Vor dem Hintergrund des Afghanistan-Einsatzes stellt sich die Frage, inwiefern die Durchsetzung von Frauenrechten eine Legitimation für die deutsche Intervention darstellt. Diese Frage kann auf zwei verschiedene Arten verstanden werden. Zum einen wird gefragt, ob es grundsätzlich legitim ist, militärische Einsätze durch humanitäre Gründe wie die Durchsetzung der Frauenrechte zu rechtfertigen. Der zweite Deutungsansatz hinterfragt, ob im speziellen Fall des Afghanistan-Einsatzes Frauenrechte der tatsächliche Grund für die Intervention waren oder lediglich für die Legitimierung instrumentalisiert wurden. Diese Arbeit setzt sich mit der letztgenannten Deutungsweise der Fragestellung auseinander.
Erwartet wird, dass Frauenrechte eine Zielsetzung des deutschen Engagements waren, aber neben geopolitischen Gründen eine untergeordnete Rolle gespielt haben. Hinführend zur Beantwortung der Forschungsfrage soll beantwortet werden, weshalb der Themenbereich Frauenrechte zur Legitimation gewählt wurde und ob Frauen von der durch sie legitimierten Intervention profitiert haben. Hierbei soll insbesondere auf räumliche Unterschiede der Entwicklung im Bereich in den Schwerpunktregionen der deutschen Entwicklungszusammenarbeit eingegangen werden.
Erwartet wird, dass Frauenrechte als Legitimationsgegenstand verwendet wurden, da dies eine Verknüpfung mit weit verbreiteten Hilflosigkeitsnarrativen zulässt. Des Weiteren wird vermutet, dass durch den Bezug auf „feministische“ Themen, eine größere Zielgruppe angesprochen werden kann. In Bezug auf die Wirkungen der deutschen Intervention wird vermutet, dass eine Verbesserung der Lebensqualität von Frauen eingetreten ist, jedoch nicht in dem Maße wie durch die Ankündigungen suggeriert. Des Weiteren wird erwartet, dass große Unterschiede in Hinblick auf die Entwicklung in urbanen und ruralen Räumen zu erkennen sind.
Inhaltsverzeichnis
1 EINLEITUNG
1.1 Fragestellung und Hypothesen
1.2 Methodik
1.3 Abgrenzung
1.4 Einordnung in die Geographie
1.5 Quellenlage
2 DIE ROLLE DER FRAU IM WANDEL DER ZEIT
2.1 Koloniale Vergangenheit und der erste afghanische Nationalstaat (1747-1929)
2.2 Die Ära Zahir Schah (1933 - 1973)
2.3 Die kommunistische Ära und der Bürgerkrieg der Mujahideen (1973 — 1990er)
2.4 09/11, Öl und das Taliban-Regime (1990er - 2001)
3 INTERVENTION IN AFGHANISTAN
3.1 Frühere Zusammenarbeit mit Afghanistan
3.2 Gründe der Bundesregierung für die Intervention in Afghanistan
3.3 Frauenrechte als Argument für eine Intervention?
3.3.1 Frauenrechte im Kontext der Intervention
3.3.2 Aufbau eines Feindbilds - Wir und die Anderen
3.4 Militärische Intervention
3.4.1 Operation Enduring Freedom (OEF)
3.4.2 International Security Assistance Force und Mission Resolute Support
3.5 Politische Intervention
3.5.1 Rahmenverträge und Leitlinien
3.5.2 Leitlinien - Schnittpunkte zwischen Politik und EZ
3.6 Intervention durch Entwicklungszusammenarbeit
3.6.1 Struktureller AufbauderlZmit Afghanistan
3.6.2 Geschlecht in der internationalen Zusammenarbeit
4 VERÄNDERUNG DER SITUATION IN AFGHANISTAN
4.1 Gesundheit
4.2 Infrastruktur und Wirtschaft
4.3 Gesetze, Gender und Gesellschaft
4.4 Chancen auf Grundbildung
5 FAZIT
6 REFLEXION UND AUSBLICK
7 QUELLENVERZEICHNIS
7.1 Literaturverzeichnis
7.2 Online-Quellen
Abbildungsverzeichnis
Abb.l: Möglicher Verlauf der TAPI-Pipeline
Abb.2: LeitlinienderEZ
Abb.3: Schwerpunktregionen der deutschen Entwicklungszusammenarbeit
Abb.4: Entwicklung des HDI und GDI in Afghanistan 2000-2019
Abb.5: Entwicklung der Konfliktintensität in Afghanistan
Abb.6: Verteilung der Todesursachen bei Frauen im reproduktiven Alter in den Jahren 1999-2002
Abb.7: Verfügbarkeit medizinischer Einrichtungen und Art der Geburtsbegleiter in den Schwerpunktregionen der deutschen EZ (2002/2003*)
Abb.8: Verfügbarkeit medizinischer Einrichtung in den Schwerpunktregionen der deutschen EZ 2020
Abb.9: Müttersterblichkeitsrate pro 100.000 Lebendgeburten (2000-2017)
Abb.10: Anzahl der Regierungsangestellten nach Geschlecht (2003/2012)
Abb.ll: Vergleich des Frauenanteils innerhalb des Frauenministeriums und anderen Ministerien im Jahr 2020
Abb.12: Anzahl der Schülerinnen in primären und sekundären Bildungseinrichtungen nach Geschlecht (2001/02)
Abb.13: Geschlechterverhältnis von Jungen und Mädchen an Grundschulen 2002
Abb.14: Anstieg der an staatlichen afghanischen Schulen angemeldeten Schülerinnen zwischen 2011 bis 2016
Tabellenverzeichnis
Tab.l: Aufteilung der Finanzierung der EZ
Tab.2: Anzahl der Nutzerinnen von Verhütungsmitteln
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1 Einleitung
Zwanzig Jahre währte der Interventionskrieg unter der Flagge der Befreiung der afghanischen Frau (vgl. Kreile 2002). Krieg für Frieden, Gewalt für Befreiung, Begriffe, die sich auf den ersten Blick widersprechen, stehen im zivil-militärischen Engagement dicht beieinander. Seit dem Ende des Kalten Krieges steigt die Zahl und Intensität der zivil-militärischen verknüpften Interventionen weltweit an (Stetter 2013: 226). Um eine gute Basis für zukünftige, dem Trend entsprechende, Interventionen zu bilden, müssen daher abgeschlossene Projekte gründlich evaluiert und hinterfragt werden.
