Die Masterarbeit ordnet die recht junge Profession der Kitasozialarbeit in das bestehende System der Kinder- und Jugendhilfe ein und stellt die unterschiedlichen Ausprägungen von Kitasozialarbeit in Deutschland dar. Ziel der Arbeit ist es, ein Profil von Kitasozialarbeit herauszuarbeiten und die Notwendigkeit eines solchen Angebots zu begründen.
Die gesellschaftlichen Bedingungen sind einem stetigen Wandel unterworfen. Eltern und Familien stehen zunehmend unter Druck und die Belastungen für und Anforderungen an sie nehmen zu. Die Corona-Pandemie und die damit einhergehenden psychosozialen und ökonomischen Folgen verstärken dieses Entwicklung. Kindertageseinrichtungen versuchen dem zu begegnen, in dem sie sich zunehmend für die Familien der Kinder und den Sozialraum öffnen und sich zu einer multifunktionalen Institution weiterentwickeln.
Damit Kinder nachhaltig gefördert werden können, müssen so früh wie möglich Maßnahmen ergriffen werden, die Eltern in ihrer Erziehungskompetenz stärken. Um dieser Aufgabe gerecht werden zu können, braucht es ein ergänzendes Tätigkeitsfeld in der Kita, das präventiv, niedrigschwellig und sozialraumorientiert ausgerichtet ist, so wie die Kitasozialarbeit.
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
Anlagenverzeichnis
1 Einleitung
1.1 Erkenntnisinteresse und Relevanz
1.2 Zielsetzung und Forschungsfragen
1.3 Aufbau der Arbeit
2 Theoretische Grundlagen
2.1 Kitasozialarbeit: Versuch einer rechtlichen Verortung im System der Kinder- und Jugendhilfe
2.1.1 Frühe Hilfen und die Zielgruppenproblematik
2.1.2 Kitasozialarbeit als „kleine Familienhilfe“?
2.1.3 Kitasozialarbeit als „Lückenschließerin“?
2.2 Kitasozialarbeit als präventives Angebot in der Kinder- und Jugendhilfe
2.3 Gegenüberstellung des Handlungsfeldes Kindertageseinrichtung und der Profession Soziale Arbeit
2.3.1 Kindertageseinrichtung
2.3.1.1 Gesetzliche Grundlage
2.3.1.2 Zielgruppe und Aufgaben
2.3.1.3 Kritik an der Umsetzung der Erziehungs- und Bildungspartnerschaft
2.3.2 Soziale Arbeit
2.3.2.1 Gesetzliche Grundlage
2.3.2.2 Begriffsklärung und Definition
2.3.2.3 Zielgruppe und Aufgaben
2.3.2.4 Charakteristik und Arbeitsprinzipien der Sozialen Arbeit
2.3.3 Zwischenfazit
2.4 Ansätze und Varianten von Kitasozialarbeit
2.5 Notwendigkeit von Sozialer Arbeit in Kindertageseinrichtungen
3 Methodik der empirischen Untersuchung
3.1 Stand der Forschung
3.2 Forschungsdesign
3.3 Erhebungsmethoden
3.2.1 Selektive Internetrecherche
3.2.2 Dokumentenanalyse
3.4 Datenerhebung und Auswertung
3.4.1 Selektive Internetrecherche
3.4.2 Dokumentenanalyse
4 Ergebnisse - Interpretation der Ergebnisse
5 Fazit und Ausblick
Literaturverzeichnis
Anhang
Abstract
Die gesellschaftlichen Bedingungen sind einem stetigen Wandel unterworfen. Eltern und Familien stehen zunehmend unter Druck und die Belastungen für und Anforderungen an sie nehmen zu. Die Corona-Pandemie und die damit einhergehenden psychosozialen und ökonomischen Folgen verstärken dieses Entwicklung. Kindertageseinrichtungen versuchen dem zu begegnen, in dem sie sich zunehmend für die Familien der Kinder und den Sozialraum öffnen und sich zu einer multifunktionalen Institution weiterentwickeln.
Damit Kinder nachhaltig gefördert werden können, müssen so früh wie möglich Maßnahmen ergriffen werden, die Eltern in ihrer Erziehungskompetenz stärken. Um dieser Aufgabe gerecht werden zu können, braucht es ein ergänzendes Tätigkeitsfeld in der Kita, das präventiv, niedrigschwellig und sozialraumorientiert ausgerichtet ist, so wie die Kitasozialarbeit.
Im Erkenntnisinteresse dieser Masterarbeit steht die Einordnung der recht jungen „Profession“ Kitasozialarbeit in das bestehende System der Kinder- und Jugendhilfe und die Darstellung der unterschiedlichen Ausprägungen von Kitasozialarbeit in Deutschland. Ziel der Arbeit ist es, ein Profil von Kitasozialarbeit herauszuarbeiten und die Notwendigkeit eines solchen Angebots zu begründen. Mit Hilfe einer selektiven Internetrecherche werden zwölf Modelle von Kitasozialarbeit aus dem gesamten Bundesgebiet ermittelt, von denen schließlich neun mit Hilfe einer Dokumentenanalyse nach einheitlichen Kriterien untersucht werden. Im Ergebnis konnte herausgestellt werden, dass Kitasozialarbeit einen wichtigen Beitrag zur Prävention und zu einer sozialräumlich orientierten Kinder- und Jugendhilfe leisten kann. Sie kann zudem eine Entlastung der pädagogischen Fachkräfte der Kita und eine Förderung von Teilhabe- und Chancengerechtigkeit bewirken.
Die vorliegende Arbeit kann für Bund, Länder und Gemeinden, sowie für alle Interessierte, die ebenfalls Kitasozialarbeit in ihrem Zuständigkeitsbereich etablieren möchten, einen ersten Überblick zur Thematik geben und einen Beitrag zur Profilbildung leisten.
Anmerkung der Redaktion: Aus urheberrechtlichen Gründen sind die Anhänge 2 bis 5 nicht in der Publikation enthalten. Diese können jedoch anhand der Quellenangaben selbst recherchiert werden.
