Die vorliegende Arbeit entwickelt auf Basis bestehender Abläufe eine neuartige Prozesskette für die Prototypenfertigung unter Berücksichtigung von Industrie 4.0 Paradigmen. Zu Beginn werden eine gemeinsame Begriffsgrundlage und Potenziale des Gestaltungsrahmens Industrie 4.0 für den Prototypenbau erarbeitet. Aufbauend auf einer Analyse von Unternehmen des Prototypenbaus und deren Strukturen sowie den zuvor erarbeiteten Grundlagen werden folgend Anforderungen an das Produkt Prototyp und die Prozesskette hergeleitet, definiert und quantifiziert. Die Entwicklung der Prozesskette für die Prototypenfertigung im Gestaltungsrahmen Industrie 4.0 findet daraufhin in einer zuvor ausgewählten Geschäftsprozessmodellierungssprache statt. Die Gedankengänge hinter der Entwicklung werden erläutert, die Besonderheiten der Prozesskette vorgestellt und eine Bewertung anhand der zuvor definierten Anforderungen vorgenommen. Abschließend wird ein Fazit mit Ausblick auf weiteren Forschungsbedarf gezogen.
Die Prozesskette demonstriert die Vereinbarkeit von Industrie 4.0 und Prototypenbau. Dabei zeigen die Vernetzung der Produktion mit dem Kunden sowie die virtuelle Produktentstehung und -optimierung das größte Potenzial hinsichtlich ökonomischer und ökologischer Gesichts-punkte. Grenzen treten jedoch bei der Automatisierungsmöglichkeit von Anforderungsanalysen und Konzeptentwicklungen auf. Ebenso wird deutlich, dass sich das volle Potenzial an Effizienz- und Effektivitätssteigerungen nur bei einer Umsetzung von Industrie 4.0-Methoden entlang der gesamten Lieferkette entfaltet.
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Formelzeichen
1 Einleitung
1.1 Motivation der Arbeit
1.2 Zielsetzung
1.3 Aufbau der Arbeit
2 Stand der Technik und Begriffsklärung
2.1 Begriffsgrundlagen: Prozess, Prozesskette, Prozessnetz
2.2 Produktentstehungsprozess und Prototypen
2.2.1 Produktlebenszyklusmodelle
2.2.2 Prototypen als Instrument zur Produktoptimierung
2.3 Anforderungen und Requirements Engineering
2.4 Industrie 4.0
2.4.1 Fünf Paradigmen der Industrie 4.0
2.4.2 Potentiale und Chancen für den Prototypenbau
2.5 Fertigungsverfahren im Prototypenbau und der Produktentwicklung
2.5.1 Einteilung der Fertigungsverfahren nach DIN 8580
2.5.2 Geeignete Verfahren für den Prototypenbau
3 Analyse des Markts für Prototypenbau
3.1 Use-Case-Diagramm der Unified Modelling Language
3.2 Beobachtbare Unternehmenskonzepte
3.2.1 Produktentwicklungsdienstleister
3.2.2 Prototypenhersteller mit Unterstützung in der Produktentwicklung
3.2.3 Fertigungsdienstleister
3.2.4 Vermittler
3.2.5 Vergleich der Konzepte
4 Anforderungsentwicklung für Produkt und Prozesskette
4.1 Produktanforderungen
4.1.1 Anforderungen an die Funktion
4.1.2 Anforderungen an die Lebensdauer
4.1.3 Anforderungen an die Entsorgung und Wiederverwertbarkeit
4.2 Prozesskettenanforderungen
4.2.1 Anforderungen an die Ökonomie
4.2.2 Anforderungen an die Ökologie
4.2.3 Anforderungen an den Datenschutz
4.2.4 Anforderungen durch den Gestaltungsrahmen Industrie 4.0
5 Konzeptionierung einer Prozesskette für die Prototypenfertigung
5.1 Prozesskettendokumentation
5.1.1 Anwendbare Modellierungssprachen
5.1.2 Vergleich und Auswahl der Modellierungsoptionen
5.1.3 Erweiterung der Modellierungssprache
5.2 Prozesskettenentwicklung
5.2.1 Grundlagen
5.2.2 Element Vermittlung
5.2.3 Element Fertigungsdienstleister
5.2.4 Element Prototypenhersteller
5.2.5 Element Produktentwicklungsdienstleister
6 Bewertung der entwickelten Prozesskette
6.1 Berücksichtigung von Produktanforderungen
6.2 Umsetzung der Prozessanforderungen
6.2.1 Ökonomische Eigenschaften
6.2.2 Ökologische Eigenschaften
6.2.3 Datenschutz
6.2.4 Industrie 4.0 Paradigmen
6.3 Prägende Anforderungen für die Prozesskettenentwicklung
7 Fazit und weiterer Forschungsbedarf
8 Literatur
Anhang
A. Unternehmenskonzept Kunde-Produktentwicklungsdienstleister
B. Unternehmenskonzept Kunde-Prototypenhersteller
C. Unternehmenskonzept Kunde-Fertigungsdienstleister
D. Unternehmenskonzept Kunde-Vermittler
E. Prozesskette für die Prototypenfertigung
Kurzfassung
Die Entwicklung der heutigen Wirtschaft hin zu hoher Dynamik, individuellen Produkten und vollständiger Digitalisierung erzeugt neue Geschäftsmodelle und stellt gleichzeitig auch vorhandene Abläufe bezüglich ihrer Effektivität und Effizienz in Frage. Speziell im Prototypenbau mit geringen Losgrößen und individuellen Produkten spielen Flexibilität und Anpassungsfähigkeit der Prozessketten eine große Rolle.
Die vorliegende Arbeit entwickelt auf Basis bestehender Abläufe eine neuartige Prozesskette für die Prototypenfertigung unter Berücksichtigung von Industrie 4.0 Paradigmen. Zu Beginn werden eine gemeinsame Begriffsgrundlage und Potenziale des Gestaltungsrahmens Industrie 4.0 für den Prototypenbau erarbeitet. Aufbauend auf einer Analyse von Unternehmen des Prototypenbaus und deren Strukturen sowie den zuvor erarbeiteten Grundlagen werden folgend Anforderungen an das Produkt Prototyp und die Prozesskette hergeleitet, definiert und quantifiziert. Die Entwicklung der Prozesskette für die Prototypenfertigung im Gestaltungsrahmen Industrie 4.0 findet daraufhin in einer zuvor ausgewählten Geschäftsprozessmodellierungssprache statt. Die Gedankengänge hinter der Entwicklung werden erläutert, die Besonderheiten der Prozesskette vorgestellt und eine Bewertung anhand der zuvor definierten Anforderungen vorgenommen. Abschließend wird ein Fazit mit Ausblick auf weiteren Forschungsbedarf gezogen.
Die Prozesskette demonstriert die Vereinbarkeit von Industrie 4.0 und Prototypenbau. Dabei zeigen die Vernetzung der Produktion mit dem Kunden sowie die virtuelle Produktentstehung und -optimierung das größte Potenzial hinsichtlich ökonomischer und ökologischer Gesichtspunkte. Grenzen treten jedoch bei der Automatisierungsmöglichkeit von Anforderungsanalysen und Konzeptentwicklungen auf. Ebenso wird deutlich, dass sich das volle Potenzial an Effizienz- und Effektivitätssteigerungen nur bei einer Umsetzung von Industrie 4.0-Methoden entlang der gesamten Lieferkette entfaltet.
Abstract
The development of today´s economy towards high dynamics, individual products and complete digitalization creates new business models but at the same time existing processes regarding their effectiveness and efficiency are called into question. Especially in the domain of prototype manufacturing with its small batch sizes and individual products, flexibility and adaptability of process chains play a major role.
This thesis presents a newly developed process chain for prototype manufacturing under consideration of Industrie 4.0 paradigms which is based on existing processes. First, a common terminology and potentials of the Industrie 4.0 design frame in combination with prototype manufacturing are elaborated. Based on the analysis of companies involved in prototype manufacturing, as well as the previously drawn up basics, requirements for the product and the process are derived, defined and quantified. Following the previous step, the development of the process chain for prototype manufacturing in the Industrie 4.0 design frame takes place in a previously selected business process notation. Thoughts behind the development and special features are presented as well as an assessment based on the previously defined requirements is made. At last a conclusion is drawn with an outlook on further research needs.
The process chain demonstrates the compatibility of prototype manufacturing and Industrie 4.0. Especially the linking of the customer and the production as well as the virtual product creation show the greatest potential regarding economic and ecological aspects. Nevertheless, there are also limits in automating requirements analyses and concept developments. It is also clearly visible that only with a complete integration along the whole supply chain increases in effectiveness and efficiency can be achieved.
