Alfred Döblins Essay "Der Bau des epischen Werks" liest sich wie eine fast deckungsgleiche Anleitung zur Niederschrift des Romans "Berlin Alexanderplatz. Die Geschichte vom Franz Biberkopf." Der genannte Aufsatz entstand 1928 parallel zur Arbeit am Roman, weshalb hier zunächst Form und Inhalt sowie das für die Seminararbeit Wesentliche des Aufsatzes analysiert und im nächsten Schritt erläutert wird, inwieweit Döblin seine Überlegungen praktisch umgesetzt hat, indem Parallelen zwischen beiden Texten aufgezeigt werden. Der Schwerpunkt der dann folgenden, ebenfalls vergleichenden Analysen liegt auf der Untersuchung der vorhandenen inhaltlichen Thematik sowie der Erzählerrolle vor dem Hintergrund der heutigen Erzähltheorie und Ziolkowskis Interpretation zum Roman .
Der Schlussteil der Seminararbeit antwortet auf die Frage, inwieweit Döblin seine selbst gesetzten Postulate erfüllt hat.
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Die vorgestellten Postulate des Essays lassen sich auch auf die nun abschließende vergleichende Untersuchung der Erzählsituation anwenden. Beachtung findet in diesem Zusammenhang der Aspekt der Fokalisierung gemäß der heutigen Erzähltheorie von Martinez und Scheffel.
Die Forderungen des Essays münden darin, dass Döblins erzählerisches Konzept der „Depersonation“ aus seinem „Berliner Programm“ lediglich „punktuell modifiziert“ werde, erklärt Sander (Ebd. S. 282 und 283). Sie zitiert in diesem Zusammenhang Kleinschmidt, der das depersonale Erzählprinzip Döblins als „produktive[...] Selbstverhüllung, markiert unter dem Stichwort des Maskenanlegens“ beschreibt, und erklärt, die „Entwicklung [in BA] besteht darin, dass die Grade der erzählerischen Depersonation bewußt sind und narrativ ausgestaltet werden“ (Sander: S. 282). Somit sieht Sander den „auktorialen Erzähler“ in Döblins Epik als „rehabilitiert“ sowie als „erkennendes und vermittelndes bzw. montierendes Medium“ (Ebd.).
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitungsteil/ Vorgehensweise
2. Hauptteil
2.1 Analyse des Essays Der Bau des epischen Werks
2.2 Theorie und Praxis
2.3 Erzählerrolle in Theorie und Praxis
3. Schlussteil/ Fragestellung
4. Literaturverzeichnis
1. Einleitungsteil/ Vorgehensweise
Alfred Döblins Essay Der Bau des epischen Werks liest sich wie eine fast deckungsgleiche Anleitung zur Niederschrift des Romans Berlin Alexanderplatz. Die Geschichte vom Franz Biberkopf.[1] Der genannte Aufsatz entstand 1928 parallel zur Arbeit am Roman, weshalb hier zunächst Form und Inhalt sowie das für die Seminararbeit Wesentliche des Aufsatzes analysiert und im nächsten Schritt erläutert wird, inwieweit Döblin seine Überlegungen praktisch umgesetzt hat, indem Parallelen zwischen beiden Texten aufgezeigt werden.[2] Der Schwerpunkt der dann folgenden, ebenfalls vergleichenden Analysen liegt auf der Untersuchung der vorhandenen inhaltlichen Thematik sowie der Erzählerrolle vor dem Hintergrund der heutigen Erzähltheorie[3] und Ziolkowskis Interpretation zum Roman[4].
Der Schlussteil der Seminararbeit antwortet auf die Frage, inwieweit Döblin seine selbst gesetzten Postulate erfüllt hat.
