Das Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, einen Überblick zum aktuellen Stand der Forschung über einen möglichen bidirektionalen Zusammenhang zwischen der Stoffwechselerkrankung Adipositas und der Infektionskrankheit COVID-19 vor dem Hintergrund eines Pandemiegeschehens im 21. Jahrhundert zu geben. Hierbei wird beleuchtet, inwiefern die Adipositas als Risikofaktor für Morbidität, Schwere des Verlaufs und Mortalität einer COVID-19-Erkrankung ausschlaggebend ist und welchen Konsequenzen Menschen mit Adipositas nach einer SARS-CoV-2-Infektion begegnen.
Darüber hinaus werden Präventionsmaßnahmen zur Übertragung des Virus im Kontext einer Adipositasentwicklung, -aufrechterhaltung und -verschlechterung betrachtet. Die COVID-19-Pandemie steht derzeitig im Fokus aller Präventionsstrategien, während die Adipositas-Pandemie seit Jahrzehnten ihren Lauf nimmt. In Anbetracht zahlreicher Meldungen über einen eventuellen Zusammenhang zwischen einer schweren COVID-19-Erkrankung und Adipositas, ist die Ermittlung von Risikofaktoren für einen schweren Krankheitsverlauf Kern vieler Studien.
Inhaltsverzeichnis
Zusammenfassung
Abstract
Abkürzungsverzeichnis
1. Einleitung
1.1. Zielsetzung
2. Gegenwärtiger Kenntnisstand
2.1. Adipositas
2.1.1. Definition und Klassifikation
2.1.2. Ursachen
2.1.2.1. Genetische Faktoren
2.1.2.2. Umgebungsbedingte Faktoren
2.1.2.3. Psychologische Faktoren
2.1.3. Symptome
2.1.4. Diagnose
2.1.5. Therapie und Prognose
2.1.6. Folgen
2.1.6.1. Physische Folgen
2.1.6.2. Psychosoziale Folgen
2.1.7. Prävalenz
2.1.8. Prävention
2.2. COVID-19
2.2.1. Entdeckung und Merkmale
2.2.1.1. Charakteristika und Struktur des SARS-CoV-2
2.2.1.2. Übertragung und Replikation des SARS-CoV-2
2.2.1.3. Alternative Wirte
2.2.2. Ursachen, Symptome und Diagnose
2.2.3. Physische Folgen einer SARS-CoV-2-Infektion
2.2.4. Therapie und Immunantwort
2.2.5. Prävalenz
2.2.6. Prävention
2.2.7. Varianten des SARS-CoV-2
2.2.8. Weitere Folgen der COVID-19 Pandemie
2.2.8.1. Psychosoziale Folgen
3. Methoden
4. Ergebnisse: Korrelationen von Adipositas und COVID-19
5. Diskussion: zwei Pandemien und ihre Korrelationen
5.1. Adipositas als Risikofaktor bei einer COVID-19 Infektion und Erkrankung
5.1.1. Morbidität
5.1.2. Schweregrad der Erkrankung
5.1.3. Mortalität
5.2. Auswirkungen der Infektion und COVID-19-Erkrankung auf den Gesundheitszustand bei einer Adipositas
5.3. Auswirkungen der Maßnahmen zur Bekämpfung von COVID-19 auf den Lebensstil
5.4. Limits
6. Fazit
6.1. Ausblick: Entwicklung beider Pandemien unabhängig voneinander
6.2. Ausblick: Entwicklung beider Pandemien abhängig voneinander
Literaturverzeichnis
Anhang
Zusammenfassung
Die COVID-19-Pandemie steht derzeitig im Fokus aller Präventionsstrategien, während die Adipositas-Pandemie seit Jahrzehnten ihren Lauf nimmt. In Anbetracht zahlreicher Meldungen über einen eventuellen Zusammenhang zwischen einer schweren COVID-19-Erkrankung und Adipositas, ist die Ermittlung von Risikofaktoren für einen schweren Krankheitsverlauf Kern vieler Studien.
Im Fokus dieser Arbeit steht die Frage, ob und inwiefern ein bidirektionaler Zusammenhang zwischen den beiden Erkrankungen vor dem Hintergrund des Pandemiegeschehenes im 21. Jahrhundert besteht. Ziel ist es, Adipositas nicht nur als Risikofaktor für eine schwere SARS-CoV-2-Infektion zu untersuchen, sondern auch die Auswirkungen von COVID-19 und der Pandemie auf Patienten und Patientinnen, die unter Adipositas leiden, zu diskutieren und damit erneut gegen Fehl- und Überernährung sowie Bewegungsarmut zu sensibilisieren.