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 2-1: Prozess und Prozesskette
Abbildung 2-2: exemplarische Darstellung eines Prozessnetzes
Abbildung 2-3: Produktlebenszyklus aus betriebswirtschaftlicher Sicht
Abbildung 2-4: Produktlebenszyklus aus ökologischer Sicht
Abbildung 2-5: Produktlebenszyklus aus informationstechnischer Sicht
Abbildung 2-6: Stufen und Merkmale der industriellen Revolutionen
Abbildung 2-7: Komponenten von Industrie 4.0
Abbildung 2-8: Einteilung in Verfahrensgruppen nach DIN 8580
Abbildung 2-9: Begriffsübersicht zu rapider Technologie und deren Anwendung
Abbildung 2-10: Kostenstrukturen von additiver und konventioneller Fertigung
Abbildung 3-1: Systemdarstellung Kunde-Produktentwicklungsdienstleister
Abbildung 3-2: Methodische Konzept- und Lösungsfindung des Produktentwicklers
Abbildung 3-3: Systemdarstellung Kunde-Prototypenhersteller
Abbildung 3-4: medienbruchbehaftete Anforderungsanalyse
Abbildung 3-5: Systemdarstellung Kunde-Fertigungsdienstleister
Abbildung 3-6: vollautomatisierte Anfrageprüfung und Angebotserstellung
Abbildung 3-7: Systemdarstellung Kunde-Vermittler
Abbildung 3-8: Ausschnitt des Anfrageablaufs innerhalb des Vermittlungskonzepts
Abbildung 4-1: Übersicht über Produktanforderungsbereiche
Abbildung 4-2: Übersicht über die Prozesskettenanforderungsbereiche
Abbildung 4-3: Effektivität und Effizienz verschiedener Prozesse A, B und C
Abbildung 4-4: Anforderungen durch Industrie 4.0
Abbildung 5-1: Darstellung der Datenträgerklassifikation
Abbildung 5-2: extern initiiertes Ereignis und global ausgelöstes Ereignis
Abbildung 5-3: Darstellungen eines global abrufbaren Teilprozesses
Abbildung 5-4: Darstellung des Informationsabrufs des Kunden
Abbildung 5-5: Digitaler Zwilling und dessen Aufbau
Abbildung 5-6: Umsetzung der virtuellen Produktentstehung
Abbildung 5-7: Konzept der optimierten Prozesskette für die Prototypenfertigung
Abbildung 5-8: Leistungsspektrum der Vermittlungspartner
Abbildung 5-9: Darstellung des Ablaufs innerhalb des Netzwerks
Abbildung 5-10: Methodik für die Auswahl eines Fertigungsverfahrens
Abbildung 5-11: Volumenmodellaufbereitung für die Fertigung
Abbildung 5-12: Komponentenfertigung und Montage
Abbildung 5-13: Anforderungsanalyse des Prototypenherstellers
Abbildung 5-14: Verifizierung und eventuelle Fehleranalyse
Abbildung 5-15: Direkte Kundenkommunikation bei der Konzept- und Lösungsfindung
Abbildung 5-16: Ablaufdarstellung der externen Fertigung
Abbildung A-1: Systemdarstellung Kunde-Produktentwickler
Abbildung A-2: Ablaufdarstellung Kunde-Produktentwicklungsdienstleister
Abbildung B-1: Systemdarstellung Kunde-Prototypenbauer
Abbildung B-2: Ablaufdarstellung Kunde-Prototypenhersteller
Abbildung C-1: Systemdarstellung Kunde-Fertigungsdienstleister
Abbildung C-2: Ablaufdarstellung Kunde-Fertigungsdienstleister
Abbildung D-1: Systemdarstellung Kunde-Vermittler
Abbildung D-2: Ablaufdarstellung Kunde-Vermittler
Abbildung E-1: Vermittlungselement der Gesamtprozesskette
Abbildung E-2: Fertigungsdienstleisterelement der Gesamtprozesskette
Abbildung E-3: Prototypenherstellerelement der Gesamtprozesskette
Abbildung E-4: Produktentwicklungsdienstleisterelement der Gesamtprozesskette
Tabellenverzeichnis
Tabelle 2-1: Verfahrensfamilien des Rapid Prototypings
Tabelle 3-1: Modellierungselemente eines UML-Anwendungsfalldiagramms
Tabelle 3-2: Liste der untersuchten Unternehmen
Tabelle 5-1: Modellierungselemente der BPMN 2.0
Tabelle 5-2: Modellierungselemente der VSM
Tabelle 5-3: Bewertung von BPMN und VSM
Tabelle 5-4: Morphologischer Kasten am Beispiel eines Föhns
Tabelle 6-1: Übersicht über die Anforderungspakete und deren Erfüllung
Abkürzungsverzeichnis
2D zweidimensional
3D dreidimensional
AR engl.: Augmented Reality, dt.: Erweiterte Realität
BPMN engl.: Business Process Model and Notation, dt.: Geschäftsprozessmodell und -notation
CAD engl.: Computer Aided Design; dt.: rechnerunterstütztes Konstruieren
CNC engl.: Computerized Numerical Control, dt.: rechnergestützte numerische Steuerung
CPPS engl.: Cyber-Physical Production System, dt.: Cyber-physisches Produktionssystem
CPS engl.: Cyber-Physical System, dt.: Cyber-physisches System
DIN Deutsches Institut für Normung
DVP engl.: Design Validation Process, dt.: Prozess der Designvalidierung
DZ digitaler Zwilling
GPM Geschäftsprozessmodellierung
IoTS engl.: Internet of Things and Services, dt.: Internet der Dinge und Dienste
IT Informationstechnik
PK Prozesskette
RFID engl.: Radio-Frequency Identification, dt.: Identifizierung mit Hilfe elektromagnetischer Wellen
STEP Standard for the exchange of product model data
STL engl.: Surface Tessellation Language, dt.: Beschreibung der Oberfläche durch Dreiecke
UML Unified Modelling Language
VDI Verein Deutscher Ingenieure
VR engl.: Virtual Reality, dt.: Virtuelle Realität
VSM engl.: Value Stream Mapping, dt.: Wertstromaufnahme
XML Extensible Markup Language
Formelzeichen
Durchlaufzeit eines Prozesses
Energieverbrauch eines Prozesses
Effektivität eines Prozesses
Effektivität eines Prozesses
ökologische Effizienz eines Prozesses
Effizienz eines Prozesses
Effizienz eines Prozesses
Umsatz eines Projekts
Emissionen eines Prozesses
Gewinn eines Projekts
Kreislaufeigenschaft einer Komponente
Kosten eines Projekts
Nebenzeit eines Prozesses gemittelte Rautiefe einer Fläche
Mittenrauwert einer Fläche
Festigkeit eines Werkstoffs
Nutzen eines Prozesses
Wertschöpfungszeit eines Prozesses elektrische Leitfähigkeit eines Werkstoffs thermische Leitfähigkeit eines Werkstoffs
Permeabilität eines Werkstoffs
Ausprägung der Datenschutzvorkehrungen eines Prozesses
Ausprägung der Funktionserfüllung eines Prototyps
Ausprägung des Umsetzungserfolgs von Industrie 4.0 Paradigmen einer Entwicklung
Ausprägung der Lebensdauererwartung eines Prototyps
Ausprägung der ökologischen Effizienz eines Prozesses
Ausprägung der Optimalität eines Prozesses spezifisches Gewicht eines Werkstoffs
1 Einleitung
In der heutigen Wirtschaft herrschen hohe Dynamik und Volatilität. Alles deutet auf ein sich dauerhaft veränderndes und weiterentwickelndes System hin. Es ergeben sich neue Formen der Kooperation und Geschäftsfelder. Branchengrenzen verschwinden und die Individualität wird wichtiger denn je. Es findet keine standardisierte Massenproduktion mehr statt, sondern individualisierte Produkte und die dazugehörigen Dienstleistungen werden gebündelt vermarktet. Nicht mehr das Produkt selbst steht im Fokus, sondern dessen Leistung. Alle Bereiche des Lebens werden informatisiert und Produkte tauschen untereinander sowie mit dem Menschen selbstständig Informationen aus. Die reale Welt wird mit der virtuellen verbunden und Systeme assistieren dem Menschen bei der Beherrschung der Komplexität. [1, S. 7-8] All das erfordert ein gewaltiges Umdenken und eine Neustrukturierung von Prozessen und Denkweisen.
Hinzu kommen der dauerhafte technologische Fortschritt und die Vielzahl an Möglichkeiten durch eine Kombination von Technologien. Durch additive Fertigung lassen sich Produkte und Bauteile realisieren, die bisher mit keinem anderen Verfahren herstellbar waren. Die Kosten für die Herstellung sind nahezu unabhängig von der Komplexität des Werkstücks und die Technologie brilliert bei der Herstellung von einzelnen, kundenindividuellen Produkten. So können einzigartige Wünsche beim Produktdesign umgesetzt und Nischen des Marktes bedient werden. [2, S. 2] All das deutet auf ein enormes Potenzial für Umbrüche innerhalb des Marktes für Prototypenbau im Umfeld des begonnenen Industriezeitalters hin.
1.1 Motivation der Arbeit
Die Kombination aus Prototypenbau und Industrie 4.0 ist jedoch kaum erforscht. Es herrscht, geprägt durch die Individualität und Komplexität des Marktes, eine dezente Ablehnungsstimmung gegenüber der Automatisierung von Prozessen. Doch genau für solch eine hohe Individualität, Komplexität und Dynamik bietet Industrie 4.0 Potenzial.
Als Teil eines größeren Forschungsprojekts zu Industrie 4.0 am Institut Datenverarbeitung in der Konstruktion beschäftigt sich diese Arbeit mit der Kombination von Industrie 4.0 und Prototypenbau. Der Markt des Prototypenbaus gilt als sehr einzigartig und persönlich. Oft herrschen langjährige Geschäftsbeziehungen vor und Entwicklerbüros vertrauen deshalb nur ihrem persönlichen Prototypenbauer. Dies führt zu einem Innovationshemmnis. Die Möglichkeiten von Industrie 4.0 in Bezug auf Individualisierung und Flexibilität sind vielversprechend. Jedoch stellt sich die Frage, ob die Konzepte von Industrie 4.0 auch auf das spezielle Anforderungsprofil des Marktes für Prototypen passen.
1.2 Zielsetzung
Ziel dieser Arbeit zum Abschluss des Bachelorstudiengangs Wirtschaftsingenieurwesen mit Maschinenbau an der Technischen Universität Darmstadt ist die Entwicklung einer Prozesskette für die Prototypenfertigung. Basis hierfür ist eine Analyse bestehender Teilprozessketten in der Prototypenfertigung und darauf aufbauend die Entwicklung einer Gesamtprozesskette unter Berücksichtigung von Industrie 4.0 Paradigmen. Insbesondere soll dabei Wert auf Medienbrüche, Möglichkeiten automatisierter Prozesse und die damit einhergehende Kommunikation gelegt werden.
1.3 Aufbau der Arbeit
Die Arbeit setzt sich im Wesentlichen aus fünf Teilen zusammen: Stand der Technik mit Begriffsklärungen, Marktanalyse, Anforderungsentwicklung, Prozesskettenentwicklung und deren Bewertung.
Um auf die Prozesskettenentwicklung vorzubereiten, wird zunächst ein Überblick über den Stand der Technik gegeben . Als erster Schritt dient jeweils eine Definition der Begriffe Prozess, Prozesskette und Prozessnetz zur Erarbeitung einer gemeinsamen Begriffsgrundlage für Leser und Autor. Anschließend werden verschiedene Sichten auf den Produktlebenszyklus vorgestellt. Innerhalb dessen wird die Phase der Produktentstehung und der Prototyp selbst als Instrument für die Produktoptimierung vorgestellt. Dabei werden auch der Begriff Anforderung definiert und seine Bedeutung für Produktentwicklungsprozesse aufgezeigt. Im nachfolgenden Abschnitt erfolgt die Erläuterung der Grundsätze von Industrie 4.0, die daraufhin auf den Prototypenbau übertragen und die sich daraus ergebenden Chancen vorgestellt werden. Des Weiteren wird ein kurzer Überblick über die existierenden Verfahrenshauptgruppen der Fertigungsverfahren gegeben. Bei der Übertragung geeigneter Verfahren auf den Prototypenbau wird besonders die additive Fertigungstechnologie genauer beleuchtet.
Um einen Einblick in die Strukturen des Marktes für Prototypenbau zu bekommen, wird eine Marktanalyse durchgeführt. Die beobachtbaren Unternehmenskonzepte werden systematisch vorgestellt und miteinander verglichen. Dabei werden sie zum besseren Systemverständnis grafisch system- und ablauforientiert modelliert.
Im Rahmen der Anforderungsentwicklung wird im Anschluss anhand der Grundlagen aus dem Stand der Technik und den daraus resultierenden Erkenntnissen ein Anforderungskatalog an die Prozesskette entwickelt. Dieser umfasst Produkt- und Prozesskettenanforderungen, denen die Entwicklung bestmöglich gerecht werden soll. Besonderer Wert wird hierbei auch auf den Gestaltungsrahmen Industrie 4.0 und das spezielle Umfeld des Prototypenbaus gelegt.
Im Abschnitt der Prozesskettenentwicklung wird zunächst ein Vergleich der zur Verfügung stehender Prozessnotationen angestrebt. Anhand der Gegenüberstellung und den Anforderungen durch die Aufgabenstellung wird eine Modellierungssprache ausgewählt und diese um eine Darstellung für Medienbrüche und global abrufbare Prozesse erweitert. Mit Hilfe von Erkenntnissen aus der Marktanalyse wird darauffolgend eine Prozesskette mit Computer Aided Design-Volumenmodell als Eingang und fertigem Prototyp als Ausgang im Gestaltungsrahmen Industrie 4.0 entwickelt. Die Prozessnotation findet in der zuvor ausgewählten Modellierungssprache statt.