Alfred Döblins Aufsatz Der Bau des epischen Werks ist die Niederschrift seiner Akademie-Rede in Berlin vom 10. Dezember 1928. Thematisch behandelt der Text Döblins essayistische Ansichten über die sogenannte ,,Moderne Epik“. Der Aufsatz ist in acht Kapitel unterteilt, wobei jedem Abschnitt eine einleitende Überschrift vorausgeht. Das siebte Kapitel (Details vom Produktionsprozeß) ist darüber hinaus nochmals in drei Sinnabschnitte gegliedert. Inhaltlich erläutert Döblin seine Gedankengänge hinsichtlich der wesentlichen Merkmale des ,,epischen Werks“. So begründet er im ersten Abschnitt (Das epische Werk berichtet von einer Überrealität), weshalb der Bericht die passende Gebrauchsform des Epischen darstellt, warum man den ,,epischen Autor“ vom üblichen Romanschriftsteller unterscheidet und welchen Bezug zur Realität der ,,epische Künstler" für seine Texte herstellen sollte. Döblin fährt im nächsten Kapitel (Das epische Werk lehnt die Wirklichkeit ab) fort, indem er das Verhältnis des epischen Werks zur Wirklichkeit darstellt. Daraufhin zeigt er Ebenen der Berichtform auf. Das dritte Kapitel, Die Epik erzählt nichts Vergangenes, sondern stellt dar, befasst sich mit der technischen Frage nach der zu verwendenden Zeitform. Im darauffolgenden Abschnitt (Der Weg zur zukünftigen Epik) erklärt Döblin, wie sich das epische Kunstwerk in Zukunft formal entwickeln sollte und welche Rolle dem Künstler im eigenen Text zukommt. Daran anknüpfend beginnt er Hintergründe, Einflüsse und erste Entwicklungsstufen des Produktionsprozesses einer epischen Arbeit darzustellen (fünftes und sechstes Kapitel: Unterschied der heutigen individualistischen Produktionsweise von der früheren kollektiven und Schilderung des Inkubationsstadiums im heutigen Produktionsprozeß). Im dreifach unterteilten Kapitel Details vom Produktionsprozeß zeigt Alfred Döblin den weiteren Verlauf der Produktion eines epischen Werks. Außerdem werden hier innewohnende Merkmale und formale Prinzipien der Epik präsentiert. Im abschließenden achten Kapitel (Die Sprache im Produktionsprozeß) wird der Zusammenhang zwischen Sprache und Konzeption eines epischen Werks vorgestellt. Döblin spannt indes den Bogen zu sprachwissenschaftlichen Aspekten und nutzt die letzten Zeilen zu einem Resümee der für ihn wichtigsten Grundgedanken seines Aufsatzes.
2. Hauptteil
2.1 Analyse des Essays Der Bau des epischen Werks
Döblins literaturtheoretische Beiträge über Romanpoetik werden von Kleinschmidt als "keine wirklich festumrissene Programmatik", sondern eher als "offene Überlegungen"[5] bezeichnet, was gleichzeitig der Darstellungsform eines Essays entspricht.[6] Des Weiteren verweist er darauf, Döblin habe zwar den „Wille[n] zur theoretisch anmutenden Reflexion“ gehabt, doch fehlten seinen Schriften „klare [...] Definitionen und Inhalte.“[7] In Folge dessen wird gezeigt, dass der Essay „Der Bau des epischen Werks“ stellvertretend für Döblins so beschriebene theoretische Schriften ist. Gleich zu Beginn wird deutlich, dass es sich um einen eher unsystematischen Text handelt, da ohne einleitende Beschreibung der Vorgehensweise unvermittelt begonnen wird.[8] Zudem widersprechen die zahlreichen Wertungen, Kommentare und weiteren subjektiven, häufig ironischen Einschübe des Autors einer Charakterisierung des Textes als ausdrücklich wissenschaftlich, sachlich oder objektiv. Das herabsetzende, wiederholte Urteil („Nun, es ist zweifellos, hier wird so etwas wie berichtet. So etwas wie.“, SÄPL. S. 216) über die Berichtform eines „beliebigen Romans“ (Ebd.[9]) belegt exemplarisch die polemische Ausdrucksweise, die so charakteristisch für Alfred Döblins Umgang mit manchen seiner Schriftstellerkollegen gewesen ist, und zeigt gleichfalls die offene, lapidare Form des hier vorliegenden essayistischen Textes.[10] Die polemisch-provokante Behauptung, „auf den heutigen Autor“ sei „das Unglück des Buchdrucks gefallen“ (SÄPL. S. 229), unterstreicht dies zusätzlich. Die gedankliche, bildhafte Darstellung der inneren Vorgänge und Gefühle des Autors im sechsten Kapitel des Aufsatzes („Ich sitze stumm, [...] und ich bin, [...] gepackt oder sinnlos ergriffen, nein, fasziniert von einem Bild. Das ist [...] ein Seelenzustand von einer besonderen Helligkeit, [...] in der alles wie enträtselt ist und man das Gefühl hat wie Siegfried, als er am Drachenblut leckte“, SÄPL. S. 230/231) ist stellvertretend für das typische Charakteristikum eines Essays, in Folge dessen diese Literaturgattung „über Gedankenexperimente [...], mit stark eingefärbten Bildern und Denkmöglichkeiten“ ermöglicht, „einen Gegenstand auszuleuchten.“[11] Gegenüberstellend wird deutlich, dass der Autor sich trotzdem um Wissenschaftlichkeit seines Aufsatzes bemüht, indem er beispielsweise ein „spezifische[s] Kausalitätsgesetz im Epischen“ erläutert (SÄPL. S. 236), oder „Formgesetze“ seiner Epik formuliert (Vgl. siebtes Kapitel: Details vom Produktionsprozeß; c ) Dynamik und Proportion als Formgesetze und Mitschöpfer des Inhalts, SÄPL. S. 238). Die beiden unterschiedlichen Aspekte, des einerseits Bildhaft-Gedanklich-Literarischen sowie der andererseits erzeugten Verwissenschaftlichung, lassen auch für Döblins Essay Der Bau des epischen Werks den Schluss zu, dass er „Grenzgänger zwischen Literatur und Wissenschaft“ ist.[12]
