Welche Rolle spielt die Frau, allen voran die Titelfigur Lucinde, im Roman "Lucinde" von Friedrich Schlegel? Welchen Beitrag leistet Friedrich Schlegel in Lucinde wirklich zur Emanzipation der Frau im 18. Jahrhundert? Dieser Essay soll Aufschluss darüber geben, ob Friedrich Schlegel in seinem Roman "Lucinde" ein neues emanzipatorisches Frauenbild geschaffen hat oder ob er den Fokus seines Ideals der vollkommenen Weiblichkeit weiterhin nur auf eine rein männliche Ästhetik gelegt hat.
Im Laufe des 18. Jahrhunderts zeichnet sich ein Wandel des zeitgenössischen Frauenbilds ab, das zum einen den Wirkungsbereich und zum anderen den Bildungscharakter der Frauen erweitert und zudem aufwertet. Eine für damalige Verhältnisse recht progressive Denkweise, was die Rolle der Frau in der Gesellschaft betrifft. Auch Friedrich Schlegel gehörte zu diesen progressiven Denkern. Sein Werk "Lucinde" beschäftigt sich vordergründig mit den Themen Ehe, Liebe und Weiblichkeit. Er wollte durch sein Schaffen ein neues Frauenbild zeichnen und setzte sich für die Gleichberechtigung innerhalb einer Partnerschaft ein. Schlegel wollte also nicht nur künstlerische, sondern auch soziale Tabus brechen.
„Emanzipation des Fleisches“ oder der Frau? Ein Essay über das Frauenbild in Friedrich Schlegels Lucinde
1. Einleitung
Im Laufe des 18. Jahrhunderts zeichnet sich ein Wandel des zeitgenössischen Frauenbilds ab, das zum einen den Wirkungsbereich und zum anderen den Bildungscharakter der Frauen erweitert und zudem aufwertet. Eine für damalige Verhältnisse recht progressive Denkweise, was die Rolle der Frau in der Gesellschaft betrifft. Bereits im Zuge der Aufklärung zeichnet sich eine Veränderung des zeitgenössischen Frauenbildes ab, das von nun an immer weiter fortschreitet. Dieses Umdenken ermöglichte den Damen der oberen Schicht, neben der bis dahin dominierenden Männerwelt am kulturellen Leben teilzunehmen. Neue, teils sehr provokante Ansichten über Weiblichkeit, Liebe und Ehe werden nicht länger von der Öffentlichkeit ferngehalten, sondern vor allem im Kreise der Romantiker thematisiert. Dabei werden sowohl politische als auch literarische und soziale Diskussionen geführt, an denen sich erstmalig auch adlige Frauen beteiligen durften. Der Romantikerkreis vertrat in dieser Hinsicht also durchaus ein revolutionär-emanzipatorisches Denken und ermöglichte den Frauen erstmals voll und ganz am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen.
Auch Friedrich Schlegel gehörte zu diesen progressiven Denkern. Sein Werk Lucinde beschäftigt sich vordergründig mit den Themen Ehe, Liebe und Weiblichkeit. Er wollte durch sein Schaffen ein neues Frauenbild zeichnen und setzte sich für die Gleichberechtigung innerhalb einer Partnerschaft ein. Schlegel wollte also nicht nur künstlerische, sondern auch soziale Tabus brechen.
Doch welche Rolle spielt die Frau, allen voran seine Titelfigur Lucinde, in dem Roman genau? Und welchen Beitrag leistet Friedrich Schlegel in Lucinde wirklich zur Emanzipation der Frau im 18. Jahrhundert?
Dieser Essay soll Aufschluss darüber geben, ob Friedrich Schlegel in seinem Roman Lucinde ein neues emanzipatorisches Frauenbild geschaffen hat oder ob er den Fokus seines Ideals der vollkommenen Weiblichkeit weiterhin nur auf eine rein männliche Ästhetik gelegt hat.
