Der Mensch entwickelt seine Identität fortlaufend. Besonders entscheidend ist dabei aber die Jugend, da er hier besondere Entwicklungsaufgaben im Rahmen der Sozialisation bewältigen muss. Ein Helfer dabei sind Medien, da der Alltag von Jugendlichen stark durch Medien geprägt ist. Bei der alltäglichen Nutzung von sozialen Netzwerken beispielsweise bekommen die Protagonisten in diesen auch einen gewissen Stellenwert für Jugendliche: Figuren der Medien können eine Vorbildfunktion einnehmen und stellen Anregungen für die eigene Identität dar. Genau das wird in dieser Forschungsarbeit untersucht. Die Forschungsfrage dabei lautet "Inwiefern sind Influencer auf Instagram mediale Vorbilder für Jugendliche?".
Zu Beginn dieser Forschungsarbeit wird sich dem Ausdruck "Vorbilder" gewidmet werden. Hierbei wird sich auch dem Stand der Forschung zum Thema Jugendliche und mediale Vorbilder zugewendet. Nach Klärung des Begriffs ist es notwendig, die Bedeutung von Vorbildern herauszustellen und zu benennen. Da sich die Bedeutung von Vorbildern mit der Lebensphase des Individuums ändert, muss sich dafür gemäß dem Forschungsinteresse dezidiert mit dem
Abschnitt der Jugend beschäftigt werden. Da sich in dieser Forschung explizit mit medialen Vorbildern auseinandergesetzt werden soll, muss die Identitätsentwicklung von Jugendlichen durch Unterstützung von Vorbildern
anschließend in einen medialen Rahmen gebracht werden. Dabei wird sich der Mediennutzung von Jugendlichen gewidmet. In diesem Zusammenhang wird näher auf die App Instagram eingegangen, die den medialen Rahmen der Forschungsarbeit darstellt.
Nachdem der theoretische Rahmen alle wichtigen Begriffe, Theorien und Erklärungen abgedeckt hat, besteht der nächste Schritt darin, zum methodischen Teil der Arbeit überzuleiten. Beim methodischen Vorgehen wird das Forschungsdesign dieser Arbeit dargelegt: Die Auswahl der Forschungsart und der Forschungsmethode werden beschrieben und begründet. Da in dieser Forschungsarbeit Leitfadeninterviews geführt werden sollen, wird der Leitfaden erklärt und knapp vorgestellt. Außerdem wird die Auswertungsmethode beschrieben. Anschließend wird sich der Durchführung der Forschungsmethode gewidmet und final werden die gewonnenen Ergebnisse dargestellt. Dann wird ein Bezug zu der Forschungsfrage hergestellt, welche durch die Ergebnisse der Forschung beantwortet werden soll. Im Fazit wird das Vorgehen dieser Arbeit reflektiert
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
1 Einleitung
2 Theoretischer Rahmen
2.1 Definitorische Abgrenzung des Begriffs Vorbilder
2.1.1 Stars & Idole
2.1.2 Helden
2.1.3 Vorbilder
2.2 Bedeutung von Vorbildern für Jugendliche
2.2.1 Die Phase der Adoleszenz
2.2.2 Identität nach Erik Erikson
2.2.3 Adoleszente Identität nach Marcia
2.2.4 Symbolischer Interaktionismus: Identität durch Kommunikation
2.2.7 Banduras Lerntheorie: Lernen an Modellen
2.3 Medienalltag von Jugendlichen
2.3.1 Soziale Medien und Identität
2.3.2 Die Social-Media-Plattform Instagram
2.3.2.1 Definition und Entstehung
2.3.2.2 Funktionen und Besonderheiten
2.3.3 Motive für die Nutzung von Instagram
2.3.3.1 Uses-and-Gratifications-Ansatz
2.3.3.2 Mood Management
2.3.4 Zwischenfazit
2.4 Influencer als Vorbilder auf Instagram
2.4.1 Begriffsklärung Influencer
2.4.2 Influencer als Meinungsführer (Two-Step-Flow-Modell)
2.4.3 Parasoziale Interaktion und Beziehung mit Influencern
2.4.4 Influencer-Marketing
2.4.4 Zwischenfazit: Influencer als mediale Vorbilder
3 Methodisches Vorgehen
3.1 Auswahl der Erhebungsmethode
3.2 Durchführung der Interviews
3.3 Auswertung
4 Beschreibung und Interpretation der Ergebnisse
4.1 Oberkategorie 1: Interesse für Themenbereich der Influencer
4.2 Oberkategorie 2: Verortung der Heranwachsenden
4.3 Oberkategorie 3: Bewundern und Nachmachen
4.4 Oberkategorie 4: Beziehung zwischen Influencer und Jugendlichen
4.5 Oberkategorie 5: Grenzen des Vorbilddaseins
4.6 Oberkategorie 6: Vorbilder von Jugendlichen
4.7 Beantwortung der Forschungsfragen
5 Fazit
5.1 Zusammenfassung
5.2 Diskussion und Grenzen der Arbeit
5.3 Ausblick
Literaturverzeichnis
Anhang
Genderhinweis
In dieser Arbeit wird aus Gründen der besseren Lesbarkeit ausschließlich das generische Maskulinum verwendet. Weibliche und anderweitige Geschlechteridentitäten werden dabei ausdrücklich mitgemeint, soweit es für die Aussage erforderlich ist. Dies soll keinesfalls eine Geschlechterdiskriminierung oder eine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes zum Ausdruck bringen.
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Schaubild zur Einordnung der Begrifflichkeiten
Abbildung 2 Tabelle adaptiert nach Eriksons Identität und Lebenszyklus, 1959 (Psychological Issues vol 1, #1), Quelle: Boeree, C. G. (2006)
Abbildung 3: Ablauf einer qualitativen Inhaltsanalyse (Mayring, 2007, S. 75)
1 Einleitung
In der menschlichen Entwicklung ist das Individuum besonders im Jugendalter gewissen Herausforderungen und Bedingungen ausgesetzt, die es überwinden muss (vgl. Eggert, 2018, S.4). Es gilt bestimmte Entwicklungsaufgaben zu bewältigen, um einen Übergang in das Erwachsenendasein zu erreichen und seinen Platz in der Gesellschaft zu finden. Entwicklungsaufgaben dieser Art sind beispielsweise das Erlernen von Selbstständigkeit, das Loslösen vom Elternhaus, das Finden der beruflichen Orientierung und insbesondere auch das Finden des eigenen Ichs - der eigenen Identität. Die Entwicklung der eigenen Identität ist zentrale Aufgabe in der Phase der Jugend. Diese wird jedoch durch Unsicherheiten, Widersprüche und Orientierungslosigkeit dieser besonderen Lebensphase erschwert (vgl. Habermas, 2007, S.365).
Damit Heranwachsende diesen Entwicklungsschritt trotzdem schaffen, suchen sie Halt und Orientierung bei verschiedenen Helfern. Auf ihrem Weg zum Erwachsenwerden sind besonders Medien eine dienliche Stütze für Jugendliche. Zum einen ermöglichen sie den ständigen Austausch mit Gleichaltrigen, der in dieser Phase höchst relevant ist. Zum anderen bieten sie den Jugendlichen eine Vielzahl an Orientierungsfunktionen. Heranwachsende finden Inspiration und Ideen für ihr eigenes Leben in ihnen. Außerdem repräsentieren Medien durch diverse Charaktere, wie Filmrollen, und Vertreter, wie Moderatoren, verschiedene Verhaltensmuster und Werteorientierungen, die Jugendliche ausprobieren und gegebenenfalls adaptieren können (vgl. Eulenbach, 2018, S.12). Mit der Entwicklung des Web 2.0 und der Entstehung von sozialen Medien ist nicht nur die Vielfalt und Masse der Medienangebote deutlich gewachsen, sondern damit einhergehend auch die Orientierungsmöglichkeiten. Soziale Netzwerke bieten verschiedenste Rollenmodelle an und decken Nischen ab, die in den Massenmedien keinen Platz finden (vgl. Döring, 2018, S. 20). Jugendliche wachsen heutzutage in einer komplexen Medienlandschaft auf und sind beinahe ständig mit Medien konfrontiert. Dabei halten sie sich besonders häufig in sozialen Netzwerken auf. Apps wie YouTube, WhatsApp und Instagram sind fester Bestandteil ihres Alltags (vgl. mpfs, 2019). Bei der alltäglichen Nutzung von sozialen Netzwerken bekommen die Protagonisten und Akteure dieser auch einen gewissen Stellenwert für Jugendliche und können eine Vorbildfunktion einnehmen. Vorbilder sind in der Identitätsentwicklung von Jugendlichen eine weitere Art wichtige Stütze (vgl. Eggert, 2018, S.4). Sie stellen Anregungen und Rollenmodelle für die eigene Identität dar und zeigen Jugendlichen Wege und Entscheidungen auf, die ihnen bisher fremd sind (vgl. Eulenbach, 2018, S.12). In sozialen Netzwerken, insbesondere bei Instagram, sind nicht mehr mediale Stars wie Musiker oder Schauspieler im herkömmlichen Sinne die Protagonisten: Sogenannte YouTuber, Blogger oder Influencer bieten Jugendlichen eine Vielzahl an Inhalten und Angeboten. Sie bauen eine enge Beziehung zwischen sich und ihrer Zielgruppe auf und schaffen dadurch eine Nähe, die in Massenmedien bisher so nicht möglich war (vgl. Gurt, 2018, S.17). Diese neue Art der Medienfiguren inszenieren sich zum einen als durchschnittliche Menschen, die auch als solche wahrgenommen werden, erlangen jedoch zum anderen durch hohe Reichweite und viele Follower den Status einer Berühmtheit.
Diese Art medialer Akteure können ebenfalls als Bezugs- und Orientierungspersonen für Jugendliche dienen und lassen sich als neue Form von Vorbildern einstufen, da ihre Eigenschaften und Möglichkeiten sich scheinbar von bisherigen medialen Bezugspersonen unterscheiden. Diese neue Variante von Vorbildern für Jugendliche wurde bisher in der Forschung nicht ganzheitlich thematisiert. Das soll diese Forschungsarbeit ändern: Es soll untersucht werden, inwiefern Influencer auf Instagram Vorbilder für Jugendliche sind und was für eine Bedeutung ihnen in der Entwicklung von Heranwachsenden zugemessen wird. Die Perspektive der Jugendlichen in Hinblick auf neue mediale Vorbilder soll beleuchtet werden und ihre diesbezügliche Faszination herausgestellt werden.
1.1 Relevanz und Erkenntnisinteresse
Jugendliche und Vorbilder werden in der Forschung bereits in verschiedenen Disziplinen wie der Psychologie zusammen untersucht. Auch die Bedeutung von Vorbildern speziell aus dem medialen Bereich für Heranwachsende wurde bereits beleuchtet (z.B. Wegener, 2008, Klein 2012, Lattner 2019). Durch das Web 2.0 entsteht jedoch eine neue Art von Vorbildern, zu denen es bisher noch keine umfänglichen, wissenschaftlichen Untersuchungen gibt. Diese neue und sich gegenwärtig fortlaufend entwickelnde Art von Vorbildern, zu denen Influencer auf Instagram zählen, unterscheiden sich theoretisch zu klassischen medialen Vorbildern insbesondere durch die scheinbare Nähe, die sie zu ihren Bewunderern haben (vgl. Gurt, 2018, S. 17). Diese Nähe entsteht durch die Funktionen, die Social-Media-Apps wie Instagram, bieten: Es ist dem Nutzer möglich zeit- und ortsunabhängig in Interaktion mit seinem Vorbild zu treten, Nachrichten zu schreiben und Reaktionen auf seine geteilten Inhalte zu äußern. Außerdem scheinen Influencer auf Instagram deutlich präsenter zu sein als andere, klassische mediale Vorbilder, die ausschließlich durch die Massenmedien beispielsweise nur zu gewissen Sendezeiten, verbreitet wurden. Bei Instagram ist es den Jugendlichen möglich ständig auf Inhalte des Influencers zu zugreifen und diese zu rezipieren und somit dem Vorbild dauerhaft nah zu sein.
