Im Gegensatz zur bisherigen Forschungsmeinung vertritt Gerd Althoff den Standpunkt, dass die gegen Heinrich IV. auf der Synode von Piacenza (1095) vorgebrachten Vorwürfe seitens seiner zweiten Gemahlin Praxedis-Adelheid nicht der bloßen Verleumdung dienten und damit frei erfunden waren, sondern dass diese schwerwiegenden Anschuldigungen durchaus ernstgenommen werden müssen. Er zieht dabei die Erwägung in Betracht, dass die 1089 geschlossene und äußerst ungewöhnlich erscheinende Verbindung Heinrichs mit der Witwe des sächsischen Markgrafen Heinrich III. von Stade allein dem Zweck diente, den Frieden, den Heinrich 1088 mit den Sachsen geschlossen hatte, zu sichern, indem Praxedis-Adelheid als Geisel Heinrichs für den Erhalt des Friedens seitens der Sachsen bürgte. Althoff verweist darauf, dass es bereits seit dem 9. Jahrhundert eine große Anzahl an Quellen gäbe, die von Ereignissen berichten, in denen der Frau die Rolle einer obses pacis zukomme. Ausgehend von dieser These kommt Althoff dann zu dem Schluss, dass es wohl zu einer Geiselschändung gekommen sein müsse, da man den Berichten der einschlägigen Quellen entnehmen könne, dass die Sachsen den mit Heinrich geschlossenen Frieden verletzt hätten.
In dieser Arbeit soll nun der Frage nachgegangen werden, inwieweit sich Althoffs These mit den Vorkommnissen jener Zeit und mit den mittelalterlichen Gepflogenheiten vereinbaren lässt. Dabei wird zuerst auf das Verhältnis Heinrichs IV. zu den Grafen von Stade und zum Magdeburger Erzbischof eingegangen werden. Anschließend wird die Institution der Geiselschaft allgemein betrachtet und in einem weiteren Punkt auf weibliche Geiseln eingegangen werden. Abschließend werden dann noch einige mittelalterliche Beispiele zum sogenannten Geiselverfall behandelt werden.
Vgl.: Bernoldi Chronicon, hg. von Ian Stuart Robinson (MGH SS rer. Germ. N.S. 14, 2003), S. 383-540, ad a.
1088, S. 458ff.;
Annales Augustani, hg. von Georg Heinrich Pertz (MGH SS 3, 1839), S. 123-136, ad a. 1088;
Liber de unitate ecclesiae conservanda, hg. von Wilhelm Schwenkenbecher (MGH Ldl 2, 1892), S. 173-284,
II, c. 25.
Vgl.: Konstanzer Arbeitskreis für Mittelalterliche Geschichte: Protokoll Nr. 395 über die Arbeitstagung auf der
Insel Reichenau vom 4.-7. April 2006. Thema: „Heinrich IV.“. Konstanz 2006, S. 85.
Vgl.: Ebd.
Vgl.: Ebd.
Inhaltsverzeichnis:
1.) Einleitung
2.) Zu den Grafen von Stade
3.) Zum Verhältnis zum Magdeburger Erzbischof
4.) Zur Institution der Geiselschaft
5.) Frauen als Geisel
6.) Beispiele zum Geiselverfall
7.) Schlussbetrachtung
8.) Quellen- und Literaturverzeichnis
1.) Einleitung
Im Gegensatz zur bisherigen Forschungsmeinung vertritt Gerd Althoff den Standpunkt, dass die gegen Heinrich IV. auf der Synode von Piacenza (1095) vorgebrachten Vorwürfe seitens seiner zweiten Gemahlin Praxedis-Adelheid nicht der bloßen Verleumdung dienten und damit frei erfunden waren, sondern dass diese schwerwiegenden Anschuldigungen durchaus ernstgenommen werden müssen. Er zieht dabei die Erwägung in Betracht, dass die 1089 geschlossene und äußerst ungewöhnlich erscheinende Verbindung Heinrichs mit der Witwe des sächsischen Markgrafen Heinrich III. von Stade allein dem Zweck diente, den Frieden, den Heinrich 1088 mit den Sachsen geschlossen hatte,[1] zu sichern, indem Praxedis-Adelheid als Geisel Heinrichs für den Erhalt des Friedens seitens der Sachsen bürgte.[2] Althoff verweist darauf, dass es bereits seit dem 9. Jahrhundert eine große Anzahl an Quellen gäbe, die von Ereignissen berichten, in denen der Frau die Rolle einer obses pacis zukomme.[3] Ausgehend von dieser These kommt Althoff dann zu dem Schluss, dass es wohl zu einer Geiselschändung gekommen sein müsse, da man den Berichten der einschlägigen Quellen entnehmen könne, dass die Sachsen den mit Heinrich geschlossenen Frieden verletzt hätten.[4]
In dieser Arbeit soll nun der Frage nachgegangen werden, inwieweit sich Althoffs These mit den Vorkommnissen jener Zeit und mit den mittelalterlichen Gepflogenheiten vereinbaren lässt. Dabei wird zuerst auf das Verhältnis Heinrichs IV. zu den Grafen von Stade und zum Magdeburger Erzbischof eingegangen werden. Anschließend wird die Institution der Geiselschaft allgemein betrachtet und in einem weiteren Punkt auf weibliche Geiseln eingegangen werden. Abschließend werden dann noch einige mittelalterliche Beispiele zum sogenannten Geiselverfall behandelt werden.