Um die Entwicklung bewerten zu können, werden im Anschluss die zuvor gestellten Anforderungen mit den Eigenschaften und Besonderheiten der Prozesskette verglichen und prägende Grundsätze aufgezeigt.
Am Ende wird ein Ausblick auf weiteren Forschungsbedarf gegeben, der im Zuge der Erstellung der Arbeit aufgedeckt wurde.
2 Stand der Technik und Begriffsklärung
Im Folgenden wird eine gemeinsame Grundlage bezüglich der Begriffe Prozess, Prozesskette und Prozessnetz geschaffen. Der Produktentstehungsprozess wird in verschiedene Produktlebenslaufmodelle eingeordnet und Prototypen werden als Werkzeuge der Produktentwicklung vorgestellt. Es wird der Anforderungsbegriff definiert und dessen Wichtigkeit für Projekte aufgezeigt. Zusätzlich wird der aktuelle Stand der Technik bezüglich Industrialisierung und Industrie 4.0 dargestellt sowie deren Potenziale für den Prototypenbau herausgearbeitet. Anschließend werden die verschiedenen Hauptgruppen der Fertigungsverfahren vorgestellt und eine Untersuchung der Eignung für den Prototypenbau durchgeführt.
2.1 Begriffsgrundlagen: Prozess, Prozesskette, Prozessnetz
Bevor eine weitere Erarbeitung einer Prozesskette (PK) stattfinden kann, muss ein gemeinsames Verständnis für den Prozessbegriff erlangt werden.
Ein Prozess verarbeitet Eingangsgrößen (Input) unter Zuhilfenahme von Materialien, Arbeitskraft, Informationen und Energie zu Ausgangsgrößen (Output). Dabei ist sein Start- und Endpunkt klar definiert. Ein Prozess kann wiederholt ausgeführt werden und sowohl parallel als auch sequenziell mit anderen Prozessen in Interaktion stehen. Er trägt mit einem klar bestimmbaren Wertschöpfungsanteil zum Unternehmenserfolg bei. Somit ist ein Prozess eine Folge von verschiedenen Aufgaben, die jeweils wieder in nahezu beliebig viele einzelne Tätigkeiten aufgespaltet werden können. [3, S. 63] Ein Beispiel für einen Prozess ist die Erzeugung einer Fase an einem Werkstück mit Hilfe eines Werkzeugs.
Als Informationsverarbeitungsprozesse versteht man die Erzeugung, Bearbeitung und den Austausch von Informationen [4, S. 22].
Als Geschäftsprozess wiederum werden jegliche Wertschöpfungsaktivitäten mit Input und Kundennutzen erzeugendem Output gesehen. Sie können in verschiedenen Detailgraden betrachtet werden zum Beispiel für Funktionalbereiche, Geschäftssparten oder das Gesamtunternehmen. 5 Produktions- und Herstellungsprozesse weisen äquivalente Eigenschaften auf und können somit als spezielle Geschäftsprozesse gesehen werden.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2-1: Prozess und Prozesskette (in Anlehnung an [4, S. 22, 6, S. 340])
Werden verschiedene Informationsverarbeitungsprozesse mit einem gemeinsamen Ziel hierarchisch strukturiert und formal zusammengefasst, entsteht eine Prozesskette [4, S. 22]. Die einzelnen Prozesse können innerhalb dieser Kette parallel oder sequenziell angeordnet sein. Ziel einer PK ist es, ein materielles oder immaterielles Transformationsobjekt vom Ausgangszustand in einen bestimmten Endzustand zu überführen [6, S. 340]. Ein Beispiel für eine PK wäre daher die Fertigung einer Schraube aus einem Stahlstrang.
Die Begrifflichkeiten Prozess und Prozesskette sind in der Literatur nicht immer klar voneinander abgegrenzt, da durchaus für eine PK auch der Begriff Prozess synonym benutzt wird [3, S. 63, 6, S. 339]. Dies ist auf die Skalierbarkeit des Detailgrades zurückzuführen und stellt für das Verständnis meist kein Problem dar, da Eigenschaften eines einzelnen Prozesses auch auf Prozessketten übertragen werden können. Um PK zu modellieren, stehen verschiedenste Modellierungssprachen zur Verfügung. Eine nähere Erläuterung der Syntax und Semantik geeigneter Sprachen und eine letztendliche Auswahl der Sprache für die Konzeptionierung erfolgt in Abschnitt 5.1.1 dieser Arbeit.
Ein Prozessnetz wiederrum entsteht durch ein Geflecht aus PK, die in Abhängigkeit und in Interaktion zueinanderstehen [4, S. 22].
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2-2: exemplarische Darstellung eines Prozessnetzes
In einem Unternehmen laufen viele verschiedene PK gleichzeitig und miteinander verknüpft ab. Eine PK kann mit ihrem Output den Input für eine oder mehrere andere PK bereitstellen und umgekehrt. [3, S. 63] Durch diese Interaktion entsteht innerhalb des Unternehmens von der Führungs- bis hin zur Arbeitsebene ein Prozessnetz. Weitere Prozessketten verlaufen unternehmensübergreifend entlang der kompletten Lieferkette. Insgesamt bildet die Wirtschaft damit ein großes Prozessnetz bestehend aus einem Geflecht vieler verschiedener, aufeinander angewiesener und miteinander interagierender PK.
2.2 Produktentstehungsprozess und Prototypen
Die Produktentstehung ist ein informationsverarbeitender Entscheidungsprozess zu Beginn des Produktlebenszyklus und spielt eine wichtige Rolle für dessen Erfolg. Dort werden die späteren Eigenschaften des Produkts und dessen Herstellungsprozess mit Hilfe von ingenieurswissenschaftlichen Methoden erarbeitet. [7, Y 18] Prototypen werden innerhalb dieser Phase zur iterativen Produktoptimierung eingesetzt.
2.2.1 Produktlebenszyklusmodelle
Ein Produktlebenszyklusmodell ist ein theoretisches, vereinfachendes Konzept zur Betrachtung von Produkten, wodurch sich ein besseres Produktverständnis gewinnen und Entscheidungen über Abänderungen, Varianten oder sogar Neuentwicklungen treffen lassen. Als Grundlage für den weiteren Verlauf der Arbeit werden die drei existierenden Sichten auf den Lebenszyklus eines Produktes vorgestellt. [4, S. 13]
Jede dieser Sichten legt einen anderen Fokus auf den Prozess und hat für Untersuchungen aus verschiedenen Blickwinkeln als Basis für eine Anforderungsentwicklung ihre Daseinsberechtigung. In der realen Welt spielen jedoch viele Faktoren in Kombination eine Rolle, weshalb eine ausschließliche Betrachtung einer Sicht, wie zum Beispiel der betriebswirtschaftlichen, nicht zu einem ganzheitlichen Verständnis des Zusammenwirkens führt.
2.2.1.1 Betriebswirtschaftliche und ökologische Sichtweise
Die betriebswirtschaftliche Sicht teilt den kompletten Lebenszyklus in zwei Phasen auf. Die Produktentstehungsphase beinhaltet Entwicklung, Konstruktion, Erprobung und Herstellung des Produkts. Die Besonderheit dieser Phase zeigt sich darin, dass Einnahmen fehlen und ausschließlich Kosten entstehen. [4, S. 14]
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2-3: Produktlebenszyklus aus betriebswirtschaftlicher Sicht (in Anlehnung an [4, S. 14])
Daran schließt sich der Marktzyklus an, der die Entwicklung des Produktes von Einführung, Wachstum, Reife, Sättigung und Degression innerhalb des Marktumfeldes darstellt. Ziel der betriebswirtschaftlichen Sicht ist die Beurteilung von Umsatz und Kosten, um über den daraus resultierenden Gewinn Rückschlüsse auf den Unternehmenserfolg ziehen zu können. [8, S. 8]
Die ökologische Sicht hingegen unterteilt den Produktlebenszyklus in Material- und Informationsflussphasen. Dabei gehört die Aufgabenklärung, die Konzeption, der Entwurf und die Ausarbeitung als Teile der Produktentwicklung zur Phase des Informationsflusses. Als Materialflussphasen gelten die Werkstoffherstellung, die Herstellung des Produkts, die Nutzung und das Recyceln oder Entsorgen. Hintergedanke der Sicht ist die Ideengewinnung für neue Produktentwicklungsprozesse aus Phasen des Materialflusses, um anhand bestehender Produkte Erkenntnisse für eine umweltgerechtere Gestaltung neuer Produkte zu erlangen. [4, S. 15]
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2-4: Produktlebenszyklus aus ökologischer Sicht (in Anlehnung an [4, S. 15])
Betriebswirtschaftliche und ökologische Sichtweise sind auf bestimmte Wissenschaftsbereiche fokussierte Ansichten eines Produktlebenszyklus. So lassen sich mit ihrer Hilfe nur Anforderungen aus den entsprechenden Gebieten herleiten.
2.2.1.2 Informationstechnische Sichtweise
In Abbildung 2-5 ist der Produktlebenszyklus aus informationstechnischer Sichtweise dargestellt. Die einzelnen hier dunkelblau dargestellten Produktlebensphasen von Produktplanung über Konstruktion und Arbeitsvorbereitung hin zu Produktherstellung lassen sich dem Produktentstehungsprozess zuordnen [4, S. 16]. Die Besonderheit der informationstechnischen Sichtweise ist die gleichzeitige Berücksichtigung von Kosten, Fertigung, Beanspruchung und Umweltauswirkungen. Anhand der informationstechnischen Sichtweise lassen sich über den gesamten Verlauf des Zyklus ökologische und ökonomische Anforderung gleichermaßen entnehmen und in die Konstruktion von neuen Produkten implementieren [4, S. 16].
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2-5: Produktlebenszyklus aus informationstechnischer Sicht (in Anlehnung an [4, S. 16])
Innerhalb der Produktplanung werden neue Produktentwicklungsbereiche festgelegt und beschrieben. Daraus resultieren neue Entwicklungs- und Konstruktionsaufträge. Es schließt sich die Konstruktion als erste technisch-planerische Phase an. Hier erfolgen die Entwicklung sowie das Testen physikalischer Sachverhalte und des Produkts. Das Resultat der Konstruktion ist ein fertig beschriebenes Produkt, welches die gewünschten Anforderungen erfüllt. Auf die Konstruktion folgt die Arbeitsvorbereitung, bestehend aus Arbeitsplanung und -steuerung. In dieser zweiten technisch-planerischen Phase wird der Herstellungsprozess des Produktes von der Fertigung über die Montage hin zur Prüfung geplant. Die Arbeitssteuerung befasst sich mit der Organisation des Fertigungsablaufs. Ist die Vorbereitung abgeschlossen, können die Produktinformationen in der Herstellung in ein physisches, reales Produkt umgewandelt werden. [4, S. 16]
Der Produktvertrieb schließt die nun entstehende Lücke zwischen Produzenten und Verbraucher, indem er sich um Lagerung und rechtzeitige Distribution der Waren kümmert. Anschließend kann das Produkt genutzt werden. Dazu gehören auch Wartung, Reparatur und Instandsetzung als Bestandteile der Produktnutzungsphase. Nach Ende der Nutzungsdauer folgt die Recycling- und Entsorgungsphase. Hierbei wird die Entscheidung über das weitere Verfahren mit dem technisch überalterten oder verschlissenen Produkt getroffen. [4, S. 15-17]
Die informationstechnische Sichtweise betrachtet somit die Informationsgenerierung, die durch die verschiedenen Phasen nach der Konstruktion entsteht, und versucht mit Hilfe der Menge an gesammeltem Wissen Rückschlüsse für die Optimierung der Konstruktion zu ziehen [4, S. 17]. Durch die ganzheitliche Betrachtung der Anforderungen erweist sich die informationstechnische Sicht als geeignet, Anforderungen aller Art an das Produkt und den Prozess herzuleiten.