Besonders aus der medienpädagogischen Perspektive im Sinne der reflexiv-praktischen Medienarbeit ist es wichtig, die Bedeutung dieser neuen Vorbilder wissenschaftlich zu untersuchen (vgl. Schorb, 2008, S.80). Dadurch können Erkenntnisse gewonnen werden, die insbesondere für die praktische Arbeit mit Jugendlichen notwendig sind: Es können Empfehlungen für Jugendliche im Umgang mit medialen Vorbildern entwickelt werden und Unterstützung bei einer kompetenten Interaktion geleistet werden. Die kritisch-reflexive Auseinandersetzung mit medialen Vorbildern sollte als medienpädagogische Querschnittsaufgabe gelten und insbesondere unter dem Aspekt der Medienkompetenz von Jugendlichen beleuchtet werden. Insbesondere dann, wenn hier auch Probleme und Gefahren auftauchen können, müssen Heranwachsende dabei unterstützt werden, diese neue Art von medial-vermittelten Bezugspersonen kompetent zu reflektieren. Es ist besonders wichtig, dass sie Beeinflussungen erkennen. Die Beeinflussung kann je nach Influencer kommerzieller Natur sein, aber auch beispielsweise politische Einflussnahme darstellen und zur Meinungsbildung führen. Medien sind eine gesellschaftliche und politische Orientierungsquelle geworden, an der sich insbesondere Jugendliche bedienen (vgl. Schorb, 2009, S.86). Somit ist diesem Themenbereich auch eine gesellschaftliche und politische Relevanz zuzumessen. Dem Problem der Beeinflussung in diversen Bereichen in der Phase der Adoleszenz lässt sich außerdem eine sozial-ethische Relevanz zuordnen. Insbesondere die Übernahme von Meinungen und Einstellungen kann die Jugendlichen hierbei nachhaltig in ihrer Entwicklung beeinflussen und gegebenenfalls schädigen.
Um Jugendliche im Umgang mit neuen medialen Vorbildern zu unterstützen, ist eine Art Bestandsaufnahme wichtig, um die Perspektive der Heranwachsenden zu verstehen. Hier soll diese Forschungsarbeit einen Beitrag leisten, indem Kenntnisse über die Funktion und Bedeutung der Influencer als Vorbilder für Jugendliche und ihre Identitätsentwicklung gewonnen werden. Es soll herausgestellt werden, was Jugendliche an Influencern fasziniert, was sie bewundern und welche Eigenschaften, Werte oder Rollen sie von ihnen adaptieren, aber auch welche Einstellungen oder Merkmale sie ablehnen. Außerdem ist es in diesem Zusammenhang interessant zu erforschen, ob und wie sie diese Art von Vorbildern reflektieren und inwiefern sie gewisse Strukturen und Mechanismen durchschauen können. Zudem soll untersucht werden, wie Jugendliche die Beziehung zwischen sich und Influencern definieren und ob sie Influencer aktiv als Vorbilder wahrnehmen. Die Frage „Inwiefern sind Influencer auf Instagram mediale Vorbilder für Jugendliche?“ dient dabei als zusammenfassende Hauptforschungsfrage. Bei dieser Forschung wird sich auf Influencer in der App Instagram beschränkt, um eine Eingrenzung in der Vielzahl an Anwendungen und Bezugspersonen zu finden. Außerdem ist die App Instagram eine der meistgenutzten Anwendungen von Jugendlichen und ist deshalb besonders relevant für Heranwachsende und ihre Identitätsentwicklung (vgl. mpfs, 2019, S. 28). Um die Forschungsfrage durch die Perspektive der Jugendlichen beantworten zu können, werden Jugendliche in qualitativen Leitfadeninterviews befragt. Somit kann sich ihren Meinungen und subjektiven Einstellungen gewidmet werden.
1.2 Struktur
Zu Beginn dieser Forschungsarbeit wird sich dem Ausdruck „Vorbilder“ gewidmet werden. Hierbei ist eine definitorische Abgrenzung notwendig, da vermehrt Synonyme wie Held oder Idole im Sprachgebrauch für das Wort Vorbild verwendet werden, welche jedoch unterschiedlichen Definitionen unterliegen. In dieser Arbeit wird fast ausschließlich mit dem Begriff Vorbilder gearbeitet, weshalb dieser umfassend erläutert werden muss. Hierbei wird sich auch dem Stand der Forschung zum Thema Jugendliche und mediale Vorbilder zugewendet.
Nach Klärung des Begriffs ist es notwendig, die Bedeutung von Vorbildern herauszustellen und zu benennen. Da sich die Bedeutung von Vorbildern mit der Lebensphase des Individuums ändert, muss sich dafür gemäß des Forschungsinteresses dezidiert mit dem Abschnitt der Jugend beschäftigt werden. In der Lebensphase Jugend steht die Identitätsentwicklung des Individuums im Vordergrund. Aus diesem Grund wird sich mit Identitätstheorien und Lernkonzepten beschäftigt, die in diesem Zusammenhang ihre Anwendung finden. Es wird ein theoretisches Konstrukt rund um den Begriff Identitätsbildung geschaffen, um später die Bedeutung von Vorbildern am Entwicklungsprozess der Heranwachsenden erforschen zu können.
Da sich in dieser Forschung explizit mit medialen Vorbildern auseinandergesetzt werden soll, muss die Identitätsentwicklung von Jugendlichen durch Unterstützung von Vorbildern anschließend in einen medialen Rahmen gebracht werden. Dabei wird sich der Mediennutzung von Jugendlichen gewidmet. In diesem Zusammenhang wird näher auf die App Instagram eingegangen, die den medialen Rahmen der Forschungsarbeit darstellt. Zudem wird sich dem Begriff Influencer gewidmet, in dem zum einen die Historie der Bedeutung angesprochen wird, als auch das aktuelle Verständnis hinter dem Ausdruck.
Nachdem der theoretische Rahmen alle wichtigen Begriffe, Theorien und Erklärungen abgedeckt hat, besteht der nächste Schritt darin, zum methodischen Teil der Arbeit über zu leiten. Beim methodischen Vorgehen wird das Forschungsdesign dieser Arbeit dargelegt: Die Auswahl der Forschungsart und der Forschungsmethode werden beschrieben und begründet. Da in dieser Forschungsarbeit Leitfadeninterviews geführt werden sollen, wird der Leitfaden erklärt und knapp vorgestellt. Außerdem wird die Auswertungsmethode beschrieben. Anschließend wird sich der Durchführung der Forschungsmethode gewidmet und final werden die gewonnenen Ergebnisse dargestellt. Dann wird ein Bezug zu der Forschungsfrage hergestellt, welche durch die Ergebnisse der Forschung beantwortet werden soll. Im Fazit wird das Vorgehen dieser Arbeit reflektiert, ein Ausblick der Forschung gegeben und die Ergebnisse werden zusammengefasst.
2 Theoretischer Rahmen
Im Folgenden wird sich zuerst Vorbildern als Gegenstand der Forschung gewidmet. Hierbei wird sich definitorisch dem Begriff genähert und dieser von ähnlichen Synonymen abgegrenzt. Im weiteren Verlauf des theoretischen Rahmens wird sich mit verschiedenen Theorien zum Thema Identität dem Thema auseinandergesetzt, indem die Bedeutung von Vorbildern in der Adoleszenz erläutert wird. Anschließend wird sich dem Medienalltag von Jugendlichen zugewandt, da sich in diesem die zu untersuchende Art von Vorbildern verorten lässt. In diesem Zusammenhang werden die App Instagram als OnlineUmgebung für Jugendliche und Influencer als mediale Vorbilder betrachtet.
2.1 Definitorische Abgrenzung des Begriffs Vorbilder
In dieser Arbeit wird vorrangig der Begriff Vorbilder genutzt. Oftmals werden in anderen Veröffentlichungen und Arbeiten Ausdrücke wie Idol, Star oder Held diesem Begriff gleichgesetzt und als Synonyme verwendet. Für ein einheitliches Verständnis und einen differenzierten Umgang sollte jedoch eine Abgrenzung der Synonyme erfolgen. Zwar wird den einzelnen Ausdrücken stets durch das verwendende Subjekt eine individuelle Bedeutung zugeschrieben, trotzdem gibt es aber eindeutige Eigenschaften, die eine Unterscheidung der Begriffe erlaubt.
2.1.1 Stars & Idole
Zuerst wird sich den Begriffen Star und Idol gewidmet. Eine Person, die als Star bezeichnet wird, steht in der medialen Öffentlichkeit und hat besondere meist künstlerische Talente (vgl. Sommer, 1997, S. 114). Mit seinen Talenten erlangt der Star Erfolge, die meist kontinuierlicher Natur sind, beispielsweise eine ganze Karriere lang andauern (vgl. Faulstich et al., 1997, S. 11). Sein Talent und seine Karriere werden über ein Medium transportiert und erreichen dadurch Zuschauer. Es muss nicht zwangsweise ein bestimmtes Medium sein, relevant ist nur, dass so ein Verhältnis zwischen Star und Publikum entsteht (vgl. Hickethier, 1997, S. 30). Das Publikum muss eine Person in der medialen Öffentlichkeit annehmen, sie akzeptieren und „in ihm auf idealisierte, überhöhte Weise Eigenschaften wiedererkennen, die es sich selbst zu schreibt“ damit sie zum Star werden kann (ebd., S. 31). Stars werden für ihre außergewöhnlichen Talente bewundert, die für den Fan jedoch unmöglich nachzuahmen scheinen (vgl. Klein, 2013, S. 17). Im ursprünglichen Sinn wurden hauptsächlich Schauspieler und Musiker als Stars bezeichnet. Etabliert wurde der Begriff Star durch das Theater und anschließend gefestigt durch die Invention des Kinos. Mittlerweile können Stars auch aus Bereichen wie Mode, Sport oder Politik stammen (vgl. Schuegraf, 2013, S. 24). Durch Veränderungen in der Gesellschaft oder der Zeitalter können Stars ihre Besonderheit verlieren und werden ersetzt (vgl. Hickethier, 1997, S. 31). Prägnant ist außerdem, dass dem Star immer eine gewisse Rolle zugesprochen wird, hinter der sich seine echte Persönlichkeit verbirgt. Die echte und reale Person hinter dem Star bleibt meist unbekannt und unterscheidet sich oftmals von der Rolle, die er verkörpert (vgl. Sommer, 1997, S. 114). Ein Star wird dann zum Idol erhoben, wenn er diese Rolle auch privat lebt.
Bei einem Idol stehen als Besonderheit die Person und ihr Leben im Zentrum (vgl. Sommer, 1997, S.114), nicht nur ihr Star-Dasein. Deutlich wird es durch folgendes Beispiel: „Ein James Dean, der nicht auch im Privatleben schwierig ist, ist vielleicht ein Star, aber kein Idol.“ (vgl. ebd., S. 115). Ein Idol ist die erstrebenswerte, aber unerreichbare Perfektion: Fans wollen genauso sein, wollen ihre Idole für sich haben und zudem von ihnen geliebt werden (vgl. Schuegraf, 2013, S. 26). Stars und Idole werden also jeweils durch das Publikum zu dieser Position erhoben. Es sind soziale Konstrukte (vgl. Sommer, 1997, S. 123).
Zum Verhältnis zwischen Stars und Jugendlichen gibt es bereits verschiedene Forschungen. Claudia Wegener beschäftigte sich 2008 in ihrer Publikation „Medien, Aneignung und Identität - „Stars“ im Alltag jugendlicher Fans“ besonders umfänglich mit dieser Thematik und leistete einen wichtigen Beitrag. Sie fokussierte sich dabei besonders auf Muster der Medienaneignung und die Identitätsbildung der Jugendlichen in Bezug zu medialen Bezugspersonen. Diese Bezugspersonen sind damalige Stars wie Jeanette Biedermann oder Robby Williams. Bei Wegeners Forschung nutzte sie das Konzept der Triangulation, um das Phänomen mehrperspektivisch zu beleuchten: Sie befragte Jugendliche quantitativ mittels Fragebogen über ihr Medienhandeln, analysierte zudem die Jugendzeitschrift „Bravo“ auf Starrepräsentation und führte anschließend eine qualitative Online-Befragung von Fans aus dem Leserkreis der Zeitschrift durch (vgl. Wegener, 2008, S. 77). Es zeigte sich, „dass es je spezifische Identitätsthemen sind, die in der Auseinandersetzung mit medialen Bezugspersonen eine Rolle spielen und die sich in unterschiedlichen Teilbereichen der Identitätsbildung ausformulieren“ (Wegener, 2008, S. 370) und keine Pauschalisierung möglich ist. Wegener untersuchte zudem, welche Eigenschaften der Stars die Jugendlichen am meisten interessierte und faszinierte. Dabei gaben 60 Prozent der Befragten an, dass sie gerne denselben Beruf wie ihr Lieblingsstar ausüben wollen. Das Verhalten der Stars sowie ihre getätigten Sprüche gefielen 58 Prozent der Befragten, 53 Prozent würden gerne Meinungen und Ansichten adaptieren (vgl. Wegener, 2008, S. 104). Medienpersonen faszinieren laut Wegeners Forschung vorrangig durch Erfolg, Popularität und das Gesamterscheinungsbild, während bei Bezugspersonen aus der realen Welt Meinung, Mitgefühl, Verständnis und Anerkennung im Vordergrund stehen (vgl. Wegener, 2008, S. 373). Zudem beschreibt Wegener, dass Stars heutzutage nicht mehr eine Vielzahl jugendlicher Fans auf sich vereinen können und beschreibt damit den Begriff des Idols als „Phänomen vergangener Zeiten“ (Wegener, 2008, S. 371).
