Die Kathedrale Notre-Dame de Paris zählt zu den bedeutendsten Kirchenbauten der Gotik und gilt als zentraler Ursprungsort der Mehrstimmigkeitsentwicklung in der europäischen Musikgeschichte. Kann demnach Notre-Dame als „Wiege der Mehrstimmigkeit“ bezeichnet werden?
Diese Arbeit stellt einen Versuch dar, diese Frage zu beantworten. Das folgende Kapitel gibt einen Überblick der Baugeschichte im 12. und 13 Jh., eine Abbildung des Grundrisses mit der farblichen Markierung der einzelnen Bauabschnitte soll hierbei der Veranschaulichung dienen. Im dritten Kapitel wird die Mehrstimmigkeitspraxis der sogenannten Notre-Dame Epoche thematisiert. An dieser Stelle werden die Entstehung des Magnus liber organi, seine Überlieferung in den großen Notre-Dame-Handschriften und die Bedeutung für die europäischen Musikgeschichte behandelt. Daran schließt die Betrachtung wichtiger Neuerungen in der Kompositionspraxis des 13. Jh. an, die anhand der Entstehung der Gattung Motette praktisch erläutert werden.
Zusätzlich zur eigentlichen Kernfrage, soll ein Ansatz dargelegt werden, der einen Zusammenhang zwischen dem Bau der Kathedrale und der Entwicklung der Mehrstimmigkeit aufzeigt.
Anstoß zur Auseinandersetzung mit der Thematik und der Entstehung dieser Arbeit gab die im April 2018 durchgeführte Exkursion der Abteilung Musikwissenschaft nach Paris, speziell der Besuch der Kathedrale, verbunden mit einem Konzertabend des Ensemble vocal de Notre-Dame de Paris, das auf die Aufführung gregorianischer Choräle sowie mehrstimmiger Gesänge der Notre-Dame Epoche spezialisiert ist.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Die Baugeschichte der Kathedrale
3. Die Mehrstimmigkeit von Notre-Dame
3.1 Der Magnus liber organi
3.2 Der kompositorische Weg zur Motette
4. Fazit
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Die Kathedrale Notre-Dame de Paris zählt zu den bedeutendsten Kirchenbauten der Gotik und gilt als zentraler Ursprungsort der Mehrstimmigkeitsentwicklung in der europäischen Musikgeschichte. Kann demnach Notre-Dame als „Wiege der Mehrstimmigkeit“ bezeichnet werden?
Diese Arbeit stellt einen Versuch dar, diese Frage zu beantworten. Das folgende Kapitel gibt einen Überblick der Baugeschichte im 12. und 13 Jh., eine Abbildung des Grundrisses mit der farblichen Markierung der einzelnen Bauabschnitte soll hierbei der Veranschaulichung dienen. Im dritten Kapitel wird die Mehrstimmigkeitspraxis der sogenannten Notre-Dame Epoche thematisiert. An dieser Stelle werden die Entstehung des Magnus liber organi, seine Überlieferung in den großen Notre-Dame-Handschriften und die Bedeutung für die europäischen Musikgeschichte behandelt. Daran schließt die Betrachtung wichtiger Neuerungen in der Kompositionspraxis des 13. Jh. an, die anhand der Entstehung der Gattung Motette praktisch erläutert werden.
Zusätzlich zur eigentlichen Kernfrage, soll ein Ansatz dargelegt werden, der einen Zusammenhang zwischen dem Bau der Kathedrale und der Entwicklung der Mehrstimmigkeit aufzeigt.
Anstoß zur Auseinandersetzung mit der Thematik und der Entstehung dieser Arbeit gab die im April 2018 durchgeführte Exkursion der Abteilung Musikwissenschaft nach Paris, speziell der Besuch der Kathedrale, verbunden mit einem Konzertabend des Ensemble vocal de Notre-Dame de Paris, das auf die Aufführung gregorianischer Choräle sowie mehrstimmiger Gesänge der Notre-Dame Epoche spezialisiert ist.