2.2.2 Prototypen als Instrument zur Produktoptimierung
In der Phase der Konstruktion werden Prototypen als Werkzeug zur Produktoptimierung eingesetzt. Der Entwickler erweitert damit sein Wissen über das Produkt, um Fehler in der finalen Konstruktion zu vermeiden. Dies fällt vor allem bei neuartigen, nicht bekannten Produktlösungen ins Gewicht, da bei diesen Erkenntnisse über das Verhalten in verschiedenen Situationen noch nicht vorhanden sind. Daher eignet sich der Einsatz von Prototypen zur Klärung verschiedenster Fragestellungen innerhalb der Produktentwicklung, um getroffene Annahmen, Berechnungen und Entscheidungen zu verifizieren. So kann das Produkt innerhalb der Produktentwicklungsphase validiert und ein qualitativ höherwertiges Endprodukt bei gleichzeitiger Zeitersparnis in der Entwicklung erzeugt werden. [9, S. 368]
Der Prototyp stellt dafür in begrenztem Umfang ein Abbild des tatsächlichen Produktes zur Erkenntnisgewinnung dar. Es wird sowohl ein Lerneffekt beim Entwickler erreicht als auch die interne und externe Kommunikation bezüglich des Produktes erleichtert. Auch das Zusammenspiel mit anderen Komponenten und Bauteilen kann durch einen Prototyp überprüft werden. So wird das Endprodukt iterativ optimiert, bis die gewünschten Anforderungen erfüllt sind. Dadurch werden kostspielige Änderungen in späteren Phasen des Lebenszyklus vermieden. Speziell in den späteren Entwicklungsphasen repräsentiert der Reifegrad des Prototyps gewissermaßen auch den Projektfortschritt. [9, S. 371-374]
Prototypen lassen sich anhand ihrer Funktion in verschiedene Klassen einteilen und können dabei sowohl virtueller als auch physischer Natur sein [9, S. 377].
Konzeptprototyp
Der Konzeptprototyp stellt ein frühes, dreidimensionales Abbild des zukünftigen Produktes dar und dient zur Erklärung und Kommunikation des Konzepts. Hierbei sind seine Erscheinung und die Visualisierung der Idee vorrangig, während Material, Oberflächenbeschaffenheit und Funktionsumfang nicht relevant sind und vernachlässigt werden können. Ein Konzeptprototyp sollte kostengünstig, einfach und schnell produzierbar sein. Sowohl virtuelle als auch physische Ausführung bieten bei dieser Art von Prototyp individuelle Vor- und Nachteile. Für ein unkomplizierte Parameteranpassung bietet sich die digitale Ausführung an. Die physische Ausführung ist für eine Bewertung mit haptischem Feedback sinnvoll. [9, S. 383-384]
Geometrieprototyp
Der Geometrieprototyp dient vorrangig der Überprüfung von Maßen, Längen, Formen, Lagen und Protoportionen, um zum Beispiel mögliche Kollisionen mit benachbarten Bauteilen zu erkennen. Hierbei sind die genauen Abmessungen relevant, Oberflächenbeschaffenheit und Belastbarkeit jedoch von untergeordneter Bedeutung. Dieser Prototyp eignet sich auch zur Überprüfung des Montagekonzepts [9, S. 384] Hierbei weißt die physische Ausführung keinen Mehrwert auf, weshalb ein virtuelles Abbild des Produkts für den genannten Einsatzzweck ausreicht.
Funktionsprototyp
Um Funktionalitäten und physikalische Eigenschaften zu überprüfen, eignet sich die Klasse des Funktionsprototyps. Dabei ist es wichtig, dass sich dieser äquivalent zum Serienprodukt verhält, um in etwaigen Tests repräsentative Ergebnisse erzielen zu können. Das Aussehen ist für die Funktionserfüllung irrelevant und kann zur Einsparung von Kosten vernachlässigt werden. [9, S. 384-385] Dabei können sowohl virtuelle als auch physische Prototypen in Simulationen beziehungsweise realen Tests auf Anforderungserfüllung überprüft werden.
Technischer Prototyp
Der technische Prototyp weist schon eine weitestgehende Übereinstimmung mit dem Serienprodukt auf. Abweichungen können hierbei noch bei der Automatisierung der Verknüpfung verschiedener Fertigungsschritte liegen. [9, S. 385] Diese physische Art von Prototyp wird auch zur Überprüfung des Produktes im Rahmen des Design Validation Process (DVP) eingesetzt [10, S. 651]. Unter DVP versteht man eine Vielzahl an Tests, die zur Validierung des Produktdesigns vor der Markteinführung durchgeführt werden. Bekannte technische Prototypen sind zum Beispiel vorseriennahe Testfahrzeuge, auch Erlkönige genannt [9, S. 385].
Finaler Prototyp
Ein finaler Prototyp repräsentiert das finale Produkt vollständig. Das bedeutet, dass er alle Eigenschaften und den gesamten Funktionsumfang des geplanten Produkts abbildet. Er weist keinerlei bauliche, materialtechnische oder fertigungstechnische Abweichung zum Serienprodukt auf. [9, S. 385] Es herrscht ein Design Freeze, was bedeutet, dass der jetzige Entwicklungsstand eingefroren wurde und von nun an auf dessen Basis das Serienprodukt auf den Markt kommen wird. Lediglich kleine Differenzen in der automatisierten Verkettung der Herstellungsschritte können auftreten [9, S. 385]. Dieser physische Prototyp wird auch zur Process Validation, der Überprüfung der Fertigungslinie, eingesetzt [10, S. 651].
Anhand der verschiedenen oben aufgelisteten Eigenschaften und Einsatzzwecke ergeben sich wiederum spezielle Anforderungen an den Prototyp als Produkt, die berücksichtigt werden müssen.
2.3 Anforderungen und Requirements Engineering
Ziel des Abschnitts ist das Schaffen einer gemeinsamen Grundlage bezüglich des Anforderungsbegriffs und dem Umgang mit diesem.
Anforderungen sind vom Auftraggeber gewünschte, qualitative und quantitative Eigenschaften eines zukünftigen Produkts, welche in einer Spezifikation festgehalten sind. Darin können zum Beispiel eine Beschreibung des Einsatzzwecks oder des Funktionsumfangs enthalten sein. [11, S. 28] Anforderungen können in verschiedene Arten kategorisiert werden, die nachfolgend aufgelistet und mit einem Beispiel zur Verdeutlichung versehen sind.
- Operationale Anforderungen beschreiben ein gewünschtes Verhalten: Das Smartphone soll nach dem Einschalten den Sperrbildschirm zeigen.
- Quantitative Anforderungen definieren eine messbare Größe: Das Smartphone soll eine Datenübertragungsrate von erreichen können.
- Qualitative Anforderungen definieren einen qualitativen Aspekt einer Eigenschaft: Das Smartphone soll nach Betätigung des Einschaltknopfes schnell betriebsbereit sein.
- Deklarative Anforderungen legen eine Eigenschaft explizit fest: Das Smartphone soll einen Lithium-Ionen-Akkumulator besitzen. [12, S. 58]
Die Anforderungen können unterschiedlich erfüllbar sein. Manche sind entweder vollkommen oder gar nicht erfüllbar, andere nur teilweise und nicht alle müssen auch erfüllt werden. Das bedeutet, dass eine Einteilung nach Fest- und Wunschanforderungen vorgenommen werden kann. Festanforderungen müssen unbedingt erfüllt werden, wohingegen Wunschanforderungen nach Abwägung der Kosten-Nutzenbilanz auch unerfüllt bleiben können [12, S. 58-59].
Qualitativ hochwertige Anforderungen müssen bestimmte Merkmale erfüllen:
- Adäquatheit: Beschreibung des Kundenwunschs
- Vollständigkeit: Beschreibung aller Kundenwünsche
- Widerspruchsfreiheit: Kombinierte Realisierbarkeit aller Anforderungen
- Verständlichkeit: Für verschiedene Nutzergruppen verständliche Formulierung
- Eindeutigkeit: Eindeutige oder definierte Begriffe zum Ausschluss von Fehlinterpretationen
- Prüfbarkeit: Prüfbarkeit der Anforderungserfüllung [12, S. 59]
Durch Requirements Management und Engineering werden Vorgehensmodelle bereitgestellt, die die Erhebung und Weiterentwicklung von Anforderungen im Produktentwicklungsprozess unterstützen [13, S. 52]. Requirements Engineering untergliedert sich in Anforderungsanalyse und Requirements Management [14, S. 19]. Dabei sind die Aufgabengebiete der Anforderungsanalyse Erhebung, Dokumentation, Verifikation und Validierung [12, S. 56].
Um Anforderungen erfolgreich zu erheben, stehen nach Pohl fünf verschiedene Unterstützungsmethoden zur Verfügung:
- Interviews: Erfragen von Informationen in gezielten Einzel- oder Gruppengesprächen
- Workshops: Gruppenarbeit zwischen Kunde und Prototypenbauer zur Informationsgewinnung
- Beobachtungen: Beobachtung von existierenden Systemen zum Ableiten von Anforderungen an neue Systeme
- Schriftliche Befragung: Papierfragebögen oder Online-Eingabemasken zur Ermittlung des Kundenwunschs
- Perspektivenbasiertes Lesen: Analysieren von Dokumenten in Hinblick auf individuelle, spezifische Blickwinkel zur Anforderungsentwicklung 15
Erhobene Anforderungen müssen für nachfolgende Prozesse, zum Beispiel in einem Lastenheft dokumentiert, festgehalten werden [12, S. 58-59]. Ein Lastenheft nach DIN 69901-5 ist eine „vom Auftraggeber festgelegte Gesamtheit der Forderungen an die Lieferungen und Leistungen eines Auftragnehmers innerhalb eines (Projekt-)Auftrags“ [16, S. 9]. So können die erhobenen Anforderungen im späteren Projektverlauf jederzeit nachgelesen, nachvollzogen und mit den tatsächlichen Eigenschaften abgeglichen werden. Im Zuge von Industrie 4.0 und medienbruchfreier, automatisierter Informationsverarbeitung ist die Dokumentation in einem klassischen Lastenheft in Papierform nicht mehr zeitgemäß. Eine Speicherung der Anforderungen in einer Datenbank, über die die Informationen von allen Akteuren des Prozesses abgerufen werden können, ist erstrebenswert.
