Vergleicht man die illegale Korrespondenz in den nationalsozialistischen Konzentrationslagern (KZ) mit dem illegalen Briefwechsel in den GULAG-Haftanstalten, insbesondere in den sowjetischen Besserungsarbeitslagern (ITL), dann lassen sich unschwer gewisse Ähnlichkeiten erkennen.
Illegale Korrespondenz der Häftlinge in den nationalsozialistischen Konzentrationslagern (KZ) und in den sowjetischen Besserungsarbeitslagern (ITL)1
Jean-Louis Rouhart
Vergleicht man die illegale Korrespondenz in den nationalsozialistischen Konzentrationslagern (KZ) mit dem illegalen Briefwechsel in den GULAG2 - Haftanstalten, insbesondere in den sowjetischen Besserungsarbeitslagern (ITL3 ), dann lassen sich unschwer gewisse Ähnlichkeiten erkennen.4
Eine Analyse des illegalen Charakters der Briefe aus den KZ und den ITL-Lagern zeigt, dass sich diese Schriften in beiden Fällen als illegal erweisen, wenn sie entweder von Häftlingen stammen, die nicht (oder nicht mehr) berechtigt waren, Post zu empfangen bzw. zu versenden oder wenn sie den vorgeschriebenen Normen nicht entsprachen.
In Bezug auf das Recht auf Korrespondenz muss man in beiden Lagersystemen Kategorien von diskriminierten und privilegierten Gefangenen unterscheiden. So war in den nationalsozialistischen Konzentrationslagern den Häftlingen der Strafkompanien grundsätzlich jeder Briefwechsel verboten. Im Widerspruch zu den Bestimmungen der internationalen Konventionen hatten die sowjetischen Kriegsgefangenen ebenfalls Postverbot. Auch die Häftlinge mit der Bezeichnung "NN" (Nacht und Nebel), also Mitglieder der westeuropäischen Widerstandsbewegungen, hatten kein Recht auf Korrespondenz, sollten sie doch in "Nacht-und Nebel-Aktionen" verschwinden.5 Die anderen Gefangenen, denen der Briefwechsel nicht verwehrt wurde, durften gemäß der Lagerordnung zwei Briefe oder Postkarten im Monat empfangen und schreiben. Dennoch wurden bestimmte Häftlingskategorien diskriminiert, wie z. B. die jüdischen Häftlinge, die zwar im Prinzip alle zwei Monate schreiben durften, aber meist mit Postverboten rechnen mussten. Was die sogenannten Ostarbeiter, also die Zwangsarbeiter aus der Sowjetunion, betrifft, so konnten sie in der Praxis nur sehr selten mit ihren Angehörigen korrespondieren. Die Zeugen Jehovas durften nur einmal im Quartal schreiben, im Gegensatz zu einigen privilegierten Gefangenen, wie z. B. tschechischen Häftlingen aus dem Protektorat Böhmen-Mähren, die jede Woche schreiben oder Post erhalten durften.
