Michelangelo Merisi da Caravaggio. Längst eingegangen in den Kanon alter Meister, wird dessen ebenso stürmisches wie kurzes Leben (ca. 1571-1610) von einer Vielzahl an biographischen und wissenschaftlichen Legenden umrankt: ein streitsüchtiger Egozentriker, Rebell, Erneuerer der Kunst und vehementer Verfechter des Naturalismus, der nur das malte, was er mit bloßem Auge sah. Eine herausragende Künstlerpersönlichkeit. Herausragend auch, die inzwischen außerhalb jeglicher Relation stehende Masse an Sekundärliteratur und die, seit dessen Werk von der Staubschicht eines jahrhunderdtelangen Vergessens zu Beginn des letzten Jahrhunderts befreit wurde, noch immer anhaltende Konjunktur Caravaggios; ein Langzeitprojekt, nicht nur hinsichtlich der stets neue Fragezeichen aufwerfenden Zuschreibungsproblematik.
Angesichts dieser Situation wird sich diese Arbeit, weit entfernt davon einen Anspruch auf Vollständigkeit erheben zu wollen, bescheiden ausnehmen. Dabei konzentriert sich die Betrachtung auf zwei frühe Werke, die Bacchusdarstellungen von 1593-94 und 1597, anhand welcher, durch eingehende Beschreibung, Bildvergleiche und der Resümierung gängiger Interpretationsansätze, wie sie unter anderem von Hibbard (1988), Prater (1992) oder Held (1996) bereits ausführlich diskutiert wurden, die ästhetischen Implikationen des caravaggesken Frühwerks illustriert werden sollen. Neben dessen Besonderheit polyvalent angelegter Deutungsstrukturen, wird es daneben vor allem – hierbei Kretschmer (1991) und Krüger (2001) folgend – um die im bildkonzeptuellen Programm unmittelbar nachzuweisende Thematisierung der Ambivalenz zwischen Darstellung und Dargestelltem, dem Verhältnis zwischen Bild und Betrachter, sowie der Autoreferenzialität des Mediums gehen. Der letzte Teil widmet sich in diesem Sinne dem Ansatz von Pichler (2006).
Index
1. Einleitung
2. Frühwerk (1592-1600)
3. Bacchus Malato, 1593-94
4. Bacchus, 1597
5. Erweiterte Analyse der Bildkonzeption
6. Schluss
7. Literatur
1. Einleitung
Michelangelo Merisi da Caravaggio. Längst eingegangen in den Kanon alter Meister, wird dessen ebenso stürmisches wie kurzes Leben (ca. 1571-1610) von einer Vielzahl an biographischen und wissenschaftlichen Legenden umrankt: ein streitsüchtiger Egozentriker, Rebell, Erneuerer der Kunst und vehementer Verfechter des Naturalismus, der nur das malte, was er mit bloßem Auge sah. Eine herausragende Künstlerpersönlichkeit. Herausragend auch, die inzwischen außerhalb jeglicher Relation stehende Masse an Sekundärliteratur und die, seit dessen Werk von der Staubschicht eines jahrhundertelangen Vergessens zu Beginn des letzten Jahrhunderts befreit wurde, noch immer anhaltende Konjunktur Caravaggios; ein Langzeitprojekt, nicht nur hinsichtlich der stets neue Fragezeichen aufwerfenden Zuschreibungsproblematik.[1]
Angesichts dieser Situation wird sich diese Arbeit, weit entfernt davon einen Anspruch auf Vollständigkeit erheben zu wollen, bescheiden ausnehmen. Dabei konzentriert sich die Betrachtung auf zwei frühe Werke, die Bacchusdarstellungen von 1593-94 und 1597, anhand welcher, durch eingehende Beschreibung, Bildvergleiche und der Resümierung gängiger Interpretationsansätze, wie sie unter anderem von Hibbard (1988), Prater (1992) oder Held (1996) bereits ausführlich diskutiert wurden, die ästhetischen Implikationen des caravaggesken Frühwerks illustriert werden sollen. Neben dessen Besonderheit polyvalent angelegter Deutungsstrukturen, wird es daneben vor allem – hierbei Kretschmer (1991) und Krüger (2001) folgend – um die im bildkonzeptuellen Programm unmittelbar nachzuweisende Thematisierung der Ambivalenz zwischen Darstellung und Dargestelltem, dem Verhältnis zwischen Bild und Betrachter, sowie der Autoreferenzialität des Mediums gehen. Der letzte Teil widmet sich in diesem Sinne dem Ansatz von Pichler (2006).