Die erhobenen Anforderungen werden im folgenden Schritt verifiziert und validiert. Dabei werden die Prozessergebnisse mit den gestellten Prozessanforderungen verglichen. So wird vom Leistungserbringenden überprüft, ob die Dinge richtig gemacht wurden. Bei der Validierung werden zur Verfügung stehende Ergebnisse mit den gestellten Anforderungen verglichen. Hierbei handelt es sich um die Aufgabe des Auftraggebers, bei der überprüft wird, ob die richtigen Dinge gemacht werden. [12, S. 68]
Die essenzielle Aufgabe des Requirements Managements wiederum ist das Verwalten und Ordnen der im Rahmen eines Projekts auftretenden Aufgaben [11, S. 27, 12, S. 56] . Anforderungen und deren Management sind elementar wichtig für ein Projekt und dessen Erfolg. Nicht erkannt oder unzureichend umgesetzt, bergen sie ein hohes Risiko, da durch fehlerhafte Anforderungen mitunter die höchsten finanziellen Aufwände verursacht werden [17, S. 9]. Somit ist es wichtig, jene klar zu definieren und Kriterien für ihre Erfüllung festzulegen. Diese müssen über die Projektlaufzeit abgeglichen und überprüft werden. Eine Quantifizierung von Anforderungen lässt sich entweder anhand von kategorialen oder metrischen Skalen realisieren. Je nach Merkmal kann so eine Schwelle definiert werden, ab welcher die Eigenschaft als erfüllt klassifiziert wird. [18, S. 24-30]
2.4 Industrie 4.0
Mit Industrie 4.0 wird das kommende und in Teilen bereits angebrochene Industriezeitalter bezeichnet, wobei der Begriff ursprünglich von der deutschen Bundesregierung als Name für eine Reihe an Projekt eingeführt wurde. Deren Ziel ist der Erhalt der internationalen Konkurrenzfähigkeit der deutschen Wirtschaft im kommenden Technologiezeitalter und die mögliche Sicherung der Vorreiterposition. [19, S. 2]
Um ein besseres Verständnis für Industrie 4.0 zu erlangen, eignet sich ein Blick auf die vergangenen Entwicklungen der Wirtschaft und wie diese aufeinander aufbauen. Die erste industrielle Revolution wird mit der Entwicklung der Dampfkraft, der Mechanisierung und dem Webstuhl in Verbindung gebracht. So wurde ab 1750 eine enorme Produktivitätssteigerung erzielt. Eine der bekanntesten Maschinen dieses Zeitalters ist der Webstuhl „Spinning Jenny“. [20, S. 1]
Anmerkung der Redaktion: Diese Abbildung wurde aus urheberrechtlichen Gründen entfernt.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2-6: Stufen und Merkmale der industriellen Revolutionen
Auf den Potenzialen der ersten Revolution aufbauend, wurde mit der zweiten industriellen Revolution die elektrische Energie und die Massenproduktion eingeführt. Als Start dieses Entwicklungszeitalters gelten die ersten hochgelegten Transportbänder aus dem Jahr 1870. Es lässt sich durch den Umstieg von Dampfkraft auf elektrische Energie auch die erste Dezentralisierung beobachten. Durch elektrische Leitungen konnte die Energie überall hin transportiert werden und Maschinen waren nicht mehr auf den Anschluss an das zentrale Dampfkraftwerk angewiesen. Mit der Einführung von Arbeitsteilung in der großindustriellen Massenproduktion mit Fließbandfertigung und betriebswirtschaftlicher Führung von Unternehmen konnten Skaleneffekte erstmalig genutzt und eine daraus resultierende Produktionssteigerung erreicht werden. [20, S. 1-2]
Mit der dritten industriellen Revolution ab 1969 und der ersten speicherprogrammierbaren Steuerung entwickelte sich die Automatisierung. Der Einsatz von Elektronik und Informations- und Kommunikationstechnologie erlaubte eine fortschreitende Automatisierung des Produktionsprozesses mit erhöhter Variantenvielfalt trotz Massenproduktion. Durch die Globalisierung der Welt findet eine vermehrte Arbeitsteilung statt. [20, S. 3]
Industrie 4.0, auch die vierte industrielle Revolution genannt [22, S. 235], überführt die Wertschöpfung zusätzlich zur realen in die digitale, virtuelle Welt. Dabei entsteht ein virtuelles Abbild der realen Begebenheiten. Produktionsanlagen und Maschinen werden über das Internet untereinander und mit dem Menschen vernetzt und interagieren mit Hilfe von sogenannten cyber-physischen Systemen (CPS). [23, S. 515] Dadurch entstehen flexible, dynamisch auf Echtzeitbegebenheiten reagierende Systeme, die sich selbst auf Basis unterschiedlichster Kriterien wie Kosten, Verfügbarkeit, Energieeffizienz optimieren. [19, S. 2]
Auch ein zusätzliches Fortschreiten der Dezentralisierung und das Auflösen der typischen hierarchischen Top-down-Struktur hin zur dezentralen Organisation prägen Industrie 4.0. Maschinen, Fertigungslinien und sogar ganze Fabriken steuern sich, angepasst an aktuelle Begebenheiten und Bedürfnisse, dezentral. [23, S. 516]
Durch die Verbindung aus virtueller und realer Industrie lässt sich eine Steigerung der Prozesseffizienz sowie die Eröffnung neuer Produkt- und Servicefelder erreichen [23, S. 515, 24, S. 3]. So entstehen neue Wertschöpfungsketten, bei denen die technologische Entwicklung mit der Digitalisierung verknüpft wird. [19, S. 2]
2.4.1 Fünf Paradigmen der Industrie 4.0
Oft findet eine Reduktion des Begriffs Industrie 4.0 auf neuartige Technologien statt. Doch intelligente Gegenstände, Radio Frequency Identification (RFID) und Breitband-Internetzugänge existieren bereits. Die Neuartigkeit besteht in der Kombination der Technologien im industriellen Umfeld zur Erzeugung einer einheitlich agierenden Lösung. [25, S. 37] Industrie 4.0 basiert auf fünf grundlegenden Elementen, die zur Umsetzung der Potenziale notwendig sind.
Paradigma 1: Vertikale und horizontale Integration
Industrie 4.0 forciert mit der vertikalen Integration die Eingliederung unternehmensinterner Systeme in Hierarchieebenen mit Schnittstellen zum Datenaustausch. So entsteht ein durchgängiges System mit Informationsflussrichtung anhand der Rangordnung der Ebenen. Diese Vernetzung von Systemen und ihren Bestandteilen kann aber nur mit Hilfe von standardisierten und einheitlichen Schnittstellen für die Maschine-zu-Maschine-Kommunikation funktionieren. Sollte dies gegeben sein, so entsteht die Möglichkeit, Daten über die Produktion in Echtzeit zu sammeln, auszuwerten und zu optimieren. [25, S. 37-38]
Im Gegensatz zu den Ursprüngen der Fertigungsautomatisierung mit Computer-Integrated Manufacturing aus dem Jahr 1970, wird bei Industrie 4.0 eine Integration des Menschen über Visualisierungsmöglichkeiten wie Virtual Reality (VR) und Augmented Reality (AR) in das System Smart Factory als letzte Entscheidungsinstanz angestrebt. [25, S. 21]
Aufbauend auf der vertikalen strebt die horizontale Integration die Vernetzung der Lieferkette (Supply-Chain) vom Lieferanten über das unternehmensintern vertikal integrierte System hin zum Kunden an. Damit werden technische Prozesse in Echtzeit unternehmensübergreifend synchronisationsfähig und ein dynamisches Wertschöpfungsnetzwerk entsteht. [26, S. 9-10]
Daraus ergeben sich eine hohe und schnelle Anpassungsfähigkeit der Produktionslinie auf momentane Begebenheiten, eine Reduktion von Rüst- und eine Vermeidung von Leerlaufzeiten. Es entstehen neue Steuerungs- und Regelungsmöglichkeiten und bei Betrachtung der Umweltauswirkungen ein optimierter Energieverbrauch. Das Unternehmen kann zudem besser auf individuelle Kundenwünsche eingehen und so personalisierte Produkte anbieten. Mass-Customization wird damit realisierbar. [25, S. 38]
Paradigma 2: Dezentrale Intelligenz
Dezentrale Intelligenz ermöglicht eine individuelle und ortsunabhängige Weitergabe von für den Produktionsprozess relevanten Informationen. Hierfür sind Kommunikationsmöglichkeiten wie Internet of Things und Internet of Services, mit Sensoren und eingebetteten Computersystemen aufgerüstete Produktionsanlagen und Werkstücke mit RFID-Chips notwendig. In RFID-Chips können der aktuelle Status des Produkts, weitere Bearbeitungsschritte und Produkteigenheiten gespeichert und von der Produktionslinie ausgelesen werden. So entstehen intelligente Produkte mit Informationen über ihre zukünftige Verwendung, die einzelnen ihnen zugehörigen Produktionsprozessschritte, individuelle Eigenheiten und Fertigungstoleranzen sowie ihren aktuellen Fortschritt. So kann die Fertigungslinie individuell für jede Produktinstanz Parameter anpassen und damit Produktionsdurchlaufzeit und Qualität verbessern. Durch dezentrale Intelligenz wird auch die Basis für eine dezentrale Steuerung gelegt. [25, S. 39]
Paradigma 3: Dezentrale Steuerung
Klassische, ortsgebundene und unflexible Steuerung aus dem dritten Industriezeitalter steht dem Konzept der dezentralen Steuerung von Industrie 4.0 gegenüber. Durch eine Vernetzung und Auslagerung von Rechenleistung in eine Cloud wird die geographische Bindung aufgehoben und die Verbindung der Produktionsanlagen über Kabel mit einem zentralen Schaltschrank überflüssig. Dies ist notwendig, da eine kabelgebundene Vernetzung den Ansprüchen von Industrie 4.0 an Flexibilität und Variabilität nicht auf effiziente Weise gerecht werden könnte. Durch Clouddienste kann Rechenleistung bedarfsgerecht zur Verfügung gestellt werden und der Zugriff auf Prozessdaten über internetfähige Endgeräte weltweit jederzeit erfolgen. [25, S. 40]
Paradigma 4: Durchgängig digitales Engineering
Die Abbildung des gesamten realen Produktionsprozesses in der virtuellen Welt wird durchgängig digitales Engineering genannt [25, S. 41]. Dabei spielen drei Elemente wichtige Rollen.
