Konstruktionen sind syntaktische Einheiten, die spezielle semantische, pragmatische und prosodische Eigenschaften besitzen und im kollaborativen Kontext entstehen. Bei der Unter-suchung des Korpus „Le français tel qu’il se parle: la syntaxe“1, im Rahmen des gleichnami-gen Hauptseminars fiel auf, dass viele Konstruktionen „dreigliedrig“ sind, und dass diese des Weiteren alle unterschiedliche Funktionen und Eigenschaften aufweisen. Konstruktionen mit ihren oben genannten Eigenschaften „dienen als abstrakte Schablonen für den Ausdruck semantisch-pragmatischer Relationen“2. In dieser Abschlussarbeit werden jene dreigliedrigen Konstruktionen näher untersucht, die einen Kontrast ausdrücken und die zu-sätzlich folgende Eigenschaft besitzen: Der Kontrast wird ohne grammatischen Nexus ausge-drückt. In die Untersuchung miteinbezogen werden auch viergliedrige Konstruktionen, bzw. „3 + n“. Es wird untersucht, welche Strukturen diese Konstruktionen aufweisen, die „die In-terpretation kompatibler Einheiten als im Kontrast stehend“ (Barth-Weingarten 2006: 153) unterstützen. Folgende „Strukturen“ bzw. Merkmale werden untersucht: syntaktische, lexikalische, seman-tisch-pragmatische, sequenzielle und prosodische Merkmale. Mit „sequenziell“ ist die Positi-on der einzelnen Konjunkte im Gesprächsverlauf gemeint. Ich gehe von der Annahme aus, dass sequenzielle Nähe, d.h. direktes Aufeinanderfolgen der relevanten Konjunkte, Vorraus-setzung für das Verständnis der Kontrast-Relation ist, bzw. das Verständnis ihrer erheblich erleichtern.3 Deshalb werde ich in meinem Analyseteil nur dann auf sequenzielle Merkmale eingehen, wenn diese von der Norm abweichen. Die Untersuchung der dreigliedrigen Konstruktionen erfolgt vor zwei Hintergründen: der „Construction Grammar“ (fortan: CG) und der Interaktionalen Linguistik. Die CG sieht Kon-struktionen als umfassenden Beschreibungsrahmen für sprachliches Wissen (vgl. Depper-mann 2006: 6). Linguistische Beschreibungsebenen werden verknüpft: A construction is defined to be a pairing of form with meaning/use such that some aspect of the form or some aspect of the meaning/use is not strictly predictable from the component parts or from other constructions already established to exist in the language.4 Konstruktionen sind also form-meaning units, d.h. sie sind nicht rein formal, sondern besitzen eine eigene Semantik und Pragmatik (vgl. Deppermann 2006: 1).
Die im Text erwähnte CD mit Tonbeispielen ist NICHT im Lieferumfang enthalten.
Inhaltsübersicht
Einleitung
1. Bisheriger Forschungsstand
2. Prosodische Merkmale asyndetischer Konstruktionen
3. Zum Konzept „Kontrast“
3.1 Unterschied zwischen Konzession und Kontrast
3.2 Antithese
3.3 Neutraler Kontrast
3.4 Semantische Opposition
3.5 Adversativität
4. Analyse
4.1 Kontrast durch lexikalische Markierung
4.2 Kontrast durch lexikalische Markierung und Konjunktion „et“
4.3 Kontrast durch lexikalische Markierung und „Abstufung“
4.4 Kontrast durch Negation
4.5 Kontrast durch Negation und „Abstufung“
5. Fazit und Ausblick
5.1 Fazit
5.2 Ausblick
Bibliografie
Anhang
Einleitung
Konstruktionen sind syntaktische Einheiten, die spezielle semantische, pragmatische und prosodische Eigenschaften besitzen und im kollaborativen Kontext entstehen. Bei der Unter- suchung des Korpus „Le français tel qu’il se parle: la syntaxe“[1], im Rahmen des gleichnami- gen Hauptseminars fiel auf, dass viele Konstruktionen „dreigliedrig“ sind, und dass diese des Weiteren alle unterschiedliche Funktionen und Eigenschaften aufweisen.
Konstruktionen mit ihren oben genannten Eigenschaften „dienen als abstrakte Schablonen für den Ausdruck semantisch-pragmatischer Relationen“[2]. In dieser Abschlussarbeit werden jene dreigliedrigen Konstruktionen näher untersucht, die einen Kontrast ausdrücken und die zu- sätzlich folgende Eigenschaft besitzen: Der Kontrast wird ohne grammatischen Nexus ausge- drückt. In die Untersuchung miteinbezogen werden auch viergliedrige Konstruktionen, bzw. „3 + n“. Es wird untersucht, welche Strukturen diese Konstruktionen aufweisen, die „die In- terpretation kompatibler Einheiten als im Kontrast stehend“ (Barth-Weingarten 2006: 153) unterstützen.
Folgende „Strukturen“ bzw. Merkmale werden untersucht: syntaktische, lexikalische, seman- tisch-pragmatische, sequenzielle und prosodische Merkmale. Mit „sequenziell“ ist die Positi- on der einzelnen Konjunkte im Gesprächsverlauf gemeint. Ich gehe von der Annahme aus, dass sequenzielle Nähe, d.h. direktes Aufeinanderfolgen der relevanten Konjunkte, Vorraus- setzung für das Verständnis der Kontrast-Relation ist, bzw. das Verständnis ihrer erheblich erleichtern.[3] Deshalb werde ich in meinem Analyseteil nur dann auf sequenzielle Merkmale eingehen, wenn diese von der Norm abweichen.
Die Untersuchung der dreigliedrigen Konstruktionen erfolgt vor zwei Hintergründen: der „Construction Grammar“ (fortan: CG) und der Interaktionalen Linguistik. Die CG sieht Kon- struktionen als umfassenden Beschreibungsrahmen für sprachliches Wissen (vgl. Depper- mann 2006: 6). Linguistische Beschreibungsebenen werden verknüpft:
A construction is defined to be a pairing of form with meaning/use such that some aspect of the form or some aspect of the meaning/use is not strictly predictable from the component parts or from other constructions already established to exist in the language.[4]
Konstruktionen sind also form-meaning units, d.h. sie sind nicht rein formal, sondern besitzen eine eigene Semantik und Pragmatik (vgl. Deppermann 2006: 1). Für Konstruktionen gilt das für Gestalten typische Prinzip der Übersummativität.[5] Die Konstruktion wird als unanalysier- te Ganzheit produziert und verstanden (vgl. Deppermann 2006: 15), ihre Syntax und/oder Semantik ist nicht kompositionell aus ihren Teilen ableitbar (vgl. Auer 2005: 16). Konstruk- tionen werden als idiosynkratische Instantiierungen allgemeinerer syntaktischer Strukturen gesehen (vgl. Auer 2005: 16), wobei der Grad an Idiosynkrasie variiert: Es gibt lexikalisch voll spezifizierte Konstruktionen („holistische“, z.B. „einen drauf machen“), lexikalisch teil- spezifizierte (z.B. „typisch X“) und voll schematisierte Konstruktionen (haben keine phono- logisch-lexikalische Definition) (vgl. Deppermann 2006: 6 f.). Die CG behauptet, dass grammatische Kategorien Abstraktionen aus konkreten Konstruktionen sind (vgl. Depper- mann 2006: 7) und dass Sprachbenutzer diese mal mehr, mal weniger idiosynkratischen In- stantiierungen im Erstspracherwerb noch vor den allgemeineren Strukturschemata lernen (vgl. Auer 2005: 16).
