... Diese Diplomarbeit soll Aufschluss darüber geben, aus welchen Gründen eine solche Kultur unter Gleichaltrigen entsteht, und welche Mittel sie benötigt, um einem jungen Menschen als fruchtbar und fördernd zur Seite zu stehen.
Im folgenden Absatz wird das Vorgehen dabei aufgegliedert und kurz auf die jeweiligen Ziele der Passagen eingegangen, damit ein Überblick über das Gesamtwerk entsteht. Im zweiten Kapitel sollen die grundlegenden Begrifflichkeiten geklärt werden, wodurch der Leser dieselbe Ausgangslage für die Argumentationen des Autors erhalten soll. Hierzu ist es unumgänglich die im Titel der Diplomarbeit stehenden Begriffe „Peer“, „Culture“ und „Ressource“ näher zu bestimmen. Der dritte Abschnitt widmet sich der Geschichte der Gleichaltrigengruppe, deren Bedeutung und Funktion schon seit der Antike bekannt ist. Bereits Platon verweist auf die Bedeutung der Gruppe, die neben der Familie als weitere Erziehungsinstanz einen sehr hohen Grad an Einfluss besitzt. Weiter wird auf primitive und moderne Gesellschaftsformen eingegangen, da diese Peer Gruppen in einem nicht unmerklichen Maße beeinflussen. Der darauf folgende Teil soll aus multidisziplinärer Sicht die Funktionen der Gleichaltrigengruppe erhellen. Zu Wort kommen dabei die Wissenschaften der pädagogischen Anthropologie, die Sozialpsychologie, die Entwicklungspsychologie und abschließend die Soziologie.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Begriffsklärung
2.1 „Peer“ und „Peer Group“
2.2 „Culture“
2.3 „Ressource“
3 Geschichtlicher Abriss
3.1 Primitive Gesellschaften
3.2 Moderne Gesellschaften
3.3 Peer Group Forschung heute
4 Wissenschaftliche Disziplinen
4.1 Pädagogische Anthropologie
4.1.1 Übertragung
4.2 Sozialpsychologie
4.2.1 Konformität
4.3 Entwicklungspsychologie
4.3.1 Entwicklungsaufgaben
4.4 Soziologie
4.5 Zusammenfassung
5 Peer Culture
5.1 Zur Terminologie von „Peer ... „
5.2 Peer Counseling
5.3 Peer Education
5.4 Peer Projekte
5.5 Peer Support
5.6 Zusammenfassung
5.7 Positive Peer Culture (PPC)
5.7.1 Begriffliche Klärung
5.7.2 Grundlagen
5.7.2.1 Eine Prosoziale Normenkultur
5.7.2.2 Die Grenzziehung und Konfrontation
5.7.2.3 Die Verbindlichkeit des Unverbindlichen
5.7.2.4 Die Verantwortung Peer Culture – Ressource der Gleichaltrigen II
5.7.2.4.1 Die Umkehr der Verantwortung
5.7.2.4.2 Die Übernahme von Verantwortung durch „Checking“ und „Confronting“
5.7.2.5 Positive Peer Pressure
5.7.2.6 Die Corporate Identity
5.7.3 Zentrale Elemente der Positive Peer Culture
5.7.3.1 Die Macht der Peers
5.7.3.2 Die Stärke des Geläuterten
5.7.3.3 Das Klima der Veränderung
5.7.3.4 Das soziale Training
5.7.4 Die Ziele
5.7.4.1 Das positive Selbstwertgefühl
5.7.4.2 Die Vermittlung grundlegender Werte
5.7.4.3 Die Förderung prosozialen Verhaltens
5.7.4.4 Die Veränderung des moralischen Bewusstseins
5.7.4.5 Die Mündigkeit anstatt der Anpassung
6 Partizipation und Empowerment
6.1 Partizipation
6.1.1 Definition
6.1.2 Rechtliche Grundlagen
6.1.3 „the ladder of participation”
6.2 Empowerment
6.2.1 Definition
6.2.2 Die Bündelung der Lernprozesse
6.2.3 Die vier Ebenen des Empowerment
6.3 Zusammenfassung
7 Fazit
8 Quellenverzeichnis
8.1 Literatur
8.2 Graue Literatur
8.3 Internet-Quellen
Anhang
Anhang A: Konfrontationsstufen
Anhang B: Stufen der Moralentwicklung
1 Einleitung
„Kultur fällt uns nicht wie eine reife Frucht in den Schoß. Der Baum muss gewissenhaft gepflegt werden, wenn er Frucht tragen soll.“1
(Albert Schweitzer 1875-1967)
So wie Albert Schweitzer es beschreibt, bedarf es um eine Kultur zu schaffen einer gewissenhaften Pflege, eines großen Einsatz und einer Unterstützung aller, die daran beteiligt sind oder sein wollen.
Diese Diplomarbeit soll Aufschluss darüber geben, aus welchen Gründen eine solche Kultur unter Gleichaltrigen entsteht, und welche Mittel sie benötigt, um einem jungen Menschen als fruchtbar und fördernd zur Seite zu stehen.
Im folgenden Absatz wird das Vorgehen dabei aufgegliedert und kurz auf die jeweiligen Ziele der Passagen eingegangen, damit ein Überblick über das Gesamtwerk entsteht.
Im zweiten Kapitel sollen die grundlegenden Begrifflichkeiten geklärt werden, wodurch der Leser dieselbe Ausgangslage für die Argumentationen des Autors erhalten soll. Hierzu ist es unumgänglich die im Titel der Diplomarbeit stehenden Begriffe „Peer“, „Culture“ und „Ressource“ näher zu bestimmen.
Der dritte Abschnitt widmet sich der Geschichte der Gleichaltrigengruppe, deren Bedeutung und Funktion schon seit der Antike bekannt ist. Bereits Platon verweist auf die Bedeutung der Gruppe, die neben der Familie als weitere Erziehungsinstanz einen sehr hohen Grad an Einfluss besitzt. Weiter wird auf primitive und moderne Gesellschaftsformen eingegangen, da diese Peer Gruppen in einem nicht unmerklichen Maße beeinflussen.
