegt zwischen der grossen Gruppe SP, TO, LXX und VA einerseits und dem Extrem TPJ andrerseits, was auf eine gewisse Eigenständigkeit dieser Parallelversion schliessen lässt. Targum Onkelos und LXX liegen sehr nahe beisammen – das könnte auf eine grosse Nähe dieser beiden Textversionen schliessen lassen. Die Forschung nimmt diese in unterschiedlich grossem Ausmass vielfach an.
Eine Auffälligkeit ist für vier Versionen, nämlich VA, LXX, TO und SP erkennbar. Alle vier weisen nahezu gleiche Anzahlen Erweiterungen auf. Daraus lässt sich eine vergleichbare Einstellung der für diese Versionen Verantwortlichen gegenüber dem hebräischen Text ableiten, die sich in einer Art Scheu vermuten lässt, dem kanonischen Text etwas Eigenes hinzuzufügen. Die zwei hiervon abweichenden Versionen – TN und TPJ – sind möglicherweise einer stärker entwickelten rabbinischen Auslegungspraxis verpflichtet, die midraschisch-interpretierend vorgeht.
Auch die Anzahl der Fehlstellen in den untersuchten Texten lassen sich in einen Zusammenhang zu der jeweiligen Anzahl Erweiterungen stellen:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 5 Zusammenhang zwischen Anzahl Fehlstellen und Anzahl Erweiterungen
Hier fällt die beträchtliche Anzahl Fehlstellen der Vulgata ins Auge, während alle übrigen Textversionen nur wenige aufweisen. Die hohe Anzahl Erweiterungen bei Pseudo-Jonathan war ja bereits in der vorhergehenden Graphik auffallend. Die Graphik weist auf einen indirekten Zusammenhang zwischen der Anzahl Fehlstellen und der Anzahl Erweiterungen hin. Je mehr Fehlstellen, desto weniger Erweiterungen und umgekehrt. Dies gilt ausgeprägt für die beiden erwähnten Textversionen Vulgata und Targum Pseudo-Jonathan. Die Versionen Samaritanischer Pentateuch und Targum Neofiti passen zu dieser Aussage, während Targum Onkelos und LXX durch geringe Anzahl Fehlstellen und Erweiterungen gekennzeichnet sind. Die beiden Extreme VA und TPJ lassen sich aus der jeweiligen Übersetzungssituation interpretieren. Während bei Hieronimus möglicherweise die Auslassungen wegen begrenzter Beherrschung der hebräischen Sprache entstanden sind – es handelt sich oft nur um Suffixe – wussten die Übersetzer von TPJ um alle grammatikalischen Feinheiten und konnten so den hebräischen Text im Aramäischen vollständig wiedergeben.
Um die hohe Anzahl Fehlstellen in der VA noch besser zu verstehen, überprüfte ich diese im Auswertungsdokument. Es kann nach meiner Einschätzung kein Muster hierfür ausgemacht werden. Nur die Übersetzungsintention des Hieronimus, sowie sprachliche Eigenschaften des Lateins sind hierfür als Begründung denkbar. Hieronimus beabsichtigte nicht, einen kanonischen, lateinischen Text des Alten Testaments zu liefern, sondern eine für seine Zeitgenossen lesbare Grundlage für das Neue Testament. Damit waren für ihn Fehlstellen unkritisch, solange der Text im Latein seiner Zeit verständlich war. Ein paar Beispiele mögen diese Aussagen erläutern:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Trägt man nun die Anzahl Fehlstellen über die jeweilige Anzahl Abweichungen auf, ergibt sich folgende Darstellung:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 6 Zusammenhang zwischen Anzahl Fehlstellen und Anzahl Abweichungen
Dieser Zusammenhang zeigt zwei Extremfälle: die Vulgata und den Samaritanische Pentateuch. Die Vulgata mit einer hohen Anzahl Abweichungen weist auch die höchste Zahl an Fehlstellen auf, während der Samaritanische Pentateuch demgegenüber die geringste Anzahl Abweichungen, jedoch die zweitgrösste Anzahl Fehlstellen zeigt.
Daraus lassen sich Schlüsse ziehen. Die vor allem in den beiden letzten Graphiken besonderen Positionen der Vulgata deuten darauf hin, dass sie nur wenige Parallelen zur Septuaginta aufweist, obwohl vorgebracht wird, die Vulgata sei aus der Septuaginta ins Latein übersetzt worden. Möglicherweise aber gilt der hier gezogene Schluss nur für das Bundesbuch und müsste an anderen Textstellen überprüft werden. Die besondere Stellung der Vulgata in den Graphiken lässt aber noch einen weiteren Schluss zu, und zwar auf die Kompetenz des Übersetzers. Beherrschten die Autoren und Redaktoren aller Targume, der LXX und des SP das Hebräische in einem sicher sehr hohen Ausmass, kann das von Hieronimus, wie erwähnt, bei der Vulgata nicht angenommen werden, da er nach eigenen Aussagen diese Sprache erst für die Übersetzung lernen musste. Damit sind Fehlübersetzungen bzw. Fehlinterpretationen des Hebräischen Textes des Bundesbuches eher wahrscheinlich als bei den anderen Parallelversionen. Ausserdem war Hieronimus als einziger nicht in der Tradition und Gedankenwelt des Alten Testaments aufgewachsen, weshalb Fehlinterpretationen wahrscheinlicher sind als für die anderen Parallelversionen.
Die hohe Anzahl Fehlstellen und ebenso der Abweichungen bei der Vulgata ist aber auch auf die gegenüber den anderen Textversionen unterschiedliche Zielgruppe zurückzuführen, für die Hieronimus die hebräische Bibel übersetzte. Er musste dabei auf keinerlei religiöse Traditionen seiner Leser und Zuhörer Rücksicht nehmen und konnte Abweichungen und Auslassungen vornehmen, ohne mit Kritik rechnen zu müssen.
In einer weiteren Graphik sollen alle drei Kategorien der Unterschiede zusammenfassend dargestellt werden.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 7 Zusammenhang zwischen Anzahl Abweichungen über Anzahl Erweiterungen mit Anzahl Fehlstellen kombiniert
Diese Darstellung ist von der Anordnung im Achsenkreuz her identisch mit Abbildung 4, bietet aber die dritte Dimension der Anzahl Fehlstellen als Durchmesser der Kreise. Die Positionierung der Parallelversionen im Achsenkreuz ist die gleiche wie in Abbildung 6, die dort entwickelten Aussagen gelten auch hier. Die mit dem Durchmesser der «Kugeln» angegebene Anzahl Fehlstellen zeigt aber keine irgendwie geartete Abhängigkeit von der Position im Achsenkreuz, was bei einer Abhängigkeit von einzelnen Versionen von einer anderen zu erwarten gewesen wäre. Gesamthaft darf also die Aussage abgeleitet werden, dass die betrachteten sechs Parallelversionen in ihrer Beziehung zum Masoretischen Text je sehr eigenständig sind.
Betrachtet man die Targume für sich allein, fallen ein paar Eigenheiten auf. Alle drei weisen eine geringe Anzahl Fehlstellen auf, was auf den Ursprung der Targume in der Synagoge hindeuten könnte, weil sich der Meturgemann auffallende Auslassungen nicht erlauben durfte. Die geringe Anzahl Erweiterungen im Targum Onkelos könnte auf einen gegenüber den anderen frühen Entstehungszeitraum hindeuten9, als midraschische Auslegungen noch nicht sehr verbreitet waren. Allerdings wird die Endredaktion des TO später angesetzt als für TN; für beide ist der Entstehungszeitraum umstritten. Für Neofiti und insbesondere Pseudo Jonathan könnte eine bereits stärker ausgeprägte midraschische Tradition die höhere Anzahl Erweiterungen verursacht haben.
Für eine weitergehende Analyse, die auf den hier erarbeiteten Erkenntnissen aufbaut, muss eine Auswertung jeder einzelner Parallelversion vorgenommen werden, was unmittelbar zu einer textkritischen Analyse führt. Zum Beispiel kann für VA festgestellt werden, dass eine hohe Anzahl Fehlstellen einzelne Pronominalformen als Objekte von Handlungen betreffen. Die dadurch entstehende Bedeutungsveränderung ist jedoch in allen Fällen sehr gering, wenn auch aus textkritischer Sicht nicht vernachlässigbar. Für die übrigen Parallelversionen darf zum Beispiel wegen der geringen Anzahl Fehlstellen ausgesagt werden, dass in ihnen der gesamte MT – trotz Abweichungen und Erweiterungen – vorhanden ist.
