Die Diplomarbeit widmet sich dem deutschen Messe- und Ausstellungswesen und hierbei insbesondere den messeinduzierten Wirkungszusammenhängen des Reiseverkehrs sowie der Unterkunftsproblematik zu Zeiten großer Messen.
Ziel der Arbeit ist es, in einer auf die Breite angelegten qualitativ-explorativen Herangehensweise die verschiedenen der Thematik zu Grunde liegenden Zusammenhänge aufzuzeigen, Handlungsempfehlungen zu erarbeiten und verschiedene über den bearbeiteten Rahmen hinausgehende Forschungsfragen zu formulieren.
Nach einer ausführlichen Vorstellung des Untersuchungsfeldes und der damit verbundenen Akteure wird zunächst herausgearbeitet, wie sich die Unterkunftssituation zu Messezeiten allgemein darstellt, und welche Wirkungsmechanismen hierbei identifiziert werden können. Zur Abgrenzung der Nachfrage wird die Entwicklung einer möglichen Kennzahl zum messeinduzierten Übernachtungsdruck diskutiert.
Aus der Unterkunftssituation ergeben sich in einem nächsten Schritt direkte Auswirkungen auf das Buchungsverhalten von Messeausstellern und Besuchern, so dass diesem Bereich – mit Betonung räumlicher Aspekte – ein weiterer Teil der Arbeit gewidmet ist.
Schließlich noch stellt die organisatorische Dimension der Unterkunftsvermittlung einen wichtigen Teilbereich der Untersuchung dar. Wie gezeigt wird, binden sich Messegesellschaften häufig partnerschaftlich an externe Zimmervermittler oder übernehmen die Vermittlung gar in Eigenregie. Die hier zu verfolgende Frage ist es, warum und in welcher Weise von Veranstalterseite auf den Komplex der Unterkunftsvermittlung Einfluss genommen wird, und welche Erfolgsfaktoren bei verschiedenen Konstellationen und Lösungsansätzen identifiziert werden können. Um die hierbei gefundenen Zusammenhänge ausreichend fundieren zu können, wird jedoch zunächst die Bedeutung der Unterkunftssituation für die messebezogenen Geschäftsparameter der primären Akteure der Messewirtschaft diskutiert.
Für die theoretische Interpretation zentraler Ergebnisse der Arbeit wird mit der Netzwerktheorie ein Ansatz gewählt, der die Interdependenzen der Akteure und Sachverhalte der Thematik hervorhebt.
Inhaltsverzeichnis
VORWORT
ABBILDUNGSVERZEICHNIS
TABELLENVERZEICHNIS
ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS
1 EINFÜHRUNG UND METHODISCHES VORGEHEN
1.1 EINFÜHRUNG IN DIE THEMATIK UND ZENTRALE FRAGESTELLUNGEN
1.2 METHODIK UND FORSCHUNGSDESIGN
1.3 EINORDNUNG DER ARBEIT IN DEN THEORETISCHEN KONTEXT DER GEOGRAPHIE
2 THEORETISCHE UND PRAKTISCHE GRUNDLEGUNGEN
2.1 EINFÜHRUNG IN DAS MESSEWESEN UND DEN MESSEBEZOGENEN REISEVERKEHR
2.1.1 Wesen, Funktionsweise und Eckdaten des deutschen Messewesens
2.1.2 Spezifika des Messetourismus und touristische Bedeutung von Messen
2.1.2.1 Abgrenzung und theoretische Einordnung
2.1.2.2 Zahlen und Fakten
2.1.2.3 Allgemeine Zusammenhänge und Besonderheiten
2.2 ZENTRALE AKTEURE DES UNTERSUCHUNGSFELDES UND ERSTE ZUSAMMENHÄNGE
2.2.1 Messegesellschaften und Veranstalter
2.2.2 Städtische Anteilseigner und die Organe der Tourismus- und Standortförderung
2.2.3 Die ausstellende und besuchende Wirtschaft
2.2.4 Die Hotellerie
2.3 DIE MESSE ALS NETZWERK
2.3.1 Einführung in die Netzwerktheorie
2.3.2 Das Netzwerk „Messe“
2.3.3 Stakeholder-Ansatz: Die Anspruchsgruppen der Messekoalition
3 DIE UNTERKUNFTS- UND PREISSITUATION ZU MESSEZEITEN
3.1 EINFÜHRUNG UND HINTERGRÜNDE
3.1.1 Allgemeines
3.1.2 „Messepreise“ und das Problem der Quantifizierung
3.1.3 Einflussfaktoren und Zusammenhänge der Angebotsseite
3.1.3.1 Zur Saisonalität der Preisgestaltung
3.1.3.2 Zur Preisphilosophie und Ausstattung des Hotelbetriebs
3.2 ZUR ABGRENZUNG DER NACHFRAGE: VERSUCH DER ENTWICKLUNG EINER KENNZAHL
ZUM MESSEINDUZIERTEN ÜBERNACHTUNGSDRUCK
3.2.1 Nutzen und Zielsetzung
3.2.2 Grundlagen der Berechnung
3.2.3 Berechnung am Beispiel der Messeplätze Düsseldorf und Nürnberg
3.2.4 Kritische Reflexionen
3.2.4.1 Bestimmung der relevanten Einzugsbereiche
3.2.4.2 Verfälschung durch externe Faktoren
3.2.4.3 Auslastungsschwankungen im Verlauf der Messe
4 BUCHUNGSVERHALTEN DER KUNDEN: EINFLUSSFAKTOREN AUF DIE RÄUMLICHE DIMENSION DER NACHFRAGE
4.1 ABGRENZUNG VON TEILMENGEN UND GRUPPIERUNGEN
4.1.1 Allgemeines
4.1.2 Besonderheiten ausländischer Gäste
4.2 DIE RÄUMLICHE SICHT: ENTFERNUNG UND ERREICHBARKEIT
4.2.1 Allgemeines
4.2.2 Der Einfluss von Verkehrswegen und Mal3nahmen zur Erhöhung der Erreichbarkeit
4.2.3 Zusammenfassung und Versuch eines räumlichen Modells
5 DIE UNTERKUNFTSSITUATION ZU MESSEZEITEN AUS SICHT DER PRIMÄREN MESSEAKTEURE
5.1 SICHT DER MESSEGESELLSCHAFTEN
5.2 BEDEUTUNG FÜR AUSSTELLER UND BESUCHER
6 DER SCHNITTPUNKT MESSE – HOTELLERIE: ZUR INSTITUTIONELLEN DIMENSION DER UNTERKUNFTSVERMITTLUNG
6.1 BEDEUTUNG VON DIENSTLEISTUNGEN UND DAS PROBLEM VON „MAKE-OR-BUY“
6.2 DIE INVOLVIERUNG DER VERANSTALTER IN DIE HOTELVERMITTLUNG
6.3 ZUSAMMENFASSENDE BEWERTUNG DER ANGEWANDTEN KONSTELLATIONEN
6.4 DIE AUSGESTALTUNG IN DER PRAXIS: BEST-PRACTICE-BEISPIELE
6.4.1 Das Kölner Konzept: Exklusive Eigenvermittlung mit Partnerhotels
6.4.2 Der Nürnberger Weg: Gemischte Vermittlung mit eigenen Kontingenten
6.4.3 Die Düsseldorfer Plattform: Hotelvermittlung mit eigener Marke
7 ABSCHLIEßENDE BETRACHTUNGEN
7.1 ZUSAMMENFASSUNG UND VERBINDUNG DES NETZWERKANSATZES
7.2 ABLEITUNG VON HANDLUNGSEMPFEHLUNGEN UND ABGRENZUNG WEITER- FÜHRENDER FORSCHUNGSFELDER
7.2.1 Erschliel3ung zusätzlicher Angebotskapazitäten
7.2.2 Einwirkung auf die Preisgestaltung der Hotellerie
7.2.3 Kommunikationsbezogene Mal3nahmen
7.3 AUSBLICK
LITERATURVERZEICHNIS
ANHANG I: INTERVIEWLEITFÄDEN
ANHANG II: TABELLENTEIL
Vorwort
Den entscheidenden Impuls zur Formulierung des Themas der vorliegenden Diplomarbeit gab mir ein im Jahr 2006 absolviertes Praktikum bei DERCONGRESS, der auf Veranstal-tungsorganisation und Veranstaltungslogistik spezialisierten Service-Agentur der DER Un-ternehmensgruppe. Durch die tägliche Auseinandersetzung mit der Materie lernte ich hier praxisnah die interessante Thematik sowie auch die Komplexität des Messereiseverkehrs kennen. Durch meine Arbeit hoffe ich, einen theoretischen Beitrag zu diesem bislang noch wenig bearbeiteten Gebiet leisten zu können.
An dieser Stelle möchte ich einen herzlichen Dank an alle Personen richten, die mich bei der Erstellung der vorliegenden Studie unterstitzt haben. Zunächst bedanke ich mich bei Herrn Prof. Dr. Hans Hopfinger, Inhaber des Lehrstuhls fir Kulturgeographie an der Katho-lischen Universität Eichstätt-Ingolstadt, welcher meine Arbeit betreute und mir – neben wertvollen Anregungen – einen großzigigen Gestaltungsfreiraum fir die Konzeption der-selbigen gewährte. Weiter gilt mein Dank Herrn Prof. Dr. Harald Pechlaner, Inhaber des Stiftungslehrstuhls fir Tourismus an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt, welcher die Zeit fand, die Arbeit als Zweitkorrektor zu begutachten. Besonders danken möchte ich auch Herrn Dr. Nicolai Scherle und Dipl.-Geographin Julia Walla, wissenschaftliche Mitarbeiter am Lehrstuhl fir Kulturgeographie, sowie Herrn Prof. Dr. Johannes Glickler, Inhaber des Lehrstuhls fir Wirtschaftsgeographie an der Universität Eichstätt. Sie konnten mir während der Bearbeitung durch nitzliche Hinweise und Hilfestellungen zu diversen Aspekten der Arbeit hilfreiche Impulse und Denkanstöße geben.
Herrn Hendrik Hochheim, Referent fir Messeforschung, Aus- und Weiterbildung beim Ausstellungs- und Messeausschuss der Deutschen Wirtschaft e.V., danke ich fir praktische Unterstitzung und konstruktive Anregungen während der Konzeptionsphase der Diplomar-beit, sowie dem Team der Deutschen Messebibliothek in Berlin fir die Unterstitzung und die Möglichkeit einer ausfihrlichen Literaturrecherche vor Ort. Die Erstellung der Arbeit wäre schließlich auch nicht möglich gewesen ohne die Unterstitzung der von mir interview-ten Experten, welche sich fir mich Zeit nahmen und mir durch ihre Aussagen einen tief gehenden Einblick in die bearbeitete Materie ermöglichten. Auf diesem Wege möchte ich deshalb auch ihnen nochmals herzlich danken. Ich hoffe, dass die Ergebnisse meiner Dip-lomarbeit fir meine Interviewpartner von Interesse sein werden, um so ein wenig der geleis-teten Hilfe zurickgeben zu können.