Der darauf folgende Teil soll aus multidisziplinärer Sicht die Funktionen der Gleichaltrigengruppe erhellen. Zu Wort kommen dabei die Wissenschaften der pädagogischen Anthropologie, die Sozialpsychologie, die Entwicklungspsychologie und abschließend die Soziologie. Der anthropologische Abschnitt handelt vordringlich von den grundlegenden Bedürfnissen des Menschen. Dessen Ausprägung wird versucht anhand der Sozialpsychologie auf die Situation in der Gruppe zu übertragen, wobei die Konformität den Hauptaspekt der Analyse bildet. Die Wirkung der Peers auf die Gruppe und umgekehrt sollen daraufhin aus entwicklungspsychologischer Sicht dargelegt werden. Die Soziologie, als Wissenschaft vom Zusammenleben des Menschen, hat abschließend die Aufgabe, die verschiedenen Rollen eines jungen Menschen in der Gesellschaft und auch in der Gruppe darzustellen. Der Funktion der Gruppe der Gleichaltrigen kommt dabei ein Hauptaugenmerk zu.
Im fünften Absatz wird zuerst auf die Terminologie von „Peer ...“ im Zusammenhang mit verschiedenen weiteren Begriffen eingegangen, die im Anschluss explizit erklärt werden. Der Hauptteil bezieht sich auf die „Positive Peer Culture“ und darauf, welche Grundlagen zum Aufbau einer solchen von immenser Bedeutung sind. Einzelne Komponenten werden dazu, auf Basis der vorher definierten wissenschaftlichen Voraussetzungen erklärt. Den Schluss bilden die Zielformulierung in Form des positiven Selbstwertgefühls, der Wertevermittlung, der Förderung von prosozialem Verhalten, die Veränderung der moralischen Urteilsfähigkeit und die Förderung zunehmender Mündigkeit.
Des Weiteren wird im sechsten Kapitel auf die Stufen der Partizipation und auf den Ansatz des Empowerment eingegangen, die im Gesamtzusammenhang der Arbeit eine grundlegende Bedeutung haben.
Der letzte Abschnitt bildet eine Stellungnahme des Autors zum Thema und einen Ausblick auf den Nutzen der „Peer Power“ im Rahmen von Sozialer Arbeit mit jungen Menschen.
Wie schon erläutert, geht es in dieser Arbeit hauptsächlich um Gruppen und einzelne junge Menschen sowie um deren Bezug zueinander und ihren Einfluss aufeinander. Deshalb möchte der Autor darauf hinweisen, dass in der vorliegenden Arbeit die Lebensalter der Kindheit und des Jugendalters bis hin zum jungen Erwachsenen vorrangig betrachtet werden.
2 Begriffsklärung
Im folgenden Kapitel dieser Arbeit soll ein grundlegendes Verständnis der Begrifflichkeiten geklärt werden, auf die im Rahmen dieser Arbeit immer wieder Bezug genommen wird.
2.1 „Peer“ und „Peer Group“
Im deutschsprachigen Raum wird „Peer“ meist mit dem Wort „Gleichaltrige/r“2 übersetzt. Dies trifft aber nur einen Aspekt der Bedeutung. Das Wort „Peer“ kommt ursprünglich aus dem Altfranzösischen und ist abgeleitet von „per“ später „pair“ (vgl. Naudascher 2003, S. 119). In „Merriam-Webster's Collegiate Dictionary“3 steht:
„One belonging to the same societal group especially based on age, grade or status.”4
Diese Beschreibung definiert sehr klar nicht nur das Alter als Kriterium für „Peers“, sondern zusätzlich das Gleichsein dem Rang oder dem Status entsprechend. Erstmalige Verwendung fand der Begriff in einem Bericht über eine amerikanische Adoleszenz-Studie (1934-1939):
„Selbstverständlich ist der Begriff ›peer‹ nur eine Annäherung, denn keine zwei Kinder sind genau gleich. Den Status eines jeden kann man von einer Vielzahl sich ändernder sozialer und psychologischer Einflüsse ableiten, und er wandelt sich in manchen Aspekten von Situation zu Situation ... Ganz allgemein, unter Berücksichtigung all dieser individuellen Abweichungen im Status, sind junge Leute allerdings untereinander gleich, sie sind Zeitgenossen und ›peers‹. Die Begriffe wurden hier in diesem angedeuteten Sinn verwendet.“ (Zachry 1940, S. 278)
Da Menschen gleichen Alters üblicherweise auch sehr ähnliche Stufen der Entwicklung durchlaufen, zeigen sie, als Gruppe gesehen, gleiche Merkmale und stehen in einer bestimmten Beziehung zueinander. „Unter der Gleichaltrigengruppe versteht man daher den mehr oder weniger organisierten Zusammenschluss von Personen, die sich
gegenseitig beeinflussen und etwa gleichen Status und gleiches Alter haben“ (Naudascher 2003, S. 120).
Damit soll der Begriff „Gleichaltrigengruppe“, dessen Ursprung in den Forschungen von Lewin und Hyman liegt, gleichbedeutend mit dem Begriff „Peer Group“ verwendet werden (vgl. Naudascher 2003, S. 120).
Die grundlegenden Erkenntnisse und Aussagen zur Bedeutung der Gleichaltrigengruppe entspringen fast alle der amerikanischen Psychologie und Soziologie.
2.2 „Culture“
Kultur ist „einer der schlimmsten Begriffe, die je gebildet worden sind“ (Luhmann 1995, S. 398). Teilweise ist diese Aussage nachvollziehbar, da vielerlei verschiedener Definitionen dieses Begriffes kursieren. Ursprünglich kommt er vom lateinischen Wort „cultura“, was Landbau oder Pflege des Körpers und Geistes bedeutet.
Das Pädagogik-Lexikon definiert, dass die Verwendung des Begriffs Kultur durch „Uneinheitlichkeit“ gekennzeichnet ist, wobei er generell als Gegenbegriff zur Natur verwendet wird (vgl. Reinhold u.a. 1999, S. 318).