1.1 Fragestellung und Hypothesen
Vor dem Hintergrund des Afghanistan-Einsatzes stellt sich die Frage, inwiefern die Durchsetzung von Frauenrechten eine Legitimation für die deutsche Intervention darstellt. Diese Frage kann auf zwei verschieden Arten verstanden werden. Zum einen wird gefragt, ob es grundsätzlich legitim ist, militärische Einsätze durch humanitäre Gründe wie die Durchsetzung der Frauenrechte zu rechtfertigen. Der zweite Deutungsansatz hinterfragt, ob im speziellen Fall des Afghanistan-Einsatzes Frauenrechte der tatsächliche Grund für die Intervention war oder lediglich für die Legitimierung instrumentalisiert wurde. Diese Arbeit setzt sich mit der letztgenannten Deutungsweise der Fragestellung auseinander.
Erwartet wird, dass Frauenrechte eine Zielsetzung des deutschen Engagements waren, aber neben geopolitischen Gründen eine untergeordnete Rolle gespielt haben. Hinführend zur Beantwortung der Forschungsfrage soll beantwortet werden, weshalb der Themenbereich Frauenrechte zur Legitimation gewählt wurde und ob Frauen von der durch sie legitimierten Intervention profitiert haben. Hierbei soll insbesondere auf räumliche Unterschiede der Entwicklung im Bereich in den Schwerpunktregionen der deutschen Entwicklungszusammenarbeit (Abb. 2) eingegangen werden (DEVAL 2014: 5). Erwartet wird, dass Frauenrechte als Legitimationsgegenstand verwendet wurden, da dies eine Verknüpfung mit weit verbreiteten Hilflosigkeitsnarrativen zulässt. Des Weiteren wird vermutet, dass durch den Bezug auf „feministische“ Themen (vgl. Stanley, Feth 2007: 138), eine größere Zielgruppe angesprochen werden kann. In Bezug auf die Wirkungen der deutschen Intervention wird vermutet, dass eine Verbesserung der 1 Lebensqualität von Frauen eingetreten ist, jedoch nicht in dem Maße wie durch die Ankündigungen suggeriert. Des Weiteren wird erwartet, dass große Unterschiede in Hinblick auf die Entwicklung in urbanen und ruralen Räumen zu erkennen sind.
1.2 Methodik
Die Fragestellung der Bachelorarbeit soll durch intensive Literaturarbeit beantwortet werden. Die Quellenauswahl erfolgte mittels der Verfahrensschritte Anlesen und Rezensionen. Während der Quellensuche wurden die Kriterien nach Vossangewandt (2020: 93). Besonderes Augenmerk wurde auf die Häufigkeit der Zitation der Autoren und Autorinnen in anderen Werken gelegt und daher ein Großteil der Literaturrecherchen mittels des Closed-Circle-Systems durchgeführt. Bei einigen Fachbüchern wurden zudem Rezensionen zur besseren Einschätzung gelesen (vgl. Voss 2020:94). Die Beschaffung der Literatur erfolgte hauptsächlich über die Bibliotheken der Würzburger und Gießener Universität oder, bei Beschaffung von online Literatur, über die bibliothekseigene Suchmaschine JUSTfind.
Zur Visualisierung von gewonnenen Erkenntnissen wurden zusätzlich Karten mittels QGIS 3.22 Bialowieza erstellt. Benötigte Daten wie die Staats- und Provinzgrenzen oder die genaue Position von Städten wurden von OpenStreetMap bezogen. Die Organisation sammelt weltweit Daten und stellt diese kostenfrei zur Verfügung (OSM 2022). Zur Bearbeitung in QGIS wurden die Datenüber das Web-basierte Datenfilterungstool overpass turbo aus dem OSM-Datenpool heruntergeladen.
1.3 Abgrenzung
Da dies den Rahmen der Arbeit sprengen würde, kann nicht auf alle Themengebiete eingegangen werden. Gänzlich ignoriert wird der Truppenabzug aus Afghanistan im Jahr 2021 und die damit einhergehende Machtübernahme der Taliban. Der Fokus der Arbeit liegt klar auf der deutschen Entwicklungszusammenarbeit innerhalb der Schwerpunktregionen, die Positionen anderer Staaten wie den USA, Großbritannien oder Frankreich finden daher keinen Eingang. Themen der Sicherheitspolitik, wie militärische Manöver oder die allgegenwärtige Drogenproblematik werden weitreichend ausgeklammert. In diesem Zusammenhang wird auch die grundsätzliche Legitimität des militärischen Einsatzes in Afghanistan, sowie Kriegshandlungen im Allgemeinen, nicht 2 behandelt. Da sich diese Arbeit hauptsächlich auf soziale Faktoren innerhalb der Gesellschaft bezieht, finden auch Katastrophenschutz, Ernährungssicherheit und Klimawandel keine Erwähnung. Der gesellschaftliche Einfluss der genannten Faktoren wirdjedoch anerkannt.
1.4 Einordnung in die Geographie
Die vorliegende Arbeit kann eindeutig dem Forschungsbereich der Geographie zugeordnet werden, da sie sich in den Themenbereich der Anthropogeographie einordnen lässt. Möglich ist dies, da ihr Forschungsgegenstand Teil der Mensch-UmweltBeziehungen ist (vgl. Schenk, Schliephake 2005:25). Innerhalb der Anthropogeographie ist die Arbeit anhand des behandelten „Macht-Raum-Konflikts“ (Reuber 2012: 19) dem Feld der politischen Geographie nach dem UHLiGschen Ordnungsschema (1970: 24) und insbesondere dem späteren Zweig der geographischen Konflikt- und Entwicklungsforschung zuzuordnen (vgl. Reuber 2012: 19, 116). Auch Reubers vorgeschlagener Ordnung der politischen Geographie nach Konfliktgründen lässt sich auf die Arbeit anwenden (2012: 229). Der Bereich der „politischen Konflikte um raumbezogene Identitäten und kulturelle Differenz“ (Reuber 2012: 229) deckt den Forschungsgegenstand bestmöglich ab (vgl. Reuber 2012:229). Auch die zur Beantwortung der Fragestellung herangezogene Theorie zur Konstruktion von Eigenem und Fremdem anhand von räumlich konstruierten Identitäten geht auf diese Forschungsrichtung zurück (vgl. Reuber 2012: 230; TlCKNER 1996: 156).