Mittels einer systematischen Literaturrecherche wurde untersucht, welche Auswirkungen Adipositas bei Betroffenen auf Morbidität, Schwere des Verlaufs und Mortalität von COVID-19 anhand von Prävalenzen in 20 Kohorten auf drei Kontinenten hat.
Die Interpretation der Ergebnisse vor dem Hintergrund der Adipositas-Prävalenzen in den untersuchten Ländern erlaubt die Folgerung, dass ein BMI > 30 mit einer erhöhten Infektionsrate und einem schweren Verlauf von COVID-19 einhergeht. Demnach sind Patienten und Patientinnen mit Adipositas einem signifikant höheren Risiko ausgesetzt, schwer zu erkranken. Andererseits konnte keine aussagekräftige Abhängigkeit zwischen Adipositas und Mortalität unter COVID-19-Erkrankten gezogen werden. Weiterhin hat die COVID-19-Pandemie beziehungsweise deren Eindämmungsmaßnahmen eine starke negative Auswirkung auf Betroffene mit Adipositas. Damit bestätigt sich ein bidirektionaler Zusammenhang zwischen COVID-19 und Adipositas.
Abstract
The COVID-19 pandemic is currently the focus of all prevention strategies, while the obesity pandemic has been ongoing for decades. Considering numerous reports of a possible link between severe COVID-19 disease and obesity, the identification of risk factors for severe disease progression is at the core of many studies.
The focus of this work is whether and to what extent there is a bidirectional link between the two diseases in the context of the 21st century pandemic. The aim is not only to investigate obesity as a risk factor for severe SARS-CoV-2 infection, but also to discuss the impact of COVID-19 and the pandemic on patients suffering from obesity and thus to raise awareness of obesity, overnutrition and physical inactivity. A systematic literature review was conducted to investigate the impact of obesity on morbidity, severity and mortality of COVID-19 in 20 cohorts on three continents.
Interpreting the results against the background of obesity prevalences in the countries studied allows the conclusion that a BMI > 30 is associated with an increased rate of infection and a severe course of COVID-19. Thus, patients with obesity are at significantly higher risk of severe disease. On the other hand, no meaningful dependency between obesity and mortality among COVID-19 patients could be drawn. Furthermore, the COVID-19 pandemic or rather its containment measures have a strong negative impact on those with obesity. This confirms a bidirectional link between COVID-19 and obesity.
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1. Einleitung
Während sich Menschen auf der ganzen Welt aufgrund der aktuellen Pandemie in einer Ausnahmesituation sehen und unter der Erkrankung und ihren Folgen sowie diversen Einschränkungen des alltäglichen Lebens leiden, sind insbesondere Risikogruppen von der Angst und Furcht um die eigene Gesundheit in Zeiten des neuartigen Coronavirus und der dadurch ausgelösten COVID-19-Erkrankung (Coronavirus disease 2019) geprägt. Eine der Risikogruppen sind Patienten und Patientinnen mit Adipositas. Sie könnten besonders unter einer Infektion mit SARS-CoV-2 (Severe acute respiratory syndrome coronavirus type 2; dt.: Schweres-akutesAtemwegssyndrom-Coronavirus Typ 2; „Coronavirus“) und gleichzeitig unter den Maßnahmen zur Prävention einer Übertragung leiden.
Bereits im vergangenen Jahrtausend wurden die stets zunehmende Adipositasprävalenz und die ihrer Komorbiditäten in Industriestaaten untersucht. Es wurde jeweils von einer Epidemie auf nationaler Ebene gesprochen, da ein signifikanter Teil der Bevölkerung, darunter sowohl wohlhabende als auch ärmere Bevölkerungsgruppen und unterschiedliche Altersklassen, betroffen war (Popkin & Doak 1998). Aufgrund dessen sprechen viele Forscher*innen von einer Epidemie im Zusammenhang mit der Adipositas, auch wenn es keine infektiöse Krankheit ist, welche üblicherweise mit dem Wort „Epidemie“ assoziiert wird (Flegal 2006). Die Erkrankung verzeichnete außerdem eine enorme Zunahme der Prävalenz in Entwicklungsländern, sodass die rasante Ausbreitung auf internationaler Ebene bestätigt und von einer globalen Epidemie berichtet werden konnte (Popkin & Doak 1998). Demnach kann von einer neuartigen Pandemie im Zusammenhang mit den Entwicklungen der AdipositasEpidemie weltweit gesprochen werden (Pelicic et. al. 2021).