2.1.2 Helden
Abseits von Stars, Idolen und Vorbildern wird der Ausdruck Held ebenfalls häufig in den gleichen Zusammenhängen verwendet. Bei einem Helden ist die Besonderheit, dass er durch bedeutende Taten definiert wird. Er steht auf der guten Seite und vollbringt große Taten für „die Guten“, ist mutig und kämpft gegen das Böse (vgl. Schuegraf, 2013, S. 27). Ähnlich wie ein Star hat er überragende Eigenschaften, oft als Superkraft bezeichnet, und sticht von anderen Menschen positiv hinaus. Helden entstammen ursprünglich fiktiven Erzählungen und Geschichten, wie Märchen, können aber auch reale Menschen aus dem näheren Umfeld sein (vgl. ebd, S. 27). Wie bei Stars und Idolen hängt es letztendlich von der subjektiven Ansicht, Perspektive und Interpretation einer Person ab, welcher Begriff wofür verwendet wird und ob eine bestimmte Person auf ein Podest gehoben wird, ihr ein Orientierungscharakter zugeschrieben wird oder nicht.
2.1.3 Vorbilder
Der Begriff des Vorbilds wird meist mehrdeutig verwendet: Auf der einen Seite steht das klassische Vorbild aus der pädagogischen Sicht. Es hat besondere Bildungsideale wie Moral, Leistung und Intellekt. Früher waren klassische Vorbilder Menschen, die etwas Bedeutsames für die Menschheitsgeschichte geleistet haben wie beispielsweise Ghandi (vgl. Wegener, 2008, S. 18). Auf der anderen Seite steht das Vorbild als etwas Greifbares und Lebensnahes: Die Bewunderung eines Vorbilds liegt darin, dass alltäglichen Faktoren und Eigenschaften simpel adaptiert werden können und Identifikation angeboten wird (vgl. Klein, 2013, S. 19).
Ein Vorbild muss nicht in der Öffentlichkeit stehen. Vorbilder können aus verschiedensten Bereichen stammen: Sowohl Personen aus der Familie oder dem Freundeskreis können Vorbilder sein als auch Stars, Sportler oder Politiker (vgl. Schuegraf, 2013, S.26). Durch das Web 2.0 entstehen zudem in der Online-Welt neue Arten von medialen Persönlichkeiten wie Blogger, Youtuber oder Influencer, die ebenfalls eine Vorbildfunktion einnehmen können. Dieses wird im nächsten Punkt weiter erläutert. Insbesondere auf den Begriff Influencer wird im weiteren Verlauf dieser Arbeit eingegangen.
Vorbilder können demnach mittlerweile aus dem Nahbereich (Freunde, Familie) oder aus dem Fernbereich (Berühmtheiten, Stars) stammen. Im umgangssprachlichen Gebrauch liegen ihnen jedoch nicht mehr die strengen Bildungsideale zugrunde, wie vor einigen Jahrzehnten. Gemeinsam haben alle Vorbilder vor allem eins: Ihnen werden positive Werte, positive Vorstellungen und Identifikationsmöglichkeiten zugesprochen (vgl. Grau, 2013, S. 16). Sie fungieren als eine Art Leitbild. An einer Person muss aber nicht mehr zwangsweise alles vorbildlich und positiv sein: Meist sind es einzelne Eigenschaften, Ansprüche oder Werte, die als nachahmenswert wahrgenommen werden und Orientierung bieten (vgl. Schuegraf, 2013, S. 25). Im Gegensatz zum Idol oder Star sind es hier jedoch hauptsächlich die alltäglichen Faktoren, die entscheidend sind. „Nicht Berühmtheit, Attraktivität und Reichtum zeichnen demnach ein Vorbild aus, sondern die Fähigkeit, den Alltag in einer besonderen Weise zu bewältigen.“ (Grau, 2013, S. 13).
Zu Vorbildern von Jugendlichen gibt es bereits verschiedene Forschungen und (Jugend)Studien (z.B. Shell Studie, JAMES Studie). Vorrangig wurde dabei jedoch meist nur quantitativ die Existenz von Vorbildern untersucht und bestimmte, relevante Personen als Vorbilder abgefragt. Betrachtet man den Stand der Forschung über die Existenz von Vorbildern, zeigt sich ein Wandel in der Vergangenheit. Die Shell-Studien untersuchten über Jahre hinweg, ob Jugendliche ein Vorbild haben oder nicht (Deutsche Shell, 2000), widmete jedoch nur einen geringen Teil ihre Umfanges diesem Themenbereich. Trotzdem lässt sich in ihren Untersuchungen der besagte Wandel sehr gut erkennen: Bis in die 1960er Jahre zeigte sich, dass Jugendliche Vorbilder haben und diese ihnen auch wichtig sind. Ab den 1990er Jahren jedoch entsteht ein deutlicher Verlust der Bedeutung von Vorbildern. Begründet wurde dies mit dem Wunsch nach Selbstverwirklichung ohne Orientierung an anderen, Ablehnung von Idealen und damit, dass es keine perfekten Vorbilder gäbe (Deutsche Shell, 2000, S.216). Folglich gaben 1996 gerade mal 16 Prozent der Befragten an, ein Vorbild zu haben. Zum Vergleich: 1955 waren es noch 44 Prozent. Für die Generation des Nachkriegs war es selbstverständlich sich an einem Vorbild zu orientieren (vgl. Effenberg, 2014 S.17).
Der rückläufige Trend zum Bekenntnis eines Vorbilds hält jedoch nur bis zum neuen Jahrhundert an: In der Shell Studie von 2000 steigt das Bekennen zum Vorbild wieder deutlich an mit einer Differenz von 13 Prozent (Deutsche Shell, 2000, S.217). Vermutet wird, dass dieser unerwartete Wandel entweder durch einen Haloeffekt1 in dem Fragebogen ausgelöst sein könnte oder aber (die wahrscheinlichere Variante) an einer Verschiebung der Vorbilder vom Nahbereich, sprich Eltern und Familie, zum Fernbereich liegt. Der Fernbereich umfasst dabei die Medien und insbesondere den Fernseher, dem ein größeres Gewicht in dieser Zeit um 2000 zugesprochen wird (vgl. ebd.). Der Trend zum Vorbild wird durch weitere Studien belegt. In der „Null Zoff - voll busy“ Studie von 2002 gaben 60 Prozent der Befragten an ein Vorbild zu haben. In der MLS Studie2 waren es 43 Prozent der Befragten, die sich zu einem Vorbild bekennen. Auch Dana Horakova bestätigt in ihrer Publikation „Vorbilder. Berühmte Deutsche erzählen, wer ihnen wichtig ist“ den Trend zum Vorbild (vgl. Horakova, 2007, S. 14). In der KIM Studie von 2016 gaben ebenfalls 65 Prozent der weiblichen und 63 Prozent der männlichen Befragten an, ein Vorbild zu haben.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Schaubild zur Einordnung der Begrifflichkeiten
Die Abbildung 1 fasst die Erkenntnisse der Abgrenzung der Begriffe noch einmal zusammen: Stars, Idole und Helden können gleichermaßen die Funktion eines Vorbilds einnehmen. Stars und Idole stammen hierbei aus dem Fernbereich des Individuum und beziehen sich klassischerweise auf Schauspieler und Musiker. Helden können sowohl aus dem Fernbereich stammen (fiktive Figuren und Rollen aus Geschichten oder Filmen), als auch dem Nahbereich (der Familie beispielsweise) entspringen. Ein Star, Idol oder Held kann also als Vorbild gelten, muss aber nicht zwangsläufig als ein solches gesehen werden. Vorbilder können dem Nah- oder Fernbereich entspringen ohne gleichzeitig als Held, Star oder Idol betrachtet zu werden. Der Nahbereich von Vorbildern umfasst die Familie, Verwandte, Freunde und Kollegen. Der Fernbereich von Vorbildern umfasst hauptsächlich zuvor beschriebene mediale Vorbilder wie Musiker, Schauspieler, fiktive Film/Fernsehrollen, Sportler, Politiker, Aktivisten, Blogger, YouTuber oder Influencer. Der Begriff Influencer wird hervorgehoben, da sich diese Forschungsarbeit ausschließlich mit Influencern als Vorbilder beschäftigt.
Im Folgenden wird fortlaufend nur die Begrifflichkeit des Vorbilds verwendet. Als Synonym hierfür wird ausschließlich die Begrifflichkeit „Bezugspersonen“ gesetzt, um Abwechslung für den Lesefluss zu erzeugen.
2.1.3.1 Mediale Vorbilder
Im Kontext der Mediatisierung nach Krotz (2001) existiert die Annahme, dass Jugendliche heutzutage in komplexen Medienwelten aufwachsen. Dies zeigt auch die aktuelle JIM- Studie von 2019: Rund 99 Prozent der Haushalte sind mit einem Smartphone ausgestattet, 98 Prozent mit einem Computer/Laptop und mit WLAN. 96 Prozent der Haushalte besitzen ein Fernsehgerät und 85 Prozent ein Radio (vgl. mpfs, 2019, S. 5). „Die Einbindung von Medien in den Alltag hat zugleich zur Folge, daß Medien eine wichtige Bedeutung für Lebensentwürfe, Berufsziele oder eben auch Träume haben“ (Hedrich & Voß-Fertmann, 1999, S. 188). Durch das regelmäßige Konsumieren bestimmter Medien bekommen die Akteure darin eine wichtige Rolle für Jugendliche, ihren Alltag und die Bewältigung von Entwicklungsphasen. Diese medialen Vorbilder lassen sich dem Fernbereich zuordnen (siehe Abbildung 1) und sind fast in allen medialen Formaten zu finden (vgl. Eggert, 2018, S. 7): Sie stammen aus Film und Fernsehen, können Musiker oder Moderatoren sein oder auch bekannte Personen aus dem Internet: „Fiktive Personen aus Serien und Filmen ebenso wie Musikstars oder Avatare aus Computerspielen ermöglichen den Heranwachsenden in Stellvertretung ein Probehandeln, das Durchspielen und Nachempfinden von Situationen in einem geschützten Raum.“ (Schorb, 2014, S. 175).
Jugendliche setzen sich mit dem Handeln von medialen Vorbildern auseinander und nehmen dadurch die Medienerfahrung der eigenen Wirklichkeit vorweg. Durch mediale Vorbilder können verschiedene Rollen erprobt und erlebt werden, die vielleicht auch fernab der eigenen Realität und des eigenen Umfelds liegen. Jugendliche bekommen dadurch Einblicke in diverse Berufsfelder, Wertvorstellungen oder Einstellungen (vgl. Döring, 2018, S. 19f.) Mediale Vorbilder haben also die Besonderheit, dass sie Jugendlichen mehr Möglichkeiten an Rollen, Werte und Orientierung anbieten, als es die Heranwachsenden aus ihrem Nahbereich kennen. Damit bieten mediale Vorbilder eine große Bandbreite an verschiedensten Optionen für die Entwicklung der Identität an.
In der Vergangenheit konnten vermehrt mediale Vorbilder einer ganzen Generation benannt und herausgestellt werden wie beispielsweise Elvis Presley. Das ist heutzutage schwierig: Die Wahl des Vorbilds ist sehr individuell ausgelegt. Die Medien sind außerdem schnelllebiger und vielfältiger geworden und bieten daher eine bunte Vielzahl an medialen Bezugspersonen aus den unterschiedlichsten Bereichen an. Zudem bringen besonders soziale Medien, neben den bereits genannten medialen Vorbildern wie Musikstars oder Avatare, eine Art von neuen Berühmtheiten und Bezugspersonen hervor, die Jugendliche besonders ansprechen (vgl. Döring, 2018, S.18). „Es sind vor allem die reichweitenstarken Social-Media-Plattformen YouTube und Instagram, aber auch Nischenangebote wie Twitter, Twitch, YouNow oder Musical.ly, die neue Social-Media-Berühmtheiten hervorbringen.“ (vgl. ebd.). Diese neue Social-Media-Berühmtheiten werden je nach Plattform und Interaktionsbereich als Blogger, YouTuber oder Influencer bezeichnet.
