Die letzten Jahrzehnte haben auf dem Gebiet der deutschen Jugendsprachforschung erhebliche Fortschritte gebracht. Jedoch gibt es noch immer Lücken, die es zu schließen gilt. Vor allem die Zeit der national-sozialistischen Diktatur 1933-1945 ist auf diesen sprachwissenschaftlichen Aspekt hin bis heute nur unzureichend untersucht worden. Dabei lassen sich zahlreiche Fragen stellen:
Gab es eine spezifische Schülersprache in jener Zeit? Welchen Einflüssen unterlag sie? Gab es Formen sprachlichen Widerstandes?
Diese Arbeit erhebt keineswegs den Anspruch Antworten auf diese Fragen zu geben. Sie soll vielmehr als Vorarbeit für eine gezielte Quellenarbeit dienen, die unerlässlich für die weitere Untersuchung des Forschungsgegenstandes ist. Die Arbeit will versuchen, an Hand weniger Beispielen mögliche Einflüsse auf eine eventuell existierende Schülersprache im Nationalsozialismus aufzuzeigen und dadurch Hinweise auf Quellen zu geben.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
1.1 Forschungsübersicht
1.2 Quellenübersicht
2. Geschichte der Hitlerjugend
3. Einflussfaktoren auf die Schülersprache im Nationalsozialismus
3.1 Schülersprachen der Weimarer Republik
3.2 Sprache der Hitlerjugend
3.3 Sprache des Militärwesens
3.4 Formen des Sprachlichen Widerstands
4. Fazit
5. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Am 30. Januar 1933 begann eines der dunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte. Zwölf Jahre sollte Deutschland von Adolf Hitler und der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei regiert werden. Am Ende hatte Deutschland den zweiten Weltkrieg verloren und war in weiten Teilen zerstört. Millionen von Menschen starben in den Konzentrationslagern, weil sie Opfer einer menschenverachtenden Ideologie geworden waren. Die deutsche Jugend war von Beginn an Teil dieser Ideologie.
„Die gesamte Bildungs- und Erziehungsarbeit des völkischen Staates muß ihre Krönung darin finden, dass sie den Rassesinn und das Rassegefühl instinkt- und verstandesmäßig in Herz und Gehirn der ihr anvertrauten Jugend hineinbrennt.“
(Adolf Hitler, „Mein Kampf“[1] )
Die Nationalsozialisten empfanden sich als ein neues, junges Deutschland. Der Jugend, die noch beeinflussbar war, galt ihre besondere Aufmerksamkeit. Auf mehreren Ebenen sollte sie nach den Plänen der Partei erzogen werden. Die Hauptpfeiler dieser Erziehung waren die Schulen und die Hitlerjugend[2]. Gerade diese Organisation, die sich lose auf den Traditionen der Jugendbünde vor 1933 stützte, versuchte aus Kindern und Jugendlichen bedingungslos treue Anhänger des Nationalsozialismus zu formen.
Erziehung nutzt Sprache als Medium, sowohl in Form der gesprochenen als auch in Form der geschriebenen Sprache[3]. Bedenkt man die Besonderheiten des Sprachgebrauchs im „Dritten Reich“, ist zu erkennen, dass die Jugendlichen ständig von einer nationalsozialistisch geprägten Sprache angesprochen wurden. Der Schulunterricht war umgestellt worden, und enthielt u.a. „Rassenkunde“ und „Rassenhygiene“.[4] Auf der Straße standen SA-Männer[5] vor Geschäften und schrieben „Kauft nicht bei Juden“ an die Fenster. Nachmittags meldeten sich die Jugendlichen bei ihrer „Kameradschaft“,denn sie wollten keine „Drückeberger“ sein.[6] Dort lernte der Hitlerjunge später auch den Umgang mit der „Panzerfaust“ oder dem „K98k“[7]. Vielleicht wurden sie, wenn ihnen irgendetwas nicht gelang, von den „Führern“ als „Spätzünder“[8] und „Schlaffis“[9] beschimpft.
Diese kurzen, in willkürlicher Zusammenstellung einander gereihten Beispiele lassen bereits erahnen, welche unterschiedlichen sprachlichen Einflüsse auf die Schüler ausgeübt wurden. Es liegt daher nahe zu vermuten, dass sich während des Nationalsozialismus in Deutschland eine spezifische Jugend- bzw. Schülersprache entwickelt hat. Eine Hauptfrage, die es zu stellen gilt, lautet also: Existiert in Deutschland zwischen 1933 und 1945 eine abgrenzbare Schülersprache? Welche Merkmale hat diese?
Es muss betont werden, dass im Rahmen dieser Arbeit die zuvor gestellte Frage nicht beantwortet werden kann. Die Datenlage ist schlecht. Es existieren keine Wörterbücher zur Jugendsprache im Nationalsozialismus. Es kann an Hand des vorhandenen Materials also keine Beschreibung dieser Sprache, sollte sie vorhanden sein, erstellt werden.
Allerdings können Vermutungen, die an Hand der historischen Situation der Jugend im Nationalsozialismus aufgestellt werden können, helfen, ein Bild von einer Schülersprache zu zeichnen. Diese Arbeit möchte Fragen formulieren, die an möglicherweise noch zu erschließende Quellen gestellt werden könnten. Dabei soll speziell auf die unterschiedlichen Einflussfaktoren eingegangen werden. Ein Schwerpunkt soll dabei die Hitlerjugend sein, da sie einen großen Einfluss auf den Alltag der Schüler hatte.