Bereits im Oktober 2019 gab es in Wuhan, der Hauptstadt der Provinz Hubei in China, die ersten Fälle der heute unter COVID-19 bekannten Krankheit, welche im Dezember 2019 festgestellt wurden. Anfang des Jahres 2020 wurde die Verbreitung des SARS-CoV-2 bekannt gegeben (Chakraborty & Maity 2020; Hu et. al. 2021; Roberts et. al. 2021). Bereits zwei Monate später, am 11. März 2020, wurde der Ausbruch von der WHO (World Health Organization) offiziell als Pandemie klassifiziert, welche bis dato fortwährend präsent ist (Hu et. al. 2021; Aamir et. al. 2021).
Die steigende Prävalenz der Stoffwechselkrankheit Adipositas und ihrer zahlreichen Komorbiditäten, welche trotz Nichtübertragbarkeit Pandemie-artige Ausmaße angenommen haben, als auch die Entwicklungen im Infektionsgeschehen der COVID- 19-Pandemie alarmieren weltweit (Cava et. al. 2021; de Leeuw et. al. 2021). Schon in Bezug auf SARS (Schweres akutes Atemwegssyndrom) und MERS (Middle East respiratorisches Syndrom) war die Adipositas ein nennenswerter Risikofaktor für eine schwere Erkrankung (Yang et. al. 2021). In Anbetracht der zahlreichen Meldungen über besorgniserregende Fälle von an COVID-19 erkrankten Patienten und Patientinnen mit erhöhtem BMI (Body-Mass-Index) steht die Adipositas besonders im Fokus von Untersuchungen, während gleichzeitig die Förderung von physischer Aktivität und Vorbeugung der Adipositas im Rahmen der COVID-19-Präventions- maßnahmen komplett vernachlässigt und sogar verhindert werden (Cava et. al. 2021; Lim & Smith 2021).
1.1. Zielsetzung
Das Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, einen Überblick zum aktuellen Stand der Forschung über einen möglichen bidirektionalen Zusammenhang zwischen der Stoffwechselerkrankung Adipositas und der Infektionskrankheit COVID-19 vor dem Hintergrund eines Pandemiegeschehens im 21. Jahrhundert zu geben. Hierbei wird beleuchtet, inwiefern die Adipositas als Risikofaktor für Morbidität, Schwere des Verlaufs und Mortalität einer COVID-19-Erkrankung ausschlaggebend ist und welchen Konsequenzen Menschen mit Adipositas nach einer SARS-CoV-2-Infektion begegnen. Darüber hinaus werden Präventionsmaßnahmen zur Übertragung des Virus im Kontext einer Adipositasentwicklung, -aufrechterhaltung und -verschlechterung betrachtet.
2. Gegenwärtiger Kenntnisstand
In diesem Kapitel werden die aktuelle Wissens- und Informationslage sowie der neuste Forschungsstand der Stoffwechselkrankheit Adipositas und der Infektionskrankheit COVID-19 unabhängig voneinander dargestellt. Dies schafft eine Grundlage für die Darlegung der Korrelationen zwischen den beiden Krankheiten im darauffolgenden Teil der Arbeit. Zudem wird der Pandemiebegriff in Bezug zu den globalen Entwicklungen beider Krankheiten im 21. Jahrhundert gesetzt.
2.1. Adipositas
Neben kardiovaskulären, nephropathischen und onkologischen Erkrankungen sowie degenerativen Gelenkerkrankungen, aber auch anderen chronischen Stoffwechselkrankheiten, ist Adipositas eine der am häufigsten vorkommenden Volkskrankheiten (Bischoff 2018; Klotz 2020). Zusätzlich bietet Adipositas den anderen Volkserkrankungen einen Nährboden, sodass diese oftmals als Folgeerkrankungen vorzeitig und mit höherer Prävalenz bei Betroffenen mit Adipositas auftreten (Bischoff 2018). Das vermehrte Vorkommen der Zivilisationskrankheit Adipositas in diesem Jahrhundert kann im Umkehrschluss in einer Erhöhung der Prävalenz ihrer teils fatalen Folgeerkrankungen resultieren (Bramlage 2008).