Der Philosoph William James Durant gibt in seinem Werk „Kulturgeschichte der Menschheit“ folgende populäre Definition:
„Kultur ist soziale Ordnung, welche schöpferische Tätigkeiten begünstigt. Vier Elemente setzen sie zusammen: Wirtschaftliche Vorsorge, politische Organisation, moralische Traditionen und das Streben nach Wissenschaft und Kunst. Sie beginnt, wo Chaos und Unsicherheit enden. Neugier und Erfindungsgeist werden frei, wenn die Angst besiegt ist, und der Mensch schreitet aus natürlichem Antrieb dem Verständnis und der Verschönerung des Lebens entgegen.“ (Durant 1981, S. 265)
Das soll heißen, dass Kultur die Gesamtheit an Normen, Werten, Formen, Zielen, Standards und Stilen einer Gemeinschaft ist und in diesem Sinne soll der Ausdruck auch im weiteren Verlauf dieser Arbeit verwendet werden.
2.3 „Ressource“
Nach Duden (vgl. Wissenschaftlicher Rat der Dudenredaktion 2005, S. 902) ist eine Ressource ein natürliches Produktionsmittel für die Wirtschaft oder auch ein Hilfsmittel, eine Hilfsquelle oder eine Reserve.
Im ökonomischen Sinne bezeichnet Ressource Dinge wie Arbeit, Kapital, Boden, Umwelt usw. Auch in der Informatik wird der Begriff verwendet und beschreibt vorhandene Rechenleistung oder Speicherplatz.
Eine passende Zusammenfassung bietet Nestmann an, der damit der „Unbestimmtheit des Ressourcenbegriffs“ entgegenwirken möchte:
„Letztlich alles, was von einer bestimmten Person in einer bestimmten Situation wertgeschätzt und/oder als hilfreich erlebt wird, kann als eine Ressource betrachtet werden.“ (Nestmann 1996, S. 362)
Diese Zusammenfassung wird von Petzold ergänzt, der Ressourcen als alle Mittel ansieht, „durch die Systeme sich als lebens- und funktionsfähig erhalten (operating), Probleme bewältigen (coping), ihre Kontexte gestalten (creating) und sich selbst im Kontextbezug entwickeln können (developing)“ (Petzold 1997, S. 451f.).
Die wörtliche Übersetzung aus dem Französischen gibt für „source“ die Bedeutung „Quelle“ wieder, was im übertragenen Sinn auch als Kraftquelle bezeichnet werden kann. Somit soll dieser Arbeit folgendes Verständnis von Ressource zugrunde gelegt werden, das sich auf die positiven Personen- und Umweltpotentiale bezieht, die bei Menschen zur Grundbedürfnisbefriedigung, zur Bewältigung altersspezifischer Entwicklungsaufgaben, zur gelingenden Alltagsbewältigung und zur Realisierung von Identitätszielen genutzt werden können. Hierdurch tragen diese Ressourcen zur Sicherung der psychischen Makellosigkeit, zur Kontrolle von Selbst und Umwelt sowie zu einem umfassenden biopsychosozialen Wohlbefinden bei (vgl. Herriger 2006).
3 Geschichtlicher Abriss
Der folgende Abschnitt befasst sich mit der Geschichte des Phänomens „Peer Culture“, deren Bedeutung schon seit der Antike immer wieder aufgegriffen und durchleuchtet wurde.
Bereits Platon weißt auf die Wichtigkeit des Umgangs gleichaltriger Kinder miteinander hin, da er meint, nur so den Eigenwillen des Kindes abkoppeln zu können (vgl. Plato zit. n. Muuss 1972, S. 16).
Das Verhältnis der Gleichaltrigengruppe zur Gesellschaft ist stark durch die Stellung und Bedeutung der Familie in der jeweiligen Gesellschaftsform beeinflusst.
Eisenstadt definiert folgende Kriterien, die erfüllt sein müssen, damit die Gleichaltrigengruppe erziehungswirksam werden kann:
1. Die Familie ist keine autonome Einheit.
2. Die Familie erfüllt keine wichtigen politischen und wirtschaftlichen Aufgaben.
3. Die Familie repräsentiert nicht alle, oder zum Teil, andere Werte als die Gesellschaft, zu der sie gehört.
4. Die Familie vermag nicht mehr alle Rollen, die vom Erwachsenen gebraucht werden, zu vermitteln. (vgl. Eisenstadt 1966, S. 121)
Somit bedarf es einer Ergänzung der familialen Erziehungsfunktionen in der jeweiligen Gesellschaftsform.
3.1 Primitive Gesellschaften
Die Familie bildet hier eine wirtschaftlich unabhängige, soziale Einheit, die in Harmonie mit der Wertorientierung der Gesellschaft koexistiert. Hierdurch wird der Übergang zwischen Familie und Gesellschaft erleichtert, da sich die Entwicklung ausschließlich am Familienleben ausrichtet und kaum altershomogene Gruppen existieren (vgl. Eisenstadt 1966, S. 119f.).
Infolge des Verlustes der Selbstständigkeit der Familie bilden sich Altersgruppen, die zuerst rein wirtschaftliche Angelegenheiten übernehmen. Werden die Rollenerwartungen an die Individuen vielfältiger, „übernimmt die Gleichaltrigengruppe genau definierte und von dieser Gesellschaft ausdrücklich gutgeheißene erzieherische Funktionen“ (Naudascher 2003, S. 121). Diese zeitweilige Schutzfunktion vor einem neuen unbekannten außerfamiliären Leben bietet dem Menschen Schonraum und zugleich Vorbereitung auf zu erfüllende Aufträge für die Gemeinschaft (vgl. Eisenstadt 1966, S. 149f. u. 288f.).
Beispielsweise herrschte schon im antiken Sparta eine Übereinstimmung zwischen den Werten der Gesellschaft und denen der Familie. Die erzieherischen Aufgaben der Familie beschränkten sich auf die ersten sechs Lebensjahre, worauf dann für den männlichen Nachwuchs eine 24-jährige Unterbringung in staatlichen Internaten folgte, in denen sie auf eine militärische Laufbahn vorbereitet werden sollten. Diese Zeit, in der das Individuum unter einem großen Einfluss einer Gleichaltrigengruppe stand, war Grundbedingung um den Status eines Erwachsenen zu erhalten (vgl. Eisenstadt 1966, S. 142f. u. 210f. u. 295f.).