Während anfänglich in Studien und Forschungen der 2000er Jahre oftmals noch die Eltern und Verwandte als Vorbilder bezeichnet werden, wie in der MLS-Studie, werden nun zunehmend auch mediale Personen als Vorbilder genannt. Es wurde sich ausdrücklicher mit medialen Vorbildern beschäftigt. Zwischen den vielen Jugendstudien, die lediglich Vorbilder ansprechen und abfragen, leistete Cornelia Klein 2012 einen großen Beitrag zum Bereich der Vorbildforschung. In ihrer Publikation „mediale Vorbildkompetenz - eine Studie am Beispiel der Fans von Bruce Springsteen“ beschäftigte sie sich umfänglich mit Vorbildern aus dem medialen Bereich und ihre Bedeutung für den Lebenslauf von Individuen (vgl. Klein, 2012, S.15). Sie fokussiert sich hierbei jedoch auf den Lebensabschnitt, der nach der Adoleszenz folgt und befragt mittels qualitativen Interviews Erwachsene Fans von dem Musiker Bruce Springsteen (vgl. ebd.). Kleins Ziel war es, zu belegen, dass Individuen eine Kompetenz entwickeln können, die es ihnen möglich macht, Vorbilder positiv für ihr Leben zu verwerten (vgl. ebd.). Sie fand heraus, dass diese Vorbildkompetenz mit dem Erwachsenenalter vollständig erworben ist, es demnach Erwachsenen also möglich ist, sich Vorbilder für das eigene Leben nützlich zu machen (vgl. ebd.) Sie beschreibt zudem, dass „Voraussetzung für die erfolgreiche Nutzung des medialen Vorbildes in dieser Form [...] eine Interaktion, innerhalb derer das Individuum eine Beziehung zum medialen Vorbild aufbaut“ ist (Klein, 2012, S.322).
Mediale Vorbilder nehmen an Präsenz in Studien zu: In der Befragung vom Human Brand Index 20163 landete beispielsweise der YouTuber Lefloid unter den beliebtesten zehn Vorbilder der Generation Y4. Auch die schweizerische JAMES Studie belegt diesen Befund. So heißt es hier: „Neue Phänomenen werden im jugendlichen Medienalltag wichtig, so zum Beispiel die Bedeutung von YouTube-Stars, die für die Jugendlichen zu Vorbildern und Brennpunkt von Fankultur werden.“ (Waller et al., 2016, S.3).
In der aktuellen Shell-Studie (2019) werden neben YouTubern auch Influencer als neue mediale Vorbilder genannt: „Influencer können für Jugendliche aller Altersgruppen Vorbilder sein“ (Albert et al., 2019, S. 33). Auf genauere Gründe oder Motivationen wird hierbei jedoch nicht eingegangen. Diesbezüglich ist die sozialwissenschaftliche Forschung noch nicht weiter vorangeschritten: Es gibt bisher fast keinerlei Studien, Forschungen oder Veröffentlichungen, die sich ausschließlich mit neuen Phänomenen von medialen Vorbildern wie YouTubern oder Influencern beschäftigen. Hier soll diese Forschungsarbeit greifen und ein Desiderat teilweise schließen.
Die Bereiche Film und Musik wurden in Hinblick auf mediale Vorbilder bereits umfänglicher untersucht (z.B. Wegener 2008 oder Klein 2012). Forschungen über mediale Bezugspersonen aus dem Internet oder insbesondere aus sozialen Medien wurde bislang nicht ausreichend Aufmerksamkeit innerhalb der medienpädagogischen und sozialwissenschaftlichen Forschung geschenkt. In dieser Arbeit soll sich deshalb ausschließlich auf Influencer als mediale Vorbilder in dem sozialen Netzwerk Instagram konzentriert werden. Dadurch wird die große Bandbreite der medialen Vorbilder von Jugendlichen nicht nur eingegrenzt, sondern auch ein Forschungslücke geschlossen.
2.2 Bedeutung von Vorbildern für Jugendliche
Nachdem der Begriff Vorbilder nun näher beschrieben und abgrenzt wurde, stellt sich nun die Frage, wieso Menschen überhaupt Vorbilder brauchen und welche Funktionen man ihnen bei genauerer Betrachtung zuschreiben kann.
Im Laufe des Lebens bewundern Individuen immer wieder andere Menschen und machen sie zu ihren Vorbildern (vgl. Matz, 2005, S. 17). Wie in der Definition des Begriffs Vorbild bereits angeklungen ist, regen Vorbilder zur Identifikation und Nachahmung an. Sie sind Leitbilder und unterstützen das Individuum in seiner Entwicklung: „Somit fungiert das Vorbild nicht als Substitut für die Wünsche des Rezipienten, sondern als Transport- bzw. Hilfsmittel, um diese rascher und effektiver zu erreichen.“ (Klein, 2013, S. 19). Vorbilder geben einen Weg vor, um ein persönliches Ziel zu erreichen und liefern Vorstellungen für die eigene Lebensentwicklung (vgl. Eggert, 2018, S.4). Meist wird an einem Vorbild nicht die Gesamtperson betrachtet, sondern nur bestimmte Werte, Eigenschaften und Normen fokussiert, die das Individuum in seiner aktuellen Situation als positive und nachahmungswürdige Orientierungshilfe für seine Entwicklung sieht. Relevant ist hierbei, dass diese Werte und Eigenschaften meist erreichbar und lebensnah für das Individuum sind und nicht wie bei einem Idol oder Star ausschließlich unmögliche Träume, Erfolge und Talente sind (vgl. Klein, 2013, S.19).
In allen Phasen der Sozialisation spielen Vorbilder eine Rolle. Je nach Lebenslage, Entwicklungsphase und Situation orientiert sich das Individuum an unterschiedlichen Bezugspersonen und stellt somit unterschiedliche Ansprüche an sein Vorbild (vgl. ebd.). Was in der Kindheit oder Adoleszenz noch als Vorbild galt, wird im Erwachsenenalter durch ein anderes ersetzt. Je nach Lebensabschnitt, können Vorbilder demnach unterschiedliche Bedeutungen für das Individuum und seine Entwicklung haben (vgl. Eggers, 2018, S.4). In dieser Arbeit soll es dezidiert um die Jugendphase des Individuums gehen. Um für diesen Lebensabschnitt die Bedeutung von Vorbildern herauszustellen, muss sich im Folgenden umfänglich mit dieser Phase beschäftigt werden.
2.2.1 Die Phase der Adoleszenz
Für die Phase der Adoleszenz gibt es keine eindeutigen und allgemein geltenden Altersgrenzen. Das liegt daran, dass die Lebenswelten von Jugendlichen sehr divers sind und jedes Individuum eine eigene Entwicklung hat, die unterschiedlich lang oder kurz ausfallen kann (vgl. Baacke, 1991, S.39). Das Jugendschutzgesetz beispielsweise bezieht sich auf 14- bis 17-Jährige. Mit Vollendung des 18. Lebensjahrs gilt man laut des Gesetzes nicht mehr als Jugendliche Person (vgl. Jugendschutzgesetz, 2002). Die JIM-Studie grenzt Jugend im Alter von 12 bis 19 Jahren ein (vgl. mpfs, 2019). Erik Erikson, einer der relevantesten Identitätstheoretiker (1995) schränkt das Jugendalter auf 12 bis 18 Jahre ein und beschreibt es als Stufe zwischen dem Schulkind-Dasein und dem jungen Erwachsenen. Wieder andere Wissenschaftler sehen komplett davon ab Begrenzungen für diese Lebensphase festzulegen (vgl. Wegener, 2008, S.35). Je nach Gesellschaft, Kultur und Individuum werden Lebensphasen unterschiedlich eingegrenzt und durch Institutionen wie Kindergarten und Schule verortet (vgl. Baacke, 1991, S. 45).
Generell steht die Jugend für eine Übergangsphase ins Erwachsenenalter: Jugendliche sehen sich noch nicht als Erwachsene, wollen aber auch nicht mehr als Kind betrachtet werden (vgl. Matz, 2005, S.87). Das jugendliche Individuum wählt erstmals seinen eigenen Lebensweg und nimmt dabei gesellschaftliche und soziale Rollen ein (vgl. Habermas, 2007, S. 363). Es ist eine Zeit der Entwicklung, in der sich Heranwachsende entfalten, gewisse Qualifikationen entwickeln und Herausforderungen meistern müssen (vgl. Luedtke, 2018, S. 205f.). In dieser Phase wird der Mensch mit verschiedenen Herausforderungen, Widersprüchen und Erwartungen konfrontiert, die Verunsicherungen mit sich bringen. Dabei wird die Identitätskonstruktion als übergeordnete Aufgabe angesehen. „Wenn nicht alles täuscht, ist also die Jugendzeit eine Periode, in der sich in Sachen Identität Entscheidendes ereignet.“ (Baacke, 1991, S.179). Dazu gehört die berufliche, politische und sexuelle Orientierung sowie die biologische und emotionale Reifung (vgl. Hoffmann, Wegener, 2018, S.231). Die Ablösung vom Elternhaus, um Eigenständigkeit und Unabhängigkeit zu erlangen, ist ein typischer Vorgang in diesem Lebensabschnitt (vgl. Matz, 2005, S.87).
Gleichaltrige, die sogenannte Peergroup, spielen eine große Rolle in dieser unbeständigen Zeit: Hier finden Jugendliche einen Rückzugsort ohne Eltern, bei dem sie sich mit Gleichgesinnten austauschen können. Aber auch Vorbilder helfen Jugendlichen bei Verunsicherungen und Fragen, die in dieser Entwicklungszeit aufkommen. „Ohne Leitfiguren wissen sie [Jugendliche] nicht einmal, in welche Richtung sie sich entwickeln können“ (Veitshans, 2006, S. 3). Jugendliche wählen oftmals ihre Vorbilder so aus, dass auch die Abgrenzung vom Elternhaus beschleunigt wird, indem die Eltern provoziert werden (z.B. durch eine besonderen Kleidungsstil, Musikgeschmack etc. der von dem Vorbild ausgeht) und die Verehrung des Vorbilds nicht nachvollziehen können: „Die Eltern verstehen ihre Kinder nicht mehr und genau darauf legen es diese an. Jugendliche verdeutlichen mit diesem Verhalten die Suche nach der eigenen Identität“ (Matz, 2005, S.88). Die Abgrenzung vom Elternhaus durch bestimmte Vorbilder ist also eine Rolle die Vorbilder in der Adoleszenzphase für Jugendliche einnehmen können.
In der Jugend steht die Arbeit an der eigenen Identität im Vordergrund. Identität ist ein komplexes Konstrukt. Zur Identitätsentwicklung gibt es bereits eine große Bandbreite an diversen theoretischen Auseinandersetzungen, die im Folgenden kurz benannt werden, um einen Überblick zu geben.
Sigmund Freund entwickelte in den Anfängen der Identitätstheorie ein historisches Modell und leitete die Psychologie in eine „ich-psychologische Forschungsrichtung“ (Gödde, 2010, S.24). Daran angeknüpft beschäftigte sich der Psychoanalytiker Erik Erikson in den 1950er Jahren und prägte den Begriff der Ich-Identität weiter und entwickelte ein Stufenmodell, das jede Phase der Entwicklung umfasst (vgl. Erikson 1973). Auch Habermas beschäftigte sich genauer mit der Ich-Identität (vgl. Habermas, 2007). George Herbert Mead (1995) setzte sich explizit mit Identität und dem Selbst aus der Perspektive des Sozialbehaviorismus auseinander. Der Soziologe Erving Goffmann (1967) fokussierte sich auf beschädigte Identitäten und entwickelte Techniken zur Bewältigung dieser. Zudem stellte er die Selbstdarstellung der eigenen Identität in Verbindung mit einem Theaterspiel dar (vgl. Goffmann, 1969). Bei Mead und Goffmann steht zudem jeweils die Interaktion zwischen Individuen im Vordergrund. Neben der sozialen Identität wird auch die kollektive Identität von Theoretikern der sozialen Bewegung benannt und hervorgehoben (vgl. Straub, 2018, S. 179). Heiner Keupp prägte zudem den Begriff der „Patchworkidentität“ in Abgrenzung zum Konzept von Erikson. Hierbei liegt der Fokus auf der Prozesshaftigkeit der Identitätsarbeit (vgl. Keupp, 2009).
