In dieser Seminararbeit wird die Fragestellung behandelt, inwiefern der Minnetrank in Gottfried von Straßburgs ,,Tristan" wirklich der Auslöser für die Minne zwischen den Protagonisten ist und ob der Trank nicht nur symbolisch zu verstehen ist, für Liebe, die bereits vorher existierte.
Inhalt
Einleitung S.
Kapitel 1.1 - Entstehung und Eigenschaften des Minnetranks S.
Kapitel 1.2 - Übersetzung
Kapitel 1.3 - Diskussion der Fragestellung
Schluss
Literaturverzeichnis
Einleitung
Die Minnetrank-Szene stellt einen bedeutenden Wendepunkt in Gottfried von Straßburgs Tristan1 dar, unabhängig davon, wie die Liebesentstehung der Protagonisten verstanden wird, weil sie ausschlaggebend für den weiteren Verlauf der Beziehung zwischen Tristan und Isolde ist und erst ab dieser Szene offenkundig Minne zwischen ihnen ausgedrückt wird. Dennoch verkörpert der Trank einen geheimnisvollen und schwer einzuschätzenden Aspekt, da der Autor großen Interpretationsspielraum entstehen lässt und keine eindeutigen Hinweise zur Wirkungsweise des Tranks gibt. Davon hängt jedoch die Bedeutung des Tranks für den Gesamtkontext ab, da er entweder entscheidend für den nachfolgenden Handlungsverlauf gewesen ist, oder nur ein weiterer Handlungsaspekt, der für den Verlauf der Erzählung nicht ausschlaggebend ist, weil sich Tristan und Isolde unabhängig davon bereits verliebt hatten. Daraus ergibt sich die Fragestellung, ob Tristans und Isoldes Liebe aus dem Minnetrank resultiert und dieser damit eine chemische oder übernatürliche Wirkung hätte, oder der Minnetrank als Symbol bereits vorhandener Minne zu verstehen ist.
In den Fokus der Seminararbeit soll die Textstelle gestellt werden, kurz nachdem Tristan und Isolde den Minnetrank eingenommen haben und dieser seine Wirkung entfaltet. Dazu dient die Übersetzung der Verse 11707-11727, die das Geschehen nach der Einnahme schildern.
Um die übergeordnete Fragestellung hinreichend zu diskutieren und zu einem Fazit zu gelangen, sollen die Szenen vor der Einnahme des Trankes auf mögliche Anzeichen für bereits vorhandene Minne untersucht werden, sowie die auf die Einnahme folgenden Szenen, um auf Andeutungen seitens der Protagonisten aufmerksam zu werden. Dazu ist eine kurze Zusammenfassung des Geschehens rund um die Entstehung des Minnetranks, seine Eigenschaften und die Absicht der Mutter Isoldes hilfreich. Zusätzlich werden Möglichkeiten der Minnetrankdeutung aus der Forschung herangezogen, anhand derer die zugrundeliegende Fragestellung diskutiert werden kann und Argumente für beide Positionen gesammelt werden sollen, bevor schlussendlich eine eigene Positionierung stattfinden wird.
Kapitel 1.1 - Entstehung und Eigenschaften des Minnetranks
Als Tristan Isolde schließlich aufder Überfahrt nach Cornwall zu Marke begleitet, gibt Isoldes Mutter Brangäne, der Vertrauten ihrer Tochter, einen mit magischen Kräften selbstgebrauten Minnetrank mit, den sie und Marke in der Hochzeitsnacht einnehmen sollten (vgl. V. 11429-79). Die Absicht der Mutter Isoldes bestand darin, durch Einnahme des Trankes die bevorstehende lediglich arrangierte Ehe zusätzlich mit Liebe zu füllen. Der Trank habe die Eigenschaft, zwischen denjenigen, die ihn trinken, Liebe zu erzeugen, ohne dabei den sozialen Status oder den Eigenwillen der Personen zu berücksichtigen (den muose er âne sinen danc, V. 11440). Somit wird seine angenommene Wirkung als Macht beschrieben, die schlagartig nach der Einnahme einsetze und zu Kontrollverlust und Unterdrückung der ursprünglichen natürlichen Gefühle führe. Äußerlich mache sich die starke Wirkung des Tranks beispielsweise durch die Gesichtsfarben, si wehselten genote/ bleich wider rote; (V.11917-18) bemerkbar. Aus diesen Gründen betont Königin Isolde die Gefahr, die von dem Trank ausgehen könne und die große an Brangäne verabreichte Verantwortung. Als es zwischen Tristan und Isolde während der Fahrt zu einem Konflikt kommt (vgl. V. 11577-644), in dem Isolde Tristan für den Mord an ihrem Onkel Morold anschuldigt, sucht Tristan nach einem Getränk und findet anschließend den mysteriösen Zaubertrank (»seht, hie stât win/ in disem vezzeline.«, V. 11670-71). Entgegen dem Plan der Königin Isolde behütet Brangäne den Trank nicht ausreichend genug und es kommt dazu, dass Isolde und Tristan ihn einnehmen und sich schlussendlich verlieben, wie dem folgenden Kapitel zu entnehmen ist.
Kapitel 1.2 - Übersetzung
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Kapitel 1.3 - Diskussion der Fragestellung
Anschließend an die übergeordnete Fragestellung der Seminararbeit ergibt sich die Diskussion, ob die Minne zwischen den Protagonisten bereits vor der Einnahme des Zaubertranks vorhanden war und dieser somit symbolisch oder im Gegenzug dazu als Auslöser der Minne zu betrachten ist und sich Tristan, mit den Worten von Heinrich von Veldeke, nur verliebte, ,,weil Gift ihn dazu zwang mehr als die Kraft der Minne”2.