1.5 Quellenlage
Einen guten Gesamtüberblick über den geschichtlichen Rahmen und der Intervention gibt Rashids Werk aus dem Jahr 2000, weitere empfehlenswerte Veröffentlichungen späteren Datums folgten. Einen besonderen Blick auf den Status der Familie während dieser Zeit legt der 2004 erschienen Artikel von DUPREE. Bei der Verknüpfung der Geschichte mit Gender-Thematiken ist im speziellen Rubins bereits 1997 veröffentlichter Artikel zu beachten. Eine tiefere Analyse des Faktors Gender im Zusammenhang mit der internationalen Intervention in Afghanistan bietet das Gesamtwerk Kreiles und insbesondere der 2002 im Journal Leviathan veröffentlichte Artikel. Ein wichtiger Beitrag für das ganzheitliche Verständnis Afghanistans ist auch der National Atlas of 3 Afghanistan von DlTTMANN der seit seiner Veröffentlichung im Jahr 2014 einen breiten Überblick über Themen der physischen Geographie und Humangeographie gewährt. Einen breiten Überblick über den Bezug von Deutschland zu Afghanistan und der Intervention bietet Daxners Sammelband von 2014. Erwähnenswert sind auch die von Moghaddam 2006 in einem von Schetter herausgegebenen Sammelband veröffentlichten Erkenntnisse. Im angesprochenen Sammelband übt SCHETTER Kritik an der internationalen Strategie zum Wiederaufbau Afghanistans. Dittmann teilt die Auffassungen SCHETTERS und zieht 2011 in einem Artikel in der Geographischen Rundschau ernüchternde Bilanz. An dieser Stelle wird außerdem ein alternativer Ansatzpunkt für die Sicherheit Afghanistans vorgestellt. Eine weitere Kritik an der Intervention in Afghanistan bietet Staarmann mit seiner Publikation von 2012, die das koloniale Konzept hinter der Intervention dekonstruiert. Zum Verständnis der Verknüpfung von Frauenrechten, Medien und dem Afghanistan-Konflikt, bietet die Veröffentlichung von Klaus und Kassel von 2008, welche die These vertritt, dass Frauen zum Aufbau eines Feindbilds instrumentalisiert wurden, mehr Klarheit. Die Publikation von Schoenes aus dem Jahr 2011 bezieht die angeführte These von Klaus und Kassel auf den Deutschen Bundestag und leistet somit einen wichtigen Beitrag.
Im Vergleich zur internationalen Intervention oder der Vorgehensweise der USA gibt es zu den konkreten Maßnahmen der Bundesrepublik Deutschland (BRD) wenig Forschung. Insbesondere die Wirkung der Entwicklungszusammenarbeit weist große Forschungslücken auf (Kirsch, Kocks 2015: 1). Die interne Evaluierungsarbeit der Entwicklungszusammenarbeit (EZ) ist bis auf einen Bericht von 2014, der sich hauptsächlich auf die Anzahl der Maßnahmen und nicht auf gesicherte Wirkungen bezieht, unterrepräsentiert. Projektberichte oder Evaluierungen sind in den wenigsten Fällen erhältlich (2014:19). Ein erwähnenswerter Beitrag zur Bewertung der Entwicklungszusammenarbeit ist in diesem Zusammenhang die Dissertation von Grau, welche die Wirksamkeit von ausschließlich auf Frauen fixierten Maßnahmen anzweifelt (2011). Die einzige belastbare Feldstudie zur Wirksamkeit der Entwicklungszusammenarbeit in Nordafghanistan wurde von BÖHNKE, KÖHLER und ZÜRCHER durchgeführt und 2015 veröffentlicht. Eine spezifische Studie zur Veränderung der Situation von Frauen nach 2002 liegt nicht vor. Die Beschaffung von Primärdatenquellen ist zudem erschwert, da die Internetseite des afghanischen Ministeriums für Statistik seit der Machtübernahme der Taliban keine Informationen 4 mehr bietet. Nicht in Online-Archiven wie dem Internet Archive gespeicherte oder öffentlich publizierte Daten konnten daher nicht akquiriert werden.
2 DieRollederFrauimWandelderZeit
Da Konflikte immer durch die vorangegangenen Ereignisse beeinflusst werden, ist es unabdingbar, die Geschichte Afghanistans in die darauffolgenden Überlegungen miteinzubeziehen. Die nächsten Kapitel werden daher die Entwicklungen und Umbrüche bis zum 11. September 2001 näher beleuchten. Insbesondere wird auf die Rolle der Frau in den einzelnen Zeitabschnitten eingegangen, um bisherige Reformansätze vorzustellen und zu bewerten. Eine Basis für die Begründung der Wahl der Frau als Legitimationswerkzeug wird gelegt.
2.1 Koloniale Vergangenheit und der erste afghanische Nationalstaat (1747-1929)
Anhand der von kolonialen Konfliktparteien geprägten Phase wird erläutert, welche Ziele die Geschlechterpolitik des frühen Afghanistans verfolgte. Hierbei wird besonders die Instrumentalisierung der Frau für politische Zwecke behandelt und herausgearbeitet, ob schnelle Reformen mit wenig Rückhalt in der Gesellschaft eine nachhaltige Strategie darstellen. Dies ist in Hinblick auf die in Kapitel 3 vorgestellte humanitäre und politische Intervention entscheidend.
Afghanistan als Nationalstaat taucht in der Geschichte erstmals 1747 unter der Herrschaft des Paschtunen Ahmad Schah Durrani auf. Sein afghanisches Großreich, welches von Kaschmir nach Punjab im Norden Indiens reichte, warjedoch nicht von Dauer (BÜSCHER 1993:138 ff; Rubin 1997:285). Die geographische Lage an den Rändern der Einflusssphären der Kolonialmächte Russland und England erschwerte die Konsolidierung eines resilienten Staates und prägte seine Geschichte nachhaltig. Die Kolonialmächte konkurrierten im Zuge des Great Game um die Vorherrschaft über Asien im 19. Jahrhundert, um Einfluss in Afghanistan (KREILE 2002: 42; RUBIN 1997: 285).
Instabile Herrschaftssysteme der unterschiedlichen Ethnien in verschiedene Teilen des Landes wurden von beiden Seiten mit Geld und Waffen unterstützt. Afghanistans Bevölkerung setzte sich jedoch erfolgreich zur Wehr und konnte eine Kolonialisierung im herkömmlichen Sinne verhindern (KREILE 2002: 42; RUBIN 1997: 285).
Die Kolonialmächte einigten sich auf die vertragliche Deklarierung Afghanistans als Pufferstaat unter englischer Vormundschaft. Aus diesem Grund wurde die afghanische Außenpolitik bis ins Jahr 1919 von England aus bestimmt (BÜSCHER 1993: 138ff). Afghanistan ist daher klar als Staat mit kolonialer Vergangenheit erkennbar.
Gegen Ende des 19. Jahrhunderts fanden Ideen politischer Reformen Eingang in die Eliten Afghanistans. Die Reformen veränderten wenig, da der Herrscher außerhalb von Kabul und einigen wenigen größeren Städten kaum Macht besaß (Kreile 2002: 42). Grevemeyer fasste die ausgeprägten Disparitäten zwischen urbanen und ruralen Räumen mit den Worten „Kabul repräsentierte den 'Staat' - das ländliche Afghanistan die 'Gesellschaft'“ (1987: 58) zusammen.