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Entwicklungsströme
Abbildung 2: Überblick Hilfeformen für Familien mit Kindern von 0-10 Jahren
Abbildung 3: System präventiver Maßnahmen für Familien im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe
Abbildung 4: Aufgaben und Erfolgskriterien der Kitasozialarbeit
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Verwendete Dokumente für die Dokumentenanalyse
Tabelle 2: Übersicht Kitasozialarbeit in Deutschland
Anlagenverzeichnis
Anlage 1 Profil von Kitasozialarbeit, (Seite 1-4)
Anlage 2 Berlin/ Sozialdiakonische Arbeit Lichtenberg-Oberspree GmbH, “Kurzkonzept „Aktivierende Eltemarbeit in Kitas“, (Seite 1-12)
Anlage 3 Berlin/ Kinder- und Jugend der Volkssolidarität Berlin gGmbH, KitaSozialArbeit, Konzept, (Seite 1-7)
Anlage 4 Bochum/ Konzeption der Kitas-Sozialarbeit beim Jugendamt Bochum, (Seite 1-20)
Anlage 5 Westerwaldkreis/Kita-Sozialarbeit, Konzeption, (Seite 1-26)
1 Einleitung
Um die Gelingensbedingungen für das Aufwachsen aller Kinder zu verbessern und den Familien der Kinder in sozialräumlicher Nähe Hilfe zur Selbsthilfe anbieten zu können, kann das Konzept von Kitasozialarbeit (kurz: KSA) einen wertvollen Beitrag leisten. Lorenz et. al. (2013, S. 1) konstatieren, dass Kindertageseinrichtungen1 als Orte, an denen und von denen aus Hilfe organisiert und geleistet wird, an Bedeutung gewinnen. Auch das Bundesjugendkuratorium geht davon aus, dass Kindertageseinrichtungen zukünftig vermehrt und intensiver mit Aufgaben der Sozialen Arbeit konfrontiert werden (vgl. BJK 2008, S.ll), was eine konzeptionelle und organisationale Anpassung erforderlich macht, um den zunehmenden Anforderungen und Bedarfen gerecht werden zu können. Insbesondere in den letzten zehn Jahren haben sich mehr und mehr Kommunen, Landkreise und vereinzelt auch Bundesländer (z.B. Berlin, Sachsen, Rheinland-Pfalz) in Deutschland bereits auf den Weg gemacht, um Sozialarbeiterinnen an Kindertageseinrichtungen anzuschließen. Damit wird ein neues Arbeits- und Handlungsfeld in der Sozialen Arbeit konstituiert. Die Hoffnung die damit einhergeht ist, Familien frühzeitig beraten und unterstützen zu können und dadurch später anfallende Hilfen zur Erziehung zu vermeiden. Gleichfalls könnte Kitasozialarbeit das Personal in Kindertageseinrichtungen entlasten und zur multiprofessionellen Ausrichtung der KitaTeams beitragen.
Aufgrund ihrer Niedrigschwelligkeit und dem natürlichen täglichen Kontakt zu den Familien der betreuten Kinder, sind Kindertageseinrichtungen hervorragend geeignet, Familien mit Hilfe- und Beratungsbedarf zu erreichen. Zudem sind Sozialarbeiterinnen aufgrund ihrer Qualifikation, methodisch und theoretisch geschult darin, Menschen bei der Lebensbewältigung zu unterstützen und in ihrer Autonomie zu stärken. Diese aktuelle Entwicklung stützt sich auch auf die positiven Erfahrungen mit der Schulsozialarbeit und der Erkenntnis, dass viele Familien und Kinder bereits vor der Einschulung Hilfe- und Beratungsbedarf benötigen (vgl. DFV 2020).
Die Notwendigkeit ergibt sich aus den aktuellen gesellschaftlichen und sozialen Entwicklungen. Die Pluralisierung der Familienformen, die steigende Armut von Familien mit Kindern, die Integrationsherausforderungen für Flüchtlingsfamilien, sowie die psychischen und sozialen Folgen der Corona-Pandemie sind die Herausforderungen der Gegenwart für die Kinder- und Jugendhilfe. Zudem führt die Emanzipation der Frau im Berufsleben nicht nur zu einer Verschiebung der Geschlechterverhältnisse, sondern auch zur Problematik der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Aufgrund der zunehmenden Müttererwerbsarbeit nutzen Familien immer mehr und immer früher öffentliche Kinderbetreuungseinrichtungen, wodurch diese auch zur primären Sozialisationsinstanz für die Kinder werden. Dadurch erfolgt die Sozialisation nunmehr in gemeinsamer Verantwortung von Familie und Kindertageseinrichtung.
Des Weiteren haben die Ergebnisse der PISA und OECD Studien dazu beigetragen, die Bedeutung von Kindertageseinrichtungen als erste Stufe im Bildungssystem herauszustellen. Dies zeigt sich auch an dem familienpolitischen Ziel der Bundesregierung aus der „Agenda 2030 - Nachhaltige Familienpolitik“ bis zu diesem Zeitpunkt 35 % aller null- bis zweijährigen und 70 % aller drei- bis fünfjährigen Kinder eine Kindertageseinrichtung besuchen können (vgl. BMFSFJ 2019, S. 4). Dadurch werden zukünftig noch mehr Kinder in Kindertageseinrichtungen sozialisiert und der Einfluss des Elementarbereichs für die Bildungsbiografien der Kindern wächst.
Der 9. Familienbericht (2021, S. 497) kam zudem zu der Erkenntnis, dass Elternschaft heute in mehrfacher Hinsicht eine Intensivierung erfahren hat. Sie beansprucht zunehmend beide Eltern, erfordert von denen „komplexer werdendes Orientierungswissen“ und birgt die Gefahr einer Überforderung von Eltern. Die Sachverständigenkommission empfiehlt deshalb, dass Eltern einerseits passgenaue Entlastungs- und Unterstützungsangebote erhalten und, dass sie anderseits durch geeignete Maßnahmen in ihren Kompetenzen gestärkt werden. Dies soll durch ein kooperatives Zusammenwirken unterschiedlicher Professionen und Institutionen unterstützt werden (vgl. ebd.). Auch der neugeschaffene § 16 Abs. 1S.2 SGB VIII, der durch das Kinder- und Jugendstärkungsgesetz (KJSG) vom 3. Juni 2021 eingefügt wurde, manifestiert diese Forderung mit den Worten:
„Müttern, Vätern, anderen Erziehungsberechtigten und jungen Menschen sollen Leistungen der allgemeinen Förderung der Erziehung in der Familie angeboten werden. Diese Leistungen sollen Erziehungsberechtigte bei der Wahrnehmung ihrer Erziehungsverantwortung unterstützen und dazu beitragen, dass Familien sich die für ihre jeweilige Erziehungs- und Familiensituation erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten insbesondere in Fragen von Erziehung, Beziehung und Konfliktbewältigung, von Gesundheit, Bildung, Medienkompetenz, Hauswirtschaft sowie der Vereinbarkeit von Familie und Erwerbstätigkeit aneignen können und in ihren Fähigkeiten zur aktiven Teilhabe und Partizipation gestärkt werden. [...] Dabei soll die Entwicklung vernetzter, kooperativer, niedrigschwelliger, partizipativer und sozialraumorientierter Angebotsstrukturen unterstützt werden.“
Die Soziale Arbeit in Kitas könnte ein solches Angebot im Sinn von § 16 Abs. 1 S. 2 SGB VIII darstellen und Eltern bei der Wahrnehmung ihrer Erziehungsverantwortung unterstützen. Kindertageseinrichtungen haben eine große Relevanz als familienunterstützende Institutionen im Sozialraum, und eignen sich, da sie einen hohen Verbreitungsgrad haben und sich meist in Wohnortnähe der Familien befinden, als Türöffner für die Soziale Arbeit. Sie sind in der Regel die erste Bildungsinstanz mit der Kinder und deren Familien in Berührung kommen und haben so die Möglichkeit Förderund Unterstützungsbedarfe frühzeitig zu unterbreiten, wodurch langwierige spätere Hilfefälle vermieden werden können (vgl. Lindner et al. 2008, S. 279).