In Athen herrschten weitaus differenziertere Werte als in Sparta, dort bot sich mehr Raum zur Entfaltung einer Individualität des Menschen, dennoch gab es eine Einigkeit zwischen den Erwartungen der Gesellschaft und denen der Familie. Den Erwachsenenstatus erhielt der junge Mann nur, wenn er im Alter zwischen achtzehn und zwanzig Jahren einer staatlich beaufsichtigten Gruppe angehörte. Parallel boten sich vielseitige Möglichkeiten an Gruppen zu partizipieren, ohne jegliche Lenkung und Kontrolle des Staates. Die Aufgaben der Gleichaltrigengruppen waren im Gegenzug zum spartanischen System nur sehr frei festgelegt und das Ziel war nicht die Vermittlung fest beschriebener Rollen sondern die Weitergabe allgemeiner menschlicher Werte. Eisenstadt sieht im klassischen griechischen Staat den Vorgänger moderner Gesellschaften, da Altersgruppen nicht mehr völlig eingegliedert und institutionell eingebunden sind (vgl. Eisenstadt 1966, S. 144 u. 295f.).
Im republikanischen Rom hingegen war die Familie das Fundament für die politische und soziale Ordnung, wodurch annähernd kein Raum für die Einflussnahme durch Altersgruppen bestand. (vgl. Naudascher 2003, S. 122).
3.2 Moderne Gesellschaften
Die Gegenstandsbestimmung von Familie in der „modernen“ Gesellschaft entwickelt sich nach Eisenstadt an folgenden Punkten:
1. Die Familie geht in vielen Belangen konform mit den Werten der Gesellschaft, wobei sich das Leben in der Familie mehr an den partikularistischen als an den universalistischen Normen der Gesellschaft orientiert. Hierdurch entsteht oft eine Abweichung zwischen den Wertesystemen.
2. Abgabe vieler familiärer Aufgaben an andere Institutionen.
3. Emotionale Interaktionen der Familienmitglieder sind auf den Zusammenhalt des Systems Familie ausgerichtet und nicht unbedingt auf die Integration in das gesellschaftliche Leben.
4. Große emotionale Problematiken beim Übertritt von der Familie in die Gesellschaft.
5. Starke Spannungen zwischen den Generationen.
6. Die Zugehörigkeit zu einer Gleichaltrigengruppe vermag weder den Erwachsenenstatus noch sexuelle Reife zu vermitteln.
7. Aufgabe der Gleichaltrigengruppe ist nicht mehr die gesellschaftliche Wertevermittlung, sondern vielmehr das allmähliche Erlangen einer Identität durch die Zugehörigkeit zur Gleichaltrigengruppe ohne dabei spezifische Rollen erfüllen zu müssen (vgl. Eisenstadt 1966, S. 147 u. 225).
Der Wandel der Familienfunktion ist verantwortlich dafür, dass die Peer Group in der modernen Gesellschaft an Bedeutung gewonnen hat und dadurch auch eine größere Chance erhält Einfluss zu nehmen. Gastager definiert die „Fassadenfamilie“ (Gastager 1973, S. 26) und Cooper spricht sogar vom „Tod der Familie“ (Cooper 1970, S. 3 – 27 u. 140), da die Interaktionen zwischen den Familienmitgliedern in vielen Fällen gestört oder gänzlich abgebrochen sind, da die familialen Aufgaben reduziert sind auf das „leibliche Wohl“ (vgl. Naudascher 2003, S. 124).
Der schnelle Fortschritt und Wandel ist Grund dafür, dass eine Erziehung mit den Eltern als Vorbild nicht mehr existieren kann, da die Eltern in einer Welt leben, die den Kindern vertraut ist, in der sich die Eltern selbst aber nicht mehr auskennen. Als Lösungsansatz schlägt Mead Vertrauen und Liebe anstatt Rückzug vor, wobei es nicht wichtig ist, wer dieses Vertrauen schenkt. Die Kenntnis des Bindungswertes ist viel wichtiger als die Bindung an etwas Bestimmtes (vgl. Mead 1970, S. 126). Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Erziehungsfähigkeit der Eltern in Frage gestellt wird. Durch die Aufgabenverlagerung, z. B. Wissensvermittlung, Schulbildung, usw., nach außerhalb, hat die Familie die Möglichkeit erhalten wesentlichere pädagogische Aufgaben zu bearbeiten.
3.3 Peer Group Forschung heute
Kurt Lewins „Feldtheorie in den Sozialwissenschaften“ 1963, in der erstmals die verschiedenen Entwicklungsaspekte (Biologie, Soziologie und Psychologie) integriert wurden, ergab den Begriff Lebensraum, der so dargestellt wird, wie es das Individuum empfindet. Der theoretische Rahmen für die Gruppendynamik und Gruppentherapie resultiert ebenfalls aus seiner Theorie.
Die Erkenntnis, dass ein Mensch sich nach den Erwartungen richtet, die eine Gruppe, zu der er gehört oder gehören möchte, an ihn hat, gründet auf Ausführungen H. H. Hymans im Jahre 1942, die zum wesentlichen Verständnis des Gruppeneinflusses auf die Werthaltungen eines Menschen beitrugen (vgl. Naudascher 2003, S. 126).
Auch die soziometrische Bewegung, ausgehend von Moreno, gab einen weiteren Impuls zur Forschung bei Gleichaltrigen.
Ab Mitte der 50er Jahre wurden in den USA ökologische Forschungen betrieben, in denen das Kind in seiner natürlichen Umgebung beobachtet wurde, da nur so eine Gewichtung der Einflüsse vorgenommen werden konnte. Ergebnis daraus war, dass jede Umgebung bestimmtes Verhalten fordert oder unterdrückt, welches konform oder auch widersprüchlich zu Verhalten in einer anderen Umgebung sein kann. (vgl. Naudascher 2003, S. 127).