Im Folgenden wird sich nun mit einer Auswahl dieser Identitätskonzepte beschäftigt. Diese Auswahl bildet keinesfalls den vollständigen Beschäftigungsbereich von Jugendlichen und deren Identität ab, sondern fokussiert sich auf die relevantesten Theorien, welche in dieser Forschungsarbeit ihre Anwendung finden. Somit kann spezifischer begriffen werden, welche konkreten Aufgaben Vorbilder nun in dieser komplexen Lebensphase der Jugend übernehmen können.
2.2.2 Identität nach Erik Erikson
Ein besonders relevanter Vertreter mit einer richtungsweisenden Identitätstheorie ist Erik Erikson. Er begründete nach Freud die Anfänge von Identitätskonzepten. Der deutschamerikanische Lehrer und Psychoanalytiker vertritt grundsätzlich in seinem Identitätsmodell die Freudsche Theorie, erweiterte sie aber in vielen Aspekten und definierte gewisse Teile neu. Die ursprünglichen fünf Stufen der Identitätsentwicklung nach Freud ergänzt Erikson zu acht Stufen und betrachtete damit erstmals die Entwicklung der Identität über das Kindheitsalter hinaus und beschreibt deshalb auch das hier wesentliche Jugendalter (vgl. Erikson, 1995).
Eriksons acht Stufen oder auch Stadien sind jeweils verschiedenen Themen zugeschrieben, die der Mensch in seiner Entwicklung durchschreitet (vgl. Erikson, 1995, S. 72f.). Jede Stufe umfasst außerdem eine gewisse Aufgabe, die mit Beendigung dieser Phase abgeschlossen werden sollte. Wenn dies besonders gut gelingt, erlebt der Mensch hier eine gewisse psychologische Stärke und erreicht bestimmte Tugenden, die er mit in die nächste Entwicklungsstufe trägt. Erikson schreibt außerdem jeder Stufe eine optimale Zeit zu, in der sie abgehandelt werden sollte. Innovativ war in Eriksons Modell die gegenseitige Beeinflussung von Generationen. Damit ist beispielsweise gemeint, dass nicht nur Eltern ihre Kinder beeinflussen, sondern dass auch umgekehrt eine Einflussnahme stattfindet (vg. Erikson, 1995, S.85). Identität lässt sich nach Erikson also je nach unterschiedlicher Lebensphase - in welcher Entwicklungsstufe man demnach steckt - beschreiben. Das Subjekt ist dabei stets von seiner Umwelt beeinflusst. Erikson beschreibt Identität als „ein Gefühl des Individuums selbst“ (Mey,1999, S.26).
Für diese Forschungsarbeit ist die 5. Stufe nach Eriksons Modell entscheidend, mit welcher sich der Vertreter am ausführlichsten beschäftigt hat. Sie beschreibt die Phase der Adoleszenz, die mit der Pubertät beginnt und in etwa mit dem Erreichen des 19. Lebensjahres endet (vgl. Boeree, 2006, S.7). Die Entwicklungsaufgabe dieser Phase, die das Individuum meistern muss, ist eine Ich-Identität bzw. eine Erwachsenenidentität hervorzubringen (vgl. Habermas, 2007, S.365). Diese sogenannte Ich-Identität soll Fragen beantworten wie Wer bin ich? Wer bin ich nicht? Wo ist mein Platz in der Gesellschaft? (vgl. Boeree, 2006, S.8). Während dieser Phase experimentiert das Individuum dabei mit verschiedenen Rollen, um die eigene Identität zu finden und negativen Identitätsmustern zu entkommen. Wichtige Beziehungen während dieser Episode sind neben Rollenmodellen besonders die eigenen Gruppen (Peergroup) und deren Werteorientierung, sowie außerfamiliäre Figuren (vgl. Habermas, 2007, S. 365) und „Führer-Vorbilder“ (vgl. Erikson, 1973, S. 214). Erikson hebt für das Jugendalter die bewusste Identifikation mit außerfamiliären Figuren sowie Gruppen und deren Werteorientierung hervor (vgl. Habermas, 2007, S. 365). Hier klingt bereits die Orientierung an Vorbildern an, die aus dem Fernbereich des Individuums entstammen, um die es in dieser Forschungsarbeit gehen soll.
Wenn diese Phase von dem Individuum erfolgreich durchlebt wurde, ohne eine Identitätsdiffusion zu erleiden, werden die Tugenden der Treue, Loyalität und Glaubwürdigkeit erlangt. Der Platz innerhalb der Gesellschaft sowie die eigene Identität wurden gefunden. Allerdings kann auch genau das Gegenteil passieren: Das Individuum kann durch eine Fülle an entscheidungszwingenden, neuen Erlebnissen und Verpflichtungen einen Zusammenbruch der Identität erleiden (vgl. Erikson, 1973, S.214). Das Individuum schafft es dadurch nicht, seine neue Identität zu übernehmen und sich damit zu identifizieren (vgl. Habermas, 2007, S.365). Wird vor den Entscheidungen und Verpflichtungen zurückgeschreckt und ihnen lediglich ausgewichen, so kann es zu einem Gefühl der Isolierung und der Zurückweisung kommen (vgl. Erikson, 1973, S. 155). Ein weiterer Ausgang der Stufe der Adoleszenz könnte das Adaptieren einer negativen Identität sein, die beispielsweise durch Kriminalität geprägt ist (vgl. Habermas, 2007, S.365f.).
In folgender Abbildung sind die Aufgaben und Herausforderungen in der Phase der Adoleszenz noch einmal zusammengefasst. Die psychosoziale Krise des Individuums ist dabei die Ich-Identität zu finden und keine Rollenverwirrung zu erleiden. Wichtige Beziehung sind dabei Peers und Rollenmodelle. Psychosoziale Modalitäten sind in der Phase der Adoleszenz man selbst zu sein und sich zu teilen. Die Tugend, die das Individuum gewinnen kann, sind Treue und Loyalität. Mögliche Fehlanpassungen und Malignitäten wären Fanatismus oder Zurückweisung.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 2 Tabelle adaptiert nach Eriksons Identität und Lebenszyklus, 1959 (Psychological Issues vol 1, #1), Quelle: Boeree, C. G. (2006).
Für diese Forschungsarbeit ist es interessant herauszufinden, zu was Influencer als Vorbild dem Individuum in der fünften Entwicklungsstufe nach Erikson verhelfen: Unterstützen sie die Entwicklung der Ich-Identität? Fördern sie eine negative Identität? Können sie eine Identitätsdiffusion verhindern? Ähnliche Fragen und Ansätze werden sich im Leitfaden für die Interviews mit Jugendlichen wiederzufinden sein.
2.2.3 Adoleszente Identität nach Marcia
Eriksons Stufenmodell wurde von dem kanadischen Psychologen James E. Marica weiterentwickelt. Marcia machte als einer der Ersten den Versuch, adoleszente Identität und Entwicklung empirisch mittels Interviews zu erfassen (vgl. Habermas, 2007, S. 368). Dadurch bestimmte er vier Identitätsstatus, die auf Individuen in bestimmten Lebensbereichen zutreffen (vgl. Steinfort, 2010, S. 44). Diese vier Identitätszustände lassen sich über folgende Kriterien definieren: Erstes Kriterium ist dabei die Verpflichtung. Damit ist gemeint, ob sich das Individuum auf bestimmte Werte und Verbindungen festgelegt hat und sich diesen verpflichtet fühlt. Als zweites Kriterium führt Marcia Exploration, oder auch als Erkundung bezeichnet, auf. Darunter ist zu verstehen, dass sich das Individuum mit alternativen Werten und Zielen auseinandersetzt und diese erkundet. Anhand dieser Merkmale klassifiziert Marcia vier Identitätszustände, die je nach Ausprägung der Merkmale entstehen können (vgl. Marica, 1980, S.111) und benennt sie wie folgt: Identity Achievement (erarbeitete Identität), Foreclosure (übernommene Identität), Identity Diffusion (Identitätsdiffusion) und Moratorium.
Die erarbeitete Identität ist geprägt durch eindeutige, innere Verpflichtungen, aber auch durch beträchtliche Exploration (vgl. Marica, 1980, S.111). Das Individuum hat sich demnach also mit Alternativen zu seinen Werten und Zielen auseinandergesetzt und sich auf eine dieser Alternativen festgelegt (vgl. Habermas, 2007, S.368). Es ist gelungen, eine Entscheidungsphase zu erleben und selbst Entscheidungen zu treffen (vgl. Marica, 1980, S.111). Dieser Phase wird zudem die kritische Reflexion des äußeren Einflusses nachgesagt, durch die das Individuum letztendlich zu seiner eigenen Position gelangen konnte (vgl. Steinfort, 2010, S.46).
Die übernommene Identität stellt faktisch das Gegenteil zur erarbeiteten Identität dar: Zwar ist das Individuum hier auch auf bestimmte Wertevorstellungen festgelegt, jedoch sind diese nicht durch Reflektion und Alternativen entstanden, sondern von Bezugspersonen übernommen worden (vgl. Marica, 1980, S.111). Es erfolgt eine blinde Orientierung an Vorbildern aus dem Nahbereich (z.B. an den Eltern). Exploration ist demnach wenig ausgeprägt, die Verpflichtung jedoch vorhanden.
Die Identitätsdiffusion kam bereits bei Erikson 1978 zur Sprache. Hierbei mangelt es dem Individuum an festgelegten Werten und Exploration von Alternativen. Die Person kann keine genaue Richtung und Entscheidung festlegen und befindet sich demnach im Bezug auf die eigene Identität noch in der Schwebe (vgl. ebd.).
Bei dem Moratorium handelt es sich um einen ähnlichen Zustand. Dieser ist geprägt durch eine Identitätskrise (vgl. ebd.). Der Unterschied zur Identitätsdiffusion liegt hierbei jedoch innerhalb des Kriteriums Exploration: Das Individuum hat sich zwar mit verschiedenen und alternativen Werten auseinandergesetzt, konnte sich bisher jedoch noch auf keine Position festlegen (vgl. Steinfort, 2010, S.46). Wenn eine Entscheidung erfolgt, gelingt es der Person den Zustand der erarbeiteten Identität zu erreichen.
Besonders die Positionen der erarbeiteten und übernommenen Identität lassen sich auf den Gegenstandsbereich dieser Arbeit anwenden. Gemäß der Forschungsfrage stellt sich hier also die Frage, in welchem Bereich sich die befragten Jugendlichen einordnen lassen: Übernehmen sie Wertevorstellungen der neuen Vorbilder blind, wie bei der übernommenen Identität, oder reflektieren Jugendliche die Übernahme und Festlegung von Werten und Zielen und leisten kritische Identitätsarbeit? Zum Begreifen und Ergründen der neuen medialen Vorbilder in sozialen Netzwerken ist es interessant zu sehen, wie Jugendliche mit dem umgehen, was sie angeboten bekommen, und inwiefern sie einen kritisch-reflexiven Umgang mit Influencern als Vorbilder wahren. Dies wird im Leitfaden für die Interviews mit den Jugendlichen aufgenommen.
2.2.4 Symbolischer Interaktionismus: Identität durch Kommunikation
Der Soziologe und Psychologe George Herbert Mead setzte sich ebenfalls mit dem Begriff Identität auseinander. Mead beschäftigte sich damit, wie das Selbst innerhalb von sozialer Interaktion entsteht. Damit begründete er unter anderem die Anfänge des symbolischen Interaktionismus (vgl. Winter, 2010, S.82). Mead benannte diese Theorie jedoch nicht selbst: Sein Schüler Blumer führte 1937 den Begriff „symbolischer Interaktionismus“ ein (vgl. Mikos, 2008, S.156). Der symbolische Interaktionismus wird im Folgenden erläutert, um die Verbindung zwischen dieser Theorie und Identitätsbildung zu verdeutlichen und einen Bezug zu Jugendlichen herzustellen.
Die Interaktion zwischen Individuum und Gesellschaft steht im Zentrum des symbolischen Interaktionismus. Dabei werden Verständnis, Ordnung und Sinne ausgehandelt und das eigene Selbst bildet sich durch die Auseinandersetzung mit anderen Individuen aus (vgl. Winter, 2010, S.79). „Der symbolische Interaktionismus interessiert sich vornehmlich dafür, wie soziale Interaktionen zwischen Individuen vor sich gehen, wie im Handlungsprozess soziale Wirklichkeit durch die Handelnden konstruiert wird und wie Menschen ihre Identität entwickeln und ausbilden.“ (Reiger, 2007, S. 141). Damit bezieht sich die Theorie des symbolischen Interaktionismus zwar nicht zentral auf Identitätsbildung, erklärt diese aber als eine Art Auswirkung oder Folge aus Interaktion zwischen Individuen. Der Vorgang der Identitätsentwicklung geht laut Mead mit dem Vorgang der Kommunikation und sozialen Beziehungen einher. Er beschreibt es als einen „Prozess, aus dem sich die Identität entwickelt“ (Mead, 1995, S.207). Dabei wird von einem aktiv-handelnden Subjekt ausgegangen, welches seine Handlungen selbst verantwortet und in einer Wechselbeziehung zu seiner Umwelt steht. Dies geschieht durch Kommunikation. Voraussetzung dafür ist, dass ein gemeinsames Symbolsystem (Sprache) geteilt wird, damit die Kommunikation überhaupt möglich ist. Die Kommunikation zwischen zwei Personen ist zudem von Erwartungen geprägt, die an das Verhalten des Einzelnen gerichtet sind (vgl. ebd.)