Ein anderes Bild mit weiteren Deutungsmöglichkeiten entsteht, wenn pro Parallelversion die Abweichungen, Erweiterungen und Fehlstellen nicht in absoluten Zahlen, sondern als prozentueller Anteil am Total aller Unterschiede pro Parallelversion zum MT graphisch dargestellt werden. Prinzipiell handelt es sich um eine Analogie zur soeben gezeigten Graphik, jedoch sind die Werte nun Anteile:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 8 Zusammenhang zwischen Anteil Abweichungen über Anteil Erweiterungen mit Anteil Fehlstellen kombiniert
Der Unterschied zur Abbildung 7 ist auffallend und lässt neue Deutungen zu. Im Gegensatz zur Darstellung mit den absoluten Zahlen, die einen unmittelbaren Vergleich der Parallelversionen über die drei Kategorien der Unterschiede zum MT erlauben, sind hier die Verhältnisse der drei Kategorien pro Parallelversion im Vergleich zu betrachten. Zunächst fallen, was die Position im Achsenkreuz betrifft, drei gut gegeneinander abgegrenzte Gruppen auf. Die erste bündelt TO, LXX und VA, die zweite enthält TN und SP und weiter davon entfernt ist TPJ positioniert. Daraus lässt sich schliessen, dass innerhalb der Dreiergruppe das Verhältnis Abweichung zu Erweiterung vergleichbar ist. Das heisst, die Übersetzer sind mit Erweiterungen zurückhaltend geblieben und haben eher mit abweichenden Übersetzungen gearbeitet, wenn sie den MT in ihrer Version verdeutlichen wollten. TPJ stellt demgegenüber durch den hohen Anteil Erweiterungen eine stark interpretierende Parallelversion dar. TN und SP, die beide bei 60-70% Abweichungen und 30% Erweiterungen liegen, nehmen eine mittlere Stellung ein. Bezüglich der Fehlstellen lässt sich aus der Graphik eine Rangfolge erkennen. Anteilmässig die wenigsten Fehlstellen weist TPJ auf, gefolgt von TN und TO. Den höchsten Anteil zeigt VA, was bereits in der Grafik mit den absoluten Zahlen bemerkt worden ist, gefolgt von SP, wo die Fehlstellen dadurch ein grösseres Gewicht erhalten, weil SP insgesamt wenige Unterschiede zu MT aufweist. Weitergehende Aussagen erfordern textkritische Analysen pro Parallelversion, zu denen diese soeben gezeigten Auswertungen gezielte Hinweise liefern können.
Aus beiden Darstellungen, jener mit den absoluten Anzahlen und jener mit den Anteilen, können folgende Aussagen abgeleitet werden:
- Die Targume, die ihren Ursprung im Synagogengottesdienst haben, folgen dem MT am besten, was die Anzahl Fehlstellen betrifft. Wenn, wie bereits erwähnt, angenommen werden darf, dass die Übersetzung ins Aramäische Vers für Vers erfolgte, konnte der Meturgeman, der den hebräisch vorgelesenen Text der Tora ins Aramäische übersetzte, sich wohl kaum erlauben, grössere Auslassungen vorzunehmen.
- Die LXX, deren Text neben der Tora als kanonisch galt, hat vergleichbare Texteigenschaften wie die Targume. Es wird angenommen, dass auch sie, vielleicht nur in einer frühen Phase, als der Text noch im Entstehen war, parallel zum hebräischen Text der Tora, insbesondere in Alexandria, vorgelesen oder vorgetragen wurde. Damit war der hebräische Text das Korrektiv für die griechische Fassung, wie dies auch für die aramäischen Targume gewesen sein könnte.
- Die Situation beim Samaritanischen Pentateuch sieht demgegenüber anders aus. Bedingt durch die teilweise abweichende Theologie der Samaritaner war ein Abgleich zwischen SP und MT nicht intendiert. Die Stellung in den obenstehenden Graphiken deutet auch diese besondere Beziehung zum MT an.
- Nochmals anders ist die Situation bei der Vulgata zu sehen. Sie ist im 4. Jahrhundert unter christlichen Einflüssen entstanden. Obwohl Hieronimus die textgetreue Übersetzung hervorhob, ist die Anzahl bei den zwei Unterschiedskategorien «Abweichung» und «Fehlstelle» von allen Textversionen am grössten. Die Ursachen für diese Besonderheit sind in einer textkritischen Analyse der VA zu ermitteln, die jedoch ausserhalb der Intentionen dieser Arbeit liegen.
Eine Bemerkung erscheint mir an dieser Stelle in Bezug zur vorgestellten Vergleichsmethode wichtig. Alle Auswertungen zum Bundesbuch, die hier beschrieben und gedeutet werden, bestätigen die umfangreichen Forschungsresultate zu allen parallel betrachteten Versionen. Wobei auch die eine oder andere Aussage über Ergebnisse der AT-Forschung hinausgehen, also neu und unerwartet ist.
Oder – anders ausgedrückt – das Wissen über die Parallelversionen hilft, die dargestellten Zusammenhänge zu deuten und damit zu bestätigen, dass die vorgestellte Methode sinnvolle und auch richtige Aussagen machen kann. Diese Bestätigung könnte daher der Vergleichsmethode Anwendungsbereiche bei noch wenig erforschten Paralleltexten eröffnen.
8 Vertiefung der Analyse der Unterschiede im Bundesbuch
Während der Analysen zu den drei oben dargestellten Kategorien «Abweichungen», «Erweiterungen» und «Fehlstellen» liess sich feststellen, dass die Unterschiede gewisse Eigenschaften aufweisen, die in den ermittelten Bedeutungsverschiebungen erkennbar sind. Was bedeutet es beispielsweise, wenn im MT der Ausdruck «mit mir» steht und im TO der Ausdruck «von vor mir»? Oder aus אלה י ם im MT dann in TO der Ausdruck דַחלָן wird, der neben «Götter» auch «Idole» oder «Objekt der Verehrung» bedeutet? Durch diese erweiterte Analyse der Unterschiede liess sich nach und nach eine Reihe von Eigenschaften für sie definieren, die es schliesslich ermöglichten, über alle Parallelversionen hinweg verwendet und ausgewertet zu werden. Dafür war ein längerer Prozess des Herantastens und des Verfeinerns, aber auch der Verdichtung von ähnlichen Eigenschaften erforderlich, der schliesslich zu gut gegeneinander abgegrenzten Begriffen – unabhängig von den soeben dargestellten Kategorien und von den Parallelversionen – führte. Damit konnte eine weitere synoptische Analyse aller Parallelversionen durchgeführt werden.
8.1 Eigenschaften der ermittelten Unterschiede
Waren es zu Beginn dieser Auswertungen eine grössere Anzahl unterschiedlicher Deutungsbegriffe, konnten durch sinnvolles Zusammenlegen folgende Eigenschaften definiert und gegeneinander abgegrenzt werden.
- Distanzierend: vermeiden von anthropomorphen Aussagen über und von JHWH
- Präzisierend: ein Begriff oder Ausdruck im MT wird präzisiert, erklärt oder eingeschränkt
- Sinnverändernd: gegenüber dem MT ist der Sinn ein anderer
- Erweiternd: im Sinne einer Bedeutungserweiterung, wodurch die Aussage in der Parallelversion gegenüber MT weiter gefasst oder erweitert wird; zum Beispiel, wenn ein Gebot nicht nur Rind und Schaf betrifft, sondern auch Esel oder alle Tiere. Diese Eigenschaft ist zu unterscheiden von der Erweiterung auf Textebene, wo mit zusätzlichen Satzteilen der Umfang des Textes erweitert wird
- Unbedeutend: alle jene Unterschiede, die zu keiner der bisherigen Eigenschaften zugeordnet werden können und die von der Auswirkung her unbedeutend sind.
Diese Liste an Eigenschaften der Unterschiede hat deshalb für den synoptischen Vergleich Bedeutung, weil sie, wie bereits erwähnt, von der jeweiligen Sprache oder dem Stand der Textentwicklung unabhängig sind, also für alle Parallelversionen gelten. Damit können sie einer synoptischen Analyse der Parallelversionen zugrunde gelegt werden.
Die Zuordnung eines Unterschiedes zu der einen oder anderen Eigenschaft war nicht in jedem Fall einfach vorzunehmen. Die Entscheide wurden allerdings nie willkürlich gefällt, so dass die im Folgenden darzustellenden Ergebnisse statistisch gut abgesicherte Aussagen ermöglichen.
Da in jeder der oben genannten drei Kategorien theoretisch alle definierten Eigenschaften auftreten könnten, ergäbe die Kombination der fünf Eigenschaften mit den drei Kategorien insgesamt 3 x 5 = 15 unterschiedliche Feindefinitionen für die ermittelten Unterschiede zum MT. Das war nach Abschluss der vollständigen Analyse nicht der Fall. Nur in der Kategorie der Abweichungen, wo auch diese Eigenschaftsanalyse begonnen wurde, fanden sich alle fünf Eigenschaften, bei den Erweiterungen waren es drei und bei den Fehlstellen ebenfalls drei, wovon aber eine, nämlich «allgemein», nicht im obigen Katalog enthalten ist. Wegen der im Verhältnis zu den Abweichungen und den Erweiterungen vernachlässigbaren Fehlstellen werden diese unter dem Aspekt der Eigenschaften nicht weiter untersucht und ausgewertet. Für die Ermittlung aller Unterschiede zum MT in den Parallelversionen und deren Zuordnung zu den Kategorien und den Eigenschaften wurde je ein eigenes Dokument pro Parallelversion (siehe Anhang) erstellt, um einen Iterationsprozess zur Kontrolle und zur Verfeinerung der Resultate und die Nachvollziehbarkeit zu ermöglichen.