2.1.1. Definition und Klassifikation
Auch wenn Übergewicht und Adipositas im Sprachgebrauch synonym verwendet werden, gibt es eine klare Grenze zwischen beiden Anomalien. Adipositas ist eine chronische Erkrankung, der eine übermäßige und gesundheitsschädigende Anhäufung des Körperfettgewebes zugrunde liegt, welche auf die Disparität zwischen Energieaufnahme und -verbrauch zurückzuführen ist. Jenes Ungleichgewicht steht hierbei im Zusammenhang mit der Kombination aus genetischen, umgebungsbedingten und psychosozialen Faktoren (Kopelman 2000). Die Adipositas wird unter „Endokrinen, Ernährungs- und Stoffwechselkrankheiten“ im internationalen Klassifikationssystem der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme (genannt ICD-10) aufgeführt (DIMDI 2021). Andererseits beschreibt das Übergewicht ein Körpergewicht, welches ein in Relation zur Körpergröße festgelegtes Maß überschreitet, und hat somit keinen direkten Bezug zum Körperfettgewebe. Obwohl Menschen mit Adipositas in der Regel an Übergewicht leiden, müssen Übergewichtige nicht zwangsläufig adipös sein (Pudel & Westenhöfer 2003).
Nach internationaler Vereinbarung erfolgt die Klassifikation des Körpergewichts und damit auch des (krankhaften) Unter- sowie Übergewichts anhand des BMI, welche in der Tabelle 1 zusammengefasst ist (Hauner et. al. 2013). Ab einem BMI-Wert von 25 kg/m[[2]] gilt der/die Betroffene als übergewichtig und ab einem BMI-Wert von 30 kg/m[[2]] als adipös. Zusätzlich wird Adipositas in drei verschiedene Schweregrade in Abhängigkeit vom BMI-Wert eingeteilt (WHO 2000).
Tabelle 1 Klassifikation der Adipositas anhand des Body-Mass-Index bei Erwachsenen (verändert nach WHO 2000).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
2.1.2. Ursachen
Es wird im Bereich der Pathogenese zwischen der primären und sekundären Adipositas unterschieden (Wabitsch 2003). Die Ausprägung der primären Adipositas ist nicht auf eine einzige, die Krankheit auslösende Komponente zurückzuführen. Sie wird durch eine Kombination aus heterogenen Faktoren herbeigeführt, deren Zusammenspiel die Entwicklung der chronischen Krankheit bei Betroffenen ermöglicht und begünstigt (van der Klaauw & Sadaf Farooqi 2015). Jene Faktoren sind genetischer, umweltbedingter und psychologischer Natur (Kopelman 2000). Die sekundäre Adipositas tritt als eine Folgeerkrankung einer anderen Primärkrankheit in Erscheinung, kommt jedoch nur sehr selten zum Tragen, sodass Krankheiten eine vergleichsweise geringe Rolle als Ursache der Adipositas spielen (Wabitsch 2003).
Der Adipositas liegt eine positive Energiebilanz zugrunde, die aus einer Disparität zwischen Energieaufnahme und -verbrauch resultiert (Kopelman 2000). Während die ausschließlich durch Nahrung zugeführte Energie mittels Stoffwechselaktivität unter Wärmeproduktion verbraucht wird, wird der Überschuss, sofern vorhanden, in Form von Triglyzeriden im Körperfettgewebe gespeichert (Bischoff 2018). Der Energieverbrauch setzt sich stets aus vier Komponenten zusammen: REE (Resting Energy Expanditure), DIT (Dietery Induced Thermogenesis), EAT (Exercise Activity Thermogenesis) und NEAT (Nonexercise Activity Thermogenesis) (Donahoo et. al. 2004). Die REE ist der Grundumsatz, welcher in Abhängigkeit zum Gewicht steht und den Energieverbrauch im Ruhezustand wiedergibt. Die REE ist für circa 60 % des gesamten Energieverbrauchs verantwortlich. Die DIT ist die nahrungsinduzierte Thermogenese und beteiligt sich mit circa 10 % am Energieverbrauch. Die EAT, die Thermogenese durch sportliche Aktivitäten, und die NEAT, die Thermogenese durch nicht-sportliche Tätigkeiten, machen zusammen die restlichen 30 % aus (Lei- bel et. al. 1995). Die REE und DIT sind im Grunde nicht durch menschliche Aktivität manipulierbare, individuelle Werte. Andererseits können die EAT und NEAT in Abhängigkeit von der körperlichen Betätigung einen Verbrauch von bis zu 2200 Kalorien pro Tag generieren (Bischoff 2018). Hier heißt es: je höher und intensiver die körperliche Beteiligung, desto höher fällt der Energieverbrauch im Bereich der durch Aktivitäten induzierten Thermogenese aus (Röhling et. al. 2014). In dem Zusammenwirken der verschiedenen Komponenten und der Summe ihrer jeweiligen Leistungen zeigen die genetischen, umweltbedingten und psychologischen Faktoren ihre Wirkung (Wirth 2003).