Die ersten Reformen zum Thema Emanzipation der Frau sah der Sohn Habibullahs - Amanullah Khan - vor (Barakat, Wardell 2002: 911; Pourzand 1999: 75) Amanullahs Beschlüsse beinhalteten die Einführung eines gesetzlichen Mindestalters für die Eheschließung, ein Verbot von Zwangsheiraten, die Abschaffung der Leibeigenschaft (Dupree 1984: 307) und eine Schulpflicht für Jungen und Mädchen (Barakat, Wardell 2002:911; Pourzand 1999:75). Die erste afghanische Mädchenschule öffnete im Jahr 1921 in Kabul. Außerdem beschloss er die Abgrenzung von Frauen und Männern (purdah), sowie die Verschleierung (chadari) aufzuheben. Amanullahs Reformen stießen aufheftigenWiderstand (Dupree 1984: 307).
Die Reaktionen kamen für den König nicht überraschend, da das Thema „Frauen“ genau wegen seiner Sprengkraft als Herzstück seiner Reformen gewählt wurde. Amanullahs Intension war, das strukturelle Grundgerüst der Gesellschaft und somit die Rolle der Frau zu verändern. Den traditionellen Patriarchen sollte die Macht über die Frauen genommen werden und so die Macht des Staates gestärkt werden (Kreile 2004: 44). Lediglich die Vehemenz der Opposition - hauptsächlich bestehend aus der um ihre Traditionen fürchtenden Landbevölkerung - kam überraschend (BÜSCHER 1993: 138ff). Schlussendlich wurde wurde König Amanullah 1929 vom tadschikischen Habibullah Ghazi (Bach I Saqoo) gestürzt wurde (Pourzand 1999: 76). Amanullahs Scheitern wird darauf zurückgeführt, dass seine Reformen lediglich von den oberen Schichten der Gesellschaft mitgetragen wurden und zu schnell zu viel gefordert wurde (Dupree 2004: 314).
Bereits hier ist die, sich durch die Geschichte Afghanistans ziehende Tendenz erkennbar, auf forcierte Reformen in Bezug aufFrauen mit einer entgegengesetzten oppositionellen Bewegung und dem Ruf, nach mehr Restriktionen zu reagieren. Die Dynamik lässt sich anhand eines Pendels veranschaulichen. Je weiter es in die eine Richtung bewegt wird, desto stärker schwingt es in die entgegengesetzte (Berry 2003: 152).
In der Praxis äußerte sich dies durch vermehrte Gewalt an Frauen während der Liberalisierungsperiode Amanullah, welche etwa 400 Frauen ihr Leben kostete (Abirafeh 2009: 13).
Vom Auftreten des Pendeleffekts und der strategischen Verwendung von Frauen Amanullahs lässt sich ableiten, dass die Stellung der Frau in der Gesellschaft eine zentrale Rolle für die nationale Identität spielt und in dessen Folge für diejeweils eigene politische Agenda genutzt werden kann (Kreile 2004: 34, 44; Moghaddam 2006: 26; Pettmann 1996; Pourzand 1999; Rahman 2017: 61; Tickner 1996).
2.2 Die Ära Zahir Schah (1933 - 1973)
Nachdem sich im vorangegangenen Kapitel bereits erkennen lässt, dass eine rasche Reform von Oben keine positiven Effekte nach sich zieht, wird hier anhand von Zahir Schahs erneutem Reformversuch gezeigt, ob eine Reform von Oben in sanfterer Form erfolgreich sein kann. Außerdem wird auf den Beginn der Entwicklungszusammenarbeit als politisches Mittel und die resultierende starke Abhängigkeit von der Sowjetunion eingegangen.
Erst 30 Jahre nach König Amanullahs drastischen Reformen kam es zu einem für die Emanzipation signifikanten Ereignis. Unter der Regentschaft von König Zahir Shah wurde 1959 das Gebot der Verschleierung und die Abgrenzung von Frauen und Männern erneut aufgehoben. Dieser zweite Reformversuch gestaltete sich deutlich umsichtiger. Die Reformen wurden nicht als obligatorischen Regeln präsentiert, sondern als bloßer Veränderungsvorschlag, über dessen Annahme die einzelnen Familien selbst entscheiden können. Aus diesem Grund änderte sich für große Teile der Bevölkerung, hauptsächlich im ruralen Raum, zunächst kaum etwas (BARARAT, WARDELL 2002: 911). Dieses Mal wurden die Reformen nicht als Eindringen in den Machtbereich der Familie gewertet und ermöglichten daher eine langsame Gewöhnung an Frauen in öffentlichen Räumen. Die eintretenden Veränderungen waren daher weniger umfassend, dafür aber nachhaltiger und weniger umstritten. So wurden beispielsweise Mädchenschulen wiedereröffnet und Ausbildungsmöglichkeiten für Frauen im Gesundheitssektor und der Verwaltung geschaffen (Barakat, Wardell 2002: 911).
Insgesamt machte Afghanistan während der Amtszeit des Premierministers Mohammed Daud (1953-1963) große ökonomische Fortschritte. Der ökonomische Aufschwung und die Fortschritte in den Bereichen Infrastruktur und Energieversorgung waren der Startpunkt für eine stärkere internationale Zusammenarbeit mit dem afghanischen Nationalstaat. (Büscher 1993: 142).
Mit der Aufnahme der Entwicklungspolitik geriet Afghanistan ein weiteres Mal zwischen die Fronten der Großmächte. Diesmal waren es nicht die kolonialen Ambitionen Russlands und Englands, sondern die Rivalitäten des Kalten Krieges, welche in Form von Einflussnahme durch Hilfsgelder auf afghanischem Boden ausgetragen wurden. (Dupree 1973: 509). Ab etwa 1955 näherte sich Afghanistan deutlich an die Sowjetunion an. Hilfszahlungen der UdSSR wurden stark erhöht und des Weiteren Aufgaben wie die Ausbildung von Offizieren, die Verbesserung der Militärtechnik und der Ausbau von Infrastruktur und Energieversorgung übernommen. Durch die Übernahme dieser tragenden Säulen des Staates geriet Afghanistan in immer stärkere sowjetische Abhängigkeit (Büscher 1993: 142f.).
Nach dem überraschenden Abdanken Daud wurde 1964 eine neue Verfassung für Afghanistan eingesetzt. Diese umfasste ein liberaleres Pressegesetz und führte das Recht auf Bildung, sowie - noch vor der Schweiz - das volle Wahlrecht für Frauen ein. Allerdings war es nur einer geringen Zahl von Frauen auch praktisch möglich, diese Rechte wahrzunehmen (Barakat, Wardell 2002: 911; Dupree 2004: 315).
