Das Evangelium nach Johannes beschreibt die „Jesus-Zeit“. Es ist eher eine Art stetiger Präsenz. Zeit Jesu ist die Anwesenheit und das totale Vorhandensein - in Raum und Zeit - unabhängig von den Umständen. Es ist die Anwesenheit vom müden Jesus auf dem Weg; es ist die Zeit eines auf die Anhöhe wandernden, weinenden, wütenden Menschen. Die Zeit Jesu ist die Zeit eines Menschen.
Und all dies, damit Jesuszeit für den Menschen zur Zeit der Befreiung wird. Aus dieser Faszination über die Anwesenheit Jesu in der Zeit sind unter anderem diese Betrachtungen entstanden. Für mich sind diese Überlegungen Beweise für eigene Sprach- und Machtlosigkeit angesichts der Präsenz des Unsichtbaren in meiner Zeit geworden.
Wenn Sie beginnen zu lesen, versuchen Sie während der Lektüre eigene Gedanken und Phantasien zu entwickeln. Lassen Sie sich Zeit. Hören Sie und fühlen Sie hin, lassen Sie die Töne hallen. Möglicherweise werden Sie selbst in eigene Worte fassen können, was für Sie wichtig ist. So wie es bei der Begegnung Jesu mit Maria von Magdala, als er zu ihr sagte: „Maria!” und als diese antwortete: „Rabbuni” (Joh 20,16) – Ich hoffe, dass dieses Buch – als eine Art Zeugnis – eine Grundlage zum Nachdenken wird und hilft, auch eine eigene Perspektive zu entwickeln und zu vertiefen. Ich wünsche uns allen und jederzeit, dass wir diesen Instinkt entwickeln, der uns hilft das Wesentliche zu finden.
Die Stunde der Skepsis
Die Stunde des Suchens
Die Stunde des Weggehens
Die Stunde des Missverständnisses
Die Stunde der Geburt
Die Stunde des Wunderns
Die Stunde des Überlegens
Die Stunde der Beurteilung
Die Stunde des Aufrufs und der Antwort
Die Stunde des Glaubens
Die Stunde des Forderns
Die Stunde der Wunder
Die Stunde der Befreiung
Die Stunde des Rechtes
Die Stunde der Ausrichtung
Die Stunde des Gerichts
Die Stunde der Eucharistie
Die Stunde der Frauen
Maria von Magdala
Die Stunde der Verteidigung – Apologia pro vita sua
Die Stunde der Verwandlung
Die Stunde des Wiederfindens
Schon zu Studienzeiten habe ich das Evangelium nach Johannes bemerkenswert gefunden. Die Faszination über die Art und Weise, wie es geschrieben wurde und was für eine Botschaft sich in diesem Text versteckt. Schon damals sind die ersten Gedanken zu diesem Buch in Umrissen entstanden. Mehrere Jahre waren nötig, um sie wieder aufzugreifen, vervollständigen und in diese Form zusammen zu führen. Solche Prozesse brauchen manchmal Zeit.
Wenn Sie beginnen zu lesen, versuchen Sie während der Lektüre eigene Gedanken und Phantasien zu entwickeln. Lassen Sie sich eben Zeit. Hören Sie und fühlen Sie hin, lassen Sie die Töne hallen. Möglicherweise werden Sie selbst in eigene Worte fassen können, was für Sie wichtig ist. So wie es bei der Begegnung Jesus[2] mit Maria von Magdala, als er zu ihr sagte: „Maria!” und als diese antwortete: „Rabbuni” (Joh 20,16)[3] – Die Stunde des Wiederfindens! Eben solche Augenblicke verändern uns und die Welt.
Ich hoffe, dass dieses Buch – als eine Art Zeugnis – eine Grundlage zum Nachdenken wird und hilft, auch eine eigene Perspektive zu entwickeln und zu vertiefen.
Ich wünsche uns allen und jederzeit, dass wir diesen Instinkt entwickeln, der uns hilft das Wesentliche zu finden.
Katowice-Aachen, 1983-2022
die hand gebend
denken wir nicht
über den sinn dieser geste
doch es ist ein ausdruck der liebe
der urgrund
der menschlichen existenz
man sollte es immer wieder
neu finden
was unser leben bestimmt
was die achse ist
um die wir uns oft
unbewusst
drehen[4]
Die Stunde der Faszination
Die heutige Zeit bringt eine ganze Menge von neuen Phänomenen mit sich. Viele von ihnen vergehen und werden nicht mal bewusst registriert. Über die anderen machen wir uns manchmal Gedanken.
Wir stehen im Staunen vor Ereignissen oder Dingen und werden innerlich in Richtung dessen, was uns interessiert, gelenkt. Und einer dieser Sachen, die mich oft inspiriert und fasziniert ist unter anderen die Bibel[5].
Die Faszination über die Bibel; über ein Buch, das Fragen stellt, über das Buch, dem wir viele Fragen stellen und das auf viele Fragen Antwort geben kann. Die Faszination über Worte, die zwar von Menschen geschrieben sind und wie jedes menschliche Werk unvollkommen sind, aber trotzdem, durch göttliche Inspiration, eine faszinierende Wirkung auf viele Menschen haben. Warum faszinieren die biblischen Worte? Vielleicht deshalb, weil die Bibel Fragen über die Bedeutung und Tiefe der menschlichen Existenz aufwirft; und vielleicht deswegen, weil jeder von uns irgendwann eine gewisse Reife erreicht, die es möglich macht, die Wirklichkeit der eigenen Existenz in einer anderen Perspektive zu sehen.
Der Blick auf die Bibel beginnt für mich mit dem Wort »Person« und endet mit dem Wort »Gott«. Die Bibel besitzt eine dialogische Struktur, die Struktur eines Gesprächs zwischen Mensch und Gott. Diese Gesprächsstruktur (die Philosophie[6] bezeichnet sie als anthropologisch-theologische) ist die Erfahrung eines jeden von uns, eine tief existenzielle Erfahrung.
Liegt die Urquelle dieser Erfahrung in der dialogischen Struktur von Gott selbst? Für mich ist das eine weitere Faszination. Der Doctor Angelicus[7] hat geschrieben: »Nihil est in intellectu, quod non prius fuerit in sensu« (Nichts ist im Verstand, was nicht vorher in den Sinnen war). Unsere Sinne bewegen unsere Natur in Richtung der Faszination, die ihr Standbein in Wort, Inhalt und Form hat. Durch diese beginnen wir besser zu erkennen und zu reifen, um uns und/oder Gott zu verstehen.
Unser Leben verläuft weitgehend im Kosmos, das wir selbst erschaffen. Wir bauen die Welt, in der wir leben. Die Bibel zeigt uns durch ihre Form und Inhalt eine Welt, die sich von unserer Weltvorstellung scheinbar nicht unterscheidet und doch etwas anders ist. Diese beiden Welten kollidieren miteinander in unserem Intellekt. Dieses Aufeinandertreffen nenne ich biblische Erfahrung. Dies ist ein Erlebnis, das ich als den ersten Schritt auf dem Weg der Selbst- und Gotterkenntnis betrachte. Dieser Weg ist weder leicht noch einfach und verläuft nicht ohne Leiden.
Eine der Schwierigkeiten ist die Vielzahl der in der Bibel bestehenden Sprachen. Keine ist genug eindeutig und keine kann als Kommunikationsmodell erachtet werden. Einige zeigen auf die Dichtkunst, die ein relativ kompaktes Kommunikationssystem darstellt. Dazu sagen einige, dass die Sprache der Dichter zu subjektiv wäre und die Wirklichkeit nur nach dem Zufallsprinzip beschreiben würde.
Die Bibel bietet eine Sprache an, die sehr nahe der Poesiesprache liegt. Auf der Glaubensebene kann man der Bibelsprache keine Subjektivität vorwerfen, denn auf dieser Ebene führt die Erfahrung der Sprache zum Erlebnis der Nähe. Und das ist nicht alles! Im Gegensatz zur Poesie, die eine externe Wirklichkeit beschreibt, erbaut die Bibelsprache die Wirklichkeit, die sie erzählt. Das Wort der Bibel unterscheidet sich in erster Linie von der poetischen, dass es selbst die Wirklichkeit ist. Das, was wir als Person erahnen, zeigt sich frei durch das Wort der Bibel. Für mich immer noch eine Faszination.
„Niemand nimmt euch eure Freude“ (16,22). Die biblische Faszination hat viele Gesichter. Für jeden von uns, kann die Bibel ein Weg sein. Ein Weg auf dem wir etwas Neues und etwas Andersartiges entdecken können. Auf diesem Weg, in der Konfrontation mit dem Erlebten beginnen wir zu fragen und auf diese Fragen Antworten zu formulieren.