Der Bezug vom symbolischen Interaktionismus zur Identitätsbildung wird im Folgenden deutlich gemacht: Wenn das Individuum in eine Interaktion mit anderen Menschen tritt, verlässt es seinen eigenen Blickwinkel und übernimmt die Ansicht seines Gegenübers. Somit betrachtet es sich selbst und wird sich dadurch seiner eigenen Identität bewusst. Es schlüpft in eine andere Rolle. Durch den Blickwinkel des anderen kontrolliert das Individuum seine eigenen Reaktionen und kann sich dadurch selbst gezielter steuern sowie gewisse Haltungen adaptieren. Das Individuum fängt an, sich selbst zu reflektieren und zu überdenken (vgl. Reiger, 2007, S.147). Hierbei kommen wir zu Meads Persönlichkeitstheorie: Durch diese Rollenübernahme gewinnt das Individuum an Einstellungen und Erwartungen, einen von der Gesellschaft bestimmten Teil der Identität. Diesen nennt Mead „me“. Als Gegenstück dazu gibt es noch das „I“. Hier reagiert das Individuum spontan, aus einem Impuls oder Reflex heraus und ist nicht ganzheitlich kontrollierbar. Die Identität verbindet sich aus diesen beiden Teilen, die in einem ständigen Dialog stehen, und kann nur mit beiden existieren (vgl. Reiger, 2007, S.149). Mead sieht Identitätsbildung als eine fortlaufende Entwicklung, welche beeinflusst wird durch Erfahrungen und Tätigkeiten. Er beschreibt Identität außerdem als ein eigenständiges Objekt, welches getrennt vom menschlichen Körper steht. Mead betont zudem, dass Identität sich nur durch Sprache und Interaktion bilden kann (vgl. Mead, 1995, S.177f.).
Da es in dieser Forschungsarbeit um die Plattform Instagram und die darin agierenden Bezugspersonen der Influencer gehen soll, muss Identität auch im Zusammenhang mit Medien gebracht und betrachtet werden. Aus Meads symbolischen Interaktionismus lässt sich demnach folgern, dass auch Medien die Kommunikationsmöglichkeiten beinhalten bzw. bei denen Kommunikation im Fokus steht, wie bei den meisten Social Media Angeboten, den Identitätsprozess fördern. Hier findet zwar keine face-to-face Kommunikation statt, jedoch mediale Interaktion, die keineswegs von Meads Theorie auszuschließen ist. Denn Mead sagt, dass Identität nicht an den menschlichen Körper gebunden ist. Somit funktioniert seine Theorie der Identitätsbildung auch im virtuellen Online-Raum und ist damit relevant für diese Untersuchung.
2.2.7 Banduras Lerntheorie: Lernen an Modellen
Neben der Identitätsbildung durch Aufgabenbewältigung wie bei Erikson oder durch Kommunikation wie bei Mead, gibt es noch lerntheoretische Ansätze zum Theoriespektrum der Identität. Die lerntheoretische Sicht des kanadischen Psychologen Albert Bandura ist für diese Arbeit besonders interessant. Hierbei wird die Bedeutung von Vorbildern für Heranwachsende und ihre Identität betrachtet. Bandura entwickelte dazu eine Theorie (1976): das Modelllernen. Dabei wird komplexes Verhalten nicht über klassische Lernprozesse erworben, sondern durch das Lernen am Modell. Diesen Prozess des Lernens benannte Bandura als sozial-kognitiven Lernprozess (vgl. Matz, 2005, S.73). Hierbei wird das Verhalten einer anderen Person, eines Modells, beobachtet und Verhaltensweisen schnell und wirksam übernommen (vgl. Bodemann et. al., 2004, S. 235). Der Lernende wird dabei als Beobachter bezeichnet (vgl. Matz, 2005, S.73). „Mit dem Lernen am Modell können komplexe Verhaltensweisen, wie etwa Bewegung, Mimik, Gestik, sprachlicher Ausdruck, Rollenverhalten oder Kleidung rasch durch sozialen Kontakt übernommen werden.“ (Hipeli & Süss, 2013, S.194).
Unterschieden wird bei der Theorie des Modelllernens nach Bandura in drei mögliche Lerneffekte: Neue Verhaltensweisen werden angeeignet, bereits vorhandene Verhaltensweisen werden verstärkt/abgeschwächt oder das Verhalten des Modells löst einen Reiz aus, der zur Handlung führt (vgl. Bandura, 1976, S. 115). Das Individuum kann dabei an realen oder symbolischen Modellen lernen. Reale Modelle sind leibhaftige, lebende Objekte, wohin gegen symbolische Modelle fiktive Figuren aus Filmen, Geschichten oder Märchen sind (vgl. Bodemann et. al., 2004, S.236f.). Des Weiteren gibt es Kompetenzmodelle und Bewältigungsmodelle. Bei ersteren wird dem Individuum aufgezeigt, wie es Probleme bewältigen kann, indem es sich in bestimmten Situationen angemessen und passend verhält. Bewältigungsmodelle zeigen ebenfalls Problemlösungen auf, jedoch hat hier das Individuum teil an der Erprobung von verschiedenen Lösungsversuchen und dem Prozess, der zur idealen Lösung führt (vgl. ebd., S.238).
Banduras Theorie besagt außerdem, dass Modelle, die gleichaltrig und gleichgeschlechtlich wie das Individuum sind, vermehrt imitiert werden. Je ähnlicher der Beobachter also dem Modell ist, desto größer ist das Imitationspotenzial (vgl. ebd., S. 239). Der Status des Modells spielt außerdem eine Rolle:
Personen mit einem hohen sozialen Status werden eher nachgeahmt, als Menschen mit gleichem oder niedrigerem sozialem Status. Das beobachtete Modell sollte Macht oder andere kontrollierende Merkmale auf den Beobachter ausüben können. Dem Beobachter ist bewusst, dass das Modell auch belohnen oder bestrafen kann. In diesem Aspekt äußert sich die Machtposition (Matz, 2005, S.73).
Zudem muss auch eine emotionale Beziehung zwischen dem Modell und dem Beobachter vorhanden sein. Je intensiver die Bindung ist, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit der Nachahmung (vgl. Matz, 2005, S.73).
Grundsätzlich gilt: Das Individuum muss motiviert sein und eine Lernbereitschaft aufzeigen, um am Modell lernen zu können (vgl. Bodemann et. al., 2004, S.240). Wenn dies gegeben ist, läuft der Prozess des Modelllernens wie folgt ab: In der Aneignungsphase gibt es den Aufmerksamkeitsprozess und den Gedächtnisprozess. Der Aufmerksamkeitsprozess beschreibt ein Verfahren, bei dem das Subjekt auf das Modell aufmerksam wird und sein Verhalten wahrnimmt. Der Gedächtnisprozess beschreibt dann die symbolische Kodierung der Handlungen, welche in bestehende Strukturen eingeordnet werden. Nach dieser sogenannten Aneignungsphase folgt die Ausführungsphase. Hier werden in motorischen Reproduktionsprozessen die grob- und feinmotorischen Fertigkeiten des Modells eingeübt und das Subjekt erhält Rückmeldungen über die Genauigkeit seiner Ausführungen. Durch diese Ausführungsphase soll sich das Modellverhalten bei dem Subjekt festigen und eine vollständige Nachahmung des Verhaltens ermöglichen. Ob die Manifestierung des Modellverhaltens möglich ist, lässt sich schwer voraussagen (vgl. Bodemann et. al., 2004, S.240).
Die Theorie des Modelllernens lässt sich beispielhaft auf den Gegenstandsbereich dieser Forschungsarbeit übertragen: Der Begriff der realen Modelle lässt sich auf den Begriff der Vorbilder übertragen, an denen das Individuum lernt. Dadurch, dass es drei mögliche Lerneffekte gibt, die alle das Verhalten des Subjekts auf bestimmte Art und Weise beeinflussen, lässt sich dieser Effekt auch auf die Identität beziehen. Denn Identität drückt sich auch im Verhalten des Einzelnen aus. Lernen am Modell ist folglich auch eine Art der Identitätsarbeit. Zudem wird bei den Modellen auch davon gesprochen, dass sie bei der Bewältigung von Problemen und schwierigen Situationen helfen und unterstützen können, wie es auch Vorbildern nachgesagt wird. Für diese Forschung ist es interessant diese Theorie innerhalb des Leitfadens einzubinden, um so herauszufinden, ob Influencer als Vorbilder ebenfalls Effekte des Modelllernens vorweisen und ob dadurch eine Manifestierung des vorgelebten Verhaltens der Influencer bei ihren Followern stattfindet. Auch ist es interessant zu sehen, ob die Imitation durch Ähnlichkeit zum Modell verstärkt wird. Dieses Forschungsinteresse findet sich ebenfalls in dem Leitfaden der Interviews wieder.
Wie bereits beschrieben kann der Beobachter an realen und symbolischen Modellen lernen. Zum Großteil findet das Lernen am Modell jedoch in den Medien statt: Hier findet der Beobachter eine Vielzahl an Identifikationsmöglichkeiten, die möglicherweise in seinem direkten Umfeld nicht zu finden sind (vgl. Hipeli & Süss, 2013, S.195). Die Theorie des Modelllernens lässt sich also auf mediale Vorbilder übertragen. Eins der bekanntesten und ältesten Vorbilder des Modelllernens ist an Goethes Roman „Die Leiden des jungen Werthers“ (1774) auszumachen: Nach der Veröffentlichung soll es eine Reihe an Selbstmorden gegeben haben, die dem Hauptcharakter Werther nachgeahmt haben (vgl. Hipeli & Süss, 2013, S. 196f.). Hierbei zeigt sich ein negativer Ausgang vom Lernen am Modell.
2.2.6 Die Patchwork-Identität
Der Sozialpsychologe Heiner Keupp beschäftigte sich mit der Identitätsentwicklung des Individuums in Abhängigkeit zu sozialgeschichtlichen Hintergründen. In diesem Zusammenhang prägt er den Begriff der „Patchwork-Identität“, welcher große Resonanz erhielt. Diese Begrifflichkeit beschreibt den Prozess der alltäglichen Identitätsarbeit. Entgegen ursprünglicher Annahmen wie in Eriksons Modell, beschreibt Keupp Identität als eine lebenslange Aufgabe und einen dauerhaften Prozess (vgl. Kraus, 2003, S.1). Keupp kritisiert das lineare Stufenmodell von Erikson, da am Ende dieses Ablaufmodells eine gefertigte Identität entsteht bzw. stehen sollte (vgl. ebd.). Das Subjekt muss laut Keupp aber dazu fähig sein, seine Identität immer neuen Veränderungen und Gegebenheiten anzupassen. Dies ist unmöglich, wenn in einem Idealzustand der Identität verweilt wird (vgl. ebd.). „Als gesellschaftliche Normalform ist weniger ein integriertes und einheitliches Identitätssystem zu erwarten, sondern eher ein "Patchwork" von unterschiedlichen 'Teilidentitäten', die unterschiedlichen Eigenlogiken folgen.“ (Kraus, 2003, S.1). Die Patchwork-Identität beschreibt demnach den Prozess der Arbeit an der eigenen Identität und nicht das Ergebnis der Identitätsarbeit (vgl. Keupp, 2009).
Die Metapher des „Patchworks“ steht in Keupps Modell für einzelne Fragmente an Erfahrungen. Diese werden in Zusammenhang gebracht und durch Identitätsarbeit zu einem großen Flickenteppich vereint (vgl. Keupp, 2009, S. 296f.). Die Arbeit an diesem sogenannten Flickenteppich ist aktiv und stetig und erfordert eine hohe Eigenleistung des Individuums: „In ihren Identitätsmustern fertigen Menschen aus den Erfahrungsmaterialien ihres Alltags patchworkartige Gebilde und diese sind Resultat der schöpferischen Möglichkeiten der Subjekte.“ (ebd., S.297). Keupp geht damit auch von einem aktivhandelnden Subjekt aus ganz im Sinne der reflexiv-praktischen Medienpädagogik.