In Reaktion auf die Ausweitung der Freiheit von Frauen kam es zu gewalttätigen Demonstrationen, insbesondere an der Kabuler Universität. Im Zuge der Demonstrationen wurden grausamen Taten, wie die Überschüttung von unverschleierten Frauen mit Säure verübt. Ein Mann, der für die Teilnahme an solchen Gewalttaten bekannt war, war der später von USA als Freiheitskämpfer unterstützte Mujahideen und Parteifunktionär der Hizb-e-Islami (Islamische Partei) Gulbuddin Hekmatyar (B ARARAT, Wardell 2002).
Trotz der heftigen Proteste begannen immer mehr Frauen ihr in der Verfassung festgelegtes Recht auf Ausübung eines Berufs wahrzunehmen. So arbeiteten nach und nach zunehmend Frauen als Parlamentarierinnen, Diplomatinnen, Sekretärinnen, Friseurinnen oder als Arbeiterinnen in der Industrie.
Trotz des Fortschritts, dessen Ursprung - wie bisher bei allen emanzipatorischen Versuchen - innerhalb der Regierung und nicht des Volkes lag, stammten die arbeitenden 9 Frauen größtenteils aus den oberen Schichten der Städter und stellten zahlenmäßig im Landesvergleich eine Minderheit dar (Dupree 1981: 309). Hieraus lässt sich schlussfolgern, dass nur Gruppen, welche die Reformideen von sich aus unterstützen, nachhaltig erreicht wurden. Eine Reform von Oben scheint für eine umfassende Veränderung auch in sanfterer Form nicht der richtige Weg zu sein (vgl. DUPREE 1981: 309).
2.3 Die kommunistische Ära und der Bürgerkrieg der Mujahideen (1973 -1990er)
Im folgenden Kapitel wird anhand der kommunistisch geprägten Ära ein weiterer Reformationsversuch erläutert. Des Weiteren wird die Aufrichtigkeit einer Politik für Frauenrechte durch den historischen Kontext in Frage gestellt.
Auf die durch einen Putsch beendete Regentschaft Zahir Schahs folgten mehrere Umstürze (Büscher 1993: 144; Pourzand 1999:76; Rubin 1997: 285), bis letztendlich ein Zusammenschluss aus Militär und der Demokratischen Volkspartei Afghanistans (DVPA), welche ihre ideologischen Wurzeln in der Sowjetunion findet, die Macht übernahm. Der selbst durch einen Putsch an die Macht gelangte Präsident Daud wurde, während der sogenannten Saurrevolution 1978 seines Amtes enthoben und getötet (Pourzand 1999:76). Die Demokratische Republik Afghanistans (DRA) wurde am 27. April 1978 ausgerufen (Dupree 1984:312). Das neue Kabinett unter Staatspräsident Nur Mohammad Taraki begann mit einer erneuten „Revolution von oben“ (Grevemeyer 1978:214), welche wie schon unter Amanullah auf die Rolle der Frau in der Gesellschaft abzielte, um das traditionelle Patriarchat zu schwächen und so die Macht des Staates zu stärken (Kreile 2004: 44,47).
Tarakis Ansatz zur Modernisierung war bisher die radikalste Umwälzung, die Afghanistan bis dato erlebt hatte. Initiativen zur Steigerung der Alphabetisierungsrate und Grundbildung von Frauen wurden implementiert. Der Besuch dieser Programme war obligatorisch und wurde sogar mit physischer Gewalt durchgesetzt (POURZAND 1999: 77). Dem Analphabetismus wurde der Krieg erklärt und die Bildung von Frauen und deren Teilnahme am Staatsgeschehen in Artikel 12 der Grundlinien der revolutionären Aufgaben der Regierung der Demokratischen Republik festgesetzt. Dieser Artikel legt fest, dass von nun an die „Gleichberechtigung von Frauen und Männern in allen sozialen, wirtschaftlichen, politischen, kulturellen und zivilen Bereichen“ (DUPREE 10 1984: 312) eine Säule des neuen afghanischen Staates darstellt (Dupree 1984: 312). POURZAND bewertet diese proklamierten Ziele als durchaus progressive Geschlechterpolitik, räumtjedoch ein, dass die Art der Durchsetzung die Annahme in der Breite der Bevölkerung erschwert hat (1999: 77).
Wie bereits beobachtet, sind Effekte der Emanzipation von Oben im urbanen und ruralen Raum stark verschieden (Abirafeh 2009: 14). Während in den Städten zu Ende der kommunistischen Ära etwa 75 % des Lehrpersonals, 40 % der Angestellten in der medizinischen Versorgung, etwa 50 % der Regierungsangestellten und beinahe 50 % der Studentinnen weiblich waren, wurde der Widerstand in den ruralen Gegenden immer stärker (Barakat, Wardell 2002: 912; Berry 2003: 152).
Die unerbittliche Umsetzung der neuen Ideale hatte zur Folge, dass sich viele Afghaninnen, die nicht Folge leisten wollten gezwungen sahen über die pakistanische Grenze zu fliehen und bot Rückhalt für Widerstandsbewegungen (Barakat, Wardell 2002: 912; Moghadam 1994: 864). So wurde eine Vielzahl islamisch fundamentalistischer Gegenbewegungen aktiv, welche unter dem Namen Mujahideen bekannt sind. Eine dieser Widerstandsorganisationen war, die von Gulbuddin Hekmatyar geführteHizb-e-Islami (Büscher 1993: 143; Rubin 1997: 285).
Mit dem Einmarsch der Sowjetunion im Dezember 1979 erhielten die Widerstandsbewegungen der Mujahideen internationale Aufmerksamkeit und Unterstützung durch Staaten wie die USA, Saudi-Arabien, China und Iran, welche sich durch den russischen Vormarsch herausgefordert fühlten (RUBIN 1997: 285). Auch Westdeutschland unterstützte die Mujahideen während des sowjetisch-afghanischen Krieges, wenn auch indirekt (JAHN 2019: 755). An der zweifelhaften Einstellung der Mujahideen zum Thema Frauenrecht störte sich zu diesem Zeitpunkt niemand (Barakat, Wardell 2002: 928).