Hiernach werden nun ausgesuchte erzähltheoretische Positionen des Essays betrachtet. Vor allem Döblins Darstellungen hinsichtlich der wechselseitigen Beziehung zwischen Autor und „epischem Kunstwerk“ und weitere formale Ansprüche an die Epik sind Gegenstände der Untersuchung. Im ersten Kapitel legitimiert Döblin die Berichtform als angemessene Darstellungsweise für das epische Werk („Der epische Künstler kann auch heute noch in vollem Ernst die Berichtform gebrauchen.“, SÄPL. S. 221). Er begründet dies darin, dass es neben der „Sphäre der historisch belegbaren Fakten noch eine [...] Existenzsphäre, von der man auch formal berichten [...] kann“ (SÄPL. S. 218) gebe, mahnt aber gleichzeitig, dass dies auch „einen Glauben“ (Ebd.) erfordere. Daraufhin erklärt er, man brauche, um einen Bericht episch werden zu lassen, „Grundsituationen, Elementarsituationen des menschlichen Daseins“ (Ebd.), da diese „sogar an Ursprünglichkeit, Wahrheit und Zeugungskraft über den zerlegten Tageswahrheiten“ (SÄPL. S. 219) stünden. Döblin glaubt auf diese Weise den epischen Künstler vom konventionellen Romanschriftsteller trennen zu können. Den hintergründigen Wirklichkeitsbezug eines solchen Romanschriftstellers bezeichnet Döblin als „einige Oberflächen der Realität“ (Ebd.) imitierend, während er abgrenzend vom Epiker verlangt, er müsse „ganz nah an die Realität heran, an ihre Sachlichkeit [...] und dann hat er die Sache zu durchstoßen.“ (Ebd.) Sander bezeichnet dieses Verständnis von Realität als „Vergeistigung [...] des faktischen, [...] die den ganzen Menschen und die universelle Wirklichkeit umfasst.“[13] Das zweite Kapitel führt die Gedankengänge des Autors über den Realitätsbezug der Epik fort. Döblin bezieht den Leser dort mit ein und behauptet, dass „wir“ uns „auf dem sehr stolzen und sehr menschenwürdigen Gebiet der freien Phantasie“ (SÄPL. S. 222) bewegten. Dies unterstreicht er anschließend mit der These, dass die epische Berichtform es dem Menschen ermögliche, „mit der Realität zu spielen“ (Ebd.), und die Dichtung noch unabhängiger von realen Konventionen als der Traum sei („Die Dichtung ist mehr als ein Traum.“, Ebd.). Im Zuge dessen bezeichnet Döblin diese gar als „Leichtigkeit und Verspottung“ (Ebd.) der Realität, begründet dies aber typisch essayistisch lediglich emotional („aber ist für unser Gefühl[...]“ und „ungeheuere Lustgewinn“, Ebd.). Zusammenhängend mit der Berichtform sieht er abschließend zwei „Kunstsphären“ in der Epik: „die phantastische und Fabuliersphäre“ als „Negation der realen Sphäre“ und „die überreale Sphäre“ als „Sphäre einer neuen Wahrheit und [...] besonderen Realität“ (SÄPL. S. 223). Im dritten Abschnitt äußert sich Döblin konkret zur technischen Frage der zu verwendenden Zeitform im epischen Werk. Er erklärt, dass alle „Darstellung [...] gegenwärtig“ sei, und bezeichnet folglich die Wahl der „Modi“ als „vollkommen gleichgültig“ (SÄPL. S. 224). Hiermit gesteht er dem Epiker formale Freiheiten in der Umsetzung seines Werkes zu, die später im Aufsatz in ein „Gesetz der Formlosigkeit“ (SÄPL. S. 236) und „Formgesetze“ (SÄPL. S. 238) münden. Darauffolgend - nachdem der „Berechtigungsnachweis“ (SÄPL. S. 221) für die Berichtform in der Epik eigentlich erbracht worden ist - fordert er im vierten Kapitel „in der epischen Arbeit entschlossen lyrisch, dramatisch, ja reflexiv zu sein“ (SÄPL. S. 225) und somit den Bericht nicht als einzige Art und Weise der Darstellung zu nutzen. Er insistiert weiter, sich von festen Formen befreien zu müssen, und sieht dafür den Ausweg in Verfremdungseffekten („die Wohltat der Betrachtung, des lyrischen oder spottenden Eingriffs, der freien wechselnden Kunstaktion, auch der direkten Rede an uns“, Ebd.) übertragen aus Drama und Theater. Döblin erneuert anschließend metaphorisch die Forderung, sich „im Epischen“ von der traditionellen, vorgefestigten Berichtform zu lösen („Diesen eisernen Vorhang rate ich hochzuziehen.“, Ebd.).