Last but not least gilt mein Dank für moralische Unterstützung jedoch auch meiner Familie, sowie meiner Freundin Michelle, die während der „heißen“ Phase der Diplomarbeit viel Verständnis und Geduld für mich aufbrachte. Für eine abschließende Lektüre der Diplomar-beit danke ich Herrn Hannes Lüling.
Eichstätt, im November 2007
Florian Dittmar
Abbildungsverzeichnis
Abb. 1: Geführte Experteninterviews und Messeplätze in Deutschland
Abb. 2: Prozentuale monatliche Verteilung internationaler Messen und Übernachtungen in Deutschland im Jahr
Abb. 3: Institutionelle Formen von Messeveranstaltern
Abb. 4: Zusammenhänge zwischen Messe und städtischer Tourismus-/Standortförderung in Großstädten
Abb. 5: Zusammenhang der drei Messenetzwerke nach PRÜSER
Abb. 6: Kritische Stakeholder großer Messegesellschaften
Abb. 7: Gemeinden im 45-Minuten-Umkreis um die Messe Düsseldorf
Abb. 8: Gemeinden im 45-Minuten-Umkreis um die Messe Nürnberg
Abb. 9: Räumliches Modell zum Buchungsverhalten von Ausstellern und Besuchern
Abb. 10: Entwicklung von vermieteten Flächen, Aussteller- und Besucherzahlen auf überregionalen Messen in Deutschland
Abb. 11: Kompetenzportfolio für ein strategisches In-/Outsourcing
Abb. 12: Wesen der Zimmervermittlung an den internationalen Messeplätzen Deutschlands
Tabellenverzeichnis
Fließtext:
Tab. 1: Kennzahlen der sieben bedeutendsten Messeplätze Deutschlands
Tab. 2: Angebotene Betten im 45-Minuten-Umkreis um die Messe Düsseldorf im Zeitvergleich
Tab. 3: Potentielle Gäste pro Bett und Nacht der internationalen Messen am Messeplatz Düsseldorf
Tab. 4: Angebotene Betten im 45-Minuten-Umkreis um die Messe Nürnberg im Zeitvergleich
Tab. 5: Potentielle Gäste pro Bett und Nacht der internationalen Messen am Messeplatz Nürnberg
Tab. 6: Konstellationen der Unterkunftsvermittlung an den bedeutendsten Messeplätzen Deutschlands
Anhang II:
Tab. 7: Gesprächspartner der Experteninterviews
Tab. 8: Anzahl internationaler Messen und Hallenkapazitäten der internatio-nalen Messeplätze Deutschlands
Tab. 9: Besitzverhältnisse von Besitz- und Vertriebsgesellschaften an deutschen Messeplätzen
Tab. 10: Konstellationen der Unterkunftsvermittlung an den internationalen Messeplätzen Deutschlands
Tab. 11: Reiseverkehrsrelevante Kennziffern der internationalen Messen Deutschlands
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1 Einführung und methodisches Vorgehen
1.1 Einführung in die Thematik und zentrale Fragestellungen
Das deutsche Messe- und Ausstellungswesen markiert als hochgradig vernetzte Dienstleis-tungsbranche mit beachtlicher gesamtwirtschaftlicher Bedeutung den Schnittpunkt zwischen Regionen und den verschiedensten Sparten des in- wie ausländischen Wirtschaftsgesche-hens. Gemäß dem periodischen Charakter von Messeveranstaltungen sind die Menschen-ströme und die von ihnen induzierten Wirkungszusammenhänge an den jeweiligen Messe-plätzen auf eine bestimmte Anzahl von Tagen im Jahr beschränkt. Zu diesen Zeiten kulmi-nieren sowohl das mediale Interesse als auch die Beanspruchung der örtlichen infrastruktu-rellen Ressourcen. Auf Grund von Unterkapazitäten an Hotelbetten zu den meisten interna-tionalen Messen führen dabei die Kräfte von Angebot und Nachfrage zu Unterkunftspreisen, welche mitunter subjektiv die hierfür erbrachte Leistung deutlich übersteigen. In der Presse wird das Phänomen regelmäßig aufgegriffen und in Hinblick auf mögliche Auswirkungen auf das Teilnahmeverhalten der Messekundschaft und teils gar auf den Fortbestand ganzer Messen problematisiert. Auch häufig geäußerte heftige Kritik von Seiten der Aussteller-schaft und der besuchenden Wirtschaft legt auf den ersten Blick den Schluss nahe, dass der zentrale Kostenfaktor „Unterbringung“ deutliche Auswirkungen auf das Teilnahme- und Buchungsverhalten der Messekunden haben kann. Dieses wiederum determiniert und beein-flusst raumwirksame Prozesse, wie die verschieden ausgestalteten Reiseströme und die Wahl von Hotels in bestimmten Lagen. Doch noch weitergehende Felder werden durch die Thematik tangiert: So beeinflussen die Unterkunftssituation sowie das Buchungsverhalten von Ausstellern und Messekunden das Gefüge und die Interessen der gesamten Messekoali-tion, ausgehend von den Veranstaltern, über deren meist öffentliche Anteilseigner, die Ho-tellerie und weitere involvierte Wirtschaftszweige.
Den diversen Akteuren, die als Teil des Messegeschehens angesprochen werden können und vom Komplex der Übernachtungsnachfrage tangiert werden, können nun jeweils spezifische Sichtweisen und Interessen mit Bezug auf die Thematik zugeordnet werden. Innerhalb die-ses Kontextes kommt es zu Einflussnahmen auf die Werteketten des Messereiseverkehrs und zu Versuchen der gegenseitigen Beeinflussung zwischen den verschiedenen Akteuren. Die Unterkunftssituation kann somit nicht losgelöst als Problematik der Interaktion zwi-schen Nachfragern und den Beherbergungsbetrieben als primären Anbietern gesehen wer-den. Bei tieferem Einstieg in die Materie erschließt sich vielmehr ein System von einander überlagernden Netzwerken und Organisationsmechanismen, die von der Unterkunftssituati- on beeinflusst werden und wiederum selbst die Wertschöpfungsketten des Messereisever-kehrs determinieren.
Die beschriebene Thematik zeichnet sich bislang durch eine weitestgehende Absenz in der wissenschaftlichen Literatur sowohl der geographischen als auch der wirtschaftswissen-schaftlichen Forschungsrichtungen aus. Dies verwundert, bietet das Thema doch mit den Attributen Interdisziplinarität, Brisanz und Praxisbezug alle Elemente für die Formulierung der verschiedensten interessanten Fragestellungen.
Die vorliegende Arbeit will an der beschriebenen Lücke der wissenschaftlichen Forschung ansetzen und zu einem Erkenntnisfortschritt beitragen, indem die verschiedenen Aspekte des Themenkomplexes aus unterschiedlichen Blickwinkeln beleuchtet, und zu ersten zentra-len Fragen Ergebnisse und Handlungsempfehlungen geliefert werden sollen. Die jeder wis-senschaftlichen Arbeit zu Grunde liegende Frage, ob das untersuchte Thema eher in die Breite oder in die Tiefe bearbeitet wird, ist somit bereits beantwortet: Ziel wird es sein, sich in einer auf die Breite angelegten qualitativ-explorativen Herangehensweise dem Themen-bereich der Messewirtschaft sowie der Übernachtungssituation zu Messezeiten zu nähern, dabei jedoch die vorformulierten forschungsleitenden Fragestellungen nicht aus dem Blick zu verlieren. Die Diskussion allgemeiner Zusammenhänge soll insbesondere auch nachfol-genden Arbeiten Grundlagen für die Verfolgung spezifischerer Detailfragen liefern. Durch die Formulierung verschiedener über den bearbeiteten Rahmen hinausgehender Forschungs-fragen (vgl. Kap. 7.2) soll dabei der Eingang in den Forschungsprozess gewährleistet wer-den.
Die Untersuchungsfrage der Arbeit gliedert sich in verschiedene Bereiche. Nach einer aus-führlichen Vorstellung des Untersuchungsfeldes und der damit verbundenen Akteure (vgl. Kap. 2.1, 2.2) gilt es zunächst herauszustellen, wie sich die Unterkunftssituation zu Messe-zeiten allgemein darstellt, und welche Wirkungsmechanismen hierbei identifiziert werden können. Ein besonderes Gewicht wird hier auf der Frage liegen, inwiefern die Nachfragesi-tuation und die Preisentwicklung überhaupt aus objektiver Sicht quantifiziert und dargestellt werden können, und welche Faktoren Einfluss auf die preis- und nachfragebestimmenden Prozesse haben.
Aus der Unterkunftssituation ergeben sich in einem nächsten Schritt direkte Auswirkun-gen auf das Buchungsverhalten von Messeausstellern und Besuchern, so dass diesem Be-reich ein weiterer Teil der Arbeit gewidmet werden wird (vgl. Kap. 4). Hierbei liegt das Forschungsinteresse in der Frage, ob bestimmten Nachfragergruppen abgrenzbare Präferen-zen bezüglich Kategorien und räumlicher Verortung der gewählten Unterkunft zugeordnet werden können, inwieweit diese Präferenzen mit der Entwicklung der Unterkunftssituation zusammenhängen, und welchen Einfluss Verkehrswege und Transportmittel auf die Prozes-se des Messereiseverkehrs haben.