Die Entwicklung von Kitasozialarbeit beruht auf den positiven Erfahrungen und Effekten von Schulsozialarbeit und der Erkenntnis, dass die Probleme und Hilfebedarfe bei Familien und Kindern bereits vor Schuleintritt bestanden und mangels geeigneter niedrigschwelliger Angebote nicht frühzeitig bearbeitet werden konnten. Während Schulsozialarbeit bzw. schulbezogene Jugendsozialarbeit, als engste Form der Kooperation von Kinder- und Jugendhilfe und Schule, seit den 1970er Jahren in Deutschland ein stetig wachsendes Arbeitsfeld darstellt, ist der Verbreitungsgrad von Kitasozialarbeit noch sehr überschaubar. Weitgehend offen ist des Weiteren, was genau unter Kitasozialarbeit zu verstehen ist und wie sie gestaltet ist. Es gibt noch relativ wenige recherchierbare Projekte, Konzepte und Materialien zu dieser Thematik, die zudem sehr unterschiedliche Zugänge und Verständnisse von Kitasozialarbeit aufweisen (vgl. Drößler 2021, S. 192).
1.1 Erkenntnisinteresse und Relevanz
Das Erkenntnisinteresse und die Relevanz gehen einher mit den aktuellen Trends in der Fachwissenschaft und Politik, die nachfolgend kurz umrissen werden sollen.
Der Trend in Politik und Wissenschaft geht seit einigen Jahren zu einer starken Verbindung von Familienbildung bzw. -förderung und Sozialraumorientierung mit der Kindertagesbetreuung, weshalb Bund, Länder und Gemeinden die Weiterentwicklung von Kindertageseinrichtungen zu Einrichtungen für die Familie als Ganzes mit vielfältigen Projekten und Programmen unterstützen (z.B. ,,ESF Plus-Programm EltemchanceN - mit Elternbegleitung Familien stärken“ (bundesweit), „KINDER STÄRKEN“ (Sachsen), „Eltern aktiv“ (Berlin), „Kita!Plus!Sozialraum“ (Rheinland-Pfalz), „Weiterentwicklung von Kindertageseinrichtungen zu Kinder- und Familienzentren“ (Baden-Württemberg), „Familienbildung nah dran“ (Landkreis Mecklenburgische Seenplatte)). Die teilnehmenden Kindertageseinrichtungen werden dann zu Familienkitas oder Eltern-Kind-Zentren (auch: Kinder- und Familienzentrum; Familienzentrum) weiterentwickelt. Ein weiterer Trend ist, dass zur Unterstützung von Familien ein/e Kitasozialarbeiter*in das Angebot, Team und Profil der Kindertageseinrichtung erweitert. Zur Veranschaulichung der Entwicklungsströme im Kitabereich soll die folgende Abbildung 1 dienen.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Entwicklungsströme (eigene Darstellung)
Der niedrigschwellige und sozialraumorientierte Ansatz eint alle drei Entwicklungsströme, die Einbindung von Sozialer Arbeit in den Elementarbereich ebenfalls. Kritik gibt es von den Jugendamtsleitungen aller 16 Bundesländer zu der bisherigen Programm- und Projektpraxis in Deutschland (vgl. Online-Befragung BMFSFJ 2017, S. 19). Hier wünscht man sich eine bessere inhaltliche Abstimmung von Bundes- und Landesprogrammen, sowie kommunalen Bemühungen zur Unterstützung von Familien, um Ressourcen besser zu bündeln und nachhaltige und dauerhafte Hilfen anbieten zu können. Zudem begrüßen sie eine stärkere Sozialraumorientierung der Angebote der Familienbildung und -förderung und sehen den zunehmenden Bedarf in der Schaffung oder Weiterentwicklung von Formaten zur Integration von Familien mit Kindern mit Behinderung (vgl. ebd.).
Eine weitere Entwicklung in der Familienförderungslandschaft ist, dass das einrichtungsübergreifendes Denken und Handeln stärker in den Vordergrund rückt. Die Vernetzung mit anderen Kooperationspartnern im Sozialraum von den Frühen Hilfen bis zur Schule gewinnt an Bedeutung, um den Familien vor Ort mehr vernetzte Angebote unterbreiten zu können (vgl. Chwoika/Correll/Lepperhoff 2022, S. 16). Hier sind Kindertageseinrichtungen gefordert, sich zum Sozialraum zu öffnen, Kooperationen einzugehen und die Familien der Kinder stärker in den Blick zu nehmen.
Durch die aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen und Trends, brauchen Familien mit Kindern bis zum Schuleintritt präventive, niedrigschwellige und sozialraumorientierte Unterstützungsangebote. Insofern ergibt sich die gesellschaftliche Relevanz dieses Themas aus den zuvor benannten Punkten. Auch aus theoretischer und empirischer Sicht ist das Thema von Bedeutung, da es sich um ein recht junges und wenig erforschtes Arbeitsfeld handelt. Um an diesem Zustand etwas zu ändern und eine Profilbildung der Kitasozialarbeit zu unterstützen, soll diese Arbeit einen Beitrag leisten. Sie wird sich dabei primär auf Entwicklungen in Kindertageseinrichtungen konzentrieren, die Kitasozialarbeiter*innen konzeptionell in ihr Angebotsportfolio mit einschließen. Die anderen genannten Entwicklungsströme im Kitabereich sollen nur flankierend erwähnt werden.
Es wird davon ausgegangen, dass Kitasozialarbeit einen wichtigen Beitrag leisten kann, damit Kindertageseinrichtungen zukünftig sozialraumorientierter arbeiten. Dies ist eng verwoben mit einem Organisationsentwicklungsprozess der Kita, da dies die Strukturen, Funktionen und letztlich die Identität der Organisation Kita (vgl. 7 Wesenselemente nach Glasl/ Lievegoed 2021, S. 157 ff.) beeinflusst. Sie kann zudem multiprofessionelles Arbeiten im Team (vgl. Deutscher Verein 2022, S. 10), sowie inter- und transdisziplinäres Arbeiten in der Kita und im Sozialraum befördern.
Schließlich eröffnet Kitasozialarbeit dem örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe vielfältige Möglichkeiten einer frühzeitigen Prävention. Für den Begriff Prävention gibt es aufgrund seiner Interdisziplinarität vielfältige Definitionen. Eine eher pädagogisch orientierte Definition von Flösser (1995, S. 62), die dieser Arbeit zu Grunde gelegt werden soll, lautet: „Prävention bezeichnet Maßnahmen zur Verhinderung oder Minderung von zukünftigen Störungen, Beeinträchtigungen oder Schädigungen der Entwicklung von Kindern und Jugendlichen“.