Die Interaktionale Linguistik[6] stützt sich auf die CG und der Begriff der Gestalt spielt hier eine wichtige Rolle (vgl. Auer 1996: 59). Nach Auer (2005) „orientieren sich Interagierende [im Gesprächsverlauf] an diesen verfestigten Schemata, die wiederum aufgrund ihrer gestalt- haften Qualität Projektionen bezüglich des weiteren Äußerungsverlaufs erlauben“ (Günther & Imo 2006: 8), und die „durch die Produktion einer mehr oder weniger präzise vorhersagba- ren Abschlussstruktur geschlossen werden müssen“ (Auer 2005: 3).[7] Darüber hinaus berück- sichtigt die Interaktionale Linguistik Merkmale wie Prosodie und (kollaborativer) Kontext. Die soziale Dimension der Sprache bildet den Ausgangspunkt der interaktionalen Betrach- tungsweise.
In meiner Abschlussarbeit wird die Abwesenheit des grammatischen Nexus in den Fokus gerückt. Ein „grammatischer Nexus“ drückt eine „semantische Relation zwischen Propositio- nen (p,q)“[8] (Schlobinski 1992: 82) aus und meint somit im Falle der Kontrast-Relation ein kontrastierendes Konnektiv[9]. Anzunehmen ist, dass solche Konnektive in der geschriebenen Sprache unabdingbar sind, wenn z.B. der Verfasser eines Textes durch Ausdruck einer klaren semantischen Relation mit einem Konnektiv eine klare Botschaft überliefern will und keinen Freiraum für weitere Interpretationen lassen möchte. Doch wie verhält es sich in der gespro- chenen Sprache? Bei den 17 Beispielen, die ich untersucht habe, wurde der Kontrast nicht explizit durch einen grammatischen Nexus verdeutlicht. Warum können nun die Ge- sprächsteilnehmer überhaupt erkennen, dass es sich um einen Kontrast handelt? Sei der Kon- trast von einem Sprecher realisiert oder sei er dialogisch produziert, welche sprachlichen Mit- tel bzw. Strukturen begünstigen im Fall eines nicht vorhandenen Konnektivs „die Interpreta- tion kompatibler Einheiten als im Kontrast stehend“ (Barth-Weingarten 2006: 153)?
Diese Frage wurde für das gesprochene Französisch bis heute noch nicht untersucht. Doch ist Dagmar Barth-Weingarten dieser Frage für das Englische bereits nachgegangen. In ihrem Buch „Concession in Spoken English“ (2003) untersucht sie Kontrast- bzw. Konzessiv- Konstruktionen im gesprochenen Englisch. In Kapitel 1 werde ich auf ihre Untersuchungser- gebnisse und den bisherigen Forschungsstand zu asyndetischen[10] Kontrast-Konstruktionen eingehen. Barth-Weingarten stellt unter anderem fest, dass alle asyndetischen, konzessiven Konstruktionen prosodisch markiert sind (vgl. Barth-Weingarten 2002: 25 & 2003: 120) und somit wird auch in meiner Abschlussarbeit die Prosodie eine wichtige Rolle spielen, wobei ich die anfangs genannten „grundlegenden“ Strukturen ebenso detailliert untersuchen werde.
Denn nur die Analyse aller Merkmale in ihrem Zusammenspiel kann den Ausdruck eines Gegensatzes ohne grammatischen Nexus beschreiben. Somit entferne auch ich mich von ei- nem lexiko-grammatischen, „connector-oriented approach“, was schon der Titel meiner Ar- beit andeutet („ohne grammatischen Nexus“) und folge Barth-Weingarten in ihrem hand- lungsorientierten, „action-oriented approach“ im Sinne der Interaktionalen Linguistik (vgl. Barth-Weingarten 2003: 122). In Kapitel 2 werde ich auf die besondere Rolle der Prosodie eingehen und in Kapitel 3 den Begriff „Kontrast“ näher erläutern. In Kapitel 4 werden 17 Beispiele untersucht, die verschiedene Möglichkeiten aufzeigen, wie der Kontrast ohne kon- trastierendes Konnektiv verdeutlicht wird. Mit einem Fazit werde ich schließlich versuchen, die gewonnenen Einsichten einzuordnen und anschließend mit einem Ausblick schließen.
1. Bisheriger Forschungsstand
Dagmar Barth-Weingarten untersuchte sowohl Kontrast-Konstruktionen[11] als auch Konzes- siv-Konstruktionen[12]. Bei beiden Untersuchungen fällt auf, dass es durchaus Kontrast- bzw. Konzessiv-Konstruktionen gibt, bei denen der Gegensatz ohne kontrastierendes Konnektiv ausgedrückt wird. Bei der Untersuchung der „Parallel-opposition-Konstruktionen“ waren 32 von 54 Beispielen (60%) ohne kontrastierendes Konnektiv verbunden.[13] Bei dieser „Kon- struktionsvariante“ (Barth-Weingarten 2006: 174 f.) wurde der Gegensatz vor allem proso- disch markiert und/oder es fiel eine strenge syntaktische Parallelität auf (vgl. Barth- Weingarten 2006: 165 f.). Bei ihrer Untersuchung zu Konzessiv-Konstruktionen im gespro- chenen Englisch waren 16% der 192 Beispiele asyndetische und 84% syndetische Konstruk- tionen (vgl. Barth-Weingarten 2003: 78).
Konnektive helfen den Sprechern, diskurs-pragmatische Relationen, wie z.B. Kontrast, auf- zudecken und zu verstehen.[14] Diese grammatischen Hinweise sind aber nicht unabdingbar und so stellt Barth-Weingarten (2003: 78 f.) in Bezug auf unter anderem Traugott und König 1991 (Levinson 1983, Blakemore 1987, Thompson 1994) fest:
With help of the co(n)text and inferences based on knowledge of the world […] as well as communicative principles such as the principle of informativeness, post hoc ergo propter hoc […] or the Gricean maxims […], recipients are able to understand discourse- pragmatic relations even when they are not signalled by a connective […].