Um den „roten Faden“ weiterzuspinnen, wird schließlich noch die organisatorische Dimension der Unterkunftsvermittlung einen wichtigen Teilbereich der Untersuchung darstellen. Hier soll u.a. für alle internationalen Messeplätze Deutschlands ermittelt werden, über wel-che Kanäle und in welcher Organisationsform die Vermittlung der Übernachtungskapazitä-ten primär vonstatten geht (vgl. Kap. 6). Speziell wird dabei die Perspektive der Messever-anstalter eingenommen. Als primären Ansprechpartnern von Ausstellern und Besuchern kommt diesen, so etwa als Empfehlungsgeber, naturgemäß eine Schlüsselstellung bei der Unterkunftssuche der Kunden zu. Auf Grund der Bedeutung der Thematik ist jedoch eine hohe Involvierung auch auf institutioneller Ebene gegeben: Wie gezeigt werden wird, bin-den sich Messegesellschaften häufig partnerschaftlich an externe Zimmervermittler oder übernehmen die Vermittlung gar in Eigenregie. Dieser Eingriff in die Wertekette hängt di-rekt mit der Unterkunftsproblematik zusammen bzw. wird durch diese geprägt. Die hier zu verfolgende Frage wird es somit sein, warum und in welcher Weise von Veranstalterseite auf den Komplex der Unterkunftsvermittlung zu Messezeiten Einfluss genommen wird, und welche Erfolgsfaktoren bei verschiedenen Konstellationen und Lösungsansätzen identifi-ziert werden können. Um die hierbei gefundenen Zusammenhänge ausreichend fundieren zu können, wird es jedoch zunächst nötig sein, die Bedeutung der Unterkunftssituation für die messebezogenen Geschäftsparameter der primären Akteure der Messewirtschaft herauszu-stellen (vgl. Kap. 5).
Die vorstehend skizzierten Untersuchungsfelder kreisen um Sachverhalte, welche über Sys-temstrukturen miteinander verbunden sind und einander determinieren. Entsprechend wird für die theoretische Interpretation zentraler Ergebnisse mit der Netzwerktheorie ein Ansatz gewählt, der genau diese Interdependenzen hervorhebt (vgl. Kap. 2.3). Dabei wird u.a. auf-zuzeigen sein, inwiefern die relevanten Institutionen und Akteure durch kongruente Interes-sen verbunden sind und sich in ihren institutionellen und operativen Dimensionen gegensei-tig beeinflussen.
1.2 Methodik und Forschungsdesign
Die Fragestellung der vorliegenden Arbeit zielt neben der Beschreibung spezifischer Gege-benheiten auf die Aufdeckung allgemeiner Zusammenhänge und Kausalmechanismen ab, welche, soweit möglich, für die Gesamtheit der deutschen Messewirtschaft verallgemeinert werden sollen. Das weitgehende Fehlen vorgefertigter theoretischer Ansätze legt dabei eine explorative, qualitative Forschungsperspektive nahe. Nach FLICK (2005, 258) existieren allgemein drei verschiedene Typen von Zielsetzungen für qualitative Studien: Beschrei-bung, Theoriebildung und Hypothesenprüfung. Die vorliegende Arbeit wird hieraus Anlei-hen bei den beiden erstgenannten Zielen nehmen, also Beschreibung und Theoriebildung. Einerseits werden in diesem Sinne bestimmte Sachverhalte für die Gesamtheit der unter-suchten Fälle beschrieben (vgl. Kap. 6.2), andererseits wird versucht, entsprechend der qua-litativen Induktion durch die Beschreibung und Interpretation einzelner Sachverhalte und Aussagen befragter Experten auf die allgemeingültige Ebene zu schließen. Mittels der quali-tativen Induktion sollen in der Forschungspraxis Theorien aus der empirischen Untersu-chung von Einzelfällen heraus entwickelt werden, womit sich dieser Ansatz von der Über-prüfung deduktiv generierter Hypothesen abgrenzt (vgl. REICHERTZ 2005, 279f.). Ein Vor-teil der Theoriebildung auf diese Art wird zumeist darin gesehen, dass, wird die Theorie direkt aus der empirischen Studie abgeleitet, diese der sozialen Wirklichkeit eher entspre-chen kann. Im Gegensatz hierzu wird dem Hypothesen-Ansatz des Kritischen Rationalismus mitunter ein geringer Kontakt zur Wirklichkeit unterstellt (vgl. LAMNEK 2005, 127).
Die Anwendung der qualitativen Induktion wird sich durch einen Großteil der Arbeit zie-hen: Beispielsweise soll hierdurch die prinzipielle Sichtweise der Messeakteure auf die Ho-telproblematik aus den Expertenaussagen erschlossen werden (vgl. Kap. 5), bzw. sollen all-gemeingültige Tendenzen des Buchungsverhaltens von Messekunden abgeleitet werden (vgl. Kap. 4). Auf Grund der beschränkten Anzahl von Expertenaussagen zu einzelnen Sachverhalten muss der Geltungsbereich der abgeleiteten Kausalmechanismen allerdings durch die Unterstützung theoretischer Überlegungen ermittelt werden (vgl. hierzu GLÄSER/LAUDEL 2006, 24). In diesem Sinne wird als Vorannahme davon ausgegangen, dass sich die wirtschaftlichen und strategischen Interessen innerhalb eines Akteurskreises und die Wirkungszusammenhänge des Messetourismus an den verschiedenen in den Fokus der Ar-beit aufgenommenen Standorten generell in etwa gleich darstellen. Letztere Annahme wird gestützt durch die Auswahl der zu untersuchenden Messeplätze, welche sich ausschließlich aus Standorten internationaler Veranstaltungen zusammensetzen. Dennoch wird es hierbei zu Einschränkungen bezüglich einzelner in ihren Eigenschaften deutlich abweichender Mes-seplätze kommen.
Ein Hypothesentest, wie u.a. von MAYER (2002, 23) für induktiv aus wenigen beobachteten Zusammenhängen abgeleitete Theorien im Zuge qualitativer Forschung vorgeschlagen, wird indes nicht durchgeführt. Mit diesem könnte ausgeschlossen werden, dass es sich bei einer beobachteten Fallkonstellation um einen zufälligen Zusammenhang handelt, doch würden Konzeption und Durchführung eines solchen den Rahmen der Arbeit sprengen.
Als Methode der Datenerhebung wurde, neben einer Zusammenstellung von Daten aus den Webseiten der Veranstalter und aus weiteren sekundären Quellen, insbesondere das teilstan-dardisierte, teilstrukturierte und leitfadengestützte Experteninterview gewählt. Diese Form des Interviews erscheint im Rahmen der bearbeiteten Thematik als besonders zielführend: Zunächst ist durch die Teilstandardisierung mit Leitfaden gewährleistet, dass sich einerseits die Fragen eng an dem zu Grunde liegenden Forschungsinteresse orientieren und in den weiteren Interviews in gleicher Weise reproduziert werden können. Andererseits behalten jedoch die Interviewpartner alle Freiheiten zur Beantwortung der Fragen (vgl. hierzu WITZEL 1982, 90; GLÄSER/LAUDEL 2006, 39f.). Dies ist insbesondere von großer Bedeu-tung, da zur bearbeiteten Thematik bisher kaum theoretische Vorarbeit von dritter Seite ge-leistet wurde. Doch auch der Umstand, dass die Fragen im Vorfeld der Interviews teilweise an das spezifische Fachwissen einzelner Interviewpartner angepasst werden mussten, ist durch die Teilstandardisierung ermöglicht. MEIER KRUKER/RAUH (2005, 64) betonen diese Notwendigkeit bei der Befragung verschiedener Experten. Die Teilstrukturierung schließ-lich sichert die Flexibilität des Interviewers, auf unvorhergesehene Gesprächsverläufe und neue Informationen durch eine Änderung der vorgesehenen Abfolge der Fragen reagieren zu können.
Das Experteninterview wurde gewählt, da durch die Interviews hochspezifisches Wissen abgefragt werden musste, welches nur einem begrenzten Kreis an Personen zu Eigen ist. Als Experten können dabei allgemein alle Person angesehen werden, die auf Grund ihrer Position über besondere Informationen verfügen, welche für die Untersuchung von Relevanz sind (vgl. MEUSER/NAGEL 1991, 443; GLÄSER/LAUDEL 2006, 9). Hier zeigt sich wiederum der Vorteil der Teilstandardisierung, da durch eine standardisierte Vorgehensweise die besonde-re Kenntnis der einzelnen Experten zu „ihrem“ Fall, sowie mögliche, gänzlich neue Denk-impulse beschnitten würden.
Im Zuge der Arbeit wurden nun im Zeitraum Februar bis Juli 2007 23 Einzelinterviews mit Vertretern von Messeveranstaltern, Ausstellern, Hotels, Hotelverbänden, Agenturen und städtischen Tourismusorganisationen geführt (vgl. Abb. 1). Eine Liste zu Namen und Posi-tionen der interviewten Experten findet sich in Anhang II, Tabelle 7.
Abb. 1: Geführte Experteninterviews und Messeplätze in Deutschland
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Eigene Darstellung (2007).
Für die geführten Interviews wurde im Vorfeld jeweils ein Leitfaden erstellt, dessen Fragen je nach Zugehörigkeit der Interviewpartner zu einem der aufgeführten Akteurskreise in Tei-len spezifisch ausgestaltet wurden. Die Fragen wurden weitgehend offen formuliert, um der wissenschaftsmethodologischen Forderung nach Offenheit zu entsprechen (vgl. MEINEFELD 2005, 266; REUBER/PFAFFENBACH 2005, 130; GLÄSER/LAUDEL 2006, 27f.). Ein gewisses theoriegeleitetes Vorgehen bei der Formulierung der Fragen wurde durch vorheriges Studi-um der themenbezogenen Fachliteratur gewährleistet, auf die Formulierung von Ex-ante-Hypothesen wurde jedoch gemäß den zuvor getroffenen Aussagen verzichtet.
Die Fragen der einzelnen Leitfäden finden sich in Anhang I. Dabei ist zu beachten, dass die Leitfäden im Verlauf der Datenerhebung geringfügig modifiziert wurden. Einerseits schie-den Fragen der ersten Befragungen – nach Erreichen einer theoretischen Sättigung aus den getroffenen Aussagen – aus den Leitfäden aus, andererseits flossen neue Informationen und Gedankengänge, welche im Verlauf der ersten Interviews durch Experten aufgebracht wur-den, in die Erstellung der späteren Leitfäden mit ein. Auf Grund der relativ hohen Anzahl an Experteninterviews erscheint dieses Vorgehen methodisch vertretbar und auch sinnvoll, zumal durch die Berücksichtigung neuer Aspekte gewährleistet war, dass sich die Theorie-bildung eng an der sozialen Realität orientierte. Sicherlich wurde dabei bei der Auswertung der Interviews darauf geachtet, dass auch Aussagen zu neu in die Leitfäden aufgenommenen Fragen nur bei einer entsprechend hohen Übereinstimmung zwischen den Experten in die Arbeit einflossen, soweit diese der Verallgemeinerung zugedacht waren. Zudem wurde aus Aussagen, zu deren Themengebiet andere Experten keine Angaben gemacht hatten, selbst-verständlich nicht auf Sachverhalte geschlossen, welche die Expertengebiete der hierzu nicht befragten Experten betrafen.