1.2 Zielsetzung und Forschungsfragen
Mit der vorliegenden Masterarbeit soll die Notwendigkeit von Kitasozialarbeit als präventives, niedrigschwelliges, sozialraumorierntiertes Angebot in Kindertageseinrichtungen erläutert werden.
Ziel der Arbeit ist es, einen Überblick über die Projekte, Modelle und Programme zur Kitasozialarbeit in Deutschland zu geben. Es soll quasi zunächst der Ist-Stand ermittelt werden. Dies bezieht sich vor allem auf die konzeptionelle Ausgestaltung der Kitasozialarbeit. Anschließend soll der Versuch unternommen werden, das Gemeinsame bzw. den Kern von Kitasozialarbeit zu beschreiben. Darauf aufbauend kann schließlich das Profil von Kitasozialarbeit in Deutschland dargestellt werden.
Das Forschungsthema der Arbeit ist in zwei Disziplinen, der Elementarpädagogik (bzw. Frühpädagogik) und der Sozialen Arbeit, verortet. Forschungsleitend sollen folgende Fragen sein:
Frage 1: Welche Ausprägungen von Kitasozialarbeit gibt es derzeit in Deutschland?
Frage 2: Welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede bestehen zwischen den vorliegenden Konzeptionen und Programmen zur Kitasozialarbeit?
Frage 3: Welches Profil lässt sich daraus für die Kitasozialarbeit ableiten?
Im Ergebnis soll deutlich werden, warum es sich lohnt, Kitasozialarbeit in das System Kita zu integrieren und welchen Beitrag sie zur Sozialraumentwicklung und zur Förderung von Teilhabe- und Chancengerechtigkeit leisten kann.
1.3 Aufbau der Arbeit
In der vorliegenden Arbeit wird der Schwerpunkt auf der Herleitung des Profils von Kitasozialarbeit und den Ergebnissen der Dokumentenanalyse liegen. Da das Thema der Masterarbeit ein noch recht junges Angebot der Kinder- und Jugendhilfe zum Gegenstand hat, gibt es derzeit noch wenig Primär- und Sekundärliteratur dazu. Aus diesem Grund wird zur Bearbeitung des Themas gleichfalls Literatur der Frühen Hilfen, der Sozialen Arbeit mit Familien und der Schulsozialarbeit herangezogen.
Zur Beantwortung der Forschungsfragen wurde zur Erhebung und Auswertung der notwendigen Daten eine selektive Internetrecherche und eine Dokumentenanalyse angewendet.
Die Arbeit teilt sich in drei Bereiche auf. In dem ersten theoretischen Teil werden Vorüberlegungen zur rechtlichen Verortung der Kitasozialarbeit, zu ihrer präventiven Wirkung, zu den Besonderheiten von Kindertageseinrichtungen und Sozialer Arbeit festgehalten, sowie die Notwendigkeit der Etablierung eines solchen Angebots aufgezeigt. Im zweiten empirischen Teil sollen die unterschiedlichen Modelle von Kitasozialarbeit in Deutschland vorgestellt und analysiert werden. Im Abschließenden dritten Teil werden die Ergebnisse zusammengefasst und präsentiert.
2 Theoretische Grundlagen
2.1 Kitasozialarbeit: Versuch einer rechtlichen Verortung im System der Kinder- und Jugendhilfe
In dem nachfolgenden Abschnitt soll zunächst der Versuch unternommen werden, Kitasozialarbeit im System der Kinder- und Jugendhilfe und des SGB VIII rechtlich einzuordnen. Ausgehend von den Frühen Hilfen als häufig erste Form der Unterstützung, die Eltern mit Kindern in Anspruch nehmen, soll aufgezeigt werden, wo eine Lücke im System besteht, die durch Kitasozialarbeit geschlossen werden könnte.
2.1.1 Frühe Hilfen und die Zielgruppenproblematik
Die Frühen Hilfen umfassen verschiedene niedrigschwellige, freiwillige und kostenlose Unterstützungsangebote „für Eltern ab der Schwangerschaft und Familien mit Kindern bis drei Jahre“ (vgl. Nationales Zentrum Frühe Hilfen 2022). Dazu bildeten sich lokale und regionale Unterstützungssysteme mit „möglichst frühzeitigen, koordinierten und multiprofessionellen Hilfsangeboten“ (§ 1 Abs 4 KKG). Sie sind regional unterschiedlich ausgeprägt und umfassen beispielsweise Familienlots*innen, Eltern-Kind-Treffs oder Schwangerschaftsberatungsstellen.
Durch das am 1. Januar 2012 in Kraft getretenen Bundeskinderschutzgesetz (BKiSchG) wurden "Frühe Hilfen" als Instrument der präventiven Zusammenarbeit von Kinder- und Jugendhilfe und Gesundheits- und Sozialwesen erstmals gesetzlich verankert. Kritik gab es von Beginn an, an der begrenzten Zielgruppe der Hilfen auf Familien mit Kindern von null bis drei Jahren, obwohl § 1 Abs. 4 KKG versucht durch die Formulierung „vor allem“ den Kreis der Adressaten durchlässig zu gestalten. In der „Arbeitshilfe zum Auf- und Ausbau der Frühen Hilfen“ des Landesjugendamtes Rheinland-Pfalz (2012, S. 9) heißt es deshalb:
„Da sich das Verständnis von Frühen Hilfen auch auf eine „rechtzeitige“ Hilfe beziehen kann, ist eine sehr enge Begrenzung der Altersgruppe von null bis drei Jahren nicht ganz nachvollziehbar, wenngleich Kleinkinder in den ersten drei Lebensjahren besonders gefährdet sind. Auch Familien mit Kleinkindern ab dem dritten Lebensjahr benötigen rechtzeitige Unterstützung und Hilfe. Eltern können in Überforderungssituationen an ihre Grenzen (der Erziehungsfähigkeit) geraten, wenn ihr Kind das dritte Lebensjahr bereits überschritten hat. Auch in diesen Fällen können Angebote zur Stärkung der Erziehungsund Beziehungskompetenz angemessen sein, ohne dass ein Antrag auf Hilfe zur Erziehung gestellt werden muss.“.
Dies führt seither zunehmend dazu, dass die ursprüngliche Zielgruppe der Frühen Hilfen von einigen Netzwerken eigenmächtig um die Altersgruppe der drei bis sechsjährigen erweitert wird, um Präventionslücken zu schließen (vgl. Stadt Menden, 2019, S. 4; Webseite der Stadt Hannover). Aus diesem Grund besteht hier dringender Nachbesserungsbedarf seitens des Gesetzgebers. So könnte entweder auf die Erweiterung des Adressatenkreises der Frühen Hilfen und eine Änderung des § 1 Abs. 4 KKG hingewirkt werden oder die Lücke könnte durch ein anderes niedrigschwelliges Hilfsangebot geschlossen werden.