Dies schien vor allem für kausale und temporale, teils auch für konditionale Relationen zu gelten. Kontrast bzw. Konzession hingegen wurde als eine komplexe, kognitiv anspruchsvol- le Relation gesehen, da die Gesprächspartner nicht nur mindestens zwei unterschiedliche Er- eignistypen realisieren müssen, sondern zusätzlich erkennen müssen, dass ihre übliche Rela- tion in diesem bestimmten Fall nicht gilt. (Vgl. Barth-Weingarten 2003: 79). So scheint es mehr als verständlich, dass Kontrastrelationen durch grammatischen Nexus markiert werden, was die in Kapitel 4 untersuchten asyndetischen Beispiele umso interessanter macht.
Auch Barth-Weingarten widmet sich speziell den asyndetischen (Konzessiv-) Konstruktio- nen[15] und hebt hervor, dass bei unmarkierten Konstruktionen ein Teil der Information unaus- gesprochen bleibt, aber trotzdem verstanden werden muss. Bei diesem komplexen kognitiven Vorgang müssen die Gesprächspartner die konzessive Relation zwischen den TCUs (Turn Construction Units) folgern oder ableiten. (Vgl. Barth-Weingarten 2003: 94). Wie können die Gesprächspartner diese Beziehung nun ableiten? Traugott und König untersuchten bereits die Entstehung der Konzessivmarkierungen aus kausalen Konnektiven: „[...] Nevertheless, there are some contexts in which concomitance may be highly relevant ... One of these ... is where there is a general incompatibility between two situations […].” (Traugott/König 1991: 200) und Barth-Weingarten sieht hierin einen Ansatzpunkt für das Ableiten einer konzessiven Re- lation:
If it is appropriate in the given co(n)text, the recipient may then, in a kind of syntagmatic implicature (Harder 1997: 218), “make the most” of the given utterance and interpret it as not only temporally or causally but Concessively [sic!] related. (2003: 95)
Polikarpow[16] erklärt die relative Häufigkeit von asyndetischen Konstruktionen damit, dass der Sprecher im Sinne der „Sprachökonomie“ nicht nach einem passenden sprachlichen Hin- weis (Konnektiv) suchen muss und er nur soviel sagt, wie nötig ist, da er, wie oben erwähnt, davon ausgehen kann, dass Konzessivrelationen ableitbar sind. Für den Sprecher bedeutet dies eine geringere kognitive Leistung, für den Hörer jedoch eine größere kognitive Anstren- gung. Dadurch, dass die mögliche Relation nun nicht genau spezifiziert wird, entsteht eine Zwei- oder Mehrdeutigkeit, die zu Missverständnissen oder erhöhter kognitiver Anstrengung für den Hörer führen kann. (Vgl. Barth-Weingarten 2003: 95).
Barth-Weingarten (2003: 95) unterscheidet zwischen „quasi-asyndetischen” und unmarkier- ten asyndetischen Konstruktionen. Unmarkierte Konstruktionen sind weder durch andere Konnektive, noch durch Korrelate gekennzeichnet. Bei „quasi-asyndetischen“ Konstruktio- nen aber unterstützen Korrelate wie z.B. „correlative conjuncts“ (Engl. yet, still, however, nevertheless, etc.), Modalverben (Engl.: may) oder Adverbien (Engl.: just) die Interpretation der Konzessivrelation. Somit wird ein Ausgleich zwischen Sprecher- und Hörer- Sprachökonomie erreicht, „i.e. the economy required by on-line production and the clearness of expression required by on-line processing” (Barth-Weingarten 2003: 98). Barth- Weingarten (vgl. 2003: 95) stellte bei ihrer Untersuchung zu Konzessiv-Konstruktionen nur einen Fall der unmarkierten, asyndetischen Variante fest. Doch in meinen Beispielen finden sich fast ausschließlich gänzlich unmarkierte asyndetische Konstruktionen, insgesamt 16 von 17, und gerade diesen sollte besondere Aufmerksamkeit gelten.
2. Prosodische Merkmale asyndetischer Konstruktionen
Barth-Weingarten (2002: 26 & 2003: 121) bestätigt Thompsons Annahme (1994: 65), „dass Rezipienten bei der Prozessierung von Äußerungen nicht nur auf lexiko-grammatische Signa- le angewiesen sind, sondern sich auch auf systematisch angewandte intonatorische Mittel stützen können“. Wie schon anfangs erwähnt, hebt sie die Rolle der Prosodie bei asyndeti- schen Konstruktionen hervor (vgl. Barth-Weingarten 2003: 120 & 2002: 25).[17] Die Tatsache, dass Prosodie die Komplexität einer Konstruktion, wenn lexikalische Hinweise fehlen, mar- kiert, wäre ein weiterer Beweis für den engen Zusammenhang zwischen Syntax und Proso- die.[18]
Barth-Weingarten (2002) hebt folgende Merkmale als Hinweise auf Turnfortsetzung und so- mit als potentielle Hinweise auf Kontrast-Konstruktionen hervor: Der Kontrastakzent, der entweder auf einem ungewöhnlichen Element (Funktionswort) oder an einem markierten Platz (d.h. nicht am Turnende) liegt, die Tonhöhenbewegung am syntaktischen Schlusspunkt des ersten Redezugs (Kommaintonation[19] ), prosodische Phänomene an der Grenze der beiden Redezüge (Vermeidung von finaler Längung, rush through[20], gefüllte Pausen), und darüber hinaus generelle Unterschiede im prosodischen Design der relevanten TCUs (Tonhöhenum- fang, Lautstärke, Sprechgeschwindigkeit). (Vgl. Barth-Weingarten 2002: 6). Diese Merkmale können mit anderen prosodischen Mitteln, syntaktischen Strukturen oder nicht sprachlichen Mitteln (wie Gestik oder Mimik) kombiniert werden (vgl. Barth-Weingarten 2003: 100 f.). Diese Phänomene werden aber vom Rezipienten nicht einzeln verarbeitet, sondern man geht davon aus, „dass sie in ihrer Kombination mit anderen Phänomenen im Diskurs Gestaltcha- rakter haben“ (Barth-Weingarten 2002: 6)[21].
3. Zum Konzept „Kontrast”
In dieser Abschlussarbeit werden nicht nur die verschiedenen Möglichkeiten, wie ein Kon- trast ohne grammatischen Nexus ausgedrückt wird, untersucht, sondern wird auch näher auf die Art und Interpretation des Kontrasts eingegangen. Hierfür ist es sinnvoll, im Vornherein die verschiedenen Arten von Kontrast kurz zu erläutern.