Die Interviews wurden auf Band aufgezeichnet und wörtlich transkribiert. Die Auswertung folgte anschließend mittels einer Kombination aus Kodieren und qualitativer Inhaltsanalyse nach MAYRING (2000, 468ff.; 2003, 59ff.). Unter der qualitativen Inhaltsanalyse wird all-gemein die „systematische Bearbeitung von Kommunikationsmaterial“ verstanden (MAYRING 2000, 468). Auf regelgeleiteter Basis wird dabei das Material zusammengefasst und gemäß zu entwickelnden Kategorien strukturiert. Im vorliegenden Fall wurden dement-sprechend die Transkripte zunächst paraphrasiert, d.h. ihnen wurden durch Extraktion ent-sprechend eines Kategoriensystems systematisch Informationen entnommen, womit die In-formationsfülle reduziert und entsprechend dem Untersuchungsziel strukturiert wurde (zu den Zielen des Paraphrasierens von Experteninterviews vgl. auch MAYER 2002, 50f.). Im weiteren Verlauf der Untersuchung wurden, gemäß dem Grundgedanken der qualitativen Inhaltsanalyse, die so entnommenen Informationen weitgehend unabhängig von den Origi-naltexten weiterverwendet und pro Kategorie zusammengefasst.
Das Kategoriensystem baute auf den theoretischen Vorüberlegungen auf, war jedoch ge-mäß der Modifizierung von MAYRINGs Methode durch GLÄSER/LAUDEL (2006, 195f.) offen gehalten. Die Dimensionen der Kategorien konnten so entsprechend neu auftretender Infor-mationen modifiziert und ausgebaut werden. Auf diese Weise „wird sichergestellt, dass nicht antizipierte Merkmalsausprägungen adäquat aufgenommen werden“ (ebd., 195). Nach der Original-Methode nach MAYRING hätte hier im Zuge der induktiven Kategoriebildung erst ein Teil des Materials durchgearbeitet werden müssen und daraufhin, mit überarbeiteten Kategorien, mit der Analyse des Materials neu begonnen werden müssen (vgl. MAYRING 2003, 76).
Abweichend zur qualitativen Inhaltsanalyse wurden weiterhin in den durch Paraphrasie-rung der Originaltexte entstandenen Extrakten auch Zitate des jeweiligen Interviews beige-mischt. Diese wurden jeweils dem inhaltlich dazu passenden Informationsblock zugeordnet. Die nun mittels der Computersoftware MAX.QDA 2007 erfolgende Kodierung der aufberei-teten Extrakte ordnete den einzelnen Codes somit sowohl die paraphrasierten Informations-blöcke als auch die dazu passenden wörtlichen Zitate zu. Um die Anonymität der Ge- sprächspartner zu gewährleisten, wurde diesen jeweils ein Kürzel zugeordnet, das bei Ver-wendung eines Zitats im Text Verwendung finden wird (zu den vergebenen Kürzeln vgl. Anhang II, Tab. 7). Der Vereinfachung halber wird bei den einführenden Anmerkungen zu den einzelnen Zitaten dabei – statt beispielsweise „Messevertreter“ und „Messevertreterin“ voneinander abzugrenzen – jeweils die männliche Form verwendet.
1.3 Einordnung der Arbeit in den theoretischen Kontext der Geogra-phie
„Die Geographie ist eine raumbezogene Wissenschaft, deren übergreifendes Erkenntnisinte-resse der Erfassung, Beschreibung und Erklärung komplexer räumlicher Wirkungszusam-menhänge (...) gewidmet ist“ (HOPFINGER 2004, 1). Gerade die im vorstehenden Zitat be-tonte Komplexität der räumlichen Wirkungszusammenhänge tritt bei näherer Betrachtung des vorliegenden Themenfeldes deutlich zutage. Das Messe- und Ausstellungswesen und, besonders hervorstechend, die damit zusammenhängenden Muster des Reiseverkehrs kön-nen als prädestiniertes Forschungsfeld der Geographie betrachtet werden. Die Zusammen-hänge der Messewirtschaft stellen sich dabei sehr interdisziplinär dar und berühren eine Vielzahl geographisch relevanter Themenfelder. Deutlich wird dies bereits, wenn man das von der Münchner Schule der Sozialgeographie postulierte und auf dem Modell der Funkti-onsgesellschaft aufbauende Konzept der Grunddaseinsfunktionen zum Abgleich heranzieht (vgl. RUPPERT/MAIER 1970, 12; PARTZSCH 1970, 423ff.; WERLEN 2004, 175f.; HOPFINGER 2004, 9). So decken das Messewesen und die durch Messen und Ausstellungen ausgelösten raumbezogenen Aktivitäten mit den Funktionen arbeiten, sich versorgen, sich bilden, sich erholen und verkehren beinahe sämtliche in der geographischen Diskussion abgegrenzte Grundfunktionen menschlicher Daseinsäußerung direkt oder indirekt ab. Doch noch weitere Zusammenhänge der Messewirtschaft stellen sich als geographisch relevant dar. Allgemein dem Messewesen und speziell auch der vorliegenden Arbeit können dabei als maßgebliche geographische Teildisziplinen u.a. die Wirtschaftsgeographie, die Verkehrsgeographie, die Sozialgeographie sowie die Freizeit- und Tourismusgeographie zugeordnet werden. Den Bereich der Wirtschaftsgeographie tangiert beispielsweise die der Arbeit zu Grunde liegen-de Betrachtung des Messewesens als Netzwerk. Die Ausgestaltung und Qualität des Bezie-hungsgeflechtes der relevanten Akteure auf zumeist regionaler Ebene wird dabei in Kapitel 2.3 thematisiert werden. Der Teilbereich der Freizeit- und Tourismusgeographie beeinflusst indes insbesondere die verschiedenen Aspekte der Arbeit, welche die Beschreibung und Erklärung der messeinduzierten Unterkunftsproblematik und die hierdurch ausgelösten raumwirksamen Prozesse umfassen. Wie in Kapitel 4 hergeleitet werden wird, führen die dem Messegeschehen inhärenten Prozesse von Angebot und Nachfrage beispielsweise zu räumlichen Verlagerungen der Hotelbuchungen und sich raumzeitlich verschiebenden Ver-kehrsströmen, wobei diese mit raumüberbrückenden Verkehrswegen in Wechselbeziehung stehen.
In Hinblick auf die Nennung der Freizeit- und Tourismusgeographie im vorliegenden Kontext ist es hierbei wichtig zu betonen, dass der Messereiseverkehr in seiner vorwiegen-den Eigenschaft als Geschäftsreiseverkehr in dieser Arbeit definitorisch dem Tourismus zugeordnet wird, wobei dieser somit in einer weit gefassten Definition begriffen wird (vgl. hierzu auch Kap. 2.1.2.1). Dies wird u.a. damit begründet, dass Teile der in der Untersu-chung beschriebenen Akteure und Institutionen in ihren primären Aufgaben eng mit freizeit-touristischen Aktivitäten verbunden sind. Hierdurch und auch auf Grund der Tatsache, dass im Folgenden insbesondere die Auswirkungen der Reiseströme – und nicht so sehr die Ak-tivitäten vor Ort – im Fokus stehen, scheint diese Festlegung angebracht.
Abschließend bleibt zusammenfassend zu konstatieren, dass die vorliegende Arbeit durch diverse fachliche Teilbereiche auch der wirtschaftswissenschaftlichen Nachbardisziplinen beeinflusst ist und bei der Methodik der Datenerhebung und Interpretation auf Methoden zurückgreift, die ihrem Ursprung nach in der Soziologie angesiedelt sind. Nichtsdestotrotz ist der geographische Charakter der Studie herauszustellen. Da die bearbeiteten Fragestel-lungen u.a. auf allgemeine raumbezogene Wirkungszusammenhänge des Messetourismus abzielen, wird auch der von der modernen Geographie erhobene Anspruch der Nomologie – sprich der Aufdeckung regelhafter Gestaltungskräfte – als erfüllt angesehen.
2 Theoretische und praktische Grundlegungen
2.1 Einführung in das Messewesen und den messebezogenen Reise-verkehr
Mit dem Ziel der Einführung in das Thema der vorliegenden Arbeit ist es zweckhaft, ein einleitendes Kapitel einem Abriss über den Untersuchungsbereich zu widmen. Dies wird im Folgenden im Bezug auf den Komplex der deutschen Messewirtschaft sowie die Grundla-gen des Messetourismus geschehen. Hierzu werden zunächst einige grundlegende Fakten zu Geschichte, Definitionen, Zahlen und wirtschaftlicher Bedeutung der Messewirtschaft zu-sammengefasst. Das daran anschließende Kapitel wird allgemeine Sachverhalte und Zu-sammenhänge des messegebundenen Geschäftsreiseverkehrs behandeln, um somit das Fundament für spätere Detailausführungen zu legen.
2.1.1 Wesen, Funktionsweise und Eckdaten des deutschen Messewesens
Das europäische Messewesen blickt auf eine lange Tradition zurück, welche, in einer weit gefassten Definition, bis in biblische Zeiten zurückreicht. Das heutige Deutschland als Mes-seplatz erlangte dabei ab dem 13. Jahrhundert Bedeutung (vgl. NITTBAUR 2001, 64). Insbe-sondere auf Grund der geographischen Lage und der damit einhergehenden handelspoliti-schen Bedeutung entwickelte sich Deutschland bald zum wichtigsten Messeplatz und ist es – unter geänderten Rahmenbedingungen – bis heute geblieben. Es bildeten sich dabei insbe-sondere diejenigen Städte zu Messeplätzen aus, welche bereits zuvor Knotenpunkte im Netz der Handelswege darstellten (vgl. ZYGOJANNIS 2005, 44). Im Gegensatz zu so gut wie allen bedeutenden Messe-Nationen weist Deutschland dabei bis heute keine ausgeprägte „Primary-Situation“ der Messeverteilung auf: Auffallend ist vielmehr ein historisch persistentes Nebeneinander mehrerer bedeutender Messeplätze, welche untereinander in scharfer Kon-kurrenz um lukrative und prestigeträchtige Messen und Ausstellungen stehen.