„Die Digitale Fabrik ist der Oberbegriff für ein umfassendes Netzwerk von digitalen Modellen, Methoden und Werkzeugen – [unter anderem] der Simulation und der dreidimensionalen Visualisierung – , die durch ein durchgängiges Datenmanagement integriert werden. Ihr Ziel ist die ganzheitliche Planung, Evaluierung und laufende Verbesserung aller wesentlichen Strukturen, Prozesse und Ressourcen der realen Fabrik in Verbindung mit dem Produkt.“ [27, S. 3] Die digitale Fabrik ermöglicht also die virtuelle Darstellung der kompletten realen Fabrik inklusive Produktionsanlagen, Personal, Betriebsmitteln und weiteren Bausteinen beispielsweise über Computer Aided Design (CAD) und Computer Aided Manufacturing. Dabei wird bei dem Ausdruck digitale Fabrik auch oft von statischer Abbildung gesprochen. Erst in Kombination mit dem Faktor Zeit entsteht eine virtuelle Fabrik. [28, S. 9]
Zur virtuellen Abbildung einer Fabrik wird eine Datenbasis benötigt, die durch ein geeignetes Datenmanagementsystem bereitgestellt und koordiniert werden muss. Diese Daten können dann für unterschiedlichste Aufgaben innerhalb und außerhalb des Unternehmens, wie Prozess- oder Logistikplanung, genutzt werden. Hieraus ergeben sich die Möglichkeiten, Anwendungsfälle zu simulieren und Einzelkomponenten über den Zeitverlauf zu analysieren, um mögliche Anpassungen der Produktionsparameter oder des Produkts vorzunehmen. [25, S. 41-42]
Durch die Simulation lässt sich eine Kosten- und Zeitersparnis erzielen. Neue Produkte können schneller auf den Markt gebracht und Fehler frühzeitig in der Produktentwicklung identifiziert werden. [28, S. 11]
Paradigma 5: Cyber-physisches Produktionssystem
Das cyber-physische Produktionssystem (CPPS) beschreibt das Produktionssystem der Industrie 4.0. Es setzt sich aus mehreren cyber-physischen Systemen in Kombination mit intelligenten Produkten, der Vernetzung mit dem Internet und geeigneten Mensch-Maschine-Schnittstellen zusammen. [25, S. 42]
Ein CPS entsteht durch das Zusammenspiel von drei Komponenten. Zum einen müssen intelligente Objekte mit dem Internet vernetzt werden.
Embedded Computing (eingebettete Berechnung) entsteht durch die Implementierung von Mikroelektronik wie Sensoren, Speichern, Kommunikationsmodulen und Prozessoren in Alltagsgegenstände [29, S. 40]. Wird Embedded Computing mit geeigneter Software kombiniert, entstehen Embedded Devices (eingebettete Systeme) [30, S. 19]. Eine Vernetzung von Embedded Devices mit dem Internet lässt Ubiquitous Computing (Allgegenwärtigkeit von Rechnern) entstehen. Diese untereinander vernetzten und mit dem Internet verbundenen, intelligenten Objekte bilden den Grundstein für cyber-physische Systeme. [25, S. 25]
Das Internet of Things and Services (IoTS) bildet den zweiten Baustein für CPS und steht für die Erweiterung des allgegenwärtigen Internets auf intelligente Produkte. So werden Alltagsgegenstände Teil der Internets und können über eigene Internet Protocol-Adressen von überall und jederzeit direkt angesteuert werden. Damit sind jene in der Lage, an andere Informationstechnologie-Systeme (IT-Systeme) Daten weiterzuleiten oder für sich selbst abzurufen. [31, S. 58] Auf Basis der von diesen intelligenten und mit dem Internet vernetzten Objekten generierten Daten lassen sich neuartige Dienstleistungen über das Internet anbieten [25, S. 26-27].
Als dritte Komponente eines CPS spielt Cloud Computing eine wichtige Rolle. Cloud Computing stellt situations- und bedarfsgerecht die Ressourcen für die Datenverarbeitung über das Internet bereit. Dabei kann sowohl Rechenleistung als auch Speicher zur Verfügung gestellt werden. Die riesigen durch Ubiquitous Computing erzeugten Datenmengen können so bedarfsgerecht in der Cloud verarbeitet werden. [25, S. 54] Die zur Digitalisierung der Produktion benötigte Speicher-, Rechen- und Analyseleistung wird so durch Cloud Computing abgedeckt.
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Abbildung 2-7: Komponenten von Industrie 4.0 (in Anlehnung an [25, S. 22])
Die Gesamtheit der Komponenten bildet ein cyber-physisches System, das die Möglichkeit hat, durch Sensoren Daten zu erfassen und, nach Analyse und Verarbeitung dieser, eine Entscheidung zu treffen. So kann es beispielsweise auf die Produktion einwirken, um Parameter zu optimieren. [25, S. 29]
Mehrere CPS als Basis in Verbindung mit Maschine-zu-Maschine-Kommunikation und Mensch-Maschine-Interaktion ergeben ein cyber-physisches Produktionssystem mit der Fähigkeit, die Produktion begebenheitsabhängig und dezentral zu steuern. Damit eine automatisierte Fertigungssteuerung erreicht werden kann, benötigt das System zum einen eine standardisierte Schnittstelle zwischen den technischen Komponenten und zum anderen muss der Mensch mit geeigneten Visualisierungsmöglichkeiten, wie Virtual Reality (VR) und Augmented Reality (AR), eingebunden werden können. [25, S. 23-24]
CPPS fungieren als technologische Basis. Das ganzheitliche Konzept Industrie 4.0 kann jedoch erst in Kombination mit neuen Unternehmensvisionen, Strategieanpassungen und Geschäftsmodellen sowie den damit verbundenen, neugestalteten Prozessen realisiert werden [25, S. 24].
2.4.2 Potentiale und Chancen für den Prototypenbau
Um den Gestaltungsrahmen Industrie 4.0 auf den Prototypenbau sinnvoll anwenden zu können, müssen sich durch eine solche Implementierung Potenzial bieten. Nachfolgend sind anhand der zu fertigenden Werkstücke X und Y die fünf Paradigmen exemplarisch angewendet, um die sich aus dem Einsatz des Konzepts Industrie 4.0 ergebenden Chancen hervorzuheben.
Vertikale Integration bedeutet, dass die verschiedenen Unternehmensebenen über einheitliche Schnittstellen in Kommunikation miteinander stehen [25, S. 37], sodass die Planungs- und Steuerungsebene Echtzeitdaten von der Arbeitsebene erhält. Diese Daten können dann genutzt werden, um die Fertigungsstrecke auf die aktuelle Auslastung anzupassen. So kann die Produktionslinie eines Prototypenbauers schnell und flexibel an die Aufträge angepasst werden. Dieser Vorteil ist enorm, da im Prototypenbau maximal Kleinserien produziert werden und somit die Produktionsmaschinen häufig auf neue Werkstücke eingestellt und kalibriert werden müssen.
Durch eine horizontale Integration wird ein dynamisches Wertschöpfungsnetz vom Produzenten bis hin zum Kunden erzeugt [26, S. 9-10]. Dadurch bietet sich die Möglichkeit, dass er zu jeder Zeit den Status seines in Auftrag gegebenen Teils über das Internet abrufen kann. Mögliche Änderungen am Werkstück X können ohne Zeitverzug weitergeleitet und noch bis unmittelbar vor dem Start der Produktionsmaschinen berücksichtigt werden.
Durch dezentrale Intelligenz und Steuerung haben Maschinen und Werkstücke die Möglichkeit zu kommunizieren, Informationen auszutauschen und sich selbstständig an Begebenheiten anzupassen [25, S. 39-40]. Die Informationen aus der Herstellung des Rohlings von Werkstück X sind in einem RFID-Chip gespeichert, der bei der Weiterverarbeitung ausgelesen werden kann. Werkstück X besteht jedoch aus einem anderen Material als Werkstück Y und beide sollen nacheinander an der gleichen Maschine bearbeitet werden. Anhand der ausgelesenen Daten kann sich die Maschine automatisch ohne Zeitaufwand auf die materialspezifisch optimale Vorschubgeschwindigkeit einstellen. So wird eine höhere Oberflächenqualität bei gleichzeitiger Durchlaufzeitreduktion erreicht. Die Produktionsdaten, deren Analyse und Verarbeitung mit Hilfe von bedarfsgerecht benutzter Rechenleistung abläuft, sind in der Cloud gespeichert. Somit ist ein Abruf über ein internetfähiges Endgerät ortsungebunden und zu jeder Zeit möglich. Der Kunde kann immer den aktuellen Status und die noch folgenden Produktionsschritte einsehen. Der Prototypenbauer kann durch variabel skalierbare Rechenleistung und leistungsgerechte Bezahlung das in diesem Moment eventuell vorhandene hohe Auftragsvolumen informationstechnisch verarbeiten. Bei geringerer Auslastung sinken die anfallenden Kosten und helfen dann, auch in Zeiten schlechterer Auftragslagen den Gewinn zu erhalten.
Mit Hilfe von durchgängig digitalem Engineering kann die komplette Produktionslinie des Prototypenbauers abgebildet werden [25, S. 41]. Anhand dieser virtuellen Abbildung der realen Produktionsstätte können Fertigungsdurchläufe der Linie simuliert und analysiert werden. Die hieraus gewonnenen Erkenntnisse können zur Parameteroptimierung verwendet werden, sodass die Fertigungslinie im Vorhinein in virtuellen Durchläufen auf die Geometrie und die Eigenschaften des Werkstücks X angepasst wird. Dadurch ist eine genauere Berechnung der Produktionszeit möglich, die auch an den Kunden weitergeleitet wird, worauf dieser dementsprechend seine Zeitpläne und Kalkulationen anpassen kann. Damit kommt es zu weniger Fehlplanungen und einer Steigerung der Effizienz.
Mit CPPS als Basis kann der Prototypenbauer neue digitale Produkte und Dienstleistungen anbieten [25, S. 23-24]. Diese sogenannten Smart Services erweitern das Leistungsspektrum des Prototypenbauers, indem sie Daten und Funktionen von CPPS monetarisieren [32, S. 306]. Die virtuelle Fertigungssimulation des Werkstücks Y wird an dessen Kunden verkauft und somit zusätzlicher Umsatz erzeugt. Gleichzeitig können auch virtuelle Modelle verschiedener Ausführungen eines Prototyps erstellt und dem Kunden präsentiert werden.
Die genannten Beispiele zeigen, dass es durchaus Potenzial bei der Anwendung von Industrie 4.0-Methoden auf den Prototypenbau gibt.
2.5 Fertigungsverfahren im Prototypenbau und der Produktentwicklung
Der Prototypenbau stellt durch seine Variabilität und geringe Losgröße besondere Anforderungen an die Fertigung. Deshalb eignen sich nur bestimmte Verfahren für die Herstellung von Prototypen. Nachfolgend wird ein Überblick über die sechs Hauptgruppen der Fertigungsverfahren nach DIN 8580 gegeben, um diese anschließend auf eine Eignung für den Prototypenbau zu untersuchen. Besondere Aufmerksamkeit wird dabei der additiven Technologie geschenkt.
2.5.1 Einteilung der Fertigungsverfahren nach DIN 8580
Fertigungsverfahren sind „alle Verfahren zur Herstellung von geometrisch bestimmten festen Körpern; sie schließen die Verfahren zur Gewinnung erster Formen aus dem formlosen Zustand, zur Veränderung dieser Form sowie zur Veränderung der Stoffeigenschaften ein“ [33, S. 4]. „Die Fertigungsverfahren können von Hand oder mittels Maschinen und anderen Fertigungseinrichtungen in der Industrie oder im Handwerk ausgeführt werden.“ [33, S. 4]
Die Vielzahl an Fertigungsverfahren lässt sich laut DIN 8580 anhand ihrer Merkmale in verschiedene Hauptgruppen unterteilen. Um einen Überblick zu bekommen, werden diese im Folgenden kurz vorgestellt und einige Beispiele aus ihren Untergruppen genannt. Dabei ist zu beachten, dass generative Fertigungsverfahren durch ihre Neuheit noch nicht von der DIN 8580 eingeordnet werden.