2. Hauptteil
Entstanden ist der Roman rund um die Titelfigur Lucinde durch eine komplexe Verflechtung von privat-persönlichen Beziehungen Friedrich Schlegels zu realen Frauen.1 Sein Interesse für die Rolle der Frau wurde vor allem durch Begegnungen mit zwei eindrucksvollen Frauen geweckt. Das waren zum einen die Professorentochter Caroline Michaelis-Böhmer, die Frau seines Bruders und spätere Frau Schellings. Sie war die Inspiration zu seinen frühen antikenwissenschaftlichen Aufsätzen Über die Diotima (1795) und Über die weiblichen Charaktere in den griechischen Dichtern (1794). Zum anderen die Bankiersgattin Dorothea Veit, mit der er zunächst ein außereheliches Verhältnis hatte und die später zu seiner Frau wurde. Beide Frauen zeichneten sich durch ihr Selbstbewusstsein und ihre Leidenschaft aus.2 In den genannten Schriften Über die Diotima und Über die weiblichen Charaktere in den griechischen Dichtern sowie später in seinem Aufsatz Über die Philosophie. An Dorothea und letztlich in seinem Roman Lucinde propagiert Schlegel für die weibliche Emanzipation von Geist und Körper.3 Schlegel fordert ein neues Verständnis von Partnerschaft, in dem es keine künstliche Trennung mehr zwischen Liebe und Sexualität in der Ehe gibt. In Schlegels für damalige Verhältnisse provokant-emanzipatorischer Eheauffassung ist nur eine solche Ehe wirklich legitim, die auf Liebe, also echter Zuneigung und frei gewählter Partnerschaft basiert. Insofern sind Ehe und Liebe für ihn nicht zu unterscheiden, sondern sind ein und dasselbe. Wichtig ist ihm dabei außerdem, dass die Frau als selbstständiges Wesen und Individuum wahrgenommen wird. Schlegel wehrt sich gegen die geltende Auffassung der Frau als Freundin, Mutter oder Geliebte und sieht keinen Widerspruch darin, dass Frauen sowohl selbstständig als auch gebildet und sinnlich sein können bzw. dürfen.4 Schlegel spricht vom Ideal der vollständigen Weiblichkeit, welches die Frau als ganzheitliches Individuum begreift, das die Möglichkeit hat, alle seine Facetten frei zu entfalten und das in völliger Eigenständigkeit.
Aufgrund dieser Einstellungen Friedrich Schlegels ist eine Beschäftigung mit der Rolle der Frau in seinem Roman Lucinde und seine Konzeption des Weiblichen so interessant. Die For- schung zeigt auf jeden Fall, dass Friedrich Schlegel mit diesem Werk die literarische Darstellung der Frau und ihre Wertung nachhaltig beeinflusst hat.5 Schlegel wollte nicht nur künstlerische, sondern auch soziale Tabus brechen. Das ist ihm auch durchaus gelungen, denn Lucinde war zu jener Zeit stark in der Kritik. Das lag zum einen daran, dass Schlegel sein eigenes Liebesleben mit seiner Frau Dorothea als Grundlage für den Roman nahm und zum anderen daran, dass er in dem Roman sehr sinnlich über die Sexualität zwischen Mann und Frau sprach, was zu damaligen Zeiten unüblich war und als obszön galt. Der autobiographische Hintergrund des Romans sowie die Darstellung des Erotischen lösten damals einen regelrechten Skandal aus.
Wie bereits genannt setzt sich Schlegel für die Emanzipation von Geist und Körper ein. Diese Zusammenführung seelischer und sinnlicher Liebe bildet auch das Hauptthema in seinem Werk Lucinde. Schlegel trennte also nicht, wie damals sonst üblich, die geistige von der körperlichen Liebe, sondern brachte beide Formen der Liebe in Einklang. Die sexuelle Vereinigung stellte dabei den Ausdruck der Einheit des Sterblichen und Unsterblichen, nämlich des Körperlichen und des Geistigen dar.
Die Liebe ist nicht bloß das stille Verlangen nach dem Unendlichen; sie ist auch der heilige Genuß einer schönen Gegenwart. Sie ist nicht bloß eine Mischung, ein Übergang vom Sterblichen zum Unsterblichen, sondern sie ist eine völlige Einheit beyder.6
In seinem Roman findet sich dieser Einklang in der ideal-romantischen Beziehung zwischen Julius und Lucinde wieder. Die beiden Verliebten wenden sich gegen eine bürgerlich-konservative Ehe und leben ihr Partnerschaft nicht als Zwangsgemeinschaft, sondern vielmehr als Liebesgemeinschaft.