Zunächst soll die Forschung und die Quellenlage zum Thema betrachtet werden. Vor allem die unterschiedlichen Quellengattungen werden hierbei genauer betrachtet. Darauf folgt ein Exkurs über die Geschichte der Hitlerjugend, durch den ein Einblick in die Situation der Jugend im Dritten Reich erreicht werden soll. Abschließend sollen verschiedene vermutete Einflussfaktoren dargestellt werden, die möglicherweise auf die Schülersprache wirken. Es handelt sich dabei um Kategorien, die durch Quellenarbeit mit Lexemen zu füllen wären.
1.1 Forschungsübersicht
Die Forschung zur Schülersprache im Nationalsozialismus ist bisher stark vernachlässigt worden. Auf Grund der schlechten Datenlage und möglicherweise auch anders liegender Interessen sind nur wenige Untersuchungen durchgeführt worden, die speziell diesen Bereich der Sprache in der Zeit von 1933-1945 behandeln.[10] Man kann nicht von generellen Versäumnissen sprechen, denn verschiedene Aspekte der Sprache im Nationalsozialismus sind durchaus erforscht worden. Ein erster Zugriff, der bis heute die Forschung beeinflusst, war die Publikation „LTI- Tagebuch eines Philologen“ von Victor Klemperer, der als erster den Versuch einer Beschreibung der Sprache des „Dritten Reiches“ unternahm.[11] Ein Schwerpunkt lag in der bisherigen Forschung auf der Stilistik des Sprachgebrauchs der NS-Funktionäre und Propaganda[12]. Auch soziolinguistische Aspekte spielten eine Rolle.
Grundlage einer weitergehenden Untersuchung einer Sondersprache ist oftmals ein Wortkorpus, das kritisch aus Quellen herausgearbeitet wird. Bereits während des 2. Weltkriegs entstanden erste Wörterbücher der nationalsozialistischen Sprache. Nach Kriegsende wurden weitere Sammlungen publiziert[13]. Quellen waren hierbei meistens Akten und Propagandaschriften. Bis auf vereinzelte Lexeme, die als Spott zu klassifizieren sind, handelt es sich in meisten Fällen um Bezeichnungen für Behörden, Handlungen und Euphemismen.
Jugendsprachliche Wörtersammlungen gibt es kaum. Während Studien zur Sprache einzelner Jugendbewegungen in der Zeit vor 1933 existieren, sind vergleichbare Wörterbücher zur Situation im Nationalsozialismus nicht vorhanden. Einzelne Versuche zur Erstellung eines Glossars der Sprache der Hitlerjugend wurden nicht fortgesetzt.[14] Der Mangel an ausreichendem Datenmaterial, den auch Eva Neuland feststellt, kann als Grund für fehlende Forschung gesehen werden.
1.2 Quellenübersicht
Am Anfang der Suche nach ausreichendem Datenmaterial muss die Frage nach der Zielsetzung stehen. Soll nach nationalsozialistischem Sprachgebrauch gesucht werden? Oder steht die Schülersprache insgesamt im Mittelpunkt der Arbeit? Denn je nach Beantwortung dieser Frage kommen andere Quellen in Frage. Generell sollte hier die, in der Geschichtswissenschaft gängige, Unterscheidung zwischen Traditions- und Überrestquelle berücksichtigt werden. Um einen Eindruck des authentischen Gebrauchs eines schülersprachlichen Lexems zu erhalten, ist es erstrebenswert, auf eine Quelle zurückzugreifen, die nicht primär zum Zweck einer Überlieferung aufgezeichnet wurde. Optimal wären Aufzeichnungen von Gesprächen zwischen Schülern, ohne dass diese über die Protokollierung informiert waren. Dies ist aber unrealistisch und tatsächlich werden solche Quellen nicht zu finden sein. Protokolle von Befragungen von Schülern eignen sich nur bedingt, da der Gebrauch von Schülersprache in einer solchen Situation unwahrscheinlich ist. Ausnahmen könnten Fälle von sprachlichen Widerstand sein, die von Stellen der Gestapo/ des SD untersucht wurden.
[...]
[1] Zitiert nach: KNOPP (2000): S. 14.
[2] Die Schreibung „Hitlerjugend“ hat sich heutzutage durchgesetzt. In Quellen ist aber oft „Hitler-Jugend“ zu finden. In dieser Arbeit wird überwiegend die neuere Schreibweise verwendet. Ausnahmen sind Quellenzitate, dort wird die jeweilige Schreibung übernommen.
[3] Als Beispiele sind hier der herkömmliche Klassenunterricht zu nennen, in dem das Gespräch das Medium des Unterrichts ist, und das Schulbuch.
[4] BOBERACH (1982): S. 75f.
[5] Allgemein geläufige Abkürzungen wie SA, SS und NSDAP werden in dieser Arbeit nicht erläutert. Bei anderen Begriffen wird die Abkürzung gesondert eingeführt.
[6] SCHRECKENBERG (2001): S. 323.
[7] Bei der „Panzerfaust“ handelte es sich um eine Waffe, die zur Panzerabwehr diente. Ihr Einsatz wurden in der HJ gelehrt. Sie wurde in den letzten Kriegsmonaten in großen Mengen an den Volkssturm ausgegeben, dem viele Hitlerjungen angehörten. Der „Karabiner 98 kurz“ war das Dienstgewehr der Wehrmacht. An ihm wurden die HJ ebenfalls ausgebildet.Vgl.: REMPEL (1989): S. 235.
[8] SCHMIDT (2004): S. 150.
[9] SCHRECKENBERG (2001): S. 330.
[10] NEULAND (2008): S. 109.
[11] KLEMPERER (1957).
[12] SCHRECKENBERG (2001): S. 333f.
[13] BERNING (1967), vgl. auch BRACKMANN/BIRKENHAUER (1988)
[14] SCHRECKENBERG (2001): S. 322- 334.
- Arbeit zitieren
- Jan Henrik Ehrhardt (Autor:in), 2009, Schülersprache im Nationalsozialismus, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/128850
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