2.1.2 Kitasozialarbeit als „kleine Familienhilfe“?
Neben den Frühen Hilfen können Eltern zudem Unterstützung aus dem Bereich Hilfen zur Erziehung (HzE) gern. § 27 ff. SGB VIII in Form der sozialpädagogischen Familienhilfe (SPFH) gern. § 31 SGB VII erhalten. Dies erfolgt allerdings erst nach Antragstellung beim Jugendamt, was für manche Familien eine unüberwindbare Hürde darstellt. Die Befürworter einer sozialraumorientierten Kinder- und Jugendhilfe kritisieren deshalb das Bewilligungsverfahren einer HzE als zu bürokratisch und hochschwellig für belastete Familien und fordern mehr Sozialraumorientierung in den Hilfen (vgl. Gerlach/ Hinrichs 2014, S. 3). Oft sind es gerade diejenigen Familien, die aufgrund erhöhter Belastungen am meisten von den Angeboten und Hilfen profitieren könnten, die, die nicht erreicht werden. Wenn stattdessen die Familien die Angebote nutzen, die hauptsächlich der Mittelschicht angehören und sich dadurch die gesellschaftliche Ungleichheit verstärkt, spricht vom sog. „Präventionsdilemma“ (vgl. Neumann/Renner 2016).
Laut Diller (2006, S. 13) ist zudem das System der sozialpädagogischen Familienhilfe und dessen familienbezogene Bildungs- und Beratungsangebote, den Eltern häufig nicht bekannt. Zudem haben die Eigenheiten, Traditionen und gesetzlicher Rahmenbedingungen der verschiedenen Systeme (z.B. Familienzentrum, Kindertageseinrichtung, Familienhilfe) zur „Versäulung“ von Angeboten und der Entwicklung von Monopol- und Revierdenken geführt (vgl. ebd. S. 12). Eine systematische Verknüpfung von Kindertageseinrichtungen mit Institutionen und Angeboten der Familienbildung und -beratung findet noch nicht flächendeckend statt.
Gerlich und Hinrichs (2014, S. 5) stellen weiterhin fest, dass die Kinder- und Jugendhilfe entweder zu teuer oder zu ineffektiv ist. Die Kosten für HzE sind seit Einführung des SGB VIII im Jahr 1990 kontinuierlich gestiegen. Unklar ist, ob dies mit der ineffektiven Hilfegestaltung oder einem gestiegen Bedarf aufgrund gesellschaftlicher, politischer oder ökonomischen Entwicklungen zusammenhängt.
Um Familien dennoch niedrigschwellig zu erreichen, könnte man sich der Kitasozialarbeit bedienen. Kitasozialarbeit hat nach Mühl und Kemp (2017, S. 465) einen präventiven und sozialraumorientierten Charakter. Sie kann die Menschen dort erreichen, wo sie sind und ist nicht an ein Antragsverfahren gekoppelt, so dass Unterstützung unmittelbar und situativ geleistet werden kann. Zudem unterliegt diese Hilfeform keinen inhaltlichen und zeitlichen Vorgaben, so dass Arbeitsstunden, aber auch Aufträge und Fälle individuell und flexibel auf die Bedarfe der Familien abgestimmt werden können (ebd.). Sie wird deshalb teilweise auch als „kleine Familienhilfe“ bezeichnet, da sie weniger umfangreich ist, als die klassische Sozialpädagogische Familienhilfe. Obwohl ihr partiell intervenierender Charakter zugeschrieben wird, ist sie überwiegend präventiv orientiert, „da hierdurch herkömmliche und kostenintensivere HzE vermieden werden können“ (ebd., S. 466). Getreu dem Motto: „Wer früh investiert, muss später nicht zahlen!“ (vgl. Hearmeyer/Sickmann 2016, S. 93) kann Kitasozialarbeit ein der antragspflichtigen Familienhilfe vorgelagertes, niedrigschwelliges Angebot in Form einer „kleinen Familienhilfe“ darstellen.
2.1.3 Kitasozialarbeit als „Lückenschließerin“?
Die nachfolgende Abbildung 2 zeigt die bestehenden gesetzlich verankerten Hilfeformen für Familien in belastenden Lebenslagen im zeitlichen Verlauf - von der frühen Kindheit bis zur Grundschulzeit. Die Hilfen kommen aus dem Bereich der Kinder- und Jugendhilfe (SGB VIII), dem Gesundheitswesen (SGB V) und der Frühförderung (SGB VIII, IX, XII).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2: Überblick Hilfeformen fürFamilien mitKindern von 0-10Jahren (eigene Darstellung)
Wenn Eltern Unterstützung und Beratung rund um Schwangerschaft und Geburt suchen, gibt es aus dem Bereich der Frühen Hilfen Unterstützung in Form von Schwangerschaftsberatung und Familienhebammen. Daran anschließend haben Eltern von Kindern im Alter von null bis sechs Jahren die Möglichkeit, für ihr Kind Frühförderung zu bekommen. Zur Stärkung der eigenen Erziehungskompetenz gibt es darüber hinaus Angebote der Eltern- und Familienbildung, sowie der Erziehungs- und Familienberatung. Weiterhin haben Eltern einen Rechtsanspruch auf Hilfen zur Erziehung für sich und ihr Kind, „wenn eine dem Wohl des Kindes (...) entsprechende Erziehung nicht gewährleistet ist und die Hilfe für seine Entwicklung geeignet und notwendig ist“ (gern. § 27 Abs. 1 SGB VIII). Dieser Anspruch besteht bis zur Volljährigkeit des Kindes. Auch ein Rückgriff auf die Frühen Hilfen wäre möglich, allerdings vorrangig für Familien von Kindern von null bis drei Jahren. Durch die Spezialisierung der frühen Hilfen auf diese Altersgruppe, können Eltern deren Kinder bereits älter sind, nicht auf dieses Angebot zurückgreifen. Somit lässt sich aufzeigen, dass Kindern im Alter von drei bis sechs Jahren und ihren Eltern kein explizites niedrigschwelliges und präventives Angebot zur Früherkennung von gefährdeten Entwicklungen ihres Kindes und Unterstützung zur Bewältigung von Problemen in der Familie zur Verfügung steht. Insofern gibt es im System der Kinder- und Jugendhilfe, insbesondere mit Blick auf den Kinderschutz, eine Präventionslücke.
Diese Lücke, die auch eine Angebots- und Hilfelücke ist, könnte nicht nur durch eine Erweiterung der Zielgruppe der Frühen Hilfe, sondern auch durch die Installierung von Kitasozialarbeit in allen Kindertageseinrichtungen geschlossen werden. Dieses niedrigschwellige Angebot wäre für alle Eltern im Elementarbereich zugänglich und kann eine Brücke bauen zum Angebot der Schulsozialarbeit im Grundschulbereich (Primarbereich).