Und wieder eine Faszination – der dialogische Charakter der Bibel, den wir nicht nur in unseren Fragen und Antworten, sondern auch in bestimmten beschriebenen Situationen entdecken. Auf der dialogischen Linie Mensch-Gott baut sich eine gewisse Spannung auf, die ich als biblische Spiritualität bezeichne. Durch eigene Reflexion des Wortes, das immer von jemandem an einen anderen gerichtet ist, entdecke ich mich selbst - meine Persönlichkeit. In dieser (nennen wir es Präexistenz des Wortes) fangen wir an, das Heilige (Sacrum) zu erkennen. Infolgedessen erahnen wir auch unseren eigenen Weg, die Berufung, unsere Mission. Unser Weg ist also nicht von den biblischen Erfahrungen - verstanden hier als religiöse Werte - zu trennen.
Fabelhaft ist auch die Einfachheit der Bibel. Die Einfachheit des Unvorstellbaren. Ich stehe oft vor der biblischen Narration, wie vor einer Größe, die nicht mehr in meinen Verständnis- und Erfahrungshorizont passt. Ich erlebe dadurch meine eigene Unerfahrenheit.
In der Bibel erkenne ich durch den Inhalt und die Form meine eigene Geschichte. Spontan entdecke ich, dass ich nicht nur als Individuum existiere, sondern in einer Beziehung zu anderen Leben lebe, dass ich mich nur in einer Gruppe, Gemeinschaft definieren kann. Bibel hält mir vor Augen, dass die Beziehung zu anderen ein Abbild einer anderen, perfekten und geheimnisvollen Beziehung ist. Intuitiv fühle ich in der Bibel die Anwesenheit einer Beziehung, die in Worten beschrieben ist, die ziemlich das Wort selbst ist.
Dies ist ein Bereich, über den man sagen könnte, er ist der Ort der Begegnung mit dem Wort. Ich weiß nicht, ob ich die Stille dieser Begegnung beschreiben kann. Was menschliche Sprache nicht wiedergeben kann, weder durch Worte, noch durch die Form, oder in sonstiger Weise, liegt zwischen den Zeilen in der Stille der Begegnung, in dem Unausgesprochenen. Diese Stille führt mich zu einer radikalen Konfrontation mit mir selbst. Durch die Fragen über mich und über andere komme ich schließlich auf die Frage nach Gott.
Die Bibel ist das Buch, das ich aus zwei Blickwinkeln betrachten kann: aus der Sicht des Menschen (locus homini) und aus der Sicht Gottes (locus Dei). Letztlich bilden jedoch diese beiden Bereiche eine einzige, lebendige und gleichzeitig geheimnisvolle Existenz.
Durch die Teilnahme an diesem Mysterium, bei dem gleichzeitig Gott und Mensch berührt werden, entdecke ich mich selbst; als jemand in einer Beziehung zu Gott und anderen Menschen. Jemand, der nur dann glücklich sein kann, wenn er andere trifft. Es ist die größte Faszination und gleichzeitig das größte Geheimnis der Beziehung zwischen einem Mensch und der Bibel, und folglich das Geheimnis der Beziehung zwischen Mensch und Gott.
Mir scheint, es passt hier ein Satz von Dichter Adam Mickiewicz[8]: »Es gibt noch mehr Wahrheiten in Schrift, und wer um sie fragt, soll selbst zum Schrift werden – in sich selbst sie suchen«. Die Bibel ist wie eine Tür, die jeder mit seinem eigenen Schlüssel öffnen kann. Es gibt nur die Bibel, und es genügt, damit ein ganzes Leben zu füllen.
In Heiliger Schrift
ich lese
und zwischen den worten
wie auf unbekanntem weg
entzweit sich mein wort
ich versuche
mit meinem wort
mich in einer reihe
aufzustellen
irgendwie zwischen den zeilen
wie in einem vollen bus
ins niergendwohin[9]
Die Stunde Jesu
Das Evangelium[10] nach Johannes ist für mich eins der interessantesten biblischen Bücher des Neuen Testaments. Bis heute gibt es viele oft unterschiedliche und manchmal sogar gegensätzliche Auslegungen. Bis heute dauern Streitigkeiten darüber, in wieweit Johannes[11] der Autor dieses Buches war oder nicht. Aus allen Evangelien entstand das Buch am spätestens und beinhaltet auch den ärmsten Wortschatz.
Die professionelle Bibelwissenschaft bescheinigt, dass die Aussagen dieses Evangeliums gleichzeitig einzigartig und original christlich sind. Wer auch immer das vierte Evangelium geschrieben hat, hatte sicher nicht nur eine starke Persönlichkeit sondern auch große theologische Autorität.
Er schrieb von Jesus (wie Bibelwissenschaftler behaupten) aus einer circa fünfzigjährigen Perspektive. Vielleicht hatte diese mehrjährige Perspektive einen Einfluss darauf, dass wir in dem vierten Evangelium viele Spuren der Zeit entdecken, sogar einen Rückgriff auf die genaue Uhrzeit, wie z.B.:
• „Es war um die zehnte Stunde“ (1,39).
• „Bei Nacht“ (3,2),
• „Es war um die sechste Stunde“ (4,6),
• „Als es aber Abend geworden war“ (6,16),
• „Am frühen Morgen“ (8,2),
• „Es war aber Nacht“ (13,30),
• „Am Abend dieses ersten Tages der Woche“ (20,19).
Persönlich entziffere ich das Johannes-Evangelium als Beweis für die »Jesus Zeit«. Ich verstehe jedoch den Begriff der Zeit anders, als man gemeinhin annimmt. Die Zeit Jesus ist für mich nicht in den Kategorien von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu beschreiben. Es ist eher eine Art stätiger Präsenz. Zeit Jesu ist die Anwesenheit und das totale Vorhandensein - in Raum und Zeit - unabhängig von den Umständen. Dabei ist die Jesus Zeit eine reale und lebendige Anwesenheit; es ist die Anwesenheit von müden Jesus auf dem Weg (vgl. 4,6); es ist die Zeit eines auf die Anhöhe wandernden (vgl. 6,3), weinenden (vgl. 11,35), wütenden Menschen (vgl. 2,15). Die Zeit Jesu ist die Zeit eines Menschen.
Die Zeit Jesus ist auch gleichzeitig die Zeit Gottes auf der Suche nach Menschen, die Zeit Menschen auf der Suche nach Gott und die Zeit Menschen auf der Suche nach Menschen.
Jesus Zeit ist die Zeit, in der das Endliche mit Unendlichen, das Menschliche mit dem Göttlichen, der Tod mit der Auferstehung verflochten sind.
Die Jesuszeit ist eine ständige Dialektik, in der man erst aufhören muss zu glauben, um gläubig zu sein; aufhören zu reden, um zu sprechen und sterben, um zu leben.
Und all dies, damit Jesuszeit für den Menschen zur Zeit der Befreiung wird. Aus dieser Faszination über die Anwesenheit Jesus in der Zeit sind unter anderen diese Reflexionen entstanden. Für mich sind diese Überlegungen Beweise für eigene Sprach- und Machtlosigkeit angesichts der Präsenz des Unsichtbaren in meiner Zeit geworden. Möglicherweise wollte der Evangelist so etwas zum Ausdruck bringen als er mit unglaublicher Intuition schrieb: „Es gibt aber noch vieles andere, was Jesus getan hat. Wenn man alles einzeln aufschreiben wollte, so könnte, wie ich glaube, die ganze Welt die dann geschriebenen Bücher nicht fassen“ (21,25).
die zeit
ist irrsinnig
unerbitterlich
geschichte
die in dir
und mir
sich ausbrennt
vögel singen
bäume blühen
hörst du
es klopft jemand
um hereinzukommen
sobald du
eröffnest[12]
Die Stunde der Sprache
Wenn wir das vierte Evangelium betrachten wollen, dann müssen wir uns fragen, welche Menschen wollte Johannes ansprechen? Welchen Idealen gingen sie nach? Was hat sie bewogen?
Vor ähnlichen Frage stand schließlich - bewusst oder unbewusst - der Autor des vierten Evangeliums. Er wollte die Heiden erreichen und vor allem die Neuchristen heidnischer Herkunft, also nahm er einen anderen Weg als die vorherigen drei Evangelisten, deren Empfänger vor allem Juden waren. Die Empfänger des vierten Evangeliums waren nämlich die Griechen, aufgewachsen in der hellenistischen Tradition.
Johannes musste sich einer neuen Sprache bedienen, der griechischen Sprache (verwendet wird ein stark semitisch-hebräisch geprägtes Griechisch - Koiné[13]), damit er andere Empfänger (außer Juden) auch erreicht. In der Sprache des vierten Evangeliums, in der Tatsache, dass er trotzdem nichts anderes als die andere drei Evangelien übermittelt, liegt die Großartigkeit des Johannesevangeliums.
Versuchen wir in diesem Evangelium einige spezifische Stellen zu finden, diejenige, die sich etwas von früheren Evangelien unterscheiden.