2. Die Baugeschichte der Kathedrale
An der Ostspitze der Seine-Insel Île de la Cité wurde die Kathedrale Notre-Dame de Paris an der Stelle einer Stephanuskirche aus dem 4. Jh. und einer Marienkirche aus dem 8. Jh., errichtet. Der Neubau nimmt auf die Stephanuskirche weder in den Ausmaßen noch in der Ausrichtung Rücksicht, jedoch lag die Apsis der Marienkirche im heutigen Chor und hatte ungefähr dessen Breite und Ausrichtung. Diese beiden Kirchenbauten, wie auch ein Teil der gallorömischen Stadtmauer wurden während des Neubaus abgerissen.1
Die Kathedrale wurde als fünfschiffige Basilika mit dreischiffigem Querhaus angelegt. Die doppelten Seitenschiffe sind im Osten halbkreisförmig um die halbrunde Apsis als doppelter Umgang herumgeführt. Eine Doppelturmfassade schließt den Bau, der sonst keine Türme aufweist, im Westen ab. Die Westtürme halten sich an die Maße des Langhauses und fassen jeweils zwei Seitenschiffe zusammen, sodass sich ein geschlossener Umriss ergibt.2
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Grundriss der Kathedrale Notre-Dame de Paris mit Markierung der einzelnen Bauphasen3
Zur Grundsteinlegung der Kathedrale Notre-Dame im 12. Jh. existieren keine eindeutigen Quellen. Der französische Kunsthistoriker Marcel Aubert führt an, dass aus einer Überlieferung des 14. Jh. hervorgeht, der Grundstein wurde von Papst Alexander III., während seines Parisaufenthaltes im März/April 1163 gelegt, da er in dieser Zeit den Chorneubau der Kirche St. Germain-des-Prés weihte. Dies wird, so Aubert, ebenfalls durch eine vierfache Überlieferung in zeitgenössischen Quellen bestätigt.4 Kimpel und Suckale zweifeln diesen Fakt in ihren Ausführungen an, indem sie, unter Bezugnahme der Schriften des französischen Kunsthistorikers Victor Mortet von 1889, bemerken:
„Dieses Zusammentreffen zweier Daten stimmt mißtrauisch, ob wirklich erst zu diesem Zeitpunkt der Chor der Klosterkirche [St. Germain-des-Prés] fertig und ob der Kathedralenbau schon so weit vorbereitet war. Wir meinen jedoch, daß das Datum 1163 für den Beginn der Bauarbeiten an Notre-Dame beibehalten werden kann; mit Victor Mortet darf man höchstens vermuten, daß die Vorbereitungen schon recht weit gediehen waren und der Grundsteinlegung eher symbolischer Charakter zukam.“5
Ist die Geschichte der Grundsteinlegung auch nicht eindeutig, so sind sich die Historiker jedoch dahingehend einig, dass Maurice de Sully, Bischof am Erzbistum Paris seit 1160, den Neubau der heutigen Kathedrale sowohl plante als auch initiierte.
Während der ersten Bauphase entstanden Chor und Sanktuarium. Die Fertigstellung des Chores als Ende dieses ersten Abschnitts wird in diverser Literatur mit der Weihe des Chores 1182 begründet. Aus der Chronik des Robert de Torigny geht jedoch hervor, dass der Chor bereits 1177 fertiggestellt wurde, jedoch „excepto majori tectorio, […] mit Ausnahme des Gewölbes“6. Somit fand die Weihung erst nach Errichtung des Gewölbes statt, der Chor stand jedoch bereits seit seiner Vollendung 1177 für den liturgischen Gebrauch zur Verfügung.7 Das Ende des ersten Bauabschnitts begründen Sandron und Tallon wie folgt: „Vingt ans apès le début du chantier, le 19 mai 1182, le clergé prit solennellement possession de la partie orientale de la cathédrale.“8. Demnach ging mit der Weihung des Chores und des Hochaltars auch der Einzug des Klerus in den bereits fertiggestellten östlichen Teil der Kathedrale einher.