Abbildung 2-8 zeigt besagte Hauptgruppen und ihre Merkmale unterteilt in sechs verschiedenen Kategorien.
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Abbildung 2-8: Einteilung in Verfahrensgruppen nach DIN 8580 (in Anlehnung an [33, S. 7])
Hauptgruppe 1: Urformen
Urformen wird angewandt, um aus formlosem Stoff einen festen Körper zu erschaffen. Dabei wird zwischen den Elementen des formlosen Ausgangsmaterials ein Zusammenhalt erzeugt. Die Stoffeigenschaften des fertigen Werkstücks können durch verschiedenste Anpassungen bestimmt werden. [33, S. 4] Einige Beispiele für Untergruppen des Urformens sind das Niederdruckgießen, Spritzgießen, Pressen oder die Herstellung von Faserplatten [33, S. 8].
Hauptgruppe 2: Umformen
Bei Fertigungsverfahren aus der Hauptgruppe der Umformverfahren wird bei gleichbleibender Masse die Form des Körpers plastisch verändert. Der Zusammenhalt der einzelnen Moleküle wird dabei nicht modifiziert. [33, S. 4] Zum Umformen gehören unter anderem auch die Untergruppen des Walzens, Tiefziehens und Längens [33, S. 9].
Hauptgruppe 3: Trennen
Wird ein Körper durch Trennen bearbeitet, so wird eine in der Eingangsform enthaltene Ausgangsform durch teilweises oder komplettes Vermindern des Zusammenhaltes erzeugt. [33, S. 4] Die Untergruppen des Fräsens, Drehens und des Bandschleifens gehören beispielsweise zur dritten Hauptgruppe [33, S. 10].
Hauptgruppe 4: Fügen
Durch Fügen werden zwei oder mehr geometrisch bestimmte Werkstücke oder formloser Stoff dauerhaft miteinander verbunden. Hierbei wird eine örtliche Verbindung geschaffen und der Zusammenhalt im Ganzen vermehrt. Beim Fügen können auch Urformverfahren zur Anwendung kommen. [33, S. 5] Einige Beispiele für Untergruppen des Fügens sind das Schmelzverbindungsschweißen, das Fügen durch Presspassung oder das Kleben mit physikalisch abbindenden Klebstoffen [33, S. 11].
Hauptgruppe 5: Beschichten
Um ein Werkstück zu beschichten, wird eine permanent haftende Schicht aus formlosem Stoff auf seine Oberfläche aufgetragen. [33, S. 5] Beschichtungsverfahren kommen auch zum Teil in der additiven Fertigung zum Einsatz 34. Verputzen, Lackieren, Spachteln und chemisches Beschichten sind beispielhafte Untergruppen [33, S. 12].
Hauptgruppe 6: Stoffeigenschaften ändern
Die letzte Hauptgruppe gliedert Verfahren, die gezielt Änderungen der Stoffeigenschaften des Werkstückes herbeiführen. Hierbei wird die atomare Struktur der Moleküle des Werkstücks beeinflusst. Veränderungen in der Molekülstruktur treten auch als Begleiteffekte bei den Verfahren der Hauptgruppen zwei bis fünf auf. [33, S. 5] Beispiele für Stoffeigenschaften ändernde Untergruppen sind Glühen, Härten, Anlassen oder Belichten [33, S. 13].
2.5.2 Geeignete Verfahren für den Prototypenbau
Die Anforderungen an die Verfahren des Prototypenbaus sind speziell. Sie müssen für eine schnelle Produktion in geringer Stückzahl mit großer Variabilität und Flexibilität geeignet sein. Dabei ist zu beachten, dass sich je nach Art des Prototyps verschiedene Anforderungen ergeben. Generell eignen sich Verfahren ohne aufwendige Vorbereitung und mit geringen Werkzeugkosten am besten, während andere, für die zum Beispiel eine Spezialspritz- oder Gussform hergestellt werden muss, ungeeignet sind.
Je nach Anwendung lassen sich passende Verfahren in allen Hauptgruppen finden. Hauptgruppe sechs bildet dabei eine Ausnahme, da durch die Änderung von Stoffeigenschaften keine Bauteile aus Rohlingen oder formlosem Stoff erzeugt werden können und somit höchstens eine Nachbehandlung von Prototypen für einen besonderen, speziellen Verwendungszweck denkbar ist.
Oft existieren verwandte, sehr ähnliche Verfahren mit nur geringen Unterschieden. Welches sich letztendlich eignet, vom Prototypenbauer umsetzbar ist und verwendet wird, hängt auch von dessen individuellen Möglichkeiten ab, denn Fertigungsverfahren lassen sich durchaus auch bis zu einem gewissen Grad substituieren [35, S. 2]. Es kann sein, dass ein geringfügig besser geeignetes Verfahren mit einem deutlichen Produktionskostenzuwachs verbunden ist und somit nicht die optimale Lösung darstellt. Es gilt die Kombination aus Faktoren wie Produzierbarkeit, zu erreichender Werkstückqualität und Kostenaufwand zu optimieren. Hierfür bietet es sich an, eine Technologiebewertung durchzuführen. Die Methodik einer solchen Bewertung wird in Abschnitt 5.2.3 angerissen.
Da aufgrund der Beschaffenheit des Prototypenbaus mit Losgröße eins keine positiven Skaleneffekte auftreten, muss die Kosten- und Zeitersparnis über andere Wege realisiert werden. Additive Fertigungstechnologie benötigt kein produktspezifisches Werkzeug und eliminiert somit diesen Kostenbereich [36, S. 3]. Dadurch eignet sie sich für die speziellen Anforderungen des Prototypenbaus.
Für die genauere Betrachtung der Verfahrensfamilien aus dem Bereich der additiven Fertigung, muss zuerst Klarheit über die Bedeutung der Begriffe Additive Fertigungsverfahren, Rapid Prototyping, Rapid Tooling und Rapid Manufacturing geschaffen werden. Abbildung 2-9 gibt eine Übersicht.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2-9: Begriffsübersicht zu rapider Technologie und deren Anwendung (in Anlehnung an [36, S. 6])
Unter additiven Fertigungsverfahren werden alle Verfahren verstanden, die durch ein schichtweises Auf- oder Aneinanderfügen aus Einzelgeometrien die Endgeometrie erzeugen [36, S. 3]. Wird die additive Fertigungstechnologie zur Erstellung eines Prototyps angewandt, so bezeichnet man diesen Prozess als Rapid Prototyping. Als Rapid Prototyping-Verfahren wurden in den 1980er Jahren Fertigungsmethoden eingeführt, mit deren Hilfe direkt aus einem CAD-Modell ein Prototypenbauteil hergestellt werden konnte. Somit können teure Werkzeug- und Formkosten eingespart werden, weshalb die Verfahren auch als werkzeuglose Fertigungsverfahren bezeichnet werden [37, S. 5]. Die Herstellung von Prototypenwerkzeug mittels generativer Fertigungsverfahren nennt sich Rapid Tooling. Als Rapid Manufacturing wiederum versteht sich die direkte additive Fertigung von Endprodukten. [36, S. 9-10]
Die oben angesprochenen Schichtbauverfahren wandeln das virtuelle Volumenmodell des zu fertigenden Werkstücks in ein Schichtmodell um. Die verschiedenen Einzelschichten werden anschließend von der entsprechenden Fertigungsmaschine Schritt für Schritt je nach Material aufgeschmolzen oder gehärtet. Die Summe der einzelnen miteinander verbundenen Schichten bildet das additiv gefertigte Bauteil. [37, S. 5]
Um diese einzelnen Schichten zu erzeugen, wird das CAD-Volumenmodell geschnitten und dann als Surface-Tessellation-Language-Datensatz (STL-Datensatz) an die Produktionsmaschine exportiert. Die einheitliche Datenschnittstelle über STL bietet Freiraum in der Auswahl der Materialien und Verfahren. Die Materialeigenschaften des späteren Bauteils können durch Einstellung der Fertigungsparameter direkt im Herstellungsprozess beeinflusst werden. Hinzu kommt die Möglichkeit, Bauteile in jeglicher Orientierung zu erstellen. Damit einhergehend entfällt die Spannproblematik, bei der die Einspannrichtung für spätere Bearbeitung schon in der Konstruktion berücksichtigt werden müsste. [36, S. 3-4] Jedoch ist bei der additiven Fertigung verfahrensabhängig zu beachten, dass die Orientierung der Einzelschichten Einfluss auf die belastungsrichtungsabhängige Bauteilfestigkeit haben kann.
Nachfolgende Tabelle zeigt die Verfahrensfamilien des Rapid Prototypings, die sich in der Industrie herauskristallisiert haben.
Tabelle 2-1: Verfahrensfamilien des Rapid Prototypings (in Anlehnung an 38)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Die weitverbreitete Begrifflichkeit dreidimensionaler Druck (3D-Druck) als Überbegriff für die additive Fertigung wird auch in dieser Arbeit benutzt, da hier eine direkte namentliche Nennung der einzelnen Verfahren nicht notwendig ist. Eine Auflistung gängiger additiver Verfahren mit Vergleich ihrer individuellen Vor- und Nachteile kann dem Dokument Herstellungsverfahren für Prototypen der Firma Proto Labs GmbH entnommen werden 39.
Die Eignung dieser Technologie für den Prototypenbau wird unter anderem durch die, sich von den konventionellen Fertigungsverfahren abhebende, Kostenstruktur erzeugt.
Durch die additive Fertigung können komplexe Strukturen realisiert werden, die mit konventionellen Verfahren nicht möglich wären [36, S. 4]. Es eröffnet sich ein neues Feld der Konstruktionsmöglichkeiten in Hinblick auf Leichtbaustrukturen zum Einsparen von Material und Gewicht, wobei die andersartige Kostenstruktur der additiven Technologie zum Tragen kommt. Wie in Abbildung 2-10 zu erkennen ist, entstehen keine Mehrkosten durch erhöhte Bauteilkomplexität, da diese, anders als bei konventionellen Verfahren, kaum Einfluss auf die Produktionszeit aufweist. So lassen sich gerade kundenindividuelle Wünsche mit niedrigen Stückzahlen profitabel umsetzen. [2, S. 2]
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Abbildung 2-10: Kostenstrukturen von additiver und konventioneller Fertigung (in Anlehnung an [2, S. 3])
Einen weiteren Vorteil bietet die Skalierbarkeit der Bauteile. Größe und Material können durch Skalieren der Datei und die einheitliche Schnittstelle im STL-Datenformat variiert werden, da der Fertigungsauftrag je nach Material an verschiedene Maschinen weitergeleitet werden kann. [36, S. 4]
Gerade für den Prototypenbau ist die stückzahlunabhängige, schnelle Produktionsmöglichkeit wichtig. Hierfür bieten additive Verfahren die Möglichkeit, verschiedene Bauteile in einem Fertigungslauf, verteilt auf den Bauraum, herzustellen [36, S. 15]. Ohne Werkzeugherstellungsprozess kann zudem die Produktentstehungsphase beschleunigt und oder verkürzt werden. Die Dauer der reinen Kostenphase innerhalb des Produktlebenszyklus wird somit minimiert und die Gesamtprofitabilität des Produkts erhöht. [36, S. 14]
Für einige Anwendungsbereiche von Prototypen eignen sich auch Herstellungsverfahren, bei denen eine Negativform per rapider Technologie erstellt und anschließend ausgegossen wird. Solch ein Verfahren wird Indirect Prototyping mit Hilfe von Indirect Tooling genannt. [36, S. 10] Mit dieser Anwendungsmethode von additiver Technologie wird ein theoretisch ungeeignetes Verfahren, wie beispielsweise der Spritzguss, für den Prototypenbau nutzbar. Ein Unternehmen, das sich auf genau diese Anwendung spezialisiert hat, ist die Firma priomold GmbH 40. Durch das Rapid Injection Moulding-Verfahren können die Vorteile der Material- und Festigkeitseigenschaften von Gussverfahren mit der schnellen Bauteilerstellung von additiver Fertigung kombiniert werden. [9, S. 386, 41]
Als hybride Fertigungsverfahren wird eine Kombination aus additiver und subtraktiver Fertigungstechnologie verstanden [9, S. 387], bei der ein generativ erzeugter Grundkörper mit subtraktiven Verfahren an bestimmten Oberflächen nachbearbeitet wird. So können Passungen und Bohrungen eingebracht, Funktionsflächen bearbeitet und oder Lagersitze hergestellt werden. [42, S. 171] Hierbei werden die Vorteile beider Verfahren vereint und eine zeitliche Einsparung im Vergleich zu konventioneller Fertigung sowie eine Qualitätsoptimierung im Gegensatz zu additiver Fertigung erreicht [9, S. 387].