2.1.2.1. Genetische Faktoren
Anhand von Adoptions-, Familien- und Zwillingsstudien wurde der Einfluss genetischer Faktoren auf das Körpergewicht eines Menschen, und damit einhergehend auf entsprechende Stoffwechselvorgänge, untersucht (Hinney & Holzapfel 2012). Die Datenlage veranschaulicht, dass die genetischen Beiträge zur individuellen Varianz des Körpergewichts und ihrer Ausprägung zu 40 bis 70 % erblich sind (Weih- rauch-Blüher & Vilser 2018). Die starke familiäre Häufung als Risikofaktor für Adipositas begründet sich in der Wechselbeziehung zwischen Eltern und ihren biologischen Kindern in Bezug auf das Körpergewicht, gemessen am BMI, wobei jenes der Mutter eine größere Relevanz zeigt (Hinney & Holzapfel 2012). Bei nur einem adipösen Elternteil ist das Risiko im Vergleich zu Kindern ohne familiäre AdipositasPrädisposition bereits deutlich erhöht und verdoppelt sich zusätzlich, wenn beide Elternteile betroffen sind (Zwiauer 1998). Aus diesen Studien geht ebenfalls hervor, dass diese erblichen Faktoren nicht nur den Grundumsatz, sondern unter anderem auch die Geschmackspräferenzen sowie das Bewegungsverhalten beeinflussen, welche sich auf die Energieaufnahme und den Energieverbrauch direkt auswirken (Hebebrand & Remschmidt 1995).
Die Ursachen der Adipositas sind häufig polygener Natur, monogene und syndromale Formen der Adipositas sind aber auch beschrieben (Frieling et. al. 2015). Klare Abgrenzungen zwischen monogenem, polygenem und syndromalem Ursprung sind jedoch aufgrund von Überschneidungen beziehungsweise Übergängen zwischen den verschiedenen Formen nicht möglich. Zusätzlich stellen einige monogene Formen einen Risikofaktor für eine polygene Adipositas dar (von Schnurbein et. al. 2018). Für jede Form der Adipositas gilt aber, dass die zugrunde liegenden genetischen Ursachen unzureichend geklärt sind, um eine stringente Pathogenese zu erfassen. Bisherigen Hypothesen zufolge sind die für die Entstehung der Adipositas relevanten Kandidatengene in zahlreichen Steuerungssystemen zu finden, welche direkt oder indirekt einen Einfluss auf die Gewichtsregulation haben (Wabitsch 2003).
2.1.2.2. Umgebungsbedingte Faktoren
Neben den zahlreichen genetischen Faktoren, welche allein oder in Kombination ursächlich für die Adipositas sind, ist eine genetische Veranlagung nur die Zündschnur. Es erfordert jedoch Umweltfaktoren, die jene „Zündschnur“ metaphorisch entfachen und damit die Adipositas auslösen. Unter umwelt- beziehungsweise umgebungsbedingten Faktoren werden unter anderem das soziale Umfeld, ökonomische Faktoren sowie weitere Variablen zusammengefasst, welche die Aktivität und das Ernährungsverhalten von Betroffenen negativ beeinflussen können (Bischoff 2018; Schneider & Diehl 2019). Diese adipositasfördernden Faktoren werden als adipogene Umwelten (engl.: obesogenic enviroments) bezeichnet und sind exemplarisch in der Abbildung 1 dargestellt (Schneider & Diehl 2019). Jene Korrelation zwischen genetischer Vulnerabilität und adipogenen Umwelten konnte mit Hilfe von Zwillingsstudien untersucht werden. Im Laufe des Lebens weisen Zwillingspaare trotz ähnlicher Prädisposition eine unterschiedliche Entwicklung auf, welche auf ihre Umgebung und ihr individuelles Verhalten zurückzuführen ist (Hinney & Holzapfel 2012). Die adipogenen Umwelten und die dort herrschenden Beziehungen zwischen einzelnen Faktoren sind überaus komplex gestaltet und stets einzigartig in ihrer Natur, weshalb die Untersuchung durchaus problematisch ist (Schneider & Diehl 2019). Allerdings weisen sämtliche adipogene Umwelten ein Überangebot an Lebensmitteln mit hoher Energiedichte und einen Mangel an Bewegung der/des Betroffenen auf. Dies hat Auswirkungen auf die Energieaufnahme sowie die DIT, EAT und NEAT eines Individuums, welche wiederum das Körpergewicht beeinflussen (Thünenkötter & Urhausen 2021).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1 Adipogene Umwelt. Die möglichen physischen, ökonomischen, politischen und soziokulturellen Einflüsse auf das Individuum auf Mikro- und Makroebene (exemplarisch). Die lokale Mikroebene wird durch eine überregionale Makroebene geprägt (Schneider & Diehl 2019).