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[1] Vgl. hierzu Kleinschmidt: „Werk und Kommentar gehen einen produktiven Zusammenhang miteinander ein und sind denn auch wechselseitig verschränkt zu lesen“ (Kleinschmidt, Erich: Nachwort, in: Alfred Döblin. Schriften zu Ästhetik, Poetik und Literatur. Hrsg. von Ebd. Olten / Freiburg i.Br.: Walter, 1989. S. 741.).
[2] Den Aufsatz präsentierte Döblin zunächst als Rede an der Berliner Universität am 10. Dezember 1928. Laut Sander ist diese als "sein wohl bedeutendster Beitrag zur Romanpoetik der Moderne anzusehen" (Sander, Gabriele: Alfred Döblin. Stuttgart: Reclam, 2001. S. 281.). Die Arbeiten am Roman sind "zu diesem Zeitpunkt zwar schon sehr weit gediehen[...], aber noch nicht abgeschlossen[...]" (Ebd.). Der Vortrag bilde demzufolge "dessen theoretisches Fundament", erklärt Sander weiter (Ebd.).
[3] Grundlage für diese Analyse bildet das literaturwissenschaftliche Werk Einführung in die Erzähltheorie von Martinez und Scheffel (Martinez, Matias und Scheffel, Michael: Einführung in die Erzähltheorie. 7. Aufl. München: C.H. Beck, 2007.).
[4] Ziolkowski, Theodore: Berlin Alexanderplatz, in: LGW-Interpretationen zu Alfred Döblin. Hrsg. von Ingrid Schuster. 1.Aufl. Stuttgart: Klett, 1980. S. 128 – 148.
[5] Kleinschmidt: Nachwort. S. 740.
[6] Zur Kennzeichnung der typischen Charakteristika des Essays wird die Einführung in die Neuere deutsche Literaturwissenschaft von Jeßing und Köhnen (Jeßing, Benedikt und Köhnen, Ralf: Einführung in die Neuere deutsche Literaturwissenschaft. 2., aktualisierte und erweiterte Aufl. Stuttgart / Weimar: J.B. Metzler, 2007. S. 210.) zur Grundlage genommen.
[7] Kleinschmidt: Nachwort. S. 740.
[8] Döblin, Alfred: Der Bau des epischen Werks, in: Schriften zu Ästhetik, Poetik und Literatur". Hrsg. von Erich Kleinschmidt. Olten / Freiburg i.Br.: Walter, 1989. S.215: „Ich beginne mit der Frage[...]“)
[9] Vgl. hierzu: SÄPL. S.658: „Es handelt sich um den [...] Roman Therese. Chronik eines Frauenlebens [...] des Wiener Dichter-Arztes Arthur Schnitzler.“
[10] Vgl. Kleinschmidt: Nachwort. S.740: „Eine strukturelle und argumentative Stimmigkeit kümmerte Döblin wenig. Pointierende Spontanität und oft auch bewusste Provokation sind die Antriebskräfte dieser Darstellungen [...]“.
[11] Jeßing und Köhnen: Einführung in die Neuere deutsche Literaturwissenschaft. S. 211.
[12] Jeßing und Köhnen: Einführung in die Neuere deutsche Literaturwissenschaft. S. 211.
[13] Sander: Alfred Döblin. S.282.
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