Unter der Sowjetherrschaft verstärkte sich die Abneigung gegen die vom Taraki-Regime durchgesetzten Reformen in Bezug auf Frauen, da diese nun zusätzlich als ausländische invasive Ideen wahrgenommen wurden (POURZAND 1999: 77). Dies verlieh den Mujahideen vermehrte Unterstützung und Legitimation in der ländlichen Bevölkerung, da sie jetzt nicht mehr Widerstand gegen die kommunistischen Ideale afghanischer Mitbürgerinnen kämpften, sondern einen nationalen Befreiungskrieg führten (BÜSCHER 1993: 145). Die Mujahideen setzten sich gegen die 120.000 Soldaten starke Rote Armee (Jahn 2012:179) zur Wehr und erhielten im Verlauf des Krieges immer mehr 11 Unterstützung aus dem Ausland. Im Februar 1986 kündigte Generalsekretär Gorbatschow den Abzug der Truppen an, da die Mujahideen noch immer nicht besiegt werden konnten (Büscher 1993: 145).
Der Abzug der sowjetischen Truppen, die Machtübernahme der Widerstandskämpfer 1992 und die Gründung des Islamischen Staates Afghanistan führte nicht zur Befriedung des Landes. Nachdem die gemeinsame Mission, die DVPA zu stürzen, geglückt war, begannen ethnisch motivierte Kämpfe um Macht und Territorien zwischen den unterschiedlichen Mujahideen-Gruppierungen. Die kriegerischen Auseinandersetzungen fokussierten sich hauptsächlich auf die Hauptstadt Kabul, weshalb diese fast vollständig zerstört wurde (BÜSCHER 1993: 146; RUBIN 1997: 286).
Die Vorgehensweise der Mujahideen zum Thema Frauen wird in der Literatur verschieden bewertet. Ahmed-Gosh und Kreile sprechen von täglich stattfindenden Gewalttaten wie Zwangsheiraten, Vergewaltigungen, Amputationen und Tötungen, welche einige Frauen veranlasste, den Suizid als einen Ausweg aus der Gewalt zu wählen (Ahmed-Gosh 2003: 7; Kreile 2002: 50). Während bei Pourzand der Fokus auf der durch die Mujahideen veranlasste Wiedereröffnung von Schulen für beide Geschlechter liegt (1999: 79). Ahmed-Gosh und Kreiles Standpunkt wird jedoch klar durch die Aversion Gulbuddin Hekmatyars gegen Frauenbewegungen während der Regierungsperiode Dauds unterstützt (Barakat, Wardell 2002: 911). Einig ist man sich darin, dass mit den Mujahideen-Regime wieder mehr Restriktionen (z.B. Segregation, mögliche Berufszweige, Verschleierung) Einzug in das Leben der Frauen hielten (Ahmed-Gosh 2003: 7; Pourzand 1999: 79).
2.4 09/11, Öl und das Taliban-Regime (1990er - 2001)
Kapitel 2.4. beschäftigt sich mit den Gründen für die Entstehung und Machtzunahme der Taliban. Hierbei wird im Speziellen auf die Rolle der TAPI-Pipeline und der Vereinigten Staaten von Amerika (USA) eingegangen. Im Hinblick auf den medialen Aufruhr nach dem 11. September 2001 in Bezug auf den Umgang des Talibanregime mit Frauenrechten wird hier besonders auf die Wahrnehmung in der internationalen Gemeinschaft, sowie die der Frauen in Afghanistan eingegangen.
Aus dem Chaos des vom Bürgerkrieg der Mujahideen zerrütteten Afghanistan der 90er Jahre bildete sich aus von den Misserfolgen der Mujahideen desillusionierten Schülern 12 des sunnitischen Islam (talib), welche hauptsächlich an paschtunischen Koranschulen (madrasa) in Pakistan unterrichtet wurden, eine neue Bewegung, die sich nach ihren Mitgliedern, den Taliban benannte (Rashid 2002: 22f.). Mit dem Ziel, den Einfluss des schiitischen geprägten Irans auf die vorwiegend schiitischen Ethnien (Hazara) wurde die Ausbildung der Taliban vom pakistanischen Geheimdienst unterstützt (JAHN 2012: 179). Die Taliban schlossen sich mit dem Ziel zusammen, Frieden nach Afghanistan zu bringen, indem sie die Bevölkerung entwaffnen und einen Staat auf der Grundlage ihrer Auslegung der islamischen Scharia aufbauen (Rashid 2002: 22f.). Ab dem Jahr 1994 begannen die Taliban, ihre Macht in Afghanistan erfolgreich auszubauen (Kreile 2002: 48; Rashid 2002: 22f., 27ff).
Der zunehmende Einfluss machte die Bewegung der Taliban auch für internationale Interessengruppen attraktiv. Besonders für die USA, Pakistan und Saudi-Arabien, welche seit vielen Jahren den Wunsch hegen, eine Öl- und Gaspipeline durch das Gebiet Afghanistans zu bauen (Abb. 1.). Dafür waren sie auf einen Stabilitätsgaranten innerhalb des Landes, wie etwa die aufstrebenden Taliban angewiesen (Shah 2003: 143).
Ziel der Pipeline war es, den Export von Gas und Öl aus Zentralasien von Russland und dem Iran unabhängig zu machen (Kreile 2002: 48).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb.l: Möglicher Verlauf der TAPI-Pipeline
(öuelle: Danish, Senjyu, Zaheb, Sabory, Ahamadi, Ibrahimi, Nazari, Ahadi 2020:11; mit Veränderungen)
Am 26. September 1996 stürmten die Taliban Kabul und begannen ihre Herrschaft mit der Folterung und Hinrichtung des ehemaligen Präsidenten Najibullah (Rashid 2002: 48f.). Innerhalb eines Tages nach dem Fall Kabuls setzten die Taliban Regelungen nach ihren Vorstellungen der Auslegung des Islam durch (Rashid 2002: 50f). Die Vorgehensweise der Taliban nach der Machtübernahme lässt sich wie bereits in vorangegangenen Perioden mit Theorie des „Pendels“ von Berry erklären (2003: 152). Schon in vorangegangenen Zeiten hatten Frauen immer wieder erlebt, dass auf Phasen der Liberalisierung eine Rückkehr zum Konservatismus folgte (Bahri 2014),jedoch nie so ausgeprägt wie unter der Herrschaft der Taliban (166f.; Rashid 2001; zitiert nach: Berry 2003: 152).
Die Auswirkungen der Regelungen auf die Lebensrealität der Frauen differierte stark zwischen den urbanen Zentren, insbesondere Kabul und dem ländlichen Raum. Im ländlichen Raum lagen die Bedürfnisse der Frauen hauptsächlich im Bereich der medizinischen Grundversorgung und der Ausbildung zur Hausfrau im traditionellen Sinne und boten somit weniger Angriffsfläche für die Restriktionen der Taliban (DUPREE 1998: 165). Darüber hinaus war in den ruralen Gebieten kein Machtvakuum entstanden, welches von den Taliban gefüllt werden konnte, da die traditionellen Familien- und Autoritätsstrukturen erhalten geblieben waren. So hatten sogar einige Mädchenschulen trotz des Schulverbots Bestand (Maley 1999: 18). Eine Mitarbeiterin der dänischen entwicklungspolitischen Organisation Dacaar8 erzählt sogar, sie habe Frauen in ländlichen Regionen gefragt, was sich für sie unter den Taliban im Vergleich zu den Mujahideen verändert hat und habe die erstaunte Antwort „Was soll sich denn verändert haben?“ bekommen (Bauer 2002: 18f.).