2.1.2.3. Psychologische Faktoren
Bisherigen Untersuchungen zufolge sind Wechselbeziehungen zwischen Adipositas und psychischen Erkrankungen sowie psychosozialen Belastungen verbreitet. Auch wenn die letzteren meist eine Konsequenz der Adipositas darstellen, so können Depressionen, die Binge-Eating-Störung und weitere psychische Erkrankungen eine Adipositas begünstigen (Müller 2015; Warschburger 2015). Im Vergleich zur psychisch gesunden Bevölkerung ist jenes Risiko verdoppelt oder sogar verdreifacht (von Philipsborn & Geffert 2021). Zusätzlich können Medikamente wie Psychopharmaka eine Gewichtszunahme verursachen (Wirth 2015).
2.1.3. Symptome
Die Ausprägung der Adipositas ist vielfältig, da sie diversen Komplikationen unterliegt und für zahlreiche Begleit- beziehungsweise Folgeerkrankungen verantwortlich ist (Dieterle & Landgraf 2006). Auch syndromale Formen der Adipositas sind durch weitere Begleiterkrankungen wie geistige oder organspezifische Entwicklungsstörungen, Kleinwuchs und endokrine Funktionsstörungen gekennzeichnet (Blüher et. al. 2011). Ebenso sind monogene Störungen nicht nur die Ursache einer Adipositas, sondern rufen unter anderem verschiedene endokrinologische Veränderungen in Abhängigkeit von vorliegenden Defekten hervor (von Schnurbein et. al. 2018). Daraus folgt, dass die gegebene Symptomatik mit den interindividuellen Ursachen und dem bisherigen Fortschreiten der Erkrankung eng zusammenhängt (Böhler & Dziuk 2014). Neben den besonderen Auffälligkeiten bei monogenen und syndromalen Formen der Adipositas sowie Komorbiditäten sind es Anomalien des Körpergewichts, die streng auf eine Adipositas deuten (Warschburger 2020).
2.1.4. Diagnose
Zur Feststellung der Adipositas können diverse Messverfahren hinzugezogen werden, deren Aussagekraft teilweise umstritten ist (Bischoff 2018). Der BMI (siehe Tabelle 1) stellt das Körpergewicht in Relation zur Körpergröße in kg/m[[2]] dar und bestimmt den relevanten Wert der Körperfettmasse nur indirekt und oftmals ungenau, da unter anderem Muskel- sowie Knochenmasse und Fettverteilung außer Acht gelassen werden (Rothmann 2008). Drei weitere Messverfahren ermöglichen die Fettverteilung und -Vermehrung teils genauer darzustellen. Das Waist-to-height-ratio (WHtR; dt.: Taille-Körpergröße-Verhältnis) und das Waist-to-hip-ratio (WHR; dt.: Taille-Hüfte-Verhältnis) setzen jeweils beide Komponenten in Beziehung (Bischoff 2018). Der Sollwert des Quotienten beim WHtR liegt bei <0,5 (Ashwell & Browning 2011). Beim WHR wird nach dem Geschlecht unterschieden. Der kritische Bereich beginnt bei Frauen mit Werten >0,85 und bei Männern mit >1,0 (Bischoff 2018). Auch die Messung des Bauchumfangs (BUF) kann Aufschluss geben. Die Diagnose abdominaler Adipositas erfolgt bei Frauen ab 88cm und bei Männern ab 102cm, das Risiko steigt aber bereits ab x-5cm (x sei der Grenzwert) BUF (Bischoff 2018; Graf 2011). Hierbei liegt eine Problematik vor, sobald die Taille, Hüfte oder der BUF nicht klar erkennbar und damit nicht korrekt messbar sind (Bischoff 2018). Eine akkurate Bestimmung der Fettmasse kann beispielsweise mittels der Dual-energy-X-ray-absorptiometry (DEXA) sowie der Hydrodensitometrie erreicht werden, ist jedoch kostspielig, zeitaufwendig und setzt unter Umständen die Person einer Strahlungsbelastung aus (Graf 2011).