2.) Zu den Grafen von Stade
Heinrich III. von Stade war der Sohn des 1082 verstorbenen Lothar Udo II. von Stade, dem Markgrafen der sächsischen Nordmark.[5] Während der ersten Regierungsjahre Heinrichs IV. verfolgte Udo wohl eine königstreue Politik, was sich dann jedoch im Zuge der Fürstenopposition des Jahres 1073 änderte, auch wenn sich keine klaren Motive für seine Abkehr vom König ausfindig machen lassen.[6] Lampert von Hersfeld listet Udo in seinen Annalen zwar schon 1073 unter den Teilnehmern der Verschwörung auf,[7] jedoch trat Udo erst 1075 offen auf Seiten der Königsgegner auf. Bruno berichtet dazu in seinem Buch vom Sachsenkrieg, dass Udo in der Schlacht von Homburg auf Seiten der Sachsen kämpfte und hebt besonders hervor, dass er in dieser Schlacht beinahe seinen eigenen Vetter, den Herzog Rudolf von Schwaben, der auf der Seite des Königs kämpfte, erschlagen hätte.[8] Nach der Niederlage der Sachsen trat Udo allerdings als einer der ersten wieder zur königstreuen Seite über, indem er sich mit Heinrich darauf einigte, ihm einen seiner Söhne als Geisel und damit als Bürge für sein zukünftig politisch korrektes Verhalten zu überlassen, wofür ihm Heinrich im Gegenzug die Haft ersparte und auch die Mark nicht entzog.[9] Als eines der Hauptmotive für die Rückkehr zur königstreuen Seite könnten wohl wirtschaftliche Gründe gelten, so zum Beispiel die Ernteverluste, die durch das eigene Heer verursacht wurden.[10] Kurze Zeit später trat Udo dann zusammen mit Erzbischof Liemar von Bremen als Vermittler zwischen Heinrich und den sächsischen Fürsten auf.[11] Es gibt zwar keine Quellenbelege, die Aufschluss über das weitere Verhältnis zwischen Heinrich und Udo geben könnten,[12] jedoch lässt der Bericht zum Jahre 1085 im Annalista Saxo, der die zu dieser Zeit bestehende Bereitschaft der sächsischen Fürsten zur Aussöhnung mit Heinrich IV. unter anderem darauf zurückführt, dass einige erfahrene und gegen Heinrich kampfgeschulte Fürsten wie zum Beispiel eben dieser Markgraf Udo II. verstorben waren,[13] vermuten, dass das Verhältnis zwischen Udo und dem König weiterhin gespannt war. Auch über die politische Gesinnung seines ihm 1082 in der Markgrafschaft folgenden Sohnes Heinrich III., der wahrscheinlich 1075 Heinrich IV. als Geisel gedient hatte,[14] jedoch 1076 entkommen konnte,[15] lassen sich nur Vermutungen anstellen.[16] Richard Hucke ist der Ansicht, dass Heinrich ähnlich wie sein Vater ins antikönigliche Lager übertrat, da Heinrich IV. Erzbischof Liemar unterstützte, indem er die udonischen Grafschaftsrechte wieder der Lehnshoheit des Bremer Erzstifts unterstellte.[17] Heinrich hatte allerdings wohl kurz vor seinem Tode im Jahre 1087 ein Friedensbündnis mit Heinrich IV. geschlossen,[18] wahrscheinlich in Anlehnung an den Grafen Ekbert, der sich im gleichen Jahr dem Kaiser unterworfen hatte.[19] Als Heinrich der Lange 1087 kinderlos verstarb, folgte ihm sein Bruder Luder-Udo III. in der Markgrafschaft, für den es wieder Quellenbelege gibt, die bezeugen, dass er Kontakte zu antikaiserlichen Kreisen in Sachsen hatte (er stand zum Beispiel mit Bischof Herrand von Halberstadt und mit dem thüringischen Grafen Ludwig, welche beide dem Kaiser äußerst abgeneigt waren, in Kontakt).[20] Richard Hucke ist zudem der Ansicht, dass Luder-Udo III. im Dezember 1088 den von Heinrich IV. eingesetzten Erzbischof Liemar von Bremen während der Belagerung der Burg Gleichen gefangen nahm und widerspricht damit der bisherigen Forschungsmeinung seiner Zeit, die davon ausgeht, dass es sich bei dem Entführer um Lothar von Supplinburg handelte.