8.2 Graphische Darstellungen
Auch für die soeben definierten Eigenschaften bietet sich nach deren quantitativer Erfassung in einer Tabelle eine graphische Auswertung an, die die Grundlage für weitergehende Analysen und Erklärungsversuche darstellt. Bei der Kategorie Abweichungen wurde für eine aussagekräftigere Darstellung die grosse Anzahl unbedeutender Abweichungen nicht einbezogen. Die Summe aller anderen Abweichungen wurde mit 100% als Basis bestimmt und die jeweiligen Anzahlen der Eigenschaften auf sie bezogen. Diese Anteile wurden als Prozentwerte in der folgenden Graphik dargestellt. Analoges gilt auch für die Erweiterungen und ihre Eigenschaften, wobei es dort keine Eigenschaftsgruppe «unbedeutend» gibt.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthaltenAbbildung 9: prozentuale Verteilung der Eigenschaften für die Abweichungen zum MT; der hohe Anteil unbedeutender Abweichungen wurde nicht miteingeschlossen, um die übrigen Eigenschaften besser darstellen zu können.
In der Gruppe der Eigenschaft «distanzierend» (dstA) fallen grosse Unterschiede auf, wobei die Targume stark vertreten sind. In ihnen kommt die rabbinische Haltung gegenüber dem Tetragramm und anthropomorphen Aussagen zu und über JHWH zum Ausdruck. Ein Beispiel dazu aus TO:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Aus dem «mit mir/mir» des MT wird, wie bereits erwähnt, ein «vor mir» im TO. Vergleichbare «distanzierende Abweichungen» finden sich nur in geringer Anzahl in der LXX, die einige Jahrhunderte vor den Targumen entstanden ist. Auch in der VA ist diese Art von Abweichungen kaum vertreten, im SP überhaupt nicht, was sich auf dessen Textgeschichte zurückführen lässt.
Für die sinnverändernden Abweichungen fällt der in allen Parallelversionen hohe Anteil auf. Im soeben zitierten Vers ist ebenfalls ein Beispiel enthalten, wo aus dem MT אֱלֹ֤הֵי «Götter» in TO דַחלָן «Objekte der Verehrung» werden. In dieser Bedeutungsverschiebung in Vers 20,23(a) erscheint die theologische Aussage, dass es neben JHWH keine anderen Götter, sondern nur noch Idole geben kann.10
Ein Beispiel für TN zu sinnändernden Abweichungen (sA):
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Der MT spricht als Adressaten des Gebotes den einzelnen Israelit mit der zweiten Person Singular an, TN formuliert sinnverändernd mit der zweiten Person Plural und spricht damit die Gemeinschaft an. Vermutlich stammt diese Abweichung aus der Situation in der Synagoge, wo zunächst der hebräische Text vorgelesen wurde, woraufhin der Meturgeman die aramäische Übersetzung an die versammelte Gemeinde in der Synagoge sprach. Diese Abweichung ist nahezu durchgehend im TN vorzufinden.11
In der Eigenschaftsgruppe «präzisierend» (prA) fallen LXX und TPJ auf. Auch hierfür soll je ein Beispiel veranschaulichen, was das bedeutet. In LXX in Vers 21,3c findet sich folgendes:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
LXX präzisiert, dass eine Frau gemeinsam mit dem Mann als Sklavin in den Dienst des Herrn kommt. Das ist im MT, wo nur die Tatsache, dass der Mann eine Frau hat, unausgesprochen vorausgesetzt. In TPJ findet sich in Vers 21,14c folgendes Beispiel einer präzisierenden Abweichung:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Es geht hier um das Todesurteil für jemanden, der an einen Asylort flüchtet, der aber ein todeswürdiges Verbrechen in voller Absicht begangen hat. MT stellt nur fest, dass er sterben muss, während TPJ daraus präzisierend bestimmt, dass der angesprochene Israelit – «du sollst ihn töten» - dieses Todesurteil zu vollziehen hat. Als präzisierende Erweiterung (prE) findet sich hier auch die Art der Vollstreckung mit dem Schwert, die in MT fehlt.
Der hohe Anteil an erweiternden Abweichungen im SP soll im Folgenden veranschaulicht werden.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Die Erweiterung der Bedeutung dieser Teilverse erfolgt durch ein Lexem mit der allgemeinen Bedeutung «Tier».
Ebenso lassen sich die Eigenschaftsgruppen für die Erweiterungen zum MT graphisch auswerten:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 10: prozentuale Verteilung der Eigenschaften für die Erweiterungen zum MT
Bei den Erweiterungen fällt für alle Parallelversionen der hohe Anteil der präzisierenden (prE) auf. Ein Beispiel aus TO, bei dem alle Erweiterungen der präzisierenden Eigenschaft zugewiesen werden konnten, soll aufzeigen, was unter «präzisierend» zu verstehen ist:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Wenn MT vom Sklaven nur von dienen spricht, präzisiert TO, dass er dies als Sklave zu tun hat. Diese Erweiterung ist rechtlich nicht unerheblich, weil sie damit den Status des bisherigen Sklaven festlegt, der im Jahr seiner vorgeschriebenen Freilassung, um die es in dieser Versgruppe geht, bekundet, bei seinem Herrn bleiben zu wollen.
Eine Sonderstellung unter allen Parallelversionen nimmt in dieser Eigenschaft «präzisierend» der SP ein, gleichzeitig weist der SP in der Kategorie textliche Erweiterungen einen hohen Anteil an Stellen mit erweiternden Eigenschaften (erwE) auf. Hier zwei entsprechende Beispiele.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Im ersten Beispiel präzisiert SP, dass der Sklave für den Käufer zu arbeiten hat und – so könnte man folgern – nicht für jemand anderen als vermieteter Sklave. Im zweiten Beispiel erweitert SP mit «und jedes Tier» die Aussage, die in MT auf ein Rind beschränkt ist. Derartige erweiternde Erweiterungen12 finden sich häufig im SP.
Auffallend ist das fast vollständige Fehlen der Eigenschaft «distanzierend» in den Erweiterungen. Das bedeutet, dass die Übersetzer und Redaktoren der Parallelversionen nur durch abweichende Übersetzungen – sie kommen nahezu nur in den drei Targumen vor – eine Distanz schaffende Wirkung erzielen konnten.
Der Eigenschaftsbereich «erweiternd» betrifft alle jene Fälle, in denen, wie bereits beim SP dargestellt, ein eher spezifisch gefasstes Gebot oder Verbot in der Parallelversion mittels einer Erweiterung in ihrer Bedeutung und Auswirkung erweitert wurde. Hier noch ein Beispiel aus TN.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Durch die formelhafte Erweiterung «Söhne Israels» fügt der Übersetzer, bzw. der Meturgeman in der Synagoge eine direkte Anrede der anwesenden Gläubigen hinzu, wodurch eine Unmittelbarkeit der Aufforderung entsteht, die ich als erweiternd betrachte. Viele dieser Stellen «erweiternd» betreffen diese direkte Anrede, die oft auch «mein Volk, Söhne Israels» lauten kann.
Ein anderes Beispiel aus TN:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Die grosse Erweiterung, die in zwei verschiedenen Manuskriptvarianten vorliegt, erweitert das Gebot mit einer Erklärung, dass der Name JHWHs über dem Boten genannt ist, damit wird eine besondere Legitimation dieses Boten beschrieben. Auf die «präzisierende Abweichung» in diesem Versteil sei hier noch eingegangen. Wenn MT im Hinblick auf den Gemütszustand des Boten «nicht mache bitter in ihm» formuliert, ist TN auf das Tun des im Gebot Angesprochenen ausgerichtet, was ich als präzisierend einschätze.
Der SP weist nicht nur bei den Abweichungen bei der Eigenschaft «erweiternd» einen hohen Anteil auf, auch bei den Erweiterungen sind Stellen mit dieser Eigenschaft stark vertreten. Zu beachten ist allerdings, dass der SP, verglichen mit den anderen Parallelversionen, insgesamt nur eine geringe Anzahl an Unterschieden zum MT aufweist. Das heisst, dass sie zwar prozentuell bedeutend sind, nicht aber in absoluten Zahlen. Trotzdem ist es interessant, diesen hohen Anteil etwas unter die Lupe zu nehmen. Hier ein paar Beispiele:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Durch die markierten Zusätze zum MT erweitert der SP den Geltungsbereich der jeweiligen Bestimmung.
8.3 Zusammenfassung zur Eigenschaftenanalyse
Vergleicht man die graphischen Darstellungen für die Eigenschaften der Abweichungen und der Erweiterungen, dann haben alle Parallelversionen die Tendenz, mit präzisierenden Unterschieden zum MT diesen zu verdeutlichen. Die Eigenschaft «sinnverändernd» ist nur bei den Abweichungen zu finden. Das hat während der erwähnten Vorversuche der Analysen zu vertieften Abklärungen geführt, weil dessen Fehlen bei den Erweiterungen nicht erwartet worden war. Die Auswertung der vollständigen Synopse zeigte dann, dass die Übersetzer und Redaktoren der Texte die ihrer Meinung nach erforderlichen Sinnveränderungen mit entsprechend ausgewählten Lexemen, sei es in der Übersetzung, sei es in der Edition und Redaktion, bewerkstelligen konnten. Damit war in dieser Eigenschaft keine Erweiterung des Textes erforderlich.