In der Bundesrepublik ist es die Disziplin der Soziologie, die sich um das Thema Gleichaltrigengruppe verdient gemacht hat, jedoch wurden die meisten empirischen Studien in den USA durchgeführt, was im Hinblick auf die Zusammensetzung der Nation, aus Einwanderern, als verständlich erscheint.
Maßgebliche Entwicklungstheorien, z. B. Ausubel und Sullivan, stellten bereits in den 50er-Jahren heraus, wie wichtig die Erfahrungen mit Gleichaltrigen zur Vorbereitung auf das Erwachsenenleben sind. Das Augenmerk wandelte sich jedoch in der Folgezeit mehr und mehr auf die „Gefahr“ für die Kinder in der Gleichaltrigenwelt. Bronfenbrenner und Coleman befürchteten, dass Kinder aus Krisenfamilien zunehmend dem Einfluss von Banden ausgeliefert sein würden. Aus diesem Blickwinkel ist es leicht verständlich, dass hier ein gegenseitiges positives Fördern eher nicht stattfindet (vgl. Krappmann 2006, S. 201).
Bereits im Jahre 1974 erschien das Buch „Positive Peer Culture“ von Harry Vorrath und Larry Brendtro, worin detailliert die Grundprinzipien zum Aufbau einer positivausgerichteten Gleichaltrigenkultur beschrieben sind und das eine Art Werkzeugkoffer zum Aufbau und zur Führung solcher Gruppen darstellt. Hier erklärt Brendtro, wie auch in seinem Artikel „Positive Peer Culture: Antidote to »Peer Deviance Training«“ (Brendtro u.a. 2007, S. 200 – 206), dass eine Positive Peer Kultur nur von den Jugendlichen selber entwickelt werden kann und nicht von den Pädagogen, die nur Helfer zur Etablierung darstellen.
James Youniss wies in seinen Untersuchungen 1980 nach, dass sich Kinder und Jugendliche gegenseitig Erfahrung aufzeigen, die ihnen kein Erwachsener bieten kann (vgl. Krappmann 2006, S. 202).
Bereits 1978 startete in Richmond (Virgina, USA) ein Programm zur Etablierung einer Positiven Jugendkultur, das bis heute erfolgreich fortgeführt wird. Hier ist eine Kultur der Gleichaltrigen erwachsen, die sich zur Einrichtungskultur weiterentwickelt hat, ebenso wie im Starr Commonwealth5 und in den Glen Mills Schools6.
Auch in Deutschland gibt es immer mehr Einrichtungen in denen eine solche Kultur zur Kultur der Einrichtung werden soll (z. B. das St. Augustinusheim in Ettlingen7, Projekt Chance im CJD Creglingen8, Jugendhof Seehaus von Prisma e.V.9 oder Jugendkolleg am See10 ).
4 Wissenschaftliche Disziplinen
4.1 Pädagogische Anthropologie
„Als Lehre von der Entstehung des Menschen und seiner Entwicklung ist Anthropologie ein Teilgebiet der Biologie und Zoologie. Ihre Probleme werden aber auch in der Medizin, Geschichte, Soziologie, Ethnologie, Verhaltensforschung und Psychologie behandelt.“ (Lassahn 2000, S. 474)
In einer „Peer Culture“ sind die Bedürfnisse eines jeden dazugehörigen Individuums von Bedeutung. Den Begriff Bedürfnis definiert Reinhold als jenen Zustand des Organismus, der ein bestimmtes und gezieltes Verhalten auslöst, um einen empfundenen Mangel zu beseitigen11 (vgl. Reinhold 1991, S. 44).
Die Bedürfnistheorie nach Maslow, zwar psychologisch geprägt, aber der Anthropologie zurechenbar, definiert den Mensch, nach Zufriedenstellung der physiologischen Bedürfnisse und der Sicherheitsbedürfnisse, als „hungrig“ nach liebevollen Beziehungen mit anderen Menschen (vgl. Maslow 1977, S. 85). Die Gruppenzugehörigkeit hat demnach eine wichtige Position im Leben eines jeden Menschen, da es bei Nichterlangen einer Zugehörigkeit auf Dauer zu psychischen oder psychosomatischen Erkrankungen kommen kann.
„Alle Menschen in unserer Gesellschaft ... haben das Bedürfnis oder den Wunsch nach einer festen, gewöhnlich recht hohen Wertschätzung ihrer Person, nach Selbstachtung und der Achtung seitens anderer.“ (Maslow 1977, S. 87)
Selbstachtung erlangt ein Mensch durch die Zufriedenheit mit der eigenen Leistung, durch individuelle Erfolge in den unterschiedlichsten Bereichen des Lebens, durch das Erkennen und Erleben der eigenen Stärken und seiner Kompetenz oder auch durch das Erfahren von Vertrauen, das er sich selbst entgegenbringt. Der Wunsch nach Status, Anerkennung, Aufmerksamkeit, Bedeutung oder Wertschätzung hängt im Gegenzug zur Selbstachtung von den Menschen im Umfeld ab, da Achtung nur von anderen Personen verliehen werden kann. Sollte das Bedürfnis nach Achtung nicht gänzlich befriedigt sein, so wird ein Mensch das Bedürfnis nach Selbstachtung auch nicht befriedigen können, da aufkommende Selbstzweifel dies nicht zulassen würden. Ebenso würde eine Person die Wertschätzung durch andere nicht ernst nehmen, wenn zwar die Achtung vorhanden wäre, aber die Selbstachtung z.B. durch fehlerhafte Einschätzung der eigenen Leistungen, nicht gegeben wäre.
„Die Auswirkungen einer positiven Selbstachtung in Verbindung mit einer Wertschätzung durch das soziale Umfeld wären ein stabiles Selbstvertrauen und eine große Stärke. Ist eines der beiden aber nicht in ausreichendem Maße vorhanden führt dies auf Dauer unabwendbar zu einem Gefühl der Minderwertigkeit, der Schwäche und der Hilflosigkeit.“ (ebd.)