Als erstes Beispiel kann hier die Gegenüberstellung von Begriffen »Licht« und »Finsternis« dienen. Diese Begriffe haben in der Tat ihre Äquivalente in der Sprache der hellenistischen Welt. Auf ersten Blick entsteht der Eindruck, dass es sich bei Johannes um ein Dualismus im Denken handelt. Als ob es neben der Realität Gottes und des Guten (Licht), eine böse und Gott entgegengesetzte Welt (Finsternis) gäbe. Aber Johannes unterstreicht doch deutlich: „Denn Gott hat die Welt so sehr geliebt, dass er seinen einzigen Sohn hingab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht verloren geht, sondern ewiges Leben hat. Denn Gott hat seinen Sohn nicht in die Welt gesandt, damit er die Welt richtet, sondern damit die Welt durch ihn gerettet wird.” (3,16-17).
Natürlich könnte die »Finsternis« als Weigerung des Guten interpretiert werden und man könnte einfach sagen: „Das Licht kam in die Welt, doch die Menschen liebten die Finsternis mehr als das Licht; denn ihre Taten waren böse” (3,19). Für Johannes scheint es doch wichtiger zu sein, die Zerrissenheit zwischen Licht und Dunkelheit, die im Wesen der Sache liegt, zu zeigen. Alle geschaffene Dinge haben eins gemeinsam: sie können von sich alleine die göttliche Sphäre nicht erreichen. Sie sind weltlich, sie sind »Fleisch«: „Was aus dem Fleisch geboren ist, das ist Fleisch” (3,6); „Der Geist ist es, der lebendig macht; das Fleisch nützt nichts” (6,63). Um die Gemeinschaft mit Gott zu erreichen, braucht ein Mensch das Wort der Wahrheit (griechische ἀλήθεια = Wahrheit), das ihn auf die Wirklichkeit Gottes öffnet und braucht den Geist (griechische πνεῦμα = Geist), der ihn zu dieser Wirklichkeit hebt. Auf diese Weise zeigt Johannes auf die Notwendigkeit des Heilands. Nur durch die Hervorhebung der Wahlfreiheit kann dieser klassische Dualismus aufgelöst werden.
Ebenso vom Heiland schreibt Johannes in der Sprache, die für die hellenistischen Empfänger verständlich war. Die hellenistische Philosophie und ebenso die Religionen reden von Gott, der aus der Lichtsphäre einen Retter sendet, um Seelen zu sich zu holen. Gerade dieser »In die Welt Gesandter« ist sehr wichtig für Johannes.
Wenn wir die ersten drei Evangelien (nach Markus[14], Matthäus[15] und Lukas[16]) mit dem Evangelium nach Johannes vergleichen, müssen wir feststellen, dass bei denen der Begriff »Sendung« die Auswahl durch Gott und die Ausführung einer prophetischen Aufgabe beschreibt. Von so verstandener »Sendung« sprechen die ersten drei Evangelien nur zweimal. Bei Johannes dagegen verzeichnen wir vierundzwanzigmal die Benutzung des Begriffs »Sendung«. Die Formel „der, den Gott gesandt hat“ (3,34) ist gleichbedeutend mit dem Namen Jesu, ist ein Ersatz für den Namen Jesu (vgl. 5,38; 6,29; 10,36; 17,3).
Über den Gesandten wird gesagt, dass er „von oben”, „aus dem Himmel kommt“ (3,31; vgl. auch 8,23). Er wird als „vom Himmel herabgekommen“ (6,51) bezeichnet. Ähnlich wie es die hellenistischen Idee begriffen hat. Johannes ist zwar sprachlich nahe der griechischen Philosophie, aber widersetzt er sich ihr, denn er spricht nicht über irgendeinem fremden, mythischen oder gnostischen Wesen.
Johannes versteht unter dem Begriff »Gesandter« die Gestalt des Jesus von Nazareth - den historischen Jesus, der in der Mitte der Geschichte der Menschheit steht. „Und niemand ist in den Himmel hinaufgestiegen außer dem, der vom Himmel herabgestiegen ist: der Menschensohn“ (3,13). Eindeutig unterstreicht er, dass vor und nach Jesus, gab es keinen und wird es auch keinen anderen Gesandten geben: „Alle, die vor mir kamen, sind Diebe und Räuber” (10,8). Gefragt: „Was müssen wir tun, um die Werke Gottes zu vollbringen?” (6,28) antwortet er, dass es nur das Eine gibt und das beruht auf dem Glauben an den, der von Gott gesandt wurde: „dass ihr an den glaubt, den er gesandt hat” (6,29).
Er ist das wahre Zeichen Gottes. Gott selbst sandte ihn auf die Welt. Wer zu ihm kommt, wird von Hunger und Durst befreit: „Ich bin das Brot des Lebens; wer zu mir kommt, wird nie mehr hungern, und wer an mich glaubt, wird nie mehr Durst haben“ (6,35).
Die versammelten Juden waren von diesen Worten erschüttert, sie haben diese Rede als gottlos und sinnlos empfunden. Jesus unterstreicht aber die Notwendigkeit des Glaubens: „Wer glaubt, hat das ewige Leben“ (6,47) und baut seine Lehre noch auf: „Ich bin das lebendige Brot, das vom Himmel herabgekommen ist. Wer von diesem Brot isst, wird in Ewigkeit leben” (6,51). Er begegnet dabei sogar einer starken Reaktion einiger Anhänger, derer Teile sich von ihm abwenden. Und Jesus, als ob er diese Krisensituation noch vertiefen wollte, fragt die Apostel provokativ: „Wollt auch ihr weggehen?” (6,67).
Wir müssen uns vorstellen, wie tief diese Provokation war in der Zeit, die durch eine Spiritualität gekennzeichnet war, die sich aus verschiedenen philosophischen Strömungen und aus unterschiedlichen Verständnissen der Religiosität zusammengesetzt hat. Provokation, derer Größe wir annähernd verstehen können, da wir in postmoderner Zeit leben, die viele Interpretationen des Gleichen zulässt. Doch letztendlich muss jeder von uns eine persönliche Antwort geben. Und auch bezeugen.
Der Johannes war in der Lage, sich selbst die Antwort zu geben, weil er durch seine Sprache, seinen »Gesandten« gefunden hatte. Nicht einen imaginären Erlöser, sondern jemand, von dem man in jeder Sprache sprechen kann. Die griechische Sprache und die hellenistischen Tradition sind gleichsam zur Sprache der Hoffnung geworden.
neue sprache
ist eine große
entdeckung
neue welt
neue menschen
und in all dem
ich
die grundlagen umbauend
um zu verstehen
um zu leben
neue zeit
um etwas zu bauen
wahrheitsgemäßer
ehrlicher
um zu haben
um zu sein
für...[17]
Die Stunde des Wortes
Ἐν ἀρχῇ ἦν ὁ λόγος (en archē ēn ho Logos) (1,1). Es sind die ersten Worte des Evangeliums nach Johannes, das in Griechisch geschrieben ist. Es ist jedoch nicht die literarische Sprache, sondern ein Dialekt, genannt κοινὴ διάλεκτος (Koiné diàlektos), eine überregionale Gemeinsprache. „Im Anfang war das Wort“ (1,1) – lautet die deutsche Formulierung aus der Einheitsübersetzung der Bibel. Es sind die Worte, die wir vor allem aus der Weihnachtsliturgie kennen.
Roman Brandstaetter[18] - ein Jude, der zum Katholizismus konvertierte, großer Bewunderer und Experte der Bibel - bemerkte einmal, dass Gott für einen frommen Juden nicht in der Vergangenheit oder Zukunft existiert, sondern in einer kontinuierlichen Gegenwart. Also, wenn Johannes, ein Jude, schreibt „war das Wort“, denkt doch über Gott immer im Präsens, denn Gottes Name lautet: „Ich bin, der ich bin“ (Ex 3,14). Den Text des Prologs des Johannesevangeliums sollte man also verstehen: Im Anfang ist das Wort und das Wort ist bei Gott und das Wort ist Gott.
Es scheint, dies sei eine sehr treffende Behauptung. Das »Wort«, von dem Johannes schreibt, ist unabhängig von Zeit und wenn wir die Bibel in die Hand nehmen um einen Text daraus lesen, berühren wir im Licht des Glaubens das »Wort« in seiner Gegenwart.
Wenn Johannes sein Prolog des Evangeliums schreibt, berührt er die Anfänge, den Zeitpunkt, in dem der ewige Logos die Ursache der Existenz und aller Dinge wird. Der Autor des vierten Evangeliums verwendet zwar die Begriffe der griechischen Philosophie, gibt ihnen aber eine neue Bedeutung. Der griechische Begriff ἀρχῇ (archē; lat. principium), ins Deutsche übersetzt, bedeutet: Anfang, Grundsatz, Prinzip, Quelle. Johannes archē ist kein Anfang einer einfachen Erzählung, sondern der Anfang des nicht erschaffenen und lebendig existierenden Wortes.