Während Lakoff (1971) vorerst nur zwischen semantic opposition und denial of expectation unterscheidet[22], benutzen Mann und Thompson (vgl. 1992: 37) im Sinne der Rhetorical Structure Theory drei Begriffe zur Beschreibung von Kontrastrelationen: Antithese, Neutraler Kontrast und Konzession. Elisabeth Rudolph unterscheidet in ihrem umfassenden Werk zum Konzept Kontrast „Contrast“ (1996) zwischen Adversativität (dient der Korrektur) und Kon- zession (dient der Restriktion). Darüber hinaus setzten sich viele weitere Sprachwissenschaft- ler mit diesem Konzept, vor allem mit der Unterscheidung zwischen Kontrast und Konzessi- on auseinander. In neueren Arbeiten, wie z.B. der von Barth-Weingarten (2003) und Dep- permann (2005), werden die bis dato vorliegenden „Beschreibungen“ gut synthetisiert. Ich werde mich im Folgenden auf Barth-Weingartens Definition des Begriffs Kontrast stützen.
Schaubild Kontrast (2003: 40):
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Barth-Weingarten (2003) führt unter dem Oberbegriff „Contrast“ also folgende Teilaspekte bzw. Kontrasttypen auf: „Adversativity“, „Negated Causality“, „Neutral Contrast“, „Antithe- sis“, „semantic opposition“ und „Concession“. Im Folgenden werden diese Teilaspekte in ihrer prototypischen Variante einzeln erläutert, doch sind ihre Grenzen in Wirklichkeit nicht klar definiert und es existieren „Grenzfälle“, bzw. Konstruktionen, die man weder genau der einen, noch der anderen Gruppe zuordnen kann (vgl. Barth-Weingarten 2003: 39). Zuerst möchte ich aber auf den Unterschied zwischen Kontrast und Konzession eingehen.
3.1 Unterschied zwischen Konzession und Kontrast
Die Konzessivrelation setzt sich aus drei Teilen zusammen. Im ersten Teil „X“ macht Spre- cher A eine Aussage oder eine Behauptung. Der zweite Teil „X’“ ist der so genannte „conce- ding“ bzw. „acknowledging move“, die Einräumung: Er bestätigt die Gültigkeit von „X“. Im
„countermove“ „Y“, dem Entgegenhalten, wird die Gültigkeit einer potentiell inkompatiblen Aussage behauptet. Couper-Kuhlen und Thompson gehen davon aus, dass in der Interaktion Sprecher A den ersten Teil der Konzessivrelation produziert und Sprecher B die zwei folgen- den Teile (vgl. 1999: 29). Das so genannte „Cardinal Concessive schema“ sieht folgenderma- ßen aus (vgl. Couper-Kuhlen, Thompson 1999: 30):
A: X
B: X’
Y (X und Y potentiell inkompatibel) Zum Vergleich die Kontrastrelation:
Eine Kontrastrelation besteht aus zwei Behauptungen oder Aussagen, die nicht miteinander kompatibel sind und die, wie die Konzessivrelation, in der Interaktion im Normafall von zwei Sprechern produziert wird. Was nun die Kontrastrelation von der Konzessivrelation unter- scheidet, ist der fehlende acknowledging move, also das Bestätigen der ersten Aussage. Das „Cardinal Contrast schema“ sieht folgendermaßen aus (vgl. Couper-Kuhlen, Thompson 1999: 31): A: X
B: Y (X und Y inkompatibel)
Bei der Konzessivkonstruktion (im Gegensatz zur Kontrastkonstruktion) wird durch „Y“ die Gültigkeit von „X“ nicht aufgehoben, sondern eine zusätzlich potentiell inkompatible Mög- lichkeit gegeben (vgl. ebd.). Neben Variationen in der Anordnung der drei Teile des „Cardi- nal Concessive schemas“ (z.B. X – Y – X’: „Reversed Cardinal schema“), gibt es auch eine Variation in der Sprecherzahl. Wir werden sehen, dass es in meinen Beispielen durchaus oft der Fall ist, dass der Kontrast nur von einem Sprecher produziert wird. Couper-Kuhlen und Thompson (1999) unterscheiden bei der monologischen Variante zwischen „monadic exten- sions“ (Schema mit implizierter Behauptung: z.B. 0 – X’ – Y oder 0 – Y –X’) und „pseudo- dyadic forms“. Bei letzteren übernimmt ein Sprecher die Rollen von A und B, die Instanzen
„X“ und „Y“ werden aber trotzdem „gehört“. Couper-Kuhlen und Thompson nehmen an, dass alle pseudo-dyadischen Konstruktionen Ableitungen von dyadischen sind: Ihr Schema ist identisch mit dem „Cardinal Concessive schema“, bis auf die Tatsache, dass es monolo- gisch realisiert wird. (Vgl. Couper-Kuhlen/Thompson 1999: 36).
3.2 Antithese
Im Falle der Antithese stehen sich zwei Aussagen gegenüber: eine These (mit der sich der Sprecher nicht identifiziert) und eine Antithese (mit der er sich identifiziert).[23] In diesem Fall wird die Antithese dadurch projektiert, dass die erste Proposition schon von Beginn an als ungültig markiert ist. Diese Markierung kann syntaktisch durch Negation oder lexikalisch (im Engl. z.B. durch rather/more/better than) realisiert werden. (Vgl. Barth-Weingarten 2003: 41). Im Ausgrenzen der ersten Proposition liegt der Unterschied zur Konzession. Bei der Konzession wird eine Aussage zuerst bestätigt, nicht gleich abgewiesen. Das „Cardinal An- tithesis schema“ sieht folgendermaßen aus (vgl. Barth-Weingarten 2003: 42):
A: X
B: -X Y
Barth-Weingarten (vgl. 2003: 42) stellt fest, dass, obwohl „-X” und „X” inkompatibel sind, in
„-X“ die vorhergehende Behauptung „X“ oft mit fast demselben Wortlaut wiederholt wird, dass der einzige Unterschied häufig nur in der Negation liegt. Diese Besonderheit war für meine Arbeit eine wichtige Grundvoraussetzung für die Auswahl der Beispiele und folglich wird in meiner Analyse darauf nicht weiter eingegangen.
3.3 Neutraler Kontrast
Beim Neutralen Kontrast stehen sich zwei Propositionen gegenüber, die sich durch kontras- tierende lexikalische Paare unterscheiden. Diese zwei Propositionen „[…] are […] compre- hended to be the same in many respects, [...] comprehended as differing in a few respects, and […] compared with respect to these differences.” (Mann/Thompson 1992: 37). Der Kon- trast wird also über den Vergleich der kontrastierenden lexikalischen Paare hergestellt. Auch hier wird (im Normalfall) die vorhergehende Aussage (X) nicht bestätigt. Des Weiteren geht es weniger darum, ein Gegenargument (Y) einzubringen, als dass der Unterschied zwischen den lexikalischen Paaren die zentrale Rolle spielt. Neutraler Kontrast wird meistens von ei- nem Sprecher produziert und das „Cardinal Neutral Contrast schema“ sieht folgendermaßen aus: (Vgl. Barth-Weingarten 2003: 44).