Der Klärung bedarf deshalb die zukünftige Verortung der Kitasozialarbeit, als Bindeglied zwischen Kindertageseinrichtung und Kinder- und Jugendhilfe, innerhalb des Jugendhilfesystems und innerhalb des SGB VIII. Dies könnte einerseits im Bereich der (erweiterten) Frühen Hilfen oder im Bereich der Hilfen zur Erziehung in Form der sozialpädagogischen Familienhilfe sein. Ebenfalls denkbar wäre die Verortung im Bereich der Kindertagesförderung beispielsweise im Rahmen des Leistungsangebots der Einrichtungen. Dafür spricht, dass das sogenannte „Gute-Kita-Gesetz“, dessen finanzielle Mittel auch für die Kitasozialarbeit genutzt werden, zur Förderung von Projekten im Bereich Kindertagesförderung ausgelegt wurde. Auch das Projekt „Kita-Einstieg: Brücken bauen in frühe Bildung“ des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend führte partiell zur Etablierung von Kitasozialarbeit. Insofern sind die ersten Initiativen auf Bundesebene, die Kitasozialarbeit ermöglichen, für den Bereich Kindertagesförderung konzipiert worden und lassen eine Tendenz der Bundesregierung hinsichtlich der Verortung erkennen.
Damit die Kitasozialarbeit mehr Aufmerksamkeit bekommt, appellierte der Deutsche Familienverband in einer Pressemitteilung zum Weltkindertag 2020 an alle Bundesländer, auf dem Feld „Kita-Sozialarbeit“ aktiv zu werden. Seiner Meinung nach, braucht es dringend einer Anerkennung vom Bund, um die Kita-Sozialarbeit voranzutreiben (vgl. DFV 2020). Der Aufmerksamkeit sollte gleichfalls eine Klärung ihrer Verortung sowie Finanzierung folgen.
Es bleibt zu hoffen, dass es der Kitasozialarbeit besser ergeht als der Schulsozialarbeit, die bis heute unter der Vielfalt an Zuständigkeits- und Finanzierungsmöglichkeiten leidet (vgl. Löhr 2019, S. 4). Exemplarisch soll hier der Landesfachverband Schulsozialarbeit (2018, S.l) in Mecklenburg-Vorpommern zu Wort kommen, der in einer Stellungnahme aus dem Jahr 2018 konstatiert, dass es hinsichtlich der Verortung von Schulsozialarbeit „sehr differenzierte Ansichten“ gibt, zudem wird festgestellt, „weder auf der wissenschaftlichen noch auf den unterschiedlichen strukturellen Ebenen lässt sich ein Optimalmodell erkennen“. Auch die Bundesregierung stellt in einer Stellungnahme aus dem Jahr 2019 (Deutscher Bundestag, S. 4) fest, dass die Ausgestaltung und Finanzierung der Schulsozialarbeit in Ländern und Kommunen sehr unterschiedlich geordnet und deshalb schwer miteinander vergleichbar ist. Auch der neugeschaffene § 13 a SGB VIII ändert an dieser Tatsache nichts, wie man an der Öffnungsklausel in Satz 4 erkennen kann: „Dabei kann durch Landesrecht auch bestimmt werden, dass Aufgaben der Schulsozialarbeit durch andere Stellen nach anderen Rechtsvorschriften erbracht werden“.
2.2 Kitasozialarbeit als präventives Angebot in der Kinder- und Jugendhilfe
Nachdem herausgearbeitet wurde, wo Kitasozialarbeit rechtlich verortet werden kann, und nachdem festgestellt wurde, dass mit ihrer Hilfe eine Präventionslücke geschlossen werden kann, soll nachfolgend die Bedeutung von präventiven Maßnahmen im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe erläutert werden, sowie gezeigt werden, auf welchen Präventionsebenen Kitasozialarbeit ihre Wirkung entfalten kann.
Getreu dem Motto „Prävention statt Reaktion (Intervention)“ sind viele Maßnahmen und Angebote im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe zunehmend präventiv ausgerichtet. Dies kann zum einen finanzielle Vorteile für den örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe haben, wenn es gelingen sollte, durch die Investitionen in frühe Angebote und Hilfen, spätere kostenintensivere intervenierende Maßnahmen (z.B. Herausnahme des Kindes aus der Familie, jahrelange Hilfen zur Erziehung) zu vermeiden. Um den Wirkungsgrad einzelner Maßnahmen besser darstellen zu können, bedarf es einer Intensivierung, Differenzierung und „(selbst-)kritischen Diskussion über die empirische Wirkungsforschung zur Kinder- und Jugendhilfe im Allgemeinen und in ihren Arbeitsfeldern im Speziellen“ (Begemann et al. 2019, S. 309).
Auch volkswirtschaftlich gesehen, zahlen sich Investition in qualitativ hochwertige Angebote, vor allem in der Frühen Kindheit, aus, wie zahlreiche nationale und internationale Studien belegen (vgl. Cunha/ Heckman 2007; Pfeiffer/ Reuß 2008; Fritschi/ Oesch 2008). Allein der Besuch einer Kindertageseinrichtung kann die Bildungschancen von benachteiligten Kindern überdurchschnittlich verbessern. Von diesen Kindern gehen später rund zwei Drittel mehr aufs Gymnasium als von Kindern, die nicht im Elementarbereich betreut wurden (vgl. Fritschi/ Oesch 2008, S. 4). Je früher somit Investitionen in der Frühen Kindheit getätigt werden, desto größer ist die präventive Wirkung. Mit zunehmenden Alter der Kinder steigen hingegen die Kosten für Angebote zur „Nachbesserung“ bzw. „Kompensation von Defiziten“ (ebd., S. 17). Laut Statistischem Bundesamt (2020) haben im Jahr 2019 Bund, Länder und Gemeinden 54,9 Milliarden Euro für Leistungen und Aufgaben der öffentlichen Kinder- und Jugendhilfe ausgegeben. Damit haben sich die Ausgaben in den vergangenen 10 Jahren mehr als verdoppelt.
Neben den Kindern müssen sich präventive Angebote auch an deren Familien richten, da diese einen großen Einfluss auf die Entwicklungschancen von Kindern haben. Bereits in der Mannheimer Risikokind-Studie wurde belegt, dass Entwicklungsrisiken hauptsächlich aus dem Erziehungsverhalten der Eltern resultieren (vgl. Esser/ Schmidt 2017). Eine große Rolle spielen hierbei chronische Belastungen und widrige Lebensereignisse. Ein weiteres Problem ist das kumulierte Auftreten von Risikofaktoren, wie beispielsweise geringes Einkommen, schlechte Wohnverhältnisse, alleinerziehende Eltern, Migrationshintergrund, schlechter Gesundheitszustand, niedriges Bildungsniveau und andere Beeinträchtigungen (vgl. Laucht et al. 1992, S. 274). Hier braucht es also systemisch ausgerichtete Angebote und Institutionen, die diese vielfältigen Problemlagen mitberücksichtigen.