Messen stellen allgemein eine vom jeweiligen Veranstalter organisierte Plattform für die Interaktion von Anbietern und Nachfragern dar. Durch die Kombination aus örtlicher Bin-dung und enger zeitlicher Begrenzung gewährleisten sie dabei ein Zusammentreffen in hochkonzentrierter Form, was den Erfolg von Messen gegenüber anderen Marktformen er-klärt (vgl. ROBERTZ 2003, 563). Die ausstellende Wirtschaft nutzt ihren Auftritt als Teil ihres Kommunikations-Mixes und investiert Jahr für Jahr Milliarden von Euros in Standbau, Platzmiete und für den Auftritt abgestellte Mitarbeiter. Häufig wird in der Literatur darauf verwiesen, dass durch die Verfeinerung neuer Kommunikationstechnologien Messeteilnah-men und somit Übernachtungen vor Ort teilweise entbehrlich würden (vgl. u.a. FUCHSLOCHER/HOCHHEIMER 2000, 137; NÖTZEL 2002, 61). Dies ist jedoch nur teilweise schlüssig: Richtigerweise betont eine Reihe von Autoren, dass auch künftig Geschäftspart-ner das persönliche Zusammentreffen dem „virtuellen Handschlag“ (FAZ 2004, 32) wohl weitestgehend vorziehen werden. Messen im Allgemeinen wird somit auch in Zukunft eine weiterhin konstante Bedeutung vorausgesagt. Hier scheint die menschliche Komponente einen nicht zu unterschätzenden Erfolgsfaktor auszumachen, oder wie SCHOMMER (1997, 17) es ausdrückt: „Es ist das atavistische Bedürfnis zu palavern, ein Balihoo zu betreiben, zusammenzuhocken und gemeinsam etwas zu erleben und auszubrüten“.
In Bezug auf die Messearten kam es im Laufe der Zeit zu einem Wandel von der Waren-messe über die Muster- und Branchenmesse zur heute dominanten Form der Fachmesse (vgl. BRINKMANN 1999, 145; MEFFERT/ROBERTZ 1998, 22). Neben der heute ebenfalls ver-breiteten Form der regionalen Verbraucherausstellung zeichnet sich diese durch überregio-nale Prägung aus, richtet sich an einen engen Kreis von Fachbesuchern einer spezifischen Branche und ist durch eine hohe Angebotstiefe sowie eine geringe Angebotsbreite geprägt.
Zur definitorischen Abgrenzung von Messen und Ausstellungen existieren mehrere Ansätze, welche sich jedoch im Kern weitestgehend ähneln. Dabei richten sich Messen – mit domi-nanter Transaktionsfunktion – in erster Linie auf das Nachfragersegment der Fachbesucher aus, während Ausstellungen – mit dominanter Informationsfunktion – primär das private Publikum im Blick haben (vgl. PRÜSER 1997, 36f.; KIRCHGEORG 2003, 55). Kritik an den existierenden Definitionen wird u.a. damit begründet, dass sich die Grenzen zwischen Mes-sen und Ausstellungen zunehmend verwischen (vgl. ZYGOJANNIS 2005, 33). Der Vereinfa-chung halber wird im Folgenden denn auch der Begriff „Messe“ stellvertretend für Fach-messen und Besucherveranstaltungen verwendet. Da davon ausgegangen werden kann, dass nur wenige der in dieser Arbeit behandelten internationalen Veranstaltungen reine Besu-cherausstellungen sind, erscheint dies zulässig.
Noch zahlreicher als die Auswahl an Definitionen sind die in der Literatur diskutierten Kategorisierungsansätze, welche an dieser Stelle jedoch nicht näher ausgeführt werden (zu ausführlichen Ansätzen verschiedener Autoren vgl. NEGLEIN 1992, 19; PRÜSER 1997, 43ff.). Die in der vorliegenden Arbeit untersuchten Messeplätze wurden unter dem Kriterium aus-gewählt, mindestens eine Veranstaltung der Kategorie „überregional/international“ nach Definition des Ausstellungs- und Messeausschusses der Deutschen Wirtschaft e.V. (AUMA) im Portfolio aufzuweisen. Für die genannte Kategorie wird dabei ein Ausländer-anteil von mindestens 10 Prozent an den Ausstellern, sowie 5 Prozent an den Besuchern zu Grunde gelegt (vgl. AUMA 2007a, 42). Grundlage für diese Auswahl ist die Überlegung, dass nur Veranstaltungen mit bedeutendem Einzugsgebiet der Aussteller und Besucher ei-nen spürbaren Übernachtungsdruck generieren können und somit für die Thematik der vor-liegenden Arbeit von Interesse sind. Insgesamt wurden im Jahr 2006 auf 24 deutschen Mes-seplätzen 159 internationale Messen durchgeführt, wobei 108 auf die sieben bedeutendsten Messeplätze entfielen (vgl. Tab. 1). Näheres zu Flächen und Anzahl durchgeführter Messen der weiteren internationalen Messeplätze Deutschlands findet sich in Anhang II, Tabelle 8.
Tab. 1: Kennzahlen der sieben bedeutendsten Messeplätze Deutschlands
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Eigene Zusammenstellung nach www.auma.de (Zugriff: 03.07.2007) und www.messeinstitut.de (Zugriff: 28.09.2007).
Bezüglich der wirtschaftlichen Bedeutung zählt das deutsche Messe- und Ausstellungswe-sen heute zu den zentralen Eckpfeilern der deutschen Wirtschaft. Im globalen Vergleich führend bei der Ausrichtung internationaler Messen, kann der Standort Deutschland vier der fünf weltweit größten Messegelände aufweisen. Die gesamtwirtschaftliche Bedeutung der Branche ist beachtlich: So generieren die jährlich in Deutschland durchgeführten Messen und Ausstellungen mit über 200.000 Ausstellern und bis zu 18 Millionen Besuchern ge-samtwirtschaftliche Produktionseffekte von rund 23 Milliarden Euro und sichern ca. 250.000 direkte und indirekte Arbeitsplätze (vgl. AUMA 2006a, 5). Ein Großteil der Um-sätze entfällt hierbei auf die Messestadt und deren Umgebung, wobei nach unterschiedli-chen Quellen die regionalwirtschaftlichen Effekte den jeweiligen Umsatz des Veranstalters regelmäßig um das fünf- bis zehnfache übersteigen (vgl. u.a. NEGLEIN 1992, 17; TAEGER 1993, 45f., AUMA 2006a, 13). Etwa 53 Prozent der Gesamtproduktionseffekte lassen sich auf die Aussteller zurückführen, 35 Prozent auf die Besucher und 12 Prozent auf die Messe-gesellschaften selbst (vgl. HOLZNER 2003, 799). Der auf diese Weise für die Region gene-rierte wirtschaftliche Zufluss bildet für die öffentlichen Anteilseigner der Messegesellschaf-ten die Basis eines als Umwegrendite bezeichneten ökonomischen Nutzens ihres in die Mes-seinfrastruktur investierten Kapitals (vgl. VON ZITZEWITZ 2003, 139; ZYGOJANNIS 2005, 46; zu weiteren Zusammenhängen zwischen Gebietskörperschaften und den vor Ort angesiedel-ten Messen vgl. Kap. 2.2.2).
2.1.2 Spezifika des Messetourismus und touristische Bedeutung von Messen
2.1.2.1 Abgrenzung und theoretische Einordnung
Um sich dem Phänomen und den spezifischen Zusammenhängen des Messetourismus zu nähern, ist zu Anfang dieses Kapitels zunächst ein kurzer theoretischer Einstieg in die Be-grifflichkeiten des Untersuchungsfeldes notwendig. Messe- und Ausstellungsreisen werden aus einer kategorisierenden Betrachtung definitionsgemäß meist dem Bereich der Geschäfts-reisen zugerechnet, auch wenn sie ebenfalls Aspekte des Event-Tourismus sowie des Städte-Tourismus in sich vereinen (vgl. DETTMER et al. 2000, 129; SWARBROOKE/HORNER 2002, 5; KIM 2003, 42; FREYER et al. 2006, 17). Ob der Geschäftsreiseverkehr an sich dabei als kon-stitutiver Bestandteil des Tourismus angesehen werden kann, ist in der Fachliteratur umstrit-ten. In der vorliegenden Arbeit wird dies bejaht und somit der weit gefassten Definition nach KASPAR (1998, 17) gefolgt, welcher Tourismus als die „Gesamtheit der Beziehungen und Erscheinungen“ ansieht, „die sich aus der Ortsveränderung und dem Aufenthalt von Personen ergeben, für die der Aufenthalt weder hauptsächlicher noch dauernder Wohn-noch Arbeitsort ist“.
GÖTTING (2003) betrachtet den Messereiseverkehr als gruppentouristische Erscheinungs-form, da im Gegensatz zur individuellen Ausprägung des „klassischen“ Geschäftsreisever-kehrs die Teilnahme an einer Veranstaltung einen gemeinsamen Reiseanlass bildet. Messe-tourismus könne dabei „als Gesamtheit aller Reisen definiert werden (...), die aus berufli-chen Gründen im Zusammenhang mit Messeveranstaltungen durchgeführt werden“ (ebd., 24). Bei dieser und ähnlichen Abgrenzungen ist zu berücksichtigen, dass das Teilsegment der Ausstellungsreisen – welches in vorstehender Definition nicht eingeschlossen ist – so-wohl private als auch geschäftlich motivierte Elemente umfasst (vgl. Kap. 2.1.1). Doch auch zu Fachmessen werden aus verschiedenen Gründen regelmäßig in geringem Umfang Privat-besucher nachgewiesen. Da in öffentlichen Statistiken und entsprechenden Fachveröffentli-chungen – wenn bei Zahlen zum touristischen Aufkommen überhaupt bis auf die Ebene verschiedener Veranstaltungsarten differenziert wird – meist Angaben über Fach- und Pri-vatbesucher gemeinsam ausgewiesen werden, muss hier sowohl in der wissenschaftlichen Diskussion als auch im Bereich der Statistik ein gewisser theoretischer Klärungsbedarf konstatiert werden. Der Vereinfachung halber wird daher im Folgenden der Begriff des „Messetourismus“ synonym für Messen und Ausstellungen verwendet.
Auch bezüglich der Messewirtschaft als solcher setzt sich die definitorische Konfusion fort. So etwa verortet FREYER (2006, 130f.) Messen und Ausstellungen innerhalb der Tou-rismuswirtschaft im engeren Sinn, unter welche all jene Betriebe fielen, „die typische Tou-rismusleistungen erbringen, also Leistungen, die in direktem Zusammenhang mit der Reise stehen“. Problematisch ist diesbezüglich jedoch die Abgrenzung von Betrieben, die der Messewirtschaft zuzuordnen sind: Die von den Veranstaltern zur Durchführung der Messen unter Vertrag genommenen Service-Unternehmen beispielsweise sind hiervon selbst nicht integraler Bestandteil, da die meisten dieser Unternehmen nur teilweise für die Messewirt-schaft tätig sind (vgl. NEGLEIN 1992, 23). Der theoretischen Einordnung von Messen in den Tourismus wird aber auch von anderer Seite widersprochen. So seien Messen als betriebli-che Investitionen einzustufen – so ein gängiges Argument – da sie wirtschaftlichen Nutzen durch Wissensvermittlung erzielten, während Tourismus konsumbestimmt sei (vgl. BOCHERT 2001, 9; AUMA 2002b, 29).