Das Individuum muss seine inneren und äußeren Welten anpassen. Keupp beschäftigte sich in diesem Sinne nicht damit, was für eine Identität entsteht, sondern wie die Identitätsarbeit stattfindet und woher die einzelnen Flicken des Patchworkes entspringen. Dafür benennt Keupp Ressourcen, die nötig sind, um selbstbestimmte und aktive Identitätsarbeit zu leisten. Dies sind materielle und soziale Ressourcen, sowie Erfahrungen der Zugehörigkeit, Anerkennung, Lebenskohärenz5, Moralvorstellungen und zivilgesellschaftliche und interkulturelle Kompetenzen (vgl. Keupp, 2009, S.297f.). Es würde den Rahmen dieser Forschungsarbeit überschreiten, wenn jede Ressource umfänglich erklärt werden würde. Relevant aus Keupps Identitätstheorie für diese Forschung ist daher hauptsächlich folgender Grundgedanke: Identität ist ein fortlaufender Prozess, an dem das Individuum aktiv, selbstbestimmt und stetig arbeitet. Die Identität setzt sich aus einzelnen und verschiedenen Erfahrungsfragmenten des Individuums zusammen. Hierbei lässt sich eine Verbindung zu dem Nutzen von Vorbildern für die eigene Entwicklung ziehen: Wenn sich Individuen an anderen Figuren, Rollen und Menschen orientieren, werden dabei Eigenschaften, Ansprüche oder Werte die als nachahmenswert wahrgenommen werden, adaptiert. Die Erfahrungsfragmente, die Keupp also als Bestandteil der Identitätsarbeit beschreibt, können demnach folglich einzelne Eigenschaften und Merkmale von Vorbildern sein, die das Individuum in seine Patchwork- Identität einfließen lässt. Auch geben Medien dem Individuum diverse Identitätsaspekte vor, die es für seine Identitätsarbeit verwendet. „In diesem patchworkartigem Identitätsarbeitsprozess kommt Medien eine vornehmliche Funktion zu.“ (Ganguin, Sander, 2008, S. 422). Welche Rolle Medien genau im Identitätsprozess insbesondere von Jugendlichen spielen, wird unter Punkt 2.3 erläutert.
2.2.7 Zwischenfazit
Betrachtet man nun zusammenfassend die Bedeutung von Vorbildern in der Phase der Adoleszenz lässt sich Folgendes festhalten: Vorbilder unterstützen Jugendliche in einer komplizierten Phase dabei, ihre eigene Ich-Identität zu entwickeln (vgl. Erikson, 1973). In dieser Phase müssen Jugendliche selbstständig werden und sich beruflich, sexuell und emotional entwickeln und reifen. Vorbilder unterstützen bei diesen Herausforderungen dadurch, dass sie Orientierung und Rollenmodelle anbieten und vorgeben. Durch Vorbilder können Jugendliche verschiedene Rollen ausprobieren und so herausfinden, was ihrer eigenen Identität entspricht (vgl. Erikson, 1973). Sie sind richtungsweisend und zeigen den Jugendlichen verschiedene Wege auf, die sie durch ihren Nahbereich nicht kennen. Jugendliche können sich während ihrer Identitätsarbeit an verschiedenen Erfahrungsfragmenten bedienen (vgl. Keupp, 2009), die sie durch Vorbilder erleben und erfahren können. Außerdem können sich Jugendliche durch die Wahl ihres Vorbilds einerseits noch ausdrücklicher von ihrem Elternhaus abgrenzen, andererseits aber auch die Verbindung mit der Peergroup stärken (vgl. Erikson, 1973). Durch das Lernen an Modellen, also an Vorbildern, können Jugendliche verschiedene Verhaltensweisen adaptieren, erproben und optimieren, bis sie einen Entwurf der eigene Ich-Identität geformt haben. Das Lernen durch Modellen, sprich Vorbildern, erfolgt schnell und besonders effektiv, wenn Modell und Beobachter sich ähneln (vgl. Bandura, 1976).
Vorbilder helfen Jugendlichen und unterstützen diese, dabei jeweils eine eigene Identität zu finden und die Phase der Adoleszenz erfolgreich abzuschließen, ohne in einer Identitätsdiffusion zu enden (vgl. Erikson und Marcia). Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Identitätsarbeit damit abgeschlossen ist, da es keinen Endpunkt oder Idealzustand der Identität gibt (vg. Keupp, 2009). Weil die Modelle und Konzepte der Identitätsentwicklung sich dabei hauptsächlich auf klassische Vorbilder beziehen, stellt sich nun die Frage, ob neue Vorbilder, wie Influencer es sind, immer noch diese gleiche Art von Bedeutung für Jugendliche haben oder welche Bedeutung ihnen zuzumessen gilt.
Aus den hier dargelegten Konzepten und Theorien lassen sich bereits Fragen festhalten, die im Verlauf der Forschungsarbeit geklärt werden sollen und bei der Beantwortung der Forschungsfrage helfen. In Bezug auf Eriksons Modell wird die Frage aufgeworfen, ob Influencer-Vorbilder bei der Entwicklung der Ich-Identität richtungsweisend sind, und ob sie bei dem Durchleben der Stufe der Adoleszenz eine Unterstützung sind. Nach Marcias Konzept stellt sich demnach die Frage, ob Jugendliche bei neuen Vorbildern wie Influencern die Identität schlicht übernehmen oder wie Keupp es beschreibt, sie sich die Identität aktiv aus Einzelteilen erarbeiten. Werden diese neuen Vorbilder reflektiert und kritisch betrachtet? Meads Theorie bezieht sich auf die Entwicklung der Identität durch Kommunikation. Hierbei ist es interessant herauszufinden, wie die Kommunikation und Beziehung zwischen Jugendlichen und Influencern wahrgenommen wird. In Bezug auf Banduras Modelllernen kann untersucht werden, welchen Effekt das Lernen von Influencern als Vorbild hat: Werden neue Verhaltensweisen angeeignet, bereits vorhandene Verhaltensweisen verstärkt oder abgeschwächt? Führt das Verhalten des Modells durch einen ausgelösten Reiz zu einer Handlung?
Diese Punkte werden im Leitfaden für die Interviews mit den Jugendlichen aufgegriffen und dienen der Beantwortung der Hauptforschungsfrage „Inwiefern sind Influencer auf Instagram Vorbilder für Jugendliche?“
2.3 Medienalltag von Jugendlichen
Neben Familie, Gleichaltrigen, Schule oder Arbeit sind auch Medien ein entscheidender Faktor bei der Bewältigung von Alltag und Identitätsentwicklung der Jugendlichen. „Es sind die Medien, die den Stoff besorgen aus dem Individualität gemacht wird.“ (Baacke, 1991, S. 47). Sie bieten diverse Eigenschaften und Materialien an, die besonders Jugendliche in der Herausbildung ihrer Identität unterstützen. Wissen, Einstellungen, Verhalten, Werte und Normen werden transportiert, die sich das Subjekt bei Bedarf und Interesse aneignen kann (vgl. Schorb, 2014, S. 173).
Der Alltag von Jugendlichen ist stark geprägt durch Medien, da sie in einer komplexen Medienumgebung aufwachsen (vgl. Krotz, Lampert & Hasenbrink, 2007, S. 331). „Jugendliche eignen sich Inhalte medienübergreifend an und bewegen sich in konvergenten Mediennetzen“ (Schorb, 2014, S.174). Welche Medien sie aktiv nutzen, hängt jedoch von ihren Interessen und Motivationen und nicht zuletzt von dem Zugang, der ihnen ermöglicht wird, ab (vgl. Krotz, Lampert & Hasenbrink, 2007, S. 331). Laut der JIM-Studie von 2019 besitzen bereits 95 Prozent der befragten Jugendlichen ein Smartphone, 71 Prozent besitzen einen Computer oder Laptop, 50 Prozent besitzen einen Fernseher (vgl. mpfs, 2019, S.7).
Bei der Nutzung von Medien entstehen gängige Rituale, die in einer Phase geprägt von Krisen, Unbeständigkeit und Brüchen ein Gefühl von Sicherheit, Vertrautheit und Ordnung für die Heranwachsenden bieten (vgl. Schorb, 2014, S.176). Neben dieser Sicherheit können Medien dabei helfen Entwicklungsaufgaben zu meistern (vgl. Krotz, Lampert & Hasenbrink, 2007, S. 331), indem sie einen Erfahrungsraum und eine Orientierungsquelle für Jugendliche anbieten (vgl. Schorb, 2014, S. 178).
Die JIM Studie zeigt, dass besonders soziale Medien bei Jugendlichen eine besondere Beliebtheit genießen: Das Internet sowie das Smartphone sind die meistgenutzten Medien von Jugendlichen im Alter von 12 bis 19 Jahren. Dabei gelten als beliebteste Anwendungen YouTube, WhatsApp und Instagram (mpfs, 2019, S.13). Diese sogenannten neuen Medien6 sind für Jugendliche von Bedeutung, da sie sehr präsent in den Alltag eingegliedert sind und Verbindungen zur Peergroup bieten (vgl. Krotz, Lampert & Hasenbrink, 2007, S. 333). Hierbei steht die Kommunikation und der Austausch mit anderen im Vordergrund (vgl. ebd.). Bei den wichtigsten Apps belegt WhatsApp den ersten Platz, gefolgt von Instagram. YouTube landet hier nur auf dem dritten Platz (vgl. mpfs, 2019, S. 28). Diese Forschungsarbeit betrachtet ausschließlich die Anwendung Instagram, um die Auswahl einzugrenzen. Instagram zählt zu den soziale Medien. Im nächsten Kapitel wird dezidiert auf Identität und soziale Medien eingegangen.
Bei der alltäglichen Nutzung von Medien sind Jugendlichen unzähligen Angeboten und Informationen ausgesetzt. Um dabei herausfiltern zu können, was wirklich relevant und nützlich für das eigenen Leben ist, bedarf es an einer gewissen Kompetenz: Der Medienkompetenz (vgl. Glotz, 1999, S. 20).
Sie umfasst die Wissensbestände über Medien, sowie die Fähigkeit, Medien souverän bedienen, kritisch beurteilen und kreativ gestalten zu können. Sie kann eigenständig im Rahmen von Selbstsozialisationsprozessen erworben werden, sie wird aber auch mit Hilfe medienpädagogischen Handelns in formalen wie nonformalen Bildungssettings gefördert. (Hugger, 2008, S.93).
Der Erziehungswissenschaftler Baacke beschäftigte sich besonders intensiv mit dem Begriff der Medienkompetenz und führte ihn in den 90er Jahren als Bestandteil der kommunikativen Kompetenz ein. In Baackes Konzept wird das Individuum als aktiv und handlungsorientiert betrachtet. Er erarbeitete vier Dimensionen, die die Begrifflichkeit Medienkompetenz umfasst: Medienkritik, Medienkunde, Mediennutzung und Mediengestaltung (vgl. Baacke, 1999, S.19). Innerhalb der Medienkritik kann das Individuum Prozesse analytisch erfassen und reflexiv durch Nachdenken und Unterscheiden auf sich selbst beziehen (vgl. Hugger, 2008a, S.94). Die Medienkunde umfasst Wissen über Inhalte, Mechanismen und Systeme der Medien. Mediennutzung sieht ein Individuum vor, welches Medien nicht nur rezipieren kann, sondern auch selbst herstellen kann (vgl. Baacke, 1999, S.19). Die Mediengestaltung geht darüber hinaus und beschreibt innovative und kreative Arten, die Medien weiterzuentwickeln (vgl. Hugger, 2008a, S.94). Diese vier Aspekte umfasst laut Baacke (1999) der Begriff der Medienkompetenz. In einer medienpädagogischen Forschungsarbeit wie dieser muss demnach auch dahin gehend geforscht werden, inwieweit die Medienkompetenz der Forschungssubjekte vorhanden und ausgeprägt ist. Dies ist besonders dann notwendig, wenn dem Forschungsgegenstand (Influencer als Vorbilder) bisher noch wenig aufmerksam in der Forschung geschenkt wurde. Als eine neue, potenzielle Art von Vorbildern aus dem medialen Bereich ist es hierbei besonders interessant zu untersuchen, inwiefern Jugendliche diese neue Form der Vorbilder kritisch reflektieren können, da sich Jugendliche ihre Wirklichkeit aus den Medien aneignen. Aus den Ergebnissen können anschließend Modelle zur Vermittlung von Medienkompetenz für diesen spezifischen Fall entwickelt werden.