Hinsichtlich der These, dass der Trank symbolisch zu verstehen sei und sich vor der Einnahme Anzeichen für die Liebe zwischen Tristan und Isolde ausfindig machen ließen, kann die sogenannte ,,Splitter-Szene” (V. 9983-10802) angeführt werden, in der es heißt: [Nu] nam Isot sin dicke war/ und marcte in uzer mâze/an libe und an gelâze (V 9992-94) , woraus sich Isoldes Interesse an Tristans Person ableiten lässt. Ebenso wird eindeutig darauf verwiesen, dass ihre genaue Beobachtung sich nicht ausschließlich auf Interesse begrenzt, sondern Tristan ihr ganzheitlich gefällt (vgl. V.10001-2). Auch Tristan zeigt zuvor optischen Gefallen an Isolde, als er ihre Schönheit betont und sie als der wunneclichen von Irlant (V. 8303) beschreibt. Dazu kann jedoch entgegnet werden, dass das Schwärmen um Äußerliches nicht gleichzusetzen ist mit wahrer Minne. Trotzdem bildet die Textstelle eine Grundlage, auf der sich Minne entwickeln kann, da davon ausgehend die Möglichkeit bestehen könnte, dass ,,Minne [...] durch die Augen ins Herz [dringt]”3. Angedeutet wird jedoch auch, dass Isoldes Interesse sich möglicherweise vorwiegend auf Tristans sozialen Status beziehen könnte.4 Daran knüpft zusätzlich die mittelalterliche Vorstellung von Kalokagathie an, dass ein lip also gebaere,/ der so getugendet waere,/ der solte guot und ère hân. (V. 10027-29). Durch die Einnahme des Minnetranks und die dadurch legitimierte Liebe zwischen den Protagonisten sei es Gottfried von Straßburg erst möglich, ,,den Skandal zu motivieren und gleichzeitig zu entschuldigen”5.
Gegen die These, es sei schon vor der Einnahme des Minnetranks Liebe erkennbar, spricht, dass Isolde Tristan während ihrer Überfahrt nach Cornwall des Mordes an ihrem Onkel Morold anschuldigt und sich unmittelbar davor die ,,Fronten zwischen den Protagonisten [verhärten]”6, was die auslösende Funktion des Tranks wahrscheinlicher vorkommen lässt. Anhand Isoldes Trauerszene im Bad zeigt sich jedoch ihre Verweiflung darüber, dass ausgerechnet Tristan den Mord an ihrem Onkel begangen hat.7 Dies lässt die Deutung zu, sie würde sich wünschen, der Mord stünde ihrer bereits vorhandenen Liebe für Tristan nicht im Wege.
Ebenso dagegen, dass sich die Protagonisten unabhängig vom Minnetrank lieben, spricht die Tatsache, dass Tristan nach seinem Sieg gegen den Drachen (vgl. V. 9044-62) Anspruch auf die irische Königstochter hat, sie jedoch nicht für sich beansprucht, sondern seinem Onkel, König Marke von Cornwall, überlässt. Zu bedenken bleibt die Möglichkeit der Handlung aus Dankbarkeit und Höflichkeit gegenüber Marke, dafür, dass er Tristan bei sich am Hof aufgenommen hat und er ihm deswegen einen Gefallen schuldig ist. Daraus resultiert der Konflikt zwischen Loyalität gegenüber Marke einerseits und Egoismus und dem Nachgeben der Liebe andererseits. Kritisch betrachtet lässt sich anmerken, dass wenn Tristan zu diesem Zeitpunkt ernsthaft in Isolde verliebt gewesen wäre, die Liebe über die Loyalität hätte siegen müssen. Oft wird Vertretern der These, der Minnetrank sei ausschließlich symbolisch und wirkungslos zu verstehen, der ledigliche ,,Wunsch nach einem ,modernen', einem ,psychologisierenden' Gottfried”8 unterstellt.
[...]
1 GOTTFRIED VON STRAßBURG: Tristan. Mhd./Nhd. Nach dem Text von FRIEDRICH RANKE, ins Nhd. übersetzt, mit einem Stellenkommentar und einem Nachwort von RÜDIGER KROHN. 3 Bde. Stuttgart 182021 (=RUB 4471-73).
2 HUBER, CHRISTOPH: Der Zaubertrank als Auslöser der Liebespassion. In: Gottfried von Straßburg: Tristan. 3., neu bearbeitete und erweiterte Auflage. Berlin 2013 (=Klassiker-Lektüren 3), S. 82.
3 HUBER 2013, S. 83.
4 YOUNG, CHRISTOPHER J.: Der Minnetrank als Literarisierungsprozess bei Gottfried von Straßburg. In: CHRISTOPH HUBER und VICTOR MILLET (Hg.): Der Tristan Gottfrieds von Straßburg. Symposion Santiago de Compostela, 5. bis 8. April 2000. Tübingen 2002, S. 267.
5 HUBER 2013, S. 81.
6 YOUNG 2002, S. 260.
7 YOUNG 2002, S. 258.
8 MERTENS, VOLKER: Bildersaal, Minnegrotte, Liebestrank. Zu Symbol, Allegorie und Mythos im Tristanroman. In: Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur (PBB). Bd. 117. Berlin 1995, S. 52.
- Arbeit zitieren
- Anonym,, 2022, Der Minnetrank in Gottfried von Straßburgs "Tristan". Liebesursache oder Symbol der Liebe?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1283126
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