2. Frühwerk (1592-1600)
Je nach Zuschreibungslage und Forschungsstand, umfasst das Schaffensoeuvre Caravaggios annähernd achtzig Werke, wovon lediglich ein Dutzend[2] kleinformatige Gemälde den Bestand des Frühwerks konstituieren. Üblicherweise wird dieses auf die frühen römischen Jahre bis um 1600 angesetzt, da aus den mailänder Lehrjahren (ca. 1584-89) kein einziges Bild überliefert ist.[3] Geboren (ca. 1571) in einem kleinen Ort bei Mailand, wo Caravaggio später seine Lehre bei dem Maler Simone Peterzano (ca. 1540-90) absolviert, wird seine Anwesenheit in Rom gegen das Jahr 1592 bekundet. Nachdem er sich zunächst mit dem Verkauf seiner Bilder auf der Strasse zu halten sucht und einige Monate unter anderem in den Diensten des Malers Cesari d’Arpino steht (vermutlich 1593), gerät er, aufmerksam gemacht durch einen französischen Kunsthändler,[4] ab 1595 in das Gönnertum des Kardinals Franceso Maria Bourbon del Monte (1549-1626)[5]. Zu den Werken dieser Zeit zählen genrehafte Darstellungen, wie Das Konzert (ca. 1595) (Abb. 1), Die Wahrsagerin (ca. 1594-95) oder Die Kartenspieler (ca. 1594-95) und, wohl nachdrücklich angeregt durch den Kreis um Del Monte, Bilder mit mythologischen Inhalten, wie Narziss (ca. 1597), Das Medusenhaupt (ca. 1598) (Abb. 2) und schließlich die beiden Bacchus-Darstellungen: der so genannte Bacchus Malato von ca. 1593-94 (Abb. 3), eines der überhaupt frühesten, bekannten Werke Caravaggios und der Bacchus von ca. 1597 (Abb. 4).[6]
Bezeichnend für das Frühwerk gelten, auf rein formaler Ebene, kleinformatige Halbfigurkompositionen, ein reduziertes Figurenrepertoire und profane Inhalte, so können beide Bacchusbilder als paradigmatisch für diese Schaffensperiode angesehen werden. Dagegen steht der Kontrast mit dem Spätwerk, in welchem, dominiert von Auftragsarbeiten für Kirchen, profane Themen beinahe gänzlich von christlich-religiösen abgelöst werden, die Halbfigur der Ganzfigur weicht, die frühen Kleinformate monumentale Ausmaße annehmen und die Figurenkonstellationen komplexer werden.
3. Bacchus Malato, 1593-94
Zentral und einen Großteil der Bildfläche einnehmend, sehen wir die halbfigurige Darstellung eines Jünglings, der seitlich hinter einer Steinplatte – einziges greifbares Indiz räumlicher Definition – Platz genommen hat. Der nach rechts gedrehte Körper, von dessen unterer Hälfte lediglich das linke Knie und ein kleiner Ausschnitt des rechten Beines zu sehen sind, ist in eine weiße Tunika mit einem rechts um die Taille geknoteten Band, dessen Enden auf die Tischplatte im Bildvordergrund fallen, gehüllt. Die rechte Schulterpartie bleibt unbedeckt und bietet durch vollkommene Ausleuchtung von links oben die durchgehend hellste Fläche des Gemäldes. Durch die zusätzlich farbig sorgsam durchmodellierte Struktur des Oberkörpers, der sich deutlich vom dunklen Braun des Hintergrunds abhebt, wird eine mit der Steinplatte erzeugte Trennung zum Betrachter neutralisiert und der Dargestellte in greifbare Nähe gebracht.[7] Beide Arme – auf die Stellung des linken deutet nur ein kleiner sichtbarer Teil der Hand – sind stark zur Brust hin angewinkelt, so dass der knapp über der Tischkante befindliche und auf diese einen Schatten werfende Ellbogen des rechten Arms einen spitzen Winkel bildet. Beide Hände umschließen einen Bund grüner Weintrauben. Weitere Früchte, rote Weintrauben und zwei Aprikosen, sind am rechten Rand der Steinplatte platziert. Der Kopf des Jünglings, dessen dunkler Lockenschopf von einem Efeukranz geziert wird, ist nach rechts zum Betrachter hin gewandt, wenn auch der ausgezehrte Blick einen noch weiter rechts liegenden Punkt außerhalb des Bildes gerichtet ist.