Darüber hinaus wird geklärt, ob es sich möglicherweise um eine monogene oder syndromale Form der Adipositas handelt und mittels Differentialdiagnostik untersucht, welcher Defekt beziehungsweise welches Syndrom vorliegt (Wabitsch 2003).
2.1.5. Therapie und Prognose
Der Therapieplan ist stets individuell konzipiert und richtet sich nach dem Grad der Adipositas, Körperfettverteilung sowie den Ursachen der Adipositas und den vorliegenden Begleit- und Folgeerkrankungen. Zusätzlich werden mögliche Risikofaktoren der adipogenen Umwelt und die Präferenzen der zu behandelnden Person betrachtet. Die Therapie setzt sich häufig aus einer Phase der Gewichtsreduktion und einer Phase der Gewichtsaufrechterhaltung zusammen. Das Ziel besteht demnach nicht nur darin, den Überschuss an Gewicht teils oder gänzlich abzunehmen. Der Gesundheitszustand soll beispielsweise durch die Stabilisierung des Körpergewichts und die Vermeidung von Komorbiditäten sowie Verhaltensänderungen auf lange Sicht verbessert werden. Die Therapie setzt auf den Ebenen der Ernährung, der Bewegung und des Verhaltens an. Möglich sind auch chirurgische Eingriffe, welche bislang das Gewicht effektiver reduzieren, oder eine medikamentöse Therapie (Bischoff 2018). Monogene und syndromale Formen können teilweise entsprechend ihrer Ursachen therapiert werden (Wiegand & Krude 2015).
Eine Gewichtszunahme geht mit einer erhöhten Fettzellansammlung einher, welche wiederum in einer vermehrten Leptinfreisetzung resultiert (Lee 2009; Maffei et. al. 1995). Dies müsste den Energieverbrauch positiv und die Energieaufnahme negativ beeinflussen. Andererseits ist bewiesen, dass der Körper seinen „Ist-Zustand“ verteidigt und somit versucht, das vorliegende Gewicht über einen längeren Zeitraum konstant zu halten, unabhängig davon, ob ein Normalgewicht oder Übergewicht herrscht (Kern 2017). So wird ein individueller „set-point“ (dt.: Sollwert) generiert, welcher im Falle von Betroffenen mit Adipositas deutlich erhöht ist. Aus diesem Grund wird die erhöhte Leptinkonzentration durch Gewichtzunahme eine Adipositas nicht verhindern. Der Körper bevorzugt ein Übergewicht im Vergleich zum Unterge- wicht, welches mit einem Mangel an Fettdepots einhergeht, um auf Extremsituationen wie den Zustand des möglichen Verhungerns vorbereitet zu sein (Lee 2009). Diese Problematik wird zusätzlich negativ beeinflusst, da Betroffenen in der eigenen adipogenen Umwelt eine erfolgreiche Therapie erschwert wird (Holl 2018). Häufig haben Erkrankte aus diesen Gründen mit einem „Jojo-Effekt“ zu kämpfen, welcher eine erneute Gewichtszunahme und teils sogar Überschreitung des Ausgangswertes beschreibt (Becker et. al. 2018).
Eine Behandlung kann trotzdem auf lange Sicht erfolgreich sein. Jener Erfolg hängt aber von vielen, individuellen Faktoren ab, weshalb eine generalisierte Prognose nicht möglich ist (Jahn et. al. 2014).
2.1.6. Folgen
Die Folgen der Adipositas machen sich in nahezu allen gesundheitsbezogenen Aspekten des Lebens der Betroffenen bemerkbar. Neben gravierenden physischen Komorbiditäten können ebenfalls psychische Belastungen sowie schwerwiegende psychische Erkrankungen und soziale Konsequenzen auftreten (Bischoff 2018). Die Tabelle 2 stellt das Risiko, Folge- und Begleiterkrankungen der Adipositas zu entwickeln, in Abhängigkeit zum Grad der Adipositas dar. Das Risiko steigt üblicherweise mit dem BMI der betroffenen Person (WHO 2000).