4.1.1 Übertragung
Ein junger Mensch, der in seiner Entwicklung praktisch noch am Anfang steht, erfährt die Erfüllung seiner Bedürfnisse nach Zugehörigkeit und Anerkennung vor allem in den verschiedensten Gruppen. Er sucht förmlich nach der Gruppe, die ihm das für ihn angenehmste und bestmöglichste Feedback bezüglich seiner Wünsche bietet. In seiner Peer Gruppe hat der junge Mensch vielerlei Möglichkeiten seinen Selbstwert aufzubauen und gleichwohl wertgeschätzt und geachtet zu werden. Jeder Jugendliche ist bereit sehr viel dafür zu tun um in seiner Peer Gruppe angenommen zu sein und er wird in ihr versuchen einen möglichst hohen Status zu erreichen. Zusammenfassend lassen sich in den Erkenntnissen der Anthropologie gute Anhaltspunkte dafür finden, dass das Verhalten eines jungen Menschen zentral durch sein Streben nach Akzeptanz und Respekt durch seine Peers bestimmt wird.
4.2 Sozialpsychologie
„Die Sozialpsychologie ist eine interdisziplinäre, im Grenzbereich zwischen Soziologie und Psychologie angesiedelte Disziplin, die sich mit dem Einfluß sozialer Faktoren auf das individuelle Verhalten und umgekehrt befaßt. Hierbei gilt ihr besonderes Interesse der Interaktion zwischen Individuen, zwischen Individuen und Gruppen und zwischen Gruppen. Eine allgemeine Definition und Aufgabe sowie eine exakte Abgrenzung der Sozialpsychologie von bestimmten Teilbereichen und Fragestellungen der Psychologie und Soziologie gibt es jedoch nicht.“ (Stimmer 2000, S. 696)
In diesem Kapitel soll aus sozialpsychologischer Sicht erläutert werden, wie sich der Einfluss der Umwelt auf einen Menschen auswirkt. Die dramatische Bedeutung der menschlichen Umwelt für das Individuum belegen verschiedene Studien (z.B. von Spitz, Lück oder Argyle) zum Hospitalismus12, in denen die Erkenntnis gewonnen wurde, dass der Mensch seine Mitmenschen sowohl fürs physische als auch fürs psychische Überleben benötigt (vgl. Oldekop 2003, S. 77).
Ebenso ist der Art des Einflusses der Gruppe auf das Verhalten des Menschen in konkreten Situationen von Bedeutung. Eine der zentralen Fragen der Sozialpsychologie beschäftigt sich mit den Bedingungen unter denen sich eine Person gegenüber den Verhaltenserwartungen anderer Personen oder Gruppen konform verhält.
4.2.1 Konformität
Die Übernahme von Normen, Verhaltensmustern und Einstellungen einer Gruppe oder der Gesellschaft durch ihre Mitglieder, wird als Konformität bezeichnet (vgl. Stimmer 2000, S. 396). Nachfolgende Abbildung unterscheidet verschiedene Arten der Konformität:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 4.1: vgl. Fischer 2002, S. 553
Während bei der äußeren Konformität die Übernahme von Normen, Verhaltensmustern, und Einstellungen oberflächlicher und widerstrebender Natur ist, beinhaltet innere Konformität die tatsächliche Zustimmung hierzu. Gehorsam und Anpassung setzen meist einen immensen Gruppendruck voraus und werden durch äußere Einflüsse kontrolliert, wohingegen Akzeptanz und besonders die Verinnerlichung von einem inneren Antrieb geleitet werden. Verinnerlichung ist dann vorhanden, wenn die Normen und Werte oder Rollen zu einem Teil der eigenen Persönlichkeit und Motivation werden. Dagegen kommt es zu Kollisionen mit eigenen Überzeugungen und dem eigenen Selbstbild, wenn Gehorsam und Anpassung erzwungen werden.
Ein klassisches Experiment zur Untersuchung von konformem Verhalten ist der von Sherif 1935 durchgeführte Versuch mit Hilfe des autokinetischen Effekts13, dessen Aufbau im Folgenden kurz erläutert wird.
In einem vollständig verdunkelten Raum, in dem Versuchsteilnehmer allein oder in Gruppen von zwei oder drei Personen saßen, sollten diese Abschätzen, in welchem Ausmaß sich ein etwa fünf Meter entferntes Licht bewegt. Die Hälfte der Probanden, die ihre ersten 100 Schätzungen allein abgaben, hatte Schwierigkeiten die Lichtbewegungen einzuschätzen. Jedoch entwickelten sie nach kurzer Zeit ein Standardmaß (persönliche Norm), um welches sich die weiteren Schätzungen herumbewegten. Diese Norm war zwar bei jedem Probanden stabil, unterschied sich aber zwischen ihnen sehr stark. An den darauf folgenden Tagen wurde in Zweier- und Dreiergruppen erneut befragt und es stellte sich heraus, dass ihre Urteile in Richtung einer gemeinsamen Gruppennorm konvergierten. Die andere Hälfte der Probanden wurde zuerst in Zweier- oder Dreiergruppen und später nochmals einzeln befragt. Die durch die Gruppenbefragung entstandene Norm blieb auch in den Einzelbefragungen erhalten. (vgl. Stroebe u.a. 1990, S. 467ff.)
Fischer (vgl. 2002, S. 558) unterscheidet drei Klassen von Variablen, die Konformität beeinflussen:
- Merkmale des Konformitätsobjektes (Stimuli, Themata)
- Merkmale des Konformitätssubjektes (Individuum, Versuchsperson)
- Merkmale der Konformitätsquelle (Gruppe, Einflussgeber)
Schwer einschätzbare Stimuli oder schwere Aufgaben14 steigern die Auftretens-wahrscheinlichkeit von Konformität.