Das Wort – hinter diesem Begriff versteckt sich noch eine andere Tiefe. Das Wort ist bei Johannes die Person des Gottes Sohnes. Jesus Christus ist das Wort (λόγος, logos). Das Ursprüngliche und Endgültige. Durch ihm definiert sich Gott und offenbart sich in aller Güte, Wahrheit und Schönheit.
Vielleicht war der Autor auch von der Kalokagathia[19], dem griechischen Ideal der Einheit von dem Guten, der Schönheit und der Wahrheit inspiriert. Vielleicht sind die Worte Johannes, angesichts der Größe des Logos, verschwommen, zu klein und unzureichend. Sie sind aber ein Zeugnis.
Wenn ich Johannes Botschaft zu Ende gelesen habe, komme ich immer wieder zum Ausgangspunkt, erfüllt mit einer Sehnsucht, diese Nachricht noch tiefer zu ergründen, einen verborgenen Sinn zu entdecken. Möglicherweise braucht man dazu nicht gläubig zu sein, vielleicht kommt der Glaube unerwartet nach einiger Zeit, wie eine Inspiration für den Dichter.
Es ist interessant zu beobachten, dass meine eigenen Worte nun schwer und unzureichend wiedergeben, was im Johannesevangelium so prägnant und präzise beschrieben wird. Oft ist das nur ein einziges Wort, das mir in den Sinn kommt. Wenn ich die Bibel lese, stehe ich vor diesem Logos von Angesicht zu Angesicht.
Es ist die Stunde des Wortes. Manchmal frage ich mich: kann ich so tief in die Wörter eintauchen um mich mit dem Wort total zu identifizieren und gleichzeitig selbst zu bleiben - hier und jetzt!?
Präsenz
in mir irgendwo
näher
als ich mir selbst sein kann
im kern meiner ideen
im kern meiner worte
im kern meines tuns
bist du
schlägst gleichmäßig
im takt meines herzens
pulsierst leise
im blutstrom der ereignisse
mich an der hand führend
bis ich bekannten druck
fühle
so wirklich
weil nicht
körperlich[20]
Die Stunde der Erkenntnis
In manchen Kirchen ist es üblich, beim Sprechen des Glaubensbekenntnisses den Kopf bei den Worten zu senken: »Für uns Menschen und zu unserem Heil ist er vom Himmel gekommen, hat Fleisch angenommen durch den Heiligen Geist von der Jungfrau Maria und ist Mensch geworden«[21]. Diese Geste ist Ausdruck des Erstaunens über die Tiefe des Geheimnisses der Inkarnation[22]. Ohne Menschwerdung, ohne Gott, der in Jesus, seinem einzigen Sohn, im Fleisch gekommen ist, um unter uns zu leben, gäbe es keine Fortsetzung des Evangeliums. Das ist die Grundlage für alles, was wir über Erlösung denken.
In Jesus ist Gott unter uns erschienen. Die Worte des Glaubensbekenntnisses gehen aus dem Prolog des Johannesevangeliums hervor: „Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt“ (1,14). Wir sollten die Geburt Jesu nicht auf die stilisierten Krippen beschränken, die wir in unseren Kirchen sehen. Um den wahren Sinn dieses Bildes zu verstehen, müssen wir tiefer darüber nachdenken, was es bedeutet, dass Gott die Gestalt eines Menschen angenommen hat und vor allem wie wir geworden ist.
Der Evangelist schreibt: „Niemand hat Gott je gesehen. Der Einzige, der Gott ist und am Herzen des Vaters ruht, er hat Kunde gebracht“ (1,18). Frère Roger[23] sagte gelegentlich, dass Gott nicht mehr wusste, wie er den Menschen seine Liebe zeigen sollte, und so sandte er seinen Sohn, damit wir verstehen, dass in ihm alle Menschen mit Gott versöhnt werden können. Gott kümmert sich wirklich um uns. Deshalb ergriff er die Initiative und wurde ein Mensch, um unter uns zu leben.
Es gibt also keine menschliche Erfahrung, die so tief verborgen ist, dass die Gnade Gottes sie nicht erreichen könnte. Es gibt kein menschliches Herz, in dem der Samen der Liebe Gottes nicht keimen kann. Es gibt keine dunklen Momente, in denen wir das Licht Gottes auslöschen können, das immer noch in ihnen leuchtet. Da das Wort Fleisch geworden ist, ist kein Element unseres Menschseins ohne Gottes Liebe. Alles, was in uns zerbrochen ist, kann sie berühren und heilen, denn Gott ist Mensch geworden und hat Anteil an unserem Elend.
Und das hat unglaubliche Auswirkungen in Hinsicht auf uns selbst und andere Menschen. Die Gewissheit, dass das Wort Fleisch geworden ist, gibt der menschlichen Existenz große Hoffnung. Gleichzeitig verstehen wir die unglaubliche Demut Gottes, der gekommen ist, um unter uns zu leben: „Das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt“ (1,14). Der griechische Text sagt wörtlich: »Das Wort ist Fleisch geworden und hat sein Zelt unter uns aufgeschlagen«. Das Wort, das bis zur Zeit Johannes des Täufers durch die Geschichte pilgerte, ist zu einem Pilger in unserer Geschichte geworden.
Johannes spricht bereits als Zeuge der Auferstehung: „Wir haben seine Herrlichkeit geschaut, die Herrlichkeit des einzigen Sohnes vom Vater, voll Gnade und Wahrheit“ (1,14). Das Pronomen »wir« schließt auch alle ein, die nach ihm gekommen sind, alle, die glauben werden, obwohl sie nichts gesehen haben. Alle, die den Augenzeugen der Auferstehung glauben werden.
Die Herrlichkeit Gottes ist „voll Gnade und Wahrheit“ (1,14). Die Gnade, die Liebe bedeutet, die selbstlos dargebracht wird, eine Wahrheit, die kein moralischer Wert ist, sondern eine unveränderliche, stabile Wirklichkeit. Diese Wirklichkeit ist ewig und in Jesus Christus findet ihren vollen Ausdruck. Uns wurde die Fülle des Lebens geschenkt. Gott behält nichts für sich. Die Menschwerdung offenbart, dass alles ein selbstloses Geschenk an uns ist. Ein Geschenk, das sich ständig erneuert und das wir immer und immer wieder annehmen sollten. „Gnade über Gnade“ (1,16) schreibt Johannes. Nichts in unserem Leben kann die Gaben Gottes einschränken, denn das Wort ist Fleisch geworden.
behämmert durch das leben
sich nicht an das
erinnernd
was war
hörte ich auf
um lappalien zu beten
will jetzt paar worte sagen
und es ist keine beichte
vergangenheit ist unwichtig
zukunft ist schweigen
aber ich weiß
dass ich vor dir stehe
mit meinem traum
ich – mensch
nur
und vielleicht
schon
Die Stunde der Spaltung
Eine der unangenehmen Situationen, wie ich empfinde, ist eine Spaltung. Andere Sichtweise, eine andere Argumentationsschiene können schnell eine Spaltung entstehen lassen. Dann kann man schon zu hören bekommen: „Diese Rede ist hart. Wer kann sie hören?“ (6,60). Und so kann es auch von vielen heißen, selbst von denen, die zur meinen Freunden gehören. Was mich erwartet ist die Einsamkeit, durch die ich mich selbst prüfen und der Kampf, durch den ich reifen kann.
Die Person Jesus - die Tatsache seiner Existenz und Wirkung - kann sie Ursachen der Spaltung sein? Ist es möglich, dass die Einheit und Einzigartigkeit Gottes die Quelle der Spaltung sein kann?
Gott zeigt den Menschen oft unangenehme Wahrheiten, stellt ein schwieriges Leben oder das nur bedingt erreichbare Gute in Aussicht. Die menschliche Vernunft bewegt sich oft nur im Rahmen der Konformität, der Gewohnheiten und der Vorläufigkeit. Wenn etwas schwer und nur bedingt zu erreichen ist, dann machen wir es auf einfache Art und Weise. Es spart Zeit und Energie. Die Ergebnisse erreicht man schneller und sie sind möglicherweise noch einträglich. Eine typisch pharisäische Vorgehensweise.
Es gibt einen ewigen Kampf zwischen denjenigen, die wollen, und diejenigen, die nicht wollen. Nur wenige Menschen entscheiden sich, schwierige Aufgaben zu übernehmen, deren Auswirkung unvorhersehbar ist. Manchmal habe ich das Gefühl, nur diejenigen wollen etwas ändern, denen es nicht gut geht, die schlechter gestellt sind im Leben, die sich um etwas sorgen… Menschen, den es relativ gut geht haben kein Interesse, sich den funktionierenden Ordnungen zu widersetzen. Daher kommt es zu Situationen, die der Evangelist so beschreibt: „So entstand seinetwegen eine Spaltung in der Menge“ (7,43).
Es entstehen Spaltungen. Oft mit schmerzhaften Folgen, wie diese aus der Geschichte bekannten, als sich das Christentum selbst gespalten hat[24]. Und weil sie schmerzhaft sind, sollen sie auch gleich nachdenklich stimmen. Es folgt eine Diversifizierung der Einstellung: Ich bin ein Demokrat, er ist Liberal, und der andere Revolutionär… Ich bin Orthodox, Du Protestant, Er Katholik. Und wer ist Christ?