Wegen der sehr unterschiedlichen Eigenschaftenprofile der Parallelversionen sind zusammenfassende Aussagen kaum möglich. Einige der erkannten Eigenheiten sind in der umfangreichen Forschungsliteratur zu den Parallelversionen zu finden, womit die Aussagekraft der vorgestellten Methode unterstützt wird. Andere, wie vor allem die «präzisierenden» oder die «erweiternden», kommen in der konsultierten Literatur nicht vor und könnten für jede der Parallelversionen zu vertieften Untersuchungen Anstoss bieten. Diese sind jedoch nicht Gegenstand der vorliegenden Arbeit.
9 Synoptische Analysen zwischen den Parallelversionen für das Bundesbuch
Abbildung 4 bis Abbildung 8 zeigen synoptische Darstellungen der Unterschiede zum MT der Kategorien «Abweichung», «Erweiterung» und «Fehlstellen» aller betrachteten Parallelversionen. Eine weitere synoptische Auswertung soll die Frage beantworten, in wie vielen Fällen in zwei oder mehreren Parallelversionen gleiche Unterschiede zum MT anzutreffen sind. Daraus müsste sich ableiten lassen, ob bzw. in welchem Ausmass parallele Versionen voneinander abhängig sein könnten.
9.1 Gleiche Unterschiede in zwei oder mehr Parallelversionen
Für diese Auswertung wurde in der Synopse die deutsche Übersetzung Vers für Vers in allen sechs parallelen Texten verglichen. Dabei wurden gleiche Unterschiede, unabhängig zu welcher Kategorie oder welcher Eigenschaft sie gehören, markiert und in einem Arbeitsdokument erfasst (siehe Anhang). Auch hier war die Absicht bei der Erstellung des Arbeitsdokumentes, die Möglichkeit zu schaffen, in einem zweiten oder dritten Durchgang die Ergebnisse überprüfen, korrigieren oder verbessern zu können. Ferner konnte so die Grundlage für eine Nachvollziehbarkeit der Analyse geschaffen werden. Für die Kapitel des Bundesbuches wurde je eine tabellarische Zusammenfassung erstellt, ein Beispiel zeigt die folgende Abbildung, die einzelne Verse aus Kapitel 23 enthält.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 11: Auszug aus der synoptischen Analyse gleichartiger Unterschiede zum MT; Ex 23,2-15
Bei dieser Analyse konnte festgestellt werden, dass es nur bei den Übersetzungsabweichungen und den Texterweiterungen gelegentlich Gemeinsamkeiten gibt, hingegen wurde keine einzige Fehlstelle identifiziert, die in zwei oder gar drei Parallelversionen gemeinsam aufgetreten wäre.
Die folgende Graphik verdichtet und veranschaulicht die Resultate der Untersuchung. Sie ist folgendermassen zu lesen: Die Zahlen in den Kreisen stellen die Anzahl gemeinsamer Unterschiede dar, die dazugehörigen Pfeile verbinden die sich darauf beziehenden Parallelversionen miteinander.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 12 : Übersicht über gleiche Unterschiede zum MT bei zwei oder mehreren Parallelversionen ; in der Tabelle sind die Anzahlen aller Unterschiede zum MT pro Parallelversion als Vergleichsbasis aufgeführt
Daraus lässt sich erkennen, dass nur zwischen den Targumen eine grössere Anzahl gemeinsamer Unterschiede zu finden ist. Alle drei Targume haben 23 Unterschiede gemeinsam. Klar erkennbar ist, dass VA, LXX und SP wegen der sehr geringen Anzahl gemeinsamer Unterschiede im Bundesbuch voneinander nicht abhängig sind. Die vereinzelten Gemeinsamkeiten von je VA und LXX mit TN und TO lassen sich nicht einordnen und können auch auf Zufällen beruhen.
Um diese Anzahlen an gemeinsamen Unterschieden einzuordnen und zu bewerten, ist in der obigen Graphik die Gesamtzahl der Unterschiede zum MT pro Parallelversion gegenübergestellt13. Hier fällt auf, dass die Anzahl an Unterschieden, die in zwei oder mehreren Versionen gleichzeitig vorkommen, im Verhältnis zu der Gesamtanzahl Unterschiede sehr gering ist. Diese Auswertung bestätigt nochmals die bereits formulierte Feststellung, dass es beim Textkorpus Bundesbuch keine gegenseitigen Beeinflussungen der parallelen Versionen zu geben scheint, da sie sich alle einerseits stark an den MT halten, andrerseits je eigene Unterschiede aufweisen.
Die obigen Auswertungen zeigen ebenfalls, dass eine systematische Parallelität nur innerhalb der Targume besteht, die oft das bekannte rabbinische Formulierungsmuster in bestimmten Bereichen abbildet, wie im Zusammenhang mit dem Tetragramm, oder in anthropomorphen Aussagen zu oder über JHWH oder Elohim. Auch werden vereinzelt deutungsschwierige Verse des MT einheitlich übersetzt, bzw. ausdeutend interpretiert. Nie aber so, dass eine Abhängigkeitsrichtung zwischen den Targumen postuliert werden könnte, obwohl eine gewisse Entstehungsreihenfolge angenommen werden kann. Die in der Forschungsliteratur festgehaltene gegenseitige Abhängigkeit zwischen TO und TPJ (vgl. 6.4 Targum Pseudo Jonathan, S. 22) ist zwar durchaus möglich, jedoch in der hier vorgenommenen Analyse nicht zwingend feststellbar. Alle drei Targume sind, gemessen an der Anzahl Unterschiede, in gegenseitige Beziehung zu setzen, jedoch eher auf der Basis gemeinsamer, rabbinischer Konzepte.
Dass SP und die Targume keinerlei gemeinsame Unterschiede aufweisen, ist nicht erstaunlich, stellt doch der SP neben dem MT, trotz anzunehmender gemeinsamer Ursprünge, eine eigenständige Traditionslinie dar.
9.2 Synoptischer Vergleich der Verteilung der Unterschiede auf Versgruppen
Eine weitere synoptisch basierte Analyse, die mit den Basisergebnissen der Synopse möglich ist, betrifft die Frage, wie sich die Unterschiede zum MT in den Parallelversionen auf Versgruppen verteilen, in die das Bundesbuch strukturiert werden kann. Es kann vermutet werden, dass die Intentionen der Übersetzer oder Redaktoren für die im Bundesbuch aufscheinenden Themenbereiche unterschiedlich sein könnten und sich damit auch auf die Anzahl Unterschiede auswirken. Folgende Versgruppen, wie sie in der Zürcher Bibel14 ausgewiesen sind, werden angewendet.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Werden die ermittelten Unterschiede der Parallelversionen auf diese Kapitel entsprechend ihrem Vorkommen aufgeteilt und durch die Anzahl darin vorkommender Verse geteilt, lässt sich die folgende Grafik erstellen.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 13 Verteilung der Unterschiede auf Versgruppen
Zum Verständnis der Darstellung: Die Unterschiede der jeweiligen Parallelversion zum MT, unabhängig davon, zu welcher Kategorie oder Eigenschaft sie zugewiesen worden sind, wurden den genannten Kapiteln zugeordnet. Danach wurde die Anzahl der Unterschiede durch die im Kapitel enthaltene Versanzahl geteilt. Um die Parallelversionen besser gegeneinander zu differenzieren, wurde die gesamte Anzahl Unterschiede jeder Parallelversion über alle 106 Verse des Bundesbuches gemittelt, was als 100% genommen wird. Dies ist in der obigen Grafik als roter senkrechter Strich hervorgehoben. Auf diese mittlere Anzahl Unterschiede jeder Parallelversion wurden dann die für jedes Kapitel ermittelte Anzahl Unterschiede bezogen. Diese können daher über dem Mittelwert der Parallelversion oder unterhalb liegen, was in den horizontalen Balken der Parallelversionen ersichtlich ist.
Die Darstellung mag zunächst verwirrend sein und wenig Anregung zu Interpretationen bieten, bei genauerer Betrachtung zeigen sich jedoch einige Besonderheiten, die Beachtung verdienen.
- Auffallend ist, dass es kein erkennbares Verteilungsmuster gibt. Nicht einmal innerhalb der Gruppe der drei Targumen ist ein solches zu finden; bei den anderen drei Parallelversionen war es wegen ihrer bereits aufgezeigten Eigenständigkeit schon gar nicht erwartet worden.
- Bemerkenswert ist, dass alle Parallelversionen im Kapitel «Anweisungen für den Altar» überdurchschnittlich viele Unterschiede zum MT aufweisen. Das lässt sich so interpretieren, dass der Altardienst für die Übersetzer und Redaktoren besonders ausdeutungswürdig gewesen sein dürfte.