In den ITL-Lagern gab es ebenfalls Kategorien von Häftlingen, die hinsichtlich der Korrespondenz jeweils bevorzugt oder benachteiligt wurden.6 Wie in den NS-Konzentrationslagern wurde den Häftlingen, die in Strafisolationszellen (ŠIZOs) saßen, für die Dauer ihrer Strafe der Schriftverkehr untersagt, ebenso wie den Ehefrauen von "Vaterlandsverrätern", die als solche in "Sonderabteilungen"7 verschleppt worden waren. Auch wurde Häftlingen, die die Produktionsnormen nicht erfüllen konnten, das Recht auf Korrespondenz entzogen. Darüber hinaus legte ein Erlass des Volkskommissariats für Inneres (NKWD) 1939 nach Jahren widersprüchlicher Bestimmungen fest, dass "gefährliche Volksfeinde" nur einen Brief pro Quartal und "die weniger gefährlichen Volksfeinde" nur einmal im Monat schreiben durften. Privilegierte Häftlinge hingegen, wie z. B. die " udarniki " (Musterarbeiter , die Arbeitsnormen übererfüllten), durften zwei bis drei zusätzliche Briefe pro Monat verschicken. Es sollte auch erwähnt werden, dass die politischen Häftlinge, die in den Jahren 1948-1950 in die neuen OSOBLAGs ("Sonderlager", Lager mit „Sonderregime") verlegt wurden, einem sehr strengen postalischen Regime unterworfen waren, da sie nur zweimal pro Jahr schreiben durften. Der Vollständigkeit halber sei darauf hingewiesen, dass es in den Jahren nach Stalins Tod und praktisch bis zum heutigen Tag innerhalb des GULAG und ab 1955 innerhalb der darauffolgenden Verwaltung der Lager und Kolonien namens GUITU gegensätzliche Tendenzen gab, mal hin zur Milde, mal hin zur Strenge, was sich auf die Korrespondenzvorschriften auswirkte.
Abgesehen von den Strafgefangenen, die in beiden Lagertypen Postverbot hatten, gab es in den KZ und den ITL-Lagern also jeweils unterschiedliche Ursachen für die Diskriminierung bezüglich des Schriftverkehrs. Während sie in den Nazi-Lagern rassistischer Art waren, waren es im GULAG hauptsächlich politische und wirtschaftliche Gründe .
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1 Nach dem Artikel « Correspondance illégale dans les camps de concentration nazis et les camps ITL du Goulag », in: Témoigner entre histoire et mémoire, Revue internationale de la Fondation Auschwitz, Bd. 131, Oktober 2020, S. 108-117.
2 Der Begriff "GULAG" ist ein Akronym aus russischen Wörtern und bedeutet "Hauptverwaltung der Besserungsarbeitslager und - Kolonien". Anfangs bezog sich der Begriff nur auf eine Verwaltungseinheit des Volkskommissariats für Inneres (NKWD), dann bezeichnete er aber die Leitung eines riesigen Netzes von Lagern, Gefängnissen, Strafarbeitskolonien, Verbannungsdörfern und weiteren Haftstätten in der Sowjetunion.
3 Akronym von ispravitelno-trudovoj lager, Arbeitslager zur Umerziehung, Umerziehungslager durch Arbeit. Besserungsarbeitslager. Die ITL-Lager waren wesentliche Teile des von dem GULAG verwalteten Netzwerkes.
4 Für einen detaillierten Vergleich siehe Jean-Louis Rouhart, Lettres de l’ombre. Correspondance illégale dans les camps de concentration nazis. Vorworte von Peter Kuon und Philippe Mesnard. Liège 2015. ̶ Jean-Louis Rouhart, Lettres du Goulag. Correspondance de détenus dans les lieux d’incarcération et d’internement du Goulag . Vorwort von Luba Jurgenson. Liège 2020.
5 Diese Verbote waren die Folgen der Umsetzung von Befehlen Hitlers, von Erlassen des Reichssicherheitshauptamtes (RSHA) und des Wirtschafts- und Verwaltungshauptamtes der SS (WVHA) sowie von weiteren Verordnungen.
6 Für mehr Einzelheiten siehe Elena Žemkova/Alena Koslova/ Nikolaj Michajlov/ Irina Ostrovskajâ, Pravo perepiski (Recht auf Korrespondenz), Moskau 2014.
7 Diese "Sonderabteilungen" waren Ende 1937 und Anfang 1938 im Lager Temlag in Mordowien, in Tomsk in Westsibirien und im Lager Alžir (in der Stadt Akmolinsk, heute Astana, Kasachstan) eingerichtet worden.
- Citar trabajo
- Jean-Louis Rouhart (Autor), 2022, Illegale Korrespondenz der Häftlinge in den nationalsozialistischen Konzentrationslagern (KZ) und in den sowjetischen Besserungsarbeitslagern (ITL), Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1282047
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