[21] Hucke verweist in diesem Zusammenhang auf Stellen aus der Rosenfelder Chronik, aus der Chronik von Albert von Stade sowie aus den Bremer Annalen,[22] die einen comes Luderus[23] als Entführer des Erzbischofs nennen, wobei die letzteren beiden Quellen den Zusatz qui postea regnavit[24] bzw. postea imperatore[25] enthalten und damit auf Lothar von Supplinburg verweisen. Von diesen drei Quellen ist laut Hucke allerdings nur die Rosenfelder Chronik relevant, da diese Quelle die Familienverhältnisse der Grafen von Stade am genauesten darstelle und zudem über Albert von Stade sowie über den Verfasser der Bremer Annalen bekannt sei, dass sie an vielen Stellen fehlerhafte Aussagen enthalten.[26] Für seine Freilassung musste Erzbischof Liemar neben einem Lösegeld den Grafen als neuen Vogt der Bremer Vogtei einsetzen,[27] welche allerdings kurze Zeit später durch die Einschaltung Heinrichs IV., der seinem ihm treu ergebenen Erzbischof zur Seite stand, einem Unfreien zur Verwaltung übergeben werden musste.[28] Hucke verweist in diesem Zusammenhang auf das recht junge Alter von Lothar von Supplinburg, der 1088 gerade mal 13 Jahre alt war, und wirft die Frage auf, welchen Nutzen er von dem Erwerb von Bremen damals gehabt haben sollte,[29] was ihn zu dem Schluss führt, dass einzig und allein Luder-Udo III. ein ausgeprägtes Interesse an der Bremer Vogtei gehabt haben könnte, da er wohl in naher Verwandtschaft mit dem verstorbenen Vogt Friedrich von Goseck stand und damit anscheinend ein Anrecht auf die Bekleidung dieses für die Stader Grafen so wichtigen Amtes verband.[30]
Wenn also Althoffs These über Praxedis zutreffen würde, dann hätte sich Heinrich IV. durch die Heirat mit der Witwe eines Stader Grafen eine Geisel aus einem Hause verschafft, das ihm zwar (zumindest seit der Beendigung der Sachsenkriege) nicht offen feindselig gegenüberstand, zu dem jedoch latente Spannungen bestanden, welche er vielleicht durch diese Heirat am Ausbrechen hindern wollte. Althoff verweist auch besonders auf die Tatsache, dass diese Familie Heinrich IV. schon einmal eine Geisel zur Verfügung gestellt habe.[31]
3.) Zum Verhältnis zum Magdeburger Erzbischof
An dieser Stelle soll auf das Verhältnis zwischen Heinrich IV. und dem Erzbischof Hartwig von Magdeburg eingegangen werden, da dieser, obwohl er lange Zeit auf Seiten der antiköniglichen Partei kämpfte, im Jahre 1089 die Krönung an der Kaiserin vollzog,[32] und er damit dem Kölner Erzbischof Hermann II., dem eigentlich das Recht zustand, die Krönung zu zelebrieren, den Rang streitig machte.[33] Schon Hartwigs Vorgänger, Erzbischof Werner von Magdeburg, war 1073 während des Sachsenaufstandes einer der erbittertsten Feinde Heinrichs IV., obwohl er vor dem Aufstand Heinrich jahrelang freundlich gesonnen war.[34] Als Gründe für seine Abkehr vom König, dessen Feind er bis zu seinem Lebensende blieb,[35] finden sich in einem bei Bruno überlieferten Brief vier gegen Heinrich erhobene Vorwürfe in Bezug auf die Missachtung des Rechts, die Aneignung fremden Eigentums, Heinrichs Burgenbau in Sachsen und in Bezug auf das Verhalten der Burgbesatzungen.[36]
[...]
[1] Vgl.: Bernoldi Chronicon, hg. von Ian Stuart Robinson (MGH SS rer. Germ. N.S. 14, 2003), S. 383-540, ad a. 1088, S. 458ff.; Annales Augustani, hg. von Georg Heinrich Pertz (MGH SS 3, 1839), S. 123-136, ad a. 1088; Liber de unitate ecclesiae conservanda, hg. von Wilhelm Schwenkenbecher (MGH Ldl 2, 1892), S. 173-284, II, c. 25.