- Vergleicht man nur die Targume, dann lassen sich mindestens folgende Beobachtungen machen, die dann zu vertieften Untersuchungen führen könnten:
- Neben der Versgruppe «Anweisungen für den Altar» weist das Kapitel «Pflichten gegenüber Gott» einen bedeutenden Anteil an Unterschieden auf.
- Unterdurchschnittlich wenige Unterschiede pro Vers sind in den Kapiteln «Verführung einer Jungfrau», «Ersatzleistung» und «Totschlag und Menschenraub» zu finden, so als ob den Erstellern und Redaktoren der Targumtexte nicht besonders viel an diesen Themen gelegen wäre und daher den MT nahezu unverändert übernommen hätten. Vielleicht kann das als Hinweis betrachtet werden, dass den Übersetzern theologische Themen wichtiger waren als soziale oder strafrechtliche.
- Der Samaritanische Pentateuch weist ein besonderes Verteilungsprofil über die Kapitel auf. Während die meisten Kapitel unter dem Mittelwert liegen, ragen Kapitel «Sabbatjahr und Sabbat», «Ersatzleistung», «Körperverletzung» und insbesondere «Anweisungen für den Altar» heraus. Die Unterschiede zum MT für dieses letzte Kapitel könnten als Hinweis auf die Bedeutung der theologischen Abgrenzung vom Altar in Jerusalem gesehen werden.
- Das Unterschiedsprofil der Septuaginta weist ebenfalls beachtenswerte Besonderheiten auf. Unterdurchschnittlich vertreten sind die Kapitel «Sabbatjahr und Sabbat», «Pflichten gegenüber Gott», «Verführung einer Jungfrau», «Totschlag und Menschenraub», während besonders die Kapitel «Verbrechen mit Todesstrafe» und «Anweisungen für den Altar» herausragen. Für die Unterschiede im erstgenannten Kapitel könnten Einflüsse einer in Ägypten bereits etablierten zivilen Rechtsprechung verantwortlich sein. Für jene des zweiten Kapitels kann vermutet werden, dass die Übersetzer die Kultpraxis in Jerusalem kannten und so deutend in den Text eingriffen.
- Die Vulgata weist ebenfalls ein besonderes Verteilungsprofil über die Kapitel auf, dieses ist aber weit weniger mit Extremen versehen als alle anderen Parallelversionen. Das lässt den Schluss zu, dass der Übersetzer äusseren Einflüssen oder bestimmten Absichten nur in geringerem Ausmass unterworfen war.
Die hier vorgestellten Interpretationen und Aussagen sind nicht als abschliessend zu betrachten. Sie sollen Beispiele darstellen, wie die vorgenommenen Auswertungen mit der Synopse dazu dienen können, um weitergehende und vertiefte Analysen mit textkritischen, philologischen, literaturwissenschaftlichen und anderen Werkzeugen und Methoden anzuregen.
Die soeben behandelte Analyse versucht zu hinterfragen, woher die sehr unterschiedlichen Verteilungsprofile der Parallelversionen über die thematisch abgegrenzten Kapitel des Bundesbuches stammen könnten. Denn dass sie nicht rein zufällig so erscheinen, muss angenommen werden. Mit Sicherheit resultieren sie aus irgendwelchen, derzeit noch nicht genügend verstandenen Ursachen. Sie kann als Vorstufe für die im folgenden vorgestellte Betrachtung zu den Ursachen der Unterschiede angesehen werden.
10 Ursachen oder Begründungen für Unterschiede in den Parallelversionen zum MT
10.1 Einleitung
Im vorhergehenden Kapitel mit der Verteilung der Unterschiede auf die thematischen Abschnitte des Bundesbuches wurde eine Analyse aufgezeigt, die mögliche Ursachen oder auch Ursprünge oder Begründungen der Unterschiede betreffen. Da diesbezüglich keinerlei Vorbilder in der Fachliteratur gefunden wurden – auch wenn vereinzelt Aussagen zum Umfeld der Übersetzer und Redaktoren der Versionen gemacht werden – entwarf ich eine entsprechende Auswertung der vorhandenen Synopse.
10.2 Methodisches Vorgehen
Anhand eines Beispiels soll das methodische Vorgehen erläutert werden, das auf der in anderen Gebieten bekannten und mit Erfolg angewendeten Wirkung-Ursachen-Analyse basiert. Ausgangspunkt in Abbildung 14 ist der festgestellte Unterschied zum MT. Daraufhin wird die Frage gestellt, welche Ursachen für die Entstehung dieses Bedeutungsunterschieds denkbar sind. Die Suche nach diesen Ursachen soll so offen wie möglich sein und sollte keine auch nur theoretisch mögliche Ursache ausschliessen. Daraus wird jene gewählt, die einen höheren Grad der Wahrscheinlichkeit gegenüber den anderen Ursachen aufweist. Sofern sinnvoll, kann eine weitere Ursachenstufe angedacht oder erarbeitet werden, was hier jedoch nicht dargestellt ist.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 14 : Beispiel eines Wirkung-Ursache-Diagramms
Die in Abbildung 14 notierten Ursachen sind nicht umfassend und abschliessend und dienen nur der Veranschaulichung des methodischen Vorgehens. Einzelne, wie zum Beispiel «Absicht des Übersetzers», könnten verfeinert werden, indem die Absicht selbst nach ihren Ursachen hinterfragt wird. Es dürfte nachvollziehbar sein, dass eine derartig detaillierte und damit aufwändige Ursachenanalyse nur bei besonders auffallenden oder wichtigen Unterschieden zwischen der behandelten Parallelversion und dem MT vorgenommen werden kann. In den meisten Fällen genügt es – vor allem in einem ersten Analysedurchgang – die plausibelste Ursache zu wählen. Erst in weiteren, iterativen Analysedurchgängen kann die eine oder andere Ursache hinterfragt, ergänzt oder korrigiert werden. Deshalb war es wichtig, die Forschungsliteratur zu den Parallelversionen – wie schon erwähnt – systematisch auszuwerten und Informationen zur Entstehung und Textgeschichte der jeweiligen Version zu sammeln.
Dass die Unterschiede in den Parallelversionen ihre Ursachen in einer vom heutigen Masoretischen Text abweichenden Version der hebräischen Bibel als Vorlage haben könnten, ist im obigen Diagramm erwähnt. In den detaillierten Auswertungen gab es jedoch keinen Fall, in dem diese Ursache mit einer nennenswerten Wahrscheinlichkeit angenommen werden konnte. Deshalb fehlt sie in den folgenden Darstellungen. Sie kann aber bei anderen Texten des Pentateuchs durchaus relevant sein.
Die Ursachenanalyse beschränkt sich auf die im Bundesbuch vorgefundenen Unterschiede zum MT und stellt keine Vergleiche mit anderen Büchern des Pentateuchs her, wie dies für textkritische Arbeiten erforderlich wäre. Damit sind mögliche oder wahrscheinliche Homogenisierungen mit Formulierungen in anderen Büchern, die durchaus in den Targumen oder in der LXX zu entdecken sind, nicht untersucht15. Deren Ursachen bzw. Begründungen müssten dann allerdings, im Sinne dieser hier zu beantwortenden Fragestellung, ebenfalls überlegt werden.
Ausgehend von der Synopse und unter Benützung der für die einzelnen Parallelversionen erstellten Arbeitsdokumente zur Feststellung der Eigenschaften der Unterschiede werden alle Unterschiede gesichtet, die mit einer höheren Wahrscheinlichkeit einer bestimmten Ursache zugewiesen werden können. Es war mir allerdings nicht möglich, jedem einzelnen Unterschied eine Ursache zuzuordnen. Die Erfahrung aus dieser Analysearbeit zeigt, dass hierzu Kompetenzen erforderlich sind, über die ich nur teilweise verfüge. Geeignet wäre dazu ein Team, das sich aus Theologen, Sozialhistorikern, Philologen, Rechtshistorikern und Literaturwissenschaftern zusammensetzt.
Aus der Analyse ergaben sich einige Ursachenkomplexe, auf die Unterschiede in einer gut auswertbaren Anzahl zurückgeführt werden konnten. Auch hierfür ist es angezeigt, je ein eigenes Arbeitsdokument zu erstellen, das nachträgliche Überprüfungen, iteratives Vorgehen und Nachvollziehbarkeit gewährleistet. Daraus werden im nächsten Kapitel einige Deutungen von Unterschieden vorgelegt, um in erster Linie auf das methodische Vorgehen hinzuweisen.
Weil die Übersetzungsprozesse und redaktionellen Eingriffe in die untersuchten Texte, die zu den Unterschieden zum MT geführt hatten, in der Vergangenheit liegen und es keinerlei Aufzeichnungen der verantwortlichen Personen gibt, sind die hier angestellten Überlegungen nur mit einem mehr oder weniger grossem Grad an Wahrscheinlichkeit gültig. Es kann also immer nur vermutet werden, warum ein Unterschied zum MT eine uns heute vorliegende Ausprägung erfahren hat.