Wir wollen einen Jesus zur Verfügung haben, der unserer eigenen Vorstellung entspricht. Wir verwenden ihn für unsere Zwecke! Ein Verhalten, das nicht nur in der Geschichte bekannt war, sondern auch heute aktuell ist. Wir missbrauchen Gott sogar für religiöse Zwecke. Wir teilen ihn und führen wieder zusammen, damit er in unsere Logik passt, die unseren Entwicklungsplan garantiert. Francis Jeanson[25] schreibt dazu in seinem Buch „La foi d'un incroyant“: »Die Ordnung erfordert eine Gott-Konzeption, eine Gott-Mumie, eine wunderbare Leiche, an der die eingeweihten Insider, ihre Obduktion ohne Ende durchführen können. Gott ist tot, es lebe die Theologie!« Hart, sagen sie? Aber nicht ohne Grund.
Es existieren so viele unterschiedliche Meinungen, Begriffe, Theorien... Kann man sich in diesem Labyrinth nicht verirren? Wo ist die Wahrheit - bei so vielen möglichen Situationen und Einstellungen - zu finden? Darin verbirgt sich jedoch eine mächtige Chance - die Chance für einen Dialog. Die Spaltung ist nämlich die Quelle des Dialogs.
ein treffen
faszination
gefühle
du ---
ich ---
wir ---
alte freunde
und doch
immer anders
sich erlebend
wie zwei statuen
im museum stehend
sich gegenseitig
anschauend
verwundern wir
menschen
seit so vielen jahren[26]
Die Stunde des Dialoges
Jesus beginnt seinen Dialog mit der Welt mit dem Gespräch mit seiner Mutter: „Was willst du von mir, Frau? Meine Stunde ist noch nicht gekommen. Seine Mutter sagte zu den Dienern: Was er euch sagt, das tut!“ (2,4-5). Dieses Gespräch ist nicht nur ein Beispiel für die Notwendigkeit eines Dialogs, sondern zudem das Einverständnis, den aus dem Dialog entstehenden Schlüssen zu folgen. Es ist die Zustimmung für das Leben im Dialog. Es ist die Erlaubnis so zu leben, dass die Worte mit den Taten übereinstimmen. Die Taten zeigen das Wesentliche und überzeugen.
„Die beiden Jünger hörten, was er sagte, und folgten Jesus“ (1,37). In diesem Fall haben zwei Jünger auf den Johannes den Täufer[27] gehört, der auf Jesus zeigte: „Seht, das Lamm Gottes!“ (1,36). Seine Worte haben zwei junge Menschen für Jesus hingerissen. Ich frage mich: Wie authentisch mussten die Worte von Johannes des Täufers gewesen sein und zugleich, wie viel Verzicht steckte in dieser Rede?
„Er muss wachsen, ich aber geringer werden“ (3,30). Der Verzicht bedeutet, paradoxerweise, Wachstum. Der Wachstum erfolgt immer auf Kosten anderer: Ein Kind wächst auf Kosten der Eltern, Individuum auf Kosten der Gesellschaft, ein Staat auf Kosten anderer Länder. Dies bedeutet nicht zwangsläufig, dass der Geber dabei verliert. Im Gegenteil, der Geber wächst auch, obwohl vielleicht in einer anderen Dimension und gewinnt in einer anderen ökonomischer Rechnung. Wenn wir diesen Standpunkt vertreten, kann keiner verlieren.
Wir benötigen nur eine breitere Welt-an-schauung mit einer Prise Demut. Wir lernen es lebenslang und das gelingt nicht immer, weil es eben oft schwierig ist. Es ist schließlich leichter die Schemata bei anderen zu zerstören, als die eigenen. Dazu prädestiniert uns unsere Kultur, in der wir aufwachsen und ein weitgehend »spezialisiertes« Denken, das oft unabsichtlich vieles - sogar unvereinbares - akzeptiert.
Jeder Dialog erfolgt im Rahmen der Bräuche, Rituale, Symbole und Überzeugungen, eben im Kontext einer Kultur. Im Grunde gehen wir mit der Kulturströmung mit und erkennen die Phänomene an, die in dieser Strömung vorkommen. Wir tolerieren die kulturelle Allgemeinheit widerstandslos. Oft, ohne Bewertung, akzeptieren wir alles, was uns begegnet. Eine tolerante Billigung kann aber die Manifestation des Konformismus sein.
Es geht, meiner Meinung nach, um etwas anderes. Es geht zwar darum, mit der Strömung der aktuellen Epoche zu gehen, aber rational und vernünftig, mit genau definierten Zielen. So zu gehen, wie Jesus: „Das Paschafest der Juden war nahe und Jesus zog nach Jerusalem hinauf“ (2,13). Seitens Jesus ist es eine Manifestation der Zustimmung für bestehende Kultur und ihre Komponente.
Aber nicht das ist das Wichtigste. Es reicht nicht aus, fest zu stellen, dass Jesus die jüdischen Gesetze erfüllt. Man sollte eher fragen, warum er dorthin gegangen ist. Es reicht nicht aus, kirchlichen Gesetzen zu folgen, sondern sich bewusst zu machen, aus welchen Gründen man es tut. Man benötigt eine Art sinnstiftende Motivation, die es erlaubt, das alte umzubauen. Während wir Altes und Schlechtes zerstören, erschaffen wir das Neue (hoffentlich nicht noch schlechter als das Alte).
Das alte lateinische Prinzip lautet: »Vox Populi, Vox Dei« („Volkes Stimme [ist] Gottes Stimme“)[28]. Dieses Prinzip zeigt wenigstens zwei wichtige Aspekte auf. Zuerst macht uns das Prinzip auf eine Gemeinschaft aufmerksam. Wenn wir etwas gemeinsam erarbeiten, erzeugen wir oft Werte, die, obwohl neu, dadurch nicht schlechter werden. Weiter ist diese Regel ein Ausdruck der Anerkennung des Primats des Geisteswirkens in der Gemeinschaft der Kirche.
Die Kirche, die das Wirken des Geistes berücksichtigt, soll auch versuchen die s.g. Zeichen der Zeit in der Entwicklung zu entdecken. Daher bezeichnet man die Kirche als »ecclesia semper reformanda«[29], als die Kirche, die sich in allen Bereichen immer neu vom Wort Gottes richten und erneuern lassen muss.
Kann man überhaupt gegen sich ständig erneuernde Kirche kämpfen? Der einzige Kampfplatz, die mir sinnvoll erscheint ist die Kirche selbst. Mit und in der Kirche kämpfen, nicht außerhalb ihr, denn es kann sich herausstellen, dass man tatsächlich gegen Gott selbst kämpft. Man muss nicht unbedingt sich mit der Modeerscheinungen in der Welt sofort arrangieren. Sie sind menschlich und von Natur aus unbeständig. Die Reform betrifft die menschlichen und nicht die göttlichen Elemente in der Kirche. Wenn wir uns dazu berufen fühlen, zu reformieren, handeln wir wie Jesus, der nach Jerusalem zum Passahfest kam:
„Im Tempel fand er die Verkäufer von Rindern, Schafen und Tauben und die Geldwechsler, die dort saßen. Er machte eine Geißel aus Stricken und trieb sie alle aus dem Tempel hinaus samt den Schafen und Rindern; das Geld der Wechsler schüttete er aus, ihre Tische stieß er um und zu den Taubenhändlern sagte er: Schafft das hier weg, macht das Haus meines Vaters nicht zu einer Markthalle!” (2,14-16).
Wenn ich diese Worte lese, könnte ich sogar manchmal gefallen an solchen Reformen finden. Eine Reform mit der richtigen Motivation und richtiger Hierarchie der Werte.
Jede Reform, die sich im Leben eines Menschen ereignet ist auch eine Form des Dialoges. Sie umfasst unterschiedliche Ebenen in Menschen. Die Reform ist eine Art Antwort auf die Frage, die Jesus mal an diejenigen, die ihn folgten stellte: „Was sucht ihr?“ (1,38). Die Frage nach dem Sinn.
Wenn man Kindern die Frage stellt, wer sie in Zukunft sein möchten, folgen interessante und oft überraschende Antworten. Die Welt des Kindes, die so einfach zu sein scheint, ist durchdrungen von dieser großen Frage nach dem Sinn. Die einfache Frage: „Was sucht ihr?“ (1,38) bringt an die Oberfläche kompromisslos die menschliche Sehnsucht, einen Sinn zu finden. Diese Sinnfrage auch bringt uns Erwachsene an unsere Grenzen und möglicherweise deshalb wird sie von uns oft unterdrückt.