In Kabul, welches von den Taliban als Zentrum der Verderbtheit angesehen wurde, wurden währenddessen die Regeln der Taliban mit maximaler Härte durchgesetzt (Maley 1999: 18). Die Prioritätensetzung der Taliban, als eine ihrer ersten Amtshandlungen, die Kleidung und den Raum der Frau in der Gesellschaft zu reglementieren, illustriert ein weiteres Mal, wie die Legitimität und die Symbolik der Frau ineinandergreifen (RUBIN 1997: 287).
Anhand der stark variierenden Erlebnisse und Wahrnehmung dieser je nach Zugehörigkeit zu einer ethnischen Gruppe, persönlicher Erlebnisse, sozialer und ökonomischer Stellung, geographischer Lage und Bildungsgrad zeigt sich, dass die Lebensvorstellungen und Wünsche von Afghaninnen stark variieren (DUPREE 14 2004: 312f). Aufgrund der hohen Komplexität von Gesellschaften generell und insbesondere der afghanischen Gesellschaft(en) ist die Homogenisierung aller afghanischen Frauen zu einem stereotypischen Bild deswegen nicht angemessen. Die Befreiung DER afghanischen Frau befindet sich daher nicht im Bereich des Möglichen, da DIE afghanische Frau nicht existent ist (vgl. Kandiyoti 2010: 21).
Nach der Machtübernahme der Taliban änderte sich die Haltung der internationalen Gemeinschaft kaum. Pakistan stellte sich klar hinter die Taliban und die Vereinigten Staaten stellten sogar kurzzeitig in Aussicht, die Botschaft in Kabul wiederzueröffnen. Die am Konsortium für den Bau der Pipeline durch Afghanistan beteiligte US- amerikanische Firma Unocal betitelte den Sieg der Taliban sogar als „positive Entwicklung“ (REUTERS 1996 nach: RUBIN 1997: 292). Die Wahrnehmung in der internationalen Gemeinschaft änderte sich erst nach den furchtbaren Terroranschlägen des 11. September 2001. Beginnend mit der zu Anfang außerhalb eines UN-Mandats agierenden Operation Enduring Freedom (OEF) der USA und Großbritanniens begann (Rose 2009: 88), wie es First Lady Laura Bush sinngemäß deklarierte, der Krieg gegen den Terror für die Befreiung der afghanischen Frau (Bush 2011).
Seit den 1920er Jahren war die Geschichte Afghanistans von Kolonialismus, Krieg, Abhängigkeit und von oben erzwungenem gesellschaftlichen Wandel geprägt. Die Phasen der Stabilität waren kurz und rar gesät. Gepaart mit den Militärhilfen der USA bildete diese Ausgangslage den idealen Nährboden für den Aufstieg radikalisierten Gedankenguts, wie es innerhalb der Mujahideen der Fall war (Kandiyoti 1991: 8; Rashid 2001: 176). Die Rolle der Frau in der Gesellschaft war in diesem Zusammenhang einer der wenigen Bereiche in dem afghanische Autonomie herrschte (Kandiyoti 1991: 8). Für Amanullah und das Taraki-Regime war die Frau das Symbol und Instrument der Modernisierung, während sie für die Mujahideen und Taliban Traditionen und die Ehre der Familie darstellte. Beide Einstellungen gleichen sich darin, dass die politische Elite, welche hauptsächlich aus Männern besteht, im Zuge ihrer eigenen Agenda über die Rolle der Frau entscheidet (Rubin 1997: 291).
Aus dem bisherigen Verlauf der Ereignisse lässt sich schlussfolgern, dass progressive Reformen ohne Rückhalt in der Gesellschaft wenig bis keine Wirkung zeigen (vgl. Dupree 1981: 309; Pourzand 1999: 77). Bei zukünftigen unterstützenden Maßnahmen sollte daher besonders auf das von der Bevölkerung gewünschte Maß der Veränderung geachtet werden.
3 Intervention in Afghanistan
Im Anschluss an den Blick auf die Vergangenheit Afghanistans widmet sich das folgende Kapitel den Rahmenbedingungen der militärischen, politischen und humanitären Intervention in Afghanistan. Zunächst werden die politischen Intentionen von Entwicklungszusammenarbeit in der Vergangenheit und beleuchtet und anschließend die Motivation der heutigen Bundesrepublik für die Intervention beschrieben. Ferner werden die einer Legitimation durch Frauenrechte zu Grunde liegenden Schemata beleuchtet und erarbeitet, ob eine Intervention auf der Basis von Frauenrechten erfolgversprechend ist.
3.1 Frühere Zusammenarbeit mit Afghanistan
Im folgenden Kapitel soll durch einen Blick auf die frühere EZ zwischen Deutschland und Afghanistan geklärt werden, mit welchen Motiven EZ betrieben wurde. Außerdem wird bewertet, ob diese als positives Beispiel für zukünftige Projekte herangezogen werden kann.
Die politischen Beziehungen mit Afghanistan reichen bis weit ins 20. Jahrhundert zurück. Bereits 1926 zu Zeiten der Weimarer Republik, wurde ein Freundschaftsvertrag mit dem Königreich Afghanistan geschlossen. Hierin versprach man sich „fortan zwischen Deutschland und Afghanistan, unverletzlicher Friedefn] und aufrichtige dauernde Freundschaft“ (DAXNER2014: 44). Bis zum Beginn des Zweiten Weltkriegs erarbeitete sich Deutschland in Afghanistan den Rang der einflussreichsten ausländischen Nation (Dupree 1978: 478). Während des Ersten Weltkriegs kam die entwicklungspolitische Zusammenarbeit vollständig zum Stillstand, wurde aber in den späten 1950ern mit dem Abkommen über wirtschaftliche und technische Zusammenarbeit ausgebaut. Ab diesem Zeitpunkt erhielt Afghanistan pro Kopf die größte finanzielle Zuwendung von allen Empfängerländem Deutschlands (Schlagintweit 2005: 45).