2.3.1 Soziale Medien und Identität
Unter dem Begriff soziale Medien oder auch Social Media fallen diverse Unterformen. So lassen sich Online-Communities, Netzwerkplattformen, Multimediaplattformen, Webblogs, Microblogs, Instant-Messaging-Dienste und Wikis samt unter dem Begriff der sozialen Medien zusammenfassen. Ihnen gleich sind die folgenden Merkmale, mit denen sich der Ausdruck greifbarer machen lässt: Zum einen ist es möglich, diese Medien fast von überall aus mit einem (mobilen) Internet zu nutzen. Die Bedienung ist in den meisten Fällen sehr einfach. Es ist möglich ohne technisches Knowhow Informationen im Internet zu veröffentlichen, zu teilen oder zu bearbeiten. Folglich kann jeder Nutzer Bild-, Video-, Textoder Audioaufnahmen aller Art einem großen Publikum zugänglich machen, indem er sie in einem der sozialen Netzwerke online stellt. Einer der Hauptaspekte von sozialen Medien ist die Kommunikation: Vernetzung, Austausch und Konversation unter den Nutzern können schnell und einfach stattfinden (vgl. Schmidt, 2018, S.10ff.). Demnach lässt sich auch die App Instagram dem Begriff der sozialen Meiden zuordnen. Um diese Anwendung wird es in dieser Forschungsarbeit gehen. Sie wird im weiteren Verlauf genauer beschrieben.
Bei der Nutzung von sozialen Medien ist das Individuum mit Identitätsmanagement konfrontiert. Dabei muss es sich mit der eignen Identität auseinandersetzen und mit dem „Ich“ beschäftigen. Das Individuum stellt sich dabei die Frage „Wer bin ich?“ (vgl. Schmidt & Taddicken, 2017, S. 32). Zum Identitätsmanagement in sozialen Medien zählen alle Funktionen, bei denen das Individuum Aspekte und Informationen über sich selbst für andere zugänglich macht, wie beispielsweise beim Ausfüllen des Profils, Posten von Beiträgen oder Bildern (vgl. ebd.). Hierbei ist das Individuum mit der eigenen Identität konfrontiert.
Bei der Nutzung von sozialen Netzwerken entsteht zudem oft eine Online-Identität, die der Offline-Identität gegenübersteht. Die Offline-Identität beschreibt die Person und ihren Charakter im realen Leben. Die Online-Identität oder auch virtuelle Identität bezieht sich auf den Teil des Individuums, welcher sich ausschließlich online, wie in sozialen Netzwerken, abspielt und bildet (vgl. Kneidinger-Müller, 2017, S.11). In sozialen Medien ist es üblich, dass der Nutzer ein Profil von sich erstellen muss, um das Netzwerk nutzen zu können. Dementsprechend werden persönliche Informationen veröffentlicht und Identitätsmanagement findet statt. Ob diese Angaben jedoch der Wahrheit entsprechen oder fiktiv sind, lässt sich meist nur schwer überprüfen. Dies gibt dem Nutzer folglich die Möglichkeit, sich selbst frei zu erfinden und gewisse Veränderung an seiner OnlinePersönlichkeit vorzunehmen, die der Offline-Identität vielleicht nicht entsprechen und im realen Leben auch nicht so leicht umzusetzen sind. Der Nutzer stellt seine Identität nicht nur über das Ausfüllen seines Profils dar, sondern auch durch Äußerungen wie Posts, Kommentare oder andere Formen von schriftlichen Beiträgen, die für den Austausch mit anderen Nutzern, vorranging mit Peers7 sorgen (vgl. Kneidinger-Müller, 2017, S.11). Auch hierbei werden diverse persönliche Informationen geteilt, wie der Standort, Aktivitäten, Meinungen oder Interessen, die die Online-Identität formen. Durch das Teilen von Bildern, Videos und Fotos wird die virtuelle Identität einer Person erweitert. Hierbei sind Emotionsausdrücke und typische Verhaltensweisen erkennbar, die auf die Identität des Subjekts Rückschlüsse ermöglichen (vgl. ebd.).
Neben der gezielten Konstruktion der eigenen Identität spricht Kneidinger-Müller (2017) noch eine weitere Form an: Die Konstruktion der Identität durch Dritte. Durch das Reagieren anderer Nutzer, wie beispielsweise Peers, auf Beiträge in Form von Kommentaren, Reposts8 oder Likes werden weitere Informationen zur Identität hinzugefügt und ein soziales Konstrukt wird erkennbar. Jugendliche formen also ihre Online-Identität aktiv selbst, durch persönliche Angaben in Profil und Beiträgen, durch das Veröffentlichen von Bildern und Videos und durch die Interaktion mit Peers. Dabei kann die Online-Identität komplett der Offline-Identität entsprechen oder Unterschiede aufweisen. Das liegt beim Nutzer selbst, jedoch ist Authentizität und Glaubwürdigkeit in sozialen Netzwerken deutlich besser angesehen und häufiger vertreten als das Verbreiten von Falschinformationen über die eigene Person (vgl. Kneidinger-Müller, 2017, S.2). Erikson (1973) würde den Vorgang als „Experimentieren mit Rollen“ (S.150) bezeichnen. Jugendliche können so gewisse Handlungsvarianten in der Online-Umgebung testen und ihr Selbstkonzept für die reale Welt erproben und reflektieren (vgl. Schorb, 2014, S. 174). Wie die JIM-Studie von 2019 aufzeigt, ist die Nutzung von sozialen Medien für Jugendliche eine alltägliche Routine. Demnach sind sie täglich mit der Entwicklung der eigenen Online-Identität beschäftigt, ohne, dass dies offensichtlich für die Nutzer erscheint.
Der Hauptinhalt Kommunikation innerhalb der sozialen Medien stellt eine weitere Verbindung zur Identitätsbildung von Jugendlichen her. Wie bereits nach Mead (1995) beschrieben, entwickelt der Mensch sein Wesen erst durch Kommunikation mit anderen. Diese Interaktion passiert nicht immer nur face-to-face im realen Leben. Kommuniziert und in Interaktion getreten wird auch online, vorrangig in sozialen Netzwerken, die auch als Kommunikationsmedien bezeichnet werden (vgl. Schorb, 2014, S.175). Mead (1995) versteht Identität nicht in einer ständigen Verbindung mit dem Körper: Identität ist ein eigenes Objekt und kann demnach auch in virtuellen Räumen ohne Anwesenheit des Körpers existieren. Folglich formt das Nutzen von Social-Media-Angeboten und die Interaktion mit Anderen darin die eigene Identität.
Die Kommunikation innerhalb der sozialen Netzwerke findet unter Jugendlichen meist innerhalb der Peergroup statt. Beliebte Plattformen stellen für Heranwachsende einen virtuellen Treffpunkt für sich und ihren Freunden dar (vgl. Schorb, 2014, S. 178). In der Phase der Adoleszenz übernehmen hauptsächlich Peers die Sozialisationsfunktion (vgl. Schorb, 2014, S.176). Innerhalb der Gruppe können Heranwachsende mit ihren Freunden soziale Verhaltensweisen erproben, sich soziale Muster aneignen und auch Grenzen testen (vgl. ebd.). Außerdem prägen soziale Medien den Austausch unter Jugendlichen auch inhaltlich (vgl. ebd.): „Themen von Jugendlichen richten sich demnach nicht an den Medien aus, sondern zentrale Themen der entsprechenden Entwicklungsstufe werden mit Hilfe von Medien bearbeitet“ (Hedrich, Voß-Fertmann, 1999, S. 192).
Die Peergroup dient zudem als Maßstab zum Vergleichen. Nicht nur charakterlich vergleichen sich Jugendliche untereinander, sondern auch besonders optisch sind Peers ein relevanter Vergleichsmaßstab (vgl. ebd.). Hier gibt es in soziale Netzwerke besonders viele Möglichkeiten und Optionen für den Vergleich von äußeren Erscheinungsbildern: Apps wie Facebook, Instagram oder YouTube leben von Inhalten in Form von Bildern und Videos. Da online die eigene Identität zum Ausdruck gebracht werden soll, sind dies meist Bilder von sich selbst, wie zum Beispiel Selbstportraits. Allein das Profilbild, welches in fast allen Social-Media-Plattformen Hauptbestandteil und Augenmerk des eigenen Profils ist, ist Ausdruck der optischen Erscheinung und regt dadurch zum Vergleich an. „Im Wunsch und im Bedürfnis nach Beachtung und Anerkennung wird der Gestaltung der optischen >Außendarstellung< entsprechend viel Aufmerksamkeit und Gewicht geschenkt“ (Schorb, 2014, S.177). Auch sind soziale Medien Ausgangspunkt für neue Trends und bieten Inspiration zum Beispiel in Sachen Mode (vgl. ebd.). Sie verbreiten neue Stile und prägen „als Accessoires selbst das äußere Erscheinungsbild heute entscheidend mit“ (Schorb, 2014, S.178). Die Peergroup sind demnach ein wichtiger Bestandteil der Identitätsentwicklung von Jugendlichen.
Des Weiteren unterstützen Medien die Entwicklungsaufgaben der Jugend wie folgt: „Medien spielen zudem eine wichtige Rolle in der Abgrenzung von der Erwachsenenwelt; denn Jugendliche haben in Bezug auf Medien und Medientechnologie eigene Wissensstände und Nutzungserfahrungen, die von Erwachsenen oft nicht mehr verstanden werden“ (Hedrich & Voß-Fertmann, 1999, S.193). Somit wählen Jugendliche Plattformen und Anwendungen auch aus dem Grund aus, dass ihre Eltern diese vielleicht nicht kennen oder nicht verstehen und dem nach in diesen Räumen nicht vertreten sind.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Identitätsarbeit in Zusammenhang mit Medien stetig stattfindet und die Identität der Nutzer dauerhaft geformt wird. Soziale Medien bzw. Medien im Allgemeinen versorgen Menschen mit Identifikationsmöglichkeiten und stellen Entwicklungshelfer für die Identität dar (vgl. Hipeli & Süss, 2013, S.195).
Informationen, die wir aus dem Fernseher bekommen, werde für unseren Alltag relevant, beeinflussen unsere Einstellungen und Werte, liefern uns Rollenmodelle, lassen uns lachen oder weinen, regen die Kommunikation mit Partnern, Kinder, Freunden oder Bekannten an, führen zu Aktivitäten, bereichern unser Wissen und machen und klar, wo unsere Position in der Gesellschaft ist. (Mikos, Winter, Hoffmann, 2007, S. 7)
Zwar bezieht sich dieses Zitat von Mikos, Winter und Hoffmann ausschließlich auf den Fernseher, jedoch findet man denselben Effekt auch in Online-Medien: Auch hier werden Informationen, Unterhaltung und Werte vermittelt und angeboten, die adaptiert und imitiert werden. Soziale Medien bieten zudem eine höhere und buntere Vielzahl von diversen Rollenmodellen an als es in den Massenmedien gängig ist (vgl. Döring, 2018, S.20). Hier ist neben Mainstream-Modellen auch Platz für subkulturelle Themen wie beispielsweise LGBTQ9, Cosplay10 oder Sustainability11.
[...]
1 Wahrnehmungsverzerrung, bei der eine Frage unmittelbare Auswirkung auf die Beantwortung von nachfolgenden Fragen hat.
2 Die MLS Studie basiert auf der „Null Zoff - voll busy“ Studie und wurde 2003 von den Orientierungskursen Politik & Wirtschaft der Jahrgangsstufe 11 der Martin-Kuther-Schule in Marburg durchgeführt.
3 Befragt wurden hierbei 2.160 Menschen im Alter von 15 bis 29 Jahren.
4 Generation, die im Zeitraum der frühen 1980er bis zu den späten 1990er Jahren geboren wurde.
5 Ein Gefühl von Handhabbarkeit und Verstehbarkeit mit der Überzeugung, dass man sein Leben selbst gestalten kann.
6 Dazu zählen unter anderem Computer, Smartphones, Tablets und das Internet.
7 Mitglieder der Peergroup
8 Repost bezeichnet das erneute Hochladen oder Teilen eines Beitrags, welche bereits wo anders verfügbar ist.
9 Abkürzung aus dem englischsprachigen Raum, steht für: Lesbian, Gay, Bisexual, Transgender und Queer.
10 Cosplay ist eine Fanpraxis aus dem Bereich der Manga- und Animemedien.
11 Nachhaltigkeit
- Quote paper
- Larissa Bleckmann (Author), 2020, Mediale Vorbilder in sozialen Netzwerken. Inwiefern sind Influencer auf Instagram Vorbilder für Jugendliche?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1263540
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