Einfacher als die Abgrenzung des Messetourismus an sich ist die Bestimmung der Zu-sammensetzung der messe- und ausstellungstouristischen Nachfragerseite. Zu dieser zählen grundsätzlich sowohl auswärtige Besucher als auch Aussteller und deren Angestellte, soweit diese nicht für die Dauer der Messe vor Ort rekrutiert werden. Wie an späterer Stelle disku-tiert werden wird, weisen die verschiedenen Segmente innerhalb dieser Gruppen dabei un-terschiedliche Präferenzen auf, die sich wiederum in unterschiedlicher Weise als raumwirk-sam erweisen.
2.1.2.2 Zahlen und Fakten
Kohärentes und differenziertes Zahlenmaterial zum Volumen des Messereiseverkehrs ist nur spärlich existent und differiert in Aussagen und Bezugsgrößen, weswegen an dieser Stelle lediglich eine Annäherung anhand einzelner „Bausteine“ möglich sein wird. Die Gesamtan-zahl der Geschäftsreisen von deutschen Betrieben mit zehn oder mehr Mitarbeitern lag im Jahr 2005 nach Angaben des VDR bei gut 150 Millionen, hiervon hatten 117 Millionen Rei-sen ein inländisches Ziel (vgl. VDR 2006, 6f.). 35 Prozent der durchgeführten Geschäftsrei-sen nach Definition des VDR waren dabei veranstaltungsbezogen, wobei hier der Besuch von Messen, Kongressen, Firmenevents und Seminaren zu subsumieren ist (vgl. ebd., 8). FREYER et al. (2006, 26) errechnen, jedoch ohne Angabe eines Bezugsjahres, 13,1 Millionen Reisen zu deutschen Messen und Ausstellungen. Hiervon seien 10,1 Millionen auf deutsche, und 3 Millionen auf ausländische Besucher zurückzuführen. GRIEBLER (2003, 833) schließ-lich gibt den Teil der Incoming-Geschäftsreisen aus dem Ausland, welcher auf Messen und Kongresse zurückzuführen ist, mit einem Drittel an. Mit ebenfalls einem Drittel wird mitun-ter der Anteil der durch Messen induzierten Übernachtungen an der Gesamtnachfrage in großen Messestädten angenähert, wobei dieser je nach Standort sehr unterschiedlich ausfällt (vgl. HÜBL/SCHNEIDER 1993, 63; GÖTTING 2003, 14).
Die in Deutschland im Jahr 2006 durchgeführten 159 überregionalen Messen und Ausstel-lungen nach Definition des AUMA wurden von 9,7 Millionen Besuchern besucht und wie-sen 171.000 Ausstellerfirmen auf, wobei ca. 20 Prozent der Besucher und 52 Prozent der Aussteller aus dem Ausland kamen (AUMA 2007a, 14; AUMA 2006a, 4). Zum Vergleich hatten die 164 durchgeführten regionalen Veranstaltungen mit 6,7 Millionen Besuchern und rund 52.000 Ausstellern eine ähnliche quantitative Bedeutung, jedoch können hierbei auf Grund von eher regionalen Einzugsgebieten die Auswirkungen auf die Tourismuswirtschaft als relativ gering eingeschätzt werden.
Unabhängig von genauen Zahlen zur Anzahl von Messereisen steht deren wirtschaftliche Bedeutung jedoch außer Frage. Innerhalb des Reiseverkehrs gelten Geschäftsreisende und insbesondere Messeteilnehmer mit als die lukrativste Zielgruppe, was neben der reinen Quantität der Teilnehmer auch mit deren Ausgabenstruktur in Zusammenhang steht (vgl. GÖTTING 2003, 16). So gaben deutsche Geschäftsreisende im Jahr 2005 im Schnitt 146.-Euro täglich aus, während die täglichen Ausgaben von Urlaubsreisenden bei lediglich 67.-Euro lagen (vgl. VDR 2006, 13). Gründe für die höheren Ausgaben von Geschäftsreisenden sind u.a. fehlende zeitliche Flexibilität sowie erhöhte Service-, Qualitäts- und Komfortan-sprüche (vgl. HENSCHEL 2001, 391; FREYER et al. 2006, 13f.). Sicherlich mag jedoch eben-falls der hohe Anteil an Verwandten- und Bekanntenbesuchen innerhalb der Urlaubsreisen, welche die Unterkunftskosten von Privatreisenden mindern, ausschlaggebend sein: Dies mag denn auch erklären, warum die Ausgaben von Tagesgeschäftsreisenden unter den Aus-gaben von Tagesurlaubsreisenden liegen (vgl. DTV 2006, 54).
Absolute Angaben und Vergleiche speziell zu Messereisenden sind nun auf Grund der verschiedenen Preisniveaus der wichtigsten Messestädte problematisch. Als beeinflussender Faktor kann jedoch auch hier die Unterbringung bei Verwandten und Bekannten gelten. Je größer dabei die Messestadt ist, desto größer ist vermutlich der Anteil an unentgeltlich un-terkommenden Besuchern, und desto geringer sind die Gesamtausgaben für Unterkünfte, sowie die entsprechenden Ausgaben pro Kopf. Beispielhaft, jedoch sicherlich nicht zur Ver-allgemeinerung geeignet, kann hier eine Studie aus dem Jahr 1985 für den Messeplatz Berlin angeführt werden, nach der 49 Prozent der Privatbesucher und 16,8 Prozent der Fachbe-sucher bei Bekannten übernachteten (vgl. BUSCHE 1994, 227).
2.1.2.3 Allgemeine Zusammenhänge und Besonderheiten
Als Teilbereich des Geschäftsreiseverkehrs weist der Messetourismus Charakteristika auf, die denen der weiteren Geschäftsreisearten in weiten Teilen ähnlich sind. Nichtsdestotrotz sollen an dieser Stelle einige Besonderheiten hervorgehoben werden.
Zunächst kann der Messetourismus als periodisch auftretender Ereignistourismus um-schrieben werden, der dem gleichmäßig über das Jahr verteilten Basistourismus gegenüber-steht (vgl. HÜBL/SCHNEIDER 1993, 65). Letzterem können die nicht messebezogenen Ge-schäftsreisen zugeordnet werden, die eine mehr oder weniger gleichmäßig über das Jahr verteilte Grundauslastung ausmachen (vgl. SWARBROOKE/HORNER 2002, 28). Angesichts des Ereignistourismus kann gerade während Großmessen davon ausgegangen werden, dass auf Grund knapper Kapazitäten und hoher Preise Nichtmessegäste von einer Übernachtung abgehalten werden. Zwar werden wohl gerade im Geschäftsreisebereich die geschäftlichen Termine auf die Messetermine abgestimmt werden können – inwiefern es jedoch auch bei touristischen Ankünften zu Verschiebungen oder doch zu Einbußen kommt, lässt sich nicht feststellen.
Nach HÜBL/SCHNEIDER (1993, 65) erschließen die dem Ereignistourismus zuzuordnenden Messen neue Potentiale im Basistourismus. Dies geschehe einerseits durch die Entwicklung von Infrastruktur und Serviceangeboten, andererseits indem Messereisende in Begleitung reisen, nach der Messe ein paar Tage Urlaub anhängen oder zu privaten Wiederholungsbe-suchen animiert werden. Gerade der Anreise in Begleitung wird von Expertenseite jedoch meist widersprochen und konstatiert, dass Messebesucher und -aussteller fast ausschließlich alleine anreisen würden.
„Aussteller kommen definitiv nicht in Begeleitung, und Besucher so gut wie gar nicht.“ (MG_7)
Dieser Umstand führt zu einer weiteren Eigentümlichkeit des Messetourismus. Da die vor Ort angebotenen Doppelzimmer durch die zur Messe angereisten Geschäftsleute fast aus-schließlich zur Einzelnutzung belegt werden, kommt es zu großen Messen zum Phänomen, dass trotz einer 100-prozentigen Zimmerbelegung die Betten u.U. potentiell nur zu annä-hernd 50 Prozent belegt sind. Da offizielle Statistiken in der Regel die Bettenauslastung ausweisen, wird daher zu Messezeiten die Auslastung der Hotellerie tendenziell unter-schätzt.
„Zur High Season ist es so, dass alle Doppelzimmer zu 95 Prozent als Einzelzimmer weggehen (...). Gerade zu den großen Messen.“ (ST_1)
„ Das mit der Bettenauslastung habe ich gar nicht so gerne, weil eine Bettenauslastung in einer Großstadt nichts besagt.“ (ST_2)
Als weitere Besonderheit des Messereiseverkehrs sowie der messeinduzierten Hotelnach-frage ist eine jahreszeitlich antizyklische Konzentration außerhalb der sommerlichen Nach-fragespitzen des Erholungsreiseverkehrs zu nennen. Dies ist auf die Verteilung der Messe-Veranstaltungen auf das Jahr zurückzuführen: Obwohl an sich saisonal unabhängig, kon-zentrieren sich Messen und Ausstellungen dabei, auch mit Rücksicht auf die Auslastung der örtlichen Beherbergungsbetriebe, vorwiegend auf die Frühlings- und Herbstmonate (vgl. Abb. 2). Folge ist ein relativer Ausgleich der touristischen Gesamtnachfrage im Jahresver-lauf. Dem Messetourismus kann somit in Großstädten eine stabilisierende Wirkung auf den für den Tourismus typischen labilen Nachfrageverlauf zugeschrieben werden. Diese Wir-kung existiert in kleineren Städten so nicht: 94 Prozent der internationalen Veranstaltungen wurden im Jahr 2006 in Großstädten abgehalten (Quelle: eigene Berechnung nach www.auma.de; Zugriff: 13.05.2007).
Abb. 2: Prozentuale monatliche Verteilung internationaler Messen und Übernachtungen in Deutschland im Jahr 2006
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Eigene Darstellung nach www.auma.de (Zugriff: 13.05.2007); Statistisches Bundesamt (2006a-k); Statistisches Bundesamt (2007).