Der zweiten Bauetappe gehörten das Querhaus und die ersten drei Joche des Langhauses an. Anhand eines Kapitellvergleichs mit dem genau datierten Bau der Kathedrale von Canterbury bestimmt Branner den Baubeginn des Langhauses ins Jahr 1178.9 Die Errichtung dieser Teile endete mit der Stiftung der Kirchenbedachung, denn „1196 hinterläßt Bischof Maurice 100 Pfund zur Eindeckung mit Blei; diese Nachricht besagt vielleicht, daß zu diesem Zeitpunkt das Gewölbe des Langhauses noch nicht fertig war.“10
Die dritte Bauphase widmete sich von 1190 bis 1225 der Errichtung des Kirchenschiffs sowie der Westfassade. Mit der Vollendung des Fundaments begannen 1208 die Arbeiten zur Erbauung des Erdgeschosses der Westfassade mit den drei großen Portalen. In der folgenden Entstehung der ersten beiden Joche des Kirchenschiffs sieht Branner einen Baumeisterwechsel, den er aus der Vergleichbarkeit im Bausystem der Kathedrale Notre-Dame d’Amiens schließt und dem französischen Architekten Robert de Luzarches zuweist, welcher in den Jahren 1210 bis 1215 in Paris weilte. Die Errichtung des Rosengeschosses der Turmfront mit der westlichen Fensterrosette ab 1220 schloss diesen dritten Bauabschnitt mit der Fertigstellung des Kirchenschiffs 1225 ab.11
Während der finalen Bauetappe 1225 bis 1250 entstanden die Turmgeschosse. Bereits aus dieser Zeit sind erste Änderungen des Bauplans sowie kleinere Umbauten dokumentiert. Verschiedene Stiftungen sind für die Kapelle des Langhauses von 1235 bis 1250 überliefert, welche zwischen die Strebepfeiler der Seitenschiffe angebaut wurden. Nach der Vollendung des Südturms 1240 dauerten die Arbeiten am Nordturm noch weitere zehn Jahre an, bis der Bau der Kathedrale 1250 fertiggestellt wurde.12
Eine Inschrift am Südquerhausarm bezeugt den Neubau der Querhausfassaden bereits ab 1250. Bis auf Überlieferungen zu weiteren Stiftungen für die Kapellen des Chorumgangs 1296 bis 1330, sowie einigen oberflächlichen Arbeiten im weiteren Verlauf des 14. Jh., wurde der ursprüngliche Bau der Kathedrale Notre-Dame de Paris, während des Mittelalters, keinen weiteren verändernden Baumaßnahmen unterzogen.13
[...]
1 Vgl. Erlande-Brandenburg, „Le group épiscopal de Paris“, S. 189–190.
2 Vgl. Kimpel und Suckale, Die gotische Architektur in Frankreich, S. 150 und Erlande-Brandenburg, Notre-Dame in Paris, S. 65–74.
3 Sandron und Tallon, Notre-Dame de Paris, S. 183.
4 Vgl. Aubert, Notre-Dame de Paris, S. 29–33.
5 Kimpel und Suckale, Die gotische Architektur in Frankreich, S. 151.
6 Ebd.
7 Vgl. Sandron und Tallon, Notre-Dame de Paris, S. 35.
8 Ebd., S. 46.
9 Branner, „Paris and the Origins of Rayonnant Gothic“, S. 39.
10 Kimpel und Suckale, Die gotische Architektur in Frankreich, S. 151.
11 Branner, „Paris and the Origins of Rayonnant Gothic“, S. 41f.
12 Vgl. Aubert, Notre-Dame de Paris, S.139–148.
13 Ebd., S.138, 174.
- Arbeit zitieren
- Christoph Kellermann (Autor:in), 2018, Die Kathedrale Notre-Dame de Paris. "Wiege der Mehrstimmigkeit" in der europäischen Musikgeschichte, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1267026
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