Auch wurde beobachtet, dass der Status in der Gruppe von Bedeutung ist, da Personen mit mittlerem Status meist die Kongruenz zu denen mit höherem Status suchen. In einer Gruppenhierarchie niederrangige Gruppenmitglieder haben durch ihre Anpassung nichts zu verlieren und höherrangige Gruppenmitglieder können sich eine Abweichung von der Norm leisten. Das Alter spielt in der Frage der Konformität eine große Rolle, da die kognitiven Fähigkeiten, als Grundlage für Vergleichsprozesse, erst mit fortschreitendem Alter ausgebildet werden
Die Konformität steigert sich mit der Anzahl der Personen, die gleich lautende (auch falsche) Antworten geben und verringert sich, wenn der Proband durch Helfer unterstützt wird, die nicht in der Gruppe sind (z.B. Helfer des Versuchsleiters), da diese die Einstimmigkeit der Mehrheit aufbrechen und dadurch gerechtfertigte Verhaltensalternativen angeboten werden (vgl. Hogg/Vaughan 1995, S. 199). Nach Fischer (vgl. 2002, S. 561) erhöht sich die Konformität bei steigendem Gruppenzusammenhalt (Kohäsion).
Der „Informationseinfluss“ ist der „Einfluss, der auf dem Informationswert der von anderen ausgedrückten Meinungen beruht, also darauf, was diese einer Person über einen Aspekt der Realität mitteilen“ (Stroebe 1990, S. 473). Wenn eine Person den Informationswert der Aussage einer anderer Personen höher einschätzt als seine eigenen Kenntnisse, dann wertet er die eigene Meinung als weniger realistisch als die seiner Gegenüber ab.
Gruppenmitglieder, die sich nicht anpassen, setzen sich der Gefahr des Ausschlusses aus der Gruppe aus, wenn sie nicht bereit sind dieselbe aus eigenem Antrieb zu verlassen. Von Gruppendruck zur Konformität spricht man, „wenn eine (perzipierte) Diskrepanz zwischen dem eigenen Urteil bzw. der eigenen Norm und der Gruppenerwartung besteht“ (Wiswede 1976, S. 77).
Drei Formen von Gruppendruck lassen sich (nach Wiswede 1976, S. 78) unterscheiden:
- Passiver Gruppendruck (Wahrnehmung der Urteilsdiskrepanz, aber keine genau geäußerte Erwartung)
- Aktiver Gruppendruck (Erwartungen werden genau definiert und bekannt gegeben)
- Massiver Gruppendruck (Erwartungen sind bekannt und Aussagen über Sanktionen sind getroffen worden, wie z.B. Drohungen, Warnungen, usw.)
4.3 Entwicklungspsychologie
„... jenes Teilgebiet der Psychologie, das sich mit der Erforschung der Veränderungen der Fähigkeiten und Verhaltensweisen des Menschen im Laufe seines Lebens befaßt (...). Im Mittelpunkt stehen dabei vor allem Prozesse der Reifung und die Auswirkung der Interaktion zwischen Individuum und Umwelt.“ (Stimmer 2000, S. 182)
Die Rolle der Mitmenschen im Leben und der Entwicklung eines Individuums soll in diesem Kapitel aus entwicklungspsychologischer Sicht betrachtet werden. Den Mittelpunkt sollen hierbei die Peers bilden, da sie im Jugendalter einen immensen Bedeutungszuwachs erfahren.
Nach Salisch (vgl. 2001, S. 225) erhalten die Beziehungen eines Kindes (oder Jugendlichen) zu seinen Peers einzigartige Impulse für seine Entwicklung, die durch nichts anderes ersetzt werden können.
Die Wirkung von Peers kann in drei Ebenen eingeteilt werden:
1. Als große Gemeinschaft mit gleichen Interessen, Vorlieben und Werthaltungen
2. Als informelle Gruppe der ein Jugendlicher angehört oder angehören möchte
3. Als Freundschaft mit spezifischen Bindungserfahrungen (vgl. Schröder 1995, S. 111)
Auf diesen Ebenen wirken Einflüsse auf den Einzelnen, die entweder von aussen kommen oder intrinsisch bedingt sind.
4.3.1 Entwicklungsaufgaben
Ein Individuum hat in allen Phasen seines Lebens spezifische Entwicklungsaufgaben zu erfüllen, die durch vorhergehende Entwicklungsabschnitte determiniert sind und sich auf nachfolgende Phasen direkt auswirken. Nachfolgende Abbildung soll verdeutlichen welche Entwicklungsaufgaben der Adoleszenz (Jugendalter15) von Vorhergehenden beeinflusst und welche Entwicklungsaufgaben auf Nachfolgende Auswirkungen haben.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 4.2: Kombination „der Peer Gruppe als Übergang von der Familie zur Partnerschaft“
(Oerter/Montada 1995, S. 370) mit den Entwicklungsaufgaben der Adoleszenz nach Havighurst -
dargestellt unter der Perspektive des Übergangs zwischen Kindheit und frühem Erwachsenenalter
(Oerter/Montada 1995, S. 328).
Eine weitere herausragende Aufgabe in der Entwicklung eines Menschen ist die Identitätsfindung16, die in engem Zusammenhang mit den oben genannten Aufgaben einhergeht und die durch diese stark beeinflusst ist. Wenn ein Individuum die Frage „Wer bin ich?“ beantworten kann und sich als sinnvolles Ganzes erlebt, ist das Ziel der Identitätsfindung erreicht.
Die Übergangsphase von der Kindheit in das frühe Erwachsenenalter ist für den Jugendlichen eine Randstellung in der Gesellschaft, da er seinen gewohnten Status verloren und den neuen Status noch nicht erworben hat (vgl. Ausubel 1979, S. 67). Eine Statuslosigkeit ist es nicht, sondern eher ein unbestimmter, zweifelhafter und sich schnell ändernder Status, der „in erster Linie ein Zustand des Werdens und nicht des Seins“ (Ausubel 1979, S. 67) darstellt.
Den Übergang erzwingende Bedürfnisse resultieren aus den Eltern, die nicht mehr fähig oder willens sind, in unbegrenzter Form Verantwortung für ihre Kinder zu übernehmen, und aus der Gesellschaft, die ein überlebenswichtiges Interesse daran besitzt, der nachfolgenden Generation alle erdenklichen Möglichkeiten aufzuzeigen um die Kultur weiterführen zu können (vgl. Ausubel 1979, S. 80).