A: X (mit x1 und x2)
Y (mit y1 und y2) (x1 vs. y1, x2 vs. y2)
3.4 Semantische Opposition
Neutraler Kontrast stützt sich in den meisten Fällen auf semantischen Gegensatz (vgl. Barth- Weingarten 2003: 47), doch muss man zwischen den beiden Konzepten unterscheiden: Neut- raler Kontrast bzw. die diskurs-pragmatische Relation bezieht sich auf den Gegensatz zwi- schen Propositionen, ihren Implikationen oder größeren Einheiten. Semantische Opposition hingegen hat ein viel engeres Bezugsfeld, sie bezieht sich nur auf lexikalische Einheiten (im äußersten Fall Teilsätze) und stützt sich auf unser Wissen über das Verhältnis von Kohypo- nymen und Komplementen. Außer Neutralem Kontrast, stützen sich auch antithetische und teils auch konzessive Kontrast-Konstruktionen auf semantische Opposition. (Vgl. Barth- Weingarten 2003: 48). Folgende Verhältnisse können zwischen kontrastierenden Paaren be- stehen (vgl. Deppermann 2005: 290):
- Inkompatibilität/Unvereinbarkeit: Montag vs. Dienstag
- (Polarer) Gegensatz: heiß vs. kalt
- Komplementarität: tot vs. lebendig
- Örtlich oder zeitlich gegensätzliche Begriffe: davor vs. danach, kaufen vs. verkaufen, kommen vs. gehen, verdienen vs. verschwenden
Deppermann befasst sich in seiner Arbeit „Conversational interpretation of lexical items and conversational contrasting“ (2005)[24] vor allem mit lokalen, d.h. kontextabhängigen Gegen- sätzen. Er untersucht lexikalische Paare, die ihre kontrastive Bedeutung nur in einem be- stimmten Kontext erhalten. Diese kontextabhängige Bedeutung kann von der lexikalischen Bedeutung abweichen. (Vgl. Deppermann 2005: 289 f., 293).
3.5 Adversativität
Dieser Oberbegriff schließt in Barth-Weingartens Übersicht die Begriffe “Negated Causali- ty“, „Neutral Contrast“ und „Antithesis“ ein. In jedem Fall wird eine vorhergehende Aussage direkt „gekontert“ und eine Bestätigung (X’) dieser Aussage existiert nicht. Das „Cardinal Adversative schema“ sieht folgendermaßen aus (vgl. Barth-Weingarten 2003: 49):
A: X
B: Y
Neutraler Kontrast ist aufgrund der kontrastierenden lexikalischen Paare eine Untergruppe der „Adversativity“. Dies zeigt zudem, dass die adversative Kontrastrelation nicht zwangsläu- fig von zwei Sprechern realisiert werden muss. (Vgl. Barth-Weingarten 2003: 50).
Negated Causality (Negierung eines Kausalverhältnisses) gehört sowohl zum Bereich der Adversativität als auch zur Konzession. Im diesem Fall ist die so genannte Kausalkette (Ur- sache Folge) durchbrochen. Da die Gesprächsteilnehmer nebst Hintergrund- bzw. Welt- wissen auch über ein Wissen über kausale Zusammenhänge in der Welt verfügen, können sie mit Hilfe dieses Wissens anormale Geschehnisabfolgen erkennen und sie als kontrastiv inter- pretieren. (Vgl. Rudolph 1996: 26, 28).
Bei der Interpretation eines Kontrasts werde ich mich an den Vorschlägen Barth-Weingartens (2003) und Deppermanns (2005) orientieren. Barth-Weingarten (2003: 163-170) schlägt fol- gende Differenzierungen vor: Der Ausdruck bzw. die Verdeutlichung eines Kontrasts und die Eingrenzung der Gültigkeit einer Behauptung, indem der Sprecher sich selbst oder den Ge- sprächspartner korrigiert. Im Rahmen seiner Arbeit zu lokalen Kontrasten, schlägt Depper- mann (2005: 292) folgende Interpretationsmöglichkeiten vor: Kontrast dient entweder zur Erklärung oder zur Korrektur einer vorhergehenden Aussage. Zudem untersucht Ford (2000: 285) Kontrast-Konstruktionen, wie sie in der Interaktion vorkommen. Sie schlägt aufgrund ihrer Ergebnisse folgende Interpretations- und Kombinationsmöglichkeiten vor: „Kontrast + Erklärung“ oder „Kontrast + Lösung“. All diese Interpretationsmöglichkeiten sind natürlich nicht voneinander abgrenzbar, vielmehr gehen sie ineinander über. In meinem folgenden A- nalyseteil werde ich auf diese Interpretationsvorschläge zurückkommen und sie anhand der jeweiligen Beispiele näher erläutern.
4. Analyse
Unter 4.1 werden Beispiele untersucht, in denen der Kontrast durch lexikalische Opposition hervorgerufen wird. Im Beispiel unter 4.2 wird der Kontrast lexikalisch markiert und durch ein im eigentlichen Sinne nicht kontrastives Konnektiv verdeutlicht. Unter 4.3 wird ein Bei- spiel untersucht, dessen Kontrast lexikalisch markiert ist, aber was aufgrund einer „Abstu- fung“ kein prototypisches Kontrastbeispiel ist. Unter 4.4 werden Beispiele analysiert, bei denen der Kontrast syntaktisch, durch Negation einer Proposition hergestellt wird. Unter 4.5 werden Beispiele untersucht, die syntaktisch durch Negation gekennzeichnet sind, aber deren Propositionen auch eine „Abstufung“ enthalten und bei denen somit das Verständnis des Kontrasts erschwert wird.
Terminologie: (S) Subjekt, (V) Verb, (VV) Vollverb, (HV) Hilfsverb, (O) Objekt, (d.O.) direktes Objekt, (ind.O.) indirektes Objekt, (Adj.) Adjektiv, (Adv.) Adverb, (NP) Negations- partikel, (Kompl.) Komplement.
Mit Pfeilen wird auf die Kontrast-Konstruktion hingewiesen (ganze Zeile), die Gestalt ist innerhalb der Zeile bzw. des Konjunkts fett markiert.
Wenn im Folgenden von „der Sprecher“ gesprochen wird, kann ebenso gut „die Sprecherin“ damit gemeint sein. Zeile wird mit „Z.“ abgekürzt.
4.1 Kontrast durch lexikalische Markierung
4.1.1 Lucile, Hélène und Morgane sprechen über Sommerschuhe.
(1) Fußzehen
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Syntaktische Merkmale
Der Kontrast wird durch die syntaktische Parallelität der Konjunkte unterstützt und das Kon- struktionsmuster ist folgendes:
A1: elles (S) sont (V) trop (Adv.) petites (Adj.) A2: elles (S) sont (V) trop (Adv.) petites (Adj.) B : elles (S) sont (V) trop (Adv.) grandes (Adj.)