Um herauszustellen, auf welcher Präventionsebene Kitasozialarbeit tätig werden kann, sollen in der nachfolgenden Abbildung 3 zunächst die unterschiedlichen Präventionsarten und die dazugehörigen Maßnahmen im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe modellhaft dargestellt werden. Präventionsmaßnahmen können unter drei Gesichtspunkten betrachtet werden: dem Zeitpunkt der Maßnahme (primär, sekundär, tertiär), der Zielgruppe (universell, selektiv, indiziert) und dem Ansatzpunkt (personenbezogen, strukturbezogen). Sie alle verfolgen die gleichen übergeordneten Präventionsziele: Förderung von Teilhabe und Chancengleichheit, Stärkung von Familien und Schutz von Kindern.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 3: System präventiver Maßnahmen für Familien im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe (eigene Darstellung inAnlehnung an Caplan 1994)
Primärpräventive Maßnahmen richten sich an alle Kinder und Familien noch bevor erste Symptome für Problemlagen sichtbar sind. Die Nutzung dieser Angebote ist freiwillig, sie wirken vor allem vorbeugend und stärkend. Sekundärpräventive Maßnahmen kommen zum Tragen, wenn der Eintritt eines Übels bzw. einer schwierigen Lage kurz bevorsteht oder gerade erfolgt ist. Sie tragen dazu bei das Auftreten von Belastungen zu verhindern oder zu reduzieren. Tertiäre Prävention umfasst Angebote, die sich an Familien und Kinder mit deutlichen Problemlagen richten. Die entsprechenden Maßnahmen sind sinnvoll nach notwendigen Korrekturen, um Rückfälle, eine chronische Verstetigung oder Folgeschäden zu verhindern. Hierzu gehören beispielsweise alle Maßnahmen des Jugendamtes zur Sicherstellung des Kindeswohls im Falle einer Gefährdung nach § 8a SGB VIII. Je später die Prävention erfolgt, desto schwerer ist eine Problemsituation fortgeschritten. Das Ziel aller sozialpädagogischen Maßnahmen muss es deshalb sein, vor allem primärpräventiv anzusetzen und wenn nötig auch sekundär- oder tertiärpräventiv zu helfen.
In der bisherigen Praxis der Kinderschutzprävention setzten viele Programme vorrangig im Bereich der Vernachlässigung, Misshandlung oder des Missbrauchs an und konnten dadurch Entwicklungsrisiken nur begrenzt betrachten. Um so wichtiger ist es deshalb, weitere Maßnahmen zu entwickeln, die eine aufsuchende Struktur haben und dem natürlichen Interesse der Eltern an Informationen gerecht werden und diesen Risikogruppen adäquat vermitteln können (vgl. Jungmann 2020). Vor allem vor dem Hintergrund der steigenden Fälle an Kindeswohlgefährdungen, als eine von vielen sozialen Folgen der Corona-Pandemie, ist es dringend geboten das Angebot Kitasozialarbeit im Elementarbereich zu installieren. Im Jahr 2020 meldeten die Jugendämter 9 % bzw. 5000 Fälle mehr als im Vorjahr. Wie das Statistische Bundesamt (2020a) mitteilte, haben die Kindeswohlgefährdungen damit im Corona-Jahr 2020 den höchsten Stand seit Einführung der Statistik im Jahr 2012 erreicht. Es ist davon auszugehen, dass die Dunkelziffer, insbesondere durch den Mangel an institutioneller Kontrolle durch die Kitafachkäfte in der Lockdown-Zeit, um ein vielfaches höher sein wird.
Kitasozialarbeit ist ein präventiv ausgerichtetes freiwilliges Angebot für alle Kinder und Eltern einer Kindertageseinrichtung. Auch wenn ihr Fokus auf die primäre Prävention gerichtet ist, kann es für Kitasozialarbeiter*innen auch Betätigungsfelder im sekundären und tertiären Präventionsbereich geben. Sie kann sich einerseits an alle Familien und Kinder der Kindertageseinrichtung richten (=universell), so dass auch „normale“ oder „begabte“ Kinder von den Fördermaßnahmen profitieren (Beygang, 2009, S. 27). Anderseits richtet sie sich auch an bestimmte Risikogruppen (=selektiv), wie z.B. an junge Mütter und Eltern mit Migrationshintergrund, sowie an einzelne Personen, wo bereits eine Gefährdungslage vorliegt.
2.3 Gegenüberstellung des Handlungsfeldes Kindertageseinrichtung und der Profession Soziale Arbeit
Im Begriff Kitasozialarbeit werden das Handlungsfeld Kindertageseinrichtung und die Profession Soziale Arbeit miteinander zu einer Sozialen Arbeit mit Kindern in Kindertageseinrichtungen verwoben. Gleichzeitig treffen dadurch auch Vertreterinnen zweier unterschiedlicher Fachrichtungen, nämlich der Elementarpädagogik und der Sozialen Arbeit, in der Kindertageseinrichtung aufeinander. Beide Systeme unterliegen ihren eignen fachlichen Selbstverständnissen, strukturellen Logiken und rechtlichen Grundlagen, auf denen ihr Handeln fußt. Diese sollen nachfolgend dargestellt werden.
2.3.1 Kindertageseinrichtung
Kindertageseinrichtungen stellen im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe in quantitativer Hinsicht das größte Angebot dar. Die Betreuungsquote von Kindern im Alter von drei bis sechs Jahren lag im Jahr 2021 durchschnittlich bei 91,9 %, während sie bei den unter dreijährigen rund 34,4 % betrug. Die Betreuungsquote in den Neuen Bundesländern liegt dabei deutlich über dem Durchschnitt, was auf die etablierte Müttererwerbsarbeit in dem Gebiet der ehemaligen DDR zurückzuführen ist (vgl. Statistisches Bundesamt 2021).
2.3.1.1 Gesetzliche Grundlage
Die Grundlagen der Kindertagesbetreuung sind im Achten Sozialgesetzbuch (SGB VIII), dem sogenannten Kinder- und Jugendhilfegesetz (KJHG) geregelt. Historisch gesehen, sind Kindertageseinrichtungen das jüngste Betätigungsfeld der Kinder- und Jugendhilfe. Erst mit dem Inkrafttreten des SGB VIII (1990 und 1991) wurde die Kindertagesbetreuung der Kinder- und Jugendhilfe zugeordnet. Das SGB VIII normiert im dritten Abschnitt „Förderung von Kindern in Tageseinrichtungen und in der Kindertagespflege“ (§§ 22-26) die Grundzüge der Kindertagesbetreuung in Deutschland. Gemäß § 22 Abs. 1 SGB VIII sind Kindertageseinrichtungen „Einrichtungen, in denen sich Kinder für einen Teil des Tages oder ganztägig aufhalten und in Gruppen gefördert werden,,. Solche Einrichtungen können als Krippe, Kindergarten oder Hort ausgestaltet sein. Der Förderungsauftrag von Kindertageseinrichtungen, der nach § 22 Abs. 3 SGB VIII „Erziehung, Bildung und Betreuung des Kindes“ umfasst, bezieht sich auf dessen „soziale, emotionale, körperliche und geistige Entwicklung“.