[2] Vgl.: Konstanzer Arbeitskreis für Mittelalterliche Geschichte: Protokoll Nr. 395 über die Arbeitstagung auf der Insel Reichenau vom 4.-7. April 2006. Thema: „Heinrich IV.“. Konstanz 2006, S. 85.
[3] Vgl.: Ebd.
[4] Vgl.: Ebd.
[5] Vgl.: Robinson, Ian Stuart: Henry IV. of Germany, 1056-1106. Cambridge 1999, S. 269.
[6] Vgl.: Fenske, Lutz: Adelsopposition und kirchliche Reformbewegung im östlichen Sachsen: Entstehung und Wirkung des sächsischen Widerstandes gegen das salische Königtum während des Investiturstreits. Göttingen 1977, S. 67.
[7] Vgl.: Lampert von Hersfeld: Annales, in: Lamperti monachi Hersfeldensis Opera, hg. von Oswald Holder-Egger (MGH SS rer. Germ. 38, 1894), S. 3-304, ad a. 1073, S. 150.
[8] Vgl.: Bruno: De bello saxonico liber, ed. W. Wattenbach (MGH SS rer. Germ. [15], 1880), c. 46, S. 45.
[9] Vgl.: Lampert, Annales, ad a. 1075, S. 224f.
[10] Vgl.: Hucke, Richard G.: Die Grafen von Stade, 900-1144. Genealogie, politische Stellung, Comitat und Allodialbesitz der sächsischen Udonen. (Einzelschriften des Stader Geschichts- und Heimatvereins, 8). Stade 1956, S. 86.
[11] Vgl.: Lampert, Annales, ad a. 1075, S. 229f.
[12] Vgl.: Fenske, Adelsopposition, S. 68.
[13] Vgl.: Annalista Saxo, hg. Georg Waitz (MGH SS 6, 1844), S. 542-777, ad a. 1085, S. 723.
[14] Vgl.: Hucke, Die Grafen von Stade, S. 32.
[15] Vgl.: Lampert, Annales, ad a. 1076, S. 274ff.
[16] Vgl.: Fenske, Adelsopposition, S. 68.
[17] Vgl.: Hucke, Die Grafen von Stade, S. 87 und 90f.
[18] Vgl.: Annales Sancti Disibodi, hg. von Georg Waitz (MGH SS 17, 1963), S. 4-30, ad a. 1087, S. 9.
[19] Vgl.: Lorenz, Hans: Bertha und Praxedis, die beiden Gemahlinnen Heinrichs IV. (Inaugural-Dissertation). Halle 1911, S. 59.
[20] Vgl.: Fenske, Adelsopposition, S. 68f.
[21] Vgl.: Hucke, Die Grafen von Stade, S. 87.
[22] Vgl.: Ebd., S. 143f.
[23] Chronikon Monasterii Rosenfeldensis seu Hassefeldensis, hg. von Johann Vogt (Monumenta inedita rer. Germanicarum, praecipue Bremensium I, 1740), S. 131f.; Annales Stadenses Auctore Alberto, hg. von Georg Heinrich Pertz (MGH SS 16, 1859), S. 271-379, ad a. 1089, S. 316; Annales Bremenses, hg. von Philipp Jaffé (MGH SS 17, 1861), S. 854-858, ad a. 1089, S. 855.
[24] Annales Stadenses Auctore Alberto, ad a. 1089, S. 316.
[25] Annales Bremenses, ad a. 1089, S. 855.
[26] Vgl.: Hucke, Die Grafen von Stade, S. 144.
[27] Vgl.: Ebd., S. 143.
[28] Vgl.: Ebd., S. 87.
[29] Vgl.: Ebd., S. 145f.
[30] Vgl.: Ebd., S. 143.
[31] Vgl.: Althoff, Gerd: Heinrich IV. Darmstadt 2006, S. 208 Anm. 40.
[32] Vgl.: Frutolf von Michelsberg / Ekkehard von Aura: Ekkehardi Uraugiensis Chronica , ed. Georg Waitz (MGH SS 6, 1844), S. 33-210, ad a. 1089, S. 104.; Liber de unitate ecclesiae conservanda, II, c. 26.
[33] Vgl.: Fenske, Adelsopposition, S. 201.
[34] Vgl.: Lüpke, Gunther: Die Stellung der Magdeburger Erzbischöfe während des Investiturstreites. (Inaugural- Dissertation). Halle-Wittenberg 1937, S. 8.
[35] Vgl.: Ebd., S. 11.
[36] Vgl.: Bruno, De bello saxonico, c. 42.
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- Silke Böhm (Author), 2008, Praxedis-Adelheid - Eine Geisel für den Frieden?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/128634
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