Die gelblich-ungesunde Hautfarbe, der blassbläuliche Ton der Lippen, die dunklen Augenränder und der insgesamt apathisch wirkende Ausdruck bieten offensichtlich Zeichen von Krankheit. Dies überrascht, um nicht zu sagen, irritiert, wenn es den Dargestellten, entsprechend der Attribute von Efeuschmuck und Weintrauben, als Bacchus zu identifizieren gilt. Wie hat der sonst von Natur aus so umtriebige oder fröhlich-trunkene Gott zu dieser Darstellung gefunden?
Tatsächlich besteht eine der Unklarheiten, weshalb dieses Bild in der Literatur oft als „rätselhaft“[8] bezeichnet wird, in eben dieser Frage; passt dieser Merkmalsschatz doch so wenig in Bezug auf eine Gottheit. Eine mögliche Erklärung dieser Motivation argumentiert auf biographischer Ebene, zumal der Künstler sich zur Entstehungszeit des Bacchus Malato im Ospedale della Consolazione gerade selbst von einer Krankheit erholt haben soll.[9] Untermauert wird diese Annahme durch den verbreiteten Hinweis, dass Caravaggio dem Weingott sein eigenes Aussehen verliehen hat.[10] Muss das Rätsel der kränklichen Erscheinung bis auf Weiteres im Bereich vager Vermutungen verweilen, so können auf Basis der hier bemerkten künstlerischen Selbstinszenierung weitere Implikationen angeschlossen werden.
[...]
[1] vgl. v.a. Martin: Vorwort. In: Ausst. Kat. (2006) Caravaggio, 10-15. Puglisi (1998: 7) neben einer festen Etablierung von Caravaggios Leben und Werk in der Populärkultur (Werbung, fiktionale Literatur), einen allgemeinen Bedeutungszuwachs in der zeitgenössischen Kritik und zwar nicht mehr beschränkt auf das Fach der Kunstgeschichte, sondern auf interdisziplinärerer Ebene.
[2] vgl. Hibbard (1988) Caravaggio, 17. Zu den biographischen Daten dieses Teils, sofern nicht anderweitig markiert, vgl. König (1997), 9-15; Held (1996), 21-25.
[3] vgl. Lechner (2006), 68; Wittkower (61999), 19. Wittkower schlägt eine Unterteilung in vier Schaffensperioden vor: die mailänder Lehrjahre (ca. 1584-89), die frühen römischen Jahre (ca. 1592-1599), die späten römischen Jahre, hauptsächlich geprägt von Auftragsarbeiten für Kirchen (1599-1606) und die letzten Lebensjahre, in welchen auf ständiger Flucht weitere Arbeiten für Kirchen entstehen (1606-1610).
[4] vgl. Held (1996), 20; Hibbard (1988), 23.
[5] Bis zu seinem Tod 1610 sollte Caravaggio in der Gunst des Kardinals bleiben. Zu dessen Ruf als innovativer Förderer der Künste und der Wissenschaften, s. Puglisi (1998), 86f.; Hibbard (1988), 29ff.
[6] Bacchus oder Bacchino Malato (zum Titel, s. Anm. 17) ging 1607 vom Besitz des Cesari d’Arpino an Scipione Borghese und befindet sich heute in der gleichnamigen Galleria in Rom. Obwohl es in den dortigen Inventaren von 1693 und 1790 Caravaggio zugeschrieben wurde, galt es bis 1927 nicht als Original von Caravaggio, vgl. Hibbard (1988), 15/ 272. Die früheste aktenkundliche Registrierung des Bacchus der Uffizien, Florenz, findet sich in einem Kaufvertrag aus dem Jahr 1618, mit dem Cosimo II von Medici das Gemälde erwarb, vgl. Puglisi (1998), 102. Nach Hibbard (1988: 39) war es ein Geschenk des Kardinals del Monte an den Großherzog von Florenz. Über Jahrhunderte vergessen, wurde es erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts in den Depots der Uffizien wieder entdeckt, vgl. u.a Lechner (2006), 71 (u. Anm. 191); Hibbard (1988), 39; Benkard (1928), 134.
[7] vgl. zu diesen Beobachtungen auch Lechner (2006), 70f.; Held (1996), 42.
[8] Martin: Vorwort. In: Ausst. Kat. (2006) Caravaggio, 12.
[9] vgl. Bayer (2004), 169; Hibbard (1988), 16. Auch der Film von Derek Jarman (1986) stellt die Entstehung des Gemäldes in den Kontext dieses biographischen Details.
[10] vgl. u.a. Lechner (2006), 70 (u. Anm. 189); Martin (2006), 12 (wie Anm. 8); Bayer (2004), 169; Puglisi (1998), 102; König (1997), 8; Held (1996), 42 (u. Anm. 68).
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