Nachdem alle sechs Parallelversionen wie beschrieben analysiert waren, konnte festgestellt werden, dass einerseits die drei Targume ähnliche Ursachenprofile aufweisen, dass aber die anderen drei weder untereinander noch mit der Targumgruppe bezüglich Unterschiedsursachen vergleichbar sind. Doch zunächst einmal eine Übersicht über die erarbeiteten Ursachen, wie sie in den Parallelversionen erkannt werden konnten. Die Ursachenkomplexe werden mit Abkürzungen bezeichnet, die im Folgenden erklärt und in den Graphiken als Bezeichnungen verwendet werden.
- TK: Theologische Konzepte, die in der jeweiligen Parallelversion aufscheinen. In den Targumen (=TKJ) sind t heologische K onzepte des frühen J udentums erkennbar, die auf die Vermeidung anthropomorpher Aussagen von und über JHWH und die Vermeidung des Nennens des Namen Gottes ausgerichtet sind16. In der LXX finden sich t heologische K onzepte, die mit der Kultpraxis am Z weiten Tempel (=TKZ) in Verbindung gebracht werden können. Und das t heologische K onzept bei den S amaritanern (=TKS), für die nicht der Tempel in Jerusalem, sondern jener auf dem Garizim als der einzige Ort gesehen wird, an dem JHWH verehrt werden darf. Für die synoptische Auswertung werden diese drei unterschiedlichen Ursachengruppen als Theologisches Konzept (TK) zusammengefasst
- GS: Als Adressat der Gebote wird die G emeinschaft der Israeliten in der S ynagoge angesprochen, nicht mehr der einzelne Israelit. Das führt zur Pluralform in der zweiten Person – von «du» zu «ihr»
- ER: Werden im Bundesbuch im MT viele Rechtsgrundsätze offen und interpretierbar formuliert, finden sich in einigen Parallelversionen präzisere Bestimmungen, die auf eine bereits e tablierte R echtspraxis hinweisen
- EM: E xklusiver M onotheismus, das heisst, dass es neben JHWH nur noch Idole, Statuen, Objekte der Verehrung, aber keine Götter mehr geben kann
- RR: Nach der Zerstörung des Zweiten Tempels durch die Römer war der Ort der Rechtsprechung nicht mehr verfügbar, weshalb ein Gericht bzw. R ichter R echt sprechen mussten
- FK: Der im MT noch nicht erkennbare F est k alender mit klarer Zuordnung der einzelnen Feste zu kalendarischen Daten ist vor allem in den Targumen bereits so weit ausgeprägt, dass zum Beispiel aus dem heiligen Schlachtopfer das Pessach wird
- KP: wird in den Formulierungen des MT davon ausgegangen, dass jeder Israelit Opfer an einem Altar darbringen darf, gehen die Formulierungen in der Parallelversion auf eine bereits etablierte K ult p raxis zurück, in der nur Priester dies tun dürfen
- EI: durch Erweiterungen zum MT werden dort allgemein formulierte Gebote e ingeschränkt auf I srael umformuliert
Wie bei den bisherigen Auswertungen wurde wiederum mit Targum Onkelos begonnen, wobei eine erste Ursachensammlung erstellt wurden. Weitere Ursachen mussten bei der Untersuchung der anderen Parallelversionen nach und nach hinzugefügt werden, bis am Schluss die oben wiedergegebenen vorlagen. Am Ende eines jeden versionsspezifischen Arbeitsdokumentes sind in einer Tabelle alle Stellen erfasst und die jeweilige Anzahl ermittelt. Als Beispiel sei hier jene für Targum Onkelos dargestellt.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tabelle 3 quantitative Auswertung der Ursachen für Targum Onkelos
Auch für diese Untersuchung werden die Zusammenhänge mit graphischen Darstellungen veranschaulicht. Die erste Grafik stellt die sechs Parallelversionen mit ihren Ursachenprofilen dar.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Daraus lassen sich einige Erkenntnisse formulieren. Das in den Targumen beobachtbare, wichtige theologische Konzept (TKJ) in Bezug auf das Tetragramm und die Vermeidung anthropomorpher Aussagen ist in allen drei Targumen ähnlich stark vertreten und tritt in den anderen drei kaum auf. In der LXX ist es die zentrale Rolle des Tempels (TKZ) in Jerusalem, die einige wenige Unterschiede zum MT verursacht, im SP (TKS) ist es die Vorstellung, dass sich die zentrale Opferstelle nicht in Jerusalem, sondern auf dem Garizim befindet.
Die von Targum zu Targum steigende Anzahl Stellen, deren vom MT abweichende Formulierungen in einer etablierten Rechtspraxis (ER) im Umfeld der Übersetzer und Redaktoren begründet sein dürfte, könnte durch eine zeitliche Reihenfolge der Entstehung verursacht sein. Danach war Targum Pseudo Jonathan als das späteste Targum auch am längsten diesem Einfluss unterworfen. Das wird auch durch die Targumforschung so angenommen17. Eine Einflussnahme auf rechtliche Formulierungen ist auch in den anderen drei Parallelversionen erkennbar.
Die vermutete Ursache, dass Formulierungseinflüsse aus dem mündlichen Vortrag der Texte im Synagogengottesdienst stammen (GS) zeigt eine interessante Verteilung über die Parallelversionen. Während TO, VA und SP keinerlei derartige Stellen aufweisen, sind sie in TN besonders stark vertreten, aber auch in TPJ und LXX. Bei TPJ ist das plausibel, bei LXX ist das als Bestätigung für die in der Forschungsliteratur geäusserte Vermutung zu sehen, wonach auch der griechische Text mindestens zeitweise im Synagogengottesdienst mündlich vorgetragen wurde18. Dass TO keine diesbezüglichen Unterschiede zum MT aufweist, ist im Vergleich zu den beiden anderen Targumen auffallend. Eine Erklärung hierfür könnte sein, dass TO ganz allgemein im Bundesbuch dem MT eng folgt, die Übersetzer also bemüht waren, den hebräischen Text so genau wie möglich im Aramäischen wiederzugeben. Vielleicht sind aber auch die Ursprünge des TO in geringerem Ausmass durch den mündlichen Vortrag in der Synagoge geprägt als die anderen beiden Targume. Das könnte darauf hindeuten, dass es sich eher um eine Übersetzung durch Schreiber als um eine Aufzeichnung gesprochener Texte handelt.
Der zur Zeit der Entstehung der Targume bereits etablierte Monotheismus ist gut erkennbar, während so begründbare Unterschiede zum MT in VA und SP vollständig fehlen und in LXX nur in geringer Anzahl vertreten sind. Ist dies beim SP der allgemein grossen Nähe zum MT zuzuschreiben, darf bei der VA die fehlenden Umformulierungen der Übersetzungsabsicht des Hieronimus geschuldet sein.
Die Verlagerung des Rechtsprechungsortes vom Tempel zu einem Gericht mit Richtern (RR) tritt als Ursache für Unterschiede nur in den Targumen auf, die damit die Tatsache des nicht mehr existierenden Tempels zu Jerusalem berücksichtigen. Das Fehlen in der LXX ist aus ihrem Entstehungszeitraum nachvollziehbar, ebenso beim SP.
Eine beachtenswerte Sonderstellung nimmt als Ursache die Einschränkung einiger Gebote auf Israel (EI) im TPJ ein, die sonst in keinem Paralleltext, mit einer kleinen Ausnahme von LXX, zu beobachten ist. Dies müsste mit anderen Methoden als den hier vorgestellten weiter untersucht werden.
Für eine zusätzliche Veranschaulichung kann die folgende Darstellung dienen, die die Verteilung der Ursachen auf die Parallelversionen aufzeigt. War in der vorhergehenden Darstellung die Verteilung der Ursachen in den Parallelversionen im Fokus, wodurch sich die Parallelversionen miteinander vergleichen lassen, ist die folgende Darstellung auf die Ursachen ausgerichtet und erlaubt festzustellen, wo in welchen Parallelversionen ihre Schwerpunkte liegen.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 16 Verteilung der Parallelversionen auf Ursachen
Keine der Ursachen ist in allen Parallelversionen vertreten, einzig die Ursache ER – Einfluss einer etablierten Rechtspraxis – findet sich in allen. Fasst man alle sechs parallelen Versionen zusammen, dann ist erkennbar, dass insbesondere Theologische Konzepte, eine etablierte Rechtspraxis im Umfeld, ein etablierter Monotheismus und die Gemeinschaft in der Synagoge bei der Formulierung bzw. in der Texttradition von nennenswertem Einfluss waren. Der Festkalender des frühen Judentums, die Kultpraxis im Tempel und die Exklusivität Israels sind dagegen als Formulierungsursache eher marginal.