Gleichzeitig verrät die Frage den Status der einzelnen Menschen - jede und jeder ist suchend. Was sucht der Mensch? Die Antwort liegt vielleicht in weiterem Gesprächsverlauf: „Was sucht ihr? Sie sagten zu ihm: Rabbi - das heißt übersetzt: Meister -, wo wohnst du? Er sagte zu ihnen: Kommt und seht! Da kamen sie mit und sahen, wo er wohnte, und blieben jenen Tag bei ihm; es war um die zehnte Stunde“ (1,38-39).
Meisterhaft, mit wenigen Worten skizzierter Dialog, in dem sich ein Schlüsselwort befindet. Es ist der Begriff der Wohnung. Was fragen eigentlich die Jünger? Fragen sie nach dem Verbleib? Nach dem Ort, wo man schläft, isst, wo man lebt?
Die Wohnung hat für mich in diesem Zusammenhang eine andere Bedeutung. Vielmehr handelt es sich um das Gefühl der Nähe, der Intimität, der Sicherheit und der Gemeinschaft. Es sind diese unfassbare Relationen, die wir als Atmosphäre bezeichnen. Etwas, was uns erlaubt sich an einem fremden Ort wie zu Hause zu fühlen und zwar unabhängig von äußeren Umständen. Was für eine »Wohnung« musste es sein, wenn die Jünger dort geblieben sind und der Evangelist sogar ziemlich genau die Stunde nennt, in der die ganze Situation stattgefunden hat?
In der Tat bedeutet die Wohnung nicht nur eine einzelne Person, sondern auch seine Umgebung. Dieser Begriff illustriert mehr. Er beschreibt alles, womit ein Mensch Kontakt hat. Jesus kommt zwar zu dem Menschen, aber gleichzeitig tritt er in alle menschliche Angelegenheiten ein, in den Komplex Mensch-Umwelt. Gott kommt zu uns, aber nicht nur für uns.
Die Jünger Jesu geben nicht eindeutig an, was sie suchen, sie versuchen zuerst die Umwelt des Menschen, den sie getroffen haben, kennenzulernen. Was sie sahen, bleibt deren Geheimnis. Wichtiger ist, dass sie geblieben sind.
frühlingsregen
dem offene regenschirme
trotzen
warmes aufleuchten
öffnete meine augen
himmel ist reiner
durch blitze
und in der luft
duftet
süßer ozongeruch
ein moment der lehrt
zeitzeichen
zu entschlüsseln[30]
Die Stunde der Fragen
Es ist nur natürlich, dass ein Mensch, der auf der Suche nach Antworten ist, Fragen stellt. Jesus ist gerade diese Gestalt, die Fragen provoziert. Er selbst ist und bleibt eine große Frage. Der Evangelist Johannes formuliert vielen Fragen seitens Jesus und auch seitens der Menschen.
Ich habe aus den im Johannesevangelium vorhandenen Fragen, einen Dialog zusammengestellt, als eine Art Fragengespräch zwischen Jesus und Menschen.
Jesus: „Begreift ihr, was ich an euch getan habe?“ (13,12)
Mensch: „Woher kennst du mich?“ (1,48)
Jesus: „Sagst du das von dir aus oder haben es dir andere über mich gesagt?“ (18,34)
Mensch: ???
Jesus: „Meine Lehre stammt nicht von mir, sondern von dem, der mich gesandt hat“ (7,16). „Wenn ich zu euch über irdische Dinge gesprochen habe und ihr nicht glaubt, wie werdet ihr glauben, wenn ich zu euch über himmlische Dinge spreche?“ (3,12)
Mensch: „Was ist Wahrheit? (18,38)
Jesus: „Wenn es nicht recht war, was ich gesagt habe, dann weise es nach; wenn es aber recht war, warum schlägst du mich?“ (18,23)
Mensch: „Für wen gibst du dich aus?“ (8,53)
Jesus: „Wollt auch ihr weggehen?“ (6,67)
Vielleicht erscheint jemand dieser Dialog etwas verwirrend, absurd oder unlogisch. Leben aus dem Glauben ist schließlich logisch, aber nicht unbedingt vernünftig. Auch die Relationen zwischen Gott und Mensch sind nicht selten unverständlich, manchmal unlogisch oder sogar absurd. Lassen Sie von Zeit zu Zeit ein wenig Phantasie zu und erlauben sie sich unvernünftig zu sein.
Früher oder später fragt man sich: ist das, was ich tue, ein Zufall, oder vielleicht gibt es ein Höheres Wesen, eine erste Ursache? Der Mensch nimmt eine solche Alternative an und betrachtet alle Vor- und Nachteile. Der Mensch will begreifen. „Woher kennst du mich?“ (1,48). Wer bist du, dass du mich ansprichst: Mensch oder Gott? Auf der Suche nach Antworten greift der Mensch zurück auf das vorhandene Wissen, auf die Weisheit, auf die Bücher und dabei auf die Bibel. Er versucht sich ein Bild von dem zu bilden, der gefragt hat: „Begreift ihr, was ich an euch getan habe?“ (13,12). Und am Ende, selbst wenn der Mensch eine eigene Antwort findet, trifft ihn eine andere unerwartete Frage: „Sagst du das von dir aus oder haben es dir andere über mich gesagt?“ (18,34).
Was willst du, Jesus, von jemandem, der sich selbst nicht versteht? Ein Mensch kann nicht verstehen, trotz allen Wissens, das er über sich selbst hat. Ein Mensch kann nur fragen und es ist sehr gut, wenn er fragt. Ein Mensch muss nicht unbedingt fragen, er kann auch schweigen. Es ist gut, wenn das Schweigen manchmal zur Frage wird. Denn dann kommt die Zeit des Wartens auf die Antwort von Jesus, die Zeit der Aufklärung: „Meine Lehre stammt nicht von mir, sondern von dem, der mich gesandt hat“ (7,16).
Als Mensch kann ich genauso wie du, keine endgültige Antwort finden. Aber als Sohn Gottes, kann ich dir das anbieten, was ich vom Vater übernahm. Du musst mir zuerst als Menschen vertrauen. Sehe in mir zunächst den Menschen. Nur dann erkennst du, wer es ist, der über alltägliche Dinge sprechend, tiefere Inhalte aufdeckt. Nur dann wirst du in mir Gott erkennen und nach der Wahrheit greifen.
Eben: „Was ist Wahrheit? (18,38) - fragt der Mensch. Ich kenne viele Wahrheiten, und keine ist absolut. Jede Wahrheit ist irgendwie sinnvoll, aber einzeln können sie nicht alles endgültig erklären. Zwischen so vielen Wahrheiten kann man sich verlieren. Jesus, du lehrst viel und sagst, dass du die einzig existierende Wahrheit predigst. Gibt mir irgendein Kriterium, das die Glaubwürdigkeit dessen beweist, was du sagst.
„Wenn es nicht recht war, was ich gesagt habe, dann weise es nach; wenn es aber recht war, warum schlägst du mich?“ (18,23). Das ist der Maßstab für jede persönliche Wahrheit. Zeigt mir eine andere Wahrheit, genauso vollkommene und tiefe wie meine; eine Wahrheit, die besser den Sinn des Lebens erklären würde. Sonst empfinde ich es als ein Schlag ins Gesicht, wenn du meine Wahrheit zurückweist.
„Für wen gibst du dich aus?“ (8,53) - fragt der Mensch erstaunt. Oder anders gefragt: Wer bist du? Die Tatsache, dass diese Frage gestellt ist, beweist, dass es Zeit ist, zu wählen. Die Zeit der Entscheidung: annehmen oder eben nicht? Interessanterweise hinterlässt Jesus diese Frage auch ohne eine direkte Antwort. Man muss selbst frei entscheiden. Jesus sagt nur, die Freiheit des Menschen respektierend: „Wollt auch ihr weggehen?“ (6,67). Nach dem, was du gehörst und erlebst hast? Ja, du bist frei in deinen Entscheidungen! Aber „wenn es nicht recht war, was ich gesagt habe, dann weise es nach“ (18,23). Und wenn es recht war?
Verum est adequatio intellectus et rei
irgendwo
in den staubigen gassen
straßen
auf den wänden
mit graffiti besprühten
in den blicken
auf die werbeplakate
irgendwo
im überdruss
in den lebensproblemen
in der betriebligkeit des kindes
in freude und im weinen
in einem zerbrochenen schaufenster
irgendwo
an der haltestelle
in der werbung goldenen buchstaben
in einer langen warteschlange
irgendwo
in einem geschlossenen geschäft
in offener tür
und in einer kalten Wohnung
irgendwo
in den mäandern
menschlicher leidenschaften
in der gelassenheit alter häuser
irgendwo
bummelt die wahrheit
vereinbaren
nur so viel
und hinzufügen
quod erat demonstrandum
uns[31]
Die Stunde der Sympathie
Im Johannesevangelium finden wir einige Zeugnisse der besonderen persönlichen Verbundenheit Jesus mit Menschen.