Ein ähnlicher Ausgleich zwischen verschiedenen Tourismusarten besteht auch im Wochen-verlauf zwischen privat motivierten Städtekurzreisen am Wochenende und dem allgemeinen Geschäftsreiseverkehr während der Werktage. Hier fällt dem Messereiseverkehr jedoch e-benfalls eine Sonderstellung zu, da Messen sowohl unter der Woche als auch am Wochen-ende durchgeführt werden.
Bezüglich der Motivation von Messereisenden wäre abschließend noch zu klären, inwiefern die touristische Attraktivität des Standortes Einfluss auf die Eignung als Messeplatz und die Ausgestaltung des Messetourismus hat. Während in der Literatur kulturhistorische Sehens-würdigkeiten und ein ansprechendes Umland mitunter als wichtige Standortfaktoren hervor-gehoben werden (vgl. u.a. MARZIN 1990, 27; GÖTTING 2003, 53), wird dem häufig wider-sprochen. Nur für Kongresse seien diese Faktoren von Bedeutung, Messegäste und Ausstel-ler würden aus Zeitmangel die Freizeiteinrichtungen nicht in Anspruch nehmen.
„Ich habe Diplomarbeiten hier liegen, nutzen Messebesucher das Freizeitangebot einer Stadt, und die Antwort war nein.“ (ST_2)
„Die haben gar nicht die Zeit. Also selbst im Hotel, wenn da ein Pool ist, wird der ganz selten ge-nutzt, weil abends sind sie oft noch lange mit dem Kunden unterwegs. Dann sind sie froh, wenn sie morgens ausschlafen können. Manche frühstücken nicht mal, die frühstücken auf dem Messestand. Also das spielt keine Rolle.“ (AU_1)
2.2 Zentrale Akteure des Untersuchungsfeldes und erste Zusammen-hänge
Um spätere Ausführungen zu den zentralen Fragestellungen der vorliegenden Arbeit adä-quat einordnen zu können, werden im Folgenden die wichtigsten Protagonisten der Messe-wirtschaft und der sie flankierenden Bereiche näher vorgestellt werden. Näher eingegangen wird dabei auf die Messeveranstalter als den zentralen Knoten der Messewirtschaft, weiter auf deren öffentliche Anteilseigner, auf Aussteller wie Besucher sowie die Hotellerie. Die Ausführungen werden dabei relativ ausführlich gehalten, um – entsprechend dem Anspruch der Arbeit, den Themenkomplex möglichst umfassend zu behandeln – eine fundierte Basis auch für neue Fragestellungen zu legen. Neben diesen Pfeilern des Kooperationsgeflechtes der Messewirtschaft können noch eine Reihe sekundärer Akteure identifiziert werden, wel-che alle auf ihre Weise auf den Gesamtkomplex „Messe“ einwirken. Zu nennen sind hier beispielsweise Verbände, die diversen Dienstleistungsunternehmen, doch auch die Politik sowie die Medien (vgl. ROBERTZ 1999, 37; NITTBAUR 2001, 71; DORNSCHEIDT 2003, 600; KRESSE 2003, 109f.; ZYGOJANNIS 2005, 43). Eine umfassende Beschreibung der genannten Akteure würde sicherlich den Rahmen der Arbeit sprengen und dient nicht der zu Grunde liegenden Thematik, weswegen hier darauf verzichtet wird.
2.2.1 Messegesellschaften und Veranstalter
Messen und Ausstellungen werden in Deutschland in der Regel von hierauf spezialisierten Veranstaltergesellschaften mit eigenem Gelände durchgeführt, welche in Eigenregie Messe-themen auflegen und Aussteller und Besucher zusammenführen. Trotz ausschließlich pri-vatwirtschaftlicher Organisationsform befindet sich die Mehrheit dieser Gesellschaften im Eigentum der öffentlichen Hand, indem die beheimatende Kommune und/oder das jeweilige Bundesland eine zumindest qualifizierte Mehrheit oder auch bis 100 Prozent der Anteile hält (vgl. Anhang II, Tab. 9). Rechtlich sind die Gesellschaften somit, je nach Höhe des öf-fentlichen Anteils, als Eigengesellschaften oder direkte Beteiligungsgesellschaften der öf-fentlichen Hand anzusehen (vgl. FABRY/AUGSTEN 2002, 9; KILLIAN et al. 2006, 89). Die öffentliche Beteiligung fordert dabei je nach Landesrecht zumeist einen öffentlichen Zweck des Unternehmens, was durch die erzielte Umwegrendite erfüllt wird (vgl. HUBER 1994, 47; FABRY/AUGSTEN 2002, 16). Öffentlich-rechtliche berufständische Korporationen – wie etwa Sektionen der IHK – halten mitunter Minderheitsanteile. Gründe für eine öffentliche Betei-ligung sind u.a. der hohe Kapitalbedarf sowie das Ziel der regionalen Wirtschaftsförderung (vgl. HÜBL/SCHNEIDER 1993, 51; HOSCH 2003, 241).
Eine Ergänzung zu diesen Besitz- und Betriebsgesellschaften bilden reine Betriebsgesell-schaften, also Veranstalter ohne eigenes Messegelände. Diese können sich ebenfalls im Ei-gentum der öffentlichen Hand befinden oder privater Natur sein, wobei letztere meist an verschiedenen Messeplätzen als Gastveranstalter auftreten (vgl. NEGLEIN 1992, 21f.; DIERIG 2005, 14f.; O.V. 2005, 16f.). Als Betriebsgesellschaften können dabei auch Verbände fun-gieren (vgl. ZYGOJANNIS 2005, 34). Abbildung 3 verdeutlicht die idealtypische Aufteilung:
Abb. 3: Institutionelle Formen von Messeveranstaltern
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Eigene Darstellung nach KIRCHGEORG (2003, 60).
Messegesellschaften sowie die Messewirtschaft als solche können dem Dienstleistungssek-tor zugeordnet werden, wobei das Produkt „Messe“ die wesentlichen Merkmale von Dienst-leistungen repräsentiert (vgl. HUBER 1994, 40f.; NITTBAUR 2001, 83; NÖTZEL 2002, 27f.). Lediglich die im Vergleich zu klassischen Dienstleistungen fehlende zeitliche und räumli-che Mobilität, und somit die hochgradige Indisponibilität des Produktes, können hier als Besonderheit angesehen werden (vgl. NITTBAUR 2001, 85). Ein Großteil der für die Nach-frager in der Messewirtschaft erbrachten Dienstleistungen richtet sich an das Segment der Aussteller und steht in unmittelbarem Zusammenhang mit deren Messeauftritt und/oder technischen Diensten auf dem Messegelände. Beispielhaft zu nennen sind neben den Kern-leistungen, wie etwa der Vermietung der Hallenfläche, weitere Zusatzleistungen wie Perso-nalvermittlung, Standreinigung, Werbung, Elektroinstallation, Seminare sowie Hotel- und Transferservices (vgl. u.a. TAUBERGER/WARTENBERG 1992, 244f.; NÖTZEL 2002, 39f., HOLZNER 2003, 789). Bei den von den Kunden in Anspruch genommenen Dienstleistungen grundsätzlich zu unterscheiden ist weiterhin zwischen vom Veranstalter bzw. der Messege-sellschaft direkt erbrachten Leistungen, sowie Leistungen von „externen“ Serviceanbietern wie Speditionen, Messe-Consultern, Messebauern oder auch Hotelagenturen. Der Anteil externer Anbieter erschließt sich aus der Erlössituation der Messen: Während technische und organisatorische Dienstleistungen etwa 20-30 Prozent und die Flächenvermietung ca. 50-60 Prozent zu den Erlösen der Messegesellschaften beisteuern, stellt sich für die größte Kundengruppe der Aussteller die Situation gegensätzlich dar – deren Ausgaben entfallen nur zu etwa 20-30 Prozent auf die Stand- und Flächenmiete, während der größte Teil der Aufwendungen den diversen Dienstleistungsanbietern zufließt (vgl. APPEL 2001, 4; RAHMEN 2003, 579). Wie an späterer Stelle näher ausgeführt werden wird, ist es das Bestreben vieler Messegesellschaften, durch eine Erweiterung ihres Segmentes der Wert-schöpfungskette diese Anteile zunehmend zu integrieren. Dies tangiert auch den Bereich der Hotelzimmervermittlung.
2.2.2 Städtische Anteilseigner und die Organe der Tourismus- und Standortför-derung
Wie zuvor dargestellt, befindet sich die Mehrheit der großen deutschen Messegesellschaften im öffentlichen Eigentum der jeweiligen Kommune bzw. des Bundeslandes. Entsprechend der Bedeutung der Umwegrendite zielt das Interesse der öffentlichen Hand in Bezug auf die Messegesellschaften dabei im Allgemeinen eher auf Kapazitätsauslastung (Quantität) als auf Gewinnoptimierung, sprich Qualität (vgl. MATTERN 2004, 27). Der hierdurch entstehende mögliche Zielkonflikt zwischen dem durch den Anteilseigner vorgegebenen Sachziel mit dem vom unternehmerischen Handeln geleiteten Formalziel der Gesellschaften wird in der Literatur regelmäßig hervorgehoben (vgl. u.a. BUSCHE 1994, 223; MÜSKE 2002, 32; FABRY/AUGSTEN 2002, 452; HOLZNER 2003, 799). Neben ökonomischem Nutzen werden jedoch auch nichtmonetäre bzw. indirekte Effekte mit dem Engagement der öffentlichen Hand verbunden oder ergeben sich daraus. Zunächst sind es die Einwohner der betroffenen Region selbst, die von den durchgeführten Messen profitieren. Durch den Ausbau messebe-zogener Einrichtungen, kultureller Angebote und der Verkehrsinfrastruktur kann es dabei zu positiven Effekten bezüglich harter und weicher Standortfaktoren kommen: Durch eine hö-here Auslastung können Messen so beispielsweise im Zuge von Konsolidierungseffekten das kulturelle Angebot von Theatern, Opern etc. sichern helfen (vgl. BECKER 1989, 147; ROBERTZ 1999, 39; ZYGOJANNIS 2005, 45). Eine Aufrechterhaltung der weichen Standort-faktoren kann wiederum zur Produktivitätssicherung des Standortes beitragen (vgl. BIEGER et al. 2006, 14). Weiter fällt die Aufmerksamkeit jedoch insbesondere auch auf die unbe-streitbare Werbewirksamkeit von großen Veranstaltungen. Durch die häufige Medienprä-senz des Veranstaltungsortes und durch die Geschäftsreisenden als Meinungsmultiplikato-ren leisten Messen einen bedeutenden Beitrag zum Stadtmarketing und tragen zu einem positiven Image und weiteren Tourismusströmen bei. Dies fällt schließlich als positiver Ef-fekt an die Stadt und die Region zurück (vgl. WIMMER 1984, 120f.; NESTLER 1993, 65; HÜBL/SCHNEIDER 1993, 60; GÖTTING 2003, 70). Messen können somit – im Sinne eines integrierten Standortmanagements – zur Verbindung von Standort- und Regionalmarketing beitragen, indem sowohl Wirtschaftsakteure, touristische Nachfrager als auch die Einwoh-ner durch die Wirkungszusammenhänge der Messewirtschaft erreicht werden (zu den Zu-sammenhängen von Standort- und Regionalmarketing vgl. PECHLANER 2000, 29f.; BIEGER et al. 2006, 19).