Von Baraki wird diese starke finanzielle Unterstützung als Versuch gewertet, mehr Einfluss in Afghanistan zu gewinnen, um so der Einflussnahme durch die kommunistischen Sowjetunion entgegenzuwirken (1996: 200). Hieraus ergibt sich, dass bereits die anfänglichen Gründe für die Entwicklungszusammenarbeit in erster Linie nicht humanitärer, sondern geopolitscher Natur waren. Entwicklungszusammenarbeit ist damit ein politisches Instrument, welches zielgerichtet im Rahmen einer politischen Agenda eingesetzt werden kann (vgl. Baraki 1996: 200).
Die Hoffnung, sowjetische Einflussnahme mittels internationale Zusammenarbeit unterbinden zu können, wurde 1979 mit dem Einmarsch der sowjetischen Truppen zerstört (siehe Kap. 2.3.) und die Entwicklungszusammenarbeit bis auf kleine nichtstaatliche Projekte eingestellt (Schlagintweit 2005: 55f.). Nach der Machtübernahme der Taliban und der teilweisen Wiederherstellung geregelter Strukturen im Land wurde die nichtstaatliche Entwicklungszusammenarbeit wieder aufgenommen, allerdings in geringem Umfang und unter schwierigen Bedingungen (SCHETTER 2006: 9f.).
Die deutsche Entwicklungszusammenarbeit vor 2001 wird als Misserfolg eingeschätzt. Als Gründe werden hierfür die Instrumentalisierung im Zuge der politischen Agenda, sowie die mangelnde interkulturelle Kompetenz und das eurozentristische Weltbild der Verantwortlichen angesehen (Baraki 2004:30). Ausdruck des vorliegenden Eurozentrismus ist die dichotome Denkweise, die Welt in entwickelte und unterentwickelte Erdteile zu kategorisieren. Aufgrund der empfundenen Überlegenheit des eigenen Entwicklungszustandes werden entwicklungspolitische Maßnahmen mit dem Ziel der Angleichung an die 'westliche Normgesellschaft vorgenommen, diese sind daher als Fortführung kolonialer Praktiken zu deuten (Staarmann 2012: 114ff.). Bei weiteren Bemühungen im Rahmen der internationalen Zusammenarbeit sollte daher großer Wert auf die Aufarbeitung der Gründe des Scheiterns gelegt werden und ähnliche Fehler vermieden werden (vgl. BARAKI 2004: 30).
3.2 Gründe der Bundesregierung für die Intervention in Afghanistan
Um zu verstehen, inwiefern Frauenrechte genutzt wurden, um die Intervention in Afghanistan zu legitimieren, muss verstanden werden, was die ausschlaggebenden Gründe für das Eingreifen in Afghanistan waren. Diese werden nachfolgend kurz aufgeführt, sowie die Bedeutung humanitärer Aspekte eingeordnet.
Bei der Begutachtung von Diskussionen im Bundestag und der Berichterstattung der Medien wird der Eindruck erweckt, das übergeordnete Ziel des ISAF-Einsatzes sei die Demokratisierung Afghanistans und die Stärkung der Menschen- und im Speziellen der Frauenrechte (Kreile 2002: 34) Deutschlands Engagement mit dem drittgrößten Truppenanteil am ISAF-Einsatz stützt sich jedoch auf vier Hauptgründe (WlEKER 2012: 24): Erstens soll die internationale Gemeinschaft vor terroristischen Angriffen geschützt werden, indem die akute Bedrohung durch al-Qaida entschärft wird (Wieker 2012: 24).
Zweitens soll die regionale Stabilität der Grenzregion zwischen Südasien, Zentralasien, und dem Mittleren Osten gesichert werden, um präventiv vor terroristischen Angriffen zu schützen, sowie die nukleare Sicherheit zu gewährleisten. Eine verstärkte Präsenz von Terrormilizen im afghanisch-pakistanische Grenzgebiet, welche zu einer weiteren Destabilisierung beitragen würden, soll vermieden werden (Bundesregierung 2008: 9ff.; WlEKER 2012: 24). Da Räume staatlicher Instabilität sich als Rückzugsort für Terrornetzwerke anbieten, stellen diese eine Gefahr dar und müssen durch Gegenmaßnahmen stabilisiert werden (Schetter2010: 182).
Für die nukleare Sicherheit ist die Region besonders bedeutend, da sich sowohl Pakistan als auch das angrenzende Indien im Besitz von Nuklearwaffen befinden (WlEKER 2012: 24). Afghanistan liegt als Pufferstaat zwischen den beiden Atommächten und dem, die atomare Bewaffnung anstrebenden, Iran. Eine weitere Destabilisierung der Region und die Verbreitung des islamistischen Terrorismus könnte daher für die gesamte Welt weitreichende Folgen haben (Bundesregierung 2006: 2; Wieker 2012: 24).
Drittens ist Deutschland Teil internationaler Bündnisse, welche gemeinsame Rahmenbedingungen und Leitlinien des Handelns vorgeben. Um Deutschlands Glaubwürdigkeit zu erhalten, müssen Vereinbarungen, welche im Rahmen der VN, der NATO und EU getroffen wurden, eingehalten werden. Der damalige Außenminister Joschka Fischer warnte bei einem unilateralen Ausstieg aus den Bündnisverpflichtungen vor „weitreichenden Konsequenzen für die Bundesrepublik Deutschland, für deren Sicherheit und Bündnisfähigkeit“ (BULLETIN 2001b; zitiert nach BRUMMER 2012: 47; Wieker 2012: 24).
Die sicherheitspolitischen Aspekte der Entscheidung für den Afghanistan-Einsatz fasst der damalige Verteidigungsminister Struck mit dem viel diskutierten Ausspruch „Die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland wird [...] auch am Hindukusch“ verteidigt zusammen (STRUCK 2004; zitiert nach: JAHN 2012: 178).
Der vierte und letzte Grund für das deutsche Engagement ist die humanitäre Situation in Afghanistan (WlEKER 2012: 25). Wiekers Formulierung - Deutschland habe sich 18 „verpflichtet, mehr zu tun als nur die unmittelbare Terrorgefahr abzuwenden“ (WlEKER 2012: 25) suggeriert jedoch, dass die humanitäre Situation nicht der ursprünglich tragende Grund für die Intervention ist, sondern in Hinblick auf das deutsche Verantwortungsgefühl zusätzlich verbessert werden soll. Die Gruppe der Frauen wird nicht explizit angesprochen, sondern verbirgt sich unter dem Oberbegriff humanitäre Gründe. Die genannten Gründe gelten nicht nur für die Erstaufnahme der Intervention, sondern bieten auch die Legitimationsgrundlage für ihre Fortsetzung (WlEKER 2012: 25).
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- Citar trabajo
- Marlene Hartmann (Autor), 2022, Frauenrechte als Legitimation für die deutsche Intervention in Afghanistan. Ursachen und Auswirkungen, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1290190
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