Der Jugendliche durchläuft im Jugendalter zusätzlich große körperliche und emotionale Veränderungen, die ihn zusätzlich dazu bewegen einen (neuen) primären Status17 zu erlangen, da der (alte) abgeleitete Status18 ihm nicht mehr entspricht
Diese Situation der Veränderung des Selbst (physisch und psychisch), sowie die Veränderung der Stellung der Gesellschaft zu ihm erzeugt große Angst und Frustration, da hierdurch ein Zustand des Nichtwissens entsteht, in dem der Jugendliche nicht erkennen kann, ob und wann er den sozialen Erwartungen gerecht wird und dadurch den vollen Erwachsenenstatus erhält.
Als Sicherheitsspendendes Element greift hier die Gruppe der Gleichaltrigen ein, in der dem jungen Menschen Status und Anerkennung zu Teil werden. Die Peer Group stellt dem orientierungslosen Jugendlichen ein eigenes Werte- und Normensystem zur Seite in dem er Halt findet und wo ihm Lernfelder eröffnet werden, um seine Identität und Persönlichkeit zu entwickeln.
„Die Gleichaltrigen gewährleisten in den Beziehungen besser als Erwachsene die Momente von Gleichheit und Souveränität. (...) So bewältigt die Peergruppe das Kunststück, Unabhängigkeit (independance) und wechselseitige Abhängigkeit (interdependance) zu integrieren.“ (Oerter/Montada 1995, S. 369)
Die Peer Gruppe bietet des Weiteren auch große Unterstützung bei der Emanzipation (von der Erwachsenenwelt), da sie als Interessenvertretung wirkt und durch die Schaffung von Präzedenzfällen wichtige Vorrechte für Ihre Mitglieder erkämpft (vgl. Ausubel 1979, S. 369). Der Wunsch der Persönlichkeitsentwicklung in und außerhalb der Gruppe und das Bedürfnis nach Erlangen eines primären Status als unabhängiges Wesen, zeigt die entwicklungspsychologische Richtung, in die der junge Mensch geht, klar an. Ein allmählicher Wandel, weg von der großen gleichgeschlechtlichen Gruppe zugunsten einer kleineren gemischtgeschlechtlichen Gruppe (oder auch Clique) findet statt. Parallel dazu entwickeln sich halt- und unterstützungsbietende Freundschaften, die dem Jugendlichen die Möglichkeit eröffnen stabilisierende wechselseitige Rückmeldung von Verständnis, Vertrauen und Verlässlichkeit zu erhalten, die unentbehrlich für die gesunde Entwicklung im Jugendalter scheinen (vgl. Oerter/Montada 1995, S 376).
Die Eltern verlieren dagegen nicht an Bedeutung, sondern wirken in den meisten Fällen harmonisch mit der Peer Gruppe, da sie sich komplementär ergänzen und direkt wechselseitig unterstützen, z.B. gleiche Werte wie Leistung oder Anpassung an die Hauptziele der Kultur (vgl. Oerter/Montada 1995, S. 382).
[...]
1 aus einem Interwiev mit Albert Schweitzer, veröffentlicht von Melvin Arnold und Charles R. Joy im Christian-Register, September 1947.
2 Im weiteren werden zur besseren Lesbarkeit und zum einfacheren Verständnis nur noch männliche Bezeichnungen verwendet.
3 http://www.m-w.com/, Online-Ausgabe zugehörig zum Verlag der Encyclopædia Britannica.
4 Jemand der zur selben gesellschaftlichen Gruppe gehört, speziell bezüglich des Alters, Rangs (Klasse) oder Status.
5 vgl. www.starr.org
6 vgl. www.glenmillsschool.org
7 vgl. www.augustinusheim.de
8 vgl. www.cjd-creglingen.de
9 vgl. www.prisma-jugendhilfe.de
10 vgl. www.jugend-kolleg-am-see.de
11 Synonym kann für Bedürfnis hier der Begriff Motiv gesetzt werden.
12 „Seelische und körperliche Schäden in Folge längerer Aufenthalte in Institutionen ... Als Ursachen werden vor allem zu geringe persönliche Zuwendung und mangelhafte Anregung während des Aufenthaltes in der Anstalt genannt.“ (Stimmer 2000, S. 313)
13 „Scheinbewegungen eines unbeweglichen Lichtpunktes bei Betrachtung in völliger Dunkelheit“ (Stroebe u.a. 1990, S. 467)
14 subjektive Wahrnehmung der Schwere der Aufgabe je nach Individuum.
15 In diesem Kapitel und im weiteren Verlauf der Arbeit wird der eher soziologische Begriff „Jugendalter“ gleichbedeutend mit der psychologisch üblichen Bezeichnung „Adoleszenz“ verwendet, da dieser Begriff in den vorhergehenden Kapiteln verwendet wurde.
16 „Der Begriff Identität bezieht sich zunächst in einem allgemeinen Sinn auf die einzigartige Kombination von persönlichen, unverwechselbaren Daten des Individuums wie Name, Alter, Geschlecht und Beruf, durch welche das Individuum gekennzeichnet ist und von allen anderen Personen unterschieden werden kann. In diesem generellen Sinn lässt sich Identität allerdings auch auf Gruppen oder Kategorien von Personen anwenden. In einem engeren psychologischen Sinn ist Identität die einzigartige Persönlichkeitsstruktur, verbunden mit dem Bild, das andere von dieser Persönlichkeitsstruktur haben. Für das Verständnis von Entwicklung im Jugendalter ist aber noch eine dritte Komponente der Identität wichtig, nämlich das eigene Verständnis für die Identität, die Selbsterkenntnis und der Sinn für das, was man ist bzw. sein will.“ (Oerter/Montada 1995, S. 346)
17 Der primäre Status ist der tatsächliche Status, den ein Mensch durch seine Fähigkeiten und Anstrengungen erwirbt.
18 Den abgeleiteten Status erhält ein Mensch aufgrund von Abhängigkeitsbeziehungen (vor allem zu den Eltern).
- Citation du texte
- Dipl.-Ing. (FH) Jens David Leutz (Auteur), 2007, Peer Culture – Ressource der Gleichaltrigen, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/127238
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