A1 und A2 sind identisch. Alle drei Konjunkte verwenden zudem das gleiche Verb und den gleichen Tempus. Diese Konstruktion ist daher sehr holistisch, weil sie ihre Variation nur innerhalb einer Wortklasse, der Adjektive, erfährt. Die Satzgliedfunktion bleibt die gleiche. Aufgrund der holistischen Dimension und der sequenziellen Nähe der Konjunkte wird das Verständnis der Zusammengehörigkeit und somit des Kontrasts gefördert.
Das Zusammenspiel von Gestalthaftigkeit, sequenzieller Nähe und syntaktischer Parallelität zur Unterstützung des Zusammengehörigkeits- und Kontrastverständnis’ konnte bei fast allen Beispielen festgestellt werden und somit wird auf diese besondere Eigenschaft der hier analy- sierten Konstruktionen in den folgenden Beispielanalysen nicht bei jedem Beispiel eingegan- gen. Ich werde diese Grundmerkmale zur Verständnisförderung des Kontrasts dann wieder- holen, wenn „Gestalthaftigkeit“, „sequenzielle Nähe“ oder „syntaktische Parallelität“ beson- ders auffällig sind oder sie von der „Mindestnorm“ abweichen. Als Richtlinie für Mindest- norm wähle ich dieses Beispiel, da es sehr prototypisch ist.
Diese Konstruktion lässt sich dem Neutralen Kontrast zuordnen, da sie sich auf lexikalische Gegensätze stützt. Das Kontrastschema ist folgendes:
L: X = „elles sont trop petites“ (Z. 389) = A1 H: X = „ah ouais, elles sont trop petites“ (Z. 392) = A2
Y = „elles sont trop grandes“ (Z. 395) = B
Lexikalische Merkmale
Der Kontrast wird hier durch das lexikalische Gegensatzpaar „petites“ vs. „grandes“ verdeut- licht. Diese prototypische Antonymie erleichtert das Verständnis des Kontrasts erheblich.
Semantisch-pragmatische Merkmale
Es geht in diesem Teil des Gesprächs darum, dass Lucile sich in ihren Sommerschuhen nicht wohl fühlt, weil diese ihr zu klein sind. Hélène hingegen findet ihre zu groß. Lucile sagt in Z. 389, dass ihre Schuhe zu klein sind (A1). Hélène übernimmt denselben Ausdruck („copier“) und wiederholt ihn wortgenau in Z. 392 („coller“) (A2). Sie bestätigt Lucile in ihrer Aussage. Hier (Z. 392) scheint es, als würde Hélène von Lucile unterbrochen, denn Hélène wollte ver- mutlich nach A2 (Z. 392) weiter sprechen, möglicherweise einen Kontrast zu ihren Schuhen anführen. Die Kommaintonation wäre hierfür ein Beleg (s. prosodische Merkmale).
Lucile übernimmt aber das Rederecht, bzw. sie möchte weiter von ihren Schuhen sprechen (Z. 393: „elles sont“) und es scheint, als wolle sie wieder die gleiche Gestalt benutzen. Hier- bei ist jedoch das „Phänomen“ der Gestalt, von dem eines restarts abzugrenzen. Wenn ein Sprecher immer wieder gleiche Teile eines Satzes, meistens den Satzanfang, wiederholt bzw. zu diesem „point d’ancrage“ zurückkehrt, dann bezeichnet man dieses Verfahren als restart („wiederholtes Starten“). „Moi“ in Z. 394 nun lenkt die Aufmerksamkeit wieder auf Hélène, sie will von sich erzählen. Durch diese pronominale Linksversetzung wird der Kontrast ein- geleitet. „Moi“ ist nun derjenige, dem etwas passiert. Hélène greift die Gestalt auf und recy- celt sie („copier – coller“): Sie tauscht das Adjektiv aus. Wir haben hier nebst der lexikali- schen eine weitere, semantische, Opposition: Hélène benutzt in Z. 395 zwar die gleiche Ges- talt wie zuvor, doch meint sie mit „elles“ nicht Luciles Schuhe, wie sie in A1 und A2 gemeint sind, sondern die Ihrigen. Dies wird durch das einleitende „moi“ deutlich.
In diesem Beispiel liegt ein Sprecherwechsel Lucile - Hélène - Lucile - Hélène vor, doch lässt sich nicht sagen, inwieweit die Gestalt in Z. 395 gesättigt ist. Es wäre durchaus möglich, dass Lucile im fortlaufenden Dialog die Gestalt wieder aufgreift und bestätigend zu Hélène sagt:
„ouais, elles sont trop grandes“. Somit ist nicht ganz klar, inwiefern hier behauptet werden kann, dass die Sprecher sich der speziell dreigliedrigen Gestalt bewusst sind[25] und nach dem dritten Konjunkt die Kontrast-Konstruktion abschließen.
Sequenzielle Merkmale
Zwischen den Konjunkten gibt es jeweils kleine Unterbrechungen. Die erste Unterbrechung ist in Z. 391, wo Hélène Luciles Aussage (A1) bestätigt („ah ouais“). Zudem möchte Lucile in Z. 393 eigentlich weiter sprechen, wird aber von Hélène unterbrochen, die dann den Kon- trast produziert. Trotz der Tatsache, dass die relevanten Konjunkte nicht direkt aufeinander folgen, wird der Kontrast aufgrund der holistischen Dimension der Gestalt und der lexikali- schen Antonymität sehr deutlich.
Prosodische Merkmale
Als prosodisches Merkmal für Weiterweisung ist in diesem Beispiel die Kommaintonation in Z. 392 hervorzuheben. Diese Weiterweisung ist aber aufgrund des Sprecherwechsels nicht erfolgreich: Lucile unterbricht Hélène. Lucile wird darauf wiederum von Hélène mitten im Satz unterbrochen, Hélène realisiert ihre zuvor projektierte Weiterweisung also letztendlich doch noch.
4.1.2 Aurelie, Guy und Julia sprechen über das Elsässische.
(2) Elsässisch
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Syntaktische Merkmale
Diese Konstruktion ist sehr interessant, da sie erstens sehr komplex ist, d.h. jedes Konjunkt der Konstruktion hat fast die Länge eines Satzes, zweitens sind die Konjunkte in sich zweige- teilt und drittens liegt hier eine so genannte „construction enchâssée“ vor: Eine Konditional- konstruktion eingebettet in einer Kontrast-Konstruktion. Das Konstruktionsmuster ist folgen- des:
X: quand tu parles seulement le français tu comprends pas l’alsacien X’: tu parles seulement l’allemand tu comprends pas l’alsacien Y: quand tu parles les deux tu peux suivre
Abstrahiert sieht dies folgendermaßen aus:
X: tu (S) parles (V) seulement (Adv.) A (d.O.) – tu (S) comprends (V) pas (NP) B (d.O.)