Doch unabhängig von allen Vorteilen additiver Technologie finden sehr wohl auch klassische, subtraktive Computerized Numerical Control Verfahren (CNC Verfahren) Anwendung 43. CNC-drehende und -fräsende Bearbeitung erzeugt vor allem eine hohe Oberflächenqualität mit geringem Mittenrauwert [44, S. 82]. Auch Erodierverfahren bieten eine hohe geometrische Genauigkeit und finden dadurch trotz relativ langer Bearbeitungsdauer Anwendung im Prototypenbau [44, S. 82, 45]. Biege- und Stanzbiegeverfahren werden in speziellen Sparten des Prototypenbaus ebenso eingesetzt 45.
Zusammenfassend gesagt, finden sowohl additive als auch konventionelle Verfahren Anwendung im Prototypenbau. Dabei bieten hybride Verfahren und das Indirect Prototyping mittels Indirect Tooling oft das größte Potenzial oder sind sogar notwendig.
3 Analyse des Markts für Prototypenbau
Um ein Bild über die aktuelle Situation der Branche zu bekommen und bestehende Teilprozessketten in Unternehmen des Prototypenbaus zu untersuchen, wird im Folgenden eine Marktanalyse des Prototypenbaus durchgeführt, bei der verschiedene Unternehmenskonzepte untersucht und vorgestellt werden. Dabei werden die untersuchten Unternehmen anhand von angebotenen Leistungen systematisch kategorisiert und verglichen. Für ein besseres Systemverständnis und eine Verdeutlichung des zeitlichen Ablaufs sind die verschiedenen Strukturen sowohl als Unified Modelling Language-Anwendungsfalldiagramme (UML-Anwendungsfalldiagramme) modelliert als auch ablauforientiert in Form von Business Process Model and Notation-Diagramms (BPMN-Diagramms) dargestellt. BPMN eignet sich durch ihren skalierbaren Detailgrad [46, S. 595], um den groben Gesamtablauf innerhalb der einzelnen Unternehmenskonzepte darzustellen. Ein Vergleich verschiedener Prozessmodellierungssprachen mit genauerer Erklärung der Syntax von BPMN findet in Abschnitt 5.1.1.1 statt. BPMN Diagramme lassen sich jedoch auch ohne Vorkenntnisse leicht verstehen, weshalb eine ausführliche Erklärung der Sprache hier nicht notwendig ist.
Dabei ist zu beachten, dass sich nicht alle Unternehmen selbst als Prototypenbauer klassifizieren, jedoch Dienstleistungen aus dem Bereich des Prototypenbaus anbieten und somit im Rahmen dieser Arbeit untersucht werden. Weiterhin sind die Grenzen zwischen den einzelnen Kategorien fließend und die individuellen Leistungsspektren verschiedener Unternehmen einer Kategorie können durchaus Abweichungen zueinander aufweisen.
Bei der Marktanalyse zeigt sich eine dezente Ablehnungshaltung gegenüber Automatisierung und Digitalisierung. Die Struktur des Marktes zeichnet sich durch eine starke persönliche und individuelle Vertrauensbindung zwischen Entwickler und Prototypenbauer aus. Dieses Phänomen resultiert vor allem aus dem Schutzbedürfnis des nicht veröffentlichten Gedankenguts. Durch langjährige Geschäftsbeziehungen wird eine Vertrauensbasis geschaffen, anhand derer eine nicht automatisierte Zusammenarbeit funktioniert. Beide Parteien kennen die Arbeitsweise des jeweils anderen und wissen, mit welchem Input sie ihren gewünschten Output herbeiführen. Der Prototypenbauer weiß also, die eigentlichen Anforderungen aus den Äußerungen des Entwicklers abzuleiten. Bei der Zusammenarbeit entstehen, relativ gesehen, wenige Fehlinterpretationen und Missverständnisse bezüglich der Anforderungen. Neue Geschäftsbeziehungen entwickeln sich dementsprechend aber nur schleppend. Durch die begrenzten Ressourcen und der daraus resultierenden Einschränkung der umsetzbaren Möglichkeiten entsteht ein Innovationshemmnis. Das könnte gegebenenfalls zur Folge haben, dass bei einer nicht realisierbaren Idee des Entwicklers womöglich nach anderen Konstruktionen gesucht wird, anstatt besser geeignete Fertigungspartner miteinzubeziehen.
Jedoch treten genau durch diese nicht automatisierte Struktur der Zusammenarbeit viele Medienbrüche auf. Ein Medienbruch entsteht immer, wenn „bei der Übertragung von Informationen innerhalb der Übertragungskette ein Wechsel des Mediums“ 47 stattfindet.
Wird beispielsweise ein Bauteil von einem Konstruktionsingenieur entworfen, so wird es nach heutigem Stand der Technik mit Hilfe eines CAD-Programms in 3D modelliert. Zur Fertigung dieses Teils wird eine zweidimensionale (2D) technische Zeichnung anhand der 3D-CAD-Daten abgeleitet und an den Prototypenbauer übergeben. Dieser gibt wiederum die 2D-Daten aus der technischen Zeichnung beispielsweise in die Steuereinheit der CNC-Maschine ein und erstellt erneut ein dargestelltes 3D-Modell, welches anschließend gefertigt werden kann. So findet nach obiger Definition ein zweifacher Wechsel des Mediums zwischen digitalen Daten und Papierform statt. Dies birgt die Gefahr von falsch oder gar nicht übertragenen Informationen und verlangsamt zudem den Übermittlungs- und Verarbeitungsprozess 47.
Entgegen den klassischen Strukturen des Marktes entwickeln sich aber auch vereinzelt junge Unternehmen in Richtung Automatisierung, Digitalisierung und Industrie 4.0. Ein Beispiel hierfür wäre die Jellypipe AG, die eine automatisierte Vermittlung von Kunde und Fertigungspartner über eine Onlineplattform realisiert 48.
3.1 Use-Case-Diagramm der Unified Modelling Language
Die Unified Modelling Language bietet mit einem Use-Case-Diagramm die Möglichkeit, das Verhalten eines Systems nach außen hin zu modellieren [49, S. 240]. So kann ein Unternehmen als System mit verschiedenen Anwendungsfällen verstanden und dargestellt werden. Das bietet die Möglichkeit, unterschiedliche Konzepte mit verschiedenen Leistungsspektren auf einen Blick vergleichbar darzustellen. Eigentlich werden Use-Case-Diagramme für die Spezifikation von Softwarefunktionen verwendet, doch sie eignen sich auch für die übersichtliche und verständliche Darstellung verschiedener Geschäftsprozesse [49, S. 241-242, 50, S. 27].
UML-Anwendungsfalldiagramme sind sehr übersichtlich und eingängig, da sie nur aus einer sehr limitierten Anzahl an Notationselementen bestehen. Das bietet den Vorteil, dass sie gerade in der Systementwicklung helfen, Systemgrenzen zu ziehen und -kontextbewertungen zu treffen. [49, S. 241] UML gibt die Möglichkeit eigene, eingängige Symbole, passend zur Situation, zu verwenden. [49, S. 253] Das bietet die Option, einerseits eine Darstellung auf den ersten Blick verständlich zu gestalten und andererseits die Diagramme auf ein breites Spektrum an verschiedenen Systemen anzuwenden.
Ein UML-Use-Case-Diagramm besteht immer aus mindestens einem System, einem Akteur, einem Anwendungsfall und einer Assoziation. Eine geordnete Reihe von Tätigkeiten bildet einen Anwendungsfall. Dabei handelt es sich um einen zeitlich in sich abgeschlossenen Vorgang mit In- und Output. Anwendungsfälle werden immer von einem oder mehreren Akteuren initiiert. Diese bilden einen weiteren Baustein eines Anwendungsfalldiagramms und stehen den Use-Cases als externe Kommunikationspartner zur Verfügung. Sie senden und oder empfangen während dem Ablauf des Anwendungsfalls Daten. [49, S. 240]
Durch die Modellierung des Ist-Zustands des Marktes ergibt sich die Möglichkeit, Grenzen der aktuellen Systeme aufzuzeigen [49, S. 243] und diese für die Entwicklung der Prozesskette zu nutzen.
Nachfolgende Tabelle stellt die wichtigsten Symbole eines UML-Anwendungsfalldiagramms dar.
Tabelle 3-1: Modellierungselemente eines UML-Anwendungsfalldiagramms (in Anlehnung an [49, S. 244-262])
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Die in dieser Arbeit modellierten UML-Anwendungsfalldiagramme werden mit der Freeware „UML Designer“ von Obeo erstellt 51.
3.2 Beobachtbare Unternehmenskonzepte
Zur Analyse bestehender Teilprozessketten, wurde der Markt des Prototypenbaus analysiert. Dabei konnten verschiedene Unternehmenskonzepte mit unterschiedlichen Leistungsspektren beobachtet werden. Die Angebote reichen von Fertigungs- über Entwicklungsdienstleistungen hin bis zu Vermittlungsplattformen für Experten und Fertiger. Jedes Unternehmen weist die angesprochenen Merkmale in verschiedenen Ausprägungsstärken auf.
Für die Analyse des Marktes wurden verschiedene Unternehmen untersucht. Dabei gliedern sich die beobachteten Konzepte in vier verschiedene Kategorien, die im Folgenden genauer vorgestellt und analysiert werden. Ziel dieser Untersuchung ist die konzeptindividuelle Identifikation von Vor- und Nachteilen, um daraus Erkenntnisse für die spätere Entwicklung einer eigenen Prozesskette zu generieren.
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- Quote paper
- Christoph Wagner (Author), 2020, Analyse und Entwicklung einer Prozesskette für die Prototypenfertigung auf Grundlage von Industrie 4.0-Paradigmen, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1282145
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