Ergänzt wird das KJHG auf Bundesebene durch das am 10. Dezember 2008 erlassene „Gesetz zur Förderung von Kindern unter drei Jahren in Tageseinrichtungen und Kindertagespflege“ (kurz: Kinderförderungsgesetz bzw. KiföG), dass nach dem Föderalismus-Prinzip auf Landesebene konkretisiert wird. Seit dem 1. August 2013 haben alle Kinder ab dem 1. Lebensjahr einen Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz in einer Kindertageseinrichtung oder bei einer Tagespflegeperson (vgl. § 24 Abs. 2 SGB VIII). Dadurch können alle Eltern, und nicht wie zuvor nur die mit besonderen Bedarf, einen Anspruch auf einen bedarfsgerechten Betreuungsplatz für ihr Kind geltend machen.
Flankiert wird das KJHG zudem durch das seit dem 1. Januar 2012 geltende Gesetz zur Kooperation und Information im Kinderschutz (KKG). Dies bekräftigt das Zusammenwirken von Kindertageseinrichtung und Jugendamt im Rahmen des Kinderschutzes. Die Träger der Einrichtungen schließen dazu Vereinbarungen im Sinne des § 8 a SGB VIII mit dem Träger der öffentlichen Jugendhilfe ab, halten eine insoweit erfahrenen Fachkraft vor, bilden ihre Mitarbeiterinnen zu Kinderschutzthemen kontinuierlich weiter, achten auf die Vorlage von erweiterten Führungszeugnissen aller Mitarbeiterinnen (vgl. § 72 a SGB VIII) und erarbeiten sich einrichtungsbezogene Kinder- bzw. Gewaltschutzkonzeptionen.
2.3.1.2 Zielgruppe und Aufgaben
Die Aufgaben von Kindertageseinrichtungen erstrecken sich gern. § 22 Abs. 2 SGB VIII auf folgende drei Bereiche: die Förderung der Entwicklung des Kindes zu einer selbstbestimmten, eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit, die Unterstützung und Ergänzung der Erziehung und Bildung in der Familie und die Hilfe für Eltern zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf.
Der Förderauftrag enthält bezogen auf das Kind die aus pädagogischer Sicht untrennbare Trias von Bildung, Betreuung und Erziehung. Die Fachkräfte in Kindertageseinrichtungen werden tagtäglich mit einer Vielfalt von Facetten aus den Lebenswelten der Kinder und deren Eltern konfrontiert. Sie fördern die Auseinandersetzung des Kindes mit dem Sozialraum und der eigenen Lebensumwelt, indem sie die Lebenswelt des Kindes zum Gegenstand der pädagogischen Bemühungen machen. Die Anknüpfung an diese wird für die zukünftige pädagogische Arbeit an Bedeutung gewinnen (s.o. 1.1).
Weitere Zielgruppen sind die Eltern bzw. Familien der Kinder, wobei zu berücksichtigen ist, dass die Elternschaft keine homogene Gruppe ist, sondern es unterschiedlichste Ausprägungen gibt, beispielsweise hinsichtlich der Kategorien Kultur, sozialer Status, Sprache, Bildungsgrad oder Gesundheit. Durch den Austausch mit den Eltern und der Ausrichtung von Angeboten an den Bedarfen und Ressourcen unter Berücksichtigung des Sozialraums, können positive Impulse zur Veränderung des Sozialraums gesetzt werden. Sozialraum und Kita beeinflussen sich somit gegenseitig und stehen zueinander in einem reziproken Verhältnis (vgl. Kobelt/Neuhaus/Refle 2014, S. 7).
Beygang (2009, S. 21) unterteilt die Arbeit in den Kitas in die „direkte“ Arbeit am Klienten Kind und die „indirekte Arbeit über Dritte“ mit den Eltern. Dazu kommen zunehmend auch „nicht direkt klientenbezogene“ Arbeiten mit Dritten, z.B. Konzeptionsund, Qualitätsentwicklung etc.
2.3.1.3 Kritik an der Umsetzung der Erziehungs- und Bildungspartnerschaft
Eine gute individuelle Förderung von Kindern kann nur gelingen, wenn diese Aufgabe gemeinsam, d.h. im Sinne einer engen Erziehungs- und Bildungspartnerschaft von Eltern und Fachkräften, wahrgenommen wird. Die einstige Eltemarbeit hat sich weiterentwickelt zur Bildungs- und Erziehungspartnerschaft. Diese ist laut Betz et. al (2019, S.ll) geprägt von Wechselseitigkeit, geteilter Verantwortung, Dialogbereitschaft, intensiver Kommunikation, Kooperation auf Augenhöhe, Offenheit, Vertrauen, Respekt, Mitwirkung, Machtteilung und Gleichwertigkeit. Eltern sollen einerseits in ihrer Erziehungskompetenz unterstützt und andererseits als primäre Bindungs- und Bezugspersonen anerkannt und wertgeschätzt werden (vgl. Roth 2014, S. 12). Dadurch soll eine bessere Förderung der Kinder hinsichtlich ihrer Bildungs- und Entwicklungschancen erreicht werden, vor allem von Kindern aus finanziell und sozial benachteiligten Familien.
[...]
1 Die Begriffe Kita und Kindertageseinrichtung werden nachfolgend synonym verwendet.
- Citar trabajo
- Ricarda Wegner (Autor), 2022, Kitasozialarbeit im System der Kinder- und Jugendhilfe. Kindertageseinrichtungen als Orte präventiver, niedrigschwelliger und sozialraumorientierter Sozialer Arbeit, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1285455
-
¡Carge sus propios textos! Gane dinero y un iPhone X. -
¡Carge sus propios textos! Gane dinero y un iPhone X. -
¡Carge sus propios textos! Gane dinero y un iPhone X. -
¡Carge sus propios textos! Gane dinero y un iPhone X. -
¡Carge sus propios textos! Gane dinero y un iPhone X. -
¡Carge sus propios textos! Gane dinero y un iPhone X. -
¡Carge sus propios textos! Gane dinero y un iPhone X. -
¡Carge sus propios textos! Gane dinero y un iPhone X. -
¡Carge sus propios textos! Gane dinero y un iPhone X. -
¡Carge sus propios textos! Gane dinero y un iPhone X. -
¡Carge sus propios textos! Gane dinero y un iPhone X. -
¡Carge sus propios textos! Gane dinero y un iPhone X. -
¡Carge sus propios textos! Gane dinero y un iPhone X. -
¡Carge sus propios textos! Gane dinero y un iPhone X. -
¡Carge sus propios textos! Gane dinero y un iPhone X. -
¡Carge sus propios textos! Gane dinero y un iPhone X. -
¡Carge sus propios textos! Gane dinero y un iPhone X. -
¡Carge sus propios textos! Gane dinero y un iPhone X.