X’: tu (S) parles (V) seulement (Adv.) C (d.O.) - tu (S) comprends (V) pas (NP) B (d.O.) Y: tu (S) parles (V) les deux/A+C (d.O.) - là (Adv.) tu (S) peux (HV) suivre (VV)
Diese Konstruktion ist sehr holistisch, da sie trotz ihrer außergewöhnlichen Länge keine Ab- weichung in Subjekt oder Tempus erfährt. Lediglich die Objekte variieren. Zudem folgen die Konjunkte direkt aufeinander, was das Verständnis der Kontrastkonstruktion fördert.
Man kann hier erkennen, dass die dreigliedrige Konstruktion zweigeteilt ist und auch die zweiten Teile der Konstruktion entsprechen den Bezeichnungen: X = pas comprendre, X’ = pas comprendre vs. Y = suivre.
Diese Kontrastart lässt sich sowohl der Konzession, als auch der Adversativität zuordnen, und stützt sich im weiten Sinne auf semantische Opposition.
Lexikalische Merkmale
Der lexikalische Kontrast liegt hier in „allemand“/„français“ vs. „les deux“.
Der Kontrast liegt also nicht darin, dass man entweder Deutsch oder Französisch sprechen muss, um das Elsässische zu verstehen, sondern in der Kombination der beiden Sprachen.
„Allemand“ und „français“ sind Kohyponyme aus dem Begriffsfeld der Sprachen.
„Tu comprends pas“ und „tu peux suivre“ (impliziert „tu comprends“) bilden komplementäre Paare.
Semantisch-pragmatische Merkmale
In diesem Gesprächsausschnitt geht es um das Verstehen des Elsässischen. Man versteht es nur, wenn man sowohl Deutsch, als auch Französisch spricht und versteht. Am Gespräch sind drei Generationen, die teils Elsässisch und teils Französisch sprechen, beteiligt.
Aurelie konstruiert im Abschnitt von Z. 180-186 eine Konditionalkonstruktion („wenn“ – „dann“), die in einer Kontrastkonstruktion eingebettet ist: Wenn man nur Französisch spricht, versteht man das Elsässische nicht, („wenn“ impliziert) man nur Deutsch spricht, versteht man das Elsässische auch nicht, („doch“, „aber“ impliziert) wenn man beides spricht, dann/in diesem Fall („là“) kann man es verstehen.
Im Konjunkt X’ drückt Aurelie ein „wenn“ bzw. „quand“[26] zwar nicht explizit aus, doch die Gesprächsteilnehmer können es trotzdem „hören“, da die Konstruktion sehr holistisch ist und zum logischen Verständnis ein „wenn“ benötigt wird.
Die Konstruktion wird zwar nur von Aurelie produziert, doch wäre es durchaus möglich, dass X und X’ von zwei verschiedenen Sprechern realisiert würden und Sprecher 2 dann den Kon- trast Y anschließen würde.
In diesem Beispiel wird, wie schon zuvor angesprochen, „allemand“/„français“ mit „les deux“ kontrastiert, doch geht es weniger um den Kontrast als um die Kombination der beiden Sprachen bzw. um die Spracheigenschaft des Elsässischen. Der Kontrast lässt sich der Kon- zession zuordnen, wenn man die Konjunkte X und X’ nicht nur mit „wenn [...]“ übersetzt, sondern mit „selbst wenn [...]“: Selbst wenn man Französisch/Deutsch spricht, versteht man das Elsässische nicht“, und Y mit „nur wenn man beide Sprachen spricht, kann man es ver- stehen“.[27] Die Adversativität kommt bei einer detaillierteren Betrachtung ins Spiel, genauer, wenn man nur die zweiten Teile der Konjunkte betrachtet: „tu comprends pas“ vs. „tu peux suivre“ sind eindeutig gegensätzlich, adversativ.
Prosodische Merkmale
Durch das betonte „pas“ in X wird die Tatsache, dass man das Elsässische nicht versteht, hervorgehoben. In X’ geschieht dies aufgrund der extrem steigenden Intonation und Lautstär- ke von „non plus“ und X’ klingt wie ein Ausruf. Die extrem steigende Intonation wird von Barth-Weingarten (2002: 12 f.) zwar nicht als weiterweisende Kommaintonation klassifiziert, doch ist das darauf folgende rush through ein Weiterweisungsmittel. Y wird hier direkt ange- schlossen. In Y wird nun „deux“ sehr betont, was zum Verständnis des Kontrasts beiträgt. Auch das betonte „oui“ (übersetzt „ja genau“) betont die Richtigkeit, die „richtige Lösung“ zum Verstehen des Elsässischen. Der zweite Teil des Y Konjunkts ist im Gegensatz zum zweiten Teil von X und X’ ein bisschen abgetrennt. „Oui“ und „là“, sehr betont, bilden hier- bei die Grenzen. „Là“ bedeutet in unserem Fall der Konditionalkonstruktion „dans ce cas-là“.
4.1.3 Aurelie, Guy und Julia sprechen über Aurelies Herkunft.
(3) Sept-Iles
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Syntaktische Merkmale
Aufgrund des Gestaltcharakters der drei relevanten Konjunkte wird der durch semantische Opposition hervorgerufene Kontrast verdeutlicht.
X: c’(S) est (V) très (Adv.) beau (Adj.)
Y: c’(S) est (V) froid (Adj.) en hiver (örtl.Best.)
Y’: c’(S) est (V) très (Adv.) froid (Adj.)
Es handelt sich bei dieser Gestalt um eine satzinitiale Wiederholung. Syntaktisch erfährt die Konstruktion wenig Variation: c’est + Adjektiv. Die Variation liegt nur innerhalb der Wort- klasse der Adjektive vor und wird in X und Y’ durch das Adverb „très“ noch verstärkt.
Der Kontrast lässt sich dem Neutralen Kontrast zuordnen, doch liegt keine gewöhnliche lexi- kalische Antonymie vor, sondern es existiert ein lokaler Gegensatz (vgl. Deppermann 2005). Das Kontrastschema ist folgendes:
G: X = c’est très beau (Z. 233)
Y = c’est froid en hiver (Z. 235) A: Y’ = c’est très froid (Z. 236)
Lexikalische Merkmale
„Beau“, „froid“ und „hiver“ gehören zum lexikalischen Feld von „Wetter“ und „Jahreszei- ten“. „Beau“ und „froid“ sind Kohyponyme von diesen Überbegriffen, doch es liegt in die- sem Fall kein lexikalischer Kontrast vor. Kontrastiv wären die lexikalischen Paare „beau“ vs.