11 Grenzen der Methode und Ausblick
Die vorgestellte Methode eines synoptischen Vergleichs mehrerer Parallelversionen auf der Basis der Übersetzung aller Versionen in eine einzige Sprache – im vorliegenden Fall Deutsch - stellt einen in der Literatur, abgesehen von einem einzigen Hinweis, nicht erkennbaren Ansatz dar, mit dem auf Makroebene neue Erkenntnisse zu Bezügen und eventuellen gegenseitigen Abhängigkeiten zwischen den betrachteten Texten zu gewinnen wären. Auch kann sie Hinweise auf die Umstände und die Umgebung der Entstehung und redaktioneller Eingriffe geben. Sie ist aber kein Instrument, um textkritische Aussagen zu erarbeiten, wie sie von Tov19 und Talmon20 gefordert und/oder erwartet wurden. Hierfür muss immer eine einzige Textversion dem MT gegenübergestellt, oder die in mehreren Parallelversionen auftretenden Unterschiede individuell ausgewertet werden. Dazu ist eine gründliche Analyse des jeweiligen Textes mit allen Werkzeugen der Philologie, der Text- und Literaturkritik erforderlich, die bei der synoptischen Analyse weder intendiert ist noch sinnvoll erscheint.
Allerdings kann die synoptische Analyse Hinweise liefern, an welchen Stellen diese vertiefte Textanalyse ansetzen sollte oder könnte. Durch die übergreifende, einen grösseren Textblock als Ganzes betrachtende Herangehensweise, in der nicht nur zwei Versionen miteinander in Bezug gesetzt werden, können Erkenntnisse zu systematisierbaren Unterschieden zwischen Textversionen gewonnen werden, die bei punktueller, nur eine einzige Textversion betrachtende Analyse möglicherweise weniger offenkundig sein könnten. Die vorgestellte Methode ermöglicht einen umfassenderen Blick auf der obersten Textebene, wie wenn ein Archäologe ein Gelände abschreitet und aufnimmt, was sich seinem Blick an Bemerkenswertem darbietet. Die daraus gewonnene Gesamtschau auf das Gefundene eröffnet eine Sicht vom Groben ins Detail, bei der anfänglich gewonnene Übersichten und Zusammenhänge das Netz für die Detailerkenntnisse bilden.
Um diesen Zusammenhängen die nötige Basis zu geben, ist die vorgestellte Methode auf Textbereiche anzuwenden, die sich unter thematischen Aspekten sinnvoll abgrenzen lassen. Auf der einen Seite sollte der Textumfang nicht zu begrenzt sein, weil dadurch die statistisch auswertbare Menge an Unterschieden zu klein werden könnte. Andrerseits sind sehr grosse Textkorpora nicht nur wegen des damit verbundenen Untersuchungsaufwandes, sondern auch wegen der meist darin enthaltenen Inhomogenität – im Blick auf das Alte Testament – kaum für die vorgestellte Analysemethode geeignet.
Der beachtliche Aufwand zur Erstellung einer Synopse mehrerer Parallelversionen, die sich nicht nur mit dem Nebeneinanderstellen der Originaltexte in den jeweiligen Sprachen begnügt, sondern auch die Bedeutungsinhalte herausarbeitet und in einer gemeinsamen Sprache vorlegt, wird dieser Methode nur vereinzelt Anwendung verschaffen. Eventuell könnte der Aufwand drastisch gesenkt werden, wenn Programme zur automatischen Übersetzung der Texte zur Anwendung kommen. Dieser Ansatz müsste von kompetenten Instituten geprüft werden – wurde hier aber nicht weiterverfolgt. Ein eher spielerischer Versuch wird weiter unten vorgestellt.
Zusammenfassend muss festgehalten werden, dass die hier vorgestellte Vergleichsmethode mittels Synopse und Übersetzung in eine Vergleichssprache nur unter besonderen Fragestellungen oder für ausgewählte Texte zur Anwendung kommen dürfte.
Alle hier beschriebenen methodischen Ansätze und Vorgehensweisen wurden am Bundesbuch Ex 20,22 – 23,33 entwickelt und auch umgesetzt. Immer wieder tauchte der Gedanke auf, dass sich diese methodischen Ansätze auch für andere Texte, von denen mehrere Parallelversionen vorliegen, eignen würden. Im Rahmen einer weitergehenden, theoretischen Betrachtung wurde schnell klar, dass für eine auf beliebige Texte anwendbare Methode eine Reihe von Kompetenzen erforderlich ist, die vom Text selbst, seinem Inhalt und seiner Bedeutung her vorgegeben werden, vor allem aber durch die diversen Sprachen, in denen die parallelen Versionen vorliegen. Die Anforderungen an den Forscher, der den Unterschieden zwischen verschiedenen Versionen des gleichen Textes nachspürt, sind vergleichbar mit jenen, die der jeweilige Übersetzer zu erfüllen hatte, der aus einem Basistext eine anderssprachliche Parallelversion zu erstellen hatte. Er muss folglich sowohl die Sprache des Quellentextes wie auch die Zielsprache beherrschen, daneben aber auch die kulturellen, religiösen, gesellschaftlichen und politischen Bedeutungssysteme kennen und berücksichtigen können. Die Sprachen, aber auch die Bedeutungssysteme sind nicht nur geographisch-regional, sondern auch zeitlich variabel, was es zu bedenken gilt. Hinzu kommt, dass bei antiken Texten auch die Traditionsgeschichte zu berücksichtigen ist, denn diese Texte, wie sie heute vorliegen, haben sich im Laufe der Zeit verändert. Bei der Arbeit am Bundesbuch waren diese Faktoren mitlaufende Leitplanken während der Erstellung der deutschen Übersetzungen, weshalb ein umfangreiches Studium einer Fülle von Forschungsliteratur zu einer grossen Zahl an Rahmen- und Randgebieten zum Text selbst und zum Umfeld der behandelten Parallelversionen erforderlich war. Die Erkenntnisse aus diesem Studium flossen nicht nur in die eigentliche Übersetzung ein, sondern waren auch erforderlich, um die gefundenen Unterschiede einzuordnen und zu interpretieren.
Durch die Wahl einer bestimmten Textfassung, wie sie oben im Kapitel über die gewählten Editionen (siehe S. 19) behandelt wurde, sind die Resultate der Analysen nur für sie gültig. Diese Resultate können aber anschliessend dazu führen, sich mit der Textgeschichte auseinander zu setzen, indem Textvarianten darauf hin untersucht werden, ob dort die gleichen oder andere Unterschiede auftreten. Das ist dann aber nicht mehr Teil der vorgestellten Methode – sie kann diese Aufgabe nicht mehr leisten.
Eine wichtige Unterstützung für die Entwicklung der vorgestellten Vergleichsmethode war die unerwartet deutliche Parallelität aller untersuchten Parallelversionen bezüglich der Textstruktur. Diese für das Bundesbuch und seine antiken Versionen vorgefundene Eigenschaft ist aber für andere Texte keineswegs vorauszusetzen. Wie dann vorzugehen wäre, wenn die Textstruktur in Parallelversionen vom Basistext abweichen, wurde nicht untersucht. Hierfür müssten weitere methodische Vorgehensweisen oder angepasste Analysen entwickelt werden. Zum Beispiel könnte neben den Kategorien «Abweichung», «Erweiterung» und «Fehlstelle» eine weitere mit der Bezeichnung «Strukturveränderung» eingeführt werden.
Mit der Entwicklung und laufenden Verbesserung automatischer Übersetzungsprogramme könnte der hier vorgestellten Methode wenigstens ein Teil der aufwändigen Übersetzungsarbeit abgenommen werden. Mit einer so erstellten Rohübersetzung liesse sich rasch erkennen, ob sich eine vertiefte Analyse von Parallelversionen lohnt. Dies wurde in einem kleinen Experiment am Schweizerischen Obligationenrecht versucht, das in fünf Sprachen (deutsch, französisch, italienisch, rätoromanisch und englisch) vorliegt. Mit Hilfe des Google Translators wurde der siebente Titel: Die Schenkung; Art. 239 A21 ins Deutsche übersetzt, wobei Rätoromanisch nicht erkannt wurde. Es konnten ohne grossen Aufwand einige Unterschiede zum deutschen Text, der für dieses Experiment als Basis gewählt wurde, ermittelt werden. Ob die so erkannten Unterschiede von Bedeutung sind oder nicht, wurde nicht untersucht. Dieses Experiment zeigt aber, dass moderne Übersetzungssoftware tatsächlich in der Lage ist, einen grossen Anteil der Vorbereitungsarbeit für eine Synopse mit einer einheitlichem Vergleichssprache abzunehmen.
12 Zusammenfassung
Aus einem eher zufälligen Interesse am Bundesbuch in Exodus 20,22 – 23,33 mit seinem gesetzgeberischen Text entwickelte sich nach und nach durch den Einbezug antiker Parallelversionen die Fragestellung, worin sich diese vom als kanonisch und unveränderbar angenommenen masoretischen Text unterscheiden. Um eine derartige Gegenüberstellung und Analyse für das ganze Bundesbuch und für mehrere parallele Versionen durchführen zu können, musste eine Methode entwickelt werden, die in einer vollständigen Synopse aller sieben paralleler Texte resultierte. Damit traten Inhalt und Bedeutung des Bundesbuches in den Hintergrund, es diente nun als Objekt, an dem die Vergleichsmethode entwickelt wurde.