„Jesus liebte aber Marta, ihre Schwester und Lazarus“ (11,5). Die Tatsache, dass Jesus von Zeit zu Zeit im Hause von Martha[32], Maria[33] und Lazarus[34] anwesend war, bezeugt auch Lukas (vgl. Lk 10, 38-42). Aber nur Johannes betont deutlich die Sympathie Jesus zu diesen Menschen. „Da weinte Jesus“ (11,35) als er vom Tod des Lazarus erfahren hatte. Ein seltenes Bild in Evangelien. Selbst die versammelten Menschen sagten: „Seht, wie lieb er ihn hatte!“ (11,36).
Auch im vierten Evangelium gibt es - gewissermaßen exklusiv - den „Jünger, den Jesus liebte” (21,7). Hier ist die Rede von Johannes. Nur im vierten Evangelium nennt Jesus seine Jünger Freunde: „Ich nenne euch nicht mehr Knechte; denn der Knecht weiß nicht, was sein Herr tut. Vielmehr habe ich euch Freunde genannt” (15,15).
Friedrich Hegel[35] in seinem berühmten Werk „Phänomenologie des Geistes“ stellt das Dasein eines Dieners und das eines Meisters als zwei entgegengesetzten Pole des Bewusstseins - auf der einen Seite die Selbständigkeit eines Meisters, und auf der anderen Seite, die Abhängigkeit eines Dieners. Wenn diese Analyse richtig ist, versucht Jesus im vierten Evangelium den Unterschied zwischen seinem eigenen alles übertreffenden Bewusstsein und dem schwachen Bewusstsein der Jünger abzuschaffen. Dabei gibt er nicht sein eigenes und einzigartiges Bewusstsein auf: „Ihr sagt zu mir Meister und Herr und ihr nennt mich mit Recht so; denn ich bin es“ (13,13).
Jesus wählt - als Vervollständigung dessen, was er sagt - ein Zeichen in Demut: Er wäscht seinen Jüngern zweifellos schmutzige Füße und führt somit die Arbeit durch, die sonst die Knechte oder Sklaven verrichteten (vgl. 13,1-20). Durch diese Tat und seine Erklärung schafft Jesus bei den Jüngern die Atmosphäre stiller Hilflosigkeit.
Jesus lehnt die Machtposition ab, ohne auf eigene Stellung und Bedeutung zu verzichten. Das, was Jesus vorschwebt, ist die Befreiung von jeder Idee der Herrschaft und Macht in den zwischenmenschlichen Beziehungen. Jesus will seine Jünger befreien: von Denken in Kategorien der Macht, der Hierarchie und der Kontrolle - jeder hat der Diener aller sein.
Die Haltung, die Jesus in diesem Moment präsentiert nennen wir Liebe (griech. ἀγάπη, agápē). Der Begriff »agápē« ist selten in der zeitgenössischen Literatur verwendet, auffällig aber oft im Neuen Testament. Diese Liebe-Agape ist hier nicht abstrakt, sondern bezieht sich speziell auf Menschen: „Es gibt keine größere Liebe, als wenn einer sein Leben für seine Freunde hingibt” (15,13).
Das vierte Evangelium bezieht keine Stellung zum Thema der Gemeindegründung, spricht nicht von missionarischen Expansion oder von Strukturen und Hierarchien. Nichts davon können wir dort finden. Selbst die Lehre vom Reich Gottes, die sonst so wichtig in den anderen Evangelien zu scheinen mag, wird es im Johannesevangelium zu einem Nebenelement und sogar ohne der Verknüpfung mit der Idee des Christus als König.
Reich Gottes, nach dem Johannesevangelium, ist eine lebendige Harmonie unter den Menschen, ihre Gemeinschaft mit Gott. Das Konzept des Reichs Gottes wurde von den Juden als das Erreichen der Einheit durch Kraft und Macht des Herrschers verstanden. Eben diese Idee der Herrschaft scheint im vierten Evangelium völlig abwesend zu sein. Das Konzept vom Gottesreich (hebr. מלכות malchut, griech. Βασιλεία τοῦ Θεοῦ basileia tou theou) kommt nur einmal und dazu noch stark verändert vor, ohne der Idee der ankommenden kosmischen Transformation, die sonst einerseits als Zerstörung und andererseits als Wiederherstellung verstanden war.
Was für eine Kirche will Jesus, von welcher Kirche schreibt Johannes? Diese Kirche ist ein Personenkreis, der auf den Exklusivitätsanspruch verzichtet, dafür aber durch Glauben und Hoffnung vereint ist. Diese Kirche ist ein Kreis von Menschen, deren einzige Freude die reine Einstimmigkeit in der Liebe ist. Eine solche Kirche ist schon das Reich Gottes. Der Maßstab, mit dem Jesus dieses Reich messen will, ist einfach und groß zugleich: „Liebt einander! Wie ich euch geliebt habe, so sollt auch ihr einander lieben” (13,34).
Verblüffend und interessant ist für mich die Auffassung des Evangelisten und es tröstet mich dabei, dass Johannes wusste, was er schreibt - er musste es wissen: „Dies ist der Jünger, der all das bezeugt und der es aufgeschrieben hat; und wir wissen, dass sein Zeugnis wahr ist” (21,24). Und wie anders ist er hier als der Paulus[36]…
lasst das glück eine weile ruhen
dann weine vor glück
lasst die freude einwirken
dann denke über die freude nach
lasst ein vergnügen einfach mal zu
dann rede weise über das vergnügen
lasst die faszinationen geschehen
dann senke dein kopf vor faszinationen
lasst aber nicht zu
deiner liebe
in dir
einzuschlafen[37]
Die Stunde der Liebe
Die gesamte Bibel spricht vielschichtig von der Liebe. Das Alte Testament benutzt den Begriff »ahava« (אהבה) am häufigsten, um zwischenmenschliche Liebe und Liebe zwischen Gott und Gottes Schöpfungen zum Ausdruck zu bringen. Diese Bedeutung übernehmen auch später die synoptischen Evangelien (vgl. Mk 12,31: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“). Ein anderer hebräischer Begriff »Chesed« wird verwendet, um viele Formen der Liebe zwischen Menschen zu beschreiben und oft als liebende Güte übersetzt. In der heutigen jüdischen Tradition wird die Liebe u.a. als »Geben ohne die Erwartung des Bekommens«[38] definiert.
Die »Liebe« im Altgriechischen war durch vier Begriffe beschrieben:
1. Éros (ἔρως) bezeichnet die sinnlich-erotische Liebe, das Begehren des geliebten Objekts, den Wunsch nach Geliebt-Werden, die Leidenschaft.
2. Philía (φιλία) bezeichnet die Freundesliebe, wie auch die Bruderliebe oder Nächstenliebe. Aristoteles[39], in der Nikomachischen Ethik, unterschiedet Philia in drei Formen:
· Philia: Liebe, die auf beiderseitigem Interesse basiert
· Philia: Liebe, die auf beiderseitigem Vergnügen basiert (Liebe ist, wenn es gefällt)
· Philia: Liebe, die auf beiderseitiger Anerkennung basiert (eigentliche Liebe und die nobelste Art der Philia)
3. Storge (στοργή) ist die freundschaftliche Liebe und die Vertrautheit in der Liebe von Familienmitgliedern untereinander. Storge und Philia sind beides Formen der freundschaftlichen Liebe. Storge ist von der ursprünglichen griechischen Bedeutung umfassender. Storge ist allgemein ein Gefühl von Warmherzigkeit, Zuneigung zwischen Menschen.
4. Agápe (ἀγάπη) bezeichnet eine göttliche oder von Gott inspirierte uneigennützige und fördernde Liebe, auch Nächstenliebe und Feindesliebe, die das Wohl des Anderen im Blick hat. Diese Bedeutung ist durch das Christentum auch außerhalb des Griechischen zum festen Begriff geworden.
Die deutsche Sprache kennt solche Unterscheidungen nicht. Wenn wir »Liebe« sagen, bezeichnen wir dadurch stärkste Zuneigung und Wertschätzung. Wenn wir also das Wort »Liebe« benutzen, sind wir gezwungen, die Bedeutung dieses Wortes zu definieren, zu beschreiben. Die Bedeutungsebenen der »Liebe« können wechseln zwischen:
• der sinnlichen Empfindung (Verliebtheit und die sexuelle Anziehung),
• dem Gefühl (Sympathie, Freundschaft, Fürsorge, emotionale Liebe, die aktive sorgende Liebe, die religiöse bzw. mystische Liebe sowie Mitleid),
• und der ethischen Grundhaltung (Liebeshaltung, die verstanden wird als die innere Haltung gegenüber der geliebten Person, um ihrer selbst willen zu handeln und durch das eigene Verhalten deren Wohlergehen und Glück zu befördern).
Liebe ist kein bewusster oder rationaler Entschluss der Liebenden; gleichwohl ist sie nicht irrational und kann unabhängig davon empfunden werden, ob sie erwidert wird oder nicht.
