Gouvernementalität - Zur Klärung des Begriffs


Referat (Ausarbeitung), 2009

13 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. EINLEITUNG

2. DEFINITION GOUVERNEMENTALITÄT

3. RATIONALITÄTEN DES REGIERENS

4. MACHT IN GOUVERNEMENTALITÄT- UND GOVERNANCEKONZEPTEN

5. ZUSAMMENFASSUNG

6. LITERATURVERZEICHNIS

1. Einleitung

Im Studienjahr 1977/78 hielt Foucault die Vorlesung „Sicherheit, Territorium, Bevölkerung“, in dessen Verlauf er versucht eine Geschichte der Gouvernementalität zu skizzieren (vgl. Foucault 2000: 64). Sein Begriff der Gouvernementalität ist dabei mehrschichtig und verweist auf unterschiedliche Handlungsformen und Praxisfelder, die in vielfältiger Weise auf die Lenkung und Leitung von Individuen und Kollektiven zielen (vgl. Kammler et al. 2008: 260). Regierung wird dabei verstanden als umfassender Begriff. Es lassen sich anhand dieses Konzeptes verschiedene Analyseperspektiven einnehmen. Im angelsächsischen Bereich knüpfen unter dem Label „governmentality studies“ mehr oder weniger lose Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an den Begriff der Regierung von Foucault und seiner Machtanalytik an (vgl. Bröckling et al. 2000: 7).

In der deutschsprachigen Politikwissenschaft - anders als in den benachbarten Disziplinen wie der Soziologie und Geschichte - findet erst seit der jüngsten Vergangenheit eine historisch sozialwissenschaftliche Auseinandersetzung mit den Arbeiten Foucaults und einer Übertragung auf dediziert politische Fragen statt, die eine vormals philosophisch­akademische Diskussion zunehmend ablöst (vgl. Reichert 2004: 13). Diese neue Forschungsrichtung ist gekennzeichnet durch verschiedene Ansätze und Lesarten von Foucaults Werken. Selbst über die Wortherkunft „gouvernementalité“ herrscht kein Konsens. Bröckling et. al (2000: 8) interpretieren das Wort als semantische Verbindung von Regieren („gouverner“) und Denkweise („mentalité“) und übersetzen es mit Regierungsmentalität, während Sennelhart (vgl. Foucualt / Sennelhart 2004: 564) diese Ableitung als Fehldeutung ansieht, da gouvernementalité etymologisch von „gouvernmental“ (die Regierung betreffend) stammt.

Foucault verwendet für seine Analysen eine genealogisch-kritische Diskursanalyse. Sein Diskursmodell „lenkt die Aufmerksamkeit auf die „Bedingungen“, die dazu führen, dass sich Dinge als wissenschaftliche Gegenstände und Aussagen als wissenschaftliche Wahrheiten konstituieren“ (Kerchner 2006a: 49). Genealogisch vorgehen bedeutet dabei, durch geografische und zeitliche Ausweitung der Analyse den Maßstab zu relativieren um eine andere Perspektive auf die Dinge einzunehmen und übergeordnete Redeordnungen zu entdecken. Foucaults Analysen sind deshalb immer historisch und international vergleichend. Die Herausarbeitung der Diskurse ist das Ziel, keine Begriffsgeschichte oder Theoriebildung.

Dieser Aspekt ist allerdings besonders schwierig, da ein diskursanalytisches Vorgehen abverlangt, dem rational entscheidenden Akteur mit Skepsis zu begegnen (vgl. Kerchner 2006b: 160). Die dahinterliegende Redeordnung könnte z.B. an einem anderen Ort oder zu einem anderen Zeitpunkt entstanden sein. Diese Art zu denken liegt auf einer anderen Ebene als hermeneutisches Verstehen oder kausales Erklären und es ist ungewohnt damit nach den Voraussetzungen und Wirkungen des Politischen zu fragen (vgl. Kerchner/Schneider 2006: 17). Für die Analyse des Problems der Regierung zeigt Foucault in der Vorlesungsreihe, wie ausgehend von Machiavellis Il Principe im Diskurs über sein Werk und der aufkommenden Anti-Machiavelli-Literatur eine übergeordnete Redeordnung über das Regieren entsteht, die sich damit beschäftigt wie regiert und Menschen geführt und geleitet werden sollen.

In den nachfolgenden Kapiteln der Verschriftlichung wird versucht, sich dem Begriff der Gouvernementalität zu nähern. Nach einer Definition wird die historische Analyse Foucaults über die Entwicklung verschiedener Rationalitäten des Regierens nachgezeichnet und abschließend der zentrale Begriff Macht aufgegriffen um daran einige Unterschiede zu Governancekonzepten aufzuzeigen.

2. Definition Gouvernementalität

In der Vorlesungsreihe 1977/78 entwickelt Foucault den Begriff der Gouvernementalität. Dieser Terminus ist extrem weit gefasst und soll ausdrücklich dreierlei umfassen (vgl. Foucault 2000: 64f.):

„Unter ,Gouvernementalitäť verstehe ich die Gesamtheit, gebildet aus den Institutionen, den Verfahren, Analysen und Reflexionen, den Berechnungen und den Taktiken, die es gestatten, diese recht spezifische und doch auch sehr komplexe Form der Macht auszuüben, die als Hauptzielscheibe die Bevölkerung, als Hauptwissensform die politische Ökonomie und als wesentliches technisches Instrument die Sicherheitsdispositive hat.“

Der erste Aspekt beschreibt Gouvernementalität als spezifisches Gefüge von Institutionen, Verfahren und Gewohnheiten zu einer bestimmten politischen Rationalität - der Biomacht. Demnach besteht die Kunst des Regierens darin, die Macht nach dem Vorbild der Ökonomie auszuüben um Menschen zu lenken. Diese Wissenschaft wird von Foucault charakterisiert als „kontinuierliches und vielfältiges Netz von Bezügen zwischen Bevölkerung, Territorium und Reichtum“ (vgl. Foucault 2000: 62). Durch die Intervention der Regierung auf dem Feld der Ökonomie wandelt sich die Kunst des Regierens hin zu einer politischen Wissenschaft, die Techniken anwendet und als Bezugspunkt für ihr Handeln die Bevölkerung hat und nicht mehr auf die Erhaltung der Souveränität und das Regieren des Territoriums abzielt.