Julius sieht in seiner Lucinde die ideale Geliebte. Nach etlichen gescheiterten Versuchen die richtige Lebensgefährtin zu finden hat er endlich eine Frau gefunden, die alle Eigenschaften vereinigt, die er sich bei einer Frau wünscht:
[...] die Weiblichkeit deiner Seele [besteht] bloß darin, daß Leben und Lieben für sie gleich viel bedeutet; du fühlst alles ganz und unendlich, du weißt von keinen Absonderungen, dein Wesen ist Eins und unteilbar. Darum bist du so ernst und so freudig: darum nimmst du alles so groß und so nachlässig, und darum liebst du mich auch ganz und überläßt keinen Teil von mir etwa dem Staate, der Nachwelt oder den männlichen Freunden. Es gehört dir alles und wir sind uns überall die nächsten und verstehn uns am besten. Durch alle Stufen der Menschheit gehst du mit mir von der ausgelassensten Sinnlichkeit bis zur geistigsten Geistigkeit und nur in dir sah ich wahren Stolz und wahre weibliche Demuth.7
Julius stellt immer wieder wesentliche Unterschiede zwischen Frauen und Männern heraus. Die Sicht, aus der die Unterschiede zwischen Männlichem und Weiblichem beschrieben werden, bleibt aber stets die des Mannes. Bei einem Thema wie Geschlechterdifferenzen, das nun mal beide Parteien (Mann und Frau) betrifft, wäre es wünschenswert sowohl die männliche als auch die weibliche Sicht der Dinge zu hören. Emanzipation bedeutet, sich von Abhängigkeiten zu befreien, sich unabhängig machen von männlicher Vormundschaft und selbstständig zu sein. Wenn man Emanzipation so definiert, dann scheinen „Schlegels Konstruktion der Frauenfiguren und sein Begriff des Weiblichen in der Lucinde geradezu emanzipationsfeindlich und rück- wärtsgewandt“8, denn mit Bildern wie der Priesterin9 oder Lichtbringerin10 wird die Frau in ein idealisiertes Wunschbild von Weiblichkeit gedrückt. Gerade in Bezug auf sinnliche Liebe wird den Frauen die Gabe zugeschrieben sensible Empfindungen spüren zu können, während die Männer zwar „ein Bedürfniß aber kein Vorgefühl derselben“11 haben. Frauen seien von Natur aus „sinnlich und geistig warm und haben Sinn für Wärme jeder Art“12. Den Frauen wird außerdem die Poesie zugesprochen, aber nicht im eigentlichen Sinne des Dichtens. Vielmehr ist damit eine instinktive naturpoetische Sympathie mit allem Sinnlichen gemeint.13 Diese Poesie ist naturgegeben und ist durch die der Frau angeborene Mütterlichkeit vorhanden. Im Gegensatz zur Frau hat der Mann zwar auch diese Poesie, jedoch dient sie ihm im Sinne des analytischen Denkvermögens.
Der Mann wird also generell als vielseitig, strebend, bestimmend und reflexiv beschrieben, während die Frau als einheitliches und fühlendes Wesen in sich ruht. Es wird klar ein Machtgefälle zwischen aktiver Männlichkeit und passiver Weiblichkeit aufgebaut.14
Dementsprechend bestätigt der Roman die bestehende Gesellschafsordnung, auch wenn versucht wird das Frauenbild neu zu bestimmen, indem die Frau an verschiedenen Stellen des Romans dem Mann übergeordnet wird (beispielsweise in ihrer Fähigkeit zu lieben15 ). Alles in allem werden aber vielmehr die damalig bürgerlich-konservativen vorherrschenden Moralvorstellungen über die Ehe kritisiert, welche Sinnlichkeit als etwas Verwerfliches betrachteten und in der Frau eine Dienerin des Mannes sahen und nicht die vorherrschenden Vorstellungen über die Rolle der Frau. Die Emanzipation, die im Roman stattfindet, bezieht sich also vielmehr auf das Erotische, nicht aber auf das Bild der Frau an sich. Damit hat Schlegel zwar zu einer Neukonzeption der Liebe und damit auch der Ehe beigetragen, aber nicht unbedingt zu einer Neukonzeption des Frauenbildes.
[...]
1 Vgl. Barbara Becker-Cantarino: „Feminismus“ und „Emanzipation“? Zum Geschlechterdiskurs der deutschen Romantik am Beispiel der Lucinde und ihrer Rezeption. In: Schultz, Hartwig (Hrsg.): Salons der Romantik. Beiträge eines Wiepersdorfer Kolloquiums zu Theorie und Ge-schichte de Salons. Berlin 1997, S. 23.
2 Vgl. Birgit Rehme-Iffert: Friedrich Schlegel über Emanzipation, Liebe und Ehe. In: Athenäum. Jahrbuch der Friedrich Schlegel-Gesellschaft, Bd. 12. 2002, S. 112.
3 Vgl. ebd., S. 111. 2
4 Vgl. ebd., S. 116.
5 Vgl. Barbara Becker-Cantarino: Schlegels Lucinde. Zum Frauenbild der Frühromantik. In: Colloquia Germanica, Bd. 10, Nr. 2. 1976/77, S. 128f.
6 Friedrich Schlegel: Lucinde. Studienausgabe (Reclam UB 19659). S. 91f.
7 Ebd., S. 17.
8 Becker-Cantarino: „Feminismus“ und „Emanzipation“? S. 28.
9 Vgl. Schlegel: Lucinde. S. 119.
10 Der Name Lucinde steht symbolisch für „die Lichtbringerin“
11 Schlegel: Lucinde. S. 32.
12 Schlegel: Lucinde. S. 33.
13 Vgl. Manfred Engel: Der Roman der Goethezeit. Anfänge in Klassik und Frühromantik. Stuttgart 1993, S. 40.
14 Vgl. Dehrmann, Mark-Georg: Literarische Werke. Lucinde. In: Endres, Johannes (Hrsg.): Friedrich SchlegelHandbuch. Leben - Werk - Wirkung. Stuttgart 2017, S. 173.
15 Vgl. Schlegel: Lucinde, S. 17.
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- Anonym,, 2022, Das Frauenbild in Friedrich Schlegels Roman "Lucinde". Emanzipation des Fleisches oder der Frau?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1285426
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