Im griechischen Neuen Testament ist Liebe die erste Frucht des Heiligen Geistes. Im Johannesevangelium ist Liebe ein oder sogar das Kernthema des Glaubens:
• „Ich habe euch jedoch erkannt, dass ihr die Liebe zu Gott nicht in euch habt“ (5,42)
• „Die Welt soll erkennen, dass ich den Vater liebe und so handle, wie es mir der Vater aufgetragen hat“ (14,31)
• „Wie mich der Vater geliebt hat, so habe auch ich euch geliebt. Bleibt in meiner Liebe!“ (15,9)
• „Wenn ihr meine Gebote haltet, werdet ihr in meiner Liebe bleiben, so wie ich die Gebote meines Vaters gehalten habe und in seiner Liebe bleibe“ (15,10)
• „Es gibt keine größere Liebe, als wenn einer sein Leben für seine Freunde hingibt“ (15,13)
• „Ich habe ihnen deinen Namen kundgetan und werde ihn kundtun, damit die Liebe, mit der du mich geliebt hast, in ihnen ist und ich in ihnen bin“ (17,26)
• „Simon, Sohn des Johannes, liebst du mich mehr als diese? Er antwortete ihm: Ja, Herr, du weißt, dass ich dich liebe. Jesus sagte zu ihm: Weide meine Lämmer!“ (21,15)
• „Zum zweiten Mal fragte er ihn: Simon, Sohn des Johannes, liebst du mich? Er antwortete ihm: Ja, Herr, du weißt, dass ich dich liebe. Jesus sagte zu ihm: Weide meine Schafe!“ (21,16)
• „Zum dritten Mal fragte er ihn: Simon, Sohn des Johannes, liebst du mich? Da wurde Petrus traurig, weil Jesus ihn zum dritten Mal gefragt hatte: Liebst du mich? Er gab ihm zur Antwort: Herr, du weißt alles; du weißt, dass ich dich liebe. Jesus sagte zu ihm: Weide meine Schafe!“ (21,17)
Johannes schrieb auch an einer anderen Stelle im Neuen Testament: „Wir wollen einander lieben; denn die Liebe ist aus Gott und jeder, der liebt, stammt von Gott und erkennt Gott. Wer nicht liebt, hat Gott nicht erkannt; denn Gott ist Liebe“ (1 Joh 4,7-8).
Das Neue Testament, das wir überwiegend als Übersetzung in Koiné-griechisch kennen, verwendet auch in der Tat vor allem die Worte: Agape und Phileo, um dieses übergreifende Konzept der Liebe zu beschreiben. Das Wort Agape (als Verb oder Substantiv) wird dort weitaus häufiger für Liebe verwendet; Philia etwas seltener. Beide Begriffe sind im Neuen Testament in keiner Weise sexuell konnotiert. Die Unterscheidung verschiedener Arten menschlicher Liebe wird nicht gemacht. An keiner Stelle findet sich im Neuen Testament eine Geringschätzung der Philia gegenüber der Agape. Das wird besonders sichtbar am Beispiel eines Gespräches Jesu mit Petrus[40]:
„Als sie gegessen hatten, sagte Jesus zu Simon Petrus: Simon, Sohn des Johannes, liebst du mich mehr als diese? Er antwortete ihm: Ja, Herr, du weißt, dass ich dich liebe. Jesus sagte zu ihm: Weide meine Lämmer! Zum zweiten Mal fragte er ihn: Simon, Sohn des Johannes, liebst du mich? Er antwortete ihm: Ja, Herr, du weißt, dass ich dich liebe. Jesus sagte zu ihm: Weide meine Schafe! Zum dritten Mal fragte er ihn: Simon, Sohn des Johannes, liebst du mich? Da wurde Petrus traurig, weil Jesus ihn zum dritten Mal gefragt hatte: Liebst du mich? Er gab ihm zur Antwort: Herr, du weißt alles; du weißt, dass ich dich liebe. Jesus sagte zu ihm: Weide meine Schafe!“ (21,15-17).
Hier wird der Gebrauch des Wortes Liebe uneinheitlich. Jesus fragt dreimal, ob Petrus ihn liebe (zweimal agapao, einmal phileo) und Petrus das dreimal bejaht (dreimal phileo), ohne dass der Eindruck entsteht, die Antworten hätten nicht zur Frage gepasst. Augustinus[41] schließt daraus auf die weitgehende Gleichwertigkeit der beiden Begriffe. Ein weiterer Unterschied zwischen Agape und Philia liegt darin, dass Agape eine willentliche Entscheidung aus der Wertschätzung heraus ist, die jedem gebührt, während Philia sich auf Menschen richtet, mit denen man besonders verbunden sein möchte. Deswegen kann zu Agape (Liebe zum Mitmenschen wie zu sich selbst und zu Gott) aufgefordert werden, zu Philia nicht. Der Wechsel der Bezeichnung im Gespräch Jesu mit Petrus wäre dann, nachdem das Thema Agape geklärt ist, eine Steigerung und nicht eine Abschwächung, wie es zunächst den Anschein hat.
Die Haupthemen auch im Johannesevangelium sind:
• Gottesliebe (Liebe Gottes zu seiner Schöpfung und auch die Liebe zu einem Gott),
• Nächstenliebe (primär gilt sie den Bedürftigen und allgemein ist sie zur Menschenliebe ausdehnt),
• und Feindesliebe (auf Feinde bezogene Nächstenliebe, die oft als christliche Besonderheit gilt, aber auch in anderen Religionen vorkommt).
Für Christen ist Liebe das Kernthema der Verkündigung. So hat das Christentum, ausgehend von der Gottesliebe ausgefeilte Theologien der Liebe entwickelt (Nächstenliebe und Caritas[42]). Die Liebe Gottes, mit allen ihren Eigenschaften (da sie auch Zorn oder Eifersucht beinhaltet), ist ein komplexes theologisches Arbeitsfeld geworden.
Augustinus war überzeugt, dass lieben und geliebt werden das ist, was er sein ganzes Leben lang gesucht hat. Er sagt sogar: »Ich war in die Liebe verliebt«. Nach dem Augustinus bedeutet die Liebe zu Gott »den Frieden zu erlangen, der dir gehört«.
Thomas von Aquin fasste die praktische Definition der Liebe am besten zusammen als »zum Wohl des Anderen« oder als Wunsch nach Erfolg des Anderen. Dies ist die Erklärung für das christliche Bedürfnis, andere zu lieben, einschließlich ihrer Feinde. Wie Thomas Aquinas erklärt, ist die christliche Liebe durch das Bedürfnis motiviert, andere im Leben erfolgreich zu sehen, gute Menschen zu sein.
Tertullian[43] schrieb über die Liebe zu den Feinden: »Unsere individuelle, außergewöhnliche und vollkommene Güte besteht darin, unsere Feinde zu lieben. Seine Freunde zu lieben ist gängige Praxis, seine Feinde nur unter Christen zu lieben«.
Heute benutzen wir das neutestamentliche und christliche Wort Agape, um Gottes reine Liebe zu beschreiben: eine bedingungslose, einseitige, befreiende und auf andere zentrierte Liebe. Agape bedeutet vielmehr eine spirituelle und metaphysische Verbindung zwischen Menschen.
In der frühen Kirche war der Begriff »Agape« ein Synonym für die Eucharistie[44]. Hierbei brachten die Christen Lebensmittel und Wein mit, die gesegnet und dann gemeinsam verzehrt wurden. Damit erfüllte die Agape neben dem Ritus auch eine karitative Aufgabe. Dieser Brauch soll schon im 1. Jahrhundert bestanden haben. Zeitgenössisch bezeichnet Agape weiterhin das Letzte Abendmahl (Liebesmahl), das Jesus am Vorabend seines Kreuzestodes mit den Jüngern feierte.
In katholischen und evangelischen Gemeinden ist »Agape« oder »Agapefeier« deshalb die Bezeichnung eines gemeinsamen Mahles in einem Gottesdienst. In der orthodoxen Kirche heißt eine ähnliche Feier »Artoklasia«.
Die Kirchen beschäftigen sich heutzutage eingehend mit dem Thema »Caritas«, der tätigen Nächstenliebe. Die wertschätzende, helfende Liebe gilt seit den Anfängen des Christentums als christliche Tugend. Die Caritas ist eine Haltung, die sich im kirchlichen Grundauftrag der Diakonie konkretisiert. Dieser Auftrag, getragen von den Haltungen der Barmherzigkeit, Geduld und Wohltätigkeit, konkretisiert sich besonders durch Tätigkeiten in der Kranken- und Altenpflege, durch Hilfen für Familien in Not, durch Besuche von Gefangenen und Solidarität mit Ausgestoßenen. Es sind die Sternstunden der Liebe.
Einfache Bedürfnisse
es ist der glaube nötig
serviert wie brot für hungrige
es bedarf herzlichkeit
um die beißende zeit
zu ertragen
es bedarf andere menschen
um nie einsam zu sein
und es bedarf
- Citar trabajo
- Dr. Bronislaw Gembala (Autor), Jesus Zeit. Faszinationen über das Evangelium nach Johannes, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1280749
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