„mauvais“ oder „froid“ vs. „chaud“, jedoch nicht „beau“ vs. „froid“. Hier wird der Kontrast lokal, im sequenziellen Kontext erzeugt, was im Folgenden erläutert wird.
4.1.3.3 Semantisch-pragmatische Merkmale
Die Gesprächsteilnehmer unterhalten sich in diesem Gesprächsausschnitt über Quebec bzw. über die „Sept Iles“, den ehemaligen Wohnort von Aurelie.
Der Kontrast wird hier lokal hergestellt. Lexikalisch gesehen sind „beau“ und „froid“ keine Kontrastpaare, trotzdem scheint es aber in diesem Kontext, als würde ein Kontrast produziert. Dies liegt vielleicht daran, dass „beau“ mit Sommer, also mit etwas Positivem, assoziiert wird. „Froid“, kalt, hingegen ist es, wie im Beispiel ausdrücklich gesagt, im Winter. Die Op- position scheint hier zwischen Sommer und Winter zu liegen, wobei kalt, vor allem im Kon- text mit Kanada, mit eisiger Kälte, also mit etwas Negativem assoziiert wird. Hierbei spielt auch das „Weltwissen“ eine große Rolle. Denn ob Sommer oder Winter mit etwas Positivem assoziiert werden, ist subjektiv, also von Mensch zu Mensch unterschiedlich. Doch der Win- ter in Kanada ist bekannt als ein sehr harter Winter, und wird somit wohl von den wenigsten Menschen als positiv empfunden. Aurelies Aussage in Z. 236 („très froid“) unterstreicht diese Annahme: Ein sehr kalter Winter wird wahrscheinlich nur von wenigen Menschen als schön empfunden. „Froid“ erhält hier folglich eine negative Konnotation.[28]
Dieses Beispiel scheint zwar dialogisch, doch wird der Kontrast eigentlich nur von Guy reali- siert. Dadurch, dass Aurelie Guys Konstruktion aus Z. 233 „c’est très [...]“ wiederholt, wird der Kontrast aber noch deutlicher: „c’est très beau“ vs. „c’est très froid“. Sie stimmt ihm also zu, verbessert ihn aber noch („froid“ vs. „très froid“).
[...]
[1] Zusätzlich wurden untersucht: Korpus Frankophonie, Korpus Bieser und Korpus Röder.
[2] Couper-Kuhlen [1996: 407] zitiert nach Barth-Weingarten in Günther & Imo (2006: 153).
[3] Vgl. Gohl in Couper-Kuhlen & Kortmann (2000): 84 f..
[4] Goldberg [1996: 68] zitiert nach Günther & Imo (2006: 4).
[5] Definition „Gestalt“ generell: „Ganzheit, die mehr ist als die Summe ihrer Teile und deren Eigenschaften nicht auf die Eigenschaften der einzelnen Teile reduziert werden können (vgl. Holismus)“ -> Prinzip der Ü- bersummativität.
[6] Zur Interaktionalen Linguistik vgl. u.a. Selting/Couper-Kuhlen (2000).
[7] Paradigmen nach Auer: 1) Interaktion ist nicht trennbar von Projektion 2) Interaktion und Projektion sind interdependent (vgl. Auer 2005: Projection in Interaction and Projection in Grammar).
[8] Definition „Proposition“ im Sinne der Sprechakttheorie: Inhalt einer Sprechhandlung, Satzinhalt.
[9] Konnektiv bzw. Konjunktion, welche subordinierend („alors que“) oder koordinierend („mais“) sein kann.
[10] Eigenschaft einer Aneinanderreihung syntaktischer Elemente. Die Reihung sprachlicher Elemente ist im Ge- gensatz zur syndetischer oder polysyndetischer unverbunden, d. h. konjunktionslos.
[11] „Parallel-opposition-Konstruktionen“ in Günther & Imo (2006): 153-179.
[12] Barth-Weingarten (2003): „Concession in Spoken English: On the Realisation of a Discourse-Pragmatic Rela- tion”.
[13] 17 von 32 (53%) davon asyndetische (bzw. gänzlich unmarkierte) Konstruktionen.
[14] Barth-Weingarten (2003: 78) verweist auf Millis/Just [1994].
[15] Concession (2003), Kapitel 4.4.3. S. 94-98.
[16] Barth-Weingarten (2003: 95) verweist auf Polikarpow [1996].
[17] Vgl. auch Raible (1992): 28.
[18] Barth-Weingarten (2003: 121) verweist hier auf Bolinger [1984: 401], der behauptet, dass die Syntax von der Prosodie profitiere.
[19] Kommaintonation bzw. integrierende Tonhöhenbewegung (im Gegensatz zu separierender Tonhöhenbewe- gung) bezeichnet steigende (fallend-steigende, leicht steigende, aber nicht stark steigende), gleich bleibende und halb-tief fallende Intonation am Turnende (vgl. Barth-Weingarten 2002: 13).
[20] Der Begriff stammt von Schegloff [1998: 241], zitiert nach Barth-Weingarten (2002: 21): „Der Sprecher spricht durch die Pause hindurch […] bis zu einem Punkt maximaler grammatischer, oder besser rederechts- organisatorischer, Kontrolle“.
[21] Barth-Weingarten verweist hier auf Auer [1996: 58 f.] und Selting [1998].
[22] Lakoff untersuchte die konzessive und adversative Verwendung des Konnektivs „but“.
[23] Barth-Weingarten (2003: 41) verweist hier auf Mann/Thompson [1986: 66].
[24] in: Hakulinen, Auli / Selting, Margret (eds.): Syntax and lexis in conversation. Amsterdam: John Benjamins. S. 289-317.
[25] Vgl. Günther & Imo (2006: 8): „Im Gesprächsverlauf orientieren sich Interagierende an diesen verfestigten Schemata, die wiederum aufgrund ihrer gestalthaften Qualität Projektionen bezüglich des weiteren Äuße- rungsverlaufs erlauben (Auer 2005)“.
[26] „quand“ im Sinne von „si“. Doch diese Verwechslung ist selbst für einen Muttersprachler nicht üblich, da „quand“ und „si“ zwei klar definierte Funktionen haben: zeitlich vs. im Falle dessen, Möglichkeit. Vielleicht hat diese Verwechslung soziolinguistische Gründe: Nähe zu Deutschland, Kenntnis des Elsässischen (als Dia- lekt des Deutschen).
[27] Für eine Klassifizierung als Konzession im Sinne von Couper-Kuhlen/Thompson fehlt der acknowledging move.
[28] Vgl. Deppermann (2005: 299 f.), 4.1, Beispiel (3): „frech“ vs. „krank“.
- Arbeit zitieren
- Claudia Bucher (Autor:in), 2007, Kontrastkonstruktionen im gesprochenen Französisch, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/126955
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