Der Beitrag von Messen zum touristischen Marketing unterstreicht denn auch eine natürli-che Verbindung zwischen den Organen der städtischen Tourismusförderung und den Mes-segesellschaften, die sich auf institutioneller und funktioneller Ebene manifestiert (vgl. Abb. 4). Die öffentlichen Tourismusorganisationen (TO) befinden sich in der Regel im Eigentum der Stadt oder unterliegen zumindest deren beherrschenden Einfluss, wobei auch häufig im Sinne einer kooperativen Tourismusförderung private Akteure als Gesellschafter oder Mit-glieder mit einbezogen sind (vgl. LUFT 2005, 115f.; DTV 2006, 86). Gerade in größeren Städten dominieren hierbei die privatwirtschaftlichen Rechtsformen der GmbH und des Vereins (vgl. KILLIAN et al. 2006, 82; vgl. auch Anhang II, Tab. 10). Die institutionelle Verbindung zwischen Messegesellschaften und TO ist somit deutlich: Ausgehend vom mo-dellhaften Fall einer städtischen Eignerschaft der TO können genannte Institutionen, als Tochterunternehmen der gleichen Gebietskörperschaft, als Schwesterunternehmen definiert werden. Häufiger Ausdruck dieses Umstandes sind u.a. Vertreter der Messe in den Gremien der TO oder auch direkte Kapitalbeteiligungen (vgl. Anhang II, Tab. 10).
Abb. 4: Zusammenhänge zwischen Messe und städtischer Tourismus- /Standortförderung in Großstädten
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Eigene Darstellung (2007).
Neben der institutionellen Ebene ergänzen sich Messen und Tourismusorganisationen auch auf funktioneller Ebene. Als Dienstleistern fällt den TO im Regelfall auch die Aufgabe der touristischen Hotelzimmervermittlung für die Destination zu, welche sie, je nach Konstella-tion, teilweise als Exklusivpartner der Messe auch für Messekunden übernehmen (vgl. hier-zu Kap. 6.2). Sechs Prozent der deutschen TO betreiben auch selbst ein Messegelände, so etwa in Karlsruhe (vgl. DTV 2006, 86). Dass die „Verwandtschaft“ zwischen den genannten Institutionen nun auch auf die Organisation der Hotelzimmervermittlung zu Messezeiten Einfluss haben kann, mögen die folgenden Zitate zweier Messevertreter verdeutlichen:
„Als die Marketing und Tourismus GmbH in der jetzigen Form gestartet ist, wurde von der Ge-schäftsführung in einer Präsentation gesagt, dass es doch sicherlich wünschenswert wäre – in Klammern also „bitte“ – dass wir uns entsprechend miteinander als exklusiven Partner ausloben.“ (MG_8)
„Wir könnten rein theoretisch auch solche Anbieter mit draufsetzen auf unsere Homepage wie HRS oder hotel.de , das wollen wir deswegen nicht, weil wir mit unserer „Schwester“ (...) zusammenar-beiten wollen.“ (MG_1)
Auch ein weiterer Messevertreter – der sich für diese Aussage jedoch ein Zitat verbat – be-richtet in ähnlicher Form von der bevorstehenden Aufkündigung der Zusammenarbeit mit einem privaten Hotelzimmervermittler, woraufhin die TO exklusiver Partner werden solle. Auch dies sei auf den entsprechenden Willen der Stadt zurückzuführen.
Doch auch beim Marketing für den jeweiligen Standort bzw. die Destination, oder auch im Sinne einer Cross-Promotion für die allgemeinen Belange des jeweils anderen, werden Syn-ergien genutzt (vgl. STROBL 1984, 76; LUFT 2005, 261f.). Letzteres kann beispielsweise durch städtische Informationsstände auf den Messen oder durch das Verteilen von Messe-Flyern durch die TO geschehen. Eine leistungsstarke und effektive TO sowie eine enge Zu-sammenarbeit ist für die Messebetreiber auch in Hinblick auf die Akquirierung zusätzlicher Events und somit eine steigende Hotelauslastung zu Nichtmessezeiten von Bedeutung, da dies nach Ansicht mancher Messevertreter zu sinkenden Unterkunftspreisen zu Messezeiten beitragen könnte (vgl. auch Kap. 3.1.3.1):
„Wir sind dabei, eine Tourismusförderung soweit zu betreiben, dass wir auch als touristischer Standort interessanter werden, um so das Nachfrageniveau in den messefreien Zeiten insgesamt nach oben zu drücken und damit die relative Abhängigkeit von Messen zu reduzieren.“ (MG_3)
Als häufig anzutreffender Ausdruck dieses Anknüpfungspunktes einer Zusammenarbeit zwischen Messe und städtischen Stellen existieren diverse Kongress-Initiativen, in denen die jeweilige Messe eingebunden ist. Hierbei soll im Zusammenwirken von öffentlicher Hand, Messe und vom Tourismus betroffener Privatwirtschaft versucht werden, durch die Akquise zusätzlicher Veranstaltungen das Besucheraufkommen in der Stadt zu erhöhen. Doch auch in verschieden gearteten Arbeitskreisen zum allgemeinen Stadtmarketing invol-vieren sich die Messegesellschaften häufig. Als gelungenes Beispiel der Zusammenarbeit sei hier auf das Programm „Enjoy Toy Fair City“ in Nürnberg verwiesen. Unter der Schirm-herrschaft der Spielwarenmesse eG sowie des Initiativkreises Wirtschaft, welcher sich aus Vertretern der IHK, der Hotellerie, des Einzelhandels und der Stadt zusammensetzt, werden hierbei jährlich parallel zur Spielwarenmesse diverse Angebote und Events rund um die Themen Shopping, Kultur und Nachtleben initiiert. Neben der Förderung von Einzelhandel und Dienstleistern ist dabei die emotionale Bindung der Spielwarenmesse-Gäste an die Stadt Nürnberg ein erklärtes Ziel (nach www.spielwarenmesse.de; Zugriff: 11.08.2007).
Wie gezeigt werden konnte, kann Messen eine nicht zu unterschätzende Bedeutung für die marketing- und tourismusbezogenen Belange des Standortes zugemessen werden. Dement-sprechend werden Messestädte bemüht sein, ihren Einfluss auf das System der mit der Mes-se verbundenen Interessengruppen und Akteure, und somit auf das Netzwerk der Messe zu maximieren (vgl. ROBERTZ 2003, 570). Innerhalb welcher Parameter sich dieses Netzwerk ausbildet, wird in Kapitel 2.3 näher ausgeführt werden.
2.2.3 Die ausstellende und besuchende Wirtschaft
Die ausstellenden Unternehmen auf deutschen Messen entstammen zu 65 Prozent dem ver-arbeitenden Gewerbe, zu ca. 25 Prozent dem Dienstleistungssektor und knapp 10 Prozent sind dem Handelsbereich zuzurechnen, wobei der Mittelstand deutlich dominiert (vgl. AUMA 2006a, 6). Allgemeine Ziele der Messebeteiligung sind in erster Linie Neukunden-gewinnung, die Steigerung des Bekanntheitsgrades, die Pflege von Stammkundenkontakten und die Einführung neuer Produkte (vgl. AUMA 2006b, 16). Der finanzielle wie auch der Organisationsaufwand für Aussteller ist hoch: Für durchschnittlich 4,2 Messeauftritte im Jahr stand den deutschen ausstellenden Unternehmen 2005 und 2006 ein durchschnittliches jährliches Budget von 134.000 Euro zur Verfügung, wobei nur 15-20 Prozent der Ausgaben auf Standmieten und der weitaus größere Teil auf Personal-, Reise-, Transport- und Stand-baukosten entfallen (vgl. IFO 1999, 42; KIM 2003, 27; AUMA 2007b, 6ff.). Die Hotel- und Verpflegungskosten schlagen bei Ausstellern mit etwa 10 Prozent der Gesamtausgaben für den Messeauftritt zu Buche (vgl. IFO 1999, 42).
Die von ausstellenden Unternehmen entsandten Mitarbeiter können in verschiedene Grup-pen aufgeteilt werden, denen ein jeweils unterschiedliches Übernachtungsverhalten zuge-schrieben werden kann (vgl. Kap. 4.1). Mit Ausnahme der vor Ort rekrutierten Kräfte stellen Ausstellermitarbeiter Geschäftsreisende dar (vgl. GÖTTING 2003, 33).
Die besuchende Wirtschaft wird meist mit dem Kreis der Fachbesucher gleichgesetzt, also mit den Personen, „die aus beruflichen oder geschäftlichen Gründen eine Messe besuchen und eine fachlichen Bezug zur Thematik aufweisen“ (ZYGOJANNIS 2005, 39). Zwar hat auch das Segment der Privatbesucher gerade bei Ausstellungen und zum Teil auch bei tageweise dem allgemeinen Publikum geöffneten Fachmessen eine gewisse Bedeutung, spielt aber in der Literatur und den Überlegungen der Messewirtschaft eine eher untergeordnete Rolle. Es wird übereinstimmend konstatiert, dass Privatbesucher zum überwiegenden Teil aus der unmittelbaren Region kommen und somit kaum übernachtungsrelevant sind:
[...]
1 Unter „Kontingent“ wird im Folgenden eine bestimmte Menge an Hotelzimmern verstanden, welche von einem Hotel als ganzes an Endkunden oder Zwischenhändler zur festen Buchung oder zur befristeten Reservierung abgegeben wird.
2 Im allgemeinen Sinne beschreiben Governancestrukturen das institutionelle Zusammenwirken von verschiedenen Akteu-ren. Im Sinne der Neuen Institutionenökonomik bezeichnet WILLIAMSON (1996, 11) Governancestrukturen als „institutional framework in which the integrity of a transaction, or related set of transaction, is decided”.
- Quote paper
- Florian Dittmar (Author), 2007, Die Netzwerke des Messereiseverkehrs, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/125694
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