„Zweitens verstehe ich unter ,Gouvernementalitäť die Tendenz oder die Kraftlinie, die im gesamten Abendland unablässig und seit sehr langer Zeit zur Vorrangstellung dieses Machttypus, den man als „Regierung“ bezeichnen kann, gegenüber allen anderen - Souveränität, Disziplin - geführt und die Entwicklung einer ganzen Reihe spezifischer Regierungsapparate einerseits und einer ganzen Reihe von Wissensformen andererseits zur Folge gehabt hat.“

Foucault verwendet den Begriff Regierung in einer weiten Form. Regiert werden kann nicht nur der Staat, sondern auch die Familie, das Kloster oder die Schule (vgl. Foucault 2000: 47). Seine Vorgehensweise erlaubt es dann zu untersuchen, wie Machtverhältnisse sich historisch in Gestalt des Staates manifestieren konnten (vgl. Bröckling et al. 2000: 27). Die Idee, die Bevölkerung zu regieren, verschärft dabei die Begründung der Souveränität und die Notwendigkeit von Disziplin. Dementsprechend erlangt der Machttypus der Regierung der Biomacht eine Vorrangstellung, obwohl nicht eine Form die andere ablöst, sondern Souveränität, Disziplin und gouvernementale Führung ein Dreieck bilden (vgl. Foucault 2000: 64).

„Schließlich glaube ich, dass man unter ,Gouvernementalitäť den Vorgang oder eher das Ergebnis des Vorgangs verstehen sollte, durch den der Gerechtigkeitsstaat des Mittelalters, der im 15. und 16. Jahrhundert zum Verwaltungsstaat geworden ist, sich nach und nach ,gouvernementahsiert’ hat.“

Neben einer möglichen Typologisierung von Regierungsformen, die auf verschiedenen Rationalitäten beruhen (vgl. Kapitel 3), wird im letzten Teil der Definition auch deutlich, dass die Regierung nicht als eine Technik, die vom Staat angewendet wird, verstanden werden sollte, sondern durch die Gouvernementalisierung des Staates der Staat selbst eine Regierungstechnik und damit eine dynamische Form gesellschaftlicher Kräfteverhältnisse darstellt (vgl. Bröckling et al. 2000: 27).

Insgesamt sollen drei Dezentrierungen durch das mehrschichtige Konzept der Gouvernementalität geleistet werden: (1) Eine Lockerung der Vorstellung des Staates von einer Institution hin zu einer Analyse des Staates als Handlungs- und Denkweise. (2) Eine Abwendung der inneren Gesichtspunkte des Staates und eine Hinwendung zu den äußeren Strategien und Taktiken mit denen regiert wird sowie (3) der Verzicht auf die Vorstellung, dass der Staat - wie in dem klassischen Denken der Staatstheorie - etwas Vorgegebenes ist, dessen Gegenstand es lediglich zu konstatieren gilt (vgl. Kammler et al. 2008: 153).

3. Rationalitäten des Regierens

Foucault stellt durch seine historische Analyse fest, dass es seit der Antike bis ins Mittelalter nie an Abhandlungen mangelte, die als Ratgeber für den Fürsten geschrieben wurden. Im 16. bis 18. Jahrhundert kommt es dann zu einer Verschiebung hin zu Abhandlungen über die Regierungskunst, die zwischen den Fürstenspiegeln und wissenschaftlich orientierten Abhandlungen stehen. Das Problem wie sich selbst regieren, wie regiert werden, wie andere regieren, mit welchem Zweck und mit welchen Methoden stellt sich zunehmend angesichts der Auflösung feudaler Strukturen und der Reformation sowie der daran anschließenden Gegenreformation (vgl. Foucault 2000 41f.). Durch sein diskursanalytisches Vorgehen der Analyse einer Vielzahl an Schriften aus dieser Zeit nach übergeordneten Gemeinsamkeiten, stellt Foucault fest, dass die aufkommenden Abhandlungen über die Regierungskunst ihre Verortung dadurch vornehmen, dass sie sich implizit oder explizit gegen Machiavellis Il Principe richten, welches wiederum nur stellvertretend für eine Vielzahl an Fürstenratgebern steht.

[...]

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Details

Titel
Gouvernementalität - Zur Klärung des Begriffs
Hochschule
Philipps-Universität Marburg  (Institut für Politikwissenschaft)
Veranstaltung
Government - Governance - Gouvernementalität. Regieren im Wandel
Note
1,0
Autor
Jahr
2009
Seiten
13
Katalognummer
V128793
ISBN (eBook)
9783640348749
ISBN (Buch)
9783640348268
Dateigröße
541 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Gouvernementalität, Foucault, Macht, Diskurs, Diskursanalyse
Arbeit zitieren
Martin Schultze (Autor:in), 2009, Gouvernementalität - Zur Klärung des Begriffs, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/128793

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