In der vorliegenden Arbeit fand der Vergleich auf der Basis deutscher Übersetzungen aller Versionen statt, woraus Erkenntnisse gewonnen wurden, die einerseits die Brauchbarkeit der entwickelten Methode aufzeigten, andrerseits aber auch in der Forschungsliteratur dargestellte Eigenschaften der antiken Texte auf methodisch neue Art bestätigten. Teilweise zeitigten die Analysen aber auch neue Ergebnisse. Auf folgende Erkenntnisse für das Bundesbuch und seine sechs antiken Parallelversionen wäre hier hinzuweisen:
- Die Vulgata stellt sich im Bundesbuch als unabhängig von der Septuaginta dar
- Die drei Targume bilden eine Einheit ohne Bezug zu VA, LXX und SP
- Ein grosser Anteil der in den Targumen gefundenen Unterschiede basiert auf rabbinischen Konzepten des frühen Judentums
- Jeder der Targume weist jedoch Eigenheiten auf: Onkelos ist der dem Masoretischen Text am nächsten stehende Targum, Pseudo Jonathan weicht am meisten ab; diese Erkenntnisse aus den Analysen werden durch die konsultierte Forschungsliteratur unterstützt
- Der Samaritanische Pentateuch hat, was die Unterschiede zum MT betrifft, keine erkennbaren Parallelen in den anderen Parallelversionen
- Die Vulgata enthält keinerlei Unterschiede zum MT, die auf einer jüdischen Theologie basieren könnten; die Überformung durch christliche Einflüsse ist gering
- Die Septuaginta weist Unterschiede zum MT auf, die sich aus der Diasporasituation des zweiten Jahrhunderts vuZ und dem sozialen Umfeld im griechischen Alexandria erklären lassen. Ausserdem ist der noch existierende und als zentral wahrgenommene Tempelkult in Jerusalem erkennbar; es gibt auch Hinweise, dass frühe Formen der LXX möglicherweise in der Synagoge mündlich vorgetragen wurden
Daraus lassen sich weitergehende Fragestellungen ableiten, die zu textkritischen, theologischen, soziologischen und literaturwissenschaftlichen Forschungen führen könnten. Ferner ist aber auch erkennbar, dass die vorgestellte Methode, unter Verwendung automatisierter Übersetzungsprogramme, zur Erforschung nicht nur weiterer Texte der Hebräischen Bibel, sondern ganz allgemein von Texten dienen könnte, die in unterschiedlichen Sprachen vorliegen oder das Resultat paralleler Texttraditionen darstellen.
Zusammenfassend lassen sich folgende Merkmale und Vorgehensweisen für die vorgestellte Vergleichsmethode angeben:
- Der zu untersuchende Text sollte inhaltlich und thematisch gut abgegrenzt und nicht zu umfangreich sein; er sollte aber auch nicht zu klein sein, weil sonst die statistische Auswertung der Analysen eine zu schmale Basis aufweist
- Aus mehreren parallelen Versionen wird eine Basisversion festgelegt, auf die sich die Vergleiche beziehen
- Es sollten mehr als nur zwei parallele Versionen für den Vergleich vorliegen, weil die Gegenüberstellung unterschiedlicher Parallelversionen die Deutung der Ergebnisse unterstützen könnte
- Der Basistext sollte sich in eine sinnvolle Struktur unterteilen lassen, wie z.B. Verse oder auch – wie beim Bundesbuch – in Teilverse; dies vereinfacht den Vergleich und das Auffinden von Unterschieden
- In dieser Struktur werden die Originaltexte nebeneinandergestellt
- Danach werden alle Texte in eine gemeinsame Sprache übersetzt, wobei es sich als vorteilhaft erwiesen hat, die Übersetzung weitgehend interlinear vorzunehmen, um gut auswertbar zu werden
- Anhand der Analyse der Übersetzungen sind alle Unterschiede zum Basistext festzustellen und zu markieren
- Eine erste Charakterisierung dieser Unterschiede zum Basistext erfolgt auf Textebene mittels Kategorien:
- Erweiterungen
- Fehlstellen
- Abweichungen in der Bedeutung
- Eventuell auch noch Strukturveränderungen
- Weitere Charakterisierungen dieser Unterschiede müssen danach durch vertiefte Analyse ermittelt werden; um welche es sich dabei handelt, hängt von der Thematik des Textes ab. Ein Charakteristikum könnten Eigenschaften oder Auswirkungen der Unterschiede sein. Ein weiteres die Ursachen für die festgestellten Unterschiede – also warum diese Unterschiede entstanden sind oder von den Verantwortlichen für die Parallelversionen verursacht worden sind
- Die quantitativen Resultate der Unterschiede und der verschiedenen Charakteristika sind zu notieren und in graphischen Darstellungen einer Deutung zugänglich zu machen
- Diese Deutungen sind an verfügbaren Informationen über die Parallelversionen zu überprüfen, bzw. dienen der Ergänzung und Erweiterung der Erkenntnisse über die Parallelversionen
- Daraus könnten weitere Projekte entstehen, die dann mit den klassischen Methoden der Textforschung vorgenommen werden
- Einschränkend muss hingewiesen werden, dass die Erstellung der Synopse, der Übersetzungen und die Durchführung der Analysen mit einem hohen Aufwand verbunden sind
13 Literaturverzeichnis
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14 Anhänge
Im Anhang sind neben der Synopse auch alle Arbeitsdokumente zusammengefasst, die für die beschriebenen Analysen erstellt worden sind. Damit steht der interessierten Leserin oder dem interessierten Leser eine überprüfbare Basis der beschriebenen Erkenntnisse zur Verfügung.
14.1 Synopse
Als zentrales Dokument der vorgelegten Methode und der in den beschriebenen Analysen erarbeiteten Erkenntnisse beinhaltet die Synopse alle sieben parallelen Texte in der Versstruktur nach (Richter 1991-1993) mit der eigenen deutschen Übersetzung.
14.2 Arbeitsdokumente zur Zuordnung der Unterschiede zu den Eigenschaften
- Targume Onkelos, Neofiti, Pseudo Jonathan
- Vulgata
- Septuaginta
- Samaritanischer Pentateuch
14.3 Arbeitsdokumente zur Ermittlung möglicher Ursachen der festgestellten Unterschiede
- Targume Onkelos, Neofiti, Pseudo Jonathan
- Vulgata
- Septuaginta
- Samaritanischer Pentateuch
14.4 Arbeitsdokument für die gemeinsamen Unterschiede in zwei oder mehreren Parallelversionen
Dieses Dokument stellt alle in der Synopse gefundenen Unterschiede dar, die in gleicher Art in zwei oder in mehreren parallelen Versionen vorkommen.
[...]
1 Talmon publizierte diesen Aufsatz ein weiteres Mal in einem Sammelband unverändert, was darauf schliessen lässt, dass er diese Aussage auch 2010 nicht modifizieren wollte.
2 Tov 2008, S. 327
3 Bible works 6 [Elektronische Ressource] 2003 Diese Quellenangabe wird im Folgenden nicht wiederholt. Wenn BibleWorks als Quelle genannt wird, ist diese Quellenangabe gemeint.
4 Kürzlich durchgeführte Literaturrecherchen brachten diesbezüglich keine Treffer. Offenbar ist das Editionsprojekt noch nicht abgeschlossen.
5 Pietersma 1984.
6 Vgl. Kottsieper op. 2014, S. 23
7 Siehe Kapitel 6.8, S. 24
8 Beispiele hierzu sind zu finden in: Joosten ; sie werden aber hier nicht weiter betrachtet.
9 Siehe Tabelle 1, S. 27
10 Dieser Textteil wurde aus A. Sperber ergänzt, fehlt in der Fassung Bibleworks und CAL
11 Das Zeichen ÷ in der dargestellten Auswertung des Teilverses 20,24b bezeichnet eine «unbedeutende Abweichung», die in der Auswertungsgraphik nicht enthalten ist.
12 Dieser scheinbare Pleonasmus wurde bereits oben erklärt. Leider ist es mir nicht gelungen, die Eigenschaft «erweiternd», im Sinne einer erweiterten Bedeutung, mit einem anderen Begriff zu bezeichnen als die Kategorie «Erweiterung» auf der Textebene.
13 Siehe auch Tabelle 2, S. 28
14 Evangelisch-Reformierte Landeskirche des Kantons Zürich 2007.
15 Ein Beispiel ist in obiger Abbildung aufgeführt
16 Dieser Ursachenkomplex stellt einen Bezug zur Eigenschaft «distanzierend» her, wie sie in Kapitel 10.1, S. 44 ff. dargestellt wurde.
17 Siehe auch Tabelle 1: Zeitliche Einordnung der Versionen, S. 23
18 Vgl. Ziegert Carsten und Kreuzer 2012, S. 4
19 Tov 2019.
20 Talmon 2010.
21 Abgerufen am 3.7.2021 von SR 220 - Bundesgesetz vom 30. März 1911 betreffend die Ergänzung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches (Fünfter Teil: Obligationenrecht) (admin.ch)
- Arbeit zitieren
- Werner Latal (Autor:in), 2022, Synoptische Vergleichsmethode mehrerer paralleler Versionen eines Textes, entwickelt am Bundesbuch Exodus 20,22 – 23,33, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1292725
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