Tabelle 2 Klassifikation der Adipositas und eine Risikoeinschätzung für Komorbiditäten assoziiert mit Adipositas anhand des Body-Mass-Index bei Erwachsenen (verändert nach WHO 2000).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
2.1.6.1. Physische Folgen
Von hoher Relevanz für die Entwicklung körperlicher Folge- und Begleiterkrankungen ist das metabolische Syndrom (MetS), da es jenes Risiko vervielfacht. Ungefähr zwei Drittel der Menschen mit Adipositas leiden darunter, während nur 10-15 % Normalgewichtiger betroffen sind (Bischoff 2018). Das MetS umfasst neben der Adipositas metabolische Veränderungen wie die Dyslipidämie, die Hyperglykämie und die Hypertonie sowie die Insulinresistenz (Hanefeld et. al. 2007). Bei Betroffenen mit Adipositas und MetS ist das Risiko einer kardiovaskulären Erkrankung verdoppelt und das von Typ 2 Diabetes (T2D) verfünffacht. Neben jenen metabolischen und kardiovaskulären Komorbiditäten sind unter anderem diverse pulmonale, muskuläre und artikuläre Erkrankungen sowie einige Tumore Konsequenzen der Adipositas (Bischoff 2018). Damit verbunden ist letztendlich eine erhöhte Mortalität und verringerte Lebenserwartung unter den Erkrankten (Abdelaal et. al. 2017; Kopelman 2000).
2.1.6.2. Psychosoziale Folgen
Zwischen der Adipositas und psychosozialen Belastungen herrscht ein bidirektionaler Zusammenhang. Unter den psychischen Störungen sind es vermehrt affektive und Angststörungen, deren Auftreten bei adipösen Menschen im Vergleich zur normalgewichtigen Bevölkerung verbreiteter ist. Hierbei sind Frauen häufiger betroffen als Männer. Zusätzlich steigt mit zunehmendem BMI auch die Prävalenz der psychischen Komorbiditäten (von Wietersheim 2015). Insbesondere Depressionen tragen oftmals zur Adipositas bei und werden gleichzeitig von dieser begünstigt, da sie beispielweise im Bewegungs- und Essverhalten sowie im allgemeinen Gemütszustand Berührungspunkte aufweisen (Teufel & Zipfel 2018).
Des Weiteren leiden Betroffene häufig unter einer sozialen Stigmatisierung und teils Diskriminierung in vielen Lebensbereichen. Privat kann sich das unter anderem bei der Partnersuche und im familiären Umfeld sowie Freundeskreis bemerkbar machen. Am Ausbildungs- oder Arbeitsplatz können adipöse Menschen häufiger mit ungerechtfertigten Vorurteilen wie Faulheit oder dem Mangel an Disziplin konfrontiert und entsprechend von Mitmenschen anders behandelt werden (Teufel & Zipfel 2018). Selbst im Gesundheitswesen müssen Erkrankte vereinzelt eine Stigmatisierung und Diskriminierung erleben, da ihnen eine Selbstverschuldung unterstellt wird (Kopelman 2000; Teufel & Zipfel 2018). Darüber hinaus wird in den Medien ein Schönheitsideal in Bezug auf Körperbau und -gewicht präsentiert, mit dem sich adipöse Personen nicht identifizieren können. Die Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper wird dadurch oftmals ausgelöst und verstärkt (Schwartz & Brownell 2004). Auch fallen Betroffene mit einer Adipositas im Rahmen von Hänseleien bis hin zum Mobbing oftmals dem sogenannten „Bodyshaming“ (dt.: Körperscham) beziehungsweise „Fatshaming“ (dt.: Körperscham in Bezug auf Übergewicht) im Netz sowie im echten Leben zum Opfer (Abdelaal et. al. 2017; Stanford et. al. 2018). Jene Erfahrungen sowie die resultierende Abnahme des Selbstbewusstseins und ein verringertes Selbstwertgefühl tragen negativ zur psychischen Gesundheit der adipösen Person bei, welche wiederum die Adipositas und andere Komorbiditäten begünstigen kann (Chou et. al. 2014; Stanford et. al. 2018; Teufel & Zipfel 2018).
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- Quote paper
- Anonymous,, 2021, Adipositas und COVID-19. Untersuchung des bidirektionalen Zusammenhangs beider Pandemien, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1278564
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